Die Fliege und die Suppe - Hugo Loetscher - E-Book

Die Fliege und die Suppe E-Book

Hugo Loetscher

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Beschreibung

Die Geschichten, die Hugo Loetscher erzählt, sind Verhaltensfabeln. Die Tiere reden nicht wie Menschen, sondern sie benehmen sich wie Tiere. Allerdings in Situationen, die sie nicht immer selber ausgesucht haben, wie das Maultier im Militärdienst oder der Pudel auf der Schönheitskonkurrenz, der Affe in der Rakete oder die Ratte im Labor. Eine ›comédie animale‹, deren Moralität in der Darstellung liegt.

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Seitenzahl: 156

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Hugo Loetscher

Die Fliege und die Suppe

und 33 andere Tiere in 33 anderen Situationen

Diogenes

Der Kater in der Mainacht

Sein schwarzes Fell besitzt einen Glanz, wie ihn Haustiere haben, die viel draußen an der Luft sind. Der Kater gelangt durch ein Schlupfloch ins Freie. Sein Freies liegt über den Straßen zwischen Dächern und verwinkelten Altstadtmauern. Hier klettert er, ein schwarzes Tier, über Abzugsrinnen, hier streicht er Geländern entlang, springt auf Simse und von denen auf Balkone und streicht um Töpfe mit Geranien und Kräutern. In diesem Revier hausten einst Tauben. Der städtische Taubenvernichter hat die meisten geschossen und die Stelle unter einem Dachvorsprung, die als Schlag diente, vergiftet; ein paar flüchteten sich auf ein Hinterterrässchen, wo sie weitergurrten. Doch der Kater hat sich auf diesem Stück Flachdach den Mauern genähert, rückwärts gehend, den Schwanz erhoben, der wie der Hinterleib zitterte, als er Harn verspritzte. Im Windschatten eines Kamins zu Füßen einer Fernsehantenne liegt er, sanft gebuckelt in sein schwarzes Fell gekuschelt, in seinem runden Kopf rötliche Augen. Die Lider scheinen ihm vor Langeweile zuzufallen, doch plötzlich ortet er eine Geräuschquelle und aus seinen Ohrmuscheln schauen weiße Härchen hervor. Dann gehen durch das glatte schwarze Fell lautlose Bewegungen. Der Kater schleicht sich an, er läßt die Hinterpfoten bis zum letzten Moment auf dem Kies, springt die Taube an und haut ihr die Säbel seiner Eckzähne ins Gefieder; er jagt das verwirrte Tier durchs offene Fenster ins Zimmer, wo der Vogel an die Decke stößt und der Wand entlang herunter fällt; der Kater wirbelt das Tier zwischen seinen Zähnen herum und springt dabei von einer Pfote auf die andere, rupft mit den Krallen an den Flügeln und beißt nach der piepsenden Gurgel. Bis der Katerbesitzer dem fauchenden Kater den Vogel aus den Krallen zerrt und die Taube auf den Balkon legt, wo sie sich röchelnd zu Tode flattert. Indessen scharrt und kratzt der Kater vor einer Kommode, hinter die eine Feder flog, an der Blut klebt. Die gesträubten Haare legen sich, und das schwarze Fell deckt den hellen Haaransatz zu. Der Kater irrt unter dem Tisch herum und streicht um einen Fauteuil. Er wetzt seine Krallen am Velours und zieht dünne Bahnen in den Stoff. Lang und schmal wird sein schwarzer Körper, als er, die Hinterbeine auf dem Teppich, die Vorderpfoten auf den Fenstersims stützt; unter dem schwarzen Fell zeichnen sich die Schulterblätter ab. Er kratzt an der Scheibe, seine Pfote gleitet quietschend übers Glas, und er verfängt sich mit den Krallen im Gittermuster des Vorhangs. Schräg hält er seinen Kopf und schaut nach draußen in die einfallende Mainacht; seine Augen werfen den Schimmer einer Laterne zurück. Bis er in seiner Lauer die Schnurrbarthaare hochstellt und seine Lippen leckt. Er läßt sich fallen und fängt mit den gepolsterten Ballen sein Gewicht auf, legt sich hin, die eine Hinterpfote senkrecht hochgestreckt, und fährt mit der Zunge zwischen die Beine, leckt sein schwarzes Fell und streichelt die Haare glatt. Am hochgestreckten Hinterbein wird an der schwarzbehaarten Pfote zwischen den Zehen ein weißes Büschel sichtbar, und wie er sich auf die Seite legt und alle Viere von sich streckt, zeigen auch die andern Pfoten solch weiße Haare. Doch dann rollt er sich ein, deckt mit einem Hinterbein das andere zu, bettet die Vorderpfoten an die Brust, legt Schultern und Kopf darüber und ist wieder nur ein schwarzes Tier. Sein Schnurren geht in einem leisen Atmen auf, und ihn durchzuckt ein Seufzen, das sich unterm Fell im Körper verteilt; kurz schaut der Kater auf, blinzelt und sinkt erneut in Schlaf. Doch dann schnellt er hoch, macht einen Buckel und drückt den Kopf zwischen die Beine fast bis zum Boden, gähnt und zeigt ein gelangweiltes Gebiß. Er läuft los, durch den Flur ins Schlafzimmer, stoppt, schaut nach seinem Schwanz, beißt nach ihm und dreht sich ein paar Mal um sich selber, entdeckt ein zerknülltes Papier, bringt es mit den Pfoten zum Rollen, kriecht ihm unters Bett nach, läßt es rascheln und läßt es bleiben. Er mißt seine Schritte und geht zurück, den Schwanz aufrecht, das Ende spielerisch gebogen, unter dem schwarzen Schwanzansatz das helle Afterrund. Er hockt sich vor seinen Napf, hält das Fleisch mit den Vorderpfoten fest, reißt Portionen ab, wirft mit jedem Bissen den Kopf zurück und raspelt mit seiner Zunge am Knochen. Bevor er die Küche verläßt, bleibt er an der Tür stehen und reibt sich den Rücken am Pfosten. In der Stube verweilt er einen Moment und legt sich hin. Sein Körper wird länger und schmaler, weil er mit ihm zugleich die Vorder- und Hinterbeine streckt und die Krallen aus den Hornscheiden schnellen läßt. Er wälzt sich, wohlig und wollüstig, hebt den Kopf und schaut in alle Richtungen, legt den Kopf in den Nacken, reibt ihn am Boden, streichelt sich selber mit dem Flor des Teppichs und macht mit dem Unterleib stößige Bewegungen. Er zeigt den Bauch in seiner ganzen Länge. Nur bis unterhalb des Halses reicht das schwarze Fell, von da ab färbt sich die Brust auf bis zwischen die Hinterbeine. Gelbliche, rote und braune Haare stehen ab, wirr durcheinander, einzelne Haare weisen gleichzeitig die verschiedensten Farbtöne auf. Dieses kunterbunte Stück Bastardfell des schwarzen Katers erinnert an die lauen Maimonate seiner Vorfahren, als die Katzen in der Nacht von den Dächern riefen und die Männchen in ihr rauhes Jaulen und Heulen ausbrachen, zu den Weibchen hinaufkletterten oder sie herunterlockten, als die Katzen nach der Begattung fauchten und mit den Pfoten nach den Männchen schlugen, als diese Köpfchen gaben, und die Weibchen von neuem stillhielten, und als das Männchen beim Erguß die Kätzin in den Nacken biß. Dem schwarzen Kater, der sich auf dem Teppich räkelnd liebkost, deckt das farbengeile Fell die Narbe zu, die sich bildete, wo ihm die Hoden weggeschnitten wurden.

Das Huhn und das Sonnenlicht

Es kennt nicht den Frühling, der den Boden auftaut, so daß die Erde nachgibt und das Scharren ermöglicht. Doch das Huhn scharrt auch in dieser Bestallung. Wie den kalten Tagen keine folgen, die weniger frisch sind, lösen keine warmen die lauen ab. Der Boden kommt mit trocknender Wärme nicht zu Staub, in dem es baden würde; trotzdem wälzt sich das Huhn. Daes keine Jahreszeiten kennt, gibt sein Boden keine Würmer her, wenn es scharrt, und es laufen keine Käfer über ihn, denen es nachlaufen könnte, die Luft ist nicht voll Samen, und es liegt auch nirgendwo ein Stück Holz oder Papier, das es anpickt. Die Rinne wird regelmäßig nachgefüllt, mit Preßfutter und einem Mehl, das nach Fisch riecht. Das Huhn frißt sich satt. Der Magen ist so rasch gesättigt, daß die Beine es nicht realisieren und weiter auf Nahrungssuche gehen. So pickt das Huhn an einer zufälligen Nachbarin, rupft ihr eine Feder aus, läßt diese zu Boden fallen oder schluckt einen Flaum. Oder es hebt ab vom Boden, flattert los auf ein Insekt an der Wand, auch wenn dieses nur ein schwarzer Punkt ist. Es setzt auch hier drinnen die Füße abwechslungsweise voreinander; aber plötzlich möchte es nicht nur gehen, sondern laufen und dazu mit den Flügeln schlagen, doch dann kommt es mit denen ins Gedränge, die ihrerseits mit ihren Flügeln ausholen. Und wieder steht es auf einem Bein und kratzt sich am Kopf. Hört es den Schritt des Angestellten, läuft es zur Tür und jagt die andern, die auch zur Tür wollen. Erscheint der Mann, knickt das Huhn in den Gelenken ein, bildet mit Kopf, Hals und Rücken eine gerade Linie und hält die Schwanzfedern leicht nach unten geneigt. Ob der Mann zur Begrüßung das Huhn gänzlich zu Boden drückt oder es unbeachtet läßt, nach dem Sich-Ducken richtet es sich auf, schüttelt sich und seine aufgeplusterten Federn, als wäre es von einem Hahn bestiegen worden. Wie es keine Jahreszeiten kennt, kennt es auch keine Tagesrhythmen. Den Tag eröffnet nicht ein Gockel, der mit seinem Krähen die Sonne weckt, sondern eine Schaltuhr macht Licht. Die Lampe geht nicht auf und nicht unter, sondern an und aus. Nur einmal, als aus Versehen eine stärkere Birne eingeschraubt wurde, legte sich das Huhn zum Sonnenbaden hin. Aber dann kehrte das Licht mit weniger Watt zurück. Und wieder war es in der Frühe schummrig und schummrig am Mittag, der Abend war dämmrig wie die vorangegangenen Stunden, die dämmrig waren wie die vorangegangenen Tage. Zwölf Stunden dauert der Tag, und an diesen langen Tagen schüttelt das Huhn zwischendurch den Kopf. Es sucht Material für ein Nest, das bereits existiert und ohne sein Dazutun gebaut wurde. Wie lange es auch scharrt, es legt keine Mulde frei. Es pickt von den Kehllappen eines andern Huhns Futterreste, zerrt an seinem Kamm, klettert auf ein drittes und bleibt kurz oben stehen. Wenn es von der Futterrinne zum Trinknippel wechselt, verdrängt es andere, die sich dort drängen, und an der Rundtränke wird es von andern beiseitegeschoben und zur Futterrinne zurückgestoßen, und auf diese Weise drehen sie sich im Kreis und rotieren. Jedes Tun und jeden Tag aber begleitet es mit Gakeln, mit dem »geek« und »gaik« des Hackaufschreis und dem rangverkündenden »ga-gaak«. Unvermittelt steht es da, die Flügel in Spreizstellung, ohne diese aufzufächern, plötzlich stößt es mit beiden Füßen ab, läßt die Krallen nach vorn schnellen und versetzt einem andern Huhn Tritte. Wird es selber gehackt, setzt es zur Flucht an, aber es gibt keinen schützenden Ort, da der Käfig als Ganzes Schutz ist. Dann läuft das Huhn einer Wand entlang, den Kopf gegen die Mauer gerichtet, als gälte es etwas zu erlauschen. Die Henne, die sich ihm in den Weg stellt, holt mit ihren Flügeln aus und schlägt sich an der Mauer einen Knochen lahm. Nun läuft das Huhn gegen das Gitter an; obwohl es nicht weiterkommt, laufen die Beine weiter. Es versucht hinauszusteigen, drückt sich gegen zwei Stäbe, der Schnabel und der vordere Brustkorb gelangen ins Freie, wo hinter dem Bedienungsgang der nächste Käfig beginnt. Und dann steht das Huhn wieder da, läßt den Kot auf ein Blech fallen, pickt am Isolierkitt und kratzt sich am Kopf und zupft an Federn, deren Spitzen abgebrochen sind. Und es ordnet sich ins Drängeln ein. Bis es seinen Kopf anzieht, ihn nach hinten wendet, den Schnabel unter die Flügel steckt und wartet, bis die Schaltuhr Nacht einschaltet. Aber einmal hat das Huhn das Sonnenlicht erblickt. Als es mit andern in ein Transportgitter gescheucht wurde und sich dort in eine Ecke duckte, wo kein Platz zum Sich-wenden und zum Aufstehen war. Diese Kiste stand in der Mittagshitze draußen unterm Firmenschild, auf andere gackernde Kisten gestapelt, die ebenfalls auf den Verlad warteten. Ein Strahl drang durch das Gitter und traf das Huhn. Es schloß die Augen und öffnete sie gleich wieder, bewegte seine Lider auf und ab, zuckend und schauend. Das Huhn drückte seinen Hals durch zwei Stäbe; noch nie waren sein Kamm und seine Kehllappen so rot gewesen. Es zwängte seinen Kopf durch und pickte nach dem Licht. Die Sonne schlug in seine Augen wie ein Blitz. Später folgt der Schlag des elektrischen Bolzens und danach der Haken an der Laufschiene, der zum ersten Mal halt macht bei der Rupfstation.

Die achtunddreißigste Ameise

Sie hat keine Flügel, ihr Geschlecht ist verkümmert, und sie arbeitet im Außendienst. Sie ißt gemischte Kost. Dank des Oberkiefers kann sie kauen und dank des Unterkiefers saugen. Sie liebt ebenso kleine Kerbtiere wie den Saft der Pflanzen. Besonders mag sie Ölreiches und Süßes. Aber sie frißt nicht für sich allein. Hat sie Nahrung gefunden und diese zerkleinert, füllt sie ihren Kollektivmagen, kehrt mit vollem Kropf nach Hause zurück und hält in der Kolonie ihre geöffneten Kiefer hin; was sie aus dem Kropf würgt, nehmen ihr die Gefährtinnen ab und reichen es weiter. Sie selber behält für sich nur soviel wie sie braucht, um kräftig genug zu sein für ihre Arbeit im Außendienst. Sie war aus einem der Sommereier geschlüpft, die nicht viel Polplasma aufweisen und aus denen nur Arbeiterinnen hervorgehen; sie wurde auch nicht mit Ameisenmilch großgezogen, doch hat sie später als Arbeiterin genügend Nahrung nach Hause gebracht, daß Nestgefährtinnen in ihren Fettzellen Reserven anlegen konnten, mit denen diese die Brut fütterten. Ohne Komplikationen hatte sie als Larve die verschiedenen Häutungen durchgemacht. Wie es sich für ihre Rasse gehört, hatte sie die Exkremente in einem Kotsack gesammelt und diesen ausgestoßen, als sie anfing, sich in Gespinstfäden einzuwickeln. Sie wurde eine der Arbeiterinnen-Puppen, die kleiner sind als die der andern Kasten. Sie gab wie vorgesehen eines Tages ihre bauchwärtsgekrümmte Lage auf, streckte sich und ließ erkennen, daß sie zu Maulwerkzeug, Flügeln und Beinen ansetzte. Bis sie sich aus der Hülle befreite. Nach dem Schlüpfen war sie mit einem Minimum an Zeit ausgekommen für die endgültige Ausfärbung und Härtung ihrer Körperdecke. Kaum war sie, dank ihrer geschnürten Taille und dem Hinterleibsteilchen, voll bewegungsfähig, hatte sie ihre drei Paar Beine in den Außendienst gestellt. Als sie zum ersten Mal eine Nahrungsquelle gefunden hatte, war sie, ob der Entdeckung erregt, in die Kolonie zurückgekehrt und hatte mit dem Zittern ihrer Fühler die andern angesteckt, welche mit ihren Fühlern die Zitternachricht weitergaben. Sie waren gemeinsam aufgebrochen, und sie war im langen Zug unter den ersten. Sie legte den gleichen Weg noch unzählige Male zurück, markierte aber auch neue Straßen, sich nicht nur nach dem Geruch orientierend, sondern auch nach einer Wurzel und sicher nach dem Sonnenstand. Lediglich bei Regen arbeitete sie nicht im Freien. Den großen Umbruch brachte der Winter, den sie, einem wärmeliebenden Volk angehörend, im Bau verbrachte; dort half sie die Wände abdichten und sorgte dafür, daß die toten Mitbewohnerinnen auf den Abstellplatz transportiert wurden. Mit dem Frühling kamen die Reparaturarbeiten, und sie strich mit ihrem Speichel die Innenwände glatt. Sobald es die Wärme erlaubte, begann sie wieder ihre Arbeit im Außendienst, mit neuer Emsigkeit Nahrung suchend. Doch als sie eines Tages, rückwärts gehend und einen abgebrochenen Zweig schleppend, diesen ins Nest bringen wollte, wurde nichts mehr für den Ausbau benötigt. Der Verputz des Klosters sollte erneuert werden, und neben dem Gemäuer ging ein Gerüstpfahl mitten durchs Nest, von der Kuppel bis in die unteren Kammern. Alle Späher liefen durcheinander; die Ameise kletterte am Pfahl hoch und verspritzte Säure gegen eine Eisenklemme. Doch dann beteiligte sie sich an der Rettungsaktion. Da sich einige Larven mit ihren Borsten ineinander verhakt hatten, konnte sie pro Mal mehr als nur eine in Sicherheit bringen; sie buckelte Larven und Jungpuppen, bis es nichts mehr zu holen gab im einstigen Nest. Sie half beim Bau der neuen Kolonie, den Oberkiefer als Schaufel benutzend und den geöffneten Kiefer als Zange einsetzend. Und es entstanden Kammern und Gänge unter dem flachen Stein, wohin die Königin als erste gerettet worden war. Das Geschlecht der Königin war nicht verkümmert, sie verfügte über einen Millionenvorrat an Samenfäden und hatte einst auch Flügel besessen, doch diese nach der Begattung abgebrochen. Mit diesen Flügeln war die Königin an einem schwülen Spätnachmittag zum Hochzeitsflug aufgestiegen und hatte sich, weit oben, neben einer Kirchturmspitze, von Schwalben bedroht, begatten lassen. Und diese einst geflügelte Königin hat im Hinterleib Geschmacksdrüsen; was diese absondern, verströmt den Duft, der dem Volk Zusammenhalt gibt. Unter denen, die sich vor dem After anstellen, um von der süßen Ausscheidung zu kosten, ist auch die Ameise vom Außendienst. Nachdem sie hinten an der Königin geleckt hat, macht sie sich wieder an die Arbeit, fürs Kollektiv eine Futterquelle suchend, auf einer Straße, die noch zu markieren ist. Diesmal ist sie im Zug die achtunddreißigste Ameise, vor ihr die siebenunddreißigste Arbeiterin und hinter ihr die neununddreißigste.

Der Gaukler im Aquarium

Seine Tiefsee liegt im dritten Stockwerk eines Miethauses. Dreizehn Jetstunden von dem Riff entfernt, wo seine Gattung laicht, ein Flug, den er trotz Sauerstoffmangel im Behälter besser überstanden hat als manche, die mit ihm an der gleichen pazifischen Küste verladen worden waren. Allerdings brachten sie ihn, nachdem er den Zoll passiert hatte, vorerst in eine Tierhandlung. Dort kam er in ein Großaquarium, wo bereits ein Dunkelblauer Gelbschwanz schwamm und andere Barsche, und als ein Kaiserfisch auf ihn losfuhr, stellte er die Stacheln seiner Rükkenflossen; aber dann verschwand der Kaiserfisch nach oben und ebenso der Doktorfisch mit seinen Skalpellen an der Schwanzwurzel. Wer immer auch das Wasser mitbewohnte, ob solitär oder im Schwarm, der Gauklerfisch zog seines Wegs. Draußen vor dem Glas, in der gleichen Auslage, ein Tretrad mit einer weißen Maus, Hamster, die sich in eine Ecke drängten, und Schildkröten, die durch Salatblätter krochen, an den Panzern der andern hochkletterten und abrutschten. Darüber ein Wald von Käfigen und Kanarienvögel drin und, an einen Metallring gekettet, ein Papagei, der seinen Schnabel wetzte. Inmitten all der Tiere mit ihren Preisetiketten steuerte der Gauklerfisch in die eine Richtung und dann in die andere und wieder zurück. Bis ihn ein Netz herausholte, und er einmal mehr an der Luft zappelte. Diesmal transportierten sie ihn in einem Plastikbeutel, an den er mit jeder Erschütterung schlug. Und er wurde in einer Zimmerecke in eine Unterwasser-Landschaft entlassen. Die Versatzstücke für sein definitives Meer hatte das Geschäft geliefert, wo auch er erworben worden war, Kalkkorallen, einige Stücke aneinander geklebt, die meisten Korallenskelette lose, weil auf diese Weise leichter herauszunehmen, im Aquarium aufeinandergeschichtet, so daß unten eine Höhle entstand, nicht so groß, daß sich der Gauklerfisch hätte verstecken können, aber doch ein Spalt, worin er seinen Kopf bis zum weißen Streifen über den Augen verbirgt. Zu dieser Dekorlandschaft gibt es ein Pendant, im Moment zum Entalgen und Säubern in einer Natronlauge, damit sie beim monatlichen Landschaftswechsel wieder frisch geputzt erstrahlt. Ein Kontrast zum dunklen Grund, der regelmäßig gelockert wird, einem Lavakies, von dem sich auch die gelbe Mondsichel des Gauklers abhebt, wenn er Pause macht und schwebt und sich nur darauf zu beschränken scheint, aus den Kiemen Wasserstrahlen auszustoßen. Das Becken ruht auf einem Ständer, der seinerseits auf einer verstärkten Truhe steht, deren Palisanderfurnier gegen Wasserflecken versiegelt wurde. Der Ständer hat verstellbare Füße, so daß Beckenrand und Wasserspiegel parallel sind. Das Wasser kommt aus dem Hahn im Badezimmer, wenig chloriertes Trinkwasser, dem Meersalz der Marke ›Instant Ocean‹ beigefügt wird. Das Meerwasser wird in einem Eimer angesetzt und schüsselweise zugeschüttet. Eine Spindel gibt den Grad der Mischung an, so daß der Gaukler in der ihm bekömmlichen Salzigkeit schwimmt. Er schwimmt zur Seitenscheibe, dahinter Bücher, und in einem geschnitzten Rahmen das Photo eines lächelnden Hochzeitspaars; der Gaukler schleicht der Scheibe entlang und dreht um und schwimmt zur Gegenseite, hinter der andern Scheibe eine Lackdose, ein Fußballpokal, an dem ein Lorbeerkranz hängt, und, ein Zifferblatt



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