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Polizist Harry Rhode muss den Fall einer Leiche unter dem Kölner Heliosturm aufklären, einem Leuchtturm mitten in Köln. Anschließend wird er in Urlaub geschickt, den er auf Amrum verbringen möchte. Doch statt Erholung findet er dort erstmal eine Leiche - ebenfalls unterm Leuchtturm. Also muss er auch diesen Fall aufklären, wie üblich eher mit Witz als mit Spannung. Harry Rhode ist eine Mischung als Philip Marlowe und Columbo – der entwaffnende Humor eines Marlowe und der entwaffnete Ermittler eines Columbo. Es gibt weniger Frauen und weniger auf die Fresse als bei Marlowe, aber ein guter Detektiv zeichnet sich ja nicht nur dadurch aus, was er einstecken, sondern auch, was er auflösen kann. Mal ist es ziemlich klar, wer der Mörder ist und wir begleiten den Detektiv dabei, wie er ihn überführen muss, mal kann auch der Leser mit raten, welcher der Verdächtigen nun für die Tat verantwortlich ist. "Harry Rhode" sind Detektivgeschichten mit Humor.
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Seitenzahl: 152
Veröffentlichungsjahr: 2014
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Martin Cordemann
Tod unterm Leuchtturm
Ein Amrum-Krimi
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Widmung
Unter dem Leuchtturm
Wohl verhört?
Doktorspiele
Morgenstund
Chefsache
Anreise
Überfahrt
Aufschlag
Ankunft
Der Weg und das Ziel
Der Fall vom Leuchtturm
Tag der Arbeit
Ermittlungen
Laborbericht
Ein Tag am Strand
Der Traum vom Fliegen
Fall geklärt
Unter Tatverdacht
Verfolgungsyacht
Auf der Lauer
Jemand taucht wieder auf
Epilog
Ein neuer Fall
Tappen im Dunkeln
Leichenfund am Strand
Der Nagel im Heuhaufen
Watt?
Erwartungsgemäß das Unerwartete
Besuchszeit
Der knifflige Teil
Geständnisse
Impressum neobooks
Ich sah am Leuchtturm hinauf. Er war relativ hoch. Sah so aus, wie man sich einen Leuchtturm gemeinhin vorstellt. Gut, Kenner dieser Materie werden jetzt sofort Unmengen von Bildmaterial anschleppen, nur um zu beweisen, dass Leuchtturm nicht gleich Leuchtturm ist und nur ein Blinder, sagen wir, Roter Sand mit dem Leuchtturm von Borkum verwechseln würde. Und genau genommen hätten sie damit ja auch völlig Recht. Aber das war in diesem Fall nicht der Punkt. Ich war nicht hier, um mir den Leuchtturm anzusehen!
Obwohl... genau genommen eigentlich schon!
Aber dann geschah etwas... Unerwartetes.
„Sie können die Leiche jetzt abdecken“, murmelte ich.
Der Dorfpolizist sah mich fragend an.
Und dann die Leiche.
Oder was davon übrig war.
Die blutige Masse die übrig bleibt, wenn man, statt die Treppe zu nehmen, plötzlich beschließt herauszufinden, ob man nicht vielleicht doch fliegen kann.
„Ähm, gibt es hier vielleicht eine Plane oder... ein Segel?“
Drei Minuten später befand sich der Leichnam unter den modischen Farben der neusten Surfsegel-Generation. Etwas anderes hatte sich so schnell nicht auftreiben lassen und man wollte die Besucher ja nicht unnötig erschrecken. Die Besucher...
Eine Reihe mehr oder minder braungebrannter Touris stand unten auf dem Parkplatz des Leuchtturms und starrte uns neugierig an, während Photoapparate klickten und Videokameras surrten, von Handys ganz zu schwiegen. Verstärkung kam. Zwei Polizisten, die in den Sommermonaten die beiden Dorfpolizisten verstärkten. Sie näherten sich der Menschenmenge.
„Sagen Sie Ihren Kollegen, sie sollen die Personalien der Leute aufnehmen... und die ganzen Kameras konfiszieren. Mit etwas Glück finden wir auf die Weise raus, was hier passiert ist.“
Er sah mich dankbar an.
Dankbar, dass ich hier die Leitung übernommen hatte.
Dankbar, dass nicht er sich um all das kümmern musste.
Dankbar, dass die Verantwortung scheinbar bei mir lag.
Ich seufzte.
„Herr Inspektor?!“
„Hmm?“
Der andere Dorfpolizist stand neben mir.
„Sowas haben Sie nicht, oder?“
„Leichen?“
„Einen Leuchtturm!“ meinte er und deutete auf die schlanke Gestalt.
„Doch“, meinte ich. „Beides sogar.“
Genau genommen sogar in dieser Kombination. Eine Leiche unter einem Leuchtturm. Das hatte ich sogar erst vor kurzer Zeit gehabt. Obwohl das nun wirklich etwas ist, das man in Köln weniger erwartet. Und doch hatte ich genau das erst vor kurzem erlebt…
Ich sah am Leuchtturm hinauf. Er war nicht besonders hoch. Sah so aus, wie man sich einen Leuchtturm gemeinhin vorstellt. Nur war er eben nicht da, wo man einen Leuchtturm gemeinhin vermuten würde. Dieser hier befand sich nämlich mitten in Köln, im Stadtteil Ehrenfeld, um genau zu sein. Vom Rhein aus war er nicht zu sehen, sein Wert für die Seefahrt, und mochte es selbst die Binnenschifffahrt sein, war also eher gering.
„Sie können die Leiche jetzt abdecken“, murmelte ich und sah einen der Polizisten an. „Also, was haben wir hier?“
„Einen Toten.“
Ja, zu dem Ergebnis war ich auch schon gekommen. Das Blut um die Leiche herum, die unter einem hohen Gebäude wie, sagen wir, einem Leuchtturm lag, war da ein gewisser Hinweis gewesen. Könnte natürlich auch Performance-Kunst sein, immerhin gab es mehr als genug Künstler in der Stadt.
„Können wir Performance-Kunst ausschließen?“ fragte ich sicherheitshalber.
„Ja.“
„Und Selbstmord?“
Das wäre immerhin eine Möglichkeit. Selbstmord! Gab es auch genug von. Und wenn man sich schon in Köln von einem hohen Gebäude stürzen wollte… obwohl, da gab es eine Menge Auswahl. Am Beliebtesten war wohl noch immer das Uni-Center, aber das schrie auch quasi danach. An und für sich würde sich natürlich der Kölner Dom anbieten, denn wenn man schon in die Tiefe sprang, dann doch bitte mit Stil. Aber da gab es oben Gitter, die einem den Freitod erschwerten. Oder um die Leute unten zu schützen, weil so ein schwerer Körper beim Aufschlag aus der Höhe ja durchaus auch gefährlich für andere war. Wahrscheinlich war es eine Mischung aus beidem. Der Fernsehturm war auch schon seit Jahren geschlossen, also blieb als stilvoller Ort für den Absprung eigentlich fast nur der Heliosturm hier. Aber der war der Öffentlichkeit nicht zugänglich, also war das wohl eher ein schwieriges Unterfangen.
„Unwahrscheinlich!“
Ich blickte am Turm hinauf.
„Ist das da oben eine Antenne?“ fragte ich. Das wäre eine Möglichkeit. Es gab da, wie man mir gesagt hatte, dieses Internationale Leuchtturm- und Feuerschiff-Wochenende, an dem über 300 Leuchtfeuer auf der ganzen Welt teilnahmen, und seit 2001 auch der Heliosturm.
„Keine Funkamateure, keine Antenne“, sagte der Polizist und zerstörte damit endgültig meine Hoffnungen auf einen einfachen Unfall, dass vielleicht einer der Leute, die für dieses Ereignis eine Antennenanlage auf dem Turm installierten, bei der Arbeit herabgestürzt war.
„Tja, Versuch war’s wert.“
Damit war ich wieder zurück bei Null. Mein Blick glitt wieder am Turm hinauf. Auf einem viereckigen hellen Gebäude erhob sich der dunkle Backsteinbau. Einige de Fenster waren in keinem besonders guten Zustand mehr, um nicht zu sagen, zerbrochen. Aber das hier war ja auch nicht gerade das Wahrzeichen von Köln, es war der Turm eines Unternehmens, das man 1882 gegründet hatte und das maßgeblich zur Elektrifizierung von Industrie und Verkehrstechnik in ganz Europa beigetragen hatte. Außerdem war auch der Bau sowie die Ausrüstung von Leuchtfeuern in den Bereich der Helios AG gefallen und so wurden u.a. die Leuchtfeuer Roter Sand, Borkum und Wangerooge mit der Technik dieser Kölner Firma ausgestattet. Und doch hatten wirtschaftliche Schwierigkeiten irgendwann zu ihrem Ende geführt. Der 44 Meter hohe Leuchtturm war danach nicht mehr instand gehalten worden, bekam aber trotzdem 1996 ein neues Lampenhaus. Doch das Licht war starr, es drehte sich nicht, es war ein schwaches Dauerlicht – und da hatten wir doch auch unser Motiv!
„Jemand will einen richtigen Leuchtturm“, murmelte ich. „Mit einem sich drehenden Licht. Deshalb hat er diesen Ort für seinen Tod gewählt, um auf die Funktion oder vielmehr die mangelnde Funktion dieses Leuchtfeuers hinzuweisen!“
„Ja“, nickte der Polizist. „Wahrscheinlich ist er dann nur zufällig in das Messer gefallen.“
„Das… Messer?“
Der Polizist nickte wieder und deutete auf die Blutlache, die sich am Rücken der Leiche entwickelt hatte. Das war also offenbar keine Wunde, die bei einem Aufprall entstanden, sondern eine, die durch eine Stichverletzung herbeigeführt worden war.
„Ich glaub, ich brauch Urlaub!“
Ich sah auf. Der Polizist hatte etwas gesagt.
„Bitte?“ meinte ich. Ein leichter Wind wehte die salzige Luft vom Meer herüber, die mich daran erinnerte, dass ich auf einer Insel war. Auf einer Insel ohne Verbrechen…
„Glauben Sie, dass die beiden Fälle zusammenhängen?“ wiederholte der Mann.
„Hm? Oh, nein, ganz sicher nicht!“
Jedenfalls war das sehr unwahrscheinlich…
„Gibt es Verdächtige?“
„Ja.“
„Wie viele?“
„Vier.“
Das war… sehr unwahrscheinlich. Eigentlich extrem unwahrscheinlich. Eigentlich völlig unwahrscheinlich! Zumindest hier in dieser Gegend. Die Leiche lag auf einem Parkplatz, der u.a. zu einem Möbelladen gehörte. Auf der einen Seite erstreckte sich der Parkplatz, so dass man problemlos verschwinden konnte, wenn man jemanden umgenietet hatte, es sei denn, man musste noch seinen Parkschein bezahlen. Aber zu Fuß hatte man die Möglichkeit, in zwei Richtungen über den Parkplatz zu verschwinden, oder durch ein Tor unter dem Leuchtturm auf die Heliosstraße, auf der man wieder zwei Richtungen zur Auswahl hatte. Also wie zur Hölle kam es, dass man Verdächtige hatte?
„Wie zur Hölle kommt es, dass wir Verdächtige haben?“
Nicht, dass ich nicht dankbar dafür gewesen wäre. Es war eigentlich immer sehr angenehm, wenn man Verdächtige hatte – oder vielmehr, wenn es sich dabei um eine übersichtliche Zahl handelte. Gerade an einem Ort wie diesem hier hätte die Anzahl der Verdächtigen locker gegen Unendlich gehen können, doch aus irgendeinem Grund, den ich nicht verpassen wollte, gab es scheinbar nur vier, also lauschte ich nun, als der Polizist sagte: „Na, hier ist doch n Revier.“
Er sagte das, als würde das alles erklären. Tat es aber nicht. Ich wusste auch, dass es hier ein Revier gab, keine 50 Meter entfernt vom Tatort. Es war also nicht unbedingt clever, sich diesen Ort für einen Mord auszusuchen, aber andererseits gab es halt jede Menge Fluchtwege, also formulierte ich meine Frage ein wenig konkreter: „Häh?“
„Bitte?“
Der Polizist sah mich fragend an. Offensichtlich war meine Formulierung nicht konkret genug gewesen.
„Das erklärt nicht ganz, warum es nur vier Verdächtige gibt.“
„Oh!“ Der Polizist dachte einen Moment darüber nach. Dann nickte er zustimmend. „Da haben Sie wahrscheinlich Recht.“
Offensichtlich schien er gewillt zu sein, sich alles aus der Nase ziehen zu lassen. Und ich hatte das Gefühl, dass auch ein wohl platziertes „Also?“ von mir nicht den gewünschten Effekt erzielen würde. Also formulierte ich diesmal extrem konkret: „Also wie kommt es, dass wir nur vier Verdächtige haben und nicht 40? Wieso sind es nur diese vier?“
„Na morgen ist doch Demo in der Stadt. Und dafür kommen immer viele Kollegen aus dem ganzen Land. Die waren wohl gerade auf dem Weg hierher.“
Wie sich herausstellte, hatten die – wie in Köln üblich – vergeblich versucht, Parkplätze zu finden, hatten dann ein wenig weiter weg vom Revier geparkt und waren dann auf den Straßen rund um den Tatort unterwegs gewesen. So kam es, dass sich nur vier Personen fanden, die zur fraglichen Zeit am fraglichen Ort gewesen sein konnten…
„…und die alle mit dem Opfer bekannt sind“, schloss der Polizist lächelnd.
Das war nicht nur unwahrscheinlich, das war regelrecht unglaubwürdig! Aber genau genommen war mir das völlig egal, solange es mir die Arbeit leichter machte. Also machte ich mich auf den Weg, mich mit den vier Verdächtigen zu unterhalten.
„Kann ich irgendwas für Sie tun?“
Der Dorfpolizist sah mich hilfsbereit an.
Ich dachte darüber nach. Ja. Da wäre etwas. Er könnte die Zeit zurückdrehen. Nur für ein paar Stunden. Dann würde ich mich vielleicht entscheiden, in eine andere Richtung zu gehen.
Nicht zum Leuchtturm.
Nicht hierhin.
Nicht zum Fundort einer Leiche.
Einer weiteren Leiche.
Unter einem weiteren Leuchtturm!
„Nein, ich fürchte nicht.“
Ich sah zum Leuchtturm hoch und wünschte mir, mein Urlaub wäre bereits vorüber.
„Morgen, Rhode.“
„Morgen, Chef!“
Ich gähnte.
Nicht aus Respektlosigkeit.
Aus purer Müdigkeit.
Aber mein Chef hielt mich eh für respektlos, ich hatte also nicht viel zu verlieren.
„In mein Büro!“
Das hörte man immer gerne.
Naja, eigentlich nicht.
„Kann ich etwas später kommen?“
„Langweile ich Sie?“
„Noch nicht.“
„Haben Sie was Besseres vor?“
„Das kann man so nicht sagen.“
Das war nicht ganz richtig. Was ich „vorhatte“, war, ein paar Leute zu verhören, von denen sich einer hoffentlich als Mörder entlarven lassen würde. Prinzipiell war das natürlich interessanter, als ein lauschiges Pläuschchen mit meinem Chef zu halten; andererseits war aber zumindest einer dieser Leute ein Mörder und damit streng genommen keine angenehme Gesellschaft. Aber das hätte ich mir vielleicht überlegen sollen, bevor ich mich für diesen Beruf entschieden hatte.
„Ich muss noch wen verhören.“
„Die Sache mit dem Messer?“
„Die Sache mit dem Leuchtturm.“
„Leuchtturm?“
Mein Chef sah mich verwirrt an.
„Na, weil die Leiche doch… unter dem Leuchtturm… gefunden wurde?!“
„Sie brauchen dringend Urlaub, Rhode!“
Da mochte er Recht haben. Aber ich war nicht gewillt, ihm das zu zeigen.
„Sie wissen, dass Sie der einzige sind, dem der Leuchtturm da überhaupt aufgefallen ist, oder?“
Ich maulte ein undeutliches: „Ja.“
„Gut. Kommen Sie in mein Büro, wenn Sie fertig sind.“
„Wenn ich den Täter habe?“
„Wenn Sie mit den Verhören fertig sind!“ wiederholte er und nahm mir damit meine Ausflucht, diesen Termin weiter und weiter vor mir her zu schieben, indem ich den Fall einfach nicht löste.
„Na gut“, murmelte ich und trottete weiter. Ich fühlte mich ausgelaugt und müde. Vielleicht hatte er Recht, vielleicht brauchte ich wirklich Urlaub.
Je mehr ich darüber nachdachte, umso mehr wurde diese Theorie unterstützt. Der Fall war inzwischen nämlich noch eine kleine Spur unglaubwürdiger geworden. Nicht nur, dass es nur vier Verdächtige gab, diese vier waren auch noch allesamt Ärzte – fünf, wenn man den Toten mitzählte.
„Soll das n Scherz sein?“ hatte ich den Beamten in einer Mischung aus Verwirrung und Müdigkeit gefragt.
„Ich fürchte nicht.“
Wäre das eine Wendung gewesen, dann eine interessante – aber nichts hatte sich gewunden, von mir mal abgesehen, und das hatte nichts zum Fall beigetragen.
„Hatten die nen Kongress?“ war das einzige, was mir einfiel, doch ich erahnte die Antwort bereits.
„Die haben sich wohl öfter hier getroffen.“
Ja, so was in der Art hatte ich auch angenommen.
„Wahrscheinlich haben die auch alle ihre eigenen Messer dabei“, murmelte ich.
„Nein, nur das Opfer.“
War ja klar gewesen. Wenn jetzt nur einer immer ein Messer dabei gehabt hätte, dann hätte das die Aufklärung unglaublich erleichtert. Obwohl, genau genommen war es ja so – und genau genommen erschwerte das die Aufklärung eigentlich eher. Ich unterdrückte ein Gähnen indem ich laut gähnte.
„Langweilt Sie dieser Fall?“
„Ich wünschte, es wäre so.“
„Sie sehen so aus, als…“
„…würde ich Urlaub brauchen?“
„Nee, nen Kaffee.“
„Danke, aber ich mag keinen Kaffee.“
„Wollen Sie n Bier?“
„Haben Sie eins da?“
„Nein.“
Wär auch zu schön gewesen. Um. Wahr. Zu. Sein. Ich wurde immer müder.
„Also fünf Ärzte, vier Verdächtige, das Opfer hatte sein eigenes Messer.“
„So sieht’s wohl aus.“
„Okay.“ Ich kratzte mich am Kopf. „Und es kann wirklich niemand anders gewesen sein?“
„Der hätte den Kollegen auffallen müssen.“
Prima. Jemand drückte mir einen Autopsiebericht in die Hand. Die Worte verschwammen vor meinen Augen. Vielleicht war ich gar nicht müde, vielleicht brauchte ich einfach eine Brille? Nein, mein lautstarkes Gähnen widerlegte diese Theorie.
Wenn ich den vorläufigen Bericht richtig verstand – wovon nicht unbedingt auszugehen war –, dann war das Opfer von jemandem umgebracht worden, der mit einem Messer umzugehen verstand. Und damit war weder ein Messerwerfer gemeint noch ein Fleischer, sondern ein Arzt. Was gut ins Bild passte, da wir ja ein paar verdächtige Ärzte zur Auswahl hatten.
„Wo sind die Verdächtigen?“ fragte ich einen vorbeikommenden Polizisten. Der sah mich nur an, hob die Schultern und erklärte, dass er zu dem Einsatzkommando gehörte, das wegen der Demo hier war. Was mich zu der Idee einer Polizeidemo brachte. Wenn die Polizei demonstrieren würde, würden zur Bewachung der Demo ja sicher auch Einheiten aus ganz Deutschland in Mannschaftswagen angekarrt werden. Und die Demonstranten würden auch aus ganz Deutschland anreisen. Ob man die dann wohl in den Einsatzwagen mitnehmen würde, da sowieso alle dasselbe Ziel hatten – sowohl geographisch als auch ideologisch? Ich wusste es nicht und ich vermied es, einen der Kollegen zu fragen. Wenig später hatte ich den Polizisten ausgemacht, mit dem ich eben die ganze Zeit gesprochen hatte. Ich ging hin und wiederholte meine Frage.
„Wir haben sie in ein paar Verhörräumen untergebracht.“
„Personalien, Fingerabdrücke…“
„Alles in Arbeit.“
„Hmmm.“ Ich dachte nach. „Wissen die, dass nur sie verdächtig sind?“
„Sie meinen, dass es nur einer von ihnen gewesen sein kann?“
„Ja.“
„Nein.“
„Gut.“ Ich lächelte. „Das heißt, in deren Augen kann es jeder gewesen sein?!“
„Das stimmt.“
Das konnte hilfreich sein. Oder werden. Ich wagte jedoch zu bezweifeln, dass es eine gute Idee wäre, sie jetzt zu verhören. Jedenfalls, was meinen Zustand betraf. Natürlich war es unerlässlich, sie jetzt zu verhören, weil es, was ihren Zustand betraf, zweifellos der beste Zeitpunkt war. Das war ungemein schlechtes Timing – aber ich hatte wohl keine andere Wahl.
„Brauchen Sie noch was?“
„Ne große Cola“, meinte ich. Vielleicht würde mich das ja wieder ein bisschen wach machen. Vielleicht würde es aber auch das Adrenalin sein. Oder ich würde einpennen, wie dem auch war, es gab nur eine Möglichkeit, es herauszufinden. „Tja, dann fangen wir mal an.“ Sprach’s, öffnete die Tür – und landete im falschen Raum! War ja klar!
Ich klopfte.
„Das ist ein Verhörzimmer“, sagte der Polizist.
„Ja, und?“
„Da klopft man nicht, da geht man einfach rein.“
„Oh.“
„Um einen starken Eindruck zu machen.“
„Sie meinen, Höflichkeit…“
„…ist nicht unbedingt das, was einen in einem Verhör weiterbringt.“
Woher wusste er all das? Wahrscheinlich aus dem Fernsehen. Oder war es wahrscheinlich, dass er hier in Köln Ehrenfeld ständig Verhöre durchführte?
„Gehen Sie jetzt rein?“
„Ja, natürlich!“
Ich nickte und öffnete die Tür. Ein Mann saß an einem Tisch, ein Polizist in Uniform saß ihm gegenüber und nahm seine Aussage auf. Einen Spiegel, hinter dem jemand anders saß, um das Verhör zu beobachten, gab es nicht. Wieder mal hatte uns das Fernsehen belogen.
„Guten Abend“, sagte ich. „Mein Name ist Rhode und ich bin von der Mordkommission.“
Der Uniformierte sah auf, nickte mir zu, reichte mir eine dünne Mappe und meinte: „Ich habe seine Personalien aufgenommen.“ Dann ging er hinaus und ließ mich mit dem Mann allein.
„Sie sind…“ Ich sah auf das Formular. „Dr. Nabuse?“ Das konnte nur ein Tippfehler sein. Oder ein Schreibfehler. Oder ein Scherz.
„Ja, das stimmt“, nickte er.
Soviel dazu.
„Wie Sie wissen…“ Ich unterbrach mich. Das war ein guter Zeitpunkt für eine Frage. „Was genau wissen Sie?“
„Dass es einen Mord gegeben hat?“
„Ja, ich denke, das triff es in etwa.“
„Und, dass es ein Freund von mir war.“
„Der Mörder?“
„Das Opfer.“
„Oh.“ Wäre wohl auch zu leicht gewesen. „Sie waren also mit ihm befreundet?“
„Ja.“
Ich suchte in den Unterlagen nach dem Namen des Toten, aber diese unwesentliche Information schien man mir vorzuenthalten.
„Und sein Name ist, ich meine, damit wir auch über denselben Toten sprechen?“
„Dr. Frank Stein.“
Ja, da stand es doch, ganz unten. Dr. Frank N. Stein. Das konnte doch alles nur ein Scherz sein. Oder war ich so überarbeitet, dass mir meine Phantasie Streiche spielte? Oder meine Kollegen? Ja, das wäre eine Erklärung gewesen. Irgendjemand war auf die Idee gekommen, mich reinzulegen und hatte sich dieses komplizierte Szenario ausgedacht: ein Toter, ein Leuchtturm, vier Verdächtige, ein Fall, der sich nur dann als Agatha Christie würdig erwiese, wenn alle die Verdächtigen und das Opfer auf irgendeine unglaubwürdige Weise miteinander verwandt wären oder so was.
„Sie waren mit ihm befreundet?“ sprach ich in die langsam länger werdende Stille.
„Ja.“