Radabar Teil4 - Erwin Sittig - E-Book

Radabar Teil4 E-Book

Erwin Sittig

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Beschreibung

Im vorherigen Teil wurde Radabar wegen einiger Vergehen in die Bannzone eingewiesen, eine Art Gefängnis in der Wildnis. Kein Zauberer ist ihr jemals entkommen. Claudia, Radabars fliegende Katze, hält Kontakt zu ihm. Sie hofft, dass er wegen guter Führung frühzeitig entlassen wird. Doch der Traum zerplatzt, da jeder Insasse der Bannzone darum kämpft, seine Macht auszubauen. Dabei machen Sie nicht davor Halt die unterlegenen Zauberer zu verstümmeln oder gar zu vernichten. Auch Radabars ärgster Feind, Ratturius, sucht nach ihm, während er selbst versucht, seinen Freund Punto zu finden, der zur Sicherheitsgarde der gefürchteten Zauberin Amphida gehört. Währenddessen will sich Turtelina, die bösartige Pfauentaube, immer noch an Saskia rächen, der sie fälschlicherweise vorwirft, ihr Schloss in Brand gesteckt zu haben. Sie lockt die Kinder in das Zauberreich und nimmt das Mädchen gefangen. Ihre Freunde Mark, Claas, Chris, Hektulus und Tarantilli versuchen, sie zu befreien und müssen große Gefahren bestehen. Werden sie auch für Radabar etwas tun können?

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Erwin Sittig

Radabar 4

Die Bannzone

© 2022 Erwin Sittig

https://erwinsittig.de/

Illustration: Sascha B.Riehl

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Germany

ISBN

Softcover:

978-3-347-63990-4

Hardcover:

978-3-347-63991-1

e-Book:

978-3-347-63992-8

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung „Impressumservice“, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.

Radabar – Die Bannzone

Das Jahr danach

Obwohl einschneidende Veränderungen, vor allem das Fehlen Radabars, ihr Leben abermals umgekrempelt hatte, gewöhnte sich Familie Biesing wieder an die neuen Tagesabläufe. Der letzte Satz Saskias, nach Rückkehr aus der Zauberwelt, den sie mit fremdartiger Stimme gesprochen hatte, war vergessen. ‚Wir werden schon einen Weg finden, um in die Welt der Zauberer zurückzukehren‘, hatte sie damals gesagt. Doch viele der Beteiligten wollten dies nicht.

Frau Luna war glücklich mit ihrem Traummann, den Radabar aus ihren Wunschträumen entstehen lassen hatte. Sie planten schon nach einem halben Jahr, zu heiraten, zumal Radabar dem Mann eine prüfbare Identität für die Menschenwelt mitgegeben hatte, mit allen dazugehörigen Papieren. So lebten sie unbehelligt in der Wohnung Frau Lunas. Ihr Wesen hatte sich grundlegend geändert. Sie war jetzt selbstbewusster und fröhlicher. Das war vorrangig den Abenteuern bei den Zauberern zu verdanken und natürlich ihrem Märchenprinzen. Inzwischen war sie auch die Klassenlehrerin von Claas und Chris geworden, was die beiden super fanden, da sie mit ihr das große Geheimnis ihrer unglaublichen Abenteuer teilten.

Katharina Biesing arbeitete wie gewohnt, in ihrem stressigen Job, der viele Überstunden abforderte, doch ihre Söhne Claas und Mark waren gereift und halfen inzwischen sogar unaufgefordert im Haushalt.

Der Rucksack, aus dem Katharina den Traummann für Frau Luna herausgezaubert hatte, barg noch viele wunderliche Dinge, zu denen ihr Radabar nichts gesagt hatte. Sie hatte ihn weggeräumt, ohne sich mit dem Inhalt zu beschäftigen. Die Zauberwelt hatte in ihren Gedanken nichts mehr zu suchen. Radabar tat ihr zwar leid und sie hätte ihm gern geholfen, wusste aber, dass dies unmöglich war. Nicht einmal die Zauberer könnten ihn aus der Bannzone befreien, in die er, für seine Straftaten, eingesperrt worden war. Mark war, nach der Verwandlung durch Ratturius, vollkommen wiederhergestellt, ja er fühlte sich sogar besser, vor allem kräftiger und einfallsreicher.

Chris hatte seine sprechende Nase behalten. Zum Glück war sie inzwischen optisch unauffällig. Da sie sein ganzes Leben durcheinanderbringen könnte, nahm er sie sich vor, um die Regeln festzulegen.

„Hör zu, du Nasenkasper. Du weißt, dass du die Welt der Zauberer verlassen hast, jetzt bei den Menschen bist und mir gehorchen musst?“

„Nasen gehorchen nicht. Sie funktionieren.“

„Aber bei uns reden sie nicht. Bekommst Du das hin?“

„Ich soll nicht mehr reden? Das ist, als wenn du nicht mehr atmest. Kannst du das?“

Sie presste die Nasenflügel zusammen, so dass er gezwungenermaßen durch den Mund Luft holen musste.

„Bist du bescheuert? Mach die Nasenlöcher sofort wieder auf!“

„Siehst du? Genauso brauche ich das Reden mit dir. Sonst habe ich das Gefühl, dass mich niemand liebt, und werde krank.“

„Dann redest du eben nur, wenn wir allein sind, sonst stecken die mich irgendwann in die Klapsmühle. Da willst du bestimmt nicht hin, oder?“

„Was ist eine Klapsmühle?“

„Da bist du eingesperrt, mit Leuten, die Gespenster sehen oder sich einbilden, jemand anderes zu sein.“

„Was ist daran so schlimm? Ist doch fast wie bei den Zauberern?“

„Nur, dass du von deinen Verwandten getrennt bist und man nicht mehr machen kann, was man will.“

„Das ist nicht so schlimm. Du wirst schon auf mich aufpassen, da ich ein Stück von dir bin. Schlimmer wäre, wenn ich nicht mehr mit dir reden kann.“

Chris sah seine Felle davonschwimmen. Er würde sich vor seinen Kameraden lächerlich machen und von allen gemieden werden. Jetzt würde ihm nur noch eine Notlüge helfen, die ihn retten könnte.

„Die Insassen der Klapsmühle stinken fürchterlich nach Schweiß. Manche machen sich sogar in die Hose und alle sind zusammen in einem Raum eingesperrt.“

Die Nase wackelte hin und her, während sie überlegte.

„Na gut. Ich kann ja versuchen, zu flüstern, wenn ich es nicht mehr aushalte.“

Sein Leben wurde dann doch nicht so problemlos wie erhofft. Die Nase gab manchmal in unpassendsten Momenten, selbst im Unterricht, ihren Kommentar ab. Das brachte Chris zwar Lacher ein, aber auch Ärger mit dem Lehrer. Erst als Frau Luna seine Klassenlehrerin wurde, besserte sich seine Situation, da sie informiert war. Sie sprach der Nase ins Gewissen und gab Chris den Tipp, das Problem zu entschärfen, indem er behauptet, ein Bauchredner zu sein. Damit stünde er wieder im Mittelpunkt und jeder suchte seine Freundschaft.

Saskia hatte da wesentlich größere Probleme. Das kleine Insekt, das sich in ihren Haaren eingenistet hatte, stand in ständiger Verbindung mit Turtelina, der Pfauentaube, aus der Zauberwelt. Turtelina suchte immer noch Rache für das angebrannte Schloss, wofür, in ihren Augen, dieses Mädchen verantwortlich war. Deswegen nahm sie direkt Einfuß auf Saskias Handeln. Es war ein Geschöpf, das eine Mischung aus Libelle und Mücke war. Stach sie ihren Rüssel in Saskias Haut, konnte sie Handlungen gegen ihren Willen ausführen und Worte sprechen, die Saskia nie sagen würde. Dadurch erreichte sie, dass das Mädchen in der Schule immer schlechter und unbeliebter wurde. Turtelina war einigermaßen zufrieden. Doch sie wünschte sich, dass sie sich an dem Mädchen auch in ihrer Zauberwelt rächen könnte.

Radabar und Ratturius waren von unterschiedlichen Seiten in die Bannzone der verstoßenen Zauberer geschickt worden. Sie hatten die Chance, bei guter Führung, früher entlassen zu werden. Doch da fast alle Zauberer der Bannzone bösartig waren, standen die Chancen dafür nicht gut. Während Radabar versuchte, sich im Randbereich aufzuhalten, wo sich die weniger gefährlichen Zauberer herumtrieben, strebte Ratturius nach Macht. Er setzte alles daran, Radabar zu finden, um ihn zu vernichten.

Claudia, die fliegende Katze mit dem Frauengesicht, ist bei Tarantilli geblieben. Sie versuchten, ein friedliches Leben, in einem kleinen Häuschen mit Garten, zu führen und Ärger zu vermeiden. Tarantilli2 ging ihrer eigenen Wege und hatte sich nicht mehr blicken lassen.

Mindestens einmal pro Woche schlich Claudia zur Bannzone, um ihren Freund und Schöpfer Radabar zu suchen. Die Trennwand zu diesem Gefängnis war zwar undurchdringlich, doch man konnte hineinsehen und sich mit den Bewohnern darin unterhalten. Tarantilli begleitete sie nie. Sie bemühte sich, mit der Vergangenheit abzuschließen, hörte sich aber interessiert Claudias Berichte an. Sie hatte Radabar tatsächlich getroffen und sich mit ihm, zu bestimmten Zeiten, immer am gleichen Ort verabredet. Bisher war es ihm gelungen, großen Auseinandersetzungen mit unangenehmen Zauberern aus dem Weg gehen.

Amphida war immer noch die unangetastete Herrscherin im Zentrum der Bannzone und das vierteilige Wesen Quadroso, in dem auch Punto, der ehemalige Freund Radabars eingeschlossen war, sorgte weiterhin für die Sicherheit Amphidas.

Die Zauberin, die ihr menschliches Aussehen bewahrt hatte, war informiert, dass Ratturius und Radabar in ihre Zone eingewiesen worden waren, doch sie verfolgte sie nicht, da sie ihren Frieden haben wollte. Sie kannte durch Katharina und Frau Luna die Machenschaften von Ratturius und war etwas ärgerlich, dass die beiden Frauen geflohen waren. Sie beschloss abzuwarten, wie sich die Dinge entwickelten.

Es geht nicht mehr

Saskia traf sich jetzt häufiger mit Mark, da sie durch Handlungen, die sie nicht beeinflussen konnte, immer mehr isoliert war. Obwohl sie ihre Hausaufgaben weiterhin ordentlich ausführte, geriet sie mit den Lehrern aneinander. Heute war wieder so ein Tag. Der Lehrer hatte die Aufsätze zum Thema „Der Fortschritt in der Stadt“ durchgesehen und sprach einige Kinder, während des Unterrichts, darauf an.

„Saskia, dein Aufsatz ist zwar gut durchdacht und auch vom Ausdruck sehr gelungen, aber meinst du nicht, dass du zu sehr in die Zukunft geschaut hast? Wir wollten eigentlich eine realistische Veränderung in unserem Leben aufzeigen, doch du scheinst Technik neu erfunden zu haben. Zum Beispiel …“

Saskia unterbrach ihn barsch, mit dieser fremden, etwas tieferen Stimme, die inzwischen alle schon mal erlebt hatten.

„Bloß, weil Ihr Spatzenhirn diesen brillanten Ausführungen nicht zu folgen vermag, versuchen Sie meine realistischen Darstellungen ins Reich der Fantasie abzuschieben? Ich könnte Ihnen anbieten, bei mir ein paar Nachhilfestunden zu nehmen.“

Es wurde totenstill in der Klasse. Selbst dem Lehrer blieb vor Verwunderung der Mund offen stehen.

„Mein liebes Fräulein. Wir sind es ja gewohnt, dass Sie sich gelegentlich im Ton vergreifen, doch dies war einmal zu viel. Verlassen Sie auf der Stelle den Raum. Sie werden mich, nach der Unterrichtsstunde, zur Direktorin begleiten!“ Während sie sich erhob, um das Klassenzimmer zu verlassen, sagte sie, ihm zugewandt:

„Warum? Soll ich Ihnen den Weg zeigen?“

Mit zurückgeworfenem Kopf und arrogantem Gesichtsausdruck knallte sie die Tür zu.

Mark war erschüttert. So durfte das nicht weitergehen. Es wurde immer schlimmer mit seiner Freundin. Er meldete sich.

„Herr Gelbrich, darf ich kurz den Raum verlassen? Ich habe, glaube ich, was Falsches gegessen.“

„Ist es nicht eher so, dass Sie Ihrer Freundin helfen wollen?“

„Was wäre schlecht daran?“

„Sie bleiben hier! Ihrer Freundin ist nicht mehr zu helfen.“

„Tut mir leid, Herr Gelbrich, es muss sein.“

Er folgte Saskia auf den Gang.

Herr Gelbrich öffnete den Mund, um ihn zurechtzuweisen, doch die Worte blieben ihm darin stecken. Stattdessen nickte er nur freundlich. Es war Mark schon öfter aufgefallen, dass er seine Wunschgedanken auf andere zu übertragen vermag, die dann nach seinen Vorstellungen reagierten. Er wunderte sich schon lange nicht mehr darüber, nahm es aber als Zufall.

Im Gang fand er eine völlig aufgelöste Saskia vor. Mit großen Augen sah sie ihn an.

„Was ist passiert? Warum stehe ich hier draußen?“

„Habe mir schon gedacht, dass du wieder ein Black-out hast. Wir müssen dem auf den Grund gehen. Irgendwann schmeißen die dich noch von der Schule.“

„Wir waren doch schon bei allen möglichen Ärzten. Keiner findet etwas.“

„Kannst du dich erinnern, ob irgendetwas Besonderes passiert, bevor du deine Aussetzer bekommst?“

„Eigentlich nicht. Die Kopfhaut juckt vielleicht etwas. Aber ob das damit zu tun hat? Man hat sogar meine Gehirnströme gemessen.“

„Darf ich mal nachsehen?“

„Ob ich Läuse habe?“

„Ich denke da an andere Läuse. Wenn ich genau überlege, hast du das doch erst, seit wir aus der Zauberwelt zurück sind. Richtig?“

„Ja, schon, aber …“

„Was bleibt, wenn die menschliche Logik versagt? Zauberei vielleicht?“

„Du spinnst.“

„Was kann es schaden? Lass mich nachsehen.“

Widerwillig hielt sie ihm den Kopf hin. Die Libelle, die deutlich kleiner als eine Mücke war, stellte sich sofort auf ein Versteckspiel ein.

Mark hatte seine besonderen Fähigkeiten, dass er Gedanken auf Menschen übertragen konnte, extrem besser zu hören und zu sehen vermochte, wenn er sich konzentrierte, nie erkannt. Doch jetzt entwickelte sich eine aufkommende Ahnung davon. Er suchte jeden Millimeter der Kopfhaut ab, was sich bei ihren langen Haaren schwierig gestaltete. Einige Male konnte sich die Libelle erst im letzten Moment unter einem Haarbüschel verstecken. Er wollte schon fast aufgeben, da sah er etwas Silbriges davonhuschen. Gezielt nahm er die Verfolgung auf. Hektisch verfolgte er ihren Weg, indem er immer mehr Haare beiseite bog. Dann sah er sie endlich. Obwohl normale Menschen sie mit bloßem Auge nicht gesehen hätten, sah er sie so deutlich, dass er sogar Feinheiten erkannte. Die Haare erschienen ihm extrem dick. Erst jetzt wurde ihm klar, dass mit ihm etwas nicht stimmte. Die Libelle musste einsehen, dass sie verloren hatte, und flog davon, bevor er sie zerquetschen konnte.

Mark berichtete Saskia, was er entdeckt hatte, und empfahl ihr, jeden Abend ihre Haare zu waschen, möglichst mit der doppelten Dosis Waschmittel, wie üblich. Vielleicht bestand so eine Chance, den Schädling aus der Zauberwelt, zumindest zeitweise, loszuwerden. Ab jetzt untersuchte Mark seine Fähigkeiten näher und setzte sie bewusst ein.

Die beste Gelegenheit ergab sich, als Saskia mit ihrem Lehrer den Weg zu Direktorin antrat. Mark stand draußen, hörte dennoch jedes Wort. Er bemühte sich, die Gedanken der Direktorin zu beeinflussen. Am Gesicht von Herrn Gelbrich sah er später, dass er Erfolg gehabt hatte. Sichtlich erleichtert kam Saskia heraus.

Sie wollten sich jetzt öfter treffen und ihre Haare durchsuchen. Die Libelle war vorübergehend auf den Kopf von Mark geflogen, wechselte dann aber wieder zu Saskia.

Abends duschte sie so gründlich wie noch nie. Sie entwickelte soviel Schaum, dass die Libelle Mühe hatte, sich an den Haaren festzuhalten. Ständig entglitten ihr die, an denen sie sich festklammerte. Nur mit großen Anstrengungen fand sie am nächsten Haar etwas Halt. Doch sie rutschte immer weiter hinunter. Irgendwann stürzte sie ab. Sie glitt an Saskias Körper entlang, ohne einen Rettungsanker zu finden, und wurde in den Abfluss gespült. Saskia hoffte, dass Mark, mit seiner Entdeckung, die Ursache ihrer Gedächtnislücken gefunden und auch, dass sie das intensive Duschen davon befreit hatte.

Claas berichtete begeistert, von den Auftritten seines Freundes Chris in den Schulpausen. Jeder kaufte ihm ab, dass er ein Bauchredner war, und fragte, wie er das mache. Seine Nase fühlte sich richtig wohl bei diesen Vorstellungen und steuerte so manchen gelungenen Witz bei. Sie war inzwischen sein bester Freund geworden und er verzieh ihr die Kommentare an unpassender Stelle.

Mark überlegte, wie viel Zauberei sie wohl noch in ihre Welt geschleust hatten. Er setzte seine Fähigkeiten nun häufiger ein und testete vorrangig die Möglichkeit, die Gedanken anderer zu beeinflussen. Nach vielen Grübeleien war er sich ziemlich sicher, dass er mit dem Trank, den er von Hektulus eingeflößt bekam, um ihm seine geschwundenen Kräfte wiederzugeben, auch diese Fähigkeiten erwarb. Immer wieder tauchte das Bild vor ihm auf, wie Hektulus ihn rasiert hatte und versehentlich etwas von seinem eigenen Bart abschnitt. Daraus hatte seine Laborechse diesen Trank gebraut, der ihm vermutlich etwas magische Energie von Hektulus zuführte.

Saskia freute sich darüber, dass sie heute von der Libelle verschont geblieben war und hoffte, sie endgültig beseitigt zu haben.

Turtelina hatte mit angesehen, wie ihre Gehilfin, die Libelle, entdeckt und entsorgt worden war. Ärgerlich beobachtete sie, wie sich das Insekt durch den Abwasserkanal kämpfte und nur mit äußersten Kraftanstrengungen den Weg zurück in Saskias Badezimmer fand. Immer wieder wurde durch andere Bewohner des Hauses, Wasser in den Kanal gespült, und riss die Libelle mit sich. Endlich hockte sie wieder im Bad und wartete auf neue Instruktionen Turtelinas.

Claudia war zum vereinbarten Termin, an der Bannzone erschienen. Konzentriert starrte sie hinein, um Radabar ausfindig zu machen. Bisher war er immer pünktlich, doch heute kam er nicht. Sie wartete Stunden. Wieder und wieder flog sie an der Trennwand entlang und suchte das Unterholz ab, bis sie endlich eine Bewegung wahrnahm. Doch es war nur ein missgebildeter Zauberer, dessen Kopf durch einen runden Spiegel ersetzt worden war. Er sprang auf sie zu und baute sich blitzartig vor ihr auf, so dass Claudia plötzlich in ihr eigenes Gesicht sah. Sie schreckte zurück. Der Zauberer lachte sie aus. Sie hatte nicht erwartet, dass schon am äußersten Rand der Bannzone, die Gefangenen in Kämpfen verunstaltet werden. War der Plan Radabars gar nicht realistisch, in der äußeren Zone Auseinandersetzungen zu vermeiden?

„Was hast du hier zu suchen?“, blaffte sie der Zauberer an. Er war so dürr, dass seine Kleidung schlaff an ihm herunterhing.

„Ich warte auf einen Freund“, antwortete Claudia, in der Hoffnung, etwas von ihm zu erfahren.

„Wer hier drin ist, hat keine Freunde. Freundschaft ist eine ganz gefährliche Angelegenheit. Wer, bildest du dir ein, ist dein Freund?“

„Radabar. Hast du ihn vielleicht gesehen?“

„Kenn ich nicht. Außerdem geben wir uns hier meist neue Namen. Mich nennt man zum Beispiel ‚Spiegelei‘, weil sie meinen Kopf in einen eiförmigen Spiegel verwandelt haben. Ist ganz schön peinlich. Mich wird so schnell keiner mehr ernst nehmen.“

„Du bist doch auch ein Zauberer. Kennst du keinen Zauberspruch, der den Zauber rückgängig macht?“

„Schon, aber wenn der Zauberer mächtiger ist, als du selbst, besteht er darauf, dass man so bleibt, wie er es will. Sonst drohen dir noch schlimmere Strafen. Aber genug gequatscht. Ich darf mich nicht ablenken lassen.“

Er schaute sich ängstlich um, ob keine Gefahr droht, und wendete sich von ihr ab.

„Hast du nun Radabar gesehen oder nicht?

Er ist fast immer in dieser Gegend.“

„Ist es vielleicht der?“

Er spielte in seinem Spiegelkopf eine Szene ab, in der ein Zauberer von einem anderen in ein Handtuch verwandelt und dann ausgewrungen wird.

Claudia erschauderte.

„Nein, der ist das nicht. War das hier in der Nähe?“

„Ist gestern, ungefähr 300 m weiter rein passiert. Aber ich hab noch was beobachtet.“

Diesmal trat tatsächlich Radabar ins Bild. Er suchte aufmerksam die Gegend ab, doch der Angriff kam von unten. Ein Staubpilz schoss seine Partikel in die Luft und hüllte ihn in eine Wolke. Dann setzten sich die Partikel auf Radabars Körper ab, so dass keine Stelle frei blieb.

„Ich übernehme jetzt deinen Körper“, sagte eine feine Stimme.

„Du wirst nur noch tun, was ich will.“

Doch Radabar drehte sich im Kreis und wurde immer schneller. Wie eine Zentrifuge schleuderte er die Staubpartikel von sich, so dass sie an den umstehenden Bäumen klebenblieben. Den Staubpilz verschloss er mit einer Blase und ging dann seines Weges. Man sah, wie der Staub herunterrutschte und vergeblich versuchte, wieder in den Pilzkörper zurückzukehren. Es gelang ihm nicht.

„Das ist Radabar“, rief Claudia erfreut aus.

„Welcher von beiden? Der kleine Dicke oder der Staubpilz?“

„Der Zauberer.“

„Es sind beides Zauberer. Besser gesagt, der eine war einer. Der ist jetzt hinüber.“

„Der, der weitergegangen ist. Wo ist er?“

„Woher soll ich das wissen? Ich an seiner Stelle würde jedenfalls die Stelle meiden, wo ich jemanden beseitigt habe.“

„Aber er hat doch in Notwehr gehandelt!“

„Meinst du, das interessiert hier jemanden? Jeder Sieger ist eine neue Gefahr. Man wird ihn suchen. Er ist in die Richtung gegangen.“

„Wann war das?“

„Vor ein paar Stunden“, sagte er und verschwand.

Es war also zu der Zeit, als sie sich treffen wollten. Sie flog, in der angegebenen Richtung, weiter an der Trennwand entlang. Nach einer halben Stunde sah sie wieder eine Bewegung. Ein Hornissenschwarm kam aus dem Dickicht herausgeflogen. Er flog in einer Formation, die wie ein dreidimensionaler Mensch aussah, über dem Erdboden hinweg. Er schien etwas zu suchen. Von der fliegenden Katze nahm er keine Notiz. Enttäuscht wollte sie den Heimweg antreten, als sich in einiger Entfernung die Erde bewegte. Eine Gestalt erhob sich daraus. Claudia juchzte vor Glück. Radabar stand in voller Pracht vor ihr.

„Hallo Claudia. Wir müssen uns heute kurzfassen. Ich werde am besten mein Revier wechseln. Hier gibt es mir inzwischen zu viele Streitsüchtige, die das Gebiet beherrschen wollen. Hatte es mir nicht so schlimm vorgestellt. Anscheinend will hier niemand in Frieden leben. Wir treffen uns in einer Woche 3 km weiter bei der großen Eiche. Selbe Zeit.“ Dann schwebte er davon. Etwas später, tauchte der Hornissenschwarm wieder auf. Er bewegte sich in Radabars Richtung.

Tarantilli sah Claudia sofort an, dass etwas Ungewöhnliches passiert war. Nachdem sie auf ihrem Schoss Platz genommen hatte, bekam sie ihre Streicheleinheiten. Es sprudelte nur so aus ihr heraus, als sie von den Ereignissen berichtete. Tarantilli schaute sie lange nachdenklich an.

„Radabar wird es schwer haben, da heil rauszukommen. So wie es aussieht, ist gute Führung, unter diesen Umständen, nicht möglich. Er ist noch nicht mal ein Jahr drin und muss schon in den äußersten Ecken kämpfen. Vermutlich wird er für immer dortbleiben müssen.“

„Nein, das geht nicht!“, rief Claudia entsetzt. „Radabar ist doch kein böser Zauberer. Das wird der Zauberrat doch wissen.“

„Wenn er aber Böses tun muss, um unversehrt zu bleiben, wird man es nicht als gute Führung anrechnen. Vielleicht sollte er ins Innere gehen und seinen Freund Punto um Hilfe bitten.“

„Du hast doch gehört, was Katharina erzählt hat. Je weiter du hineingehst, umso mächtiger werden die Zauberer. Und die behaupten sich nur, weil sie Angst verbreiten. Da hat er keine Chance. Er kann froh sein, dass Ratturius ihn noch nicht gefunden hat.“

Tarantilli dachte daran, wie gut es Radabar doch hat, dass sich ein Wesen um ihn sorgt.

Sie wurde von Ratturius geschaffen, dennoch lag es ihr fern, ihm helfen zu wollen. Mit Radabar hatte sie den Verschmelzungszauber ausgeführt, war in ihn eingetaucht und wusste nun alles über ihn. Kein Geheimnis stand zwischen ihnen. Läge darin die Chance auf eine tiefe Freundschaft, sollte Radabar die Verbannung überleben? Sie hatte Mitleid mit ihrer Freundin.

„Es gibt vielleicht eine Möglichkeit, Radabar da rauszuholen.“

Claudia wurde hellhörig.

„Du weißt, dass Menschen ungehindert in die Bannzone gehen können, da sie keine magische Energie haben. Wenn ein Mensch in die Zone gehen würde und Radabar mit ihm den Verschmelzungszauber vollzöge, kann er sich im Menschen soweit zurückziehen, dass ihn die menschliche Hülle abschirmt und er die Zone verlassen kann. Schlag ihm das mal vor, wenn du ihn wiedersiehst. Natürlich müsste er danach sofort in die menschliche Welt fliehen.“

Tarantilli2, Tarantillis Doppelgängerin, war zwar von Tarantilli befreit worden, nachdem Ratturius sie in eine Starre versetzt hatte, doch sie entwickelte keine Dankbarkeit dafür. Sie hatte sich an das Leben auf der bösen Seite gewöhnt und nie etwas anderes kennengelernt. Obwohl sie wütend auf Ratturius war, der sie nur benutzt und belogen hatte, hasste sie auch Tarantilli, trotz der Hilfe, die sie angeboten hatte. Ihr Doubel hatte Freunde gewonnen. Auch Ratturius hatte ihr Zuneigung entgegengebracht. Doch sie selbst war allein, nirgends zuhause, von niemandem geschätzt. Was blieb ihr also übrig. Sie lebte nur für ihren Hass auf die, die noch da waren und an ihrem Unglück eine kleine Mitschuld trugen. Darum behielt sie Hektulus und Tarantilli im Auge. Auch die Menschen würde sie nicht vergessen. Sie folgte jedes Mal diesem blöden Katzenvieh, das sich mit Radabar an der Grenze zur Bannzone traf.

Bald würde sie auch Hektulus überwachen müssen, denn seine Verbannung endete demnächst. Die Idee, Radabar mithilfe der Menschen zu befreien, war gar nicht so übel. Vielleicht sollte sie seine Freunde hierher locken. Ratturius hatte versagt, da er die Menschen nicht richtig einschätzte. Bei seinen Aufgaben für die Beschaffung des Zaubertranks, setzte er genau die falschen Personen ein. Sie hätte gewusst, wer bei welchem Auftrag versagt. Diese Menschenkenntnis würde sie für sich ausnutzen.

Das Unheil nimmt seinen Lauf

Turtelina hatte erkannt, dass es vonseiten der Menschen keine Versuche geben würde, ins Zauberreich zurückzukehren. Deren Hoffnung, Radabar helfen zu können, hatte sich zerschlagen. Es gab, in diesem einen Jahr, keinen Kontakt zu magischen Wesen. Sie hatte angenommen, dass Claudia und Tarantilli die Menschen besuchen würden, um die Erinnerung an Radabar wachzuhalten. Doch beim Urteilsspruch über ihren Freund hatte der Zauberrat das Strafmaß erhöht, weil der in der Menschenwelt gelebt hatte. Die Furcht vor Strafe wird sie vor Kontaktversuchen abgehalten haben.

Die Versuche, Saskia zu schaden, waren zwar erfolgreich, da sie deutlich darunter litt, doch Turtelina hatte es nicht geschafft, dass das Mädchen von den Menschen gemieden wurde. Der nächste Schritt könnte sein, dass Saskia durch die Libelle komplett übernommen wird. Wenn alle Handlungen und jedes Wort von Turtelina bestimmt werden, sperrten die Menschen sie in einer Klinik für Geisteskranke ein. Der Weg war ihr nun versperrt, da Mark ihre Spionin entdeckt hatte und sie im Auge behalten würde. Andererseits war sie niemand, der so schnell aufgäbe. Nach einem Jahr war die Wut auf Saskia ungebrochen. Es hatte sich im Zauberreich herumgesprochen, dass ihr die Widersacherin ungestraft entkommen war.

Das aber schwächte ihre Position, denn die Bestrafung, die sie in der Menschenwelt durchsetzte, drang nicht zu den Wesen ihrer Insel, auf der sie herrschte. Es wurde Zeit, andere Wege einzuschlagen. Sie musste einen Schwachpunkt finden und den sah sie in Claas. Der Junge war mit seinem Freund Chris, am ehesten der Zauberwelt zugetan. Sie schwärmten noch heute davon, wenn sie unter sich waren. Die Libelle bekam Anweisung, in das Haar von Claas zu wechseln. Über ihn würde sie auch Mark beeinflussen können. Selbst Saskia bliebe in Reichweite, zu der er eine sehr intensive Bindung aufgebaut hatte. Die Ausführung war einfach. Über die Kleidung von Saskia wurde sie in die Schule getragen und dort flog sie zu Claas. In der Pause standen sie, wie so oft, um Chris herum, der wieder mal eine Vorstellung als Bauchredner gab. Er genoss die Aufmerksamkeit seiner Schulkameraden und selbst die Kinder der höheren Klassen gehörten inzwischen zu seinem Stammpublikum.

Turtelina verfolgte die Vorstellung sehr genau. Ihr war eine Idee gekommen, wie sie die eingeweihten Menschen in ihr Reich locken könnte.

„Vielen Dank“, begann Chris, „dass ihr alle gekommen seid. Heute habe ich etwas ganz Besonderes für euch. Diesmal habe ich unsere Direktorin verschluckt.“

„Waaas? Wie bin ich hier hereingekommen? Kann mal jemand Licht machen?“, eröffnete die Nase ihren Auftritt, indem sie versuchte, die Stimme der Direktorin zu imitieren. Schon jetzt gab es die ersten Lacher.

„Sie haben hier Hausarrest, bis sie mir erlauben, im Unterricht meine Spielconsole zu benutzen“, antwortete Chris.

„Spielconsole? Was hast du für ein Spiel? Kenn ich das?“, fragte die Nase.

„Es ist ein Geruchserkennungsspiel. Die Spielconsole macht ein Bäuerchen und du musst raten, was sie gegessen hat.“

„Dann stinkt ja bald das ganze Klassenzimmer nach verfaultem Essen. Das geht aber wirklich nicht.“

Die Nase schüttelte sich, was ihm weitere Lacher einbrachte.

„Welches Spiel würden Sie denn erlauben?“ Das war die Gelegenheit für Turtelina. Sie schickte die Libelle zu Chris und beseitigte den Zauber, der auf der Nase lag. Dann stach sie Chris in die Haut und übernahm seinen Körper. Mit tiefer Stimme sprach er weiter, ohne die Lippen zu bewegen.

„Ich gestatte ein Spiel, in dem ihr euch in eine Zauberwelt begebt, wo ein Zauberer in einer Bannzone eingeschlossen ist. Er ist kurz davor sein Leben zu verlieren und nur ihr könnt ihn retten. Ihr müsst aber schnellstens aufbrechen.“

Mark erstarrte. Er erinnerte sich, dass Saskia, nach der Rückkehr aus der Zauberwelt, mit der gleichen Stimme gesprochen hatte. Ihm kam ein Verdacht und er stürmte zu Chris, um dessen Kopfhaut einer gründlichen Untersuchung zu unterziehen. Die Libelle erkannte die Gefahr sofort und wechselte ins Haar von Claas.

Auf dem Schulhof erstarb das Lachen. Alle starrten entgeistert Mark an. Chris, der jetzt wieder Herr über sich selbst war, und nichts von seinen letzten Sätzen mitbekommen hatte, blaffte Mark an.

„Was ist los mit dir, du Idiot? Nimm deine Griffel von mir!“

Wütend lief er zu Claas hinüber und beschwerte sich über dessen Bruder.

Frau Luna, die Pausenaufsicht hatte, wurde blass vor Schreck. Sie wusste, dass hier Zauberei im Spiel war. Die schrecklichen Ereignisse ihrer Abenteuer in der Zauberwelt schwirrten durch ihren Kopf und die Angst schnürte ihr die Kehle zu.

„Schluss jetzt Kinder! Die Hofpause ist beendet. Geht bitte in die Klassenräume!“ Zögernd folgten die Schüler der Aufforderung, als sie das bleiche Gesicht Frau Lunas bemerkten. Sie verzog sich sofort ins Lehrerzimmer. Zum Glück hatte sie eine Freistunde. In der Verfassung hätte sie keinen Unterricht abhalten können. Für sie stand fest, dass sie nie wieder die Menschenwelt verlassen würde. Doch wie weit reichte die Macht der Zauberer?

Bevor sie in die Klassenzimmer strömten, sprach Mark mit den anderen.

„Chris, Claas, Saskia. Wir müssen unbedingt reden. Wir treffen uns heute Abend an unserer Bushaltestelle. Pünktlich um 18 Uhr.“ Er hatte so scharf gesprochen, dass keiner widersprach.

Tarantilli2 hatte alles beobachtet. Glücklicherweise hatte ihr Ratturius einige Übergänge zur Menschenwelt eingespeichert, als er sie schuf. So konnte sie ihren Plan sofort in die Tat umsetzen. Auch sie hatte sich Chris als Kontaktperson ausgesucht, da er sie immer bewundernd angehimmelt hatte und sie nicht gleich abweisen würde. Sie war überrascht, dass ihr scheinbar jemand zuvorgekommen war. Doch wer könnte das sein? Was spielte sich hier ab? Sie hatte die Verabredung der Kinder registriert und würde ihre Besprechung belauschen.

Ratturius zog Bilanz, als er ein vorübergehend ruhiges Plätzchen in der Bannzone fand. Morgen würde genau ein Jahr vergangen sein, seit er weggesperrt worden war. Jetzt endete auch die Verbannung von Hektulus, der folglich sein Grundstück wieder verlassen darf. Doch der stellte keine Gefahr dar. Hier käme ein Magier weder rein noch raus. Im vergangenen Jahr hatte er versucht, Radabar zu finden, um ihn endgültig zu vernichten. Hier könnte er ihn ungestraft erledigen. Er würde zwar die Chance einbüßen, bei guter Führung wieder frei zu kommen, doch da machte er sich nichts vor. Er hatte noch nie gehört, dass ein Zauberer, wegen guter Führung, aus der Bannzone entlassen worden war. Wie sollte das auch möglich sein, wenn sich ausschließlich bösartige, magische Wesen um ihn herum tummeln? Jeder wollte den anderen beherrschen. Wer sich nicht wehrt, wird zerstört, war hier der Leitspruch. Und das würde mit Sicherheit nicht er sein. Er hatte Übung mit bösen Zaubern und er liebte es, sich andere zu unterwerfen. Etwas hoffte er sogar, dass ihm sein Ruf vorausgeeilt wäre und sich einige der Insassen bereits vor ihm ängstigten. Radabar, der sich einbildete, mit seiner Gutmütigkeit hier ein angenehmes Leben zu führen, wird vermutlich die Randzone zu seinem Aufenthaltsort gewählt haben. Vielleicht hoffte er, mit guter Führung schneller rauszukommen, da die Gefahren überschaubar seien. Doch das würde er ihm vermasseln. In diesem Jahr hatte er schon viele Zauberer getroffen, die verstümmelt und in kurioser Gestalt in die Randzone geflohen waren. Auch er hat einige verunstaltet und sie sich zu Untertanen gemacht. Sie halfen ihm nun bei der Suche nach Radabar. Es ärgerte ihn maßlos, dass er ihn immer noch nicht aufgespürt hatte.

Sein jüngstes Opfer war ein Zauberer, der seine unversehrte Gestalt bewahrt hatte und von ihm forderte, sein Diener zu sein. Ratturius hatte sich einen Spaß daraus gemacht, zeigte sich ängstlich und unterwürfig. Als der sich seiner sicher war, stieß er zu und pflanzte in dessen Mund einen Zauber, der sich blitzschnell in seinem Körper ausbreitete und ihn in lauter kleine Hornissen zerfallen ließ. Er konnte sich so formieren, dass die normale Gestalt erkennbar blieb. Es war ihm aber auch möglich, sich zu zerstreuen und sich in alle Winde zu verteilen. Das war besonders effektiv, wenn man von vielen Orten gleichzeitig Informationen brauchte. Wie es hier Sitte war, durfte der Bezwinger dem Opfer seinen neuen Namen geben.

Ratturius wählte für ihn den Namen „Stichling“. Er beabsichtigte damit, ihn zu demütigen. Doch niemand seiner Untertanen hatte bisher eine Spur von Radabar finden können. War er etwa schon ausgelöscht, oder hatte er sich eine Zone geschaffen, in der er abgeschirmt lebte und von Freunden beschützt wurde? Er kam zu dem Entschluss, sich weiter zum Zentrum der Bannzone vorzuarbeiten. Hier verplemperte er nur seine Zeit. Wenn er ohnehin den Rest seines Lebens hier verbringen musste, so könnte er dies auch als Herrscher tun.

Entweder, er versuchte, ein Partner von Amphida zu werden, oder er arbeitete daran, sie zu stürzen. Den Außenbereich konnten seine Diener allein überwachen.

Der heutigen Verabredung mit Radabar sah Claudia freudig entgegen. Was würde er zu der Aussicht auf Freiheit sagen? Sie wurde ungeduldig, nachdem er fünf Minuten über die Zeit war. Dann bemerkte sie eine Sonnenblume, fast an der Trennwand stehend, die ihren Kopf wendete und sie ansah. Sie hatte das Gesicht von Radabar. Claudia erschrak.

„Haben sie dich erwischt? Wer hat das getan?“