Es war einmal die Welt - Hugo Loetscher - E-Book

Es war einmal die Welt E-Book

Hugo Loetscher

0,0
13,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Gedichte, Suchbilder, »in Grammatik gebrachte Gefühle«, melancholisch, verspielt, entrückt und von hellsichtiger Präsenz, lyrische Notate aus »Allerwelt«.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 44

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Hugo Loetscher

Es war einmal die Welt

Diogenes

EIN BEFUND

FLEDERMAUS

Der Vogel meiner Liebe

ist die Fledermaus,

aufgehängt an den Zehen

ihrer Hinterfüße

und zugedeckt

mit der eigenen Flughaut.

Ich weiß nicht,

ob der Vogel meiner Liebe

aus dem Riß

eines hohlen Baumstamms

schlüpft,

ob er beim Dunkeln

aufbricht

aus der Höhle

der Zehntausend,

fliehend die Räuber,

die auf Beute lauern,

wählt er zum Tagschlaf

das Dachgebälk,

den Keller, die Gruft,

das verstockte Gemäuer

verlassener Häuser

oder den Schlafbaum,

der von Krallen

entrindet und entlaubt,

am Ast mit andern,

verdorrte Frucht,

die mit dem Einbruch der Nacht

zu Leben erwacht?

Wo immer die Fledermaus

mit Geschrei das Versinken der Sonne

begrüßt,

wo immer sie

für den Aufbruch der Nacht

die Flughaut leckt und putzt:

mein Vogel der Liebe

kommt aus dem Reich

der nackten Mäuse

und der fliegenden Ratten.

Die Vögel mißgönnen

meinem Vogel der Liebe

die Flügel,

artenweit der Spott,

daß ein Säuger

mit Zähnen und Haaren

fliegen will.

Hab nicht auch ich,

flügellos,

Arme ausgebreitet

zum Flug –

ein Säuger

mit Zähnen und Haar,

im Wappen

ein Scheunentor,

auf das

gegen Unheil

eine Fledermaus,

der Vogel meiner Liebe,

genagelt.

Doch ich weiß

von meinem Vogel der Liebe

nicht einmal,

wie groß die Ohrmuscheln sind,

ob er Breitflügel hat

und ob die Nase dreifach gelappt.

Aber ich weiß,

er sieht mit den Ohren.

Im finsteren Luftraum

Signale sondierend,

nicht nur

für den Insektenfraß,

kein Ding ohne Antwort,

lautlos stumm

redet mein Vogel

Echolot und Ultraschall.

Eines bin ich mir sicher:

die Fledermaus ist der Wärme bedürftig

und huscht auf der Suche nach ihr

durch die Nacht,

sie peilt mich an,

ich hör das Lied ihrer Schwingen,

sie rudert

und rüttelt,

im Lichtschein

ein dunkles Zittern,

und flattert vorbei,

antennenkundig,

ohne mich zu berühren.

Eines, eines

hab ich gespürt:

von der Liebe

den Hauch.

LUFTWURZELN

Im botanischen Garten

meiner Seele

wächst ein Tapang,

der Sonne und dem Stern

entgegen.

So schickt er

auf dem Wuchs nach oben

Wurzeln

nach unten

zum stützenden Grund,

um Stütze zu werden.

Meinem Tapang gleich

umfaßt ich Himmel

soviel wie möglich,

mit offenen Armen

und gespreizten Fingern

habe ich Äste nach oben getrieben

und Zweige in die Breite geschickt,

mit jeder Knospe wuchs der Schatten

meiner Schöpfung.

Meine Wurzeln kommen aus der Luft,

sie kennen vom Licht

das Glühn wie das Schimmern,

Wurzeln,

die Würmern begegnen,

nachdem sie gehört,

wie Vögel sangen;

sie spielen dem finstern Erdreich

die Melodie

vom lichten Luftgespinst,

als Instrument

die Saiten

eines fein verzweigten Wurzelwerks.

Reich an Fasern,

bin ich an Wurzeln gestorben,

nicht im Sturm und nicht am Blitz,

nicht wegen der Würgefeige,

die mich umarmte,

um liebkosend mich zu ersticken.

Zu viele Wurzelfasern

an Knoten baumelnd,

von der Windharfe träumend,

und lichtverwöhnt,

nach unten sinkend

scheuten sie

den Weg ins Erdreich,

alterten nicht zu Holz,

wurden nicht Krücke,

weder Stock noch Stelze.

Aus ihrem babylonischen Traum

erschraken meinem Tapang

Schirm und Krone –

ich krachte

unter der Last des

Umarmt-Erlangten.

Auf der Erde schleifend

zerrissene Wurzeln,

die aus Lust

an Licht und Luft

nicht aufgesucht,

was Halt geboten,

und die dem blinden Maulwurf

nie erzählten,

wie blau verschieden blau sein kann.

Boden wär vorhanden gewesen,

der mehr getragen hätte

als eingestürztes Astwerk

und meinen abgebrochenen Stamm.

UMARMUNG

Wenn meine Finger dir dein Haar durchwühlen,

kracht irgendwo die Autobombe,

es splittern Scheiben,

und Kinder schleudern durch die Luft,

und wie mein Kopf auf deiner Achsel ruht,

fällt eine Tür ins Kerkerschloß,

ein Folterschrei erstirbt

in unsrem Stöhnen.

Wir tauschen Küsse

unter dem gestirnten Himmel,

durch den Raketen

tödlich ihre Leuchtspur ziehen:

als Zuflucht unsere Körper

Umarmung, Unterschlupf –

ach würd mein Kuß in deinem Mund

für andere Brot.

MEINE SIZILIANISCHE DREISTERN-KIRCHE

Sie bauten der Kirche

ein Schiff

mit dreifachem Bauch,

raubten den Griechen

die Säulen,

die keinen Architrav

mehr stützen.

Doch blüht

im Tempel

noch immer

der Akanthos

marmorhart,

zerschlagen die Blätter;

der Teutone,

der später kam,

tat den Bärlauch

in die Wurst

und nicht aufs Kapitell.

Der Dreizackweg

jetzt ohne Beschützer;

auf sich gestellt

wer unterwegs,

ob Kaufmann, Flüchtling,

Seher, Viehdieb oder ich.

Um Meilensteine länger

unser Stationenweg,

beim Parkplatz

der Kiosk

mit Schnellimbiß und Kreuzabnahme,

der Geißlung

folgt die Radarfalle,

und auf dem Schweißtuch der Veronika

Reklametafeln.

Die Siegesgöttin

überließ

nach ihrem Fall

dem Engel

ihre Flügel;

die hielten

das Tragen aus,

bis nach dem antiken Himmel

auch der christliche

eingestürzt.

Und um die Kirche

Ackererde,

die Pflugschar

erntet Scherben,

ungetauft die Keramik-Ernte

der Barbaren,

längst nicht mehr blutgedüngt

der Boden.

Wildwürzig gedeiht

der Sellerie

und dunkelgrün die Lentiske,

unterm duftenden Macchiastrauch

vielleicht ein kerbverzierter Knochen,

worüber Ziegen meckern,

die entdeckungsfreudig.

Die Katakombe verschüttet:

was Särgen diente,

Sarg geworden,

überwuchert der Einstiegsschacht

zum ausweglosen Dunkel

der Nekropole,

in den gewachsenen Fels geritzt

neben der Hirschkuh-Beute

die Jäger,

und diese ohne Fuß und Arm,

von den Vögeln die Maske.

Ein Felskammergrab,

um sich bei Toten

vor Lebenden zu retten,

Flucht in die Sicherheit

der Verwesung.

Und über Feld und Rebberg verstreut

die Obdachlosen,

die um Einlaß betteln,

wo kein Portal.

Versandet der Ankerplatz,

im Maisfeld Wellenbrecher

nach Wellen Ausschau haltend,

in weiter Ferne unterm Schutz der Arkaden

Fässer mit Wein

aus Trauben,

gestampft von Eroten.

Im Schatten der Feigen

Träume,

deren Ketten nach der Taufe

nicht schmiegsam wurden.

Nur wer gejagt und eingefangen,