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Eric Kirsing, ein junger Pilot, entschließt sich zu einer Expedition zu den Bahamas, da seine Eltern mit ihrem Boot dort spurlos verschwanden. Er ist auf Sponsoren angewiesen, wenn er seine junge Firma nicht gefährden will. Um Interesse zu wecken, bemüht er den alten Mythos um das Bermuda-Dreieck, zumal die Bahamas eine der Begrenzungen darstellen. Doch auch der Aspekt interessiert lediglich den Herausgeber eines Skandalblattes, der jedoch Beweise fordert, dass seine Suchaktion erfolgreich sein kann. Eric sucht daraufhin andere Hinterbliebene auf, die Verwandte vor den Bahamas verloren haben. Diese wollen sich seinem Unternehmen anschließen. Doch nur Kristin Faltal steuert neue Erkenntnisse bei, die letztendlich den Sponsoren überzeugen. Ihr Vater war vor vielen Jahren von dort zurückgekommen, während seine Frau vor den Bahamas verschwand. Er hatte eine Tätowierung auf der Brust und ein identisches Amulett an einem unzerstörbaren Metallband mitgebracht. Das Amulett zersetzte sich bei seinem natürlichen Tod. Die Untersuchung des Bandes ergab, dass es aus einem Material besteht, dass auf der Erde nicht bekannt ist. Dies veranlasst den Herausgeber der Zeitschrift, persönlich an der Expedition teilzunehmen. Diese bunt zusammengewürfelte Truppe, die unterschiedlicher nicht sein könnte, begibt sich auf eine Reise ins Ungewisse, ihren möglichen Tod in Kauf nehmend. Ihr Flugzeug stürzt ab und sie stoßen auf eine geheimnisvolle Welt, die bald erste Opfer fordert. Der bissige Humor Dagmars lockert die Stimmung auf. Trotz vieler Fehlschläge bleibt der Optimismus ungebrochen, ihre Verwandten zu finden.
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Seitenzahl: 535
Veröffentlichungsjahr: 2020
Erwin Sittig
Geheimnisvolle Suche
© 2020 Erwin Sittig
Verlag & Druck: tredition GmbH,
Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN
Paperback:
978-3-347-11875-1
Hardcover:
978-3-347-11876-8
e-Book:
978-3-347-11877-5
Illustration:
Sascha B. Riehl
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Geheimnisvolle Suche – Teil 1
Eric Kirsing rutschte in seinem Sessel hin und her. Der Fernseher, schüttete drohend seine Nachrichten aus. Im Atlantischen Ozean gab es wieder mal ein Schiffsunglück. Es war nur ein kleines Schiff. Die Namen der Passagiere waren bisher nicht bekannt. Trotzdem erfasste Eric eine starke Unruhe. Eigentlich wartete er auf seine Lieblingsserie, von der er keinen Teil verpasste. Er liebte das Flair des Überirdischen und genau das fand er darin.
Vielleicht hatte er darum diesen Drang, in die Wolken aufzusteigen, seine Füße der Erde zu entreißen, um zu sehen, was die Welt in luftigen Höhen für ihn bereit hielt.
Seine Eltern waren wohlhabend und ermöglichten ihm die Mitgliedschaft im besten Fliegerclub der Stadt. Eric war stolzer Besitzer verschiedener Flugscheine. Sogar viermotorige Maschinen durfte er fliegen. Anfangs hatten seine Eltern Bedenken, bei dem Hobby ihres Sohnes, aber bald gestanden sie sich ein, dass sie gegen seine Leidenschaft nicht ankämen. Die Fluglehrer sprachen in höchsten Tönen von Eric. Er war kein Bruder Leichtfuß. Sein ganzes Leben schien in der Fliegerei aufzugehen.
Im vergangenen Jahr hatten sich seine Eltern dazu durchgerungen, ihm eine eigene zweimotorige Transportmaschine zu schenken. Sein Traum erfüllte sich. Mit der Bürgschaft der Eltern gründete er ein kleines Transportunternehmen. ‚Trans-Eric‘ leuchtete in schwungvollen Lettern von seiner Maschine. Ein kunstvoll gestalteter Albatros, als Logo, schenkte der Firmenpräsentation den letzten Kick. Nachdem er gemerkt hatte, dass das Geschäft gut lief, kaufte er auf Kredit eine zweite Maschine. Ein Partner war schnell gefunden. Die Jungs in seinem Klub rissen sich darum, zumal sie nur wenig Kapital einzubringen hatten. Eric entschied sich für Egon Bartsch. Er war zwar nicht seine Kragenweite, aber der beste Pilot in der Mannschaft. Da konnte man schon mal über seine vulgäre Ausdrucksweise hinwegsehen. Mit ihm lief das Geschäft zur Zufriedenheit weiter. Sie hatten eher zu viele Aufträge, als zu wenig. Außergewöhnliche Transporte schreckten die beiden Aufsteiger nicht ab. Größeres Risiko bedeutete höherer Gewinn. Solange die Kredite nicht abbezahlt waren, bevorzugten sie diese Art Aufträge. Dadurch hatten sie schon eine Menge von der Welt gesehen.
Irgendwie ähnelte er da seinen Eltern. Auch sie stürzten sich in immer neue Abenteuer. Als Tierfilmer hatten sie sich, mit spektakulären Dokumentarfilmen, einen Ruf aufgebaut, der viele Sponsoren anlockte. Zur Zeit hielten sie sich irgendwo im Atlantischen Ozean auf. Die Inselgruppen hatten es ihnen angetan, wo das Leben noch unberührt dahinstürmte oder zumindest Aufnahmen mit Seltenheitswert versprach.
Der Atlantische Ozean war riesig. Dieses kleine verschollene Schiff, das eine lohnende Schlagzeile für die Medien bot, musste nichts mit seinen Eltern zu tun haben, aber es war genauso gut möglich.
Schon lange hatte er nichts mehr von ihnen gehört, obwohl sie gewöhnlich mindestens einmal in der Woche bei ihm anriefen. Inzwischen war ein Monat ohne Nachricht vergangen. Er beschloss, der Sache nachzugehen. Er würde sich bei ihrem Manager erkundigen. Plötzlich schreckte Eric hoch. Ein Begriff, der seit Ewigkeiten die Menschen in Atem hielt, schraubte seine Unruhe in schwindelerregende Höhe - das Bermuda-Dreieck.
Schon lange gab es keine Hiobsbotschaft mehr, was diesen Bereich des Atlantischen Ozeans betraf. Lag es daran, dass Schiffe und Flugzeuge diese Gegend inzwischen mieden? Wo befand es sich überhaupt? Eric hatte sich nie Gedanken darüber gemacht. Aber dass es im Atlantischen Ozean liegt, war ihm bekannt. Waren es nur Fantastereien? Die Menschen steckten gern alles, was man nicht zu klären im Stande war, in einen großen mystischen Sack. Eric hatten solche Legenden schon immer fasziniert. Er war sicher, dass sie keinen Grund für seine Eltern darstellen, eine andere Route zu wählen. Gerade das stellte eine Herausforderung dar. Vielleicht war ausgerechnet dieses Gebiet ein Paradies für Tierfilmer.
Eric hielt die Ungewissheit nicht länger aus. Er rief den Manager seiner Eltern an. Ihm war egal, welche Uhrzeit dort den Ton angab, er brauchte Sicherheit. Das Funktelefon verhöhnte seine Sorgen, indem es ihm mitteilte, dass der Teilnehmer momentan nicht erreichbar wäre. Widerwillig sprach er seine Nachricht auf die Mailbox, in der Hoffnung bald einen Rückruf zu erhalten. Seine X-Akten versuchten ihn vergeblich, zu fesseln. Eric konnte sich auf seine Lieblingsserie nicht konzentrieren.
Er beschloss, eine Disko zu besuchen, um sich abzulenken. Der Anrufbeantworter war auf Bereitschaft, um jede beliebige Nachricht für ihn zu speichern, egal welche, Hauptsache eine Nachricht.
Auch bei Kristin Faltal lief diese Nachrichtensendung. Sie zuckte zusammen, als das Bermuda-Dreieck ihr Zimmer stürmte. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Ihr Blick saugte sich am Bildschirm fest. Die Bilder verschwammen. Sie fasste sich an die linke Brust und ließ die Hand darauf ruhen. Die Augen hielten die Fülle der Tränen nicht mehr und ergossen einen warmen Strom über ihre blasse Gesichtshaut. Die Nase war wie verstopft und delegierte ihre Aufgabe auf den mühsam atmenden, offenen und ungeschminkten Mund. Der salzige Geschmack ihrer Tränen erreichte ihre Zunge, die bemüht war, die trockenen Lippen von der lästigen Feuchtigkeit zu befreien. Sie kam wieder zu sich und zwang sich, den Blick vom Fernseher zu lösen. Kräftig zog sie die Nase hoch, um sie frei zu bekommen. Sie wischte mit dem Ärmel ihrer locker sitzenden Bluse über die Augen und schaute traurig auf ihre Hand, die immer noch auf ihrer linken Brust lag. Langsam zog sie sie zurück und gab den Blick auf eine hühnereigroße, farbige Tätowierung frei. Einen Büstenhalter brauchte sie nicht. Die Natur hatte es nicht sonderlich gut mit ihr gemeint. Sie war zwar schon 22 Jahre alt, aber ihre Brüste kamen über die Größe einer klitzekleinen Mandarine nicht hinaus.
Sie sehnte sich nach den begehrenden Blicken der Männer, die sie so freigiebig an andere Mädchen verschenkten. Nur weil sie ihre prallen Brüste im Spiel um die Kerle einsetzten, nahmen sie ihr jede Chance, einen Mann für sich zu interessieren, zumindest in den Diskotheken. Es waren immer vollbusige Schönheiten in ihrer Nähe, die sie zum Mauerblümchendasein verurteilten. Selbst ihre Freundinnen kümmerten sich selten um sie, wenn erstmal ein Objekt der Begierde an der Angel hing. So kämpfte sie jedes Wochenende mit ihren unerfüllten Sehnsüchten.
Besonders schwer war es für sie, sich diese Tätowierung in die Haut stechen zu lassen.
Aber es musste sein. Und das genau an dieser Stelle. Auch ihr Vater hatte dieses Motiv - eine halbe Hand breit über der linken Brustwarze.
Vor drei Jahren war er gestorben. Sie hatte niemanden mehr. Nur die Oma besuchte sie gelegentlich. An Vater und Mutter erinnerten sie nur deren Fotos.
Ihre Eltern waren im Bermuda-Dreieck verschollen. Sie war noch klein, gerade 8 Jahre alt. Sie litt unermesslich unter dem Verlust der Eltern. Sieben Jahre später tauchte ihr Vater plötzlich wieder auf. Er war verstört und sagte kaum ein Wort. Diese Tätowierung auf der Haut, brachte er von seiner Reise mit. Eingeborene hätten ihn damals gerettet, als ihr Boot sank, während seine Frau in die Tiefe gerissen wurde. Er hatte auf einer abgelegenen Insel gelebt, zu der keine Schifffahrtswege verzeichnet waren. Recherchen hierzu verliefen ergebnislos - eine Ausrede? Die Tätowierung sei ein Werk der Eingeborenen gewesen. Doch er sprach nie über seine Zeit auf der Insel und wurde ungehalten, wenn Kristin das Thema aufgriff. Er hütete sein Geheimnis bis zum Grab. Wie schrecklich seine Erlebnisse waren, kam erst auf seinem Sterbebett zu Tage.
Passend zu seiner Tätowierung, hing um seinen Hals ein Amulett. Es zeigte, bis ins kleinste Detail, das gleiche Motiv. Nicht einen Tag, hatte er dieses Amulett abgelegt. Es war aus einem seltsamen Material. Es fühlte sich wie Leder und gleichzeitig wie ein Gummibärchen an.
Sie hielt es nur ein einziges Mal in der Hand - als ihr Vater starb.
Eine Woche nach ihrem 19. Geburtstag rief man sie an sein Bett. Es sei die letzte Gelegenheit, ihm ‚auf Wiedersehen‘ zu sagen.
Es fiel ihm schon schwer, zu sprechen. Immer wieder fuhr seine Hand an das Amulett, als ringe er mit sich, ihr ein großes Geheimnis zu offenbaren. Doch seine Stimme erstickte, sobald er zum Reden ansetzte, während er schmerzerfüllt seine Tochter ansah und ihre Hand drückte. Sie hätte ihn gern anders in Erinnerung behalten, nicht mit den vielen Elektroden auf seinem Körper.
Ein letztes Mal nahm er das Amulett in die Hand und schaute es intensiv an. Dann wich sein Leben aus ihm und kraftlos sank seine Hand neben das Bett. Tränen waren Kristin nicht vergönnt. Ein dumpfer Schmerz lag wie ein gewaltiger Druck auf ihr. Das Amulett fiel direkt auf sein Gesicht. Zur gleichen Zeit nahm sie ein Geräusch wahr, als erklänge ein Chor von zirpenden Grillen. Gedankenverloren entfernte sie das Amulett von seinem Gesicht, das ihm so viel bedeutet hatte. Es fühlte sich kalt an, obwohl es ständig Kontakt mit seinem Körper hatte.
Sie spürte, wie es sich langsam erwärmte. Das Gefühl von Leder und Gummibärchen verlor sich. Sie merkte, wie das Amulett weich wurde, sich verformte und sich letztendlich, in ihren Händen, zu einer grünlich, schleimigen Masse auflöste. Sie schrie vor Entsetzen auf und rannte zum Waschbecken, um sich das eklige Zeug von der Haut zu waschen.
Immer wenn sie sich die Fotos ansah, wurde sie daran erinnert, wie kostbar dieses Amulett für ihren Vater gewesen war. Hatte er darüber eine Verbindung zu ihrer Mutter?
Vor einem Jahr fasste sie diesen schweren Entschluss. Zweifellos hatte das Amulett eine tiefe Bedeutung für ihre Eltern. Es wäre wundervoll, etwas bei sich zu haben, was sie stets an sie erinnert. Zum Glück hatte sie genug Fotos, die ein scharfes Bild der Tätowierung wiedergaben. Genau diese, sollte sie immer begleiten.
Ihre Scham zu überwinden, war eine Herausforderung. Dort wo die Tätowierung ihren Vater schmückte, würde sie das Motiv stechen lassen. Sie hatte sich extra einen BH besorgt. Sie hoffte, dass es ohne Striptease möglich sein würde, ihr Vorhaben zu verwirklichen. Der Wunsch verstärkte sich, als sie ein junger Mann begrüßte, der ihren Auftrag übernommen hatte.
„Kriegen Sie die auch genau so hin?“, fragte sie vorsichtig.
„Zeigen Sie mal her.“ Lange schaute er darauf. Dann legte er das Foto auf den Kopierer und stellte eine Vergrößerung her.
„Eine schöne Arbeit, wo möchten Sie die hinhaben?“
„An die gleiche Stelle, wie auf dem Foto.“ Sie errötete, als die Worte heraus waren.
Der Jüngling zog eine erwartungsfrohe Grimasse und forderte sie auf, den Oberkörper zu entblößen.
„Alles?“, fragte sie zaghaft.
„Natürlich alles! Oder wollen Sie das Bild auf der Kleidung tragen?“
Genüsslich sah er ihr zu, wie sie die Bluse auszog. Dann fiel schlagartig die Enttäuschung auf sein Gesicht. Sie hätte ihn dafür am liebsten ausgepeitscht. Einen kurzen Augenblick überlegte Kristin abzubrechen, um einen anderen Laden aufzusuchen. Doch es war ungewiss, was sie dort erwarten würde. Sie wollte ihren Körper nicht der ganzen Stadt zur Schau stellen. Wer weiß, ob sie sich ein zweites Mal überwinden kann.
Sie legte schnell den BH ab und sich auf die Pritsche. Dann schloss sie die Augen, um die peinliche Situation nicht zu sehen.
Es dauerte eine Ewigkeit, bis der Knabe anfing. Als er ihre Haut desinfizierte, oder wer weiß, was es war, zuckte sie zusammen. Noch nie hatte ein Mann den Wunsch, sie dort zu berühren. Sie stellte sich oft die Frage, ob es an ihr oder dieser verdammten Miniausgabe von Brust lag. Aus diesen Minderwertigkeitsgefühlen heraus, kapselte sie sich immer mehr ab. Sie wurde patzig, abweisend und aggressiv. Die Männer waren alle Schweine. Zu oft hatten sie sie verletzt. Und jedes Mal hatte sie den Eindruck, dass es an diesen unscheinbaren Beulen lag.
Eine warme Hand legte sich auf ihre Brust. Empört wollte sie hochfahren, doch dann sah sie, dass das Interesse des Mannes nur der Vorbereitung ihrer Haut galt. Sie schloss die Augen und genoss das Gefühl warmer, sanfter Hände. Wider Willen wurden ihre Brustwarzen hart, was sie mit einem erneuten Erröten begleitete. Wie unabsichtlich strich der Jüngling darüber, worauf sich ihr Brustkorb etwas stärker hob und senkte. Der Kerl musste, unter der aufgelegten Hand, ihren erhöhten Herzschlag spüren.
„Ruhig, Lady“, sagte er. „So doll werden die Schmerzen nicht sein.“
Gott sei Dank hatte er nicht die wahre Ursache ihrer Erregung erkannt. Es wäre noch peinlicher. Dann registrierte sie die ersten Stiche und langsam fand sie zur normalen Atemfrequenz zurück.
Nun stand sie öfter, nach dem Duschen, vor dem großen Spiegel und betrachtete sich. Es war eine gelungene Arbeit und es erregte sie jedes Mal. Immer erinnerte sie sich dabei an die sanften Hände, die dieses Werk vollbracht hatten.
Als sie sich heute betrachtete, war es anders. Die Hände wurden durch das Bermuda-Dreieck ersetzt. Sie konnte sich nie etwas darunter vorstellen, aber dieses Stückchen Erde war für sie verlorene Elternliebe und ein nicht zu löschendes Leid.
Sie traute sich in den nächsten Tagen nicht mehr, das Fernsehgerät einzuschalten. Diese Nachrichten hatten in ihrem Kopf nur Schmerz erzeugt.
Sie zog sich an und kam unweigerlich an dieser Wand vorbei, wo Bilder aus glücklichen Tagen daran erinnerten, dass sie zu einer Familie gehörte. Kunstvoll hatte sie diese Galerie eingerichtet. Am liebsten hatte sie dieses Gruppenporträt, das sie von einem Fotografen anfertigen ließen.
Ihre Mutter war eine schöne Frau. Ihr warmes Lächeln legte sich über das ganze Bild und schien der Familie Halt zu geben. Der Blick des kleinen Mädchens Kristin, streckte sich zur Mutter empor und wurde von einem unbeschwerten Lachen begleitet. Die Augen des Vaters suchten bewundernd seine Frau. Sie war der Quell dieser glücklichen Familie, bis alles mit dieser verfluchten Reise zerbrach.
Kristin hatte vergessen, was ihre Eltern damals in diese Gegend getrieben hatte. Doch das Bermuda-Dreieck setzte sich in ihr fest, wie bei anderen Kindern „der schwarze Mann“.
Lange hatte sie ihren Schmerz verdrängt, bis diese Nachrichten in sie einstachen.
Sie hielt es in ihrer Wohnung nicht mehr aus. Nichts wie raus. Sie schnappte sich ihre Jacke und verließ überstürzt das Haus.
Die Disko war laut und rauchgeschwängert. Die richtige Kombination, um zu vergessen.
Eric vollführte einen Rundflug durch den Saal, wie er es nannte. Viele hübsche Mädchen verstanden es, durch geschmeidige Bewegungen ihren Körper zur Geltung zu bringen. Als wäre es ihre Berufung. Die Kleidung betonte ihre Formen und ein Chor von Balzrufen schwirrte durch die Luft. Die Herren der Schöpfung versuchten, durch albernes Machogehabe zu überzeugen. Eric hatte sich schon oft gefragt, ob aus diesen Beziehungen überhaupt etwas Dauerhaftes hervorgehen kann. Und doch zog es ihn immer wieder hier her. Sein Herz hatte jedoch andere Vorstellungen als seine Augen. Er wusste, dass er bei den Mädchen ankam, auch wenn er eher zurückhaltend auftrat. Er suchte heute Ablenkung. Dabei war ihm egal, was die Ablenkung für ein Mensch war. Er benötigte Spaß, der seine Sorgen tötet.
Die Suche verlief kurz. Es gab genug Mädchen, die nur deswegen hier waren.
Kaum saß er an der Bar, da stand sie schon neben ihm, mit einem Blick voll unbändigem Durst.
„Hallo Süßer. Wieso ist so ein Prachtexemplar, wie du, allein hier?“
Eric hasste diese billigen Anmachen. Aber sie war ein Mädchen, das durchaus aus einer Illustrierten herausgefallen sein könnte. Eine schwarze Löwenmähne passte perfekt zum braunen Teint und den vollen, knallig roten, Lippen. Ein superkurzer, Stretch-Minirock betonte ihre langen Beine und endete unter einem sonnenbankgebräunten, straffen Bauch, der sich mit makelloser Haut präsentierte. Ein eng anliegendes, hellblaues Bustier aus feiner Baumwolle drängte sich an ihre wohl geformten, prallen Brüste und versprach einen heißen Abend. Das Bustier stand unten so weit ab, dass man gern einen unauffälligen Blick aus der Tiefe riskiert hätte, wenn gütigerweise eine Kleinigkeit zu Boden gefallen wäre. Für Eric lag sie schon wie auf dem Transportband, vor der Kasse am Supermarkt. Nur noch ein paar Drinks spendieren und er würde seine Sorgen im Bett zerquetschen.
„Was trinkst du?“ Er kramte dabei sein strahlendstes Lächeln heraus. Aber es war etwas ramponiert. Er wühlte es von ganz unten hervor. Das Mädchen bemerkte davon jedoch nichts. Sie kannte ihn nicht.
„Einen Schlüpferstürmer“, säuselte sie und präsentierte ihm, mit einer gekonnten Drehung ihres Oberkörpers und sich leicht senkenden Lidern, ein vielversprechendes Lächeln.
Fast alle gemixten alkoholischen Getränke hatten ähnlich anzügliche Namen. Eric gefielen die primitiven Gepflogenheiten in dieser Disko nicht so recht. Aber seine ganzen Freunde verkehrten hier, so weit man sie Freunde nennen konnte. Es waren eigentlich nur die Kumpel aus dem Fliegerclub. Dort wurde er anerkannt. Durch sie lernte er dieses andere Leben kennen. Zugegeben, er ertappte sich manchmal dabei, dass es ihm gefiel, aber es war nicht sein Leben.
Eric bestellte die Drinks und begann eine oberflächliche Unterhaltung mit dem Mädchen, das an seinem Angelhaken zappelte. Schon die Tatsache, dass er Pilot war, erhob ihn zum Star für sie. Er konnte es sich nicht erklären, aber die Mädchen verbanden mit diesem Beruf immer die Vorstellung von heißem Sex. Das kam ihm heute gelegen, versprach es doch schnellen Erfolg.
Als er die zweite Runde Schlüpferstürmer bestellte, rief jemand seinen Namen durch den Saal. Es war Erics Partner Egon. Das fehlte ihm noch.
„Hallooooo“, platzte er heraus, während sein Blick ungeniert auf den Brüsten der schwarzhaarigen Schönheit hängen blieb. „Da hast du dir ja ein exquisites Appetithäppchen rausgepickt.“ Dann strich er langsam mit der Längskante seines Zeigefingers über ihre Brust. „Sind die echt, Püppi?“
Eric, kannte solche Aktionen von Egon. Er wollte sich für das Mädchen starkmachen, doch die kam ihm zuvor. Sie griff blitzschnell zwischen Egons Beine und drückte kräftig zu, dass er sich vor Schmerz krümmte.
„Hast du dein Gehänge im Pfandhaus, oder warum habe ich eben ins Leere gegriffen, Schnullerboy?“
Eric konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Das hätte er der Kleinen nicht zugetraut.
Egon rappelte sich schnell wieder hoch.
„Dann werd ich mal nicht länger stören“, maulte Egon.
„Lass dein gutes Stück vorher versichern, Eric, bevor du deine Reitstunden nimmst.“ Missgelaunt zog er davon.
Eine fiese Ratte, aber der beste Pilot. Manchmal bereute Eric, gerade ihn zum Partner genommen zu haben. Er kochte vor Wut. Die Lust, hierzubleiben, war ihm vergangen.
Er stammelte eine Entschuldigung und verabschiedete sich von der Schönheit.
„Darf ich mitkommen?“, fragte sie mit einer Schüchternheit, die so gar nicht zu ihr passte.
„Tut mir leid, ich bin heute nicht in Stimmung für ….. so was.“
„Für was?“
Es wurde ihm peinlich. Er druckste herum.
„Na, du weißt schon …. ich meine, ich mag heute nicht.“
„Was?“ Es bereitete ihr Freude, ihn zu verunsichern.
Eric war das zu blöd. Er schaute sie eine Weile an und drehte sich dann um und ging.
Schnell holte sie ihn ein und hielt ihn am Arm zurück.
„Du denkst, ich hab‘ nur das Bumsen im Kopp?….. Nimm mich mit und ich beweise dir das Gegenteil.“
Sie schaute ihn so bittend an, dass er kurz nickte und sie an der Hand hinter sich herzog.
Es war angenehm, als sich die laute Musik langsam entfernte und die milde Abendluft seinen Kopf erfrischte. Schweigend lief das Mädchen neben ihm her. Sie wartete, bis Eric das Gespräch eröffnete. Es war ihm anzusehen, dass er ein Problem mit sich herumschleppte.
„Wie heißt du eigentlich?“
„Sarah.“
„Ich heiße Eric.“ Sie schlenderten schweigend weiter.
„Warum wolltest du unbedingt mitkommen?“
Sie war froh, dass er das fragte.
„Weil du anders bist, als die anderen Kerle. Du siehst in mir nicht nur eine Sexpuppe von Beate Uhse.“
Es war paradox. Gerade vorhin hatte er die Vorstellung vom Supermarkt.
„Du irrst dich. Ich bin nur deswegen dort hingegangen.“
„Mag sein. Aber ich habe dich beobachtet. Du gehörst nicht dahin. Du hast Seele. Die andern haben sie längst verkauft. Sie sind nicht mehr fähig, über sich selbst hinaus zu denken.“
„Wenn dich das so stört, warum gehst du dahin?“
„Wo kann ich sonst hingehen? Im Nähzirkel ist es ätzend und es machen ziemlich wenig Jungs dort mit. Für den Seniorenklub fehlen mir noch ein paar Jährchen und in den Billardclubs gibt es auch keine besseren Typen.“
„Versuches mit einer Anzeige.“
„Bin ich ein Grufti? Auf so was antworten doch nur Schlaftabletten ….. Außerdem habe ich dich gefunden.“
„….. An mir wirst du nicht viel Freude haben. Ich fürchte, ich bin eine von diesen Schlaftabletten.“
„Manchmal ist Schlafen gesund.“
Eric blieb stehen. Er hatte sich in Sarah getäuscht. Sie schien ein ganz patentes Mädchen zu sein. Ihre Stirn zog sich in Falten, als sie ihn erwartungsvoll ansah.
Ihm gefiel nicht nur ihre Art, auch ihre Stimme hatte einen angenehmen Klang, was für ihn ein wesentlicher Punkt für erotische Ausstrahlung war. Sie waren vor seiner Wohnung angekommen.
„Kommst du auf einen Sprung mit hoch. Wir könnten noch einen Schluck trinken. Aber Schlüpferstürmer kann ich dir nicht bieten.“
Ohne zu antworten, folgte sie ihm.
„Bitte setze dich, ich muss nur noch schnell was nachsehen.“
Er schloss die Wohnungstür, während sie die Jacke auszog und sich dann aufs Sofa setzte.
Eric erfasste die alte Unruhe. Wie vor einer Ziehung der Lottozahlen begann sein Herz wieder zu hüpfen.
Teilnahmslos starrte ihn sein Anrufbeantworter des Computers, ein Symbol auf dem Display, an. Eric sah sofort, dass eine Nachricht angekommen war. Warum zögerte er? Vielleicht würde sie ihm eine angenehme Gewissheit bringen. Wenn bloß dieses „vielleicht“ nicht wäre.
„Eine schöne Wohnung hast du.“ Sarah war aufgestanden und lief im Zimmer herum.
Ja, seine Eltern hatten ihm immer ein angenehmes Leben ermöglicht. Aber er hatte sich nicht auf die faule Haut gelegt. Er wusste, was er ihnen schuldig ist. Irgendwann würde er es wieder gutmachen.
Fasziniert schlenderte Sarah durch den Raum. Von allem hatte er das Modernste.
Ein leistungsstarker Computer war für ihn Videoanlage, Fernseher, CD-Player und Fax. Mit dem Zugriff aufs Internet stand ihm die größte Bibliothek der Welt zur Verfügung, die ihn hoffentlich in seiner Angelegenheit vorwärts bringen wird.
Alles ordnete sich perfekt in eine maßgeschneiderte Möbellandschaft ein, die schon fast an moderne Architektur erinnerte. Geschwungene Linien verbanden sich gekonnt mit einfachen geometrischen Formen, die in dezenten Pastelltönen eine behagliche Atmosphäre entstehen ließen. Sarah wandelte in ihrem Diskolook wie durch ein Traumland. Sie stach grell von dem Flair der Wohnung ab und ordnete sich zugleich, durch ihre makellose Schönheit, perfekt in das Bild ein. Für einen Moment vergaß er den Anrufbeantworter. Ein kurzes Glücksgefühl entführte ihn, während er tief durchatmete. Dann riss er sich los und widmete sich erneut der kleinen, blinkenden Ikone auf dem Computerschirm.
Sie wollte ihre Last loswerden.
Eric berührte mit dem Finger die Ikone, worauf sie sofort ihr Blinken aufgab und die gespeicherten Informationen preisgab.
„Hallo Eric!“ Eric erkannte an der Stimme sofort, dass es der Manager seiner Eltern war.
„Es tut mir leid, dass ich dich nicht früher benachrichtigt habe, aber ich wollte dich nicht beunruhigen. Die Vermisstenmeldung, von der du wahrscheinlich übers Fernsehen erfahren hast, habe ich aufgegeben. Du kannst mich zu jeder Zeit anrufen. Ich werde in Bereitschaft bleiben. Mach dir keine Sorgen.“
Das war’s. Sarah wurde hellhörig. Nun ahnte sie, welches Problem er hatte. Sie sah ihm an, dass er sie nicht einweihen wird. Mit zittrigen Händen goss er ihr ein Glas Bourbon ein und trank seins auf einen Zug aus. Sie verstand seinen bittenden Blick und zog sich wieder auf‘s Sofa zurück.
Wie auf einem Klavier tippte Eric verschiedene Ikonen auf dem Bildschirm an, die immer neue Menüs öffneten, bis er die gewünschte Telefonverbindung hatte. Der Lautsprecher war eingeschaltet, so dass er sich bequem im Kniestuhl zurücklehnen konnte, während er sprach. Die Hände hatte er hinter dem Kopf verschränkt und wartete mit geschlossenen Augen auf das Freizeichen.
Marianne hatte das Geschäft mit ihrem Kunden hinter sich gebracht. Langsam zwängte er seine schwabbeligen Massen wieder in die dafür zu engen Klamotten. Es kostete sie diesmal sehr viel Überwindung, Liebe vorzugaukeln. Der Kunde war zufrieden. Sein entspanntes Gesicht war sogar zu Scherzen fähig. Bevor sich Mary, wie sie hier genannt wurde, mit ihm beschäftigte, stand ihm der Frust auf der Stirn.
Mary war eine Zauberin. Sie gab verzweifelten Menschen etwas Wärme mit auf den Weg, was diese innerhalb von Minuten veränderte. Auch wenn sie als Prostituierte keine staatliche Anerkennung fand, so war sie doch davon überzeugt, dadurch so manches Verbrechen verhindert und einige Ehen gerettet zu haben.
Sie liebte ihren Beruf nicht, aber sie hatte keine andere Wahl. Seit dem Tod ihrer Eltern vermisste sie deren Unterstützung. Das bisschen, was sie geerbt hatte, war schnell verbraucht. Als Langzeitarbeitslose war die Wohnung bald nicht mehr zu halten. Sie zog in eine Bude über einer alten Kaschemme.
Ein beschissenes Leben. Eine Bekannte hatte sie überredet, es einmal zu versuchen.
Es war widerlich, aber man gewöhnte sich daran. Und das Geld stimmte.
Sie hatte nie den großen Sprung zur Edelnutte geschafft, aber ihre Kunden kamen gern zu ihr. Sie war eine gute Schauspielerin.
Sie konnte es kaum erwarten, bis die Schwabbelbacke ihr Apartment verlässt, um sich unter der Dusche reinzuwaschen. Sie duschte nach jedem Kunden.
Sie stellte das Radio an, um nicht nur das ununterbrochene Geplapper des Dicken ertragen zu müssen. Es war Nachrichtenzeit.
Eine monotone Stimme berichtete von Dingen, die sie nicht interessierten. Dann ein Signal, dass sie zu höchster Aufmerksamkeit zwang. Vom Bermuda-Dreieck war die Rede.
„Ha,ha, ich war auch gerade im Bermuda-Dreieck verschwunden“, gab der Kunde zum Besten, wobei er sich über seinen Scherz köstlich amüsierte.
„Halt die Schnauze!“, zischte Mary und warf ihm einen Blick zu, der keinen Widerspruch duldete. So etwas waren ihre Kunden nicht gewohnt. Umso mehr erschreckte es den Mann und ließ ihn augenblicklich verstummen. Er zog sich hastig an, legte das Geld auf die Kommode und verließ, sich dienernd verabschiedend, den Raum.
Wieder wurde ein Schiff vermisst. Und wieder in diesem verdammten Bermuda-Dreieck.
Sie wusste auch nicht, warum sie so versessen darauf war, jedes Wort der Nachricht in sich aufzusaugen. Es würde ihr keine neuen Hinweise auf den Verbleib ihres Vaters bringen.
Er wurde zwar für tot erklärt, aber war er es wirklich?
Sie nahm einen großen Schluck Weinbrand aus der Flasche, aus der sie sonst gelegentlich ihren Kunden etwas anbot. Ein angenehmes Brennen heizte ihren Körper auf, der sie daran erinnerte, dass sie eine heiße Dusche nehmen wollte.
Als sie sich auszog, eigentlich war es nur der Morgenmantel, dachte sie an das zurückliegende Leben. Sie war nicht mehr die Jüngste, so Mitte dreißig. Was würde ihr das künftige Leben noch bringen? Wenn sie genug zusammengespart hat, wird sie ins Ausland umsiedeln, weg von den bösen Erinnerungen.
Heiß prasselte das Wasser auf sie nieder, so dass sie die Temperatur herunterstellte.
Mit jedem Tropfen rückten die eben gehörten Nachrichten wieder in die Ferne. Vorbei ist vorbei.
Endlich meldete sich eine Stimme am anderen Ende der Leitung. Eric lauschte nach dem anfänglichen Begrüßungsgeplänkel den Auskünften des Managers.
Seit zwei Wochen waren seine Eltern überfällig. Er wusste nicht die genaue Route, auf der sie die Tieraufnahmen geplant hatten, aber sie verlief zumindest in der Nähe des Bereiches, den man das Bermuda-Dreieck nannte. Das Schiff war nur für zwei Wochen gemietet und nun schon vier Wochen unterwegs, ohne sich über Funk gemeldet zu haben. Der Besitzer des Schiffes forderte vom Manager die Kosten für den Verdienstausfall. Dieser schaltete sofort den Rettungsdienst ein, der mit Hubschraubern eine Suchaktion startete. Es fand sich nicht die geringste Spur. Schließlich stellten sie die Suche ein.
Man entschloss sich, den Verlust des Schiffes bekannt zu geben. Der Versuch, Trost zu spenden, dass immer noch Hoffnung bestehe, solange keine Trümmer oder andere Zeichen gefunden wurden, stieß bei Eric auf taube Ohren. Für ihn pflanzte sich die Vermutung als Gewissheit ins Hirn. Eine andere, als er sich erhofft hatte, aber Gewissheit.
Die ganze quälende Unruhe fiel von ihm ab. Er ließ beide Arme sinken und saß reglos da.
Sarah ahnte, was in ihm vorging. Sie war behütet aufgewachsen und musste, außer beim Tod ihres Großvaters, nicht annähernd solche Schicksalsschläge bewältigen.
Sie goss ihm erneut ein und reichte ihm das Glas. - Keine Reaktion.
„Du darfst dich jetzt nicht hängen lassen, Eric.“ - Keine Reaktion.
„Der Mann hat Recht, es gibt noch Hoffnung. Vielleicht sind sie irgendwo gestrandet.“
Sie kauerte sich vor ihm hin und versuchte in seinen leeren Augen zu lesen.
„Du wirst sehen, nicht mehr lange und sie klingeln an deiner Tür.“ - Keine Reaktion.
Sie hoffte, dass es jetzt klingeln würde, damit er wenigstens aus seiner Lethargie erwache, aber es geschah nichts. Sie stand auf. Es war sinnlos.
„Wenn du Gewissheit haben willst, warum gehst du sie nicht suchen?“
Plötzlich wirbelte sein Kopf herum und starrte sie an.
„Was hast du gesagt?“
„Du sollst sie suchen, wenn … “
Sie konnte nicht zu Ende reden. Er riss ihren Kopf herunter und drückte einen kurzen, kräftigen Kuss darauf. Dann sprang er auf und tigerte durch den Raum.
„Das ist es. Warum bin ich nicht darauf gekommen? Wir starten eine eigene Suchaktion. Das will natürlich gut vorbereitet sein. Zunächst brauchen wir Informationen über das Bermuda-Dreieck.“
Und schon saß er wieder vor dem Computer und klinkte sich ins Internet ein.
Ununterbrochen redete er mit Sarah. Nein, er sprach eher mit sich selbst. Er erwartete keine Antworten. Als wenn er sich Mut einflößen wollte, erläuterte er jeden Schritt, den er ausführte.
Wortlos nahm Sarah ihre Sachen und verließ die Wohnung. Er bemerkte es nicht.
Er redete einfach weiter und suchte nach Signalen aus dem Bermuda-Dreieck. Es musste irgendwelche Erkenntnisse geben, die ihm helfen werden.
Ein kräftiger Wind empfing Kristin. Es war wohltuend, ihm das Gesicht entgegenzustrecken und seine Kraft zu spüren. Sie trotzte schon so manchem Sturm im Leben, aber jetzt floh sie vor einem Sturm, der in ihr wohnte. Ein hoffnungsloses Unterfangen. Sie musste sich von ihm lösen. Vielleicht war es falsch, diese Tätowierung zu übernehmen, die nun wie ein frisches Brandzeichen schmerzte. Es war eher ein Schmerz der Seele, aber dieses Symbol auf ihrer Brust war stets bereit, einen Auslöser zu betätigen. Die Nachricht wirkte wie ein Katalysator. Dieses menschenfressende Dreieck würde sie niemals in Ruhe lassen.
Damals hatte sie gehofft, dass in der Tätowierung die guten Erinnerungen an ihre Eltern bewahrt werden, aber es hatte sich als Mal des Horrors herausgestellt.
Das Schweigen ihres Vaters hatte sie akzeptiert. Sie war froh gewesen, ihn wieder zu haben. Aber es hatte ihr auch quälende Träume gebracht. Oft hatte sie sich ausgemalt, wie ihre Mutter gestorben ist. War sie qualvoll ertrunken? Ein furchtbarer Tod. Wurde sie von Haien gefressen? Sie könnte nicht einmal sagen, ob es in der Gegend Haie gab. Die Zeitungen hatten damals vom überraschenden Auftauchen ihres Vaters berichtet. Er war jedoch nicht in der Lage, den Unglücksort genau zu lokalisieren. Die Nähe zum Bermuda-Dreieck reichte aus, um die Katastrophe, bei der noch andere Menschen umkamen, diesem zuzuordnen. Er wurde in einem provisorischen Einbaum aufgegriffen, am Ende seiner Kräfte.
Schnell erkannten die Medien, dass aus ihm nichts herauszuholen war und vergaßen die Angelegenheit wieder.
Was gäbe sie darum, wenn sie es ebenfalls vergessen könnte.
In ihrer Stadt lebte noch eine Familie, die damals von dem Unglück betroffen war. Das Reiseunternehmen, das seinerzeit die Reise vermittelt hatte, stand leider nicht mit dem Schiffsausflug ihrer Eltern in Verbindung, so dass sie von dort nichts erfuhr. Es war eine Privatinitiative ihrer Eltern und des Sohnes dieser anderen Familie. Hinze hießen sie, wenn sie sich recht erinnerte. Deren Adresse war ihr noch gegenwärtig.
Mit wehenden Haaren stemmte sie sich gegen den Wind, um sich zu den Haustüren vorzukämpfen, wo sie angestrengt die Namen las.
Endlich hatte sie das Haus der Familie Hinze gefunden.
Was suchte sie hier eigentlich?
Ratlos stand sie vor der Tür und betrachtete den matt leuchtenden Namen.
Wenn sie schon mal da war, könnte sie auch klingeln. Vielleicht hilft es ihr, wenn sie einfach nur darüber reden. Dem Klingelton folgte eine lange Stille, so dass sie es nochmal versuchte, da durch die Tür Licht fiel.
„Ja, ja, wer hat es denn da so eilig?“, ertönte eine unwirsche Stimme hinter der massiven Tür.
Eine stämmige Frau um die Fünfzig öffnete. Ihre Augen blitzten angriffslustig.
„Was darfs sein, kleines Fräulein?“, fragte sie barsch und musterte das Mädchen ungeniert von oben bis unten.
„Wer ist denn da, Mäuschen?“, fragte ein Bass im Hintergrund.
„Kümmre‘ dich um deinen Kram, damit hast du genug zu tun“, geiferte sie zurück.
„Also was ist nun Kindchen?“
Auf einmal fühlte sich Kristin total am falschen Platz zur falschen Zeit. Worüber kann man sich mit so einer Frau unterhalten? Vielleicht schließt die Erwähnung ihres Sohnes eine angenehmere Seite dieser Frau auf. Ein Versuch war es wert.
„Meine Eltern waren damals mit Ihrem Sohn im Bermuda-Dreieck.“
„Na und?“
„Heute waren diese Nachrichten über ein neues Unglück im Fernsehen und da dachte ich mir … “
„Mich interessiert herzlich wenig, was sie denken, Kindchen. Ein neues Unglück bringt mir meinen Sohn auch nicht wieder. Lassen sie uns in Frieden. Wenn sie damit nicht fertig werden, gehen sie in die Kneipe und besaufen sich, ich bin nicht ihr Seelsorger.“
Damit knallte sie die Tür zu und ließ Kristin stehen.
Herr Hinze saß vor dem Fernsehapparat und trank sein Bier dabei. Angespannt lauschte er, um doch noch aufzuschnappen, mit wem seine Frau redete.
Irgendetwas vom Bermuda-Dreieck glaubte er zu hören. Auch er hatte die Nachrichten mit bangem Herzen verfolgt. Warum klingelt man deswegen an ihrer Tür? Gab es Neuigkeiten? Er hatte nie die Hoffnung aufgegeben, seinen Sohn wiederzusehen. Dann knallte die Tür ins Schloss. Seine Frau kam herein und setzte sich, um weiter an ihren Taschentüchern zu häkeln. Über den Besuch verlor sie kein Wort.
„Nun sag schon, wer es war“, drängelte er.
„Die verzogene Göre von den Faltals. Die wollte sich hier ausheulen.“
„Faltal - sind das nicht die, die zusammen mit unserem Sohn umkamen?“
„Ganz recht, du Intelligenzbestie. Aber nur sie ist umgekommen, er tauchte quietschfidel wieder auf. Wenn der mal nicht schuld an dem ganzen Mist war.“
„Warum hast du sie nicht hereingebeten, Mäuschen?“
„Falls du es nicht gemerkt hast, Scheißerchen, unser Sohn ist tot und er wird es bleiben, ob sie reinkommt oder nicht. Also was solls?“
„Vielleicht hat sie Neuigkeiten. Es wurde nie etwas vom Schiff gefunden und ihr Vater kam schließlich zurück.“
„Wach‘ auf, Gregor. Wir leben hier nicht in deinen Fantasyfilmen. Und nun Schluss damit, ich will davon nichts mehr hören!“
„Ich werde sie zurückholen.“
Er war schon etwas beleibt und rollte sich mühsam aus seinem Fernsehsessel.
„Untersteh‘ dich. Mache dich hier nicht zum Kasper und setze dich wieder hin!“
Herr Hinze wusste, wie ungemütlich seine Gattin werden konnte. Hier handelte es sich um seinen Sohn und solange auch nur ein Fünkchen Hoffnung besteht, würde er den Kampf mit dem Teufel aufnehmen, ja sogar mit seiner Frau. Sie versuchte ihn, an der Strickjacke festzuhalten, aber er setzte seinen Marsch erfolgreich fort, indem er seine beachtlichen Massen vorwärts schob.
Wütend über ihr missglücktes Unterfangen schrie sie ihm hinterher.
„Du seltendämlicher Hund, wirst du denn nie gescheit?
Bewege deinen Arsch hier her und lass die Göre da draußen. … Hörst du, was ich sage?“
Es war immer wieder erstaunlich, welche Menge an Informationen aus dem Internet abrufbar war. Sowohl über Ereignisse, als auch über Klima und Vegetation gab es eine Fülle von Berichten.
Er hatte sich unzählige Dateien überspielt, die er in Ruhe auswerten würde. Diese Sitzung hatte ihn eine Menge Zeit gekostet.
Erst jetzt wurde ihm klar, dass eine Suchaktion für ihn finanziell kaum erschwinglich sein würde, ohne seine Firma aufs Spiel zu setzen. Okay, er war inzwischen fast schuldenfrei, er würde einen neuen Kredit bekommen, aber den konnte er unmöglich ausschließlich für die Suche einsetzen. Er brauchte einen Geldgeber. Das bedeutete, er wird seine Geschichte gut verkaufen müssen. Vielleicht sind die Sponsoren gefügiger, wenn er einen Reporter mitnimmt.
Im Raum hatte sich etwas verändert. Eric kam ins Grübeln, was es sein könnte.
Als das zweite Glas in sein Blickfeld geriet, schlug er sich mit der Hand vor den Kopf.
Er hatte Sarah vergessen. Das Mädchen, das ihn aus seiner Sackgasse geführt hatte. Dummerweise hatte er nicht einmal ihre Adresse oder Handynummer. Vermutlich wird er sie in der Disko wiederfinden. Aber dafür war jetzt keine Zeit.
Wer kam als Sponsor seiner Expedition infrage? Eine Illustrierte versprach den größten Erfolg. Am Zeitungskiosk holte er sich von jeder Zeitung ein Exemplar. Dann nahm er sich alle Telefonnummern vor und versuchte mit seinem Vorhaben, Interesse zu wecken. Doch immer wieder haute ihn die Frage aus dem Gleis, was er für Erfolgsgarantien habe.
Erst dieses Schmierblatt, das sich, unter anderem, mit Skandalgeschichten über Wasser hielt, vereinbarte mit ihm einen Termin. Ein gewisser Jim Zander war der Herausgeber.
Sein Vater war ein bekannter Industrieller. Also lag genug Geld in der Hinterhand.
Eric gelang es nicht, seine Aufregung zu unterdrücken als er vor dem Büro dieses Zander stand. Die Sekretärin war freundlich und schon etwas älter.
Als Eric dann den gestriegelten jungen Mann sah, der mit Pomade im Haar für Ordnung auf dem Kopf sorgte, erstaunte ihn die Wahl seiner Sekretärin.
Wie beiläufig ließ er ihn Platz nehmen und legte seine Schreibutensilien beiseite. Er hatte ein Faible für vergoldete Gegenstände. Briefbeschwerer, Brieföffner, Füller, Telefon und sogar die Marmorplatte auf seinem Schreibtisch waren mit goldenen Elementen verziert.
Ob es echt war, entzog sich Erics Urteilsvermögen, aber es erweckte zumindest den Eindruck.
Ansonsten war der Raum schlicht eingerichtet und strahlte doch Eleganz aus.
„Sie sind also der junge Mann, der als Bittsteller für seine Bermudaexpedition wirbt.“
Der Typ gefiel Eric nicht. Arroganz pur. Schon die Wortwahl degradierte ihn. Obwohl der Mann garantiert nicht älter war als er selbst, kehrte er seine scheinbare Überlegenheit durch den „jungen Mann“ hervor.
„Es wird kein Almosen, Herr Zander. Sie werden die Exklusivrechte an den Veröffentlichungen zu dieser Expedition erhalten und selbst, wenn wir meine vermissten Eltern nicht entdecken werden, ist das Thema immer noch so heiß, dass es seinen sicheren Leserkreis finden wird.“
„Ich gebe zu Herr Kirsing, dass die Thematik für unser Blatt von gewissem Reiz ist, aber auch ich kaufe Katzen ungern im Sack. Ich möchte Sie bitten, vorab ein paar spektakuläre Informationen aufzutreiben, die den Boden etwas vorbereiten. Dann werden wir ihre Bitte noch einmal wohlwollend durchdenken.“
„Heißt das, Sie lehnen ab?“
„Keineswegs. Es ist nur ein vielleicht. Überzeugen Sie mich vom Ja.“
Die Wut auf diese Hinze hatte Kristin ihren Kummer vergessen lassen. Noch nie war ihr eine so herzlose Frau begegnet. Sie steckte ihre Zunge der geschlossenen Tür aus und stapfte davon. Es war von vorn herein eine blöde Idee.
Die Nacht hatte sich auf die Stadt gelegt. Die alten, verschnörkelten Gaslaternen warfen ihr flackerndes Licht auf die Gassen und erzeugten bewegte Schatten, die eine unheimliche Stimmung aufkommen ließen. Zu dieser Zeit war Kristin selten auf der Straße.
Warum auch? Eventuell mal der Weg von der Disko nachhause. Aber der war nicht weit.
Diese engen verwinkelten Gassen gab es in ihrem Stadtteil nicht. Sie vermittelten, in der Dunkelheit, ein Gefühl von Enge und Gefangensein. Aufdringlich hallten ihre Schritte über das Pflaster. Verräterische Laute, die versteckte Ganoven hervorlocken könnten.
Plötzlich hatte sie das Gefühl, verfolgt zu werden. Ängstlich schaute sie in alle Richtungen und beschleunigte ihre Gangart. Sie hörte andere Schritte - leise, schlurfende Schritte. Sie war fast dankbar, für die vielen verwinkelten Gassen, die mehr Schutz versprachen. Sie ließen ein Entkommen wahrscheinlicher erscheinen.
Doch jetzt lag diese lange breitere Straße vor ihr. Der kürzeste Weg nachhause. Wenn ihr wirklich jemand auf den Fersen war, würde sie ihn sehr bald entdecken. Zu diesen Schritten gesellte sich nun Gesang, der von einer kräftigen, angetrunkenen Stimme getragen wurde.
Die leeren Straßen ließen den Gesang noch mächtiger erscheinen.
Es war nicht genau zu sagen, woher die Geräusche kamen. Sie waren überall.
Eine kleine Seitengasse vor ihr schien den Sänger zu beherbergen. Dann wuchs dieser Schatten aus ihr heraus, der immer gewaltigere Formen annahm, bis der Kerl fast vor ihr stand. Sie war unsicher, wohin sie sich wenden sollte.
Als sie sich umdrehte, näherte sich der Mann mit den schlurfenden Schritten. War er ihr bewusst gefolgt? Er winkte ihr zu. Auch der schwankende Sänger bekundete Interesse an einem Gespräch, indem er freudestrahlend auf sie zu torkelte. Sie rannte los. Auch der schlurfende Mann setzte sich in Trab.
„Warten Sie, ich will doch nur mit Ihnen sprechen“, rief er ihr hinterher.
Den Anhänger des Alkohols hatte sie abgehängt, aber der kleine dicke Mann in seinem flatternden Mantel hielt sich hartnäckig. Sie rannte um ihr Leben.
Eine kleine Gaststätte sendete ihr rettendes Licht. Gedämpfte Musik wehte ihr entgegen.
Bis dahin wird ihr Vorsprung reichen.
„Warten Sie, Frau Faltal. Haben Sie doch keine Angst.“ Hatte er ihren Namen gerufen? Das war sicher eine Täuschung. Wer sollte sie hier schon kennen.
Erleichtert und außer Puste erreichte sie die kleine Eckkneipe. Dicker Qualm schlug ihr entgegen. Alle Blicke richteten sich auf sie. Kein Wunder, sie machte einen gehetzten Eindruck.
„Kann ich mal telefonieren?“
Der Wirt zeigte mit dem Kopf zum Telefon.
Die Tür öffnete sich erneut. Der korpulente Herr mit dem Mantel orientierte sich schnell im Gastraum und näherte sich dann entschlossen Kristin. Auch er war außer Puste. Dicke Schweißperlen standen auf seiner Stirn, wobei einige schon den Weg nach unten angetreten hatten und sich am Kinn versammelten. Er nahm sein Taschentuch und tupfte sich das Gesicht ab.
„Mein Gott, können Sie schnell laufen. Sie sind sicher Frau Faltal. Mein Name ist Hinze. Sie hatten vorhin bei uns geklingelt. Entschuldigen Sie bitte das Auftreten meiner Frau, aber sie möchte nicht mehr an den Tod unseres Sohnes erinnert werden. Sie hat sich seit dem eine harte Hülle zugelegt.“
Er sah Kristin die Erleichterung an.
„Darf ich Sie zu einem Gläschen Wein einladen? Wir können dann über alles reden.“
Es war zu aussichtslos. So wie Jim Zander sein Angebot ablehnte, weil es keinen handfesten Hinweis gab, werden es auch andere handhaben. Absagen hatte er schon genug. Bei Zander gab es eine kleine Chance. Er musste Nachforschungen anstellen. Was lag da näher, als betroffene Familien aufzusuchen. Die Behörden wären, bezüglich des Ablebens von Familienmitgliedern, mit Sicherheit auskunftswillig, wenn einem Betroffenen geholfen werden kann. Es wird einige gegeben haben, die hartnäckig Näheres erforscht hatten. Vielleicht gelingt es ihm, aus den vielen Teilen ein Puzzle zusammenzusetzen. Informationen über die Opfer hatte er schon in den kopierten Dateien. Viele lebten im eigenen Land. Die Vorbereitungen zur Expedition legte er erst mal auf Eis. Was Interessierten jetzt Klima und Reiserouten? Der erste Schritt kommt immer vor dem zweiten.
Er hatte alle Dateien in einem Pfad abgelegt. Nun galt es, diesen zu sortieren. Es dauerte die ganze restliche Nacht, bis er diese mühselige Arbeit abgeschlossen hatte. Endlich hatte er System, in dem Wust von Daten.
Morgen würde er die Personen durchgehen, die infrage kommen.
Für die nächsten Tage hatte er nur so viel Aufträge angenommen, dass Egon es allein bewältigen würde. Er hatte genug Zeit. Natürlich musste er Egon noch informieren, aber von der Seite waren keine Schwierigkeiten zu erwarten.
Ein kurzer Anruf und er kam. In dieser Frage war Verlass auf ihn.
Lässig schlenderte Egon in Erics Apartment.
„Was ist so wichtig, dass du mich von der Mutti runterlocken musstest?“, begrüßte ihn Egon lachend.
„Wir waren grad in der dritten Runde.“
„Hast du nichts anderes in der Rübe, Egon?“
„Lass mich nachdenken … Was gibt es noch, außer einer guten Nummer? Richtig, wie konnte ich das vergessen: Mäuse, Piepen und Zaster. Hast du mich deswegen gerufen?“
„Nein.“
„Willst du mir tatsächlich flüstern, dass ich meine Sitzung wegen einem kleinen Tratsch mit dir unterbrochen habe? Kamst du mit der schwarzen Superbraut nicht klar? Mann, die hatte vielleicht einen Griff. Du weißt, du kannst jederzeit aus meinem reichen Erfahrungsschatz schöpfen. Gib Ton an!“
„Es handelt sich um meine Eltern. Sie sind im Bermuda-Dreieck verschwunden. Ich werde sie suchen.“
„Da nimmst du mich doch hoffentlich mit, alter Gauner. Bestimmt gibt es auf den Bermudainseln heiße Bräute, die nur auf mich warten.“
Keine Spur von Anteilnahme war an Egon zu entdecken. Wahrscheinlich hat man ihm bei der Geburt sein Hirn nicht vollständig ausgehändigt. Eric hatte von ihm nichts anderes erwartet.
Egon, den er nur in seiner Bomberjacke kannte, lümmelte auf dem Sofa und witterte das große Abenteuer.
„Wenn es so weit ist, entscheide ich, ob ich dich mitnehme. Aber heute möchte ich dich nur informieren, dass ich in nächster Zeit die Expedition vorbereiten und demzufolge nicht da sein werde.“
„Kein Problem Alter. Unsere Geschäfte liegen bei mir in den besten Händen. Aber ich bestehe darauf, dass du mich dann mitnimmst.“
„Lass mir etwas Zeit Egon. Ich muss erst sehen, was bei meinen Nachforschungen rauskommt. Davon wird abhängen, ob ich einen Geldgeber finde. Ich werde noch heute aufbrechen.“
Herr Hinze war etwas enttäuscht, dass er von Kristin keine Neuigkeiten erfahren hatte. Trotzdem erleichterte es ihn, mit jemandem zu sprechen, der seinen Kummer teilte. Kristin war ihm sofort sympathisch. Es wäre sicher eine gute Frau für seinen Sohn gewesen. Im Gespräch erfuhr er jedoch erstmalig von dem wohlgehüteten Geheimnis ihres Vaters. Wenn es auch nicht gelüftet worden war, so mehrte es doch die Hoffnung auf ein Überleben seines Sohnes. Sie spekulierten eine Weile, was es mit dieser Tätowierung und dem Amulett auf sich haben könnte, aber es gab praktisch keine verwertbaren Anhaltspunkte.
Ihre Spekulationen bewegten sich von einem Geheimlabor, bis zu Militärschutzzonen und einem Stützpunkt Außerirdischer.
Anschließend lachten sie darüber.
„Meine Frau schimpft immer über meine Fantastereien. Ich schaue wohl zu viele Fantasyfilme.“
Verschämt lächelte er Kristin an.
„Tut mir leid, aber so langsam sollte ich mich auf den Weg machen.“
„Ich bringe Sie nachhause“, bot Herr Hinze an „sonst werden Sie doch noch weggefangen.“
Dankbar nahm Kristin an. Zu Hause angekommen, bereitete sie sich gleich für die Nacht vor. Es war schon viel zu spät und sie musste morgen wieder früh zur Arbeit.
Vor dem Spiegel fiel ihr die Tätowierung ins Auge. Sie hatte das Schreckliche verloren. Sie lächelte sogar und strich zärtlich über die fremdartigen Zeichen auf ihrer Haut. Ein Gruß an ihre Eltern.
Sarah hatte den großen Treffer gelandet. Ein gut aussehender Mann, mit Charakter und gutem Benehmen und außerdem noch vermögend. Eric schien sie zu mögen. Den Jungen musste sie festhalten. Auf seine Probleme könnte sie allerdings verzichten.
Warum hatte sie ihm nur den Floh ins Ohr gesetzt, seine Eltern zu suchen. Sie hatte es nicht mal ernst gemeint. Wie würde sie entscheiden, wenn er sie bäte, mitzukommen?
Sie war kein großer Freund von Risiken und das roch nach „Russischem Roulette“. Andererseits ist das sicher nur Effekthascherei mit dem Spektakel um das Bermuda-Dreieck.
So selten wie dort etwas passiert. An der Frequentierung der Seefahrtswege gemessen, geschehen dort nicht mehr Unglücke, als auf anderen Meeren. Im eigenen Land verschwinden mit Sicherheit noch mehr Menschen und kein Hahn kräht danach. Niemandem würde einfallen, daraus etwas Übernatürliches abzuleiten. Vielleicht würde sie diese Reise einander näher bringen. Was wussten sie schon voneinander. Außerdem hielt sie hier nichts. Das Studium hatte sie zwar abgeschlossen, aber es war die falsche Fachrichtung. Keine Firma hatte freie Stellen auf dem chemischen Sektor - schon gar nicht für Anfänger. Die Spinner in der Disko hatten sie oft gefragt, warum sie nicht als Model arbeiten würde. Seit Kurzem dachte sie sogar darüber nach. Sie kannte ihre Wirkung auf Männer, aber irgendetwas hielt sie immer davon ab. Eric bot eine Alternative. Als wohlhabende, angebetete Hausfrau, würde sie sich wohlfühlen. Mit den Beziehungen, die sich ergäben, könnte sie nebenbei, über ein Hobby, Geld verdienen, falls die lange Weile kommt. Ein schöner Nebeneffekt war: Eric ist ihr Traummann. Da ist ein bisschen Risiko schon zu rechtfertigen.
Sie hatte ihm ein paar Tage zur Besinnung gegeben. In der Disko war er nicht wieder aufgetaucht. Jetzt wurde es Zeit, ihm einen kleinen Besuch abzustatten, bevor sie in der Vergessenheit versinkt.
Zuhause traf sie ihn nicht an. Es war schon das zweite Mal, dass sie es versucht hatte.
Sie beschloss, die Disko zu besuchen, wo sich ständig dessen fieser Freund herumtrieb. Sicherlich wird sie ihn auch heute dort finden. Für einen Tipp würde sie sogar sein perverses Gequatsche ertragen.
Sie hatte Glück. Als sie dort eintraf, war Egon im Begriff die Veranstaltung zu verlassen. Er erkannte sie sofort.
Wie erwartet, belaberte er sie wieder mit einem blöden Spruch.
„Hallo Baby. Bist du unter die Nonnen gegangen? In der Rüstung hätte ich dich fast übersehen.“
Seit der Begegnung mit Eric hatte sie sich tatsächlich von ihrem schrillen Outfit verabschiedet. Mit hochgeschlossenen Oberteilen und engen Jeans kannte sie hier niemand. Aber selbst das ließ genug von ihren körperlichen Vorzügen erkennen.
Sarah ignorierte seine Anspielung.
„Sag mir lieber, wo Eric ist“, forderte sie.
„Oh, da hast du Pech Schätzchen, der ist für mindestens eine Woche weggedüst. Aber er hat mir die Geschäfte übergeben. Also wenn dir danach ist, let’s go baby.“
„Wisch dir den Sabber vom Maul und geh zu Mutti, die wird dich schon suchen!“
Grinsend schaute ihr Egon nach, als sie die Disko wieder verließ.
Die erste Adresse gehörte einer Familie Fortz. Der Ort lag ca. 300 km entfernt. Eric nahm sich ein Hotelzimmer und suchte die Fortz’s in aller Frühe auf. Die Eheleute hatten vor vielen Jahren ihre Tochter und die Eltern des Ehemannes dem Bermuda-Dreieck geopfert.
Eric kam ungelegen. Der Mann bereitete sich auf den Weg zur Arbeit vor, während seine Frau ihm Gesellschaft leistete. Sie hatten mit der Sache abgeschlossen und ließen ihn nur unwillig ein.
Erst als Eric von seinen Plänen berichtete, eine Suchaktion durchführen zu wollen, bot der Mann sofort seine Unterstützung an. Er müsse unbedingt mitkommen, wenn dies möglich wäre.
„Willst du deinen Job aufs Spiel setzen? Soll ich dich auch noch verlieren?“, wimmerte seine Frau.
Doch der Mann war davon nicht mehr abzubringen. Sie verfluchte Eric und brach in Weinkrämpfe aus.
Eric`s Hoffnung, neue Erkenntnisse zu erlangen, hatte sich entfernt. Familie Fortz verfügte über keinerlei Zusatzinformationen. Hinzu kam die Last, altes Leid aufgebrochen zu haben.
Hatte er überhaupt das Recht, diese Menschen mit seinen übertriebenen Hoffnungen zu täuschen?
Eric vereinbarte mit Herrn Fortz, dass er sich nur melden würde, wenn sich eindeutige Hinweise auf Überlebenschancen der Verschollenen ergäben, was er inzwischen für unwahrscheinlich halte.
Daraufhin beruhigte sich dessen Frau etwas, aber ihren Hass hatte Eric bei der Weiterreise im Gepäck. Plötzlich stellte er alles infrage. War es das wert?
Die Reaktion von Herrn Fortz stärkte ihn allerdings wieder. Solange es Hoffnung gibt, wird er etwas unternehmen. Er war es seinen Eltern schuldig.
Im nächsten Ort besuchte Eric Frau Manteufel. Er war überrascht, dass man ihm grinsend nachschaute, als er sich nach ihr erkundigt hatte.
Ihr kleines Apartment lag direkt unter dem Dach. Eine Klingel gab es nicht. Eric klopfte an.
Frau Manteufel war wahrscheinlich gerade aufgestanden. Sie trug noch ihren Morgenmantel, obwohl es schon Abend war. Er vermutete, dass sie im Schichtdienst arbeitet.
„Wenn ich ungelegen komme, melde ich mich später nochmal“, stammelte er zaghaft.
Ihr Blick verriet freudige Überraschung.
„Nein, nein, kommen Sie rein. Ich bin grad frei. Darf ich fragen, wer mich empfohlen hat?“
„Ich habe übers Internet einen Hinweis bekommen und habe dann nachgeforscht.“
„Habe gar nicht gewusst, dass mein guter Ruf schon solche Kreise zieht …. Haben Sie spezielle Wünsche, oder genügt Ihnen das Standardrepertoire?“
Eric zog die Augenbrauen hoch, um sein Unverständnis zu bekunden.
„Standard kostet 50 Kröten im Voraus und den Rest danach“, wobei sie elegant den Morgenmantel abwarf und sich in seidenen Dessous präsentierte, die sie noch attraktiver erscheinen ließen.
„Extras kosten ab … “
„Oh nein, Sie verkennen die Situation“, stotterte Eric, der nun endlich im Bilde war. „Ich bin aus einem anderen Grund hier.“
Langsam zog sie den Morgenmantel wieder an, ohne ihn zu schließen. Eric war befangen. Frauen gegenüber hatte er Schwierigkeiten, seine Schüchternheit abzulegen. Hier kam erschwerend hinzu, dass er mit den Damen dieses Gewerbes noch nie Kontakt hatte. Wie sollte er sich verhalten? Vorsichtig hob er seinen Blick. Er traute sich kaum, diese Frau zu mustern, die ihn fragend ansah. Es saß alles am rechten Fleck, wenn sie auch nicht mehr die Straffheit der Teenys besaß. Die kurze, brünett gelockte Haarpracht gab ihrem schmalen Gesicht ein volleres Aussehen.
„Ich komme wegen der Ereignisse am Bermuda-Dreieck, bei denen Sie Ihren Vater verloren haben.“
Abrupt stand sie auf, kehrte ihm den Rücken zu und sah aus dem schrägen Dachfenster.
„Wenn das alles ist, können Sie gleich wieder gehen. Ich weiß nicht, was das jetzt noch bringen soll.“
Sie hatte es nach diesen Nachrichten in der Dusche abgespült und nun kroch es erneut auf sie zu.
„Es gibt genug Anderes, worüber Sie schreiben können“, fuhr sie fort. „Von mir erfahren Sie nichts.“
„Auch hier irren Sie sich. Ich bin kein Reporter. Meine Eltern sind beim letzten Unglück verschollen. Ich erhoffte von Ihnen neue Hinweise, da ich mich mit dem Gedanken einer Suchexpedition trage.“
Das war ihr Stichwort. Sie drehte sich ruckartig um. Eric sah Tränen in ihren Augen glänzen.
War das die Chance für sie? Der Wunsch, ins Ausland zu gehen, nahm plötzlich Formen an.
Zwar zog es sie nie in diese Region der Erde, aber vielleicht war es ein Wink des Schicksals.
„Haben Sie noch einen Platz frei?“
„Eigentlich werbe ich nicht um Mitreisende, sondern möchte nur nähere Informationen sammeln.“, wehrte Eric überrascht ab.
„Die gebe ich Ihnen nur, wenn Sie mich mitnehmen und das erst im Flugzeug!“
Es hörte sich wie eine endgültige Mitteilung an, die keinen Widerspruch duldete. Sie wirkte sehr aufgewühlt.
Warum sind alle so versessen darauf, diese ungewisse Fahrt anzutreten?
Es gab keinen Grund, dieser Frau zu trauen? Ob sie tatsächlich etwas Wichtiges beisteuern wird, bezweifelte er. Sie war offenbar nur darauf aus, einen Platz im Flugzeug zu ergattern.
„Ob ich diese Reise antrete, hängt entscheidend davon ab, ob ich neue Informationen zusammenbekomme, die sie rechtfertigt. Also bitte ich Sie, zu sagen, was Sie wissen.“
„Es bleibt dabei - erst im Flugzeug!“
Sie schauten sich lange schweigend in die Augen, um ihre Grenzen abzuchecken. Eric wich aus.
„Ich werde Sie informieren, wie ich mich entscheide.“
Er wandte sich zur Tür.
„Übrigens nennen mich alle Mary“, hörte er Frau Manteufel sagen. Sie legte den Morgenmantel wieder ab.
„Wenn es Ihre Entscheidung positiv beeinflusst, so spendiere ich Ihnen eine Gratisvorstellung.“
Eric schaute nochmal zurück. Er schätzte sie Mitte dreißig. Sie war wirklich eine überdurchschnittlich schöne Frau. Langsam merkte er, wie sich in ihm etwas regte.
Ohne Gruß verließ er das Zimmer.
Frau Hinze war wütend. So hatte sich ihr Mann noch nie widersetzt.
Als er zurückkam, lag sie schon im Bett und stellte sich schlafend. Versuche, mit ihr zu sprechen, beantwortete sie mit Schlafgeräuschen.
„Ich weiß, dass du nicht schläfst, Mäuschen. Wir reden morgen darüber.“
Er schlief lange nicht ein. Ihm ging das Amulett von Kristins Vaters nicht aus dem Kopf. Am Frühstückstisch saß er endlich seiner Frau gegenüber. Sie hatten bisher kein Wort miteinander gewechselt.
„Das Mädchen, du weißt schon, Fräulein Faltal, sie hat interessante Sachen über ihren Vater berichtet.“
Seine Frau schaute nicht auf. Sie stocherte in der Marmelade und beschmierte sich hektisch ihre Toaststulle. Sie legte ihren ganzen Zorn dort hinein, der sich langsam steigerte.
„Er hatte ein Amulett.“
„Vergiss heute nicht, einzukaufen, wenn du von der Arbeit kommst. Du bist dran.“
„Das Amulett hat sich einfach aufgelöst, als er starb.“
„Vergiss deinen Kaffee nicht, der wird kalt!“
„Was sagst du dazu? Er hat es von dort mitgebracht.“
„Übrigens komme ich heute etwas später. Ich muss jetzt los.“
Während sie den letzten Bissen in den Mund stopfte, hastete sie zur Tür, nahm ihre Sachen und verschwand, ohne ihren Mann eines Blickes zu würdigen.
Es wurde ein unendlich langer Arbeitstag. Seine Gedanken schweiften immer wieder ab.
Er hasste Streit mit seiner Frau und er hasste ihre Launen. Sie hatten sich arrangiert.
Als Dekorateur brauchte er Fantasie, die ihm bei der Angelegenheit mit dem Amulett nicht weiterhalf. Seine Arbeit verrichtete er heute nur halbherzig. Ihm war, als riefe sein Sohn nach ihm. Vielleicht hat er das Mädchen über telepathische Signale zu ihm geschickt.
Auch das brachte ihn nicht weiter. Er musste realistisch bleiben.
Diese irrwitzigen Gedanken bestürmten ihn so intensiv, dass er fast den Einkauf vergessen hätte, den er seiner Frau versprochen hatte.
Dann deckte er den Abendbrottisch und wartete auf sie. Sie kam ungewöhnlich spät.
Wortlos setzte sie sich und stopfte lustlos das Essen in sich hinein. Herr Hinze wusste aus Erfahrung, dass dieser Trotz Tage anhalten könnte.
Es klingelte. Sonst ließ es sich seine Frau nie nehmen, die Tür selbst zu öffnen. Diesmal blieb sie, wie versteinert, sitzen.
Herr Hinze öffnete. Ein junger Mann stand vor der Tür. Frau Hinze spitzte heimlich die Ohren. Wieder sprachen sie über das verfluchte Bermuda-Dreieck. Aber es war eine Männerstimme. Sie sah, wie ihr Mann den Gast hereinbat.
Störrisch beschäftigte sie sich in der Küche, ohne den Besuch zu begrüßen. Er war für sie nicht vorhanden.
Der Herr nahm Platz. Sie wusste, was auf sie zu kommen würde, und verzog sich ins andere Zimmer.
Eric trug in aller Kürze sein Anliegen vor. Herr Hinze lauschte gespannt. Es konnte kein Zufall sein, dass jetzt schon wieder ein Fremder zu ihm fand, der mit ihm über das Bermuda-Dreieck zu sprechen wünschte. Auch Herrn Hinzes Interesse schlug in Begeisterung um, als ihm Eric eröffnete, eine Suchaktion durchführen zu wollen.
„Nun bleiben Sie mal ruhig, Herr Hinze. Es gibt da einen kleinen Haken. Es ist mir nicht möglich, die Reise allein zu finanzieren und der Sponsor, den ich an der Hand habe, trennt sich nur von seinem Geld, wenn er stichhaltige Anhaltspunkte für einen Erfolg des Unternehmens bekommt.“
„Da kann ich Ihnen vielleicht helfen. Wie der Zufall es will, war gerade gestern eine junge Dame bei mir, deren Vater mit demselben Passagierboot verschwand, wie unser Sohn. Sie erzählte mir wundersame Dinge über ihren Vater, der Jahre später wieder auftauchte. Er kam mit einer Tätowierung und einem geheimnisvollen Amulett zurück, während ihre Mutter verschollen blieb.“
„Das ist sicher Frau Faltal, sie ist die nächste auf meiner Liste.“
„Sie haben gut recherchiert. Lassen sie uns gleich aufbrechen, ich weiß, wo sie wohnt.“
Egon Bartsch war froh, nur Warentransporte auf seinem Flugplan zu haben. Er hatte jetzt keine Lust mit Passagieren alberne Gespräche zu führen.
Sanft trug ihn seine Maschine in die Wolken. Ein herrliches Gefühl, ohne den geringsten Stress auf diese kleine, unscheinbare Welt zu schauen, die voller widerlicher Erlebnisse steckt. Sicher bot sie auch angenehme Momente, aber dabei war er nie der Herr des Geschehens. Die Welt war voll von Spießern, deren bloßer Anblick ihn schon zur Weißglut trieb. Hier oben gab es nur ihn. Nun gut, es gab das Bodenpersonal, dessen Regeln er sich unterzuordnen hatte, aber sie waren weit weg.
Die Sonne wärmte seinen Körper und er schaltete auf Autopilot, um die saftige Landschaft zu genießen, die zwischen den bauschigen, weißen Wolken hindurch linste. Eine Stunde hatte er jetzt zur Verfügung, bevor er wieder auf Handsteuerung umschalten würde. Zeit genug, um über Erics Worte nachzudenken, die ein großes Abenteuer versprachen.
Er hatte schon als Kind vom Bermuda-Dreieck gehört. Es war wie ein Märchen, das sein Ende noch suchte. Er hatte gelegentlich die Erwachsenen beobachtet, die erregt darüber sprachen, wenn entsprechende Nachrichten um die Welt liefen. Irgendwann hatte sich dann der Rummel darum verflüchtigt, wenn auch weiterhin Flugzeuge und Schiffe verschwanden. Man hatte sich daran gewöhnt. Es wurde langweilig, zumal es nie irgendwelche Erkenntnisse gab, die eine Lösung in Aussicht stellten. Erst jetzt erinnerte sich Egon wieder dunkel an die Zeit der Kindheitsträume, die ihm den Schlaf geraubt hatten.
Doch wenn er ehrlich war, so wusste er nicht einmal, wo sich dieses unheimliche Dreieck befand. Natürlich war es irgendwo im Atlantischen Ozean, aber der war riesig. Vielleicht war es etwas voreilig, Eric zu bitten, ihn mitzunehmen. Wenn es in kalte, unwirtliche Landstriche ginge, würde sein Abenteuergeist am nächsten Luftzug erfrieren.
Er wird sich auf jeden Fall informieren, bevor er Eric wiedersieht.
Egon schloss die Augen und träumte sich in tropische Wälder mit exotischen Tieren und blumengeschmückten Inselschönheiten, die ihm ergeben zu Füßen liegen, um ja keinen Wunsch zu verpassen, der in seinen Augen stand. Ganz nebenbei würde er Eric helfen, seinen Vater zu finden.
Es dauerte einen Moment, bis Kristin öffnete. Sie freute sich, Herrn Hinze wiederzusehen.
Er stellte Eric vor und brachte das Gespräch augenblicklich auf ihr gemeinsames Problem. Sofort sprang ihr Herz wieder bis zum Schlüsselbein. Was hatte dieser Mann damit zu schaffen?
Gab es vielleicht doch noch Hoffnung, ihre Mutter wiederzusehen?
Kristin empfand sofort Sympathie für den jungen Mann, der bescheiden ihr Angebot zu einer Tasse Tee annahm. Sie stellte Gebäck auf den Tisch und merkte, wie ihre Hände dabei leicht zitterten. Sie hörte erleichtert das Klicken des Wasserkochers, der sich ausgeschaltet hatte. Die Zeit der Ungewissheit würde, mit diesem Geräusch, vielleicht in die Vergangenheit entweichen. Sie hoffte so sehr darauf.