Gespenster-Krimi 114 - Camilla Brandner - E-Book

Gespenster-Krimi 114 E-Book

Camilla Brandner

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Beschreibung

Eintragung aus einer alten Chronik der Ortschaft Wutterholme, Indiana, USA:

Gehst du nachts über den Maresfield Hill, sei ganz still! Sei ganz still!
Denn wenn sie dich sehen, wird’s dir übel ergehen.
Hörst du sie trappeln und zappeln und rappeln?
Die Hexen, die Brut aus der Unterwelt, die treiben´s dort oben, wie´s ihnen gefällt.
Sie drehen sich widdershins johlend im Tanz und küssen den Ziegenbock unter den Schwanz.
Sie schleifen das Messer, es schneid´t schon viel besser,
Sie blecken die Zähne, sie dürsten nach Blut.
Das schmeckt gut! Das schmeckt gut!


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Inhalt

Cover

Der Fluch der Maresfield-Villa

Vorschau

Impressum

Der Fluch derMaresfield-Villa

von Camilla Brandner

Eintragung aus einer alten Chronik der Ortschaft Wutterholme, Indiana, USA:

Gehst du nachts über den Maresfield Hill, sei ganz still! Sei ganz still!

Denn wenn sie dich sehen, wird's dir übel ergehen.

Hörst du sie trappeln und zappeln und rappeln?

Die Hexen, die Brut aus der Unterwelt, die treiben´s dort oben, wie´s ihnen gefällt.

Sie drehen sich widdershins johlend im Tanz und küssen den Ziegenbock unter den Schwanz.

Sie schleifen das Messer, es schneid't schon viel besser.

Sie blecken die Zähne, sie dürsten nach Blut.

Das schmeckt gut! Das schmeckt gut!

Widdershins (gegen den Uhrzeiger) nennt man die Art, wie die Hexen tanzen, da sie alles verkehrt herum machen, um Gott, der die Dinge rechtens geschaffen hat, damit zu verspotten.

Dieses Lied wird heute noch von betrunkenen und vorwitzigen Leuten gesungen, so oft man ihnen auch sagte, sie sollten das sein lassen, weil sie damit nur die Teufelsbrut aus der Erde hervorlocken. Und wehe denen, die auf den Gedanken kämen, es nicht nur zu singen, sondern dazu auch noch zu tanzen!

Dass auf dem Maresfield Hill oben, lange bevor dort ein Haus erbaut wurde, in gewissen Nächten des Teufels Jünger tanzten und ihre gräulichen Zeremonien vollführten, das war vor langer Zeit, und keiner von den heute Lebenden hat es mit eigenen Augen gesehen. Es gibt aber viele Hinweise darauf, dass dies nicht nur ein leeres Geschwätz ist.

Ganz gewiss ist, dass dort oben kein Vieh weiden will, mag das Gras auch noch so hoch und saftig sein, und dass es auch den Menschen nicht geheuer ist. Man hat nämlich jedes Mal, wenn einer dort zu ackern oder einen Garten anzulegen versuchte, viele Knochen in der Erde gefunden, die meisten von Kindern im Alter unter fünf Jahren, und an allen waren Scharten zu sehen, als hätte einer das Fleisch mit einem Messer von den Knochen gekratzt, und zackige Löcher in ihren Köpfen, als hätte man ihnen das Gehirn aus den Schädeln gelöffelt.

Der Pfarrer von Wutterholme hat einst einen Traum gehabt, wie dieses Treiben ausgesehen haben mag, und da es ihm schien, dass der Traum vom Himmel gesandt war zur Warnung für die leichtsinnigen Leute, ließ er einen Maler kommen und hieß ihn ein Bild malen von dem, was er geträumt hatte.

Als es nun fertig war, war das Gemälde aber so unsäglich gräulich, dass niemand es ansehen wollte. Darauf sah man nämlich Gruppen krummrückiger Schreckgespenster, von Kopf bis Fuß in wallendes Schwarz gekleidet. Manche trugen Kapuzen, andere hohe, gehörnte Hauben mit ausgestopften Zipfeln, auf denen Eulen und Fledermäuse hockten, und darunter blickten Gesichter hervor, wie man sie abseits eines Albtraums glücklicherweise nur selten zu sehen bekommt: gelbe Fratzen mit löchrigen Zähnen, vorquellenden, schielenden Augen und wie Schwefel glühenden Pupillen.

Andere waren wie graue Nonnen gekleidet und trugen auch deren ihre Schleier, aber sie hatten die blinden Augen und käsigen Gesichter von Kadavern. Sie trugen widerliche braune Flecken wie Muttermale im Gesicht, und ihre Münder boten den Anblick schwarzer Höhlen, in denen einzelne Zahnstummel blinkten. Eine dieser Teufelsnonnen trug in einem Korb ein paar jämmerlich schreiende nackte Säuglinge. Eine andere las aus einem Buch vor, aus dem brandige Schwaden aufstiegen.

Deshalb gab der Pfarrer rasch und heimlich dem Maler das vereinbarte Geld und hieß ihn das Dorf verlassen, ehe die Sache noch mehr böses Blut machte. Das Bild ward von da an von niemand mehr gesehen, und man sagt – Genaues weiß aber niemand – der Pfarrer habe es heimlich oben auf der Kuppe des Maresfield-Hügels eingegraben, da es an einem verfluchten Ort am besten aufgehoben sei.

Wie das auch gewesen sein mag, es herrschte große Verwunderung in Wutterholme, als der reiche Bauer Adam Leversham im Jahre 1860 sich dort ein Haus erbauen ließ und mit seiner ganzen Familie drin wohnte. Gebe Gott, dass sie kein Unheil ereile.

Aufgezeichnet im Jahre des Herrn 1861.

Es gab Leute, die behaupteten, Adam Leversham müsse selbst mit dem Teufel im Bunde gewesen sein, dass der ihn so unbehelligt gewähren ließ, als er auf der Hügelkuppe sein hölzernes Haus im damals modernen »American Queen Style« baute, aber geschickten und erfolgreichen Leuten sagt man bekanntlich viel Böses nach, das nicht unbedingt stimmen muss.

Jedenfalls wohnte Adam mit seiner Frau und seinen Kindern und Enkeln unbehelligt in dem Haus, das die Maresfield-Villa genannt wurde, nur sein Vieh musste er im Tal unten auf die Weide treiben, denn oben auf dem Hügel hätten sie keinen Grashalm gefressen.

Das Gerede, dass es mit der Familie Leversham noch ein böses Ende nehmen würde, war schon fast verstummt, als im Jahre 1912 der seit Langem erwartete Blitz einschlug – mit einer Wucht, dass ganz Wutterholme bis in die Grundfesten erschüttert wurde. Im Herbst dieses Jahres, zu Halloween, ereignete sich nämlich in der Maresfield-Villa ein so grausiges Verbrechen, dass sogar noch die Zeitungen in der fernen Hauptstadt Indiana davon berichteten.

Man kann in ihren längst vergilbten Ausgaben nachlesen, dass ein Hausmädchen, Trudy Penwick mit Namen, dort an einem einzigen Abend elf Kinder ermordete, die sich zu einem Fest mit Kürbiskuchen und Apfelmost zusammengefunden hatten, und dass sie nach der Tat sich selbst in ihrer Kammer erhängte.

Die Untat rief so große Wut und Verzweiflung unter den ihrer Kinder beraubten Eltern hervor, dass sie den Leichnam der Penwick aus dem Haus auf die Straße schleiften, dort mit Petroleum übergossen und anzündeten, und die verbrannten Überreste an einem namenlosen Ort verscharrten. Die ermordeten Kinder wurden im Friedhof von Wutterholme in weißen Särgen begraben. Dort erinnert heute noch eine Marmorplakette an die unglücklichen Opfer einer rasenden Wahnsinnigen.

Danach dachten viele Leute, die Familie Leversham würde das Haus verlassen, aber sie blieben dort und verschlossen nur die Zimmer im mittleren Teil des Gebäudes, in dem das Verbrechen geschehen war. Wenn man ihnen das vorhielt, so antworteten sie mürrisch, in jedem Haus in Wutterholme seien schon Menschen gestorben, und sie dächten nicht daran, ihre mit so viel Mühe erbaute Heimstätte zu verlassen und obdachlos in die Welt zu ziehen, nur weil einmal ein Unheil geschehen sei.

Noch bis ins Jahr 1980 wohnten einige Levershams dort, zuletzt zwei alte Schwestern, die bei ihren Nachbarn verhasst waren und viel Gerede verursachten. Sie waren nämlich an die neunzig Jahre alt, krumm und kraftlos, und hatten keine andere Dienerschaft als einen seltsam hässlichen, ortsfremden Jungen von acht oder neun Jahren, der zu nichts anderem zu brauchen war als zum Einkaufen und Gras schneiden – und dennoch war das Haus in allen seinen Teilen auf eine ganz wunderbare Weise sauber und ordentlich, als sei jeden Tag eine Schar von Mägden mit Scheuersand, Essig und Reisbürsten darin unterwegs.

Man wusste auch nicht, woher die Schwestern ihr vieles Geld hatten, denn sie hielten kein Vieh mehr, nicht einmal Hühner oder Hasen. Sie verkauften auch nichts, aber der Junge bezahlte immer mit guten amerikanischen Dollars. Als sie endlich starben, verschwand er, und mit ihm das Geld. Deshalb sagten einige Nachbarn, er sei ein Vagabund und Dieb gewesen, aber andere Nachbarn dachten an etwas viel Schlimmeres, nämlich dass er mit seinen haarigen Bocksbeinen und vorstehenden Zähnen ein Familiare gewesen sei, ein böser Geist, der den Leversham-Schwestern zu Diensten war.

Da die Familie ausgestorben war und das Haus in einem so guten Zustand, übernahm es im Jahr 1980 der National Heritage Trust, der für die Erhaltung historischer amerikanischer Gebäude zuständig ist. Es wurde ein Verwalter eingesetzt und mehrere Fremdenführerinnen angestellt, die Touristen durch das Haus geleiteten und ihnen dessen Geschichte erzählten, wobei natürlich die Mordzimmer das meiste Interesse erregten. Immer öfter kamen auch Okkultforscher, einzeln oder in Teams, die nächtelange Sitzungen abhielten, und da sie viel besser bezahlten als die Touristen, waren sie den Historikern sehr willkommen.

Professor Albertin vom National Trust protestierte zwar heftig gegen den Vorwurf, dass er »eine Tragödie ausschlachtete« und »Mordopfer als Gruselpuppen« missbrauchte, aber es waren immer noch genug Leute der Meinung, dass er genau das tat.

Die alten Unken in Wutterholme hörten nicht auf mit düsteren Prophezeiungen, dass das Böse im Haus immer noch sehr lebendig sei, und sie führten genau Buch über die vielen, teilweise recht ungewöhnlichen, Unglücksfälle, die sich darin abspielten. Sie notierten auch genau, was im Mai 2020 einem jungen Mädchen mit Namen Greta Macaulay widerfuhr, das vor Kurzem als Fremdenführerin im Haus zu arbeiten begonnen hatte.

In der Maresfield-Villa bei Wutterholme, Indiana, im Mai 2020

»Mach auf, du Idiot! Mach sofort die Tür auf! Ich bin verletzt – das ist kein Spaß mehr, lass mich raus!«

Die letzten Worte wurden zu einem krampfhaften Husten, als der allgegenwärtige Staub in Greta Macaulays Lungen drang. Sie war wütend und verängstigt zugleich. Sie war gefangen – in einem der am meisten gefürchteten Spukhäuser von ganz Amerika! Nie hätte sie gedacht, dass eine ihre Kolleginnen so dämlich sein könnte, sie zum Spaß hier einzusperren – in den dunklen, stickigen Gängen zwischen den Wänden der Maresfield-Villa, die nur das schwache Licht ihres Handys erleuchtete.

Sie musste sofort wieder hinaus. Wo, zum Teufel, war die Tapetentür, die eben erst hinter ihr ins Schloss gefallen war? Sie konnte sich noch keine fünf Schritte davon entfernt haben.

Aber da war keine Tür.

Obwohl der Raum nach oben hin weit über ihren Kopf bis zum Dachfirst reichte, fürchtete Greta mit einem Mal, zu ersticken. Der Gang zwischen der Außenwand aus dicken Bohlen und der Bretterwand zum Inneren des Hauses hin war so schmal, dass selbst die schlanke Achtzehnjährige kaum Platz genug hatte, die Arme seitlich auszustrecken, und er starrte förmlich vor Dreck.

Kein Wunder, er hatte seit 1860 keinem anderen Zweck gedient, als das auf einem Hügel stehende Haus gegen die schlimmsten Angriffe von Sturm und Kälte zu isolieren. Sonst wurde er nicht benutzt, außer von allem möglichen häuslichen Ungeziefer, das sich dort ungestört einquartiert hatte.

Ameisen und kleine Käfer auf dem Holzboden. Fledermäuse in der spitz zum Dach hinauf zulaufenden Balkendecke. Staub, der sich seit Jahrzehnten in dicken, braunen Flocken hier ablagerte. Schmutzige Spinnennetze, deren Bewohnerinnen vor dem Licht geflüchtet waren, aber zweifellos bald wieder herauskrabbeln würden. Bei dem Gedanken, dass ihr eines dieser Scheusale in die Haare fallen könnte, begann Greta zu weinen.

Ihre linke Hand, die sie an einem Glassplitter verletzt hatte, brannte. Die Handfläche war voll Blut. Nicht, dass der Schnitt an sich gefährlich gewesen wäre, aber wenn Schmutz in die Wunde kam, drohte der Wundstarrkrampf. Sie wusste nicht mehr, wann sie eigentlich zuletzt geimpft worden war.

Und jetzt erlosch auch noch das Lämpchen in ihrem Handy, obwohl der Akku vor einer halben Stunde noch voll aufgeladen gewesen war!

Greta verlor die Nerven. Obwohl kaum Platz genug war, die Knie anzuwinkeln, polterte sie mit den Schuhen gegen die Bretterwand, schlug mit den Fäusten dagegen, kreischte, brüllte, verbrauchte ihren gesamten bescheidenen Vorrat an Schimpfwörtern für die Person, die sich einen so blödsinnigen Spaß erlaubt hatte. Nichts davon half.

Schließlich hielt sie inne, heiser vom Schreien und dem Staub in ihrer Kehle. Ihr wurde bewusst, wie albern sie sich benahm. Statt zu toben hätte sie lieber den letzten Saft in ihrem Handy dazu verwenden sollen, einen Notruf abzusetzen! Das Büro des Heritage Trust – der landesweiten amerikanischen Vereinigung zum Schutz historisch wertvoller Gebäude – lag ja keine fünfzig Schritt vom Haus entfernt in der ehemaligen Scheune, und im Städtchen Wutterholme unten gab es eine Polizeistation.

Mit wieder erwachendem Mut schaltete sie das Handy ein – und bekam statt des Startbildschirms die Grafik einer leeren Batterie zu sehen! Himmel, nicht einmal der Notruf funktionierte mehr!

Plötzlich erschöpft, sackte sie an der Wand zusammen, zog die Knie eng an den Leib und legte den Kopf darauf. Ruhig atmen, befahl sie sich selbst. So schlimm war ihre Situation gar nicht. Es war zehn Uhr vormittags an einem hellen Frühsommertag gewesen, als sie vom Büro kommend das Haus betreten hatte und die schmale Treppe zu den ehemaligen Kinderzimmern im Oberstock hinaufgestiegen war, um im Auftrag ihrer Chefin ein möglicherweise lockeres Fenster zu kontrollieren.

Hatte am Ende Emma Luckett ...? Nein, die ranghöchste Fremdenführerin war eine ruhige, vernünftige Frau in mittleren Jahren und absolut nicht zu bösartigen Scherzen geneigt. Sie musste jetzt drüben in der Scheune sein – der Rezeption, wie es so großartig hieß – und sie würde nachsehen kommen, wenn Greta nicht wieder auftauchte. Schließlich war das Haus mit seinen extrem steilen Treppen nicht ungefährlich.

Vor Jahren war ein Mann sogar auf einer dieser Treppen zu Tode gestürzt. Aber der war mitten in der Nacht heimlich ins Haus eingedrungen und darin herumgeschlichen, um Fotos von den Blutflecken in den beiden Mordzimmern zu machen und sie teuer zu verkaufen. Er hatte die Tücken der Maresfield-Villa nicht gekannt, ihre Hühnerleitern, die abnorm niedrigen Türen – 1860 waren die Leute kleiner gewesen als jetzt – und die unregelmäßigen Türschwellen. Wenn man damals beim Bauen auf eine Felsplatte stieß, hatte man sich nicht lange mit Ausgraben oder Sprengen aufgehalten, sondern einfach zwei Stufen eingefügt. Die Hügelkuppe war voll mit Felsbrocken und Mulden gewesen, die man auf diese Weise begradigt hatte. Keine zwei Zimmer im Erdgeschoss lagen auf derselben Ebene.

Greta beruhigte sich langsam. Was war denn schon Schlimmes passiert? Sie hatte kurzfristig den Verstand verloren vor Schrecken über diese unerwartete Bosheit, das war alles. Die Tür konnte nicht weit sein. Sie musste einfach nur aufstehen und in der Dunkelheit nach beiden Seiten tasten. Es war nicht schwierig, die Außen- und Innenwand allein mit dem Tastsinn zu unterscheiden. Grobe, der Länge nach gespaltene Balken auf der einen Seite, auf der anderen glatt gehobelte, außen mit Tapeten beklebte Bretter.

Vorsichtig rappelte sie sich auf, streckte die Hände aus. Ah! Links waren die Bretter, das fühlte sie deutlich. Dort musste auch die Tür sein. Die war zwar außen, wo sie in die Zimmerwand eingepasst war, mit Tapete überklebt, aber nicht auf der Innenseite. Wenn sie gut aufpasste, mussten die Angeln und der Spalt zwischen Türblatt und Stock zu spüren sein. Sie begann sich vorsichtig vorwärts zu tasten, Schritt für Schritt.

Dann fiel ihr plötzlich etwas ein, das sie in ihrer wilden Panik völlig vergessen hatte. Sie selbst durfte ja noch keine Führungen machen, aber natürlich hatte man ihr, als sie vor ein paar Wochen ihren Dienst antrat, das gesamte Haus gezeigt, und da waren sie auch durch diese Tapetentür getreten und hatten mit einer starken elektrischen Taschenlampe links und rechts in den Gang geleuchtet.

Hineingegangen waren sie nicht, aber Greta Macaulay hatte ganz deutlich gesehen, dass die Schliefgänge sauber waren. Keine Käfer. Keine Fledermäuse. Keine Spinnen. Kein Staub. Und ein knalliges Plakat an der Wand, das die Okkultforscher ermahnte, nach jeder Séance ihren Müll wieder mitzunehmen und das historische Gebäude auf keine Weise zu verunreinigen, da ihnen sonst keine weiteren Besuche mehr gestattet würden.

Wo, in aller Welt, war sie?

Unwillkürlich blieb sie stehen – und stieß an jemanden, der sich unmittelbar hinter ihr befunden hatte. Sie konnte nichts sehen, denn eine kräftige schwarze Hand hielt ihre Schulter gepackt, sodass sie sich nicht umdrehen konnte, aber es war die Stimme einer jungen Frau, die ihr zuflüsterte: »Komm mit. Du sollst meine Zeugin sein. Du sollst ihnen sagen, was damals wirklich geschehen ist.«

»Im Haus ist sie jedenfalls nicht.« Hubert Frenkel, der vom National Heritage Trust eingesetzte Verwalter der Maresfield-Villa, schüttelte ratlos den Kopf. »Wir haben überall nachgesehen, sogar unter den Betten.«

»Und in den Schliefgängen zwischen den Mauern«, ergänzte Emma Luckett, die Chefin des Fremdenführer-Teams. »Auf jeden Fall scheint sie im Kinderzimmer im Oberstock gewesen zu sein, denn dort lagen Glasscherben mit frischen Blutspuren und ein blutfleckiges Papiertaschentuch auf dem Boden. Nachdem sich die Tapetentür in diesem Zimmer befindet, dachten wir, vielleicht war sie neugierig und hat da drinnen Umschau gehalten, obwohl ja nicht wirklich was zu sehen ist. Aber da war nichts. Hubert und ich sind die volle Länge abgegangen, bis wir wieder bei der Tür ankamen. Nichts. Keine Spur.«

Die beiden Polizeibeamten der Wache des Städtchens Wutterholme traten nur verlegen von einem Fuß auf den anderen, aber der Polizist aus Indianapolis, den man zur Verstärkung geholt hatte, fragte irritiert: »Keine Fußspuren? In solchen Schliefgängen liegt der Staub normalerweise zwei Finger dick.«

»Nicht bei uns«, beeilte Emma sich zu erklären. »Sehen Sie, die Maresfield-Villa ist eine historische Sehenswürdigkeit, da finden regelmäßig Führungen statt, auch in den Schliefgängen. Sie können sich´s selbst ansehen. Die sind so sauber wie alle anderen Räume auch. Schon wegen der Paranormalen – ich meine, der Geisterjäger, die sich besonders dort Resultate erhoffen.« Und als der Detektiv sie etwas ratlos anblickte, erklärte sie: »In diesen doppelten Wänden ist die energetische Spannung sehr hoch. Ich verstehe ja nichts davon, aber die Forscher sagen, sie bekommen dort oft bessere Ergebnisse als in der Küche, dem eigentlichen Tatort des Massenmordes.«