Gespenster-Krimi 90 - Camilla Brandner - E-Book

Gespenster-Krimi 90 E-Book

Camilla Brandner

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Beschreibung

Im Jahr 1940

Im Licht der vielen Fackeln glühte der unterirdische Raum rot wie ein Backofen. Der Zeremonienmeister Richard Odenbach stand reglos an der Tür zum eigentlichen Kultraum und sah zu, wie zwei Dutzend schlanke, muskulöse blonde Jungen ihre Hemden und kurzen Hosen ablegten und sich ein Stück raues Tierfell um die Lenden banden.
Auf seine Handbewegung hin trabten sie, zwei und zwei nebeneinander, in den Kultraum, wo sie ihre Fackeln in die Halterungen an der Wand steckten und im Kreis um den uralten, steinernen Altar in der Mitte des Gewölbes Aufstellung nahmen.
Odenbach entzündete die Feuerschale, die darauf stand, und warf ein Pulver in die Flammen, die gelblich-grün aufloderten. Als er die Hände hob, schrien zwei Dutzend begeisterte junge Stimmen im Chor: "Heil Hitler und Heil der Göttin der Unterwelt!"
Aus der Tiefe des Gewölbes, von unterhalb des Altars, antwortete das dumpfe Heulen einer riesigen Bestie. Garm, der Höllenhund, ließ seine Herrin wissen, dass die Zeremonien zu ihren Ehren begonnen hatten ...
"Ich kann alleine laufen."
Zufrieden, dass sie zwar motzig, aber einsichtig ist, geht er weiter.
In diesem Augenblick durchschneidet ein Schrei die Stille der Nacht ...


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Inhalt

Cover

Der Tempel der Totengöttin

Vorschau

Impressum

Der Tempel der Totengöttin

von Camilla Brandner

Im Jahr 1940

Im Licht der vielen Fackeln glühte der unterirdische Raum rot wie ein Backofen. Der Zeremonienmeister Richard Odenbach stand reglos an der Tür zum eigentlichen Kultraum und sah zu, wie zwei Dutzend schlanke, muskulöse blonde Jungen ihre Hemden und kurzen Hosen ablegten und sich ein Stück raues Tierfell um die Lenden banden.

Auf seine Handbewegung hin trabten sie, zwei und zwei nebeneinander, in den Kultraum, wo sie ihre Fackeln in die Halterungen an der Wand steckten und im Kreis um den uralten, steinernen Altar in der Mitte des Gewölbes Aufstellung nahmen.

Odenbach entzündete die Feuerschale, die darauf stand, und warf ein Pulver in die Flammen, die gelblich-grün aufloderten. Als er die Hände hob, schrien zwei Dutzend begeisterte junge Stimmen im Chor: »Heil Hitler und Heil der Göttin der Unterwelt!«

Aus der Tiefe des Gewölbes, von unterhalb des Altars, antwortete das dumpfe Heulen einer riesigen Bestie. Garm, der Höllenhund, ließ seine Herrin wissen, dass die Zeremonien zu ihren Ehren begonnen hatten ...

Im Jahr 1945

Richard Odenbach, Mitglied der Waffen-SS und Zeremonienmeister der jugendlichen »Ritter von Helheim«, wusste, dass er verloren war. Die Russen hatten bereits den Stadtrand von Wien erobert, es konnte höchstens noch ein, vielleicht zwei Tage dauern, bis sie sich zu seiner Villa im Wald durchgekämpft hatten.

Hier ging es schnell – kilometerweit nur Wald und verwilderte Wiesen, ein paar verlassene Häuschen und Kleingärten, da und dort eine Villa wie die seine – ein einstöckiges Gebäude, rosa-braun und weiß getüncht, mit zahlreichen Verzierungen, an denen ein Steinmetz seine Lust an Schnörkeln ausgetobt hatte.

Der Tag war eben erst angebrochen, als der hochgewachsene Mann mit dem schmalen, kantigen Gesicht und den saphirblauen Augen aus der Haustür trat und den Blick über das Grundstück schweifen ließ. In der Dämmerung waren undeutlich die Bungalows zu erkennen, in denen seine Schüler gewohnt und studiert hatten.

Jetzt waren die Studenten alle weg – einberufen zum letzten Gefecht gegen den bolschewistischen Feind. Wahrscheinlich würden sie alle sterben, diese halben Kinder, die sich der übermächtigen Walze der Roten Armee in den Weg stellen sollten.

Wenn er selbst aus dem Leben schied, wussten nur noch seine Schwester und ihre Tochter Edda um das Geheimnis des unterirdischen Tempels. Beide waren in Sicherheit. Wenn diese Zeit der Götterdämmerung vorbei war, wenn das Germanentum aus den Trümmern des Krieges wieder auferstand, würden sie den Kult ins Leben zurückrufen.

Er trug seine volle Uniform, und dazu in der einen Hand seine Pistole, in der anderen eine Lederschnur. Langsam, feierlich schritt er auf die gewaltige Eiche zu, die sich in etwa zwanzig Metern Entfernung vom Haus auf einer Wiese erhob. Im Zwielicht des Morgens wirkten ihre Äste wie riesige, sich ineinander windende Schlangen. Dutzende kleiner, verrosteter Drahtschlingen hingen daran, Überreste der Opfer, die sie dem Baum und seiner Schirmherrin dargebracht hatten.

Unter dem Erdreich zwischen ihren Wurzeln waren unzählige Knochen von Lämmern, Hasen, Zicklein und anderem Getier vergraben, wie sie beim Zerfall der Kadaver zu Boden gefallen waren. Allmählich würden sie immer tiefer ins Erdreich hinabsinken, bis sie den Ort ihrer Bestimmung erreicht hatten: Helheim, das eisige Reich der Totengöttin unter den Wurzeln der Weltenesche Yggdrasil.

Er hatte immer davon geträumt, der Göttin ein Menschenopfer zu bringen, am liebsten einen der schönen Jungen, aber das hatte er dann doch nicht gewagt. Den Vorwurf musste er dem Führer machen: Er war durch und durch Militär und Politiker gewesen, für Mystik hatte er absolut keinen Sinn gehabt. Der Reichsführer SS hatte diesen Sinn gehabt, der war ein Visionär gewesen, er hätte auch ein Menschenopfer geduldet, wenn es zur höheren Ehre der Götter geschah.

War es nicht immer so gewesen? Bis zur späten Wikingerzeit waren Menschenopfer noch gang und gäbe gewesen, beim großen »Blót«, dem Opferfest der Germanen, waren neun Individuen von allem Lebenden, Tiere und auch Menschen, geopfert und in einem Hain, der den Tempel umgab, aufgehängt worden. So konnte man es auch auf dem berühmten »Oseberg«-Bildteppich sehen: Darauf war ein großer Baum mit daran hängenden Menschen abgebildet.

Odenbach straffte die Schultern. Das Rad würde sich wieder drehen, die alten Götter zurückkehren und frische Opfer an ihren Altären gebracht werden. Seine Arbeit war getan. Jetzt konnte er nur noch den einzig verbliebenen Ausweg wählen.

Er trat dicht an die Eiche heran und flüsterte für andere Menschen unverständliche Worte. Was er erwartet hatte, geschah: Um seine Knöchel, dann seine Knie begann ein Nebel zu kreisen, der immer dichter wurde, bis er den Boden zu seinen Füßen nicht mehr sehen konnte. War es überhaupt noch der Boden, auf dem er stand?

Hier und da, wenn der Nebel sekundenlang aufriss, blitzte etwas anderes durch. Eine riesige Hand war es, graublau wie die einer Leiche, mit frostverbrannten Fingerkuppen und schwarzen, Geierkrallen ähnlichen Nägeln. Eine uralte Hand, bis auf die Knochen verdorrt und vertrocknet. Dennoch hob sie ihn langsam und mühelos in die Höhe, bis er, aufrecht stehend, den Ast erreichte, den sie ihm zugewiesen hatte.

Er stand jetzt gut einen Meter über dem Erdboden. Sie würden seinen Tod daran als ein Zeichen und Wunder erkennen, niemand sollte glauben, er hätte sich einfach nur feige aus der Welt geflüchtet. Eilig knotete er den langen Riemen am Ast fest, knüpfte die Schlinge, legte sie um seinen Hals. Dann steckte er den Pistolenlauf in den Mund. Als die Hand unter ihm weg sank, drückte er ab.

Im Jahr 1949

Ein Jahr nach Kriegsende waren wieder Jugendliche mit ihren Betreuern in die Bungalows eingezogen, diesmal Kinder, deren Eltern im Widerstand ermordet worden waren. In der Umgebung nannte man sie hinter vorgehaltener Hand »die Bolschewikenkinder«, aber tatsächlich hatten die allermeisten von ihnen mit Politik nichts am Hut.

Sie waren froh, dass sie ein Dach über dem Kopf hatten – das Grundstück der Odenbachs war bei den Kriegshandlungen weitgehend unbeschädigt geblieben –, wieder ordentlich zu essen bekamen und sich solchen Vergnügungen wie Ballspielen und Planschen in dem winzigen Zierbecken hingeben konnten.

Hin und wieder waren ein paar unangenehme Typen darunter, und im Jahr 1949 gab es gleich vier davon. Zwei Jungen und zwei Mädchen waren es, zwischen zwölf und fünfzehn Jahren alt, alle vier wahre Wechselbälge. Sie waren Jugendliche von jener seltsamen Sorte, bei denen man den Verdacht nicht loswird, dass von Anfang an etwas mit ihnen nicht gestimmt hat. Jugendliche, die Dinge taten, wie sie auch bei ungezogenen und verwahrlosten Proletarierkindern auf Ablehnung stießen.

Eines dieser Dinge war ihre Faszination für das Töten. Damit musste man zwar bei Kriegskindern rechnen, aber die Vierer-Bande, wie man sie nannte, konnte kein kleines Tier in die Hände kriegen, ohne dass sie es mit einer Drahtschlinge erdrosselten und den Kadaver an dem alten Eichenbaum aufhängten, den sie den Geisterbaum nannten.

Sie nervten ihre Mitbewohner mit Geschichten, dass unter den verschlungenen Ästen und Wurzeln dieses Baumes – der den meisten ohnehin nicht geheuer war – ein fürchterlicher Geist hause, der tote Tiere als Nahrung verlangte. Weder vernünftiges Zureden noch die damals üblichen Ohrfeigen änderten etwas daran.

Im November 1949 setzten sie dann in die Tat um, wovon sie schon so lange fantasiert hatten. Sie schlichen nachts aus ihren Quartieren und bauten unter dem Baum alles Zubehör auf, das es ihrer Meinung nach zu einer Geisterbeschwörung brauchte. Nur Kerzen konnten sie keine anzünden, weil man die vom Haus her gesehen hätte.

Was sie dann weiter taten, dafür gab es keine Zeugen. Erst gegen halb zwei Uhr morgens wurde die Mannschaft in der Villa von durchdringendem Geschrei geweckt. Zwei Männer und eine Frau waren die ersten, die halb angezogen hinausstürzten. Im Schein ihrer Taschenlampen sahen sie ein nacktes Mädchen unter dem Baum liegen, das schluchzend sein sichtlich gebrochenes Bein umklammerte.

Sie war die einzige Überlebende. Die drei anderen hingen, ebenfalls nackt, an den Ästen des Baumes, erhängt an ihren eigenen Halstüchern, Gürtelriemen und Schnürsenkeln. Sie alle hingen gut einen Meter über dem Boden, denn die unteren Äste der Eiche waren, um ein Erklettern des Baumes zu verhindern, abgesägt worden. Nirgends war ein Gegenstand zu sehen, den sie hätten verwendet haben können, um hinaufzuklettern.

Erika – so hieß die Überlebende – wurde vom Personal des Heims und später von der Kriminalpolizei befragt, aber es stellte sich heraus, dass nicht nur ihr Bein beschädigt worden war. Auf alle Fragen antwortete sie nur stockend: Ja, sie hätten die Absicht gehabt, den Geist im Baum oder unter dem Baum zu beschwören, sie hätten sich ausgezogen und Zeichen auf den Boden gemalt und ein Ritual nachgesprochen, das ihnen der älteste der Jungen vorsagte, und dann hätte sie gespürt, wie sie in die Tiefe fiel und ihr Bein jämmerlich schmerzte.

Aber was dazwischen geschehen war und wie die anderen zu Tode gekommen waren, wusste sie nicht. Statt vernünftiger Aussagen erzählte sie wirre Geschichten von einer Riesin mit Leichenhänden und »im Gesicht herum kullernden« Augen, die sie in ihr Reich entführen wollte, aber zuerst müssten sie sich auf den Baum hinaufheben lassen.

Starker Nebel war rund um den Stamm aufgestiegen, sodass Erika nicht mehr sehen und hören konnte, was die anderen taten. Es war kalt gewesen, bitterkalt. Diese Kälte kam von einem Wind, der aus der Erde herauf fauchte und den Baum in ein Gebilde aus weißen Knochen verwandelte.

Sie hätten nicht entkommen können, weil ständig ein riesiges, schmutzig graues Tier im Kreis um den Baum lief, das halb einem grausigen Hund, halb einem Saurier mit Hornkragen und Stacheln auf dem Rücken ähnelte und eine dreifach gespaltene Zunge aus dem schäumenden Maul hängen ließ.

Die ratlose Kriminalpolizei konnte zu keinem anderen Schluss kommen, als dass die vier sich in einem plötzlichen Anfall von gemeinschaftlichem Irrsinn an dem Baum erhängt hatten, denn keiner wies irgendwelche Anzeichen von Gewalt auf. Alle hingen mit lose pendelnden Armen und Beinen in ihren selbst gemachten Henkersschlingen.

Zuletzt traf der russische Oberst, der als höchste Instanz befragt werden musste, eine sehr vernünftige Entscheidung: »Was niemand weiß, macht auch niemanden heiß.«

Seine Anordnungen waren kurz und knapp. Keine näheren kriminalistischen oder medizinischen Untersuchungen, die drei Toten waren umgehend auf einem Friedhof unter russischer Aufsicht zu begraben, und Erika wurde in ein psychiatrisches Krankenhaus eingewiesen, wo sie sich ein paar Monate später am metallenen Bettgestell erhängte.

Der Baum – vor dem alle jetzt panische Angst hatten – wurde gefällt. Den Stumpf ließ man stehen, denn seine Wurzeln waren so riesenhaft und so tief in der Erde verkrallt, dass nur eine Dynamitexplosion ihn hätte losreißen können.

Das Waisenhaus wurde geschlossen, Personal und Zöglinge andernorts untergebracht, und das Gelände versank in einem tiefen Dornröschenschlaf – bis 1960 die inzwischen erwachsene Nichte Richard Odenbachs, Edda, zurückkehrte und Anspruch auf ihr Vaterhaus erhob. Der wurde ihr gewährt, und eigentlich hätte sie zufrieden sein müssen, die Villa und die Bungalows noch in erstaunlich intaktem Zustand vorzufinden, aber sie erlitt beinahe einen Nervenzusammenbruch, als sie sah, dass der Baum gefällt worden war. Warum sie so heftig reagierte, erfuhr niemand von ihr.

Im Jahr 2019

»So, El Barto, komm, da drin kannst du dich ordentlich austoben.« Der Punker zog den durchschnittenen Maschendraht weit genug auseinander, dass sein Rottweiler sich durchzwängen konnte.

Sein Blick glitt noch einmal nach allen Seiten. Tiefe Nacht. Keine Sau weit und breit. Die nächste Straßenlampe hundert Meter entfernt. Rundum Pappeln, Föhren, Flieder, Holunderbüsche, Waldrebe, ungepflegter Rasen.

Er klapste dem mächtigen Hund auf den Hintern. Der stürmte freudig davon. War ja auch zu blöd – das verlassene Gelände des Waisenhauses war der einzige Ort, wo er ihn ohne Leine und Beißkorb so richtig laufen lassen konnte, ohne dass die Leute gleich die Polizei riefen. Der Punker grinste, setzte sich ins Gras neben dem Loch im Gitter und baute sich gemütlich einen Joint.

El Barto, eine Lokomotive auf vier Beinen, arbeitete da drinnen seine überschüssigen Energien ab, raste in Spiralen herum, baggerte durchs Gebüsch, wälzte sich, jagte unsichtbare Nachtgeschöpfe. Dann quietschte er plötzlich.

Es war das letzte Mal, dass der Punker seinen Hund sah – und gleich darauf auch das letzte Mal, dass er selbst gesehen wurde.

Dieser letzte Zeuge war ein Mann aus der Nachbarschaft, der seine tobenden Kopfschmerzen durch einen Spaziergang in der milden Nachtluft zu kurieren versuchte. Er hatte schon weitgehend Erfolg damit, als er plötzlich stehen blieb und witterte. Ein Windhauch trug das unverkennbare Aroma von Marihuana an seiner Nase vorbei.

Er spähte nach allen Richtungen. Ja, da, dicht am Maschenzaun des ehemaligen Waisenhauses, stand ein merkwürdig kostümierter Mann mit Irokesenhaarschnitt und starrte durch das Gitter hinein ... rief mit gedämpfter Stimme einen Namen, den der Spaziergänger nicht verstand, und dann noch etwas, das sich nach einem herzhaften Fluch anhörte.

Ein Schauder des Unbehagens lief dem heimlichen Zuhörer über den Rücken. Es war ihm egal, wenn andere Leute kifften, aber eine nächtliche Drogenparty zu stören war eine gefährliche Sache. Wenn nun ein halbes Dutzend von den Jungs drinnen in einem der Bungalows saß und sich zudröhnte? Dann bekam er als vermeintlicher Spitzel ordentlich sein Fett ab.

Er überlegte gerade, wie er sich möglichst unauffällig entfernen könnte, als der Kerl urplötzlich verschwand. War offenbar durch ein Loch im Zaun geschlüpft und hatte sich in der Dunkelheit drinnen verborgen, denn von einem zum anderen Augenblick war er weg. Spurlos.

Dem Mann schoss eine heiße Blutwelle vom Herz bis in den Kopf, seine Herzschläge wirbelten wie Trommelschläge. Welcher Teufel hatte ihn geritten, so weit die Straße entlangzugehen? Wenn man einmal an den trüben Nachtlichtern der Friedhofsgärtnerei vorbei war, tauchte sie in einen Tunnel überhängender Bäume und Büsche, den keine Straßenlampe erhellte. Schwarz wie ein Kohlensack. Und das öde Gelände des ehemaligen Waisenhauses war ihm sowieso nicht geheuer.

Komisch, dachte er. Niemand von seinen Bekannten hatte Lust, nachts hier vorbeizugehen, obwohl in den letzten Jahrzehnten doch überhaupt nichts passiert war, und damals ... du meine Güte, man wusste ja nicht einmal, ob es stimmte. Was in der Zeitung stand, musste nicht wahr sein, und die Leute redeten viel dummes Zeug.

Er wollte sich gerade umdrehen, als etwas von oben herabgefallen kam und vor seine Füße kollerte. Im ersten Schrecken dachte er, verwirrt vom Spiel der Schatten, es sei ein brauner Totenkopf mit ungewöhnlich vielen Zähnen, aber dann entdeckte er, was es wirklich war. Ein Maulkorb aus dunklem Leder, in einer Größe, dass er locker einem jungen Nilpferd gepasst hätte. Bei dem Gedanken, dass der entsprechende Hund in der Nähe sein könnte, erschrak der Mann so heftig, dass er zu rennen begann.