Gespenster-Krimi 76 - Camilla Brandner - E-Book

Gespenster-Krimi 76 E-Book

Camilla Brandner

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Beschreibung

Es war ein furchtbares Gewitter, das an diesem Sommertag im Jahr 1682 über Schloss Sautern niederging. Eine doppelte Sorge hielt die Schlossbewohner in Atem, denn während draußen die Elemente tobten, lag drinnen die Gräfin in den Wehen. Und nicht nur Schmerzen plagten die arme Frau, sondern auch die schauerlichsten Visionen, aus denen sie immer nur kurz zu Bewusstsein kam, wenn eine neue Wehe ihren Leib zusammenschnürte wie ein Folterinstrument.
Gräfin und Gesinde hätten glücklich sein müssen, denn Graf Roderick und seine Frau hatten sich seit Langem Kinder gewünscht, und die Schwangerschaft war ohne Zwischenfälle verlaufen. Warum schrie und weinte dann die junge Schlossherrin, als sie erst einen Knaben und dann ein Mädchen aus ihrem Schoß presste?
Die Kinder waren gesund und wohlgestaltet. Warum fluchte und betete die Mutter fast in einem Atemzug und beschwor die Hebamme mit wilden Schreien, die Neugeborenen sofort ins lodernde Feuer des Kamins zu werfen und mit dem Schürhaken festzuhalten, bis sie zu Schlacke verbrannt seien?


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Inhalt

Cover

Die Ghule von Graumannsdorf

Vorschau

Impressum

Die Ghule von Graumannsdorf

von Camilla Brandner

Es war ein furchtbares Gewitter, das an diesem Sommertag im Jahr 1682 über Schloss Sautern niederging. Eine doppelte Sorge hielt die Schlossbewohner in Atem, denn während draußen die Elemente tobten, lag drinnen die Gräfin in den Wehen. Und nicht nur Schmerzen plagten die arme Frau, sondern auch die schauerlichsten Visionen, aus denen sie immer nur kurz zu Bewusstsein kam, wenn eine neue Wehe ihren Leib zusammenschnürte wie ein Folterinstrument.

Gräfin und Gesinde hätten glücklich sein müssen, denn Graf Roderick und seine Frau hatten sich seit Langem Kinder gewünscht, und die Schwangerschaft war ohne Zwischenfälle verlaufen. Warum schrie und weinte dann die junge Schlossherrin, als sie erst einen Knaben und dann ein Mädchen aus ihrem Schoß presste?

Die Kinder waren gesund und wohlgestaltet. Warum fluchte und betete die Mutter fast in einem Atemzug und beschwor die Hebamme mit wilden Schreien, die Neugeborenen sofort ins lodernde Feuer des Kamins zu werfen und mit dem Schürhaken festzuhalten, bis sie zu Schlacke verbrannt seien?

Die Ängstlichen unter den Schlossbewohnern fürchteten, der letzte Tag sei für Schloss Sautern gekommen. So fest das quadratische Gebäude aus grauem Feldstein auch gebaut war, diesmal erzitterte es bis in die Fundamente unter den Sturmböen, die über die kahle Hochebene brausten.

Der Tag war zur Nacht geworden unter den schwarz-violetten Wolken, die sich von Blitzen zerfleddert am Himmel auftürmten. Es schüttete seit Stunden wie aus Kübeln, sodass der mächtige Wasserfall, der vom Tafelland zum Toggen-Pass hinunterstürzte, aufs Doppelte angeschwollen war und alles, was sich an seinen Ufern befunden hatte, mit sich riss, ja das Schloss selbst in Gefahr brachte.

»Eure Frau hat Euch soeben zwei Kinder geschenkt, edler Herr.« Die Hebamme trat ins Gemach des den Grafen von Sautern und knickste. »Einen Knaben und ein Mädchen.«

»Zwillinge, wie?« Roderick, der die letzten Stunden in nervöser Erwartung verbracht hatte, setzte die Schnapsflasche ab und richtete sich auf.

Er war ein Riese von einem Mann, blond und bärtig, mehr imposant als anziehend, und wenn er getrunken hatte, war sein Gesicht dunkelrot und seine Augen klein und wässrig. »Ich hoffe doch, der Knabe ist der Erstgeborene? Mit einer Tochter fange ich nicht viel an.«

»Gewiss, gnädiger Herr, er ist der Erstgeborene.«

Roderick atmete tief durch, als die Sorge um einen Erben von ihm abfiel. Jetzt nahm er sich auch die Zeit, die Hebamme genauer anzublicken. »Was ist?«, knurrte er. »Was machst du so ein saures Gesicht, Frau?« Dann überkam ihn eine schreckliche Beklemmung. »Er wird doch kein Krüppel sein, oder? – Sprich!«, brüllte er, als die Antwort nicht sofort kam.

»Nein, nein«, beeilte sich die Hebamme zu versichern. »Sie sind beide gesund und wohlgestaltet. Es ist nur ... Eure Frau weigert sich, sie zu säugen. Wir mussten nach einer Amme schicken. Die gnädige Frau behauptet, das seien nicht ihre Kinder, es seien Wechselbälge, obwohl wir doch ein halbes Dutzend Zeugen bei der Geburt waren. Und sie sind ... verzeiht mir, gnädiger Herr, aber die gnädige Frau hat nicht unrecht. Sie sind schrecklich.«

»Dämliche Weiber!«, schimpfte Roderick, dessen einzige Sorge gewesen war, ob seine Frau einen gesunden Erben gebären würde. »Das muss ich mir selbst ansehen.«

Mit weit ausholenden Schritten stampfte er hinauf in das Gemach, in dem die Mägde eifrig damit beschäftigt waren, den Raum zu säubern und die Ordnung wiederherzustellen. Gräfin Alinda lag in einem frisch bezogenen Bett, gewaschen und gekämmt und in einem frischen Nachtkleid. Im selben Bett lagen Seite an Seite die beiden Neugeborenen, aber die Mutter hatte ihnen den Rücken zugewandt und wehrte zornig ab, als eine Magd ihr eines der Kinder in den Arm legen wollte. Ihre Augen schwammen in Tränen. Als Roderick eintrat, setzte sie sich auf, noch schwach von der Geburt, aber bebend vor Zorn und Jammer.

»Verfluchter Mann!«, empfing sie den verblüfften Gatten. »Das ist dein Werk, Unbarmherziger – das ist die Rache der alten Bettlerin – der Fluch, den sie über dich ausgesprochen hat. Töte das Höllengewürm, geh fort und lass mich sterben.« Damit fiel sie wieder in die Kissen zurück und brach in ein bitteres Schluchzen aus.

Roderick, dem nun doch ein wenig ängstlich zumute wurde, ließ sich den Knaben zeigen. Die Hebamme musste ihn aus dem Steckkissen wickeln, sodass der Vater mit eigenen Augen sehen konnte, dass nichts an ihm missgestaltet war. Er schrie und zappelte wie andere Neugeborene auch. Roderick bedeutete der Hebamme, ihn wieder anzukleiden.

»Ich weiß nicht, was mein Weib da von einem Fluch faselt«, grollte er. »Der Knabe ist, wie er sein soll, ein echter Spross seines Geschlechts, und das Mädchen ... ja, es sieht mir auch nicht anders aus als andere Säuglinge. Die Frau ist erschöpft von der doppelten Geburt und redet irre. Kümmert euch um die beiden, und erstattet mir Bericht, wenn ihr eine Amme gefunden habt.«

Damit verließ er das Zimmer.

Er ging mit hoch erhobenem Haupt, und niemand hätte ihm angesehen, dass eine dunkle Wolke sich über seine Seele gebreitet hatte. Er wusste recht gut, von welchem Fluch seine Frau gesprochen hatte. Während der gesamten Schwangerschaft waren ihm die Worte der krummen, zerlumpten Alten am Straßenrand nicht aus dem Sinn gegangen.

Immer wieder hatte er sich zu beruhigen versucht. Wo käme man hin, wenn man das Gekeife einer Bettlerin ernst nehmen wollte! Und was hatte er ihr denn schon getan? Sie konnte froh sein, dass er nicht mit der Reitpeitsche nach ihr geschlagen hatte, als sie sich winselnd an seinen Steigbügel klammerte. Er war nicht verpflichtet, jedem ein Almosen zuzuwerfen, der die Hand danach ausstreckte.

Gut, es war nicht wirklich fein von ihm gewesen, dass er auf ihr Jammern hin mit dem Peitschenstiel auf eine tote Ratte in der Gosse gedeutet hatte, an der sich bereits die Krähen gütlich getan hatten, und ihr dabei vom Pferd herab zugerufen hatte: »Was brauchst du Brot? Da hast du Fleisch! Was den Krähen recht ist, muss dir billig sein, alte Hexe!« Aber musste sie ihn und seine Nachkommenschaft deswegen gleich auf eine so gräuliche Weise verfluchen?

Und wie schnell sie verschwunden war, als er die Diener auf sie hetzte, ihnen befahl, die Alte gründlich durchzuprügeln, damit sie in Zukunft ihre Zunge in Zaum hielt! Nicht einmal einen Zipfel ihrer Lumpen hatten sie mehr erwischt. Wenn sie nun wirklich eine Hexe gewesen war?

Aber nein, das mit dem Fluch war Unsinn. An den Kindern war nichts auszusetzen. Obwohl ... er musste sich eingestehen, dass sie ihm auch nicht so richtig gefallen hatten. Er hätte nicht sagen können, warum, es gab nichts Bestimmtes an ihnen, woran er seinen Verdacht hätte festmachen können, eher ein dumpfes Gefühl als eine begründete Sorge ...

»Wechselbälge sind das«, hatte seine Frau behauptet. Was wiederum Unsinn war, denn Wechselbälge waren Kinder, die in der Wiege vertauscht wurden, wenn die Mutter nicht auf sie Acht hatte, und sie hatte doch vor so vielen Zeuginnen geboren. Außerdem waren Wechselbälge zum Speien hässlich. Seine Kinder sahen ganz normal aus. Nur eben ... abstoßend.

Dieser verdammte Fluch ...

»Da du mir Aas zum Essen anbietest, sollen deine Nachkommen Leichenfleisch fressen!«, hatte die Bettlerin ihm entgegengekrächzt, während ihr Gesicht sich zu einer teuflischen Fratze verzog.

Er kehrte in sein eigenes Gemach zurück und schickte den Diener um eine neue Flasche in der Hoffnung, der starke Obstschnaps und eine Pfeife Tabak würden seine Grillen vertreiben.

Aber er fühlte sich ganz und gar nicht wohl, als die Hebamme am Abend noch einmal zu ihm kam, noch bedrückter und ängstlicher als zuvor, und ihm mitteilte: Gleich drei der bäuerlichen Ammen aus dem Dorf hätten sich geweigert, die Neugeborenen an die Brust zu nehmen und mit ihren eigenen zu stillen. Man hätte schon nicht mehr gewusst, was man tun sollte, denn die Gräfin widerstrebte weiterhin. Da hätte ein landfremdes Weib ans Tor gepocht, zerlumpt und schmutzig und übel anzusehen, aber mit dicken, vollen Brüsten, und sie hätte sich sofort bereit erklärt, die Grafenkinder zu säugen.

»Nur deshalb«, sagte die Frau, wobei sie sich ängstlich nach allen Seiten umsah, »hat die Wache sie hereingelassen, denn niemals hat man ein Weib gesehen, das so wenig einem Menschen ähnelte.«

Zwar sei ihr Körper bei all seiner aufgedunsenen Hässlichkeit der einer Frau, sie spreche auch wie ein Mensch, aber sie sähe fremd und schaurig aus mit ihrer grünlich-bleichen Haut, der platten Stirn und den Schlitzaugen, die schweflig gelb unter geschwollenen Lidern hervorblitzten. Ihr Kopf sei kahl – nicht geschoren, sondern von Natur aus haarlos bis auf eine lange Locke mitten auf der Höhe des Scheitels. Ihr Mund sei so breit, dass er schier von einem Ohr bis zum anderen reichte, und die langen, spitzen Zähne darin waren nach innen gebogen wie bei einer Schlange.

Man habe ihr zu essen gegeben, das sie auch annahm, aber nicht kaute, sondern nur mit diesen krummen Zähnen packte und hinunterwürgte, dass ihr Hals davon aufschwoll wie ein Kropf. Es gäbe sogar Leute in der Dienerschaft, die schworen, ihre Haut schillerte im Licht wie Schlangenhaut, und ein schwacher Anhauch von Schuppen sei daran erkennbar.

Die Kinder hätten jedoch keinerlei Widerwillen gegen sie empfunden, sondern augenblicklich an ihren wulstigen Zitzen gesaugt und sich danach von ihr zu Bett bringen lassen. Sie wollten auch keinen anderen Menschen in ihrer Nähe haben – als zwei Mägde sich um sie kümmern wollten, hätten sie sich augenblicklich kreischend und spuckend an die hässliche Amme geklammert, wobei sie eine für Neugeborene erstaunliche Kraft an den Tag legten.

»Gott bewahre uns«, rief die Hebamme, »das ist kein Mensch, das ist ein unholdes Weib, und sie wird unser aller Blut trinken und unser Fleisch fressen!«

Roderick schrie die Hebamme an, sie solle sich zum Teufel scheren, und verlangte nach einer weiteren Flasche Schnaps.

Irgendwann sank er in den tiefen Schlaf eines Betrunkenen, aber Ruhe fand er keine darin. Fürchterliche Träume quälten ihn, in denen die alte Bettlerin eine Hauptrolle spielte. In einem dieser Träume, an den er sich noch nach dem Erwachen erinnerte, stieg er hinab in die Krypten von Schloss Sautern und betrat einen Keller, in dem sich nichts befand außer einem alten, schimmelfleckigen Schrank.

Im Traum wusste er genau, was er zu tun hatte. Zielsicher ging er auf den Schrank zu, fasste ihn an einem Schnörkel an und drehte ihn mühelos auf einem verborgenen Zapfen beiseite. Dahinter zeigte sich eine vom Wurmlöchern zerfressene hölzerne Tür, die er aufschloss.

Der Raum, in den er hineinleuchtete, roch stickig nach Schimmel. Das Licht der Kerze flackerte unruhig, als die verpestete Luft durch die geöffnete Türe nach draußen strich. Der Raum war ihm unbekannt, ein achteckiges, auf stämmigen Pfeilern ruhendes Gewölbe, leer bis auf eine brennende Lampe. Sie warf Strahlen schwefligen Lichts auf die schwarzen Draperien an den Wänden. Ein Luftzug brachte Gerüche mit sich, Gerüche von ranzigem Fleisch und zuweilen den schaurigen, Übelkeit erregenden Gestank eines geöffneten Grabes.

In diesen Raum trat nun die hexenhafte Bettlerin, nicht mehr in Lumpen gekleidet, sondern in eine königliche Robe aus schwarzem Samt, deren Falten mit gespenstischen schwefelgelben und giftgrünen Arabesken durchwebt war.

Mit ihrem Eintritt änderte sich die Szenerie: Die Lampe erfüllte das Gewölbe nun mit einem schwachen roten Dämmerlicht. Schwarze Kerzen standen auf gusseisernen Leuchtern. Altertümliche Bücher, dick wie Ziegelsteine, lagen auf dem Lesepult und rundum auf dem Boden gestapelt, zum Teil so vergilbt und vom Mehltau befallen, dass man die Seiten mit Vorsicht wenden musste, um sie nicht zu beschädigen. Alle hatten runzlige Rücken und abgegriffene Deckel und strömten einen widerwärtigen Geruch aus, der ebenso viel mit ihrem ehrwürdigen Alter wie ihrem nichtswürdigen Inhalt zu tun hatte. Ein ähnlicher Dunst stieg aus einem Räuchergefäß.

Die Zauberin kauerte sich nieder und zeichnete mit Kreide einen bizarr verschlungenen Knoten auf den Boden, um den herum sie ein Dutzend schwarzer Kerzen aufstellte. Sie brannten mit blauer Flamme wie Irrwische.

Außer ihr war noch ein lebendiges Wesen da, aber Roderick hätte unmöglich sagen können, was es war, das da hin und her huschte. Im ersten Augenblick schien es ihm eine große, eine sehr große Ratte zu sein, denn es hatte vier Beine und einen haarlosen Schwanz. Oder waren es fünf Beine? Oder drei Beine und zwei Tentakel? Und sein Kopf war nicht der langschnäuzige Schädel einer Ratte, sondern kugelrund wie der eines Mopses. Dabei zeigte sein widerlich zusammengequetschtes Gesicht einen beunruhigend menschlichen Ausdruck, und die dunklen Glotzaugen schienen jeder Bewegung der Frau zu folgen.

Einmal richtete es sich auf, und den Grafen durchströmte ein eisiger Schauder des Widerwillens, als er sah, dass es nicht auf Pfoten lief, sondern auf vier winzigen, menschenähnlichen Händen!

Die alte Zauberin stand inmitten des Knotens, in dem Roderick nun ein Hexen-Sigill erkannte, das dämonische Zeichen, in dem die Macht einer Hexe gebündelt war. Leuchtend, als strahlte es sein eigenes Licht aus, prangte das teuflische Zeichen in der Mitte des Raumes. Die Alte hob beide Hände und stieß einen langen, heiser nachhallenden Ruf aus, der sich nach einer Beschwörung anhörte.

Gelächter antwortete, das aus den schwarzen Draperien zu dringen schien, und die Vorhänge flatterten, als krabbelte und hüpfte kleines Ungeziefer darin herum. Eine der Draperien hob sich wie ein riesiger schwarzer Flügel, eine Tür wurde sichtbar, die lautlos aufflog, und durch die schwarze Türöffnung glitt wie aus eigener Kraft, ohne von menschlichen Händen berührt zu werden, die Wiege, in der man die beiden Grafenkinder zu Bett gebracht hatte. Sie schwebte mitten auf den Knoten, aus dem nun schweflige Flämmchen emporsprangen, und kam unmittelbar vor der Alten zum Stehen.

Die lachte heiser, beugte sich über die Kinder, liebkoste und kitzelte sie mit ihren langen, spinnenähnlichen Fingern und wandte sich dann dem Grafen zu. Ihr Mund öffnete sich in einem wüsten Lachen – öffnete sich immer weiter und weiter, bis er zu einer alles verschlingenden schwarzen Höhle geworden war, in die von oben und unten die gelben Zahnstummel hineinragten!

Roderick schlug in wildem Entsetzen mit beiden Armen um sich – und erwachte. Keuchend und schwer atmend fand er sich auf dem hölzernen Fußboden seines Zimmers wieder, den Kopf schwer vom Rausch, eine leere Flasche neben sich.

Er kroch brummend auf alle viere hoch, schleuderte die Flasche mit einem Tritt weg und nahm sich, wie schon so oft, vor, sich nicht mehr so besinnungslos zu betrinken. Wenn der Schnaps ihm solche Träume bescherte, dann zum Teufel damit!

Graf Roderick war voller böser Vorahnungen, als die Zeit herankam, die Kinder taufen zu lassen, aber was sollte er tun? Sein Neffe und dessen Frau, die weit jenseits der Berge in der Residenzstadt wohnten, hatten sich schon während der Schwangerschaft dazu gedrängt, Taufpaten zu sein, und ihm war nichts anderes übrig geblieben, als sie von der doppelten Geburt in Kenntnis zu setzen. Jetzt waren sie, mit Geschenken beladen, unterwegs zu seinem Schloss.

Das fremde Weib – Ludda nannte es sich – hatte es übernommen, die Kinder für die feierliche Zeremonie zu waschen und in die traditionellen Taufhemden mit ihren vielen Rüschen zu kleiden, da die Gräfin sich nach wie vor weigerte, sie auch nur anzurühren. Ja, nicht einmal ansehen wollte sie sie.

Obwohl Ludda selbst nun gewaschen und anständig gekleidet war, mit einer hübschen Rüschenhaube auf dem kahlen Kopf, tauschten der Neffe und seine Frau doch verwunderte Blicke, als eine so garstig anzusehende Person die Kinder in die Schlosskapelle hereinbrachte.

Rodericks schlimmste Vorahnungen bewahrheiteten sich. Als der Schlosskaplan die Kinder entgegennehmen wollte, kreischten und strampelten sie wie kleine Affen, und noch schlimmer wurde es, als er vom Taufwasser im Becken schöpfte und anfing, die heiligen Worte zu sprechen. Da spuckten sie, und ihre winzigen Gesichter verzerrten sich zu so gräulichen Fratzen, dass die wenigen anwesenden Mitglieder des Haushaltes erschrocken zurückwichen und der Neffe nicht wusste, was er sagen sollte.

Als jedoch der Priester eine Handvoll Wasser über den Kopf des Jungen goss und dieses sich augenblicklich in eine stinkende Brühe verwandelte, da sprangen die beiden Taufpaten zurück, bekreuzigten sich und erklärten, für solche Teufelsbälger wollten sie nicht Pate stehen. Sie verließen auf der Stelle das Schloss und nahmen ihre Geschenke wieder mit sich.

So blieben der neugeborene Graf und seine Schwester ungetauft, denn auch dem Priester graute jetzt so sehr, dass er den Jungen hastig in Luddas Arme zurücklegte und unter murmelnden Gebeten floh. Da sie aber Namen haben mussten, trug man sie als Hildebrand und Hildegund von Sautern in die Familienchronik ein.

Die Gräfin verfiel nach der Geburt in tiefen Trübsinn. Sie schloss sich in ihrem Gemach ein, aß kaum noch einen Bissen, und als sie von der misslungenen Taufe hörte, verfiel sie vollends in Wahnsinn. Die unheimlichen Visionen, die sie seit der Geburt gequält hatten, folgten immer rasch aufeinander, sodass ihr kaum noch ein lichter Augenblick blieb, und sie wurden mit jedem Mal schrecklicher.

In einem dieser Zustände, in denen sie nicht wusste, ob sie wachte oder schlief, stieg sie mit einer Kerze in der Hand eine steile Wendeltreppe hinunter. Sie wusste weder, wo sie sich befand, noch was sie in der Tiefe suchte, die kalt und schwarz zu ihren Füßen lauerte.

Ihr Schatten flatterte lang und krumm auf der schimmelfleckigen Wand. Der geschäftige Lärm des Schlosses war verstummt, es war still hier unten, bis auf das gelegentliche ferne Plätschern von Wasser. Das schwache Kerzenlicht trübte ihren Blick, und die Seltsamkeit ihrer Umgebung verwirrte ihre Sinne. Je tiefer sie kam, desto deutlicher machten sich die Höhlengewässer bemerkbar.

Wasser rann aus Löchern in den Wänden. Es querte in winzigen, wie Katzengold flimmernden Bächlein den Weg. Es erfüllte die Finsternis mit rhythmischen Geräuschen, die geisterhaftes Leben vortäuschten, wo nicht einmal eine Assel oder ein Wasserläufer hausten. Die Luft surrte und schwang von einem schwachen Klang wie ein Choral, aber die Stimmen waren keine Menschenstimmen. Sie klangen widerwärtig künstlich, wie blecherne Schnarren und Pfeifen.