Mord aus vergangenen Tagen - Martin Cordemann - E-Book

Mord aus vergangenen Tagen E-Book

Martin Cordemann

0,0
3,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Im bislang letzten Harry Rhode Band muss der fleißige aber faule Detektiv einen Fall aufklären, der schon sieben Jahre zurück liegt. Dabei gerät er selbst in die Schusslinie. Nebenbei wird ein alter Schulkamerad von ihm des Mordes verdächtigt, ein weiterer Fall, um den sich Harry kümmern muss. Das tut er auf seine gewohnte Art, wie üblich eher mit Witz als mit Spannung. Harry Rhode ist eine Mischung als Philip Marlowe und Columbo – der entwaffnende Humor eines Marlowe und der entwaffnete Ermittler eines Columbo. Es gibt weniger Frauen und weniger auf die Fresse als bei Marlowe, aber ein guter Detektiv zeichnet sich ja nicht nur dadurch aus, was er einstecken, sondern auch, was er auflösen kann. Mal ist es ziemlich klar, wer der Mörder ist und wir begleiten den Detektiv dabei, wie er ihn überführen muss, mal kann auch der Leser mit raten, welcher der Verdächtigen nun für die Tat verantwortlich ist. "Harry Rhode" sind Detektivgeschichten mit Humor.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Martin Cordemann

Mord aus vergangenen Tagen

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Widmung

Vorwort

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Impressum neobooks

Widmung

für Hrvoje Verzi

Vorwort

Der bislangige Abschluss der „Harry Rhode“-Reihe. Band 6, 1990 geschrieben, 9 Jahre später überarbeitet. Tja, was bleibt da zu sagen? Außer der folgenden kleinen Anekdote: 1996 hab ich mit der Überarbeitung der Harry Rhode-Geschichten begonnen – und ich habe in dem Jahr angefangen, zu arbeiten. So sind gewisse Dinge aus meinem Leben in Harrys Leben eingeflossen, z.B. dass er nur in seinen Job reingeschliddert ist. 1998 musste ich dann feststellen, dass jetzt nicht mehr die Literatur das Leben abbildete, sondern das in der Literatur vorweggenommene auch im Leben Wirklichkeit wurde: Ich machte mich selbständig. Und ziemlich genau in dem Alter, in dem ich etwa 10 Jahre zuvor geschrieben hatte, dass er es tun würde.

Nach den Büchern

„Tod unterm Leuchtturm“

„Tod du Fröhliche“

„Geigenmord“

„Frauenvolle Morde“

„Lizenz zum Schnüffeln“

ist

„Mord aus vergangenen Tagen“

nun also der sechste und letzte Band um, mit und über „Harry Rhode“, Polizist, Detektiv, Ich-Erzähler und Kriminalfalllöser.

In einigen Geschichten wird angedeutet, wie Harry zur Polizei gekommen ist und ich hatte auch gedacht, ich hätte irgendwo mal eine Nebenhandlung geschrieben, wie es in seinem Studentenwohnheim zu einem Mord kommt, Kronzucker ermittelt, wodurch sich die beiden kennen lernen – und Harry löst den Fall, was dazu führt, dass Kronzucker ihn zur Polizei holt. Scheinbar jedoch habe ich das nicht geschrieben – und so muss dieser kleine Absatz hier als Vorgeschichte dienen, die Sie sich selbst in Ihrer Phantasie ausmalen können. Oder hätte müssen, wenn ich das dann nicht für diese E-Book-Veröffentlichung der Reihe nachgeholt und in das Krimi-Ich-Erzähler-Theater-Stück „Schuld und Bühne“ (in Band 3: „Geigenmord“) eingebaut hätte… nur so, zur Info. Hätte ich diese Geschichte damals geschrieben, hätte sie wahrscheinlich weit düsterer ausgesehen, aber heutzutage habe ich sie und mich vom schnellen Dialog dahintragen lassen und so zeigt sie Harry auch damals schon als wortgewandten Klugscheißer.

Tja, ich würde mal sagen, das war‘s erstmal! Wird es je wieder neue Geschichten oder gar einen neuen Roman mit Harry Rhode geben? Kann schon sein. Muss aber nicht. Lassen Sie sich überraschen! Und einen schönen Tag noch!

In diesem Sinne: Viel Spaß!

Prolog

Man konnte nicht gerade sagen, dass das Geschäft gut lief. Man konnte auch nicht gerade sagen, dass das Geschäft miserabel lief. Man konnte lediglich sagen, dass es das Geschäft noch gab. Ich spreche von dem kleinen Laden an der Ecke, nicht von meinem Geschäft! Ich habe zwar hin und wieder einen Fall, aber so dreckig wie meinen großen Vorbildern geht es mir doch noch nicht. Ich schlage mich zwar nie mit Scheidungssachen herum, aber dafür habe ich auch sonst keine Frauenbekanntschaften. Mit anderen Worten: Es ging mir so wie immer!

Ich befand mich gerade zufällig in meiner Wohnung, als das Telefon zu klingeln begann. Ich befinde mich immer rein zufällig in meiner Wohnung, wenn das Telefon zu klingeln beginnt. Es sei denn, ich bin gerade nicht da. In diesem Fall war ich da, genauer gesagt es regnete und ich arbeitete alte Fälle durch. Mit anderen Worten: Ich las einen Kriminalroman.

„Rhode“, meldete ich mich zutreffenderweise.

„Harry Rhode?“

„Ja?!“

„Der Privatdetektiv?“

Das musste sich schon herumgesprochen haben. Aber immerhin arbeitete ich ja auch erst seit einem Jahr in diesem Beruf. „Richtig. Haben Sie meine Nummer aus dem Branchenverzeichnis?“

„Nein.“

Was mich denn auch gewundert hätte, denn obwohl ich schon seit einem Jahr mein Dasein als Privatdetektiv fristete, hatte ich es noch immer nicht geschafft, mich ins Branchenverzeichnis eintragen zu lassen.

„Was kann ich denn für Sie tun?“ Es handelte sich übrigens um eine Frauenstimme!

„Es gibt da... kann ich Sie sehen?“

„Hmmm“, ich blätterte in meinem Buch. Noch etwa 20 Seiten. „Wann schwebt Ihnen da so vor?“

„In einer Stunde?“ Ich sah auf eine Uhr. In einer Stunde war es Zeit, zu Mittag zu essen. Das klang für mich nach einem Geschäftsessen. Ich sagte also zu. Wir verabredeten uns in einem Restaurant, ein sehr gutes Zeichen.

Natürlich war sie hübsch. Es ist ja nicht so, dass ich nur Fälle von hübschen Klientinnen annehme, es ist auch nicht so, dass alle anderen Klientinnen hässlich wären, es erzählt sich nur einfach schöner, wenn man es mit einer attraktiven Kundin zu tun hat. Und eine solche wollte sie ja werden, eine Kundin, attraktiv war sie ja schon. Sie trug ein eng anliegendes schwarzes Kleid, hatte dunkelblonde lange Haare und war nicht geschminkt ­– also in etwa der Typ Frau, der mir das Herz brechen kann. Aber das tat nichts zur Sache, hier ging es um etwas wichtigeres, hier ging es um ein Mittagessen.

„Herr Rhode?“ Von links sprach mich eine nicht minder hübsche Frau an. Sie hatte schwarze Haare, trug ein passendes rotes Kleid und war leicht geschminkt ­– also in etwa der Typ Frau, der mir das Herz brechen kann.

„Ja, äh, bitte?“

„Wir haben telefoniert“, erklärte mir die rote Frau und lächelte, während ich noch einen halbherzigen Versuch wagte, mich bei dem Begleiter der Blonden, die offensichtlich nicht meine Klientin werden wollte, aus der Klemme zu ziehen. Sie führte mich zu ihrem Tisch und lud mich ein, einen Blick auf die Speisekarte zu werfen. Ich bedankte mich und dann stellte sie sich vor, ziemlich früh wie ich fand, aber ich hatte ja nicht gefragt.

„Herr Rhode, mein Name ist Agnes Glich. Ich habe Sie angerufen, weil...“ Sie druckste herum.

„Weil mein Name an erster Stelle der Privatdetektive steht und man sich dann nicht die Mühe machen muss, weiterzusuchen?!“

„Nein, ich habe ganz bewusst Sie gewählt.“

Mein Name stand auch an 73. Stelle.

„Sie haben Schlagzeilen gemacht.“

„Man konnte mir damals nichts beweisen.“

„Als Sie noch Polizist waren, meine ich. Deswegen bin ich auf Sie gekommen.“

Deswegen kamen alle auf mich. Das Gedächtnis der Leute ist teilweise wirklich bemerkenswert. Zum Beispiel habe ich einen Freund, dem ich seit 15 Jahren 25 Mark schulde und jedes mal wenn wir uns sehen spricht er mich darauf an. Und das, obwohl es die Mark gar nicht mehr gibt!

„Okay, nachdem wir das geklärt haben und nachdem ich Sie darauf aufmerksam gemacht habe, dass ich nicht billig bin...“ Die Kellnerin kam. „Und nachdem wir bestellt haben... was kann ich für Sie tun?“

„Mein Mann... es ist eine lange Geschichte. Herr Rhode, mein Mann ist vor sieben Jahren plötzlich verschwunden.“ Dann hatte er einen guten Vorsprung, wenn ich ihn jetzt suchen sollte. In dieser Zeit konnte er Diktator in einem lateinamerikanischen Land geworden sein – oder Präsident der Vereinigten Staaten. „Natürlich habe ich ihn damals vermisst gemeldet, aber die Polizei hat ihn nicht gefunden. Bis vor kurzem.“ Langsam wurde es interessant – unser Essen kam. „Vor einer Woche hat man seine Leiche gefunden.“ Sie trank einen Schluck, um den Kloß in ihrem Hals zu bekämpfen. „Ich hatte auch nicht mehr damit gerechnet, ihn jemals wieder zu sehen. Sie können sich vielleicht vorstellen, was es für ein Schock für mich war...“ Ich legte meine Hand auf die ihre. Ich konnte es mir zwar nicht vorstellen, aber ich wollte wenigstens den Eindruck erwecken. „In einem See.“ Ich erinnerte mich düster, etwas darüber gelesen zu haben. Jemand hatte seine Leiche in einem Baggersee verschwinden lassen, den man jetzt für Bauarbeiten leer gepumpt hatte. Dabei hatte man die Leiche gefunden. Sie erzählte mir, was ihr die Polizei erzählt hatte, nämlich, dass ihr Mann erschlagen worden war und man seine Leiche dann auf dem Grund in der Mitte des Sees deponiert hatte. Und das ganze vor etwa sieben Jahren, also zu der Zeit, als er verschwunden war. Das erschwerte es ein bisschen, den Tatort auf Spuren zu untersuchen.

„Ich möchte, dass Sie herausfinden, wer meinen Mann ermordet hat“, bat sie mich. „Ich weiß, es liegt lange zurück und deswegen glaube ich nicht, dass es die Polizei besonders interessieren wird.“ Für die war der Fall neu, weil sie erst jetzt davon Wind bekommen hatte, aber das sagte ich ihr nicht, weil ich ja auch irgendwie meine Brötchen verdienen musste, und wenn es ging auch etwas Mett dazu. „Natürlich weiß ich, dass es viel verlangt ist und ich weiß nicht, ob Sie nach so langer Zeit noch eine Spur finden können.“ Das wusste ich allerdings auch nicht.

„Es ist wirklich eine heikle Angelegenheit, Frau Glich. Im Moment wären Sie mein erster Ansatzpunkt. Ich müsste mich eingehend mit Ihnen unterhalten, versuchen, etwas über Ihren Mann herauszufinden, was er gemacht hat, etwas über seine Persönlichkeit erfahren, mir ein Bild von ihm machen und mich dann in die Archive begeben. Und... das wird eine große Belastung für Sie sein.“

„Das ist es ohnehin.“ Sie ließ sich die Rechnung kommen und bezahlte. „Danke, dass Sie den Fall übernehmen.“ Sie lächelte mir zu. Ich hasse es, wenn Frauen das tun, zumindest, wenn sie es so tun und wir beide ganz genau wissen, dass zwischen uns nie etwas passieren wird.

Ich lächelte zurück und erhob mich. Vom anderen Tisch lächelte mich die Blonde in der gleichen Weise an wie meine Klientin. Als ihr Begleiter das bemerkte, lächelte auch er mich an, etwa in der Art eines hungrigen Wolfes. Freundlich lächelte ich zurück und verließ auf den Spuren meiner Klientin das Restaurant. Ich verabredete mich mit ihr für den frühen Abend. Erstmal wollte ich zum Baggersee fahren und versuchen, dort ein bisschen herauszubekommen. Ich war wieder im Geschäft!

Kapitel 1

Scheinbar maß die Polizei diesem Fall enorme Bedeutung bei. Zumindest aber der Chef der Mordkommission, Prosser, schien dem Fall enorme Bedeutung beizumessen, denn Erselbst befand sich am Baggersee. Möglich war auch, dass er plante, im nächsten Sommer mit seiner Familie zum Surfen hierher zu kommen, aber wer konnte das schon mit Sicherheit sagen? Jedenfalls war er genauso begeistert, mich zu sehen, wie ich ihn.

„Rhode.“ Er spie meinen Namen förmlich aus. Und das, obwohl er der Grund war, warum ich die Polizei verlassen hatte und nicht umgekehrt. „Was wollen Sie hier?“

„Im Gegensatz zu Ihnen muss ich etwas für mein Geld tun.“

„Bearbeiten Sie immer noch Scheidungsfälle?“

„Sie lesen die falschen Bücher. Oder, falls Lesen nicht zu Ihren Stärken zählt, was ich annehme, sehen die falschen Filme. Davon ab würde ich in Ihrem Fall allerdings eine Ausnahme machen. Dürfte Ihre Frau sicher freuen!“

„Möchten Sie, dass ich Sie verhaften lasse?“

„Wie oft wollen Sie das eigentlich noch versuchen? Sagen Sie mal, lernen Sie eigentlich nichts aus Ihren Fehlern? Aber wen frag ich das?“ Ich ließ meinen Blick über die Umgebung schweifen. „Was ist an diesem Fall so wichtig, dass es sogar Ihren Arsch hinterm Schreibtisch weggelockt hat?“ Wobei die korrekte Formulierung: „Sie Arsch“ gewesen wäre, aber das musste ich ihm ja nicht sagen. Jedenfalls hatte ich ihn in die Zwickmühle gebracht, sich zu entscheiden, ob er mich lieber anschreien oder das offensichtliche dementieren sollte. Er entschied sich, schweren Herzens wie ich annehme, für die dümmere Variante.

„An welchem Fall?“

„Ach kommen Sie, Prosser, stellen Sie sich nicht dümmer als ich glaube, dass Sie sind. Ich habe den offiziellen Auftrag, den Tod von Maximilian Glich zu untersuchen und sollte man mir dabei Steine in den Weg legen, oder präziser: sollten Sie mir dabei Steine in den Weg legen, könnte das ganz böse Folgen haben. Würden Sie nun also bitte die Freundlichkeit haben, mir mitzuteilen, was Sie hier draußen tun?“

„Wie Sie ganz richtig festgestellt haben, untersuchen wir den Fall Glich“, brummte er.

„Na bitte, geht doch.“

Prosser schien alles andere als begeistert zu sein, mir zu helfen. Aber andererseits schien er sich auch nicht ganz über die Rechtslage im Klaren zu sein. Ich war mir darüber zwar auch nicht im Klaren, aber das nur nebenbei bemerkt.

„Man hat seine Leiche auf dem Grund des Sees gefunden“, murrte er und deutete in eine Richtung, in der sich einige Polizisten befanden und den schlammigen Grund des nunmehr abgelassenen Sees untersuchten. „Der Kopf war vollkommen zertrümmert, die Leiche größtenteils verwest. Man hat den Toten mit Gewichten beschwert auf den Grund des Sees sinken lassen.“

„Hmm, interessant. Woher wissen Sie, dass es Glich ist?“

„Er hatte seine Papiere in der Tasche.“

„Wie praktisch. Hmmm, er muss einen maschinenlesbaren Personalausweis gehabt haben.“

„Ja, wie kommen Sie darauf?“

„Weil einer dieser alten Ausweise, die es vor sieben Jahren auch noch gab, in dem Wasser bestimmt bis heute verrottet wäre. Was wohl auch auf den Rest seiner Papiere zutreffen dürfte. Die Frage ist nun, was können wir daraus schließen, dass er seine Papiere bei sich hatte?“

„Sagen Sie es mir.“

„Entweder der Mörder wusste es nicht oder er hat nicht damit gerechnet, dass man ihn finden würde. Oder es war ihm einfach egal. Oder es war gar nicht Glich, der ermordet wurde. In dem Fall würde dann der Verdacht natürlich auf Glich selber fallen und wir müssten uns überlegen, wen wir hier gefunden haben. Dann wäre da noch die Möglichkeit, dass Glich dem Opfer zufällig seine Jacke geliehen hat, bevor dieses das Zeitliche gesegnet hat. Oder aber der Tote ist ein Taschendieb, der Glich vorher ausgeraubt hat und dann von irgendjemandem umgelegt wurde. Habe ich eine Möglichkeit ausgelassen?“

Prosser war sowohl absolut unsympathisch als auch ein ganz kleines bisschen beeindruckt. „Nein.“

„Gut, fassen wir also zusammen. Glich ist vor sieben Jahren verschwunden. Dieser Mann hier ist vor sieben Jahren ermordet und seebestattet worden. Und er hatte Glichs Papiere bei sich. Richtig?“

„Richtig.“

„Und was schließen wir daraus?“

„Ich weiß nicht.“

Ich nickte. „Tja, ich weiß es nämlich auch nicht. Und jetzt erzählen Sie mir endlich, warum dieser Fall so wichtig für Sie ist!“

Prosser sah sich um, als könnte uns jemand belauschen. „Rhode, sollte etwas von dem, was ich Ihnen jetzt sage, an die Öffentlichkeit kommen, nagele ich Sie eigenhändig fest. Haben Sie mich verstanden?“

„Zum ersten Mal!“

„Es ist nicht nur der Tote, den wir gefunden haben. Er hatte noch etwas bei sich.“

Ich sah ihn fragend an. „Als da wäre?“

„Sagen wir, Mikrofilme von geheimen Unterlagen.“

„Wirklich witzig, Prosser. Und was sollen das für ach so geheime Unterlagen sein? Etwa über ein so wichtiges Thema wie die Bundeswehr? Lachhaft!“

„Sie müssen mir vertrauen.“

Ich schüttelte den Kopf. „Na klar. Und was für Unterlagen waren das dann? Stasiakten? Oder die Hitlertagebücher? Prosser, entweder Sie lassen die Katze aus dem Sack und hören auf, mich auf derart laienhafte Weise zu verarschen, oder ich werde Ihnen nicht den geringsten Einblick in meine Untersuchungen geben.“

„Rhode“, Prosser tat so, als säße er am längeren Hebel. „Verschwinden Sie hier! Es gibt nicht den geringsten Grund, warum ich einem kleinen billigen Schnüffler wie Ihnen...“

„Ein kleiner billiger Schnüffler? Haben Sie das aus Der große Schlaf von Raymond Chandler?“

„Bitte?“

„Oder aus welchem Detektivfilm ist das? Hören Sie mal, Prosser, Sie wollen mir doch nicht weismachen, dass diese Schnüfflersprüche auf Ihrem Mist gewachsen sind. Irgendwoher müssen Sie die doch haben. Detektive sind nämlich von der kulturellen Seite mehr eine amerikanische Tradition als eine deutsche.“

„Und warum sind Sie dann einer?“

„Weil ich eben nie ein guter Deutscher war. Und dann ist irgendwann irgendein Arschloch neuer Chef der Mordkommission geworden und ich bin gegangen. Worden. Wieauchimmer, sollte ich herausbekommen, dass Sie in irgendeinem Zusammenhang zu diesem Fall stehen, wird es mir ein Vergnügen sein, Sie verhaften zu lassen.“

„Vor einem Jahr sind Sie mir in die Quere gekommen...“ murmelte er.

„Ja. Und sollten Sie dieses Mal wieder vorhaben, mich verarschen zu wollen, dürfte sich das ziemlich unangenehm auf Ihre Karriere auswirken.“

Ich drehte mich um und ging. Blieb die Frage, warum sich dieser unsympathische Schreibtischhocker für diesen Mordfall interessierte. Die Mikrofilmgeschichte war reiner Schwachsinn. Aber was konnte dahinter stecken? Erstmal musste ich mehr über Maximilian Glich in Erfahrung bringen. Da Prosser sich am Baggersee befand, war das jetzt der beste Zeitpunkt, meine Aufwartung im Polizeipräsidium zu machen und ein wenig in alten Akten zu stöbern.

Die eine oder andere Person im Präsidium freute sich, wenn ich mal hereinschneite. Auch das bezaubernde Fräulein Rausch warf mir einen ihrer bezaubernden Blicke zu, von denen ich heute bereits zwei gehabt hatte und die im Endeffekt auch nichts brachten.

Ich ließ mir aus dem Archiv die Akte des Falles Glich vor sieben Jahren heraussuchen, desgleichen in der Computerabteilung die Morde und Vermisstenlisten im Zeitraum von drei Wochen um das Verschwinden Glichs. Dazu ließ ich mir dann auch noch die entsprechenden Akten kommen, kopierte das alles illegalerweise und war wieder verschwunden, bevor Prosser zurück war. Was genau diesen eigentlich an dem Fall interessierte, konnte mir aber auch keiner sagen. Man munkelte jedoch, dass auch das BKA in die Untersuchungen eingeschaltet war. Das konnte vieles bedeuten, aber ich sah noch in keiner Weise klar, was es nun tatsächlich bedeutete.

Meine Verabredung mit meiner Klientin konnte ich ohne Probleme einhalten. Unterwegs blätterte ich ein bisschen in meinen Kopien und stellte wenigstens schon mal fest, dass Glich in einer Bank gearbeitet hatte, bevor er verschwunden war. Wie sich herausstellte, stellte sich kurz nach seinem Verschwinden heraus, dass eine nicht unbeträchtliche Menge Geldes veruntreut worden war und der Verdacht auf Glich fiel. Aber das lag alles sieben Jahre zurück.

Ich klingelte bei Frau Glich und sie empfing mich mit einem freundlichen Lächeln und einem Stück Kuchen. Es war Schokoladenkuchen, solcher mit Nougatüberzug, den ich am liebsten mag.

„Das ist mein Lieblingskuchen“, murmelte ich zwischen zwei Bissen. „Woher wussten Sie das?“

Sie lächelte. „Ich wusste es nicht. Haben Sie schon etwas herausgefunden?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Nicht viel, eigentlich nichts. Ich würde noch nicht mal mit Sicherheit davon ausgehen, dass es Ihr Mann war, den man da im Baggersee gefunden hat.“

„Nicht? Herr Rhode, ich möchte, dass Sie mich richtig verstehen. Ich möchte Klarheit, was meinen Mann angeht. Ich will wissen, ob er tot ist oder noch lebt, ob er damals das Geld veruntreut hat oder jemand anderes, ich will es wissen. Viel zu lange habe ich diese Geschichte ruhen lassen.“

Da konnte sie allerdings Recht haben. Ich hatte mir das Problem ja schon ausgemalt. „Ich habe mir die alten Untersuchungsergebnisse geholt und noch ein paar andere Akten aus der Zeit. Aber... bisher habe ich keinen Anhaltspunkt gefunden. Die Sache hat zu lange gelegen, ich habe ehrlich gesagt keine große Hoffnung, dass ich Ihnen weiterhelfen kann.“

„Ich bin sicher, dass Sie Ihr bestes tun werden.“

„Die Frage ist, ob es was bringt. Sagt Ihnen der Name Prosser etwas?“

Sie überlegte und schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich war Prosser vor sieben Jahren noch nicht mal in der Stadt gewesen. „Können Sie sich vorstellen, warum sich jemand, der sonst nicht das geringste Interesse an der Lösung von Mordfällen hat, es sei denn, er kann sich dabei profilieren, sich auf einmal für diesen Fall interessiert? Oder das BKA?“

Wieder schüttelte sie den Kopf. „Mein Mann war Bankangestellter. Er war kein Krimineller.“ Betrachtete man das Bankwesen, war das ein Widerspruch in sich. „Oder jedenfalls nicht soweit ich davon wusste. Glauben Sie mir, mir ist die ganze Sache so schleierhaft wie Ihnen.“

„Ja“, ich überlegte kauend und kaute überlegend. „Bauen wir uns mal ein paar Theorien auf. Also, nehmen wir an, der Tote ist Ihr Mann und man hat ihn erschlagen und dafür gesorgt, dass seine Leiche auf dem Grund des Baggersees blieb... damit man sie nicht findet und ihn für denjenigen hält, der das Geld unterschlagen hat. Aaaaalso wäre der größte Verdächtige demnach derjenige, der das Geld wirklich unterschlagen hat. Den brauchen wir also nur zu finden und schon haben wir den Mörder Ihres Mannes und seine Weste wäre rein gewaschen... wovon er angesichts seines Todes natürlich nichts hat.“

„Ja“, stimmte sie zu. „Das ist eine Theorie. Aber wie wollen Sie sie beweisen? Und welche Theorien könnte es noch geben?“

„Tja, gute Frage. Und was die anderen Theorien angeht... Da wäre zum Beispiel eine unschöne.“

„Welche?“

„Ihr Mann hat das Geld unterschlagen, jemand hat das spitz gekriegt und wollte ihn erpressen, also hat Ihr Mann ihn beiseite geräumt, mit seinen Papieren ausgestattet und ist getürmt. Lässt sich wahrscheinlich dadurch beweisen oder widerlegen, dass wir herausfinden, ob noch jemand, der davon gewusst haben kann verschwunden oder ermordet worden ist.“

Sie sah traurig aus.

„Möglich ist auch, dass Ihr Mann das Geld unterschlagen hat, jemand hat das spitz gekriegt, hat Ihren Mann umgebracht und sich das Geld unter den Nagel gerissen.“

Auch das schien ihr nicht besser zu gefallen.

„Oder die ganze Sache hatte nichts mit dem Geld zu tun... Wer weiß? Eifersucht möglicherweise? Keine Ahnung, prinzipiell kann es alles gewesen sein. Sie könnten es sogar gewesen sein. Theoretisch.“

Sie könnte ihn ermordet haben… sie könnte ihn überredet haben, das Geld zu veruntreuen und ihn dann ermordet haben. Und jetzt, wo seine Leiche unpassendeweise im wahrsten Sinne des Wortes wieder aufgetaucht war, ging sie in die Offensive und engagierte mich, um davon abzulenken, dass eigentlich sie die Schuldige war… aber das sagte ich ihr natürlich nicht!

„Also gut, gehen wir logisch vor. Ich habe hier eine Liste der Personen, die im betreffenden Zeitraum gestorben oder als vermisst gemeldet worden sind. Würden Sie sie sich bitte ansehen?“

„Natürlich. Aber glauben Sie, das bringt etwas?“

„Es ist nur eine Möglichkeit.“

Sie sah sich die Liste an, aber keiner der Namen schien ihr etwas zu sagen. Auf den ersten Blick konnten wir also sagen, dass sich die Chancen, tatsächlich ihren Mann gefunden zu haben, verbesserten. Ich überflog die Namen in der Bankliste von damals, doch auch hier ergaben sich keine Parallelen.

„Okay, soviel dazu“, murmelte ich und legte die Kopien in meine Tasche.

„Und was wissen wir jetzt?“

„Nichts. Wir haben nur die Wahrscheinlichkeit verringert, dass da die ganze Zeit irgendein anderer Bankangestellter auf dem Grund des Baggersees gelegen hat. Es sei denn, es ist jemand, der in den bisherigen Theorien nicht berücksichtigt wird. Aber sagen wir einfach mal, dass die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei dem Toten tatsächlich um Ihren Mann handelt, ziemlich in die Höhe gegangen ist.“

„Hilft uns das weiter?“

„Nicht viel. Eigentlich kaum. Wenn man‘s genau betrachtet...“ Ich hob die Schultern.

„Was tun Sie für gewöhnlich in einem solchen Fall?“

„Ich hatte noch nie einen solchen Fall. Ich frage mich, wer sich heute noch daran erinnert, was vor sieben Jahren passiert ist. Und wie kann man den Leuten irgendwas nachweisen, wenn sie sieben Jahre Zeit hatten, um die Beweise verschwinden zu lassen?“

„Ich habe gehört, dass Sie sehr... kreative Methoden haben. Und dass Sie nicht immer Beweise gebraucht haben, um einen Mörder zu überführen.“

Ich seufzte. „Ich gestehe es Ihnen und vor allem mir nur ungern ein, aber im Moment befinde ich mich in einem kreativen Loch. Mir fehlen derzeit die originellen Ideen, ich meine, fürs Fernsehen würd’s immer noch reichen, aber...“ Ich hob die Schultern. „Es ist dieses Gefühl, leer zu sein, ausgebrannt, ohne eine Richtung. Ich meine... meine letzten Fälle waren alles Routine, ohne große Herausforderung. Aber jetzt... dieses Gefühl, seine sprühende Phase hinter sich zu haben ist ein bisschen... deprimierend!“

„Ich glaube nicht, dass Sie schon leer sind.“

„Tja, ich wünschte, ich könnte mich Ihrem Glauben anschließen.“

„Vielleicht könnte der Beistand einer Frau eine Hilfe für Sie sein?“

„Der Beistand einer Frau?“ Ich blickte ins Leere. „Wissen Sie, manchmal... Manchmal hab ich das Gefühl, ich ticke wirklich nicht ganz richtig. Ich meine, ich suche jahrelang nach einer Frau, die mich liebt. Und dann finde ich sie und sie ist nett und sieht auch ganz nett aus und was bekomme ich plötzlich? Panik! Ich habe plötzlich eine teuflische Angst davor, mich an diese Frau zu binden und so meine Ruhe und meine Sicherheit und vielleicht auch meine Kreativität zu verlieren. Und warum das alles? Ich liebe sie nicht. Aber sie liebt mich. Tja, so eine Situation kann einem schon ein bisschen zu schaffen machen, oder was glauben Sie?“

„Sie sind ein bemerkenswerter Mensch.“

„Das ist... ausgesprochen mitfühlend formuliert, aber vielen Dank. Übrigens machen Sie einen bemerkenswert phantastischen Schokoladenkuchen.“ Ich erhob mich. „Ich muss jetzt.“ Sie geleitete mich zur Tür. „Das widersinnige ist“, fügte ich hinzu, „es hätte mir nichts ausgemacht, mit einem anderen Mädchen etwas anzufangen...“ Ich lächelte. „Mal sehen, was ich in Ihrem Fall tun kann!“

Zuhause ließ ich mich deprimiert in meinen Sessel fallen und starrte die Wand an. Mit mir war nichts mehr los, aber auch gar nichts. Ich konnte mich nicht auf den Fall konzentrieren, ich sah nicht die geringste Möglichkeit einer Spur, keinen Ansatzpunkt, nicht einmal eine Fährte. Lustlos blätterte ich die Kopien durch. Wie sollte ich herausbekommen, wer Glich ermordet hatte – sofern es wirklich Glichs Leiche war? Und aus welchem Motiv? Vielleicht war ja selbst der Mörder schon tot.

Ich starrte die Wand an und dachte an nichts, was mir überraschend leicht fiel. Es ging eben bergab mit mir. Vielleicht sollte ich zur Zeitung fahren und mir die Zeitungsberichte durchlesen, aber ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass das auch keine so gute Idee mehr war. Also rief ich Duffy an, der für einen deprimierenden Abend immer zu haben war, oder der einem so ziemlich jeden Abend zu einem deprimierenden machen konnte. Er wohnte gleich nebenan in der ehemaligen Hauptstadt Bonn.

„Du siehst mies aus“, meinte er, als er sich zu mir, der ich schon bei meinem zweiten Guiness war, setzte.

„Oh, vielen Dank.“

„Gern geschehen. Du trinkst Guiness?“

„Nein, ich trinke Whisky, aber weil die Bedienung weiß, dass du mich nicht dabei sehen darfst, wenn ich harte Sachen trinke, schüttet sie das Zeug in Guiness-Gläser.“

„Du bist wirklich mies drauf.“

„Das war ich schon immer. Und, wie sieht es bei dir aus?“

„Angela erwartet ein Kind, aber ich denke, das habe ich dir schon gesagt.“

„Ja, wenn du mir jetzt nur noch auf die Sprünge helfen könntest, wer Angela ist...“

„Meine Frau!“

„Du bist verheiratet?“

„Hör mal, ich bin seit ein paar Jahren verheiratet!“

„Tja, kannst du mal sehen. Du bist also verheiratet... tststs, wusste ich doch. Und deine Frau erwartet ein Kind?“

„Willst du mich eigentlich verarschen?“

„Tja, wenn du so fragst...“ Ich grinste. „Es ist immer wieder eine Wonne, sich mit dir zu unterhalten.“

„Kann man von dir nicht unbedingt behaupten.“

„Mach weiter, ich finde langsam zu meinem alten Stil zurück.“

„Hast du einen neuen Fall?“

„Japp.“

„Worum geht es dabei?“

„Hör mal, wenn ich das jetzt erzähle, ist doch die ganze Spannung weg. Nein, im Ernst, es geht um einen Mordfall, der sieben Jahre zurück liegt und ich habe, wie üblich, nicht die geringste Ahnung, wie ich ihn lösen kann. Verstehst du, ich meine, ich habe nicht mal einen Hauptverdächtigen oder überhaupt einen Verdächtigen, ist das nicht deprimierend?“

„Ich verstehe dein Problem.“

„Das wäre das erste Mal!“

„Soll ich gehen?“

„Bist du mit dem Wagen hier?“

„Ja.“

„Dann warte, bis ich mein Bier habe. Du kannst mich n Stück mitnehmen.“

„Was willst du eigentlich?“