Der verhexte Vertrag - Erwin Sittig - E-Book

Der verhexte Vertrag E-Book

Erwin Sittig

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Beschreibung

Drei Hexen nutzen die Möglichkeit, Schulkinder durch einen Vertrag in ihre Märchenwelt zu locken. Um viel Spaß mit ihnen zu haben, suchen sie dumme und faule Kinder, die ihnen als Diener zur Verfügung stehen sollen, wenn sie die im Vertrag festgeschriebenen Aufgaben nicht erfüllen. Doch Pits Schwester Lana bemerkte den Betrugsversuch der Hexe und überredet ihre Freundin Stine, ihren Bruder in die Märchenwelt zu begleiten, um Schlimmeres zu verhindern. Sie findet Freunde, die sie beim Kampf gegen die Hexen unterstützen, während Pit von einer Katastrophe in die andere schlittert.

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Erwin Sittig

Der verhexte Vertrag

Band 1

Zalia

© 2024 Erwin Sittig

https://erwinsittig.de/

Illustration: Sascha B.Riehl

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Germany

ISBN

 

Softcover:

978-3-384-06197-3

Hardcover:

978-3-384-06198-0

e-Book:

978-3-384-06199-7

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung „Impressumservice“, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.

Inhalt

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Der verhexte Vertrag - Zalia

Alltag

Neuigkeiten

Die Suche

Gefangen

Vor-Vertrag

Der Vertrag

Vertrag

Die Spirit-Zone

Bittere Erkenntnis

Unbekanntes Land

Zwei schreckliche Tage

Die Stadt

Der Unterricht mit den Grollorenkindern

Der Wettlauf

Eine neue Chance

Der neue Vertrag

Der neue Vertrag

Der verhexte Vertrag

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Alltag

Der neue Vertrag

Der verhexte Vertrag

Cover

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Der verhexte Vertrag - Zalia

Alltag

Der Unterricht bei Frau Kordes war, wie immer, ätzend langweilig. Pit hörte schon längere Zeit nicht mehr zu. Deutschunterricht war nicht unbedingt sein Ding. Schreiben konnte er und lesen auch. Was brauchte man sonst noch? Er war immerhin schon 12 Jahre alt und musste sich nicht irgendwelche blödsinnigen Geschichten anhören, die sich irgendein Spinner ausgedacht hatte. Noch schlimmer war, dass sie das Buch in der Freizeit, das musste man sich mal vorstellen, in der Freizeit, durchlesen sollten, um es dann im Unterricht zu besprechen. Er hatte zuhause wahrlich was Besseres zu tun, als solchen Mist zu lesen. Es hing ihm zum Hals heraus, wenn sie stundenlang darüber quatschten, was der Schriftsteller zum Ausdruck bringen wollte, was er mit diesem Satz gemeint hatte und was mit jenem. Dann fragte die Kordes ständig, wie man die Figur werten müsse, warum sie das getan habe, und ähnlichen Quatsch. Laber, laber, laber … immer das Gleiche. Pit hatte schon abgeschaltet, als er gehört hatte, dass es wieder mal eine Buchbesprechung geben sollte. Er schaute zu seinem Freund Henk hinüber, der genau so gelangweilt wirkte, und sie grinsten sich an. Henk war in Ordnung.

Der wusste, wo es lang ging und hasste, ebenso wie Pit, den ganzen Schulkram. Am meisten die überflüssigen Schulaufgaben, mit denen ihn alle nervten – von den Lehrern, über die Schwester, die dumme Gans, bis hin zu den Eltern, die es auch nicht schaffen würden, aus ihm einen Professor zu machen. Vielleicht hätten sie bei dem Oberstreber „Fred“ aus seiner Klasse Erfolg, den alle Frettchen nannten. Nur um ihn zu ärgern, weil er ihnen die Norm versaute. Diesem Waschlappen sollten sie nacheifern, wenn mal das Thema Vorbild dran war. Konnte Pit etwas dafür, dass Frettchen nichts mit seiner Zeit anzufangen wusste und sich darum aus lauter Verzweiflung in die Schulaufgaben stürzte?

Der war einer der Wenigen, der sich sogar mit den Mädchen unterhielt. Er würde wetten, dass es dabei immer um die Schule ging oder um sein bescheuertes Hobby. Wenn er nicht irrte, war es irgendein Elektronikzirkel, den er besuchte. Was sich auch dahinter verbergen mochte. Einmal hatte der sich sogar einen Finger dabei verbrannt. Obwohl er behauptete, sich die Brandblase beim Löten zugezogen zu haben, hatten Henk und Pit gewettet, dass es zuhause während des Kochens passiert sei und sich dabei mächtig kaputtgelacht.

Das Leben hatte so viele schöne Sachen zu bieten, die Pit Spaß bereiteten, dass er sich schon überlegen musste, was er mit seiner kostbaren Zeit anfangen könnte. Heute hatte er wieder mal die erste Stunde versäumt, da er mit Jan, seinem zweitbesten Freund, das neue Spiel auf dem Gameboy ausprobiert hatte. Na und? War nur Mathematik, was er verpasst hatte. Trotzdem gab es einen fetten Tadel im Heft. Würde er nachher gleich mal versuchen, ob er den mit Tintenkiller wegbekäme. Ansonsten könnte man ja auch mal wieder das Heft verlieren, in dem schon eine weitere Beschwerde auf die Unterschrift seiner Eltern wartete. Konzentriert malte er an seiner Zeichnung auf dem Löschblatt. Irgendeine coole Figur von den Pokémons. Die Monster waren geil. Bei denen war immer etwas los, obwohl er schon fast zu alt für diese Art Trickfilm war. Pit konnte wirklich gut malen, doch im Zeichenunterricht brachte er kaum etwas zu Stande, da ihn die Themen langweilten. Sie sollten ihm mal einen Grund sagen, warum er Landschaften, Blumen oder sein schönstes Ferienerlebnis malen solle. Ihm fiel keiner ein. Dementsprechend lustlos machte er sich daran und malte immer ein paar Albernheiten mit hinein, wofür die bescheuerten Lehrer gar kein Verständnis hatten.

„Pit“, hörte er Frau Kordes, „wie würdest du da herangehen?“

Er schreckte hoch, denn es gab keinen weiteren Schüler namens Pit in seiner Klasse. Zum Glück hatte er noch aufgeschnappt, was sie wissen wollte, und er posaunte in voller Überzeugung „Von vorn“ heraus.

„Wie bitte?“

„Ich würde von vorn herangehen“, wiederholte er, wobei er sie anstrahlte und es genoss, dass die gesamte Klasse in ein lautstarkes Johlen ausbrach.

Inzwischen war Frau Kordes bis zu seinem Platz herangekommen und hatte seine Schmierereien auf dem Löschblatt entdeckt. Den Rest reimte sie sich zusammen.

„Gib mir bitte das Heft für deine Eltern.“

Widerwillig gab er es heraus und grinste erneut zu Henk hinüber. Der zeigte ihm den Siegerdaumen und Pit war froh, wieder ein paar Pluspunkte als cooler Schulkasper gesammelt zu haben.

„Man könnte denken, du bist Autogrammjäger. Mit meinem Eintrag wären es dann schon drei Unterschriften, die du bei deinen Eltern einzuholen hast“, höhnte sie. „Ich sollte mal wieder einen Termin bei ihnen machen.“ Seine vor ihm sitzende Mitschülerin sah ihn strafend an, worauf er ihr eine lange Nase drehte und sie sich beleidigt abwandte. Wurde Zeit, dass die letzte Stunde käme. Er fand, dass er für heute lange genug hier herum gesessen hatte.

Währenddessen langweilte sich Zalia an ihrem Swimmingpool. Sie hatte es sich im vollautomatischen Liegestuhl, der sich jeder Lage anpassen konnte, gemütlich gemacht. Sie drehte sich auf den Bauch, um auch dem Rücken etwas Bräune zukommen zu lassen. Der Bikini in sattem Rot, hob sich gerade noch von ihrem Sonnenbrand ab, aber bald würde kein Unterschied mehr zu sehen sein. Eigentlich war ihr Swimmingpool einmal ein Vulkan, dessen Krater sich mit klarem Wasser gefüllt hatte. Auf seinem Rand hatte sie ihr kleines Häuschen errichtet, neben dem der bereits erwähnte Liegestuhl stand.

Ein traumhafter Ausblick über ein saftiges, fruchtbares und hügeliges Land bot sich ihr dar. Die Natur verwöhnte sie mit einer enormen Farbvielfalt. Teilweise war die Landschaft in sich auflösende Nebel eingehüllt, dass ein Maler kein besseres Bild hätte erschaffen können. Doch Zalia hatte sich daran gewöhnt. Es war nichts Besonderes mehr. Endlich bemerkte sie, dass sie sich etwas zu viel Sonne gegönnt hatte, und schob eine der bauschigen Wolken direkt davor. Es war langweilig. Sie fuhr sich mit den Händen über die verbrannten Hautpartien und sah befriedigt zu, wie sich die Haut blitzschnell regenerierte und in sattem Braun Erholung vortäuschte. Sie stand auf und betrachtete zufrieden ihr Spiegelbild im klaren Wasser. Ihre schwarzen Haare wirkten wie von Pomade durchtränkt und formten sich zu exotischen Ornamenten, die ihren Kopf bis zu den Schultern schmückten. Sie gähnte, was sie abrupt beendete, als eine trillernde Vogelstimme ein melodiöses Lied erklingen ließ. Das konnte nur eine ihrer Freundinnen Zirr oder Zura sein, die fast täglich anriefen. Doch in letzter Zeit, vielleicht seit drei Wochen, hatte sich nur noch Zura gemeldet. Vermutlich machte Zirr Urlaub. Obwohl sie eigentlich immer frei hatten. Zalia war etwas mürrisch, da sich Zirr nicht abgemeldet hatte. Sie tippte an einen Punkt ihrer Frisur. Aus den Haaren löste sich ein kleiner Kopf, der nicht aufgefallen war, da sich dessen Haare Zalias Frisur angepasst hatten. Dieser schob sich auf einem dünnen Metalldraht empor. Dann gähnte er ausgiebig und zeigte gleich darauf eine konzentrierte Miene. Er war bereit, und Zalia konnte nun frei sprechen. Der Kopf dieses Haartelefons beugte sich jedes Mal zum Ohr Zalias hinunter und flüsterte ihr mit der Stimme der Anruferin das zu, was diese zu sagen hatte. Sein Gesicht übertrug sogar die Mimik, die ihre Gesprächspartnerin am anderen Ende während des Sprechens bot. Der Draht hatte den Kopf, beim Hinunterbeugen durch eine Biegung derart in Positur zum Ohr gebracht, dass er aufrecht neben der Ohrmuschel stand und Zalia dessen Gesichtsausdruck im Spiegel betrachten könnte, was sie sonst auch gern tat. Doch diesmal begnügte sie sich mit den akustischen Informationen. Wenn sie selbst den Gesprächspartner wählte, tat sie dies mit der Kraft ihrer Gedanken, die sich auf den Telefonkopf übertrugen. Zirr, die untreue Freundin, war am anderen Ende der Verbindung. Zalias Gesicht verfinsterte sich, was auch Zirr sehen könnte, wenn sie wollte. Sie setzte zu einem Vortrag an, der ihren Zorn deutlich werden lassen sollte. Sie kam jedoch nicht dazu, da Zirr sie mit einem Redeschwall und unzähligen Neuigkeiten zu beeindrucken verstand. Allein die Ankündigung, dass sie von ihrem Ausflug etwas mitgebracht hätte, das ihr nun viele Jahre lang Freude spenden würde, weckte Zalias Neugier. Mit weiteren Andeutungen über Menschenkinder und einer Idee, die sie auch nutzen könnte, lud sie Zalia zu sich ein und deutete an, dass Zura ebenfalls käme.

Sie schob ihre Antenne wieder ein, indem sie deren Kopf antippte, schlüpfte in ihren Rock, zog die weiße Bluse an und warf ihren roten Flugmantel über. Dieser war an den Handgelenken, im Nacken und am Bund des Rockes befestigt. Kurzentschlossen nahm sie Anlauf und stürzte sich über den Kraterrand. Sie kreischte vor Vergnügen, während sie sich mit angelegten Armen im freien Fall der prächtigen Landschaft näherte. Dann breitete sie die Arme aus und ging in einen Segelflug über, den sie überschwänglich mit vielen Kurven abwechslungsreich gestaltete. Das war Ausdruck ihrer unbändigen Vorfreude auf die geheimnisvollen Neuigkeiten. Sonst flog sie gewöhnlich in gerader Linie zu ihrem Ziel. Sie freute sich, dass mal wieder eine Abwechslung auf sie wartete. Das Leben als Hexe war nicht einfach, wenn man sich fast jeden Wunsch erfüllen konnte. Wie schnell nistete sich da die Langeweile ein.

Neuigkeiten

Es hatte sich bis zu Pits Schwester, Lana, herumgesprochen, dass Pit heute den Vogel abgeschossen hatte und einen neuen Rekord an Tadeln nachhause bringen würde. Sie wollte ihn unbedingt vor der Schule abpassen, um ihn sich vorzunehmen, bevor er seine Eltern, mit seinem plumpen Verhalten, in weitere Sorgen stürzen könnte. Sie wartete schon lange und hatte kaum Hoffnung, dass er heute noch heraus käme. Dabei war er gewöhnlich der Erste, der die Schule im Eilzugtempo verließ. Einer seiner Mitschüler erlöste sie, als er ihr berichtete, dass Pit vor Stunden abgehauen sei und den Weg über den Zaun des Schulhofes genommen hätte.

Vor Wut kochend, zog Lana ab. Sie fühlte sich für Pit ein wenig verantwortlich. Sie war schon viel verständiger und zwei Jahre älter als Pit. Obwohl er so gut wie nie auf sie hörte, versuchte sie es immer wieder. Manchmal, wenn er in der Klemme saß, kam es aber doch vor. Meistens waren sie jedoch wie Hund und Katze. Pit ließ sie deutlich spüren, dass ihm Mädchen nichts zu sagen hatten. Einzige Ausnahme schien ihre Freundin Stine zu sein, in deren Gegenwart er gern den Zahmen spielte. Sie war nicht so in die Höhe geschossen wie Lana und konnte sogar sanftmütig bleiben, wenn man sie provozierte. Zwei riesige Vorteile, die Pit zu schätzen wusste. Einerseits fühlte er sich ihr gegenüber nicht so klein und andererseits hatte er das Gefühl, dass er eine gleichberechtigte Stimme hatte. Lana gab es freiwillig zu, aber nur vor Stine, dass sie zu schnell aufbrause, wenn sie mit ihrem Tunichtgut von Bruder diskutierte. Schließlich müsse sie seine Spinnereien und seine Faulheit täglich ertragen, was nicht so einfach sei. Es war zu erwarten, dass Pit heute sehr spät nachhause käme, um die Zeit des Donnerwetters kurz zu halten. Folglich beschloss sie, ihre Hausaufgaben heute bei Stine zu erledigen. Sie fühlte sich wohl in deren Familie und wurde wie die große Schwester, nicht nur wie eine Freundin, behandelt. Lana war die Größte in ihrer Klasse und überragte Stine um einen ganzen Kopf. Sie litt etwas darunter und kleidete sich darum betont mädchenhaft. Auch mit ihrem lang geflochtenen Zopf, den sie eigentlich als lästig empfand, versuchte sie, nicht so erwachsen zu wirken. Stine lachte nur darüber und empfahl ihr, da sie volles starkes Haar besäße, es offen zu tragen.

Lana wich diesen Diskussionen aus, da dann die Sprache auf den leicht rötlichen Farbton ihrer Haare kommen könnte, den Pit gern als Zeichen des Satans hervorzuheben pflegte.

Bevor sie sich an die Hausaufgaben machten, entspannten sie sich bei einer ihrer Lieblings-CDs, die sie im Liegen genossen.

Stine hatte etwas Schelmisches an sich, als sie mit ihrer sommersprossenbehafteten Nase und dem kleinen Grübchen in der Wange, ihren Kopf mit geschlossenen Augen, im Takt der Musik, bewegte. Lana dagegen lag ganz still und lauschte. Ihr Blick hing an der Decke und hatte sich einen der Sterne ausgeguckt, den Stine dorthin geklebt hatte. Wenn das Licht ausginge, würden sie weiter leuchten. Lana wusste es, da sie schon einige male bei Stine übernachten durfte. Heute träumte sie davon, dass sich einer von ihnen in eine Sternschnuppe verwandelte, damit sie sich etwas wünschen könne. Sie wusste auch schon, was es wäre. Aber sie wartete vergeblich auf die Sternschnuppe.

Schon von Weitem konnte Zalia das Häuschen von Zirr sehen. Sie hatte es ebenfalls auf einer Anhöhe erschaffen. Eigentlich stand es nicht direkt darauf. Eine hervorspringende Felsklippe ragte auf ungefähr fünfzig Meter Breite über ein Tal hinaus, das vierhundert Meter darunter lag. Auch hier präsentierte sich wieder eine malerische Landschaft mit einem Flussdelta, aus dem vielfältige Stimmen von einer reichen Tierwelt kündeten.

Man konnte die Blumen riechen, die aus dem Tal ihren Duft empor schickten. Das Besondere an Zirrs Haus war, dass es nicht auf dieser hervorstehenden Klippe lag, sondern auf einem überdimensional großen Baum, der auf rätselhafte Weise seine Wurzeln in den Fels geschlagen und dort Halt und Nahrung gefunden hatte. Dieser wuchs in einer Schräglage von fünfundvierzig Grad über das Tal hinaus und reckte seine stolze Krone, von mindestens fünfhundert Metern Durchmesser, ebenfalls über das Tal, wobei er die Klippe, die ihn beherbergte, voll überdachte. In seiner gewaltigen Astgabelung hatte Zirr ihr Haus platziert. Drumherum gab es genug Auslauf. Es lag auf einer großen Plattform, in die ebenfalls ein Swimmingpool eingelassen war. Den Stamm herunter wand sich eine Schiene, die aus einem Strang bestand und am Fels angekommen eine Kurve machte, um sie in den Abgrund zu leiten. Es war eine Startrampe, die Zirr mit ihrem Spezialfahrzeug nutzte, das einem Motorroller (ohne Motor), jedoch mit Drachenkopf, ähnelte. Nach dem Abheben verwandelte es sich in einen Flugsaurier. Während Zalia es modisch und romantisch mochte, bevorzugte Zirr das Monströse und Abenteuerliche. Nicht zuletzt deswegen, versprach sich Zalia von der angekündigten Überraschung viel. Die Baumkrone hatte sich, bei Annäherung des Gastes, über Zirrs Grundstück gelichtet, so dass Zalia schon im Anflug die Freundinnen erkennen konnte. Zalia wusste, dass sie sich schließen würde, sobald sich Regen ankündigte. Zirr und Zura saßen im luftigen Sommerkleid am Pool und beobachteten zwei darin schwimmende Wesen, während sie sich vor Lachen bogen. Sie ließen sich nicht mal stören, als Zalia landete. Jetzt erkannte auch sie, was die beiden so amüsierte. Ein kleiner Junge von vielleicht zehn oder elf Jahren schwamm in panischer Angst vor einem großen Wal davon, der sein riesiges Maul aufriss. Er kämpfte um sein Leben und schrie um Hilfe, während nun auch Zalia in das Gelächter einstimmte. Jetzt erst wurde sie von den Freundinnen bemerkt.

Sie sahen zu ihr hoch und schwärmten: „Ist das nicht köstlich? Ist das Kind nicht herrlich dumm?“ Sie wendeten sich wieder lachend dem Schauspiel zu.

„Und er weiß tatsächlich nicht, dass Wale keine Fleischfresser sind und sich nur von Plankton ernähren?“

„Neiiiin. Er weiß noch viel mehr nicht. Er ist so dumm, dass wir den ganzen Tag lachen könnten. Er ist das ideale Spielzeug. Habe ich ganz umsonst bekommen. Darum war ich ein paar Monate nicht erreichbar.“

„Hast du ihn von den Menschen?“

„Klar. Da gibt es noch eine Menge von der Sorte.“

„Seine Mutter hat ihn dir einfach so gegeben?“

„Nein, das nicht.“

Sie ließ mit einem Fingerschnippen den Wal auf Karpfengröße schrumpfen und beobachtete grinsend den Jungen, der zitternd über die Leiter heraus kroch.

„Aber sie wird vermutlich feiern, jetzt, wo sie ihn los ist.“

„Du kannst doch aber, ohne Einverständnis, kein Menschenkind hier her bringen.“

„Oh doch. Ich habe sein Einverständnis und wir haben einen Vertrag.“

„Dürfen wir denn Verträge mit Kindern abschließen?“

„Jaaaa. Sobald es ein paar Jahre zur Schule gegangen ist, gilt es schließlich als intelligentes Wesen“, mischte sich Zura ein.

„Dann dürfen wir mit Menschen Geschäfte abschließen. Schließlich gibt es für beide Seiten eine echte Chance, Nutzen daraus zu ziehen.“

„Aber doch nicht mit Kindern.“

„Warum nicht? Sie haben vergessen, eine

Altersbeschränkung anzugeben. Allerdings haben sie die Bestimmungen jetzt verschärft. Neuerdings muss man dem Kind immer die Möglichkeit geben, einen Berater mitzubringen.“

Beide kreischten wie auf Kommando los und drohten an diesem Lachen zu ersticken.

„Kann ich mich jetzt anziehen und ins Haus gehen?“, kam die ängstliche Bitte des Jungen.

„Gleich Don, gleich.“

„Du solltest dir auch so ein Ding holen, bevor sie ihren Fehler bemerken.“

„Pass auf“, sagte sie nach einer Pause.

„Don, singe uns jetzt ein Lied.“

Sie starrten den Jungen mit lustig zusammengekniffenen Gesichtern an, wobei sie in Erwartung eines neuen Spaßes, das Lachen mit Gewalt zurückhalten mussten.

„Ich kann doch kein Lied. Das habe ich doch schon gesagt.“

„Sing jetzt, sonst …“, sie zeigte kurz ins Becken und Don stimmte quäkend seinen Gesang an.

„Alle meine Entchen schwimmen auf dem See, schwimmen …“

Die drei kreischten erneut los.

„Hörst du?“, rief Zirr, mühevoll nach Luft schnappend.

„Er ist so alt und kann nur Kindergartenlieder.“

Don war inzwischen bei „lalala“ angekommen, da er auch diesen Text nicht mehr vollständig beherrschte.

„Hör auf!“, befahl Zirr. „Singe etwas anderes.“

„Ich kann doch aber …“

„Du sollst nicht jammern, sondern singen!“

„Wie soll ich denn …“

Nun wurde Zirr wütend und ließ Don um seine eigene Achse drehen, so dass er wie ein Brummkreisel rotierte und für ihre Augen schon ganz unscharf war. Dann stoppte sie ihn abrupt. Don stand nur eine Sekunde still und begann sofort zu torkeln, als wolle er die Kreiselbewegung wieder aufnehmen. Er wäre unweigerlich auf den Boden geknallt, doch sein Drall beim Laufen führte ihn an den Pool, wo er hineinklatschte. Gleich darauf tauchte er wieder auf, um hektisch nach Luft zu schnappen.

Zirr hatte genug für heute. Sie erzeugte eine Wasserfontäne, die Don an Land trug und befahl ihm, ins Haus zu gehen.

„Meinst du nicht, dass du etwas zu hart mit ihm umgesprungen bist?“

„Keineswegs, Zalia“, empörte sich Zirr. „Du hättest mal erleben sollen, was der für eine große Klappe hatte und wie der mit anderen Kindern umgegangen ist, als er sich in Sicherheit fühlte. Bei solchen Kindern kannst du nichts falsch machen, Herzchen. Sie haben es verdient.“ Sie setzten sich an ihren Kaffeetisch, immer noch ein Lächeln im Gesicht.

„Und? Was meinst du? Wäre das was für dich?“ „Nicht übel. Aber wie muss so ein Vertrag aussehen? Und wo findet man so ein dummes Kind?“

„Na in den Schulen.“

„Sind sie nicht am dümmsten, bevor sie zur Schule kommen?“

„Manchmal schon, aber da sind sie noch zu jung, zählen formell nicht als intelligent und mit denen würde es auch keinen Spaß machen. Außerdem können die meisten dann noch nicht den Vertrag unterschreiben. Ohne das, geht gar nichts. Wegen unserer Gesetze. In den Schulen erkennst du außerdem die Dummen viel besser.“

„An den Zensuren?“

„Nein. Pass‘ auf, ich erkläre es dir. Wenn du ….“

Sie hatten die Schulranzen an die alte Weide geschmissen und versuchten nun, im davor liegenden Teich Frösche zu fangen. Henk hätte fast einen erwischt, doch er schlüpfte im letzten Moment aus der Hand. Jan war ebenso erfolglos wie Pit und so verloren sie bald die Lust daran. Stattdessen bespritzten sie sich mit Wasser und freuten sich über jeden Treffer. Dass sie sich dabei auch mit Schlamm eindreckten, störte keinen von ihnen. Erschöpft legten sie sich ins Gras und lästerten gemeinsam über das Buch, das sie in den nächsten zwei Wochen lesen sollten.

„Weißt du noch, wie es heißt?“ , fragte Jan.

„Nee, aber ich weiß, dass es grün war“, steuerte Pit bei. „Das ist schon mehr, als uns guttut“, ergänzte Henk.

Sie lachten über den Spaß, und beschlossen, sich das Buch von Frettchen erzählen zu lassen. Sie würden ihm schon sein Wissen entlocken. Zur Not mit ein paar Drohungen.

Eigentlich müssten sie noch die Hausaufgaben für morgen erledigen, doch der Tag war viel zu kurz. Wer soll das alles schaffen?

Bei dem Thema fiel Pit sein Mitteilungsheft wieder ein.

„Wie spät ist es eigentlich?“, fragte er besorgt.

„Kurz vor sieben.“

„Scheiße, ich muss los. Bestimmt warten sie schon mit dem Abendbrot und außerdem soll ich noch mein Heft unterschreiben lassen.“

„Kann es nicht aus Versehen in den Teich gefallen sein?“, schlug Henk vor.

„Wird wenig helfen. Die Tratschtanten Leoni und Natascha werden es bestimmt schon meiner Schwester verpetzt haben. Also macht’s gut Jungs. Bis morgen.“

Der Heimweg verdarb den ganzen Spaß des bisher fast schönen Tages. Er dachte an das hämische Gesicht seiner blöden Schwester und die Vorhaltungen seiner Eltern, die ihn zweifellos erwarten würden. Er sollte sich nicht geirrt haben. Lana empfing ihn schon an der Tür, als wenn sie die ganze Zeit auf ihn gelauert hätte.

„Benimm dich wenigstens heute anständig und ärgere Mutti nicht, wenn du ihr deine Hefteinträge zeigst. Sie hat heute Ärger im Betrieb gehabt und ist etwas k.o..“

Pit stolzierte an ihr vorbei, als wäre sie gar nicht da und schlich sich in sein Zimmer, wo er den Schulranzen in die Ecke schmiss. Es war zu dumm, dass ihn seine Mutter doch bemerkt hatte, als er an der Küche vorbeigehuscht war. Sie klopfte kurz und stand gleich darauf in der Tür. Ihm fiel auf, dass sie dunkle Ringe um die Augen hatte, was ihn nicht weiter sorgte, da sie immerhin schon fast vierzig Jahre alt war. Uralt, wie er fand.

Da war es ohnehin mit der Schönheit vorbei. Trotzdem sah sie noch frischer aus, als Henks Mutter, was ihm zwar ziemlich egal war, aber manchmal schon freute.

„Ja, ja“, maulte Pit. „Hat Lana wieder gepetzt?“

„Was sollte sie gepetzt haben?“, fragte sie verwundert. Einen Moment lang glaubte er ihr fast, aber Weiber steckten immer unter einer Decke und würden sich nie verraten. Achtlos warf er das Eintragungsheft für die Eltern auf sein Bett, was seine Mutter mit ängstlichem Blick nahm und las.

„Ach, Pit. Wann willst du endlich vernünftig werden? Warum bist du denn wieder eine Stunde zu spät gekommen? Du bist doch pünktlich aus dem Haus gegangen.“

„Ich wurde aufgehalten und dann wollte ich den Unterricht nicht unterbrechen.“

Sie bemerkte sein heimliches Grinsen und wurde wütend.

„Also, ich finde das nicht lustig und dass du den Unterricht störst ebenso wenig. Was geht in dir vor? Denkst du etwa, du lernst für mich? Was soll aus dir werden, wenn du die Schule nicht ernst nimmst?“

„Laber, laber, laber“, sagte er leise und hoffte, dass sie es nicht gehört hatte, während er die Augen verdrehte. Doch sie hatte gute Ohren und kurz darauf klatschte ihre flache Hand auf seinen Hinterkopf. Wütend und fassungslos starrte er sie an. Seine Augen wurden glasig, aber sie würde ihn nicht heulen sehen.

„Und wie siehst du überhaupt aus, total verdreckt. Du hast ab sofort Computerverbot, da du daran sowieso nur spielst. Und deinen Gameboy bekommst du erst zurück, wenn es in der Schule besser läuft!“

Mit dem Gerät in der Hand drehte sie sich zornig um und verschwand mit schnellen Schritten, wobei sie ihm, ohne sich umzudrehen, zurief:

„Und dann komme essen! Sofort!“

Er wollte noch mitteilen, dass er keinen Hunger hätte, obwohl der Bauch schon knurrte, entschloss sich dann aber, die Situation nicht weiter zu verschärfen.

Ein total beschissener Tag. Er hatte die Schnauze gestrichen voll und sah mit Grausen dem Abendessen entgegen, bei dem die Erzeugerfraktion, wie er seine Eltern unter Freunden nannte, ihn wieder unbegrenzt volllabern würde.

Es herrschte eisige Stimmung am Tisch. Es wurde kaum gesprochen. Als sein Vater zu einer empörten Rede ansetzen wollte, legte seine Mutter ihre Hand auf dessen Arm und brachte ihn damit zum Schweigen. Er spürte, dass sie heute nicht noch mehr Ärger verkraften könnte. Pit wagte es nicht, hochzuschauen, und aß nur das Notwendigste, um dann ins Zimmer zu verschwinden.

„Hast du deine Hausaufgaben schon gemacht?“, hörte er die Stimme des Vaters.

„Habe ich bei Henk gemacht“, log er und hoffte, dass es heute keine Kontrolle geben würde. Er hatte Glück. Seine Eltern wälzten eigene Probleme. Morgen war auch noch ein Tag. Dann könnte er sie sicher irgendwo abschreiben.

Zalia hatte ziemlich unruhig geschlafen. Sie fand es spannend, sich ein Menschenkind zu halten, das nach ihrer Pfeife tanzen würde und jede Menge Unterhaltung brächte. Noch aufregender fand sie den Spaß, dieses Balg reinzulegen. Es mit einem Vertrag auszutricksen, der es zu ihrem Diener machen würde, hörte sich gut an. Als Zirr ihnen von den an Don gestellten Aufgaben berichtet hatte, durch die er reich und berühmt werden könne, hatten sie das Abenteuer gespürt. Wie würde er reagieren, was ließe er sich alles gefallen, wie stark könnte man seine Dummheit ausnutzen, wie würde er sich bei Gefahren verhalten und so weiter. Es war wie ein Sportwettkampf, bei dem der Gewinner bereits vorher feststand. Die einzige Frage war, wie lange konnten sie diesen Spaß aufrecht erhalten? Zirr hatte schon bereut, dass sie die lustige Zeit zu kurz gehalten hatte. Don war viel zu schnell an den Aufgaben gescheitert. Sie hatte zu selten sein dummes Gesicht, nach den zahllosen Enttäuschungen, bewundern dürfen. Jetzt, wo er ihr Diener geworden war, hatte sie zwar auch genug Spaß, aber es war kein Vergleich zu den Momenten, als er um seinen Reichtum gekämpft hatte. Diesmal wollten sie es richtig auskosten. Zirr und Zura würden Zalia dabei helfen. Das nächste Kind würden sie länger mit seinen Hoffnungen quälen, um sich dann an seinem Versagen zu erfreuen. Heute wollten sie sich zu einer ersten Beratung treffen. Beginnen müsste es mit der Wahl des Kindes. Zirr hatte umfassende Nachforschungen betrieben, woran man ein dummes Exemplar erkennen könne.

Dumm macht wütend, hatte Zirr erklärt. Wenn dumme Kinder nicht weiter wissen, denken sie nicht nach, sondern werden aggressiv. Sie machen dann oft Sachen, die ihnen zusätzlichen Schaden zufügen. Dumm macht hässlich. Sie verlernen das Lachen und haben nur noch Freude, wenn sich die Kinder ärgern, die sich wohlfühlen. Und dumm macht faul. Sie scheuen alles, was Mühe bereitet und spielen lieber irgendwelchen sinnlosen Quatsch. Viele findest du darum fast nur noch vor Gameboys und anderen Spielgeräten. Dumm macht …

Zirr hatte Weiteres aufgezählt, was dumme Kinder kennzeichnen würde. Aber es sei wichtig, dass all diese Kennzeichen in einer Person vereint wären, dann könne sie ganz sicher sein, ein dummes Kind gefunden zu haben. Zalia freute sich auf diese neue Aufgabe. Sie wünschte, das Gespräch mit den Freundinnen wäre schon vorüber, damit sie ihrer Suche nach ihrem Menschenkind beginnen könne.

Pit hatte es heute Morgen eilig. Er packte das Heft mit den Unterschriften der Eltern ein, schlang die letzte Marmeladenstulle hinunter und schulterte seinen Ranzen. Ein kleiner Kuss für die Mutter, Vater war schon zur Arbeit, und das Versprechen, heute pünktlich sein zu wollen. Das zauberte ein Lächeln auf ihr Gesicht. Hätte sie geahnt, dass er das überpünktliche Frettchen noch erwischen wollte, um die Hausaufgaben abzuschreiben, wäre es mit der Freude vorbei gewesen.

Doch heute wollte er, dass sie sich freut, da sie ihn gestern vor der Standpauke des Vaters bewahrt hatte. Also musste er für vorbildlich erledigte Aufgaben sorgen. Mit Sicherheit hatte sie Fred akkurat in seiner Mappe verstaut. Er zickte zwar dauernd rum, aber hin und wieder rückte er sie raus, um Ruhe zu haben. Zum Glück hatten sie nur Mathe aufgehabt und soweit er sich erinnern konnte, war es nicht allzu viel.

Er sah Frettchen aus dem Haus kommen. Dort waren sie, seine Hausaufgaben. Zwei Straßen weiter war ein kleiner Park. Dort wollte er ihm auflauern. Er sah aus, als würde ihn sein Ranzen jeden Moment erdrücken, so zierlich wirkte der. Schwierigkeiten waren selten von ihm zu erwarten. Pit rannte vor und stürmte erst aus dem Busch, als Fred auf seiner Höhe war.

Der ahnte gleich, was los war, da Pit ihm schon mal an dieser Stelle aufgelauert hatte.

„Na, wieder zu faul gewesen die Hausaufgaben selbst zu machen?“

„Nicht zu faul Frettchen, sondern zu intelligent. Wollte meine Zeit damit nicht verplempern.“

„Und du bildest dir ein, dass ich sie dir gebe?“ Pit zog ein kleines Fläschchen aus der Hosentasche, in dem sich Tinte befand und drohte: „Wenn du nicht willst, dass die Tinte aus Versehen umkippt und in deinen Ranzen läuft, solltest du darüber nachdenken.“

„Oh, wie originell Pit. Diese Idee hattest du zwar schon dreimal, aber ich will nicht, dass du dich überanstrengst.“ Genüsslich sah Pit zu, wie Fred den Ranzen absetzte und sein Matheheft herausholte. Er tat das Gleiche, um die Lösungen abzuschreiben. So schnell hatte Fred selten nachgegeben. Sein sonst so ordentliches Heft wirkte liederlich, da die Seite mit dem Lösungsweg eingerissen und provisorisch wieder verklebt war. Doch was kümmerte ihn das. Viel Zeit war nicht mehr und sie wollten pünktlich sein.

„Bist ein feiner Kumpel“, spottete Pit, als er fertig war. Er rannte voran, um vor Fred in der Schule zu sein. Vielleicht könnte er diese Lösung Henk und Jan verkaufen, die immer ein paar Cent für ihn übrig hatten, wenn er ihnen aus der Patsche half. Anfangs hatte er das zur Bedingung gemacht, doch inzwischen war es normal. Sie gaben es gern und freiwillig, da sie viel mehr Taschengeld als Pit bekamen. Da sie die Lösungen tatsächlich brauchten, fühlte er sich als Held, der dem Professor wieder mal überlegen war.

Die Suche

Es wäre gut, hatte Zirr gesagt, wenn Zalia ihr Opfer in einer anderen Stadt suchen würde, als sie es getan hatte. Bei den Menschen verschwänden ständig Kinder. Es gab viele bösartige Erwachsene und genug leichtgläubige Gören. Manchmal konnte man deren Gehirn schon mit einem Stückchen Schokolade ausschalten. Es würde also nicht sonderlich auffallen, wenn sich wieder ein Kind in Luft auflöst. Doch verschwänden mehrere in der gleichen Stadt, machte es die Menschen deutlich wachsamer. Das würde ihnen die Suche nach einem passenden Kind erschweren. Zalia hatte darauf bestanden, sich ihr Exemplar ganz allein aussuchen zu wollen. Sie hatte sich etwas unauffälliger gekleidet. In einem grauen Kostüm, mit schwarzen Strümpfen stolzierte sie durch die Straßen. Sie hatte etwas Vertrauenerweckendes, zumal sie wie eine erfolgreiche Geschäftsfrau aussah. Die verspielte Frisur, die sie sonst trug, hatte sie gegen eine luftige Kurzhaarfrisur getauscht. Eine schwarze Aktenmappe unterm Arm vervollständigte das Bild. Niemand würde einer solchen Person misstrauen, wenn sie sich in der Nähe einer Schule herumtriebe. Zalia hatte sich ein kleines Auto besorgt, so dass sie unauffälliger beobachten könnte. Niemand würde an einem parkenden Fahrzeug Anstoß nehmen. Doch eine stehende Person, die ohne Grund einen Schulhof beobachtete, wäre schon komisch. Zalia konnte ihr Gehör ihren Wünschen anpassen. Peilte sie eine Gruppe von Zielpersonen an, verstand sie jedes Wort in beliebiger Lautstärke, selbst, wenn sie es flüsterten. Viele, kleine Gruppen standen dort herum, doch woran sollte sie erkennen, wo Kinder steckten, die dumm genug waren, ihr auf den Leim zu gehen?

Sie beschloss, wahllos die verschiedenen Gruppen durchzugehen. Ein paar Mädchen unterhielten sich über einen Fernsehfilm und schwärmten von einem bestimmten Schauspieler, was vielleicht interessant sein könnte. Einige Jungs sprachen über ein bevorstehendes Fußballspiel, was für sie auch nach Faulheit roch, doch als sie alle Beobachteten durch war und nicht eine Gruppe über die Schule gesprochen hatte, war sie verwirrt. Hatte sie so viel Glück, dass hier alle dumm waren? Sie entschied sich zu einem kleinen Test. Ein Mädchen stand am Eingangstor, direkt an der Straße und spielte an einem Gerät herum. Vermutlich ein Spiel. Sie hielt es sich gerade ans Ohr, als Zalia sie ansprach. Das Mädchen nahm das seltsame Teil sofort vom Ohr, drückte auf eine Taste und sah die fremde Frau erwartungsvoll an.

„Na Kleine? Würde es dir gefallen, reich zu sein?“ „Wem würde das nicht gefallen“, säuselte das Mädchen und lächelte sie an.

„Ich kann dir dazu verhelfen, wenn du für mich ein paar Aufgaben erfüllst.“

Zalias Herz klopfte stärker. Was würde sie sagen? Vielleicht wäre ja gleich der erste Versuch ein Treffer. Doch das Mädchen schaute sie plötzlich hasserfüllt an. Eine schrille Klingel begann zu läuten und alle Kinder bewegten sich auf das Schulgebäude zu. Die Kleine wandte sich ihr nochmal zu, bevor auch sie ging.

„Ich deale nicht. Deine bescheuerten Drogen kannst du dir in den Arsch stecken. Und nun verschwinde Tussi, bevor ich die Polizei rufe.“

Weg war sie. Unfassbar. Zalia wusste nicht einmal, wovon das Mädchen gefaselt hatte. Aber es war ein eindeutiges Nein. Ein zweiter Versuch wäre bei ihr zwecklos.

Es war ein gutes Gefühl, seine Hausaufgaben gemacht zu haben, dachte Pit bei sich. Es war gleich die erste Stunde, in der er sie brauchte. Der Lehrer, Herr Pfundt, kam wie immer zügig hereingestürmt und forderte die Schüler auf, sich zu setzen, was die sofort taten. Herr Pfundt war kein Pfundskerl, der auch mal ein Auge zudrücken konnte. Übergewichtig war er ebenfalls nicht. Er war drahtig und einer der strengsten und gefürchtetsten Lehrer. Jedoch nur von Pit und seinen Freunden.

Und ausgerechnet in Mathe mussten sie ihn haben. Das war ohnehin eines der bescheuertsten Fächer. Da konnte man nicht herumlabern. Es gab keine Bewertungen wie „ganz gut“, oder „schon interessant, doch es geht noch besser“, wie es im Fach Deutsch der Fall war. Hier gab es nur richtig oder falsch. Meistens behauptete Herr Pfundt, dass die Lösung von Pit nicht korrekt sei, und er solle mehr üben. Doch heute würde er nicht an ihm herum mäkeln können. Die Erledigung seiner Hausaufgaben hatte der Professor spendiert. Garantiert fehlerfrei. Pit fieberte der alles entscheidenden Frage entgegen und sein Finger schnellte hoch, als sie dann kam.

„Toll, Pit“, staunte Herr Pfundt. „Du willst heute die Lösung der Hausaufgabe vorstellen?“

„Ich will es versuchen“, sagte er bescheiden. „Habe mir große Mühe dabei gegeben.“

Sollte Frettchen ruhig blöd grinsen. Diesmal kam er zu spät.

„Na dann los Pit.“

Stolz präsentierte er seine Aufgabe.

„Die Aufgabenstellung war:

erklärte Pit, während er sie an die Tafel schrieb.

„Daraus folgt: (12 x ½) + (3-3) also 6 + 0 , womit das Ergebnis gleich 60 wäre.“

Triumphierend sah er seinen Lehrer an.

„Ist schon beachtlich, wie weit du gekommen bist. Du meinst also, dass die 6 und die Null sechzig ergeben.“

„Klaro.“

Er dachte gar nicht weiter darüber nach, und hörte auch nur halb hin, da sein Siegesgedanke ihn davontrug, zumal er die Lösung des besten Schülers der Klasse abgeschrieben hatte.

Schallendes Gelächter riss ihn aus seinen Träumen. Die Mitschüler tobten.

„Du möchtest also die Regeln der Mathematik heute neu definieren. Meinst du wirklich, wenn sich eine Null mit einem höheren Wert zusammen tut, vervielfacht er sich?“ Erst jetzt sah er an der Tafel, was er mechanisch abgeschrieben hatte. Natürlich wusste auch er, dass 6 + 0 nicht 60 ergab. Er hatte ein zweites Mal diese Aufgabe wie ein Bild abgemalt und einfach keine Lust gehabt, darüber nachzudenken.

„Setz dich bitte Pit. “, sagte der Lehrer enttäuscht. „Ich hatte schon die Hoffnung, dass dein richtiger Lösungsweg dich diesmal zum Erfolg führt. Aber es wäre dir wohl aufgefallen, wenn es deine eigene Lösung gewesen wäre, stimmt’s?“

Pit trabte zu seinem Platz und schmiss Fred einen drohenden Blick zu. Die Klasse grinste immer noch. Pit starrte den Rest der Stunde auf sein Heft und bekam nichts mehr mit. Er hatte genug damit zu tun, sich Rachepläne auszudenken, und der Lehrer ließ ihn zum Glück in Ruhe dösen. Er ahnte wahrscheinlich, dass ein weiterer Eintrag in seinem Mitteilungsheft nichts bringen würde.

Fred war klug genug, sich in der Pause zu den größeren Jungs zu stellen, denen er gelegentlich bei den Schulaufgaben geholfen hatte. Sie waren seine Versicherung. Hier würde sich niemand an ihn herantrauen. Aber irgendwann müsste auch er nach Hause.

Zalia hatte sich eine andere Schule ausgesucht. Geduldig wartete sie, bis das Pausenzeichen erschallte. Inzwischen hatte sie einen kleinen Einblick in das Schulleben bekommen, da sie sich in den letzten Stunden nur mit Beobachtungen beschäftigt hatte. Sie erkannte, dass die Kinder mit der großen Klappe nie allein standen. Komischerweise hatten die immer Anhänger. Schüchterne, oft die zierlichen Kleinen drückten sich dagegen öfter allein in den Ecken rum und wurden nicht selten gehänselt.

Sie hatte schnell begriffen, dass sie diese meiden musste. Ein großer, dickbäuchiger Junge gesellte sich gerade zu einer kleinen Gruppe. Er hatte unterwegs, einen anderen beiseite gestoßen, während er die Hände in den Hosentaschen hatte. Der Junge war ängstlich weitergegangen. Die Gruppe, zu der sich der Dicke gesellte, begrüßte ihn johlend und einer rief dem angerempelten Jungen zu, ob er sich nicht entschuldigen wolle. Hier könnte sie fündig werden. Gemein, Spaß am Unglück anderer und verspielt. Alles traf zu. Sie hatte registriert, dass sich die Gruppe, vor Eintreffen des Neuankömmlings, ausgiebig über ein neues Computerspiel unterhalten hatte, in dem es galt, möglichst viele Feinde abzuballern. Sie begeisterten sich daran, wie toll die Effekte mit dem spritzenden Blut gestaltet waren und prahlten mit ihren Erfolgen. Zum Beispiel, welches Level sie bereits erreicht hätten.

Zalia musste warten. Sie wollte ihr Kind allein erwischen. Zu viele Zeugen könnten ihren Plan vereiteln oder ihr Opfer beeinflussen. Endlich verließ einer von ihnen den Schulhof und steuerte einen Bäcker an, der am Ende der Straße lag. Während der Junge, es war der Dickbäuchige, im Laden war, rief die Schulglocke zum Unterricht. Zalia war froh, da sie so niemand bei ihrem Gespräch stören würde. Der Junge kam mit einer Tüte Kuchen heraus und stopfte sich bereits den ersten Bissen in den Mund. Ein kurzer Schreck durchfuhr ihn, als er keine Kinder mehr auf dem Schulhof sah. Doch er beruhigte sich schnell und schlenderte gemütlich weiter. Zalia überholte ihn von hinten und sprach ihn an, als sie auf gleicher Höhe war.

„Na, keinen Unterricht heute?“

„Was geht Sie das an?“, maulte er mit vollem Mund, wobei ihm ein paar Krümel heraus fielen.

„Ich hatte auch nie Spaß an der Schule.“

„Schön.“

„Trotzdem ist aus mir etwas geworden. Willst du wissen wie?“

„Nee.“ Es störte ihn, dass er nicht mal in Ruhe essen konnte.

„Ich könnte dir verraten, wie man reich wird, ohne zu arbeiten.“

„Kann noch nicht reich werden. Bin erst 13.“

„Ich kann selbst Kinder reich machen. Du brauchst nicht einmal das Einverständnis deiner Eltern.“

Sein Mund blieb offen stehen, als er sie anstarrte. Zalia konnte das Kleingekaute darin erkennen und ihr wurde übel, so dass sie sich wegdrehte.

„Wenn du pfiffig bist, hast du in zwei Wochen soviel Geld, dass du deine Eltern ernähren könntest.“

„Was muss ich dafür tun?“

„Zwei Wochen lang ein paar Aufgaben erfüllen. Wir können das schriftlich ausmachen.“

„Ist das anstrengend?“

„Etwas schon. Dafür sind es nur zwei Wochen und danach musst du dich nie wieder anstrengen.“

„Warum soll ich ihnen das glauben?“

„Weil ich mehr kann, als die Menschen.“

„Was denn?“