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Gedichte, Suchbilder, »in Grammatik gebrachte Gefühle«, melancholisch, verspielt, entrückt und von hellsichtiger Präsenz, lyrische Notate aus »Allerwelt«.
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Seitenzahl: 44
Veröffentlichungsjahr: 2023
Hugo Loetscher
Diogenes
Der Vogel meiner Liebe
ist die Fledermaus,
aufgehängt an den Zehen
ihrer Hinterfüße
und zugedeckt
mit der eigenen Flughaut.
Ich weiß nicht,
ob der Vogel meiner Liebe
aus dem Riß
eines hohlen Baumstamms
schlüpft,
ob er beim Dunkeln
aufbricht
aus der Höhle
der Zehntausend,
fliehend die Räuber,
die auf Beute lauern,
wählt er zum Tagschlaf
das Dachgebälk,
den Keller, die Gruft,
das verstockte Gemäuer
verlassener Häuser
oder den Schlafbaum,
der von Krallen
entrindet und entlaubt,
am Ast mit andern,
verdorrte Frucht,
die mit dem Einbruch der Nacht
zu Leben erwacht?
Wo immer die Fledermaus
mit Geschrei das Versinken der Sonne
begrüßt,
wo immer sie
für den Aufbruch der Nacht
die Flughaut leckt und putzt:
mein Vogel der Liebe
kommt aus dem Reich
der nackten Mäuse
und der fliegenden Ratten.
Die Vögel mißgönnen
meinem Vogel der Liebe
die Flügel,
artenweit der Spott,
daß ein Säuger
mit Zähnen und Haaren
fliegen will.
Hab nicht auch ich,
flügellos,
Arme ausgebreitet
zum Flug –
ein Säuger
mit Zähnen und Haar,
im Wappen
ein Scheunentor,
auf das
gegen Unheil
eine Fledermaus,
der Vogel meiner Liebe,
genagelt.
Doch ich weiß
von meinem Vogel der Liebe
nicht einmal,
wie groß die Ohrmuscheln sind,
ob er Breitflügel hat
und ob die Nase dreifach gelappt.
Aber ich weiß,
er sieht mit den Ohren.
Im finsteren Luftraum
Signale sondierend,
nicht nur
für den Insektenfraß,
kein Ding ohne Antwort,
lautlos stumm
redet mein Vogel
Echolot und Ultraschall.
Eines bin ich mir sicher:
die Fledermaus ist der Wärme bedürftig
und huscht auf der Suche nach ihr
durch die Nacht,
sie peilt mich an,
ich hör das Lied ihrer Schwingen,
sie rudert
und rüttelt,
im Lichtschein
ein dunkles Zittern,
und flattert vorbei,
antennenkundig,
ohne mich zu berühren.
Eines, eines
hab ich gespürt:
von der Liebe
den Hauch.
Im botanischen Garten
meiner Seele
wächst ein Tapang,
der Sonne und dem Stern
entgegen.
So schickt er
auf dem Wuchs nach oben
Wurzeln
nach unten
zum stützenden Grund,
um Stütze zu werden.
Meinem Tapang gleich
umfaßt ich Himmel
soviel wie möglich,
mit offenen Armen
und gespreizten Fingern
habe ich Äste nach oben getrieben
und Zweige in die Breite geschickt,
mit jeder Knospe wuchs der Schatten
meiner Schöpfung.
Meine Wurzeln kommen aus der Luft,
sie kennen vom Licht
das Glühn wie das Schimmern,
Wurzeln,
die Würmern begegnen,
nachdem sie gehört,
wie Vögel sangen;
sie spielen dem finstern Erdreich
die Melodie
vom lichten Luftgespinst,
als Instrument
die Saiten
eines fein verzweigten Wurzelwerks.
Reich an Fasern,
bin ich an Wurzeln gestorben,
nicht im Sturm und nicht am Blitz,
nicht wegen der Würgefeige,
die mich umarmte,
um liebkosend mich zu ersticken.
Zu viele Wurzelfasern
an Knoten baumelnd,
von der Windharfe träumend,
und lichtverwöhnt,
nach unten sinkend
scheuten sie
den Weg ins Erdreich,
alterten nicht zu Holz,
wurden nicht Krücke,
weder Stock noch Stelze.
Aus ihrem babylonischen Traum
erschraken meinem Tapang
Schirm und Krone –
ich krachte
unter der Last des
Umarmt-Erlangten.
Auf der Erde schleifend
zerrissene Wurzeln,
die aus Lust
an Licht und Luft
nicht aufgesucht,
was Halt geboten,
und die dem blinden Maulwurf
nie erzählten,
wie blau verschieden blau sein kann.
Boden wär vorhanden gewesen,
der mehr getragen hätte
als eingestürztes Astwerk
und meinen abgebrochenen Stamm.
Wenn meine Finger dir dein Haar durchwühlen,
kracht irgendwo die Autobombe,
es splittern Scheiben,
und Kinder schleudern durch die Luft,
und wie mein Kopf auf deiner Achsel ruht,
fällt eine Tür ins Kerkerschloß,
ein Folterschrei erstirbt
in unsrem Stöhnen.
Wir tauschen Küsse
unter dem gestirnten Himmel,
durch den Raketen
tödlich ihre Leuchtspur ziehen:
als Zuflucht unsere Körper
Umarmung, Unterschlupf –
ach würd mein Kuß in deinem Mund
für andere Brot.
Sie bauten der Kirche
ein Schiff
mit dreifachem Bauch,
raubten den Griechen
die Säulen,
die keinen Architrav
mehr stützen.
Doch blüht
im Tempel
noch immer
der Akanthos
marmorhart,
zerschlagen die Blätter;
der Teutone,
der später kam,
tat den Bärlauch
in die Wurst
und nicht aufs Kapitell.
Der Dreizackweg
jetzt ohne Beschützer;
auf sich gestellt
wer unterwegs,
ob Kaufmann, Flüchtling,
Seher, Viehdieb oder ich.
Um Meilensteine länger
unser Stationenweg,
beim Parkplatz
der Kiosk
mit Schnellimbiß und Kreuzabnahme,
der Geißlung
folgt die Radarfalle,
und auf dem Schweißtuch der Veronika
Reklametafeln.
Die Siegesgöttin
überließ
nach ihrem Fall
dem Engel
ihre Flügel;
die hielten
das Tragen aus,
bis nach dem antiken Himmel
auch der christliche
eingestürzt.
Und um die Kirche
Ackererde,
die Pflugschar
erntet Scherben,
ungetauft die Keramik-Ernte
der Barbaren,
längst nicht mehr blutgedüngt
der Boden.
Wildwürzig gedeiht
der Sellerie
und dunkelgrün die Lentiske,
unterm duftenden Macchiastrauch
vielleicht ein kerbverzierter Knochen,
worüber Ziegen meckern,
die entdeckungsfreudig.
Die Katakombe verschüttet:
was Särgen diente,
Sarg geworden,
überwuchert der Einstiegsschacht
zum ausweglosen Dunkel
der Nekropole,
in den gewachsenen Fels geritzt
neben der Hirschkuh-Beute
die Jäger,
und diese ohne Fuß und Arm,
von den Vögeln die Maske.
Ein Felskammergrab,
um sich bei Toten
vor Lebenden zu retten,
Flucht in die Sicherheit
der Verwesung.
Und über Feld und Rebberg verstreut
die Obdachlosen,
die um Einlaß betteln,
wo kein Portal.
Versandet der Ankerplatz,
im Maisfeld Wellenbrecher
nach Wellen Ausschau haltend,
in weiter Ferne unterm Schutz der Arkaden
Fässer mit Wein
aus Trauben,
gestampft von Eroten.
Im Schatten der Feigen
Träume,
deren Ketten nach der Taufe
nicht schmiegsam wurden.
Nur wer gejagt und eingefangen,