Gespenster-Krimi 63 - Michael Schauer - E-Book

Gespenster-Krimi 63 E-Book

Michael Schauer

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Beschreibung

Elena hetzte über den schmalen Waldweg. Es war Nacht, und nur der Vollmond am wolkenlosen Himmel spendete sein fahles Licht. Ihr langes schwarzes Gewand flatterte wie ein Umhang hinter hier her, kleine Steine und Zweige schnitten ihr in die nackten Fußsohlen, doch sie spürte den Schmerz kaum.
Nur noch wenige Meter, dann hatte sie ihr Ziel erreicht.
Dicht hinter sich hörte sie die aufgeregten Stimmen ihrer Verfolger, aber sie wusste, dass diese sie nicht mehr rechtzeitig einholen konnten ...


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Inhalt

Cover

Elena, die Hexe vom Dunklen See

Vorschau

Impressum

Elena, die Hexe vom Dunklen See

von Michael Schauer

Elena hetzte über den schmalen Waldweg. Es war Nacht, und nur der Vollmond am wolkenlosen Himmel spendete sein fahles Licht. Ihr langes schwarzes Gewand flatterte wie ein Umhang hinter ihr her, kleine Steine und Zweige schnitten ihr in die nackten Fußsohlen, doch sie spürte den Schmerz kaum.

Nur noch wenige Meter, dann hatte sie ihr Ziel erreicht.

Dicht hinter sich hörte sie die aufgeregten Stimmen ihrer Verfolger, aber sie wusste, dass diese sie nicht mehr rechtzeitig einholen konnten ...

Hinter der nächsten Wegbiegung tauchte endlich der Zugang zur Lichtung auf. Kurz darauf hatte Elena ihr Ziel erreicht: Der Dunkle See. Schwer atmend blieb sie stehen und ließ ihre Blicke über die Wasseroberfläche schweifen. Kein Lüftchen kräuselte das Wasser in dieser sternklaren Juni-Nacht.

Der See war nicht sehr groß, wenn man ihn einmal umrunden wollte, musste man etwa 600 Meter laufen. Er war umgeben von einem dichten Wald aus hohen Nadelbäumen, und seit jeher rankten sich Mythen und Legenden um ihn. Der ideale Platz für ihren Übergang in die andere Welt. Sie trat ans Ufer. Die Böschung war flach, das glitzernde Nass lag kaum eine Armlänge zu ihren Füßen. Die Erde fühlte sich feucht und kühl an.

Hinter ihr stürmte der erste Verfolger auf die Lichtung. Elena wirbelte herum. Der rund zwei Meter große, bullige Mann mit kahlem Schädel und der typischen Kleidung eines Flößers – dunkles Wams, grüne Hosenträger und schwarze Lederhosen – hielt seinen langen Flößerstab aus massivem Holz in beiden Händen.

Als er Elena sah, blieb er stehen und starrte sie an. Ein unwillkürliches Schmunzeln stahl sich um ihre Mundwinkel. Selbst in diesem Moment verfehlte sie ihre Wirkung auf die Männer nicht. Sie war größer als die meisten anderen Frauen und hatte dichtes, dunkles Haar, das ihr beinahe bis zur schlanken Hüfte reichte.

Ihre Augen waren rehbraun, die Züge waren wohlgeformt, betont von einer ebenmäßigen kleinen Nase und vollen Lippen. Elena war eine beeindruckende Erscheinung. Sie hatte die Waffen einer Frau, und sie hatte sie stets gut einzusetzen gewusst.

Der Mann besann sich auf den Zweck seiner Anwesenheit. »Da ist sie, da ist die Hexe!«, brüllte er.

Im nächsten Moment erreichten zwei weitere Männer keuchend die Lichtung, dann noch einmal fünf. Die Jagdgesellschaft war vollzählig.

Für einige Augenblicke wussten ihre Häscher offensichtlich nicht, was sie jetzt tun sollten. Dann trat Franz Lechner nach vorne. Elena erkannte ihn an seinem kurz geschnittenen blonden Haar und dem Spitzbart. Er war der Anführer. Wie seine Kameraden hielt er eine Flößerstange in den Händen, die Spitze drohend auf sie gerichtet.

»Keine Bewegung, Hexe!« Seine Stimme zitterte ein wenig, wie Elena mit Genugtuung bemerkte.

»Bewege ich mich etwa?«, gab sie in einem so unverfänglichen Ton zurück, als plauderten sie über das Wetter. Franz Lechner sah sie verdutzt an. Dass sie keinerlei Angst zu haben schien, irritierte ihn.

»Sie muss sterben.« Das war der mit dem kahlen Schädel.

»Wo sind meine Kinder?«

»Warum hast du mein Haus abgebrannt?«

»Wieso hast du das Vieh verenden lassen?«

Die anklagenden Fragen prasselten auf Elena ein. Sie antwortete nicht, hielt den bohrenden Blicken ihrer Verfolger jedoch stand.

»Wir werfen sie in den See!«

Den Mann, der das vorgeschlagen hatte, kannte sie nur zu gut. Er hieß Jakob Brumm. Vor einem halben Jahr hatte sie ihn verführt. Ihr völlig ergeben, hatte er seiner Frau abgeschworen, die sich daraufhin zu Tode gestürzt hatte. Natürlich hatte Elena ihn danach fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel. War das eine Freude gewesen!

»Du willst mich in den See werfen? Hat es dir mit mir denn keinen Spaß gemacht?«, rief sie.

»Du Hure!« Brumm machte einen schnellen Schritt nach vorne und zielte mit der Spitze der Stange auf ihre Brust.

Was dann geschah, hätte die Männer beinahe in die Flucht geschlagen. Elenas schönes Gesicht verwandelte sich von einer Sekunde auf die nächste in eine dämonische Fratze. Ihre Haut wurde schwarz wie Kohle, ihre Augen leuchteten glühend rot, die langen Haaren wehten wie von einem gewaltigen Windstoß erfasst, und als sie den Mund öffnete, entblößte sie zwei Reihen fingerlange, nadelspitze Zähne.

Aber eben nur beinahe.

Für Franz Lechner, den mutigsten unter ihnen, war die unheimliche Verwandlung das Zeichen zum Angriff. Die Stange unter den Arm geklemmt wie ein mittelalterlicher Ritter die Lanze, stürmte er auf Elena zu.

Die Spitze traf sie hart an der Schulter. Durch die Wucht des Aufpralls kippte sie nach hinten und fiel in den eiskalten See. Wasser spritzte auf. Elena verschwand in den dunklen Fluten, kam aber sofort wieder an die Oberfläche. Darauf hatte Lechner nur gewartet. Er rammte ihr erneut die Flößerstange gegen die Schulter und drückte sie unter Wasser. Sie versuchte, sich unter dem Holz hinweg zu winden, aber da war schon der nächste Flößer heran. Dieser erwischte sie mit der Stange an der Brust. Schulter an Schulter standen die Männer am Ufer, geschickt setzten sie die langen Stäbe ein und hielten Elena an Ort und Stelle.

Mit einer letzten Anstrengung gelang es ihr, noch einmal an die Oberfläche zu kommen. »Ich verfluche euch, Männer von Wolfstal!« kreischte sie. »Euch und euer armseliges Dorf. hundert Opfer werde ich zu mir in den See holen, und dann kehre ich zurück mit dieser Armee der Toten. Euer Dorf wird brennen. Brennen, hört ihr?«

Jakob Brumm holte aus und schlug ihr den Stab gegen die Stirn. Elena verdrehte die Augen, verlor das Bewusstsein und ging unter. Schnell setzten die Männer wieder ihre Stangen ein, damit sie unter der Wasseroberfläche blieb. Minutenlang verharrten sie, ohne dass sie irgendeine Bewegung oder Gegenwehr gespürt hätten.

»Sie muss jetzt tot sein«, brach Franz Lechner schließlich das Schweigen.

Sie zogen die Flößerstangen aus dem Wasser. Elenas lebloser Körper trieb zurück an die Oberfläche.

»Lasst sie uns rausholen und verbrennen. Nur so können wir sicher sein, dass sie nicht zurückkehrt«, schlug der Kahlköpfige vor.

»Ja, du hast recht. Wir verbrennen sie gleich hier an Ort und Stelle. Genug trockenes Holz gibt es ja.«

»Aber wer holt sie raus?« Kuno Walster, der Mann, dessen drei Kinder verschwunden waren, starrte auf Elenas Leiche. Tot oder nicht, niemals hätte er sich überwinden können, die Hexe anzufassen. Bestimmt war sie immer noch gefährlich.

»Das übernehme ich. Ich bin schließlich der Kräftigste von euch«, sagte der Kahlköpfige, legte die Stange zur Seite und trat ans Ufer. Er ging in die Knie und griff mit der rechten Hand nach der Toten. Im dritten Versuch bekam er das schwarze, klatschnasse Gewand zu fassen und zog den Körper vorsichtig zu sich heran. In diesem Moment bäumte sich Elena mit einem schrillen Kreischen auf.

Einen Lidschlag lang blickte der Kahlköpfige in zwei tote, kalte Augen, dann wurde er von Händen wie Schraubstöcken gepackt und mit einem einzigen Ruck in die Tiefe gezogen. Er hatte nicht einmal Zeit gehabt, zu schreien. Das Wasser spritzte und schäumte, beruhigte sich aber schnell wieder.

Wie gelähmt standen die verbliebenen sieben Männer am Ufer. Weder von ihrem Kameraden noch von Elena war etwas zu sehen. Der See lag still da, als wäre nichts geschehen.

»Hundert Opfer«, flüsterte Franz Lechner. »Das war das erste.«

Die Flößer bekreuzigten sich stumm. Dann machten sie sich auf den Rückweg nach Wolfstal.

Sanft drückte Nils Müller seine Lippen auf die von Luisa Schalm. Sie erwiderte seinen Kuss nur zu gerne und zog ihn fest an sich. Vorsichtig ließ Nils seine Hand unter ihr T-Shirt wandern und stellte erfreut fest, dass sie es sich gefallen ließ.

Das war das erste Mal, offenbar war sie bereit für den nächsten Schritt. Wofür es in seinen Augen auch höchste Zeit wurde, schließlich waren sie nun schon seit über sechs Wochen ein Paar. Luisa hatte ihn zappeln lassen, ein paar Zungenküsse, mehr war bisher nicht drin gewesen. Aber Nils war so in sie verliebt, dass er sich damit abfand, auch wenn er es kaum erwarten konnte, ihre etwas intimeren Regionen zu erforschen.

Luisa löste sich von seinen Lippen und lächelte ihn an. Im hellen Mondlicht sah er deutlich ihr etwas rundliches Gesicht mit den schwarzen Locken und der Stupsnase. Sie war keine klassische Schönheit, kein Mädchen, dem die Jungs hinterherliefen wie die Wölfe dem Lamm. Aber die Siezehnjährige hatte etwas an sich, das ihn von Anfang an bezaubert hatte.

Ein Jahr war es jetzt her, seit sie sich in der Schule in der fünfzehn Kilometer entfernten Kreisstadt Freudenstadt im Schwarzwald zum ersten Mal über den Weg gelaufen waren. Sie ging in eine andere Klasse als er, weshalb sich ihre Begegnungen zunächst auf den Pausenhof und den Schulbus beschränkt hatten.

Nils war hocherfreut gewesen, als er herausgefunden hatte, dass Luisa wie er in Wolfstal wohnte – nur am anderen Ende der kleinen Gemeinde mit ihren etwas über zweitausend Einwohnern.

Ihre Eltern waren hierhergezogen, weil ihr Vater eine Stelle in der Verwaltung in Freudenstadt angenommen hatte. Fast neun Monate hatte es gedauert, bis sie sein Werben erhört hatte und zum ersten Mal mit ihm ins Kino gegangen war. Sie war definitiv keine Frau für das schnelle Abenteuer, aber das gefiel ihm. Und umso mehr hatte er sich gefreut, als er sie endlich erobert hatte.

Seine Freunde hatten ihn nicht verstanden, schließlich war der große, blonde Junge mit den wasserblauen Augen ein Mädchenschwarm. Er hätte viele haben können. Aber er wollte Luisa. Sie war etwas Besonderes.

»Gehen wir schwimmen?« Luisa strahlte ihn an. Wenn sie lächelte, schien in ihrem Gesicht stets die Sonne aufzugehen.

»Schwimmen?«, echote Nils verdutzt. »Wo denn?«

Luisa lachte. »Na hier, du Dummerchen. Im Dunklen See.«

Nils wandte den Kopf. Der kreisrunde See lag still und ruhig da. Obwohl es außer ihm selbst eigentlich nichts zu sehen gab, war er doch ein beliebtes Ziel für Wanderer und Ausflügler, gerade wegen seiner Abgeschiedenheit. Er lag etwa zwanzig Minuten zu Fuß von Wolfstal entfernt mitten in der Natur, umringt vom dichten Nadelwald.

Dort, wo der Weg auf die Lichtung führte, war eine kleine Staumauer gebaut worden, denn bei allzu starkem Regen neigte der Dunkle See dazu, sich in einen wilden See zu verwandeln. In der Vergangenheit hatte er mehr als einmal den Wald bis hinunter ins Dorf geflutet. Am gegenüberliegenden Ufer befand sich die kleine Holzhütte, in der Nils mit Luisa auf einer Bank saß. Im Sommer trafen sich die Jugendlichen aus Wolfstal hier gerne zum Grillen – oder zu anderen, weniger kulinarischen Vergnügungen.

»Also, was sagst du? Gehen wir schwimmen?«

»Ist das dein Ernst?« Der Gedanke, in den See zu steigen, behagte Nils irgendwie nicht.

Die immerwährende Stille an diesem Ort war einerseits angenehm, andererseits aber auch ein bisschen unheimlich. Kein Windstoß schien die Oberfläche je zu erreichen, stets war sie spiegelglatt. Und selbst bei strahlendem Sonnenschein wirkte das Wasser immer eigentümlich dunkel.

Jetzt im Mondlicht funkelte es pechschwarz. Hin und wieder ermahnte ihn sein Vater, sich nach Einbruch der Dunkelheit von diesem Platz fernzuhalten, es ginge da nicht alles mit rechten Dingen zu. Aber Nils war schließlich kein kleiner Junge mehr.

»Das ist doch bestimmt ganz schön kalt«, wandte er ein und hoffte, dass Luisa das von ihrer Idee abbringen würde. Welches Mädchen mochte es schon kalt?

»Ach was, Nils, es war so warm, da hat sich auch das Wasser aufgeheizt. Glaub mir.«

Sie stand auf und sah ihn erwartungsvoll an. Nils seufzte. Die letzten Augusttage waren tatsächlich sehr heiß gewesen. Trotzdem ...

Als Luisa sein Zögern bemerkte, streifte sie ihr T-Shirt über den Kopf, schlüpfte aus Turnschuhen, Jeans und Slip und löste zum Schluss ihren Büstenhalter. Nackt stand sie vor ihm.

Nils blieb der Mund offen stehen. Dieses Mädchen war voller Überraschungen.

»Also, was ist jetzt mit Schwimmen?« Sie lächelte spitzbübisch.

Das war der Moment, in dem er alle seine Bedenken beiseite wischte, Er nickte, erhob sich und zog sich rasch aus, wobei er seine Blicke kaum von ihr abwenden konnte. Schließlich war er ebenfalls nackt.

»Wenn dein Vater uns jetzt sehen könnte«, kicherte Luisa.

Nils setzte ein schiefes Grinsen auf. Kein gutes Thema. Sein Vater Klaus Müller war der Bürgermeister von Wolfstal und von seiner Freundin nicht besonders angetan, was vor allem daran lag, dass Luisa Schauspielerin werden wollte.

»Eine Künstlerin«, pflegte sein Vater in einem Ton zu sagen, als sei schon allein der Gedanke daran eine unerhörte Zumutung.

Nils hätte nie geglaubt, dass sein alter Herr einen solchen Standesdünkel pflegte. Tatsächlich wünschte sich dieser für seinen Sohn, immerhin der Spross eines Bürgermeisters, »was Solides«. Am besten irgendeine langweilige Tochter eines noch langweiligeren Abteilungsleiters in einer langweiligen Firma – egal wo, Hauptsache leitend –, die dann irgendwann eine langweilige Ausbildung machen und ein langweiliges Leben in einem langweiligen Ort wie Wolfstal führen würde.

Das war ganz und gar nicht das, was Nils sich für seine Zukunft vorstellte. Er strebte ein geisteswissenschaftliches Studium an und unterstützte Luisa bei ihren Plänen voll und ganz.

»An den denken wir jetzt besser nicht«, brummte er.

»Auf keinen Fall.« Sie stellte sich auf die Zehenspitzen – er war einen Kopf größer als sie – und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen.

Dann wandte sie sich um, rannte die knapp zehn Meter zum See und sprang hinein. Im Mondlicht konnte Nils das Wasser aufspritzen sehen. Sie tauchte kurz unter, kam aber sofort wieder an die Oberfläche und machte drei kräftige Schwimmzüge, mit denen sie zu Nils' Erstaunen eine beachtliche Strecke zurücklegte. »Komm schon, es ist herrlich!«, rief sie.

Nils setzte sich in Bewegung, deutlich weniger enthusiastisch als seine Freundin. Vorsichtig tauchte er den rechten Fuß ins Wasser. Himmel, von wegen aufgeheizt. Das war ja eiskalt! Aber da musste er jetzt durch.

Mit angehaltenem Atem ließ er sich in den See gleiten. Sofort schien sich ein eiserner Ring um seine Brust zu legen. Bewegen, er musste sich bewegen!

Mit ein paar kräftigen Kraulzügen hatte er Luisa erreichte. Sie trat Wasser und streckte die Arme nach ihm aus. Er zog sie an sich und küsste sie. Ihre Lippen waren kühl, aber er bemerkte kein Zittern. Offenbar war ihr kein bisschen kalt. Aber jetzt, wo sich ihre nackte Brust an seine schmiegte, wurde auch ihm wohlig warm.

Obwohl Nils in Liebesdingen noch nicht allzu viel Erfahrung hatte, war ihm bewusst, dass dies wohl einer der romantischsten Momente seines Lebens war und immer sein würde. Allein mit der Frau seines Herzens nackt im mondbeschienenen See, rundherum nur Stille und Natur. Besser ging es nicht.

»Ich liebe dich«, sagte er.

Ihr Lächeln wurde noch breiter. »Ich ...« Sie zuckte zusammen, das Lächeln verschwand und machte einem nervösen Ausdruck Platz. »Da war etwas.«

»Wo? Was meinst du?«

»An meinem Fuß. Irgendwas hat mich gestreift.«

»Aber es gibt hier keine Fische. Sicher, dass du es dir nicht eingebildet hast?«

»Nein, ganz sicher nicht. Oder ...« Sie wirkte unsicher. »Hast du schon einmal von der Legende von Elena gehört?«

»Elena?«

»Die Hexe vom Dunklen See.«

»Nie gehört. Was soll das sein?« Hatte sein Vater nicht einmal etwas von einer Elena erwähnt? Er erinnerte sich nicht genau. In jüngster Zeit pflegte er auf Durchzug zu schalten, wenn sein alter Herr seine Tiraden hielt.

»Herrje, ich wohne erst seit Kurzem hier und kenne mich besser aus als du. Komm, wir schwimmen zurück, dann erzähle ich es dir.«

»In Ordnung. Draußen ist es doch deutlich wärmer als drinnen.«

Sie versuchte wieder zu lächeln, aber diesmal gelang ihr nur ein schiefes Grinsen. Nils sah einen Anflug von Furcht in ihrem Blick. Im nächsten Moment schwamm Luisa auf das flache Ufer zu. Er folgte ihr.

Schon hatte sie die flache Böschung erreicht und kletterte ans Ufer. Nils hatte gewartet, bis sie an Land war, und griff eben nach einem Ast, um sich aus dem Wasser zu ziehen, da schloss sich ein eiskalter Griff um seinen Knöchel. Ein schmerzhafter Ruck ging durch sein Bein, als er vom Ufer weg und mit schneller Geschwindigkeit zurück in die Mitte des Sees gezogen wurde.

»Nils!«, rief Luisa. »Was machst du denn? Komm raus!«

»Mich hat etwas gepackt!« Seine Augen waren weit aufgerissen, eine Mischung aus Überraschung und Panik spiegelte sich auf seinem Gesicht.

Er paddelte heftig mit den Armen im Wasser, trat mit dem freien Fuß nach unten aus, um das – oder den? – zu treffen, das ihn eisern umklammerte.

Plötzlich löste sich der Griff, und im nächsten Moment durchbrach ein großer Schatten die Wasseroberfläche. Nils starrte in zwei rote, glühende Punkte. Es stank bestialisch nach Moder und brackigem Wasser. Eine Klaue hob sich empor, im Mondlicht konnte er deutlich die rasiermesserscharfen, spitz zulaufenden Krallen erkennen. Die Klaue sauste nach unten, die Krallen durchbohrten seine Kopfhaut und drückten ihn mit unbarmherziger Kraft für immer in das eisige Nass. Der Schatten verschwand und zog Nils Müller mit in die Tiefe.

Luisa Schalm konnte nicht aufhören zu schreien.

»Ich hab's ihm gesagt. Ich hab's ihm immer wieder gesagt, er soll sich nachts vom See fernhalten.« Andreas Müller starrte auf das Wasser.

Der Bürgermeister von Wolfstal war ein knapp einsachtzig großer, etwas dicklicher Mann mit hellblauen Augen und nur noch wenigen, weißen Haaren. Trotz seines freundlichen Aussehens konnte er ruppig, ja sogar aggressiv werden, wenn ihm etwas nicht passte, was ihn im Gemeinderat regelmäßig vor ausufernden Diskussionen bewahrte, weil sich niemand – auch nicht die Mitglieder der eigenen Partei – seinen Zorn zuziehen wollte.