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Leroy Spade und Myriam Sunbeam haben sich von ihrem Trail nach Glennwood Springs ein großes Geschäft erhofft. Die Schafzüchterin aus einem Nachbar-Valley der Skull-Ranch will in der Stadt der Eisenbahnbauer eine Schafherde verkaufen.
Aber Leroy Spade und Myriam haben die Rechnung ohne den Rinderbaron Warren Bullard gemacht. Ihm ist jedes Mittel recht, um die unerwünschte Konkurrenz auszuschalten. Als Leroy Spade dessen Bruder Perry in Notwehr erschießt, ist für Bullard der Fall klar. Leroy Spade soll hängen...
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Seitenzahl: 141
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Die Tür zum Galgen
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Impressum
Die Tür zum Galgen
von Dan Roberts
Leroy Spade und Myriam Sunbeam haben sich von ihrem Trail nach Glennwood Springs ein großes Geschäft erhofft. Die Schafzüchterin aus einem Nachbar-Valley der Skull-Ranch will in der Stadt der Eisenbahnbauer eine Schafherde verkaufen.
Aber Leroy Spade und Myriam haben die Rechnung ohne den Rinderbaron Warren Bullard gemacht. Ihm ist jedes Mittel recht, um die unerwünschte Konkurrenz auszuschalten. Als Leroy Spade dessen Bruder Perry in Notwehr erschießt, ist für Bullard der Fall klar. Leroy Spade soll hängen...
Leroy Spade und Myriam Sunbeam sahen sich an. Plötzlich war es still geworden. Nur vom Tresen her hörte man das Klirren von Glas.
Langsam hob Spade den Kopf und musterte die angetrunkenen Gäste im Saloon.
Sie blickten alle in eine Richtung, starrten zur Pendeltür.
Ein Mann hielt sich mit den Händen an den Oberkanten der beiden Türhälften fest. Er schwankte vor und zurück. Sein dunkler Bart starrte vor Essensresten. Tabakasche verlieh dem Schmutz und den Haaren ein geschecktes Aussehen.
»Schafe!«, brüllte der Betrunkene, »verdammte, stinkende Schafe!«
Er ließ die Türen los, schoss förmlich vier Schritte vorwärts und umklammerte einen vierschrötigen Schwellenleger, der breitbeinig im Raum stand.
»Danke dir, Partner«, sagte der Betrunkene etwas undeutlich. »Irgendwas ist passiert. Diese dreckige Welt läuft mir davon.«
Behutsam löste der Bärtige seinen Griff, schwankte wie ein Rohr im Wind und taumelte weiter.
Sofort öffnete sich am Tresen eine Lücke. Die Männer wichen zu den Seiten aus. Zufrieden krallte sich der Betrunkene mit der Linken an den Handlauf, vollführte mit der anderen Hand eine großartige Geste und brüllte: »Whisky, Keeper, ein Fass voll Pumaspucke. Ich will mich besaufen, bis ich nichts mehr sehe und höre. Weißt du warum? Wegen der verdammten Schafe.«
Kampflustig wandte der Mann den Kopf. Trotz seiner Trunkenheit erweckte er noch immer den Eindruck, höllisch schnell und gefährlich zu sein.
»Oder hat hier jemand was für diese verfluchten Wollbieter übrig?«
Niemand antwortete. Myriam sah ihren Freund an. Leroy lächelte schwach und murmelte: »So ist das eben, Lady. Du weißt es ja selbst. Hast du was für Schafe übrig?«
»Und ob«, erwiderte die schöne Frau laut, »ich züchte Schafe, verkaufe sie und lebe davon. Jedenfalls brauche ich nicht hinter stinkenden Kuhschwänzen herzureiten.«
Ihre Worte waren laut genug gewesen. Der Bärtige am Tresen wirbelte herum, verlor den Halt und knallte auf den Boden. Fluchend stemmte er sich hoch, gelangte taumelnd auf die Beine und schwankte zu dem Tisch, an dem Myriam und Leroy Spade saßen.
»Wer züchtet hier verdammte Schafe!«, röhrte der Mann. »Los, zeig dich, damit ich dir dein Maul zerschlage, du elender Dreckskerl.«
Leroy blickte den Brüllaffen an, musterte ihn eingehend und gewann den Eindruck, dass er nicht halb so betrunken war, wie er tat. Der Bursche schien etwas gegen Schafe zu haben. Nun, das war im Rinderland wahrhaftig keine Seltenheit.
Zudem musste er eine große Nummer sein. Denn die meisten Gäste, auch die harten Worker vom Bahnbau, wichen ihm aus, gaben ihm den Weg frei.
»Du, bist du der Schafkerl?«, wollte der Angetrunkene wissen und wies mit der linken Hand auf Spade.
Der Raubwildjäger spürte, dass er seinen Zorn bald nicht mehr zu zügeln vermochte.
Myriam fühlte seine Wut, legte ihm beruhigend die Hand auf den Unterarm und blickte den Fremden an.
»Ich züchte Schafe«, sagte sie mit kalter Stimme. »Erstens, was geht Sie das an? Zweitens, warum benehmen Sie sich wie ein Dummkopf? Und drittens wird es Zeit, dass Sie verschwinden, Mister.«
Der Bärtige riss den Mund auf, schnappte nach Luft und stieß einen grollenden Laut aus. Seine Rechte umklammerte den Griff des Colts, der tief am Oberschenkel hing. Das Holster war mit einem Lederriemen am Bein befestigt.
Er hält sich für einen großartigen Coltmann, dachte Leroy Spade gelassen. Mit dem Fuß schob er die Winchester zurecht, die an der Tischkante lehnte.
»Du bist wohl die Hure dieses Schafbockes, der neben dir sitzt?«, höhnte der Betrunkene. »Rück etwas zur Seite, Schätzchen, damit ich dem stinkenden Kerl eine Kugel verpassen kann. Anschließend kümmere ich mich um dich. Da wirst du einen richtigen Mann kennenlernen.«
Myriam lachte verächtlich auf und fragte: »Einen Rindermann, wie?«
»Darauf kannst du dich verlassen, Schätzchen«, grölte der Bärtige.
»Wenn sich Rindermänner so benehmen«, erwiderte Myriam scharf und laut, »ist mir ja noch ein Froschzüchter lieber.«
Der Fremde sprang vor, holte mit der Linken aus, wollte Myriam eine gewaltige Ohrfeige versetzen, aber plötzlich knackte ein Hahn.
Das metallische Schnappen ließ den Kerl regungslos verharren. Er blickte auf die Tischplatte. Die Mündung der Winchester war genau auf seinen Bauch gerichtet.
Keuchend holte der Bärtige Luft.
»Mann«, sagte er, »du weißt wohl nicht, wer vor dir steht. Du handelst dir eine Menge Ärger ein, du Schafbock.«
Eine wilde Freude schwang in seinen Worten mit. Er gehörte wohl zu jener Sorte, die den Streit, die harte Auseinandersetzung suchte.
»Ich weiß, wen ich vor mir habe«, erwiderte Leroy kalt. »Einen verdammten Bastard, der nicht weiß, wie er sich einer Lady gegenüber zu benehmen hat. Verschwinde, du erbärmlicher Dreckskerl.«
Der Raubwildjäger hatte beinahe gleichgültig gesprochen, ungefähr so, als unterhalte er sich über das Wetter.
Und doch spürten alle Gäste, dass dieser Fremde gefährlich war.
»Gut, sehr gut«, rief der Bärtige, »komm raus! Wir erledigen die Sache gleich. Irgendjemand gibt das Kommando, und dann ziehen wir.«
Leroy lachte flach und erwiderte: »Ich schieße mich nicht mit Verrückten oder Betrunkenen. Du darfst morgen früh wiederkommen, wenn du deinen Rausch ausgeschlafen hast.«
Der großmäulige Kerl verlor seine Beherrschung. Er holte wieder aus und schlug zu. Myriam duckte sich im letzten Sekundenbruchteil. Die Hand wischte über ihre Haare.
»Das reicht!«, rief Leroy scharf.
»Noch lange nicht!«, brüllte der Angetrunkene und holte erneut aus.
Spades Winchester peitschte. Der Bärtige brüllte vor Schmerz, starrte seine linke Hand an, von der das Blut herabrann. Die Kugel hatte ihm den Handteller aufgerissen.
»Du Hurensohn!«, schrie der Kerl, »ich bringe dich um! Dich mache ich fertig, so wahr ich Perry Bullard heiße!«
Myriam stand auf. Ihr Gesicht war kreidebleich. Sie ging mit festen Schritten auf den Bärtigen zu und versetzte ihm eine Ohrfeige.
»Kerle wie Sie gehören eingesperrt«, sagte die schöne Frau. »Am besten bei Wasser und Brot. Sie sind doch ein ganz schäbiger Bursche, ein Stück Mist, das zufällig sprechen lernte.«
Wut, ein tödliches Versprechen glitzerte in den Augen des Bärtigen.
»Ich bringe euch beide um«, sagte er dumpf. »Und zwar jetzt!«
Die letzten drei Worte schrie er heraus, packte zugleich den Colt und riss ihn aus dem Holster.
Leroy wartete, bis der Halunke den Hahn gespannt hatte, und hob erst dann die Winchester.
Der Schuss peitschte. Vom Einschlag der Kugel wurde Perry Bullard herumgerissen. Sein Colt fiel auf die Bodenbretter. Die gesunde Rechte krallte er in den Hemdenstoff. Ein ungläubiger Ausdruck erschien auf dem Gesicht des großmäuligen Mannes. Zwischen den Fingern rann es rot hervor. Er brach zusammen.
»Falls es einen Sheriff oder Marshal hier gibt«, sagte Spade laut, »sollte ihn jemand holen.«
Kein Mensch antwortete. Selbst der Bartender blickte angestrengt in eine andere Richtung.
Spade schüttelte den Kopf und sagte zu Myriam: »Dieser tote Narr muss ein richtiger King gewesen sein. Hätte er sich auch so benommen, würde er jetzt noch leben.«
Leroy holte ein paar Münzen aus der Tasche und warf sie auf den Tisch.
»Wir übernachten im Railway-Hotel«, sagte der Jäger. »Wenn irgendjemand was von uns will, kann er sich dort melden.«
Myriam blieb zwei Schritte hinter ihrem Freund, als er mit leichten Schritten zur Schwingtür ging. Geschickt drehte sich Leroy hinaus, schaute sich um und hielt die Winchester schussbereit.
Die Straße lag wie ausgestorben vor ihm. Nirgendwo sah er einen Menschen, nicht mal 'nen Hund.
Der Jäger verspürte ein ungutes Gefühl in sich aufsteigen, eine Warnung, wie vor einer Gefahr, die noch nicht zu erkennen war.
»Gehen wir«, sagte Myriam bedrückt, »das war kein schöner Abend.«
Leroy schüttelte den Kopf und antwortete: »Dabei wollte ich nur mit dir essen, einen Whisky trinken und dann ins Hotel gehen. Wir sind lange genug in den Sätteln gewesen.«
Ja, das stimmte. Myriam und Leroy und Paco, der alte Oberhirte hatten zweihundert Schafe aus dem Shepherd Valley nach Glenwood Springs getrieben. Hier befand sich das Hauptquartier des Eisenbahnbaus. Und Schaffleisch war eine willkommene Abwechslung für die schwer schuftenden Arbeiter.
Myriam hatte einen guten Preis erzielt. Sie war sehr zufrieden gewesen, bis eben. Jetzt spürte auch sie einen Anflug von Furcht. Am liebsten wäre sie sofort mit Paco und Leroy Spade aufgebrochen.
Sie gingen nebeneinander. Die schöne Frau achtete darauf, ihren Gefährten nicht zu behindern. Leroy trug die Winchester in der Rechten. Eine kurze Armbewegung genügte, um den Kolben gegen den Hüftknochen zu stemmen und feuerbereit zu sein.
Der Jäger und Mountainman war mit der Winchester ebenso gut, wie andere mit dem Colt. Dabei vermochte auch Leroy mit dem Revolver gut umzugehen, aber er zog die Winchester vor.
Sie erreichten das Hotel, traten ein und ließen sich ihren Zimmerschlüssel von dem mageren, hohlwangigen Clerk geben.
»Was war eben denn los?«, fragte der krank wirkende Mann, der hinter dem Anmeldepult stand.
»Ein Bursche namens Perry Bullard fing im Saloon Streit an«, erwiderte Spade gleichgültig.
»Großer Moses«, sagte der Clerk stöhnend, »das bedeutet wieder ein Grab mehr auf dem Friedhof. Dieser elende Mistkerl. Nur weil seinem Bruder die größte Ranch weit und breit gehört, markiert er den King.«
»Jetzt nicht mehr«, sagte Leroy flach.
Der hohlwangige Clerk riss die Lider weit auf, starrte den Fremden an und wischte mit beiden Händen nervös über das Pult. Rote Flecken erschienen auf den bleichen Wangen.
»Was heißt das, Mr. Spade?«, fragte der Clerk flüsternd.
»Ich habe diesen Bullard erschossen«, erwiderte Leroy.
Ganz plötzlich verwandelte sich das Gesicht des Hotelmannes in eine angstverzerrte Maske.
»Geben Sie den Schlüssel her«, stieß er hervor. »Sie müssen das Zimmer sofort räumen. Ich brauche es selbst.«
Leroy schüttelte langsam den Kopf und erwiderte: »Sie sind wohl übergeschnappt, oder? Wir übernachten, dafür bezahlten wir.«
»Sie wissen nicht, was geschieht!«, winselte der hohlwangige Clerk. »Wenn Warren Bullard mit seiner rauen Mannschaft in die Stadt kommt, reißt er mein Hotel ab, Mister!«
»Holen Sie den Sheriff«, empfahl Leroy.
»Sie haben ja keine Ahnung«, murmelte der Clerk und sank auf seinen Schemel zurück.
Er legte beide Arme auf das Pult und verbarg den Kopf zwischen den Händen. Die Schultern des Mannes zuckten. Er schien nur mühsam sein Weinen zu unterdrücken.
Leroy und Myriam sahen sich an. Der Jäger entdeckte Angst im Blick der schönen Frau.
»Komm, wir brauchen den Schlaf«, sagte Spade.
Gemeinsam gingen sie die Treppe zum ersten Stockwerk hinauf und betraten ihr Zimmer.
Myriam lag wach. Sie starrte gegen die Decke. Leroy schlief neben ihr. Sein Atem ging gleichmäßig. Nichts schien den Bergläufer in seinem Schlummer zu stören.
Myriam Sunbeam hingegen kämpfte gegen das Gefühl Furcht an, das sie zu überwältigen drohte. Sie überlegte, wieso Leroy nicht die Gefahr spürte, witterte. Denn er gehörte doch zu den erfahrenen Kämpfern, die über eine Art sechsten Sinn verfügten.
Glenwood Springs war eine Boomtown. Hier stand das Hauptquartier des Eisenbahnbaus. Außerhalb der aufblühenden Stadt sammelten die Arbeiter riesige Mengen Schienen, Schwellen und Werkzeuge, die mit den Güterzügen von Osten herangeschafft wurden.
Auch die Gleise in Richtung Sonnenaufgang waren nur provisorisch verlegt. Die Bahngesellschaft hatte in den Bergen zu viel Zeit verloren. Sie musste jetzt den Schienenstrang so schnell wie möglich nach Westen vortreiben, selbst, wenn erst in einigen Monaten alles richtig gebaut wurde.
Jetzt ging es darum, Meilen zu schaffen. Denn jede Meile bedeutete bare Dollars. Der Staat zahlte Prämien für die verlegten Strecken, und mit diesem Geld vermochte die Gesellschaft weiterzubauen.
Glenwood Springs wimmelte vor Menschen. Schwarze, Chinesen, Iren, bärtige Deutsche, die in betrunkenem Zustand merkwürdig jaulende Gesänge von sich gaben und darauf sehr stolz waren, bildeten den Hauptanteil.
Und all diese Männer, die zehn und zwölf Stunden am Tag schwer schufteten, suchten Vergnügen.
Nach Myriams Schätzung war Mitternacht lange vorbei, als es endlich ruhig wurde. Weit entfernt hämmerte noch ein Orchestrion seine Melodien in die Nacht.
Schließlich verstummte auch dieses Instrument. Männer sangen unverständliche Lieder. Das Gebrüll schwoll an, kam näher, und entfernte sich wieder, als die Worker zu ihrem Camp nahe den Gleisen davonmarschierten.
Es wurde ruhig. Irgendwo schrie eine Eule. Die Zeit der nächtlichen Jäger begann.
Myriam spürte einen Schauer über ihre Haut laufen. Unwillkürlich griff sie nach Leroy, fasste seine Hand und drängte sich an ihn.
Das Gefühl der Gefahr schwoll immer stärker in der schönen Frau an. Endlich schlief sie ein, aber sie dämmerte nur dahin.
Und als sie den Hufschlag hörte, erwachte sie sofort.
Leroy hingegen lag wie bewusstlos neben ihr. Vielleicht focht er in seinen Träumen einen üblen Kampf aus. Immerhin hatte er vor Stunden einen Mann töten müssen. Dies ging an fast keinem Menschen spurlos vorüber. Zumindest nicht an solchen Männern, die von Spades Art waren.
Er hatte keine Wahl gehabt. Trotzdem mussten sie mit dieser Tatsache, einer gewissen Schuld, innerlich fertigwerden.
Langsam glitt Myriam vom Bett und huschte lautlos zum Fenster, das auf die Mainstreet hinausführte. Die schöne Frau schob den Vorhang etwas zur Seite, blickte in die Dunkelheit, die von einigen, wenigen Kerosinlampen notdürftig erhellt wurden.
Eine dunkel gekleidete Gestalt lief aus dem Hotel. Huschte wie ein Schatten über die Straße und verschwand auf der anderen Seite in einer Gasse.
Bitter lächelte Myriam. Der Hotelclerk hatte sich davongemacht. Er fürchtete wohl den großmächtigen Rancher. Denn Myriam war klar, dass der Hufschlag von einer starken Mannschaft stammte. Und nur der Rinderking vermochte wohl zu dieser nächtlichen Stunde so viele Reiter in die Sättel zu jagen.
Plötzlich verstummte der Hufschlag. Angestrengt spähte die schöne Frau in die Dunkelheit, erkannte jedoch niemand. Alles schien ruhig und friedlich zu sein.
Da, ein Mann glitt aus einer schmalen Nebenstraße bis zur Ecke der Mainstreet. Er verharrte, sicherte nach allen Seiten und zog seinen Colt.
Ein leiser Pfiff durchbrach die Stille. Mehr als ein Dutzend anderer Männer antwortete auf die gleiche Weise.
Myriam lief zum Bett zurück. Sie beugte sich über Leroy, fasste seine Schulter, schüttelte ihn.
»Leroy, es ist so weit«, sagte die Schafzüchterin eindringlich. »Sie sind in der Stadt. Das Hotel ist umzingelt.«
Spade erwachte aus tiefstem Schlaf. Ihm schien, als wäre er erst vor Minuten eingeschlafen. Körperliche Erschöpfung nagte an seinen Kräften.
Trotzdem schwang er sich aus dem Bett und glitt zum Fenster. Angestrengt spähte er hinaus. Ein freudloses Lächeln spielte um seine Lippen.
»Der Weideking ist gekommen«, sagte Spade leise. »Er will seinen kleinen Bruder rächen. Nun gut. Es gibt zwei Dutzend Zeugen, Myriam. Ich stelle mich dem Richter. Die Jury hat keine Wahl. Sie muss mich freisprechen.«
Myriam schüttelte den Kopf und erwiderte: »Denk an das, was der Hotelclerk sagte. Er starb doch beinahe vor Angst. Dieser Warren Bullard scheint die ganze Stadt in der Tasche zu haben.«
Spade zog die Brauen hoch. Er legte seine schlanken Hände auf Myriams Schultern, sah der schönen Frau in die Augen und fragte leise: »Ich soll davonlaufen? Weißt du, was du von mir verlangst, Lady?«
Myriam drängte sich eng an Leroy. Er spürte ihre kalte Haut, spürte die Angst und war betroffen. Denn Spade selbst entdeckte an sich nicht den geringsten Anflug von Furcht.
»Also gut«, murmelte er, »wir verschwinden. Zieh dich an, Myriam. Du musst dicht hinter mir bleiben. Wir schlagen uns zu Paco und den Pferden durch. Anschließend verlassen wir die Stadt. Wenn wir gejagt werden, sieht es schlimm aus.«
Sie zogen sich an. Myriam verstaute ihren kurzläufigen Bulldogcolt unter einer Falte ihres Rocks, der eine Tasche enthielt.
Gepäck besaßen sie kaum. Die Deckenrollen lagen im Mietstall bei den Pferden – und bei Paco.
Der mexikanische Schafhirte war Myriams Vormann. Er verstand viel von der Natur, von den Tieren, und ohne ihn hätte Myriam sicher schon längst aufgeben müssen.
Leroy überlegte. Das Hotel war umzingelt. Es gab nur einen halbwegs sicheren Fluchtweg: über die Dächer. Denn die meisten Häuser Glenwood Springs waren Flachbauten, die nur an den Fronten über großartige falsche Fassaden verfügten.
Spade verließ geräuschlos das Hotelzimmer. Der hochgewachsene Jäger glitt über die Bretter des Korridores, erreichte die Dachluke und öffnete sie. Er reichte Myriam die Winchester und zog sich hoch. Ein paar Sekunden blickte sich Leroy um. Er war allein auf dem Dach. Wenig später hatte er seine Freundin hochgezogen. Sie liefen auf die Kante zu. Das Nebenhaus stand kaum einen Yard entfernt.
Sie überwanden den Abgrund mit einem kurzen Sprung und huschten weiter. Dies musste das Dach des Speisehauses sein. Zwei mächtige Schornsteine ragten mehr als mannshoch auf.
Plötzlich spürte Leroy die Gefahr. Er riss die Winchester an die Hüfte.
Und da traten hinter den Kaminen vier Männer heraus! Sie hielten ihre Revolver schussbereit.
Im schwachen Licht des Mondes entdeckte Leroy das hämische Grinsen der Kerle.
»Das hast du dir wohl so gedacht, du Mörder«, sagte einer der Revolverschwinger.
In seiner Stimme schwang Zufriedenheit und Triumph mit.
»So einfach lassen wir uns nicht reinlegen«, meinte einer der anderen. »Du kommst an den Strick, das ist sicher.«
»Und warum?«, fragte Spade flach.
Die Burschen lachten laut, verstummten abrupt, und der erste Sprecher sagte: »Weil du Perry Bullard ermordet hast, du Narr.«