Woyzeck - Kein Drama nach Georg Büchner - Anno Stock - kostenlos E-Book
SONDERANGEBOT

Woyzeck - Kein Drama nach Georg Büchner E-Book

Anno Stock

0,0
6,49 €
0,00 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 6,49 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.

Mehr erfahren.
Beschreibung

1836, eine deutsche Garnisonsstadt: Franz Woyzeck ist ein einfacher Soldat, der für ein paar Groschen die Stiefel des Hauptmanns putzt und sich als Versuchsobjekt einem fragwürdigen medizinischen Experiment unterwirft. Neun Wochen lang darf er nur Erbsen essen – für die Wissenschaft, wie Doktor Klausmann betont. Für das Geld, das seine Familie zum Überleben braucht.Doch die einseitige Ernährung zeigt verheerende Wirkung: Woyzeck hört Stimmen, sieht Visionen, verliert langsam den Verstand. Als er erfährt, dass Marie, die Mutter seines Sohnes Christian, ihn mit dem prächtigen Tambourmajor Karl Groß betrogen hat, zerbricht die letzte Grenze zwischen Vernunft und Wahnsinn.Am dunklen Teich am Stadtrand wird eine Tragödie ihren unvermeidlichen Lauf nehmen – eine Tragödie von Armut, Verzweiflung und einem Messer, das nach Blut dürstet.Basierend auf Georg Büchners fragmentarischem Meisterwerk "Woyzeck" erzählt dieser Roman die zeitlose Geschichte eines Mannes, den die Gesellschaft in den Abgrund treibt – bis nur noch Gewalt als Ausweg bleibt.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 278

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Anno Stock

Woyzeck - Kein Drama nach Georg Büchner

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Table of Contents

WOYZECK

Kapitel 1: Der Soldat

Kapitel 2: Der Hauptmann

Kapitel 3: Das Angebot

Kapitel 4: Der Vertrag

Kapitel 5: Die ersten Symptome

Kapitel 6: Die Veränderungen

Kapitel 7: Andres, der Kamerad

Kapitel 8: Die erste Vision

Kapitel 9: Der Doktor protokolliert

Kapitel 10: Marie und die Musik

Kapitel 11: Der Tambourmajor

Kapitel 12: Woyzecks Schlaflosigkeit

Kapitel 13: Hauptmann und Doktor

Kapitel 14: Der Jahrmarkt

Kapitel 15: Die Ohrringe

Kapitel 16: Woyzecks Argwohn

Kapitel 17: Die Nacht der Untreue

Kapitel 18: Die Begegnung

Kapitel 19: Konfrontation

Kapitel 20: Im Wirtshaus

Kapitel 21: Der Kampf

Kapitel 22: Stimmen

Kapitel 23: Der Prediger

Kapitel 24: Marie liest in der Bibel

Kapitel 25: Marie und die Nachbarin

Kapitel 26: Der Entschluss

Kapitel 27: Der letzte Tag

Kapitel 28: Marie wartet

Kapitel 29: Am Teich

Kapitel 30: Die Entdeckung

Kapitel 31: Die Flucht

Kapitel 32: Das Verhör

Kapitel 33: Das Urteil

Kapitel 34: Das Ende

Impressum neobooks

Table of Contents

WOYZECK

Eine Neuerzählung nach Georg Büchner

TEIL I: DER ABSTIEG

Kapitel 1: Der Soldat

Franz Woyzeck erwachte, wie jeden Morgen, vom Trompetensignal. Es war kurz nach fünf Uhr, die Baracke noch dunkel, die Luft schwer vom Atem der schlafenden Männer. Er blieb einen Moment liegen, starrte an die Holzdecke über seinem Bett, und sammelte die Kraft für einen weiteren Tag.

Dreißig Soldaten teilten sich diese Baracke. Dreißig Männer auf engstem Raum, ihre Betten aneinandergereiht wie Särge. Der Geruch war überwältigend – Schweiß, schmutzige Wäsche, billigen Tabak, die Eimer in der Ecke, die als Latrinen dienten. Woyzeck hatte sich daran gewöhnt, so wie man sich an alles gewöhnt, wenn man keine Wahl hat.

"Aufstehen!" brüllte der Feldwebel und schlug mit seinem Stock gegen den Türrahmen. "Bewegung, ihr Schweine! Morgenappell in zwanzig Minuten!"

Woyzeck schwang die Beine aus dem Bett, seine nackten Füße berührten den kalten Holzboden. Es war Anfang März 1836, und obwohl der Winter sich langsam zurückzog, war es morgens noch eisig in der ungeheizten Baracke.

Er zog sich schnell an – die Uniform, die er schon drei Jahre trug, geflickt an den Ellbogen, ausgeblichen von unzähligen Wäschen. Die Stiefel waren abgelaufen, aber er hatte kein Geld für neue. Alles Geld ging an Marie und Christian.

Neben ihm erwachte Andres, sein Bettnachbar und einziger Freund in der Kompanie. Andres war ein ruhiger Mann, ein paar Jahre älter als Woyzeck, verheiratet mit einer Frau namens Helene, die im Dorf jenseits der Kaserne lebte.

"Morgen", murmelte Andres und gähnte.

"Morgen."

Sie sprachen nicht viel am Morgen. Keiner sprach viel. Die Männer bewegten sich mechanisch, zogen sich an, ordneten ihre Betten mit militärischer Präzision. Zwanzig Minuten später standen sie auf dem Kasernenhof, aufgereiht in perfekten Reihen, während der Hauptmann die Morgeninspektionen durchführte.

Hauptmann Friedrich von Braunschweig war ein korpulenter Mann Mitte vierzig, mit einem roten Gesicht und einer Vorliebe für lange Reden. Er schritt die Reihen ab, musterte jeden Soldaten mit kritischem Blick, fand immer etwas zu bemängeln.

"Woyzeck!" Seine Stimme durchschnitt die Morgenstille. "Deine Stiefel sind eine Schande! Sieh sie dir an!"

Woyzeck sah hinunter auf seine abgetragenen Stiefel. "Jawohl, Herr Hauptmann."

"'Jawohl, Herr Hauptmann'", äffte der Hauptmann nach. "Ist das alles, was du zu sagen hast? Keine Entschuldigung? Keine Erklärung?"

"Ich habe kein Geld für neue Stiefel, Herr Hauptmann."

"Kein Geld! Natürlich hast du kein Geld. Du verschwendest es wahrscheinlich für Schnaps und Huren, wie alle diese niederen Kreaturen." Der Hauptmann schüttelte missbilligend den Kopf. "Moralische Verkommenheit, das ist es. Die Armut kommt von der Sünde, Woyzeck. Merk dir das."

Woyzeck schwieg. Was sollte er sagen? Dass er seit Monaten keinen Tropfen Alkohol getrunken hatte? Dass jeder Groschen, den er verdiente, zu Marie ging, für Essen, für Miete, für Christian? Der Hauptmann würde es nicht verstehen. Männer wie er verstanden nie.

Der Appell endete. Die Soldaten wurden zu ihren Tagesdiensten eingeteilt. Woyzeck hatte die übliche Mischung – vormittags Exerzieren auf dem Übungsplatz, nachmittags den Hauptmann rasieren, abends die Ställe ausmisten.

Acht Groschen alle zwei Wochen. Das war sein Sold. Davon mussten Marie und Christian leben. Es reichte nie. Nie.

Nach dem Exerzieren, kurz vor Mittag, machte sich Woyzeck auf den Weg in die Stadt. Er hatte eine Stunde frei, bevor er den Hauptmann rasieren musste. Zeit genug, um bei Marie vorbeizuschauen.

Die Stadt lag etwa zwanzig Minuten zu Fuß von der Kaserne entfernt. Woyzeck kannte jeden Stein auf diesem Weg – er ging ihn jeden Tag, wenn der Dienst es erlaubte. An den Tagen, an denen er Marie nicht sehen konnte, fühlte sich etwas falsch an, unvollständig.

Die Stadt war klein, vielleicht fünftausend Einwohner. Die Hauptstraße war gepflastert, gesäumt von bescheidenen Häusern, ein paar Geschäften, einer Kirche. Aber Woyzeck ging nicht zur Hauptstraße. Er bog ab in die engen Gassen dahinter, wo die Häuser enger wurden, schäbiger, wo die Armut nicht mehr versteckt werden konnte.

Maries Kammer lag im Keller eines heruntergekommenen Hauses an der Mühlenstraße. Man musste eine steile, dunkle Treppe hinabsteigen, um zur Tür zu gelangen. Woyzeck klopfte – zweimal kurz, einmal lang. Ihr Signal.

Die Tür öffnete sich. Marie stand da, Christian auf dem Arm. Sie war eine hübsche Frau, auch wenn die Härte des Lebens bereits Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen hatte. Dunkles Haar, das zu einem einfachen Knoten gebunden war. Braune Augen, die einmal voller Lebensfreude gewesen waren, jetzt aber meist nur müde aussahen.

"Franz." Sie lächelte, aber es erreichte ihre Augen nicht ganz. "Komm rein."

Er trat ein. Die Kammer war winzig – ein einziger Raum, vielleicht zwölf Fuß im Quadrat. Ein schmales Bett in der Ecke, ein wackeliger Tisch, zwei Stühle, eine Holzkiste, die als Christians Bett diente. Kein Fenster. Das einzige Licht kam von einer Kerze auf dem Tisch.

Christian streckte seine kleinen Arme aus, als er seinen Vater sah. "Da! Da!"

Woyzeck nahm seinen Sohn in die Arme, drückte ihn an sich. Christian war acht Monate alt, ein kräftiges Kind trotz der Armut. Seine größte Freude, sein einziger Lichtblick.

"Wie geht es euch?" fragte er Marie.

"Wir kommen zurecht." Sie wandte sich ab, begann am Herd zu hantieren. "Ich habe heute morgen Wäsche gewaschen für Frau Müller. Sie hat mir drei Groschen gegeben."

"Drei Groschen. Das ist gut."

"Es reicht für Brot. Und ein bisschen Milch für Christian." Sie drehte sich zu ihm um, ihr Gesicht angespannt. "Aber die Miete, Franz. Der Vermieter war gestern wieder da. Wir sind zwei Wochen im Rückstand."

Woyzeck setzte Christian vorsichtig in seine Holzkiste. "Ich weiß. Ich bekomme übermorgen meinen Sold. Dann können wir zahlen."

"Acht Groschen. Davon gehen vier für die Miete. Was bleibt dann noch?"

"Ich weiß, Marie. Ich weiß." Er rieb sich das Gesicht. "Ich versuche, mehr Arbeit zu finden. Vielleicht kann ich am Hafen helfen, Säcke schleppen oder..."

"Du arbeitest schon von morgens früh bis abends spät. Wann willst du noch mehr arbeiten?"

"Nachts. An den Wochenenden."

Marie seufzte, setzte sich auf einen der Stühle. "Das hältst du nicht durch. Du siehst schon jetzt aus wie ein Gespenst."

Er wusste, dass sie recht hatte. Er war dünn geworden in den letzten Monaten, hatte mindestens zehn Pfund verloren. Sein Gesicht war eingefallen, dunkle Ringe lagen unter seinen Augen. Aber was sollte er tun? Sie brauchten das Geld.

"Es wird besser", sagte er, mehr um sich selbst zu überzeugen als sie. "Wenn Christian älter ist, kannst du mehr arbeiten. Und vielleicht werde ich befördert..."

"Befördert." Marie lachte bitter. "Franz, du bist seit drei Jahren einfacher Soldat. Wann soll diese Beförderung kommen?"

Er hatte keine Antwort. Sie beide wussten, dass Beförderungen für Männer wie ihn nicht vorgesehen waren. Die gingen an die mit Geld, mit Verbindungen, mit Bildung. Nicht an arme Soldaten ohne Familie, ohne Vermögen.

Christian begann zu quengeln. Marie nahm ihn hoch, begann ihn zu wiegen. "Er hat Hunger", sagte sie. "Ich muss ihn stillen."

"Ich muss sowieso gehen. Der Hauptmann erwartet mich." Woyzeck stand auf, küsste Marie auf die Stirn. "Ich komme morgen wieder, wenn ich kann."

"Pass auf dich auf."

"Tu ich."

Er verließ die Kammer, stieg die dunkle Treppe hinauf, zurück ins Tageslicht. Auf dem Weg zurück zur Kaserne dachte er über sein Leben nach. Achtundzwanzig Jahre alt, und was hatte er erreicht? Nichts. Er lebte von der Hand in den Mund, konnte seine Familie kaum ernähren, hatte keine Aussicht auf Besserung.

Aber er hatte Marie. Und er hatte Christian. Das musste reichen. Das musste genug sein.

Auch wenn es sich nie so anfühlte.

Kapitel 2: Der Hauptmann

Der Hauptmann wohnte in einem stattlichen Haus am Rande der Kaserne, reserviert für die höheren Offiziere. Woyzeck betrat es durch den Hintereingang, wie es sich für einen einfachen Soldaten gehörte, und stieg die Treppe hinauf zum privaten Quartier des Hauptmanns.

Das Rasierzimmer war klein, aber luxuriös eingerichtet – für Woyzecks Verhältnisse jedenfalls. Ein gepolsterter Sessel stand in der Mitte, daneben ein Tischchen mit allen Utensilien: Rasiermesser, Seife, Pinsel, Handtücher. Ein Spiegel mit vergoldetem Rahmen hing an der Wand. Der Raum roch nach teurem Eau de Cologne.

Der Hauptmann saß bereits im Sessel, ein weißes Tuch um den Hals gebunden. Er hatte die Augen geschlossen, die Hände auf seinem runden Bauch gefaltet.

"Ah, Woyzeck. Endlich. Ich dachte schon, du hättest mich vergessen."

"Verzeihung, Herr Hauptmann. Ich bin pünktlich."

"Pünktlich." Der Hauptmann öffnete ein Auge. "Pünktlich ist das Mindeste, was ich erwarten kann. Aber von dir, Woyzeck, erwarte ich mehr. Perfektion. Präzision. Verstehst du?"

"Jawohl, Herr Hauptmann."

Woyzeck bereitete die Rasiersachen vor. Er hatte diese Routine hundertmal durchgeführt, kannte jeden Handgriff. Zuerst das heiße Wasser – ein Diener brachte es in einem Krug. Dann den Schaum aufschlagen, gleichmäßig, bis er die richtige Konsistenz hatte. Das Rasiermesser schärfen auf dem Lederriemen.

"Weißt du, Woyzeck", begann der Hauptmann, während Woyzeck den Schaum auftrug, "ich habe heute Nacht über das Leben nachgedacht. Über die Vergänglichkeit. Über die Zeit." Er seufzte theatralisch. "Die Zeit, Woyzeck. Sie vergeht so schnell. Was sind wir anderes als Staub im Wind?"

"Ja, Herr Hauptmann."

"Ja, Herr Hauptmann", wiederholte der Hauptmann spöttisch. "Ist das alles, was du sagen kannst? Hast du keine Gedanken über die Zeit? Über die Ewigkeit?"

Woyzeck tauchte den Pinsel in den Schaum, strich ihn über die Wangen des Hauptmanns. "Ich denke nicht viel über solche Dinge nach, Herr Hauptmann."

"Natürlich nicht. Wie könntest du auch? Du bist zu beschäftigt damit, zu überleben, nicht wahr? Die niederen Klassen haben keine Zeit für Philosophie." Der Hauptmann machte eine wegwerfende Handbewegung. "Aber das ist das Problem, siehst du. Ohne Reflexion, ohne Kontemplation – was sind wir dann anderes als Tiere?"

Woyzeck begann zu rasieren, die Klinge glitt sanft über die Haut. Er hatte gelernt, während dieser Monologe ruhig zu bleiben, nicht zu reagieren. Der Hauptmann redete gern, liebte den Klang seiner eigenen Stimme. Es war am besten, ihn einfach reden zu lassen.

"Ich bin ein tugendhafter Mann, Woyzeck. Weißt du, was das bedeutet? Tugend?" Der Hauptmann schloss die Augen genießerisch, als Woyzeck den Schaum von seiner Wange wischte. "Es bedeutet, nach höheren Prinzipien zu leben. Moral. Anstand. Selbstkontrolle."

"Ja, Herr Hauptmann."

"Du hingegen..." Der Hauptmann öffnete ein Auge, fixierte Woyzeck. "Du lebst in Sünde. Du hast ein uneheliches Kind. Du lebst mit einem Weib zusammen, ohne verheiratet zu sein. Das ist unmoralisch, Woyzeck. Das ist... es ist skandalös."

Woyzecks Hand zitterte leicht. Er zwang sich, ruhig zu bleiben, die Klinge sicher zu führen. "Wir können uns keine Hochzeit leisten, Herr Hauptmann. Die Gebühren..."

"Ausreden! Immer Ausreden!" Der Hauptmann richtete sich leicht auf, und Woyzeck musste das Rasiermesser wegziehen, um ihn nicht zu schneiden. "Ein tugendhafter Mann würde einen Weg finden. Würde sparen, würde sich hocharbeiten. Aber du... du gibst einfach deinen niederen Instinkten nach. Zeugst ein Bastardkind und erwartest dann, dass die Gesellschaft dich respektiert?"

Woyzeck spürte Wut in sich aufsteigen, heiß und bitter. Aber er schluckte sie hinunter. Was konnte er sagen? Dass er und Marie sich liebten? Dass Christian kein Bastard war, sondern ihr Sohn, gewollt und geliebt? Der Hauptmann würde es nicht verstehen. Männer wie er verstanden nie.

"Tut mir leid, Herr Hauptmann", murmelte er.

"Tut mir leid." Der Hauptmann lehnte sich wieder zurück. "Das sagst du immer. Aber was bedeutet es? Nichts. Leere Worte." Er machte eine Pause, dann: "Weißt du, was ich manchmal denke, Woyzeck? Ich denke, die Armut ist eine Krankheit. Eine Krankheit des Charakters. Die Armen sind arm, weil sie schwach sind. Weil sie keine Tugend haben."

Woyzeck rasierte weiter, schweigend. Die Klinge kratzte über die Haut, entfernte den Schaum Strich für Strich. Seine Hand zitterte nicht mehr. Er hatte die Wut tief hinuntergeschluckt, dorthin, wo sie sich zu all der anderen Wut gesellte, die er im Laufe der Jahre angesammelt hatte.

"Aber ich bin kein herzloser Mann", fuhr der Hauptmann fort. "Ich erkenne, dass du versuchst, dich zu bessern. Du kommst pünktlich. Du tust deine Arbeit – meistens zufriedenstellend. Das ist etwas. Nicht viel, aber etwas."

"Danke, Herr Hauptmann."

"Langsam, Woyzeck! Immer so eilig!" Der Hauptmann griff plötzlich nach Woyzecks Handgelenk. "Schau dich an. Du zitterst. Du schwitzt. Immer diese furchtbare Hast. Was hast du? Was verfolgst du? Die Ewigkeit?"

"Ich... ich habe nach dem Rasieren noch andere Pflichten, Herr Hauptmann."

"Andere Pflichten. Natürlich. Immer beschäftigt, immer in Bewegung. Aber wohin, Woyzeck? Wohin läufst du?" Der Hauptmann ließ sein Handgelenk los, lehnte sich zurück. "Du wirst dich noch zu Tode hetzen. Und wofür? Für acht Groschen alle zwei Wochen? Für ein Leben in einem feuchten Keller?"

Woyzeck tauchte das Handtuch in das warme Wasser, wrang es aus. Er legte es auf das Gesicht des Hauptmanns, tupfte die letzten Schaumreste ab. Seine Bewegungen waren mechanisch, präzise. Er hatte das so oft getan, dass er nicht mehr nachdenken musste.

"Fertig, Herr Hauptmann."

Der Hauptmann befühlte sein Gesicht, nickte zufrieden. "Gut. Sehr gut. Glatt wie ein Babypopo." Er stand auf, streckte sich. "Du kannst gehen, Woyzeck. Ach, und..." Er griff in seine Tasche, holte eine Münze heraus. "Hier. Ein Trinkgeld. Kauf dir etwas Schönes."

Es war ein einziger Pfennig.

Woyzeck nahm ihn, verbeugte sich leicht. "Danke, Herr Hauptmann."

"Und Woyzeck? Denk über das nach, was ich gesagt habe. Über Tugend. Über Moral. Es ist nie zu spät, sich zu bessern. Selbst für jemanden wie dich."

"Jawohl, Herr Hauptmann."

Woyzeck räumte die Rasiersachen zusammen, wischte das Messer sauber, ordnete alles akkurat. Dann verließ er das Zimmer, die Treppe hinunter, hinaus ins Freie.

Draußen blieb er stehen, atmete tief durch. Seine Hände zitterten jetzt – nicht vor Angst oder Nervosität, sondern vor unterdrückter Wut. Der Hauptmann und seine verdammten Predigten. Als ob Moral etwas war, das man sich leisten konnte. Als ob Tugend nicht ein Luxus war, den sich nur die Reichen erlauben konnten.

Er sah auf den Pfennig in seiner Hand. Ein Pfennig. Großzügig von dem Mann, der jeden Monat mehr verdiente als Woyzeck in einem ganzen Jahr.

Er steckte ihn in die Tasche. Ein Pfennig war ein Pfennig. Marie konnte damit vielleicht ein halbes Brot kaufen.

Am späten Nachmittag, nachdem er die Ställe ausgemistet und die Pferde gefüttert hatte, ging Woyzeck zurück zur Baracke. Seine Uniform war schmutzig, seine Stiefel voller Mist. Er stank nach Schweiß und Pferdeäpfeln.

Andres lag bereits auf seinem Bett, las einen Brief. Er blickte auf, als Woyzeck eintrat.

"Harter Tag?"

"Wie immer." Woyzeck begann, sich umzuziehen, zog die schmutzige Uniform aus. "Und bei dir?"

"Exerzierplatz. Dann Wachdienst." Andres faltete den Brief zusammen. "Helene schreibt, dass das Baby kommt. Nächsten Monat vielleicht."

"Das ist gut. Gratuliere."

"Danke." Andres lächelte, aber dann verblasste das Lächeln. "Ich mache mir Sorgen, weißt du. Wie soll ich für ein weiteres Kind sorgen? Wir haben schon kaum genug."

Woyzeck setzte sich auf sein Bett. "Wir finden immer einen Weg. Irgendwie."

"Irgendwie." Andres lachte ohne Humor. "Das ist unsere Lebensphilosophie, nicht wahr? Irgendwie durchkommen."

Sie saßen schweigend da, jeder in seine eigenen Sorgen versunken. Um sie herum füllte sich die Baracke mit anderen Soldaten, die von ihren Diensten zurückkehrten. Lärm, Gelächter, Flüche. Das übliche Abendchaos.

"Hast du schon gegessen?" fragte Andres nach einer Weile.

"Noch nicht."

"Komm, gehen wir zur Kantine. Heute gibt es angeblich Kohlsuppe."

Sie gingen zusammen zur Kantine – ein großer, zugiger Raum mit langen Holztischen und Bänken. Hunderte von Soldaten drängten sich hinein, schrien nach Essen, beschwerten sich über die Qualität.

Die Kohlsuppe war wässrig, mit ein paar Kohlstücken und – wenn man Glück hatte – einem Fetzen Fleisch. Dazu gab es hartes Brot, schon ein paar Tage alt. Woyzeck aß mechanisch, schmeckte kaum etwas. Er war hungrig, aber nicht nur nach Essen. Er war hungrig nach etwas, das er nicht benennen konnte. Nach Bedeutung vielleicht. Nach einem Sinn.

"Du bist heute still", bemerkte Andres.

"Ich denke nach."

"Über was?"

"Über alles. Über nichts." Woyzeck schob seinen leeren Teller beiseite. "Der Hauptmann hat heute wieder über Tugend gesprochen. Über Moral. Über wie unmoralisch ich bin, weil Marie und ich nicht verheiratet sind."

"Der Hauptmann ist ein Idiot."

"Vielleicht. Aber er hat recht, oder?" Woyzeck sah Andres an. "Ich lebe in Sünde. Ich habe ein uneheliches Kind. Nach den Maßstäben der Gesellschaft bin ich... ich bin nichts."

"Du bist ein guter Mann, Franz. Ein guter Vater. Ein guter Freund." Andres legte ihm eine Hand auf die Schulter. "Was die Gesellschaft denkt, ist scheißegal."

Woyzeck wollte das glauben. Aber es war schwer. Die Worte des Hauptmanns hatten sich in seinen Kopf eingegraben, nagten an ihm wie Würmer.

Nach dem Essen gingen sie zurück zur Baracke. Die Nacht senkte sich über die Kaserne. Irgendwo in der Ferne spielte jemand Mundharmonika, eine traurige Melodie.

Woyzeck lag auf seinem Bett, starrte in die Dunkelheit. Er dachte an Marie, allein in ihrer kalten Kammer. An Christian, der in seiner Holzkiste schlief. An das Leben, das sie führten, das nie besser zu werden schien.

Acht Groschen alle zwei Wochen. Wie sollte man davon leben? Wie sollte man eine Familie ernähren?

Es musste einen Weg geben. Es musste etwas geben, das er tun konnte, um mehr Geld zu verdienen. Er war bereit, alles zu tun. Jede Arbeit, jede Aufgabe.

Alles.

Wenn er nur wüsste, was.

Die Antwort sollte bald kommen. Schneller, als er erwartet hatte.

Und sie würde alles verändern.

Für immer.

Kapitel 3: Das Angebot

Zwei Tage später, an einem grauen Mittwochmorgen, wurde Woyzeck nach dem Appell zum Lazarett der Kaserne befohlen. Er wusste nicht warum – er war nicht krank, hatte sich nicht verletzt. Aber Befehle waren Befehle.

Das Lazarett war ein niedriges Gebäude am Rande des Kasernengeländes. Woyzeck hatte es nur von außen gesehen, war noch nie hinein gegangen. Es roch nach Karbol und Krankheit, nach Blut und Verzweiflung.

Ein Sanitäter führte ihn durch einen langen Korridor zu einem Raum am Ende. "Doktor Klausmann erwartet dich", sagte er und klopfte an die Tür.

"Herein!"

Woyzeck trat ein. Der Raum war eine Mischung aus Büro und Labor – ein großer Schreibtisch voller Papiere, Regale mit medizinischen Büchern, ein Behandlungstisch, Glasgefäße mit seltsamen Flüssigkeiten, Instrumente, deren Zweck Woyzeck nicht kannte.

Hinter dem Schreibtisch saß ein Mann, den Woyzeck noch nie gesehen hatte. Doktor Bernhard Klausmann war Mitte vierzig, hager, mit scharfen Gesichtszügen und einer Brille, die seine Augen vergrößerte und ihm ein insektenhaftes Aussehen verlieh. Er trug einen weißen Kittel über seiner Kleidung, und seine Hände – bleiche, lange Finger – waren über einem aufgeschlagenen Buch gefaltet.

"Ah, Woyzeck. Franz Woyzeck, richtig?" Er sah auf seine Papiere. "Soldat, dritte Kompanie, achtundzwanzig Jahre alt, unverheiratet, ein Kind."

"Jawohl, Herr Doktor."

"Setzen Sie sich." Klausmann deutete auf einen Stuhl vor dem Schreibtisch. "Ich nehme an, Sie fragen sich, warum Sie hier sind?"

"Ja, Herr Doktor."

"Ich bin Militärarzt, aber meine eigentliche Leidenschaft gilt der Forschung. Der medizinischen Wissenschaft." Die Augen hinter der Brille glänzten. "Ich studiere die Auswirkungen von Ernährung auf den menschlichen Körper und Geist. Ein faszinierendes Gebiet, noch weitgehend unerforscht."

Woyzeck nickte, verstand nicht ganz, wohin das führte.

"Ich suche Probanden für ein Experiment", fuhr Klausmann fort. "Freiwillige, die bereit sind, für eine begrenzte Zeit einer speziellen Diät zu folgen, während ich ihre physiologischen und psychologischen Reaktionen dokumentiere."

"Ein Experiment, Herr Doktor?"

"Genau. Neun Wochen lang würden Sie sich ausschließlich von Erbsen ernähren. Nichts anderes. Keine andere Nahrung, kein Fleisch, kein Brot, kein Gemüse. Nur Erbsen, zubereitet auf verschiedene Arten."

Woyzeck starrte ihn an. "Nur... Erbsen?"

"Nur Erbsen. Ich möchte die Auswirkungen einseitiger Ernährung auf verschiedene Körperfunktionen untersuchen – Verdauung, Kreislauf, Muskelkraft, aber auch auf die geistige Leistungsfähigkeit." Klausmann lehnte sich zurück. "Sie würden zweimal wöchentlich zu Untersuchungen kommen, bei denen ich Ihr Gewicht, Ihren Puls, Ihre Reflexe messe. Sie würden ein Tagebuch führen über Ihr Befinden. Das ist alles."

"Und... warum ich?" Woyzeck fühlte sich unwohl unter dem prüfenden Blick des Doktors.

"Ich habe mehrere Kandidaten in Betracht gezogen. Sie erfüllen die Kriterien – jung, relativ gesund, keine bekannten Vorerkrankungen. Und..." Klausmann sah wieder auf seine Papiere, "Sie haben finanzielle Schwierigkeiten, habe ich gehört. Das macht Sie zu einem idealen Kandidaten."

"Finanziell...?"

"Natürlich wird das Experiment vergütet." Klausmann nannte eine Summe, die Woyzeck den Atem stocken ließ. "Zwei Groschen pro Woche während der neun Wochen. Das macht achtzehn Groschen insgesamt. Zusätzlich zu Ihrem regulären Sold."

Achtzehn Groschen. Das war mehr als doppelt so viel, wie Woyzeck in einem Monat verdiente. Damit könnten sie die Mietschulden bezahlen. Marie könnte neue Schuhe kaufen. Christian würde genug zu essen haben.

"Aber es sind nur Erbsen", sagte Woyzeck langsam. "Neun Wochen lang. Ist das nicht... gefährlich?"

"Es gibt keine Hinweise darauf, dass eine Erbsendiät über diesen Zeitraum gesundheitsschädlich ist", sagte Klausmann glatt. "Erbsen enthalten Protein, Kohlenhydrate, einige Vitamine. Natürlich ist es keine ausgewogene Ernährung, aber neun Wochen sind ein überschaubarer Zeitraum. Sie werden wahrscheinlich etwas Gewicht verlieren, möglicherweise Verdauungsbeschwerden haben. Aber nichts Ernstes."

Woyzeck dachte nach. Achtzehn Groschen. Für neun Wochen nur Erbsen essen. Es klang seltsam, fast zu gut, um wahr zu sein. Aber der Doktor war ein gebildeter Mann, ein Wissenschaftler. Er würde nichts Gefährliches vorschlagen, oder?

"Darf ich... darf ich darüber nachdenken?"

"Natürlich." Klausmann schob ihm ein Papier über den Schreibtisch. "Hier ist der Vertrag. Lesen Sie ihn durch – oder lassen Sie ihn jemandem vorlesen, wenn Sie nicht..." Er hielt inne, taktvoller als weiterzusprechen.

Woyzeck konnte lesen, aber nicht gut. Er nahm das Papier, überflog es. Die Worte verschwammen vor seinen Augen – so viel juristische Sprache, so viele komplizierte Formulierungen. Aber die Zahl war klar: 18 Groschen.

"Wenn Sie sich entscheiden teilzunehmen", sagte Klausmann, "müssen Sie den Vertrag unterschreiben. Sie verpflichten sich, die volle Zeit durchzuhalten. Wenn Sie vorzeitig abbrechen, müssen Sie das bereits erhaltene Geld zurückzahlen."

"Verstehe."

"Gut. Denken Sie darüber nach. Lassen Sie mich bis übermorgen wissen. Das Experiment würde nächsten Montag beginnen."

Woyzeck stand auf, den Vertrag in der Hand. "Danke, Herr Doktor."

Draußen blieb er stehen, lehnte sich gegen die Wand des Lazaretts. Sein Kopf drehte sich. Achtzehn Groschen. Nur für Erbsen essen. Es klang einfach. Zu einfach.

Aber was war die Alternative? Weiter von acht Groschen alle zwei Wochen leben? Zusehen, wie Marie sich abarbeitete, wie Christian manchmal hungrig ins Bett ging?

Er musste mit Marie reden.

An diesem Abend ging Woyzeck nach dem Dienst direkt zu Maries Kammer. Sie war überrascht, ihn zu sehen – normalerweise kam er nur mittags, wenn er Zeit hatte.

"Franz? Was ist passiert?" Sorge lag in ihrer Stimme.

"Nichts Schlimmes. Ich muss mit dir reden."

Er setzte sich an den kleinen Tisch, und sie setzte sich ihm gegenüber, Christian auf dem Schoß. Woyzeck erzählte ihr von Doktor Klausmann, vom Experiment, von den achtzehn Groschen.

Marie hörte schweigend zu. Als er fertig war, sagte sie lange nichts.

"Nur Erbsen", wiederholte sie schließlich. "Neun Wochen lang nur Erbsen."

"Ja."

"Das klingt... seltsam."

"Ich weiß. Aber Marie, denk an das Geld. Achtzehn Groschen! Wir könnten die Miete bezahlen, könnten Schulden tilgen. Vielleicht könnten wir sogar etwas sparen."

"Aber was, wenn es gefährlich ist? Was, wenn du krank wirst?"

"Der Doktor sagt, es ist nicht gefährlich. Es sind nur neun Wochen. Danach kann ich wieder normal essen."

Marie sah auf Christian hinunter, der friedlich in ihren Armen schlief. "Ich weiß nicht, Franz. Es fühlt sich falsch an. Diese Ärzte, sie behandeln die armen Leute wie... wie Versuchstiere."

"Vielleicht. Aber was sollen wir sonst tun?" Woyzecks Stimme wurde dringlicher. "Wir ertrinken hier, Marie. Jeden Tag wird es schwerer. Und wenn das Baby größer wird, brauchen wir noch mehr Geld."

"Ich könnte mehr Wäsche waschen..."

"Du arbeitest schon bis du umfällst. Nein." Er griff über den Tisch, nahm ihre Hand. "Das ist unsere Chance. Neun Wochen, und dann haben wir genug Geld für Monate. Vielleicht können wir sogar über eine Hochzeit nachdenken."

Das traf sie. Marie hatte immer davon geträumt, richtig verheiratet zu sein, nicht nur zusammenzuleben. Aber eine Hochzeit kostete Geld – für die Gebühren, für ein ordentliches Kleid, für eine kleine Feier.

"Du denkst wirklich, es ist sicher?"

"Der Doktor ist ein gebildeter Mann. Ein Wissenschaftler. Er würde mich nicht in Gefahr bringen."

Marie seufzte. "Wenn du meinst... wenn du wirklich glaubst, dass es das Richtige ist..."

"Ich glaube es. Für uns. Für Christian."

Sie nickte langsam. "Dann tu es. Aber Franz – wenn irgendetwas schiefgeht, wenn du dich krank fühlst, dann brichst du ab. Verstanden? Kein Geld ist es wert, deine Gesundheit zu riskieren."

"Versprochen."

Er küsste sie, lang und zärtlich. In diesem Moment liebte er sie mehr als je zuvor. Sie vertraute ihm, glaubte an ihn, trotz ihrer Zweifel.

Er würde sie nicht enttäuschen. Er würde diese neun Wochen durchstehen, das Geld verdienen, und alles würde besser werden.

Alles würde gut werden.

Das sagte er sich, immer und immer wieder, während er durch die dunklen Straßen zurück zur Kaserne ging.

Aber tief in seinem Inneren, in einem Teil von ihm, den er nicht zugeben wollte, nagte ein Zweifel.

Was, wenn etwas schiefging?

Was, wenn der Doktor sich irrte?

Was, wenn neun Wochen nur Erbsen mehr anrichteten, als irgendjemand vorhersehen konnte?

Aber er schob diese Gedanken beiseite. Er musste. Die Alternative – weiter in Armut zu leben, zuzusehen, wie seine Familie litt – war noch schlimmer.

Am nächsten Morgen ging Woyzeck zurück zum Lazarett. Doktor Klausmann empfing ihn mit einem zufriedenen Lächeln.

"Woyzeck. Haben Sie sich entschieden?"

"Ja, Herr Doktor. Ich mache mit."

"Ausgezeichnet!" Klausmann schob den Vertrag über den Tisch, zusammen mit einer Feder und Tinte. "Unterschreiben Sie hier."

Woyzeck nahm die Feder, setzte mühsam seinen Namen unter das Dokument. Seine Handschrift war krakelig, unsicher. Aber es war getan.

"Wunderbar." Klausmann nahm den Vertrag, faltete ihn sorgfältig zusammen. "Wir beginnen am Montag. Ich werde Ihnen die Erbsenrationen zukommen lassen – Sie bekommen sie täglich, bereits gekocht und portioniert. Essen Sie nichts anderes. Kein Brot, kein Fleisch, keine Früchte. Nur Erbsen. Verstanden?"

"Ja, Herr Doktor."

"Und denken Sie daran – wenn Sie betrügen, wenn Sie andere Nahrung zu sich nehmen, wird das Experiment ungültig. Sie verlieren das Geld."

"Ich werde nicht betrügen."

"Gut." Klausmann stand auf, streckte seine Hand aus. "Dann sehen wir uns am Montag zur ersten Untersuchung. Sieben Uhr morgens, hier im Lazarett."

Woyzeck schüttelte die kalte, trockene Hand des Doktors. Es fühlte sich an wie ein Pakt mit... mit was? Er wusste es nicht.

Aber es war zu spät, um zurückzugehen.

Der Würfel war gefallen.

Das Experiment würde beginnen.

Und Woyzeck, in seiner Unschuld, in seiner Verzweiflung, hatte keine Ahnung, was es in Gang setzen würde.

Keine Ahnung von den Stimmen, die kommen würden.

Von den Halluzinationen.

Von dem langsamen Abstieg in den Wahnsinn.

Von dem Messer, das am Ende auf ihn warten würde.

Am dunklen Teich, unter dem kalten Mond.

Aber das war noch Wochen entfernt.

Jetzt war nur die Hoffnung.

Die trügerische, gefährliche Hoffnung, dass alles gut werden würde.

Kapitel 4: Der Vertrag

Die Tage bis zum Montag vergingen schnell. Woyzeck versuchte, sie zu genießen – seine letzten Tage mit normalem Essen. Die wässrige Kohlsuppe in der Kantine schmeckte plötzlich köstlich. Das harte Brot war ein Festmahl. Selbst die Kartoffeln, die sie manchmal bekamen, grau und matschig, erschienen ihm wie eine Delikatesse.

"Du isst, als wäre es deine letzte Mahlzeit", bemerkte Andres am Samstagabend, während sie in der Kantine saßen.

"In gewisser Weise ist es das", sagte Woyzeck. Er hatte Andres von dem Experiment erzählt. Sein Freund hatte gemischte Gefühle gezeigt.

"Ich weiß nicht, Franz. Das Ganze klingt verdächtig. Warum sollte ein Doktor so viel Geld zahlen, nur damit du Erbsen isst?"

"Für die Wissenschaft, hat er gesagt."

"Wissenschaft." Andres schüttelte den Kopf. "Die benutzen uns wie Laborratten. Wir sind für sie keine Menschen, nur... Objekte zum Studieren."

"Vielleicht. Aber die achtzehn Groschen sind real. Damit kann ich Marie und Christian ein besseres Leben geben."

"Wenn das Experiment dich nicht umbringt."

"Es wird mich nicht umbringen. Es sind nur Erbsen. Was kann schon schiefgehen?"

Andres schwieg, sah aber nicht überzeugt aus.

Am Sonntag ging Woyzeck ein letztes Mal vor dem Experiment zu Marie. Er hatte bei einem Bäcker ein halbes Brot gekauft – fast sein ganzes verbleibendes Geld, aber er wollte etwas Besonderes mitbringen.

Marie war gerührt. "Franz, du hättest das nicht tun sollen. Das Geld..."

"Es ist unser letzter richtiger Sonntag für eine Weile. Ich wollte, dass er besonders wird."

Sie aßen zusammen das Brot, mit einem kleinen Stück Käse, das Marie irgendwo aufgetrieben hatte. Christian saß zwischen ihnen auf einer Decke am Boden, spielte mit einem Holzlöffel. Es war ein einfaches Mahl, aber es fühlte sich an wie ein Fest.

"Morgen fängt es also an", sagte Marie nach einer Weile.

"Ja. Morgen früh gehe ich zum Doktor für die erste Untersuchung. Dann bekomme ich meine ersten Erbsenrationen."

"Wie fühlst du dich?"

Woyzeck dachte nach. "Nervös. Aber auch... hoffnungsvoll? Als hätten wir endlich eine Chance, aus diesem Loch herauszukommen."

Marie legte ihre Hand auf seine. "Neun Wochen. Dann ist es vorbei, und alles wird besser."

"Genau."

Sie saßen schweigend da, hielten Händchen, sahen Christian beim Spielen zu. Diese Momente – diese seltenen, friedlichen Momente – waren es, wofür Woyzeck lebte. Dafür würde er alles tun. Sogar neun Wochen lang nur Erbsen essen.

"Versprich mir etwas", sagte Marie plötzlich.

"Was?"

"Wenn es zu schwer wird, wenn du dich wirklich krank fühlst – brich ab. Ich meine es ernst, Franz. Kein Geld ist es wert, deine Gesundheit zu ruinieren."

"Ich verspreche es. Aber es wird nicht so weit kommen. Du wirst sehen. In neun Wochen sitze ich wieder hier, esse Brot mit dir, und wir lachen über meine Zeit als Erbsenesser."

Marie lächelte, aber ihre Augen blieben besorgt.

Am Montagmorgen, kurz nach sechs Uhr, stand Woyzeck vor dem Lazarett. Es war ein kühler, nebelverhangener Morgen. Die Welt schien in Grautönen getaucht, unwirklich.

Doktor Klausmann erwartete ihn bereits. Der Raum war vorbereitet – auf dem Behandlungstisch lagen verschiedene Instrumente, ein Notizbuch, eine Waage stand in der Ecke.

"Ah, Woyzeck. Pünktlich. Das ist gut. Pünktlichkeit ist wichtig für die wissenschaftliche Methode." Der Doktor rieb sich die Hände. "Ziehen Sie sich bis auf die Unterhose aus. Wir beginnen mit der Ausgangsmessung."

Woyzeck entkleidete sich, fühlte sich verletzlich in der kühlen Luft. Der Doktor maß und notierte alles mit akribischer Präzision.

"Größe: fünf Fuß und sieben Zoll. Gewicht: hundertdreiundvierzig Pfund." Klausmann schrieb. "Brustumfang, Taillenumfang, Armumfang..." Er wickelte ein Maßband um verschiedene Teile von Woyzecks Körper.

Dann kam die körperliche Untersuchung. Der Doktor horchte sein Herz ab mit einem eigenartigen Instrument, fühlte seinen Puls, leuchtete ihm in die Augen, klopfte auf seine Knie, um die Reflexe zu testen.

"Zunge herausstrecken."

Woyzeck gehorchte.

"Hmm. Leicht belegt, aber im Normbereich." Mehr Notizen. "Wie oft haben Sie Stuhlgang?"

"Ich... einmal am Tag, normalerweise."

"Gut. Das werden wir dokumentieren. Ich erwarte, dass sich Ihre Verdauung in den ersten Wochen ändert. Das ist normal bei einer Ernährungsumstellung."

Die Untersuchung dauerte fast eine Stunde. Schließlich durfte Woyzeck sich wieder anziehen.

"Hier." Der Doktor reichte ihm einen kleinen Beutel. "Ihre Erbsenration für heute. Bereits gekocht und gewürzt – nur mit Salz, nichts anderes. Sie sollten die Menge auf drei Mahlzeiten verteilen."

Woyzeck öffnete den Beutel, sah hinein. Graue, matschige Erbsen, dampfend. Der Geruch war nicht unangenehm, aber auch nicht besonders einladend.

"Ab jetzt kommen Sie jeden Morgen hier vorbei, holen Ihre tägliche Ration ab. Dienstags und Freitags führen wir ausführliche Untersuchungen durch. An den anderen Tagen nur eine kurze Überprüfung."

"Verstanden, Herr Doktor."

"Und denken Sie daran – absolut nichts anderes essen. Kein Brot, kein Fleisch, keine Milch. Nur Erbsen. Und Wasser natürlich. Sie dürfen so viel Wasser trinken, wie Sie wollen."

"Jawohl, Herr Doktor."

Klausmann reichte ihm ein kleines Notizbuch. "Hier. Führen Sie Tagebuch. Jeden Abend notieren Sie, wie Sie sich fühlen. Körperlich und geistig. Besondere Vorkommnisse, Träume, Stimmungsschwankungen – alles."

Woyzeck nahm das Buch. "Ich... ich bin nicht gut im Schreiben."

"Das macht nichts. Tun Sie Ihr Bestes. Oder diktieren Sie es jemandem." Der Doktor wedelte ungeduldig mit der Hand. "Sie können gehen. Bis morgen früh."

Woyzeck verließ das Lazarett mit dem Beutel Erbsen in der Hand. Der Morgenappell stand bevor. Er hatte keine Zeit zum Frühstücken – die Erbsen würden warten müssen bis zum Mittag.

Der Tag verlief normal – Drill, Exerzieren, den Hauptmann rasieren. Der Hauptmann bemerkte nichts Ungewöhnliches, führte seine üblichen Monologe über Tugend und Moral.

Erst um die Mittagszeit, als die anderen Soldaten zur Kantine strömten, wurde Woyzeck bewusst, dass sein Experiment wirklich begonnen hatte. Er konnte nicht mit ihnen gehen, konnte nicht die Kohlsuppe essen, die heute serviert wurde.

Stattdessen setzte er sich allein hinter die Baracke, öffnete den Beutel mit den Erbsen. Sie waren inzwischen kalt geworden, hatten eine gummiartige Konsistenz angenommen.

Er nahm einen Löffel voll, führte ihn zum Mund. Der Geschmack war... fade. Nicht schlecht, aber auch nicht gut. Einfach nur... Erbsen. Er aß langsam, mechanisch, zwang sich, jeden Bissen zu kauen.

"Was zum Teufel isst du da?"

Woyzeck blickte auf. Wilhelm, einer der Soldaten aus seiner Kompanie, stand da und starrte auf den Beutel.

"Erbsen."