Professor Zamorra 1261 - Michael Schauer - E-Book

Professor Zamorra 1261 E-Book

Michael Schauer

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Beschreibung

Das kleine Boot schaukelte sanft auf den Wellen. Der Ruderer
warf einen Blick über die Schulter. Von seinem Verfolger war nichts zu sehen.
Der Gedanke an seine tote Mutter quälte ihn. Die Erinnerung schnürte ihm die Kehle zu. Er griff nach der steinernen Träne, die an einem dünnen Lederband um seinen Hals hing. Um sie besser betrachten zu können, streifte er sich das Band über den Kopf. In diesem Moment erfasste eine Welle das Boot. Die Träne entglitt seiner Hand und versank im Meer.
Das waren die Götter gewesen, da war er sicher. Sie hassten ihn, so wie sie auch seine Mutter gehasst hatten. Sie wollten nicht, dass er in der Menschenwelt war.


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Inhalt

Cover

Tränen aus Stein

Leserseite

Vorschau

Impressum

Tränen aus Stein

von Michael Schauer

Die Stimme in seinem Kopf kicherte leise.

»Im Schutze der Nacht werden wir es vollbringen. Wir beide gemeinsam.«

»Was hast du vor?«

»Sie unschädlich machen. Wir müssen vorsichtig sein, denn sie ist sehr stark.«

Unschädlich machen? Hatte sie vor, jemanden zu töten? Das war doch Wahnsinn. »Von ... von wem sprichst du?«

»Ihr Name ist Nicole Duval ...«

Das kleine Boot schaukelte sanft auf den Wellen. Klatschende Geräusche waren zu hören, wenn die Ruder ins Wasser eintauchten. Der Himmel war blau und klar, nur vereinzelt trieben Wolkenfetzen träge über das Firmament. Der Ruderer war erschöpft und schweißüberströmt. Doch der Anblick der Insel, die er jetzt am Horizont erspähte, verlieh ihm neue Kräfte. Er warf einen Blick über die Schulter. Von seinem Verfolger war nichts zu sehen.

Der Gedanke an seine tote Mutter quälte ihn. Er sah ihren sterbenden Körper vor sich, in einer Lache aus dickflüssigem schwarzem Blut auf dem nackten Boden liegend. Die Erinnerung schnürte ihm die Kehle zu.

Er griff nach der steinernen Träne, die an einem dünnen Lederband um seinen Hals hing. Um sie besser betrachten zu können, streifte er sich das Band über den Kopf.

In diesem Moment erfasste eine Welle das Boot.

Die Träne entglitt seiner Hand und versank im Meer.

Eine Weile lang starrte er auf die Wasseroberfläche, das Gesicht verzerrt vor Zorn. Das waren die Götter gewesen, da war er sicher. Sie hassten ihn, so wie sie auch seine Mutter gehasst hatten. Sie wollten nicht, dass er in der Menschenwelt war.

Dann begann er wieder zu rudern.

Dreitausend Jahre später.

Maurice Chevalier schloss die Augen und genoss den Wind, der vom Meer her zum Strand wehte, sein Gesicht streichelte und mit seinen Haaren spielte. Obwohl es bereits dämmerte, war die Luft warm und so feucht, dass ihm sein weißes Leinenhemd am Körper klebte. Doch im Vergleich zu der Hitze, die an diesem Julitag in Marmaris geherrscht hatte, waren die Temperaturen jetzt angenehm. Kaum ein Lüftchen war gegangen, und in seinem Liegestuhl hatte er sich gefühlt wie in einer Sauna. Nicht mal ein Sprung ins Meer hatte Erfrischung gebracht, denn das Wasser hatte sich unter der Sonne aufgeheizt und war lauwarm. Und das sollte Erholung sein? Warum war er nur nicht zu Hause geblieben?

Weil sie ihn dazu überredet hatte. Du musst mal etwas anderes sehen, hatte sie gesagt und keine Ruhe gegeben, bis er mit ihr in ein Reisebüro gegangen war. Die meisten Leute informierten sich über ihre Urlaubsziele online, aber das behagte ihm nicht. Er hatte lieber in einem Katalog blättern wollen, was er dann auch ausgiebig getan hatte. Und jetzt war er hier.

Nun, er nahm es ihr nicht übel. Sie hatte es gut gemeint, so wie sie es immer gut mit ihm meinte. Das Essen in dem Hotel, das sie für ihn ausgesucht hatte – natürlich hatte sie es am Ende ausgesucht, denn er hatte sich angesichts des riesigen Angebots zu keiner Entscheidung durchringen können –, war köstlich, das musste er zugeben. Vorher hatte er keinen Schimmer gehabt, was die türkische Küche zu bieten hatte. Nun hatte sich ihm eine ganz neue kulinarische Welt erschlossen. Allein dafür hatte sich die Reise dann doch gelohnt.

Bei dem Gedanken begann sein Magen zu knurren. Bald war Essenszeit. Noch ein paar Minuten, dann würde er den Rückweg antreten. Hinter sich hörte er den allabendlichen Lärm des Küstenstädtchens. Marmaris bereitete sich auf das Nachtleben vor, allerdings würde er nicht daran teilhaben. Partys und Diskotheken waren ihm ein Gräuel. Zu laut, zu voll, und zu fortgeschrittener Stunde roch es unangenehm nach Schweiß.

Als er in seiner unmittelbaren Nähe Stimmen hörte, schlug er die Augen auf. Zwei Mädchen in weißen Sommerkleidern spazierten am Strand entlang und steuerten in seine Richtung. Sie waren noch keine zwanzig Jahre alt, schätzte er. Eines von ihnen hatte lange blonde Haare, die des anderen Mädchens waren braun und kurz geschnitten. Die beiden waren in eine Unterhaltung vertieft und schauten nicht einmal auf, als sie unmittelbar vor seiner Nase an ihm vorbeiliefen. Das seichte Wasser platschte unter ihren nackten Füßen. Anhand der Gesprächsfetzen, die er aufschnappte, vermutete er, dass es sich um Italienerinnen handelte.

Er schaute ihnen nach und ertappte sich dabei, dass er auf ihre wohlgeformten Hinterteile starrte. Chevalier war es gewohnt, nicht beachtet zu werden. Vor allem nicht von Frauen. Seine hagere Erscheinung mit dem dürren Hals, dem länglichen Schädel, der von roten, lockigen Haaren umrahmt wurde, und der dicken Brille, die er auf der hakenartigen Nase trug, schien für sie unsichtbar zu sein. Weswegen er trotz seiner fünfundzwanzig Jahre noch Jungfrau war.

Ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Kehle. Ob sich das jemals ändern würde? Wenigstens fand er Anerkennung in seinem ersten Job, den er erst vor einem halben Jahr angetreten hatte. Sein Chef war hochzufrieden mit ihm und lobte ihn bei jeder Gelegenheit.

Chevalier schaute auf seine Uhr. Das Hotel war etwa zehn Minuten fußläufig entfernt. Wenn er an seinem letzten Urlaubstag pünktlich beim Abendessen sein wollte, musste er langsam aufbrechen. Er hoffte, dass Ebru heute Abend Dienst hatte. Er liebte es, die schlanken Hände der hübschen Kellnerin zu beobachten, wenn sie ihm von dem blutroten, kräftigen Hauswein einschenkte – nur ein wenig, er vertrug so gut wie nichts und fühlte sich schon nach ein paar Schlucken benebelt.

Als er sich gerade in Bewegung setzen wollte, fiel ihm das Glitzern zu seinen Füßen auf. Chevalier runzelte die Stirn. Da lag etwas im Wasser, das eben noch nicht dort gewesen war. Er ging in die Hocke und griff danach. Es fühlte sich an wie ein Stein, so wie Millionen andere, die an dem Strand lagen. Nur war das kein Stein.

Er führte das Objekt näher ans Gesicht und kniff die Augen zusammen. Es war etwa halb so lang wie sein kleiner Finger und hatte die Form eines Tropfens oder einer Träne. Es war durchscheinend wie Glas und von feinen, vollkommen gleichmäßigen Linien durchzogen, als wenn ein Künstler sie mit einer Nadel hineingeritzt hätte. Die Linien schimmerten in einem matten Rot.

Chevalier legte das Fundstück auf die Handfläche und fuhr sacht mit dem Zeigefinger der anderen Hand darüber. Die Oberfläche war feucht vom Meer und fühlte sich kühl und rau an. Ein Schmuckstück? Als führte er ein Zwiegespräch mit sich selbst, schüttelte er den Kopf. Das war kein Edelstein. Neben seinem Hauptfach Archäologie hatte er lange genug Geologie studiert, um das beurteilen zu können. So etwas Merkwürdiges war ihm noch nie untergekommen.

Er stand auf und sah sich um. Die beiden Mädchen waren inzwischen weit entfernt und nur noch Schatten vor der allmählich im Meer versinkenden Sonne. Hinter ihm an der Küstenstraße tummelten sich die zahlreicher werdenden Spaziergänger, die lachten und angeregt miteinander plauderten. Niemand beachtete ihn oder schaute auch nur in seine Richtung.

Seine Kehle fühlte sich trocken an, als er das seltsame Objekt in seiner Hosentasche verschwinden ließ. Die türkischen Behörden verstanden keinen Spaß, wenn jemand versuchte, potenzielle archäologische Artefakte aus dem Land zu schmuggeln. Sogar am Strand eingesammelte Steine waren ahnungslosen Touristen schon zum Verhängnis geworden. Doch dieses Ding war so klein, dass es bei der Kontrolle am Flughafen bestimmt nicht auffallen würde. Wenn sich überhaupt jemand die Mühe machte, seine Sachen zu durchwühlen.

Er hatte es gefunden. Es gehörte ihm. Er würde es mit nach Frankreich nehmen, um es dort zu untersuchen und das Rätsel zu entschlüsseln. Denn dass es ein Rätsel gab, davon war er in diesem Moment fest überzeugt.

Mit klopfendem Herzen trat er den Rückweg an.

Nicole Duval nahm den Hörer ab. »Hallo?«, meldete sie sich.

»Nicole, bist du es?«

Sie runzelte die Stirn. Die weibliche Stimme kam ihr bekannt vor, doch es gelang ihr nicht, sie einzuordnen.

»Ich bin es, Annabelle. Aus Dijon.«

Jetzt fiel bei ihr der Groschen. »Annabelle? Das glaube ich ja nicht. Was für eine Überraschung. Es muss ewig her sein.«

Die Anruferin lachte. »Wenigstens fünf Jahre.«

»Eher sechs«, rief sie und musste ebenfalls lachen. Vor ihrem geistigen Auge erschien Annabelles Gesicht, als hätten sie sich erst vergangene Woche getroffen. Ein feines, ebenmäßiges Antlitz mit heller Haut und umrahmt von schwarzen Haaren. Beinahe hatte sie wie eine Fee gewirkt, als sie sich in einer Bar kennengelernt hatten. Nicole war im Rahmen eines Auftrags in Dijon gewesen und hatte kurz entschlossen zwei Tage Urlaub angehängt, um die für ihren Senf berühmt gewordene Stadt zu besichtigen. An ihrem ersten Abend hatte sie Annabelle kennengelernt. Sie hatten sich sofort glänzend verstanden und den nächsten Tag zusammen verbracht. Als sie sich verabschiedet hatten, hatten sie nicht nur ihre Telefonnummern ausgetauscht, sondern sich auch das Versprechen gegeben, sich bald wiederzusehen. Doch wie das Leben manchmal so spielte, es war nie dazu gekommen, und irgendwann war Annabelle nur noch eine angenehme, jedoch immer fernere Erinnerung gewesen. Umso mehr freute es Nicole, dass sie sich gemeldet hatte.

»Wie geht es dir?«, wollte Annabelle wissen.

An ihrem Tonfall bemerkte sie, dass die Frage vorgeschoben war und ihrer Bekannten etwas auf den Nägeln brannte. Sie war nur zu höflich, um mit der Tür ins Haus zu fallen. Nicole spürte einen Hauch von Enttäuschung. Irgendwie wäre es ihr lieber gewesen, wenn Annabelle nur deshalb angerufen hätte, um sie auf ein gemeinsames Wochenende einzuladen.

»Mir geht es gut, meine Liebe. Und wie sieht's bei dir aus?« Das kurze Schweigen am anderen Ende bestätigte Nicole in ihrer Ahnung.

»Ich wollte, ich hätte mich nur deshalb gemeldet, damit wir uns endlich wiedersehen«, antwortete Annabelle schließlich. »Und tatsächlich will ich das auch. Ich habe oft an dich gedacht und mir ein ums andere Mal vorgenommen, mit dir zu telefonieren, und dann kam doch wieder etwas dazwischen. Aber leider geht es nicht nur darum. O je, das ist mir jetzt irgendwie unangenehm. Was musst du nur von mir denken?«

»Annabelle, das ist kein Problem, ich bin ganz entspannt«, beruhigte Nicole sie. »Ich hätte ja auch bei dir durchklingeln können.«

»Da hast du wohl recht«, erwiderte sie mit einem leisen Lachen.

»Also, worum geht's? Sprich frei von der Leber weg«, ermunterte sie Annabelle.

»Du hast mir damals erzählt, dass du dich manchmal mit übersinnlichen Phänomenen beschäftigst. Mit Dingen, die sich ... nun ja, nicht eindeutig erklären lassen. Wenn ich ehrlich bin, habe ich dir das nicht so recht abgekauft.« Sie kicherte verlegen.

Nicole musste schmunzeln. »Du erinnerst dich richtig, Annabelle, ich habe hin und wieder mit solchen Dingen zu tun.«

»Immer noch?«

»Ja, immer noch.«

»Ich komme mir beinahe etwas dumm vor, aber ... Ich glaube, ich muss meine Meinung ändern, was das angeht. Hättest du Zeit, dir hier in Dijon etwas anzusehen?«

Nicoles Tatendrang erwachte augenblicklich. Zamorra weilte für eine Vortragsreihe in Paris, die dunklen Mächte schienen gerade eine Pause eingelegt zu haben, es war Freitag, und es stand nichts an. Warum nicht ein Wochenende im Burgund verbringen? »Das passt mir sehr gut, Annabelle«, sagte sie kurzentschlossen. »Weißt du was, ich könnte noch heute Abend losfahren.«

»Das klingt wunderbar.« Sie stockte. »Vielleicht bilde ich mir auch nur etwas ein. Aber ich dachte, es könnte nichts schaden, wenn eine Expertin ... Also, ich wollte einfach nichts unversucht lassen.«

Nicole wurde ernst. »Bist du in Gefahr?«

»Nein. Nein, auf keinen Fall, mach dir keine Sorgen. Ich würde dir lieber alles persönlich erzählen.«

»Dann mache ich dir einen Vorschlag. Es ist jetzt acht Uhr. Wenn ich mich gleich ins Auto setze, bin ich gegen elf in Dijon. Ich buche mir von unterwegs ein Hotel. Und morgen treffen wir uns.«

»Das klingt großartig, Nicole. Ich arbeite immer noch im Krankenhaus und habe gleich Spätschicht. Danach muss ich für ein paar Stunden ins Bett, sonst falle ich während unserer Unterhaltung vom Stuhl. Wie wäre es um zwölf morgen Mittag? Ich kenne ein nettes Bistro in der Innenstadt, das Le Bistrot des Halles. Die machen ein hervorragendes Risotto mit Gambas.«

»Hört sich gut an. Ich bin dabei.«

»Ich freue mich auf dich. Dann bis morgen. Und danke, dass du kommst!«

»Nichts zu danken. Bis dann.« Nicole legte auf. Ein feines Lächeln umspielte ihre Lippen, während ihr Blick auf dem dunkel gewordenen Display ruhte. Sie hatte eigentlich mit dem Gedanken gespielt, Zamorra einen Überraschungsbesuch in Paris abzustatten. Er hatte noch bis morgen zu tun und wollte Sonntag früh die Heimreise antreten. Sie hätten einen netten Abend in der Hauptstadt verbringen können. Nun, das Schicksal hatte es anders gewollt. Sie wählte seine Nummer.

Nachdem es fünf Mal geläutet hatte, wollte sie gerade auflegen, als er doch noch ranging. »Hallo, Gebieterin«, meldete er sich.

Nicole lachte. »Gebieterin hört sich gut an. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich dieses Telefonat aufgezeichnet, um es dir bei passender Gelegenheit vorzuspielen. Alles gut bei dir?«

»Alles läuft ganz hervorragend. Ich wohne in einem schönen Hotel, habe sehr interessierte Zuhörer und allerlei dienstbare Geister um mich herum. Man hat mir sogar eine persönliche Assistentin zur Verfügung gestellt, die mich in den Pausen mit Croissants und Kaffee versorgt. Eine sehr hübsche, langhaarige Blondine mit himmelblauen Augen und Beinen bis zur Zimmerdecke.«

»Du solltest besser aufpassen, dass du nicht demnächst mit einem himmelblauen Auge herumläufst«, erwiderte sie und gab sich alle Mühe, dabei ernst zu klingen.

»Ich liebe deine direkte Art, Nici, habe ich dir das schon einmal gesagt?«

»Gelegentlich. Ich hoffe nur, du liebst auch den Rest von mir.«

»Jeden Zoll. Und wenn ich nicht gleich losmüsste, würde ich das nur zu gerne im Detail mit dir erörtern. Zu meinem großen Bedauern bin ich zum Dinner eingeladen.«

»Von der langhaarigen Blondine?«

»Nein, von einem älteren Herrn mit grauen Haaren und kurzen Beinen. Und was hast du heute noch vor?«

»Ich setze mich gleich ins Auto und fahre nach Dijon.«

»Ist Madame Claire der Senf ausgegangen?«

»Witzbold.« Sie berichtete ihm von ihrem Gespräch mit Annabelle. Dabei fiel ihr auf, dass sie nicht mal den vollen Namen ihrer Bekannten wusste. Sie hatten sich damals nur mit dem Vornamen vorgestellt.

»Hm«, machte er, als sie geendet hatte. »Glaubst du, es steckt etwas Ernsthaftes dahinter?«

»Schwer zu sagen. Sie hat damals einen sehr aufgeräumten Eindruck auf mich gemacht. Ich glaube eigentlich nicht, dass sie jemand ist, die sich etwas zusammenspinnt. Vielleicht ist es etwas ganz Harmloses. Geräusche im Keller, die von Ratten hinter den Wänden verursacht werden, oder etwas in der Art.«

»Wie dem auch sei, pass auf dich auf.«

»Du kennst mich doch.«

»Eben. Ich muss jetzt wirklich los, chérie.«

»Viel Spaß heute Abend. Ich melde mich morgen früh bei dir, okay?«

»Um neun Uhr habe ich den nächsten Vortrag.«

»Ich rufe spätestens um viertel nach acht an.«

»Ich kann's kaum erwarten. Bis dann.«

Zamorra beendete das Gespräch. Nicole öffnete den Internetbrowser auf ihrem Rechner und nahm sich einige Minuten Zeit, um sich ein Hotel zu suchen. Das Grand Hotel La Gloche gefiel ihr. Auf einem Zettel notierte sie die Telefonnummer. Sie würde von unterwegs anrufen und ein Zimmer buchen. Dann eilte sie ins Schlafzimmer, um ihre Sachen zu packen.

Die Boxershorts und das Shirt klebten Maurice Chevalier am Körper. Selbst das Bettzeug war durchgeschwitzt, und noch immer lief ihm der Schweiß in Strömen. Seine Haut glühte, als sei er von einem Fieber ergriffen. Vor einigen Minuten war er erwacht, doch er konnte nicht genug Kraft aufbringen, um sich aufzurichten und der kühlen Feuchte seines Bettes zu entkommen. Die Krankheit, die ihn befallen hatte, drückte ihn wie mit eisernen Klauen auf die Matratze.

Was war nur los mit ihm?

Drei Wochen war es jetzt her, seit er aus der Türkei zurückgekehrt war. Sechs Tage später hatte es angefangen. Erst hatte er eine nervöse Unruhe verspürt, die rasch schlimmer geworden war. Am Ende hatte er nicht mehr damit aufhören können, durch seine Wohnung zu wandern. Von der Küche ins Wohnzimmer ins Bad und dann wieder zurück. Es war so schlimm geworden, dass er sich im Museum krankgemeldet hatte. Er hatte ja kaum noch stillsitzen können.

Als Nächstes hatte die Stimme in seinem Kopf angefangen, zu ihm zu sprechen. Eines Morgens war sie plötzlich da. Anfangs war es nur ein Wispern gewesen, zu leise und unverständlich, als dass er die Worte hätte verstehen können. Die Stimme war zu einem lästigen Ohrgeräusch geworden, das nicht mehr verstummen wollte, außer wenn er schlief, was ihm aufgrund seiner inneren Unruhe aber schwerfiel. Also hatte er sich Schlaftabletten besorgt.

Dann waren die Träume gekommen. Grauenhafte Albträume, die ihn mehrmals in der Nacht aus dem Schlaf gerissen und schnell Spuren hinterlassen hatten. Sein körperlicher Zustand hatte sich zunehmend verschlechtert. Jetzt fühlte er sich matt und schwach, die Haut hatte eine bleiche Farbe angenommen, und unter den Augen hatten sich dunkle Ringe gebildet. Wenn er in den Spiegel sah, fühlte er sich an den Vampir in diesem alten Stummfilm erinnert.

Eines Nachts hatte die Stimme ihn aufgeweckt. Zum ersten Mal hatte sie klar und deutlich gesprochen. Seltsamerweise hatte er jedes Wort der ihm völlig unbekannten Sprache verstehen können. Sie hatte einen Auftrag für ihn gehabt, und wie selbstverständlich hatte er dafür gesorgt, dass er erfüllt wurde. Als es erledigt war, war es ihm besser gegangen.

Bis er die Veränderungen auf seiner Haut bemerkt hatte.