Gespenster-Krimi 119 - Camilla Brandner - E-Book

Gespenster-Krimi 119 E-Book

Camilla Brandner

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Beschreibung

Aus der Pfarrchronik von Fairworth, England, im Jahre 1872

Heute war im Dorf ein großes Geschrei und Zusammenlaufen von Leuten ob der Missetaten zweier Kinder, genannt Adele und Vincent Trowman, 12 und 10 Jahre alt. Diese waren seit jeher verhasst, da sie ohne Vater waren, nicht getauft und weder zur Schule noch zur Arbeit willig, sondern nur zu allerlei Bosheiten, Niedertracht und Verbrechen. Sie überfielen in wüsten Verkleidungen aus schmutzigen Säcken vermummt die Dorfkinder an einsamen Stellen, wo sie dieselben schlugen, kratzten, schnitten und bissen, und nunmehr ist noch Schlimmeres ans Licht gekommen - dass Vincent nämlich, mit Beihilfe seiner Schwester, an diesen Kindern allerlei gräuliche Unzucht verübt hat, wovon die Opfer nichts zu sagen wagten.
Darob riefen viele Leute, man sollte die beiden samt ihrer Mutter ohne lange Justiz aus der Welt schaffen, denn ihr Verhalten beweise nur, was man schon lange munkelte - dass sie gar keine richtigen Kinder seien, sondern Skeeritts, wie man die Gnome in der Tiefe von Aberton Hill und ihre halbmenschlichen Bastarde nennt.


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Inhalt

Cover

Der Schrecken von Abbadons Hill

Vorschau

Impressum

Der Schreckenvon Abbadons Hill

von Camilla Brandner

Aus der Pfarrchronik von Fairworth, England, im Jahre 1872

Heute war im Dorf ein großes Geschrei und Zusammenlaufen von Leuten ob der Missetaten zweier Kinder, genannt Adele und Vincent Trowman, 12 und 10 Jahre alt. Diese waren seit jeher verhasst, da sie ohne Vater waren, nicht getauft und weder zur Schule noch zur Arbeit willig, sondern nur zu allerlei Bosheiten, Niedertracht und Verbrechen. Sie überfielen in wüsten Verkleidungen aus schmutzigen Säcken vermummt die Dorfkinder an einsamen Stellen, wo sie dieselben schlugen, kratzten, schnitten und bissen, und nunmehr ist noch Schlimmeres ans Licht gekommen – dass Vincent nämlich, mit Beihilfe seiner Schwester, an diesen Kindern allerlei gräuliche Unzucht verübt hat, wovon die Opfer nichts zu sagen wagten.

Darob riefen viele Leute, man sollte die beiden samt ihrer Mutter ohne lange Justiz aus der Welt schaffen, denn ihr Verhalten beweise nur, was man schon lange munkelte – dass sie gar keine richtigen Kinder seien, sondern Skeeritts, wie man die Gnome in der Tiefe von Aberton Hill und ihre halbmenschlichen Bastarde nennt ...

Dieser Niederschrift folgte eine vom damaligen Pfarrherrn selbst angefertigte Federzeichnung, die zwei abstoßend aussehende Kinder zeigte. Dem halbwüchsigen Mädchen hing dünnes, blassblondes Haar in einzelnen Strähnen von einem halb kahlen Kopf; sein Gesicht war totenbleich, narbig und vollkommen ausdruckslos, als hätte es eine Pappmaske vorgebunden.

Seine dürren Beine waren nackt, die mageren Arme hingen halb aus einem abgetragenen Kittel. In einer Hand hielt es einen vor Schmutz starrenden Jutesack, an dem Federn und Zeitungsfetzen aufgeklebt waren.

Noch widerwärtiger erschien der ebenso ärmlich gekleidete zehnjährige Junge, der mit seinem großen, kurz geschorenen Kopf, seinen verwitterten Zügen und den abstehenden Segelohren mehr einem garstigen Greis ähnelte als einem Kind.

Darunter stand: Wahrhaftige Abbildung der »Skeeritts« Adele und Vincent Trowman, welche von dem zornigen Volk von Fairworth samt ihrer Mutter Catherine, einem bösen Weib, mit Steinwürfen und Schlägen auf die Kuppe des Abertons Hill gejagt und dort in die tiefen Schächte und Gruben gestürzt wurden, damit sie zu den Ihrigen heimkehrten, wobei sie mit Weinen und Kreischen und Fluchen viel Lärm machten. Auch hörte man noch lange nachher ein Poltern in der Erde, als tobten wilde Tiere darin.

In einer anderen Handschrift und Tinte war zwei Jahre später hinzugefügt worden: Was hier geschrieben, hat sich nachher als bewiesen herausgestellt, denn durch den Sturz in den Schacht gestorben ist nur Catherine Trowman. Diese war ein sterbliches menschliches Weib und hatte sich, wie man sagt, nur aus Liederlichkeit und Habgier auf den Umgang mit den Skeeritts eingelassen, denn sie geben denen, die ihnen dienstbar sind, reichlich edle Steine und Metalle. Ihre Kinder aber hat man in den rauen Nächten des Jahres schon mehrmals über den Hügel schleichen gesehen, in derselben Erscheinung, wie man sie auf dem Bildnis sieht.

Dieser Abertons Hill war ein niedriger, stumpfer Hügel, der Ähnlichkeit mit einem angeschnittenen Napfkuchen hatte. Ein Teil seiner Flanke war nämlich schon vor langer Zeit eingestürzt, sodass sich dort jetzt eine tiefe, dreieckige Bucht befand. Der Einsturz hatte geoffenbart, was man schon längst vermutet hatte: Der Hügel war durchzogen von Gängen und Stollen, von denen niemand wusste, ob sie natürlichen Ursprungs waren oder Überreste menschlicher Bauten.

Hatte der durch großporiges Gestein strömende Regen vieler Jahrhunderte diese Unterwelt ausgewaschen? Waren sie das Werk unablässig rieselnder Höhlengewässer? Oder waren es uralte Überreste längst vergessener Bergwerke und Steinbrüche? Manche Gelehrte wiesen darauf hin, dass sie Ähnlichkeit hätten mit den mysteriösen »Heidenkirchen«, die man an vielen Stellen in England und Irland fand: Verwirrende Labyrinthe enger, seltsam gewundener Gänge, die mit großer Mühe und Umsicht angelegt worden waren – aber welchem Zweck sie gedient hatten, war immer noch rätselhaft.

Nischen in den Wänden und klobige Steintische wiesen auf die Möglichkeit hin, dass sie der Abhaltung prähistorischer religiöser Zeremonien gedient hatten. Selbst in diesem Fall hätten jedoch nur sehr kleine Menschen daran teilnehmen können, so erdrückend niedrig waren die Stollen.

Und so durfte man es den abergläubischen Leuten, deren Berichte die ältesten Seiten der Kirchenchronik von Fairworth füllten, nicht übelnehmen, wenn sie behaupteten, diese Höhlen seien die Wohn- und Opferstätten des unheimlichen, bösartigen und blutgierigen »Alten Volkes«, das immer wieder das Dorf terrorisierte: Kreaturen ohne Seele, aber dem Menschen verwandt in allen seinen schlechtesten Eigenschaften wie Habgier, Putzsucht, Gefräßigkeit, Unzucht und Gewalttätigkeit. »Abertons Hill«, so hatte der Pfarrer behauptet, der als Erster an der Chronik geschrieben hatten, sei auch gar nicht der wirkliche Name des Hügels, sondern eine zweckdienliche Verschleierung seiner ursprünglichen Bezeichnung: »Abbadons Hill« – Eigentum und Wohnstätte eines der finstersten Dämonenfürsten, den die jüdisch-christliche Mythologie kennt.

Mittsommernacht in Fairworth, England, im Jahr 1890

Es war noch heller Tag, als der Wirt der »Bunten Kuh« in Fairworth, einem bescheidenen Dorf an der Küste der Keltischen See, zwischen Plymouth und Southampton gelegen, die Fensterläden schloss und die Schankstube versperrte.

Das Abendläuten der kleinen Kirche war soeben verklungen. Heute würde kein Gast mehr kommen – jedenfalls keiner aus der näheren Umgebung. Und einen Fremden würde Tom Cotton nicht hereinlassen.

Die Mittsommernacht stand bevor, die Nacht, in der alle bösen Geister ihre Freiheit hatten, und wer wusste schon, was da in vorgetäuschter, menschlicher Gestalt an seine Tür pochte? Wenn man einen solchen verdächtigen Bittsteller nicht hereinließ, dann warf er voll Zorn ein Stück blutiges Fleisch vor die Tür, um zu zeigen, was einem unter seinen Händen geschehen wäre.

»Komm, Bartl!«, rief der Wirt seinem Hund zu. »Heut brauch ich dich im Haus!«

Der gefleckte Molosser, groß wie ein Kalb und mit einem Schrecken erregenden Gebiss, der sonst nichts und niemanden fürchtete, sprang blitzschnell von seinem Platz im Hof auf und verschwand in der Stube. Alle Tiere wussten, was ihnen in dieser Nacht drohte. Deshalb hatte Tom Cotton sie alle von der Weide geholt und in den Stall getrieben, dessen Türen und Fenster verschlossen waren.

»Alles bereit, Tom?«, fragte eine freundliche Stimme. Der Wirt blickte auf und sah den Pfarrer aufs Haus zukommen. Es war kein gewöhnlicher Besuch, der geistliche Herr trug seine Stola um die Schultern und in der Hand den Weihwedel samt einem Behälter mit Weihwasser. »Dann lass uns anfangen; ich hab noch das ganze Dorf vor mir. Ein Glück, dass Fairworth so klein ist!«

Ohne weitere Reden gab er Tom den Behälter mit dem Weihwasser in die Hand. Leise betend umschritt er Haus und Ställe, wobei er immer wieder einen kräftigen Schwung des Dämonen abwehrenden Wassers auf die Türen spritzte. Der Gastwirt folgte ihm und murmelte seine Gebete mit. Als der Geistliche seine Runde vollendet hatte, begleitete er ihn bis zum Hoftor und verabschiedete ihn.

Pfarrer Sebastian schritt zum Dorf hinunter, das etwas unterhalb der »Bunten Kuh« zwischen der Landstraße und dem Strand lag. Es war bedrückend, welche geisterhafte Stille heute hier herrschte, an einem so warmen und friedlichen Abend, an dem sonst alle Bauern und Fischer das Ende ihrer harten Tagesarbeit mit einem Glas Bier in der Schankstube gefeiert hätten, während die Frauen auf dem Dorfplatz schwatzten und die Kinder lärmend umherrannten.

Heute war jedes Haus und jeder Stall verschlossen, an allen Türen steckten Sträußchen von Palmzweigen und Johanneskraut, vor denen das böse Gesindel ebenso zurückschreckte wie vor dem Weihwasser. Wie im Tode erstarrt lag Fairworth da. Erst morgen nach Sonnenaufgang würde sein Herz wieder zu schlagen beginnen. Dann war Ruhe bis zur nächsten »bösen Nacht« zu Halloween.

Mehrmals im Jahr drohte dieselbe Gefahr – zu Walpurgis am 30. April, in der Mittsommernacht, in der Nacht vor Allerheiligen und in den »zwölf rauen Nächten« um Weihnachten.

In Fairworth hatte man sich an diese Plage gewöhnt, wie man sich an die Tücken des Meeres gewöhnte, eine unausweichliche Last, die man widerwillig, aber in Geduld auf sich nahm. Hier war man aus langer Tradition gewarnt, aber ... Der Pfarrer seufzte leise. Wehe dem Fremden, der in dieser Nacht vergeblich ein Obdach suchte!

Als er von seiner Runde zurückkehrte, sank die Sonne bereits hinter den Horizont, und die sanfte Wärme des Abends wandelte sich auf eine unbehagliche Weise. Es war schwül, kein kühlender Windhauch strich von der fernen Südküste Irlands herüber. Alle Boote lagen hoch oben am Strand, vertäut und zugedeckt. Nur die beiden Laternen brannten, die die Hafeneinfahrt kennzeichneten – aber welches Boot war in der Mittsommernacht auf der Wasserstraße zwischen England und Irland unterwegs? Nicht einmal die Schmuggler, die sonst so eifrig ihr Gewerbe trieben, wagten sich hinaus.

Sebastian trat in seine kleine, aus Feldsteinen erbaute Kirche, legte die feierlichen Insignien seines Amtes ab und zog sich in dann ins Pfarrhaus zurück, wo sein kaltes Abendessen auf dem Tisch stand. Seine Wirtschafterin war schon unmittelbar nach dem Abendläuten ins Dorf hinunter gelaufen, um die Nacht bei ihrer Verwandtschaft zu verbringen.

Keinen Tag des Jahres hatte die Alte ihn sonst im Stich gelassen, aber in einer solchen Nacht des Bösen floh sie, weil die Türe der Kirche als einzige im Dorf nicht versperrt blieb. Wenn einer das Unglück hatte, hier, in unbekannter Gegend, von der Nacht überrascht zu werden, so stand ihm jedenfalls das Haus des Herrn als Zuflucht offen – wenn er sie annehmen wollte.

Sebastian dachte mit Schaudern daran, wie Jahre zuvor eine Kutsche mit einer fröhlichen Gesellschaft – junge Eheleute und ihre Begleiter – spätabends in Fairworth aufgetaucht war und Obdach in der Schänke verlangt hatte. Das Angebot, in der Kirche zu übernachten, hatten sie erst lachend, dann zunehmend ärgerlich abgelehnt und waren schließlich weitergefahren ...

Eine Meile entfernt, unter dem dräuenden Schatten des Abertons Hill, hatte man Tage später das Wrack der Kutsche und die bis auf die Knochen abgenagten Gerippe der vier Pferde gefunden, die noch im Geschirr hingen, aber keine Spur von den Menschen.

Was mit ihnen geschehen war, daran mochte er nicht einmal denken. Vor allem an die junge Frau erinnerte er sich voller Mitleid. Mit Sicherheit wäre es ein freundlicheres Schicksal gewesen, hätten die Bewohner des Hügels sie zerfleischt und verzehrt.

Wurde nicht schon in den ältesten Märchen davon berichtet, wie die Unterirdischen mit List und Gewalt Menschenfrauen in ihre Netze lockten, um sich mit ihnen zu paaren und so den Erhalt ihrer allmählich aussterbenden Rasse zu sichern?

Was diesen widernatürlichen Paarungen entsprang, hatte der im Jahr 1872 amtierende Priester mit eigenen Augen gesehen und mit eigener Hand aufgezeichnet. Sebastian lief es kalt über den Rücken bei dem Gedanken, dass die unglückliche junge Dame, eben erst mit einem hübschen jungen Burschen verehelicht, die Last ertragen hatte müssen, solche Wechselbälge zur Welt zu bringen ... und wer wusste, wo diese jetzt herumliefen?

Er holte aus einer versperrten Lade ein dickes, in Kalbsleder gebundenes Buch mit einer metallenen Schließe, Tinte und Feder dazu, und tat dasselbe Werk wie andere Pfarrherren vor ihm: Er schrieb die Chronik von Abertons Hill weiter.

Walpurgisnacht in Fairworth, im Jahr 1971

In Fairworth hatte sich einundachtzig Jahre später vieles verändert. Den frommen Brauch, in den »rauen Nächten« die Türen zu verschließen und das Dorf unter den Schutz Gottes und seiner Heiligen zu stellen, hatte man fast völlig aufgegeben. Aber andere Leute waren ihren Bräuchen treu geblieben ...

Der schwarzblau lackierte Lieferwagen fuhr ohne Licht. Mit Ausnahme der Windschutzscheibe, des Fahrer- und Beifahrersitzes hatte er keine Fenster, sodass im Dunkeln blieb, was er in seinem mächtigen Laderaum transportierte. Seine Kennzeichentafeln waren so dick mit Schmutz verschmiert, dass kein einziger Buchstabe, keine Ziffer daran lesbar war.

Der Fahrer folgte einer selten befahrenen Küstenstraße, durch ein Waldstück bis zu einer Bucht in der Flanke eines stumpf-runden Hügels. Dort hielt er an. Die Tür des Laderaums wurde von innen geöffnet, mehrere Paar Hände packten zu und schafften in grobe weiße Säcke verpackte Gegenstände aus dem Wagen, Gegenstände, von denen die meisten vier, manche aber auch nur zwei Beine hatten.

Gedämpfte Stimmen wurden hörbar. »Ich hab Schiss, Leute. Ihr etwa nicht? Wenn sie uns dabei erwischen? Fairworth hat eine Polizeistation.«

»Je länger du hier rumbrabbelst, desto eher erwischen sie uns«, knurrte der Fahrer des Wagens über die Schulter zurück. »Außerdem, was willst du? Das Fleisch wurde legal in der Großmarkthalle gekauft, da kann uns keiner was.«

»Halt mich nicht für blöd!«, fuhr ein anderer ihm barsch über den Mund. »Und die Zweibeiner, ha? Was ist mit denen? Auch aus der Großmarkthalle, Abteilung Störung der Totenruhe?«

Der Fahrer zuckte mit den Schultern. »Sind ganz legal gestorben. Natürlicher Tod. Und waren noch nicht einmal begraben. Und jetzt mach dich an die Arbeit, du Fischkopf, wir können hier nämlich keine Schwächlinge und alten Weiber gebrauchen, und schon gar keine Schwätzer.«

Der Mann verstand. Eine schöne Sache, auf die er sich da eingelassen hatte, dachte er. Umso schlimmer, als er nicht nur Angst vor der Polizei hatte, sondern auch vor seinen Komplizen, und am allermeisten vor den Leuten, die das Ritual in Auftrag gegeben hatten. »Okay, schon gut«, brummte er. »Aber dann nichts wie weg, ja?«

Die Säcke wurden ausgeleert, ihr Inhalt zu einem Kreis aufgelegt, gerade groß genug, dass eine oder zwei Personen darin stehen konnten. Dieser wurde in aller Hast und Eile mit einer dunklen Plane bedeckt, um nicht die Aufmerksamkeit eines zufällig Vorbeikommenden zu erregen.

Der Mann, der sich Sorgen gemacht hatte, zog noch rasch die vier Ecken der Plane zurecht und wollte eben zum Wagen zurückkehren – da waren die anderen schon im Laderaum verschwunden, die Schiebetüre fuhr mit einem dumpfen Knall zu, der Fahrer startete durch, und das Fahrzeug brauste los, so schnell es das auf der löchrigen Straße riskieren konnte, ohne in den Graben zu kippen.

Der so heimtückisch Zurückgelassene zerbiss einen Fluch zwischen den Zähnen und schüttelte die Faust hinter ihnen her. Das war die Strafe für seine dummen Reden, dass er jetzt kilometerweit durch die Nacht schleichen musste und zusehen, wie er ohne Aufmerksamkeit zu erregen nach London zurückkam!

In seinem Zorn wäre er am liebsten zur Polizeistation von Fairworth marschiert und hätte die Karten auf den Tisch gelegt, obwohl er dann natürlich auch sein Teil abbekommen hätte.

Aber die Entscheidung blieb ihm erspart.

Am Straßenrand, in der tiefen Finsternis unter dem Überhang des Abertons Hill, hatte eine in schmutzig weiße Tücher gehüllte Gestalt gewartet, die ihm jetzt unvermutet in den Weg trat. Sie war groß und schien noch erschreckend größer durch den schauerlichen Kopfputz, den sie trug. Ihr Gesicht war von einer Maske verhüllt, die den knöchernen Schädel eines Rotwilds darstellte, und ein eiserner Reif um ihre Stirn hielt ein weit ausladendes Hirschgeweih fest.

Der Mann schwankte einen Augenblick lang vor Schrecken, dann fasste er sich, zog das im Stiefelschaft verborgene Messer hervor und rief mit derbem Lachen: »Was willst du Butzemann? Komm her, du wärst nicht der erste, den mein Messer aufschlitzt! Ich werde dich ...«

Er kam nicht dazu, den Satz zu vollenden. Die Gestalt hielt plötzlich etwas in der rechten Hand, das einer Feuerwaffe ähnelte; sie drückte auch ab, aber kein Knall wurde hörbar, kein Blitz und kein Mündungsfeuer war zu sehen. Statt einer Kugel schoss lautlos ein vergifteter metallener Pfeil aus dem Lauf, bohrte sich in den Hals des Mannes und warf ihn wie vom Blitz getroffen zu Boden.

Seine Arme und Beine zappelten noch sekundenlang, dann zogen sie sich krampfhaft zusammen, sein Unterkiefer fiel herab, und seine Augen drehten sich nach oben. Der eben noch grotesk verkrümmte Körper erschlaffte, Speichel rann aus dem Mund.

Die vermummte Gestalt schritt, ohne sich noch weiter um seine Leiche zu kümmern, auf den Kreis zu, trat hinein und hob die Arme zum Himmel. Erst sah es aus, als ob sie betete, aber dann begannen ihre Finger und Hände seltsame Arabesken in die Dämmerung zu zeichnen, und unter ihren Bewegungen begann die Luft zu wirbeln wie Wasser.

Das Ritual, das Fairworth seit mehr als dreihundert Jahren in Angst und Schrecken versetzte, hatte wieder begonnen.

Eintragungen in der Pfarrchronik von Fairworth, einige Tage später

Alle hier im Ort sind überzeugt, dass das alte Unheil sich in der diesjährigen Walpurgisnacht wiederholt hat und das »gräuliche Gezücht«, wie es einer meiner Vorgänger genannt hat, wieder am Werk gewesen ist, obwohl diesmal niemand aus der Ortschaft vermisst wird.

Es muss ein Fremder gewesen sein, den es getroffen hat, doch sind die Blutspuren und die Reifenabdrücke eines Lieferwagens zu schwache Hinweise, als dass man ihn ausfindig machen könnte. Von seiner Leiche ist jedenfalls kein Büschel Haar und kein Fetzen Haut mehr da.