7,99 €
Die Geschichte eines Mannes, der die Konjunktur anheizt mit seinem Plan, die Arche zu bauen. Niemand glaubt im Ernst an die kommende Flut, aber alle machen mit ihr Geschäfte. Die Wirtschaft blüht auf und überschlägt sich schließlich in Skandalen - genauso wie der Kulturbetrieb. Noahs Lage verschlimmert sich, so daß zuletzt einer sagen kann: »Jetzt kann ihn nur noch die Sintflut retten.«
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 188
Veröffentlichungsjahr: 2023
Hugo Loetscher
Roman einer Konjunktur
Diogenes
Nein, nie war es den Leuten im Zweistromland so gut gegangen. Es war ein wirtschaftliches Wunder geschehen: Noah hatte seine Arche gebaut.
Aber wie immer, wenn es allen gut geht, geht es einigen besser.
Der Architekt, an den sich Noah zuerst gewandt hatte, kniff die Augen zusammen: Es lasse sich mit seinem Ruf und seinem Lehrstuhl nicht vereinbaren, ein Schiff ohne Bug, Kiel und Steuer zu bauen. Er bedauerte einige Zeit, den Auftrag abgelehnt zu haben, doch hatte er am Ende nicht über seine Konten zu klagen. Er baute Häuser für jene, welche am Bau der Arche verdienten, und da er nicht nur Häuser baute, sondern auch Innenarchitekt war, hatte er zusätzliche Kundschaft. Zu Mitteln waren viele gekommen, die wohnen wollten, wie es sich in solchen Zeiten gehörte, die anders wohnen wollten als ihre Eltern und Schwiegereltern und die froh waren, daß der Architekt für ihr Schlafzimmer eine blaue Tünche wählte, weil er studiert hatte, welche Farbe beruhigt.
Der Mann, der am augenfälligsten am Bau der Arche verdiente, war nicht einmal ein Winkel-Architekt, wie seine Kollegen anfangs spotteten. Er war ein Bauzeichner, der als Maurer begonnen hatte; seine Freundin, die Schneiderin war und unsicher lachte, führte ihn in Künstlerkreise ein, und er entdeckte, daß er ebensogut mit dem Lineal wie mit der Kelle umzugehen verstand; zudem war er um seine Fingernägel besorgt. Er machte sich selbständig und zeichnete für Architekten zeitraubende Skizzen und übernahm lästige Ausrechnungen; er merkte sich bei dem einen, wie man ein Dach errichtet, und bei einem andern, wie tief man mit dem Fundament geht. Als Noah ihn aufsuchte, trommelte er mit dem Lineal; er staunte aus seinen wasserblauen Augen, als Noah aufzählte, wo er schon überall gewesen war. Er berichtete seiner Freundin von Noahs Besuch, doch sie lachte nicht, sondern rechnete nach: Als Ausgangslage für eine Familie mit zwei Kindern nach Wunsch war der Auftrag willkommen, zumal Noah ein Mann mit Beziehungen war, so daß der Bauzeichner damit rechnen konnte, einmal etwas Rechtes zu bauen.
Er baute tatsächlich etwas Rechtes, noch ehe die Arche vollendet war, nämlich die erste Arbeitersiedlung. Noah hatte als Bauplatz für die Arche einen Ort gewählt, der abseits jeder Wohngegend lag; die Arbeiter verloren für den Weg zum Arbeitsplatz so viele Stunden, daß sie wünschten, monatlich entlöhnt zu werden. Da einigte sich der Bauzeichner mit dem Bauherrn Noah darüber, eine Siedlung für die Arbeiter neben der Arche zu bauen, und es wurde eine Siedlung mit so vielen Grünflächen und Sonnenstores, wie es für diese Kreise bisher nicht üblich gewesen war. Wohnzimmer und Kinderzimmer lagen gegen Süden, das Eltern-Schlafzimmer gegen den kühleren Norden. Damit den Frauen der Einkaufsweg erspart würde, wohnten alle um ein großes Konsumgeschäft, wo die Eßwaren in Packungen abgezählt waren. Wenn die Mütter Kleider aussuchten oder sich die Haare frisieren ließen, gaben sie ihre Kinder ab; die spielten in geplanten Gärten und planschten an künstlichen Weihern. Eine Werkstätte war eingerichtet worden, wo die Männer in der Freizeit bastelten. In dieser Freizeit-Werkstatt war auch eine große verschiebbare Bühne; dort traten Siedlungsbewohner an manchem Abend zum Chor an und sangen die schwermütigen Lieder des Zweistromlandes.
Der Bauzeichner war für diese Siedlung mit einer Medaille ausgezeichnet worden: eine gelbe Halbsonne hinter einem Baugespann. Er wurde in Kommissionen gewählt, welche die Preise für die Projekte verteilten, die zum Wettbewerb ausgeschrieben wurden. Da mehr prämiiert wurde, als gebaut werden konnte, sah man in Ausstellungs-Sälen das ganze Zweistromland noch einmal in zweit- und drittbestem Entwurf. Dem Bauzeichner boten viele das kollegiale »du« an; er wurde öfters eingeladen, in Frauenvereinen zu sprechen, wohin ihn seine einstige Freundin als Ehefrau begleitete. Er war für breite Schichten das Idol eines Mannes geworden, der es ohne größere Voraussetzung zu etwas bringt.
Dabei hatte der Bauzeichner gar nicht die Absicht gehabt, sich zu bereichern. Kaum hatte er mit Noah den Vertrag unterzeichnet und die Kosten vorausberechnet, stellte er fest, daß nicht nur er, sondern auch der Bauherr keine klare Vorstellung von der Arche hatten. In einem Waschzuber erprobten sie Archen in Form von Truhen und Flößen mit Geländer, beschwerten sie mit Steinen aller Art, erwogen die Vorteile der geschwungenen Form im Gegensatz zur Kastenform. Aber als sich der Bauzeichner an die Ausführung machte, sprach Noah bereits von einem zweiten Stockwerk, und später wollte er nochmal aufstocken. Dann kamen die langwierigen Auseinandersetzungen über das Zwischendeck, die verschiedenen Entwürfe für die Treppen, die völlige Neuplanung der Vorderfront in Elefantenhöhe; es folgte überraschenderweise der Auftrag, Kojen, Koben und Ställe einzurichten, und auch minimale Verbesserungen wie jene, in jeder Himmelsrichtung ein Guckloch anzubringen. Infolgedessen war der Bauzeichner viel länger beschäftigt als vorgesehen. Er hatte Noah anfangs oft ermahnt, beim einmal Geplanten zu bleiben; aber er war inzwischen Ehemann und Vater geworden und hatte gelernt: Der Kostenvoranschlag zählt soviel wie die Geburt, nämlich nichts, nur was man verbessert und verändert, ergibt am Ende die Abrechnung.
Der Bauzeichner verdiente zudem am Vermitteln. Zuerst stellte sich ein Teerfabrikant ein und versprach fünfzehn Prozent. Dann meldete sich der Leiter einer Gewerkschaft von Balkenträgern, der bot fünf auf hundert. Der Holzhändler sprach sich für einen Vertrag von Mensch zu Mensch aus. Der Besitzer eines Steinbruchs lud den Bauzeichner zum Nachtessen ein, obwohl dieser in aller Eindeutigkeit festgehalten hatte, es sei ausgeschlossen, Marmorplatten in der Arche anzubringen, doch der Steinbruch-Besitzer bat ihn lediglich, bei Noah ein gutes Wort einzulegen. Der Bauzeichner lernte bei diesem Abendessen endlich den Inspektor für das Bauwesen persönlich kennen und machte eine Erfahrung mehr: Nicht die Arbeit ist in dieser Gesellschaft entscheidend, sondern die Beteiligung.
Der Bau der modernen Arbeitersiedlung und der anhaltende Arche-Auftrag erlaubten dem Bauzeichner, seiner Frau einen Wunsch zu erfüllen, den sie schon als Schneiderin geäußert hatte. Er kaufte eine baufällige Hütte in einem abgelegenen Tal; während Wochen waren die beiden durchs Land gefahren, bis sie sich entschlossen, wohin sie sich in die Einsamkeit zurückziehen und wohin sie ihre Bekannten einladen wollten. Kostspielig war lediglich die Zufahrtsstraße, auch wenn es nicht billig war, die verwitterten Außenmauern so notdürftig zu flicken, daß der ländliche Charakter gewahrt blieb. Das Innere stattete der Bauzeichner für bequeme Häuslichkeit aus; für den Herd benutzte er Steine der Umgebung, die natürlich wirken sollten. Nur das Dach errichtete er neu und wetterfest.
Der Mann, mit dem der Bauzeichner am meisten zu tun hatte, war der Holzhändler. Dieser hatte als Schreiner schon früher für Noah Zäune ausgebessert und Ställe errichtet. Er war ein Schreiner, der auch in schlechten Zeiten Arbeiter beschäftigte. Am Abend pflegte er seiner Frau zu erzählen, daß es einmal hundert sein würden. Aber die Frau zeigte ihre geschwollenen Beine, und sie lehnte die übergewohnte Zärtlichkeit ab. Der Schreiner versprach, sie in Bäder zu schicken, was er auch tat, als er Noah die ersten Balken lieferte. Er nahm eine Köchin ins Haus, von der er bald verlangte, ihn nicht in Anwesenheit seiner Kinder zu duzen, doch handelte sie dafür heraus, am Tisch mitessen zu dürfen. Der Schreiner hatte es sich anfangs nicht nehmen lassen, jeden Balken mit dem Handballen selbst zu prüfen, ob er auch glatt gehobelt sei; denn er meinte es ernst im Geschäft mit Noah, nicht nur weil dieser sein Nachbar war und seine Tochter mit Noahs zweitem Sohn oft gesehen wurde. Aber Noah drängte mit dem Bau auf eine Weise, daß sich der Schreiner genötigt sah, in den Vertrag eine Klausel zu setzen, weil er nicht für Holz haften wollte, das nicht genügend getrocknet war.
Dieser Schreiner verdiente nicht erst mit den Zimmermanns-Arbeiten, sondern schon mit dem Abholzen der Wälder; er ließ es sich nicht nehmen, selbst nachzusehen, daß kein Fehlwuchs geschlagen wurde. Aber als die ersten Wälder abgeholzt waren, wehrten sich die Naturfreunde für den waldreichen Horizont des Zweistromlandes und verurteilten den Kahlschlag, sprachen von einer Heimat, die verschandelt wurde, und erbarmten sich der Rehe und Hasen, die in andere Wälder flüchteten. Die Naturfreunde gaben sich erst zufrieden, als Noah, vom Bauzeichner und Holzhändler gedrängt und unterstützt, versprach, weiter im Nordwesten aufforsten zu lassen, auf Hügeln, die bisher unbegangen waren und höher lagen und von denen aus der Blick auf die Schönheit des Zweistromlandes noch weiter war.
Auch die Förster konnten beruhigt werden, obwohl sie Noah lange Zeit des Waldfrevels bezichtigt hatten. Die Beschwichtigung der Förster gelang mit Unterstützung des Rechtsanwaltes innert nützlicher Frist, und dies nicht nur, weil der Rechtsanwalt Mitglied desselben Jagdklubs war wie der Oberförster. Diesem Rechtsanwalt war es zu verdanken, daß die Verleumdung verstummte, die Förster seien bestochen worden. Der Rechtsanwalt konnte nachweisen, daß die Förster ein Taggeld für die Verhandlungen erhalten hatten, was man ihnen nicht vorwerfen konnte, zumal Familienväter unter ihnen waren; im Gegenteil, wenn die Taggelder eine gewisse Höhe erreichten, war dies nur der Beweis, daß sie nicht schon am ersten Tag kleinlaut beigegeben hatten.
Diesem Rechtsanwalt ging es seit dem Bau der Arche vorzüglich; er hatte die Verträge zwischen Noah und dem Bauzeichner und zwischen Noah und dem Holzhändler ausgestellt, zudem betreute er die Arbeitersiedlung, was ihm das Vertrauen sowohl der Mieter wie der Vermieter einbrachte, er wurde ein Spezialist in Fragen der Kündigung und des Mietaufschlags. Viele waren im Zweistromland zu beachtlichem Einkommen gekommen, so lösten sie die Streitigkeiten nicht mehr mit Beschimpfungen oder einer Schlägerei unter sich, sondern gingen vor Gericht; nicht nur zu Einkommen, sondern auch zu Vermögen waren viele gekommen, und nicht jeder wußte, wie sich das Vermögen vergrößern ließ. Da war Beratung wichtig. Es gab kaum mehr Erbschaften ohne juristischen Beirat, und wenn man jetzt um ein Testament kämpfte, konnten beide Parteien bis vor Obergericht gehen. Nicht nur in den besseren Einkommensklassen wurden jetzt Ehen geschieden, auch der einfachere Mann konnte für die erste Frau aufkommen und die zweite erhalten. Als das Gericht in Jegerom anbaute, stellte Noahs Rechtsanwalt, der der Vereinigten Juristenkammer vorstand, bei der Einweihung der Erweiterungsbauten unter dem Applaus der Staatsanwälte fest: Im Zweistromland floriert die Rechtsprechung.
Aber wie immer, wenn es allen gut geht, geht es einigen weniger gut.
Sie stammten aus dem türkischen Hochland. Sie hatten ihre Habe in Ziegenfelle eingeschnürt, als sie kamen, und wenn sie an den Festtagen nach Hause gingen, trugen sie das Erworbene in Kamelhaardecken fort. Kein einheimischer Arbeiter hätte im Zweistromland noch einen Baum geschleppt, aber er war bereit, »Ho« zu rufen, wenn die türkischen Hochländer an den Stricken zogen. Diese türkischen Hochländer wohnten teilweise in Baracken, welche die Einheimischen längst verlassen hatten, und die Fremden zahlten teuer dafür, froh, irgendwo unterzukommen. Andere wohnten in großen Zelten, da sie möglichst wenig Geld ausgeben wollten. Sie wünschten allen Verdienst heimzutragen und ein Zuhause zu haben wie die im Zweistromland – nur ohne Flüsse und nicht eben.
Da diese Fremdarbeiter aus abgeschlossenen Gegenden kamen, wo sich Männer und Frauen erst am zweiten Hochzeitstag kennenlernten, waren sie von dumpfer Willigkeit, die sie auf den flüchtigsten Blick hin erigieren ließ. Sie pfiffen durch ihre kleinen Mäuler und wischten sich über den Schnurrbart, wenn eine Frau vorbeiging. Die Mütter warnten ihre Töchter vor der kaninchenhaften Bereitschaft der Ausländer, die nur für ihre Familie auf der Hochebene sparten, aber diese Hochländer verwirrten auch manche Mutter. Selbst in der feinen Gesellschaft, zu der die türkischen Hochländer keinen Zugang fanden, wurde es schick, Ausdrücke ihrer Ziegenhirten-Sprache anzuwenden.
Wenn ein Damm brach, erdrückte das Geröll gewöhnlich Ausländer; fiel ein Balken, so erschlug er fast immer einen türkischen Hochländer, und es waren Fremde, die mit dem Gerüst stürzten. Wenn man irgendwo einen Werktätigen mit einem Verband sah, durfte man damit rechnen, daß er die Sprache des Zweistromlandes gebrochen sprach. Bei den Massenbegräbnissen wegen eingestürzter Stollen oder verschütteter Baugruben waren es ausländische Arbeiter, die man betrauerte, wenn auch hin und wieder ein einheimischer Vorarbeiter in der Mitte aufgebahrt lag.
Diese türkischen Hochländer verrichteten Arbeit, deren sich ein Zweistromländer kaum mehr angenommen hätte. Es waren die Fremden, welche auf den Straßen den Mist zusammenkratzten, ihn aus den Ortschaften hinausführten und verbrannten. Sie leerten die Senkgruben und nahmen in den Spitälern die verschmutzten Verbände in die Hand. Vor allem aber waren die Wirte froh; die meisten Wirte hatten umgebaut und die Wände mit Mosaik auslegen lassen, aber sie hatten niemanden mehr, der die Gäste bediente, denn alle Zweistromländer waren Gäste geworden. Die türkischen Hochländer waren jedoch bereit, von der Schüssel auf den Teller für andere zu schöpfen und die abgegessenen Teller in die Küche zu tragen; sie bereiteten das Gemüse zu, spülten das Geschirr und räumten auf, nachdem die andern gefeiert hatten. Sie lernten die Sprache des Zweistromlandes, sie lernten sie vom Fluchen und von der Befehlsform her.
In diesem allgemeinen Wohlstand aber verarmte zusehends ein Mann.
Nach Schätzung aller und nach allgemeinem Flüstern war Noah der reichste Mann gewesen. Er pflegte nicht mit Kamelen, sondern mit Karawanen zu rechnen, und er zählte nicht die Schafe, sondern die Herden. Aber Noah, der von allen beneidet worden war, verrechnete sich beim Bau der Arche.
Er bewohnte das schönste Haus im Zweistromland, obwohl man sich über den Geschmack der Säulen am Portal stritt und obgleich man bedauerte, daß er die Springbrunnen in seinen Gärten nie in Betrieb setzte. Um so merkwürdiger berührte es, daß er ein Gebilde vom Ausmaß der Arche in Auftrag gab.
Zwar hatte er von Anfang an jede Fuhre Holz kontrolliert. Doch die Ausdehnung des Arche-Bauplatzes erlaubte keine Übersicht. Er richtete Kontrollposten ein, und es dauerte eine gewisse Zeit, bis er darauf kam, daß dieselbe Fuhre an verschiedenen Kontrollstellen gezeigt und somit öfters bezahlt wurde. Bei diesem ersten Finanzskandal wurde auch vor Gericht nicht mehr der Betrag des erschwindelten Geldes errechnet, und selbst wenn dies möglich gewesen wäre, hätte es nichts genützt, da die Schuldigen das Geld längst für Bedürfnisse und Luxus ausgegeben hatten und im Gefängnis büßten.
Zunächst hatte Noah gemeint, mit einem Bauzeichner und einigen Handwerkern würde er es schaffen. Aber schon beim ersten Gerüst merkte er, daß er Leute brauchte, die etwas vom Gerüstbug verstanden und mit Streichstangen umgehen konnten, und je mehr er die äußere Form einem Schiff anglich, um so mehr war er auf Leute angewiesen, die zwischen einem Schergang und einem Kimmgang unterschieden, wenn die Arche eine Außenhaut haben sollte, die widerstandsfähig war. Schon bevor man an den Bau gehen konnte, benötigte er Arbeiter, welche das Holz transportierten, und damit das Holz hergeschafft werden konnte, mußten Wege gebaut werden.
Zudem vergrößerte er bald die kleine Zahl, die er beschäftigt hatte, als ihm bewußt wurde, wie langsam die Arbeit fortschritt. Er kam auf die Dauer mit dem Mindestlohn nicht durch. Der Aufschwung schuf so viele Arbeitsplätze, daß selbst Arbeiter, die von Anfang an bei der Arche mitgewirkt hatten, sich nach anderen Stellen umsahen. Es war üblich geworden, daß die Arbeitgeber einander mit mehr Lohn und kürzerer Arbeitszeit die Arbeiter abwarben. Bald wurde die Tafel auf dem Bauplatz »Keine freien Arbeitsplätze« entfernt, dafür wurde eine andere Tafel aufgestellt, auf der der Grundlohn mit allen Zulagen ausführlich angegeben war.
Nun besaß Noah genügend Land, um mit bloßem Handschlag und ohne Unterschrift kreditwürdig zu sein. Niemand verkaufte solche Landstücke wie er, aber niemand verdiente so wenig daran. Er verkaufte das Land noch als Wiese, Acker oder Weide; diejenigen, welche nach ihm das Landstück besaßen, veräußerten es zu einem günstigen Zeitpunkt als Bauland. Dadurch aber, daß Noah immer mehr Land und am Ende Ländereien verkaufte, konnte er auch immer weniger Herden halten und mußte mit kleineren Ernteerträgen rechnen.
Noah aber ging nicht allein in den wirtschaftlichen Ruin, er hatte Familie; es war seine Frau, die sich zuerst daran machte, ihn zu retten.
Als Noah mitteilte, er plane eine Arche, schöpfte die Frau gerade Suppe. Der Älteste fragte, ob man ihn lediglich deswegen hergebeten habe, jetzt wo Hirse-Ernte sei. Der Mittlere hielt im Löffeln inne. Der Jüngste aber warf einen Brocken Brot in die Schüssel, tauchte ihn mit dem Löffel unter und schrie: »Schon wieder einer.« Beim Abendessen aber lachte auch der jüngste Sohn nicht mehr. Noah hatte Holz bestellt, und als sie ihn fragten: »Wieviel?« antwortete er: »Vierzehn Wälder.«
Da Noahs Frau die Söhne ihres Mannes streng erzogen hatte, murrten und schimpften sie erst, als der Vater draußen war. Noahs Frau fuhr dazwischen: Er sei ihr Vater und sei immer so gewesen, sie sollten jetzt einmal die Arche bauen lassen, man könne dann immer noch weitersehen, schließlich sei sie auch noch da, und bis jetzt hätten sie nicht zu klagen gehabt.
Sie aber sparte von diesem Tag an. Kaufte sie beim Metzger ein oder bezahlte sie dem Bäcker die Rechnung, so rundete sie den Betrag nach oben auf. Sie sagte sich: Du kochst und du putzest, und dies alles umsonst, nur weil dich einer geheiratet und zur Ehefrau und Mutter gemacht hat. Nein, von nun an stellst du dich bei dir selbst an, entlöhnst dich und behältst etwas zurück – du legst etwas beiseite für die bösen Tage.
In einer Nacht wachte Noahs Frau fahrig und beklommen auf; sie suchte nach ihrem Mann und griff in ein leeres Kissen. Noah stand angekleidet am Fenster und lehnte sich hinaus. Die Schatten, die der Mond auf sein Gesicht warf, bewegten sich nicht. Da setzte sich Noahs Frau im Bett auf und fragte sich, wen er grüße. Er aber streckte die Hand aus, als ob er Regen suchte. Sie horchte, sie hörte keinen Tropfen. Als er das Zimmer verließ, warf sie sich ein Tuch um und folgte ihm.
Zunächst sah es aus, als begebe er sich in den Garten, aber er verließ den Garten durch ein Mauertörchen. Da hatte sie ihren Mann schon aus den Augen verloren, aber seine Schritte waren in der stillen Nacht ein klarer Wegweiser. Er schlug die Richtung nach der Arche ein, bog ab. Noahs Frau stockte; er schritt auf ein Haus zu, in dem eine Prostituierte wohnte, doch ging Noah daran vorbei. Er lehnte sich an eine Tür, horchte und ging weiter, tat einige Schritte nach rechts, entschied sich für halblinks, und Noahs Frau hörte, wie die Hunde gegen ein Gitter sprangen. Noah schien sich unter einen Baum zu stellen, war aber gleich wieder im vollen Mondlicht zu erkennen. Er verharrte auf einer Terrasse und sah auf die Flußlandschaft, und immer wieder streckte er seine Hand aus, zuerst den Handteller und dann den Handrücken nach oben.
Seine Frau fand ihn bei einer Baugrube sitzen. Er zeigte weder in der Geste noch in der Stimme Überraschung. Noahs Frau hockte sich zu ihm und fragte, was er suche. Er wies auf den Tümpel in der Baugrube: »Grundwasser.« Noahs Frau meinte auch, das käme den Bauherrn teuer zu stehen, das gebe für ewige Zeiten feuchte Keller. Aber Noah meinte, das Wasser komme nicht aus dem Keller, sondern durch die Tür und verlasse das Haus über die Kamine: »Der Boden hat im Bauch schon das Wasser, an dem er ertrinken wird.«
Warum er denn nachts unterwegs sei, er, dessen Schleimhäute doch schon immer anfällig gewesen seien, mahnte Noahs Frau, er sollte nachts nicht auf den Straßen herumgehen. Doch Noah meinte: Er sei nicht durch Straßen gegangen, sondern durch Kanäle, und diese Kanäle würden eines Tages über die Ufer treten, die man heute noch Dächer nenne; er habe nachgeschaut, ob die Terrassen als Landestege taugten. Aber es sei nichts damit, man höre zwar durch die Türen nicht, was in den Häusern geschehe, aber die Türen seien fürs Wasser nicht dicht genug. Frösche quakten. »Auch dieses Quaken ist mir zu viel für dieses Land, nicht einmal das Jaulen der Hunde gönne ich ihm – so möchte ich dieses Land: ertrunken.« – »Und das sagst du mir, nachdem wir dreißig Jahre verheiratet sind«, wunderte sich Noahs Frau und wollte wissen, warum alles ertrinken solle. Noah sagte: »Ich habe mir die Gesellschaft angeschaut, da fiel mir nur eines ein: regnen lassen.«
Noahs Frau wollte ihrem Mann helfen, ohne daß die Söhne es merkten; wenn sie bis jetzt einen Vertrauten gebraucht hatte, war es Noah gewesen, nun sah sie sich um, wer außer ihm da war. Sie überlegte: Der Holzhändler müßte ein vernünftiges Ohr haben, zumal seine Tochter und ihr Japhet so oft zusammen waren, daß es ja schon fast um gemeinsame Dinge ging. Aber der Holzhändler sagte, daß ihm die Wünsche seiner Kunden heilig seien. Da meinte Noahs Frau, daß der Rechtsanwalt sicher Einfluß habe auf Noah, denn schließlich war der Rechtsanwalt ein gelehrter Mann und trat fürs Recht ein. Aber der Rechtsanwalt, den sie einmal auf dem Bauplatz abfing, bedauerte: Er respektiere die Wünsche seiner Freunde, auch wenn er mit diesen Wünschen nicht einverstanden sei. Da sah sich Noahs Frau nach jemandem um, der nicht auf Kunden und nicht auf Freunde Rücksicht nehmen mußte, und sie beschloß, zum ältesten Gottesgelehrten zu gehen.
Unter der Türe, tief in der Verbeugung, hob sie eine Kette aus Gold hoch: »Für die Waisen.« – »Für die orthodoxen Waisen oder die andern?« fragte der älteste Gottesgelehrte mit gütegewohnter Stimme. Noahs Frau bereute die Antwort, als sie sagte: Es sei ihr gleich; sie sei hierhergekommen, weil es nun einmal so eine Sache sei mit Noah; sie, die Herren Gottesgelehrten, seien sicher auch schon auf dem Bauplatz gewesen, das sei ein Gelaufe; aber eben, Noah sorge zwar für seine Frau, höre jedoch nicht auf sie; immer wenn sie etwas sage, küsse er sie; aber mit einem Gottesgelehrten verhalte es sich anders.
»Er hat meinen Kollegen vom Bauplatz verjagt.« Der Gottesgelehrte zeigte auf einen jungen Mann, der stand da mit verschränkten Armen und stechendem Blick und ergänzte über die Schulter: »Mit der Axt bedroht.« – »Das heißt nichts bei ihm«, verteidigte Noahs Frau ihren Mann. »Nein«, nahm der älteste Gottesgelehrte das Wort wieder auf, »was sollen wir unternehmen? Hätte ich Ihren Mann einmal beim Gottesdienst getroffen, ich hätte vielleicht ein Wort von mir aus gewagt.« Er wog die Kette in der Hand, und während er sie Glied um Glied durch die Finger gleiten ließ: »Es ist nicht leicht für Sie. Wir sind nicht die einzigen, die mit Ihnen empfinden.« – »Aber es geht nicht um mich«, fiel Noahs Frau dazwischen. »Eine Arche, eine