Aus der Art geschlagen - Adam Scharrer - E-Book
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Aus der Art geschlagen E-Book

Adam Scharrer

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Beschreibung

In den rauen Landschaften Bayerns, wo Tradition, Schicksal und unerschütterliche Hoffnung aufeinanderprallen, entfaltet sich das bewegende Epos „Aus der Art geschlagen“. Zwischen endlosen Feldern, stürmischen Nächten und dem ehrlichen, harten Alltag der Bauern und Hirten wird das Schicksal einer Familie gezeichnet – voller Liebe, Verlust, Aufbruch und schmerzlicher Erinnerungen. Adam Scharrer entführt den Leser in eine längst vergangene Welt, in der jedes Lachen, jeder Schlag und jede zähe Geste das Überleben sichern muss. Ein Buch, das den Geist vergangener Zeiten atmen lässt und gleichzeitig den modernen Leser mit seiner tiefen Emotionalität und authentischen Sprache berührt. Tauchen Sie ein in diese faszinierende Zeitreise, die noch heute zum Nachdenken und Fühlen anregt!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 107

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Impressum

Adam Scharrer

Aus der Art geschlagen

Reisebericht eines Arbeiters

ISBN 978-3-68912-443-4 (E–Book)

Das Buch erschien erstmals 1930 in Der Bücherkreis, Berlin.

Das Titelbild wurde mit der KI erstellt.

© 2025 EDITION digital®

Pekrul & Sohn GbR

Godern

Alte Dorfstraße 2 b

19065 Pinnow

Tel.: 03860 505788

E-Mail: [email protected]

Internet: http://www.edition-digital.de

Aus der Art geschlagen

1

Nebel sammelt sich schon über dem Weiher.

Die Rinderherde blökt in den Abend, drängt nach den Ställen. Der Hirt wartet auf seine Frau, die, hastig tappelnd, den Wiesenweg heraufkommt.

„Kommst halt gar so spät, Bärbel!“, begrüßt er sie. Nun, da sie vor ihm steht, erschöpft, so müde, klingt Teilnahme aus seiner Frage.

„Es fällt mir halt schon recht schwer, Franz. Ich hab den Schubkarren mit den Rüben bald net mehr heim'bracht. Das Kreuz, das Bücken.“ Sie sagt das wie bedauernd, atmet schwer, setzt sich auf einen Baumstumpf, und fährt fort:

„Ein Brief ist da, wegen der Stell'. Wir können hin. Jetzt kommt aber alles mit einem Mal zam.“

Franz schaut sie forschend an. „Ja, alles mit einem Mal“, sagt er dann. „Ein paar Wochen müsst' mer halt noch Zeit ham.“ Dann geht er, die Herde folgt ihm. Bärbel bleibt sitzen, lässt sie vorüber. Sie muss hinterhergehen, um Nachzügler, die auf Rüben- und Kleefeldern zurückbleiben möchten, anzutreiben. Sie schaut ihrem Mann nach. Sie weiß, er hat Sorgen.

Die neue Hirtenstelle haben sie bekommen. Im Oktober sollen sie schon hin. Sie kommen so um einen Teil ihres Deputats, denn die Bauern haben noch nicht gedroschen. Franz arbeitet nach Feierabend bei den Maurern. Sie müssen das Geld für die Glocken und Glockenriemen haben, wenn sie im Frühjahr in Franken austreiben. Ob Franz dort Arbeit bekommt, dass er das über Winter zusammenbringt? Und dann der Umzug. Die Hebamme kostet auch Geld. Bärbel ist schon hoch in der Zeit; so in drei Wochen, denken sie, muss Bärbel sich legen.

Als sie heimkommt, setzt sie Franz das „Eierplätzl“ hin; er muss sich doch „was zu gute tun“, sonst hält er es nicht aus. Er schachtet noch aus, so bis um zehn Uhr.

Franz steht dann auf und sagt: „Was meinst, Bärbel, hältst's noch aus, wenn wir fahr'n?“

„Versuchen, glaub ich, müssen wir's, hier komm' wir auf kein'n grün'n Zweig!“, antwortet Bärbel. Sie sitzt auf der rohen Ofenbank, ist ganz gedrückt. Wie ist sie immer mit den Zweizentnersäcken umgesprungen, wie ein Großknecht! Und geschaufelt hat sie wie ein Handlanger. Und grad jetzt sitzt sie da, eine rechte Last für ihren Mann. Sie schluckt, als schlucke sie etwas Bitteres hinunter, und fährt fort: „Wir müssen 'nüber, an mir darf's net liegen. Hier in der Pfalz könn'n wir zeitlebens schindern. Sind ja alles selber lauter Hungerleider.“

Franz schiebt seiner Bärbel die Hälfte des Eierkuchens hin – mehr Brot als das, als Eier –, streicht ihr mit seiner schweren Hand über die Schulter, nimmt die Schaufel und geht.

Bärbel will ihn noch halten. „Ess doch, Franz“, bittet sie, „du brauchst's.“

„Wenn du net isst“, sagt er, „bekommt mir's net; sei g'scheit, Bärbel, musst auch an unsern Stammhalter denken.“ Über sein braunes, knochiges Gesicht huscht ein Schatten grimmigen Humors.

Bärbel sieht ihm durchs Fenster nach. Sie ist froh, ganz rot ist sie geworden. Dann isst sie hastig den Rest. Sie hat noch viel Arbeit: die Kuh melken und füttern, die beiden kleinen Schweine besorgen, die Gänse. Dann liest sie noch einmal den Brief aus Franken.

*

Sie überlegen: Wenn sie jemand fahren würde bis Hammerbrunn! Dort ist der Bruder der Bärbel bei einem Bauern als Knecht; vielleicht würde der sie fahren können bis Hersbruck. Von Hersbruck würden sie von der Gemeinde abgeholt. Drei Tage wären sie unterwegs, zweimal müssten sie übernachten. Es ist erst Anfang Oktober, – man kann noch auf dem Heuboden schlafen.

Und sie beschließen, es so zu machen. Der Erlenbauer lässt sie fahren.

Zwanzig Mark haben sie von der Gemeinde in Franken Umzugskosten bekommen. Eine Mark geben sie dem Erlenbauernknecht Trinkgeld; übernachten kostet nicht viel. Der Kuh müssen sie noch Bleche auf die Hufe schlagen lassen, dass sie sich nicht durchläuft. So sparen sie, alles abgerechnet, noch fünfzehn Mark. Sie brauchen es. Man kann doch vor einer fremden Hebamme nicht ohne Geld dastehen.

Franz lässt vorm Wirtshaus noch einmal halten, bestellt eine Maß, und für Bärbel noch einen Wecken, reicht ihr Bier und Wecken auf den Wagen und sagt: „Prost Frau!“ So feierlich ist ihr zumute, so gut ist er doch! Der Erlenbauerknecht lacht spitzbübisch: „Schmierst ja so, Hirt“, witzelt er. „Hast a schlecht's G'wissen? – bist überhaupt a ganz Durchtriebener. Holst uns die schönsten Mädel weg und fährst mit ihnen furt. Der Teifel soll di hul'n!“ Er trinkt aus, wischt sich über den Bart und stellt den Steinkrug auf die leeren Fässer im Hof.

Franz lacht verschmitzt und sagt: „Bärbel, noch ist Zeit, wennst dableiben willst.“

„Möchtest mich wohl gern los sein?“, gibt Bärbel, ganz übermütig, zurück. – „Hier fliegen einem die gebratenen Tauben auch net ins Maul 'nein, und arbeiten muss man überall. Weniger wie hier werden wir dort a net zusammenbringen.“

Es ist auch nicht viel, was sie zusammengebracht haben. Zwei Kleiderschränke, zwei Truhen, zwei Betten. Das haben sie schon vor fünf Jahren mit in die Hochzeit gebracht, jeder seines. Von Bärbels Erspartem haben sie die magere Kuh, den „Blasch“ gekauft, der an einem Strick hinter dem Wagen geht. Sie haben ihn aber schon ganz schön rausgefüttert. Gabeln, Rechen, Harken, Körbe, Bütten und Scheffel, der kleine eiserne Pflug, der alte Häckselschneider mit langem, ausgeschliffenem Messer, mit der Hand durchzudrücken, das bisschen Geschirr, die beiden Ferkel in der Kiste, und die drei Gänse in einer andern, in einer dritten die paar Hühner: das geht alles bequem auf einen Leiterwagen, lässt noch Platz für ein paar Säcke Kartoffeln und allerhand Kleinigkeiten. Die Pferde ziehen nicht schwer daran.

Franz bläst dicke Rauchwolken vor sich hin, grüßt ein paar Mal, als die Bauern von den Höfen herauswinken. Als sie über den Bach hinweg sind, schaut er noch einmal zurück. Sie haben dort fünf Jahre gearbeitet, von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Auf dem kleinen Friedhof liegt ihr erstes Kind.

*

Die Wolken hängen locker, der Wind versucht den Regen zurückzuhalten, aber nun kommt doch ein feiner, kalter Schauer herunter. Sie haben den Heuplan über den Wagen gedeckt. Wenn es nicht allzu stark regnet, hält er dicht. Die Bärbel sitzt so unbequem unter ihm, er liegt so schwer auf ihr. Das Sitzen auf dem harten Brett strengt sie an. Sie kann sich nicht anlehnen.

Sie halten an und machen ihr auf den Kartoffelsäcken ein Lager zurecht, legen ihr die Betten unter, Kissen hinter den Rücken und bauen den Plan um sie herum. So kann sie wenigstens um sich sehen, sitzt bequemer, auch wenn sie den Regenschirm halten muss. Dem „Blasch“ werfen sie die alte geflickte Decke über. „Wolf“ läuft unter dem Wagen, schützt sich so vor dem Regen. Sehr schnell können sie nicht fahren, sonst treiben sie den „Blasch“ zu sehr ab. Vier Stunden, denken sie, brauchen sie bis Hammerbrunn.

„Na, Mutter, geht's nun?“, fragt Franz. Er nimmt aus der vollen Dose eine Prise Schmalzler und reicht die Dose Görgel, dem Kutscher. Bärbel mustert ihren Franz kampflustig. „Mach's net gor zu arg!“, ermahnt sie ihn. Sie weiß, wie wohl ihrem Franz ist, wenn seine Dose gefüllt ist. Sie musste oft mit ihm zanken, alle drei Tage für ein „Zehnerle“ Schmalzler, das geht nicht. Aber heute gönnt sie ihm die Freude.

Er deichselt doch alles immer wieder, dass es gut ausläuft. Ein paar Mark bringen sie mit hinüber, und einen fleißigen Mann hat sie, das muss man sagen!

Wird vieles fehlen, drüben, sie müssen überhaupt erst einmal sehen, wie alles wird. Wenn sie mit dem Kindbett durch ist, kann sie auch wieder anders zupacken. Sie schaut auf ihren Franz, der vor ihr neben dem Kutscher auf dem Bock sitzt. So stattlich sieht er aus mit dem neuen Anzug und dem Kragen, und wenn er rasiert ist. Wenn ihn die Bauern drüben erst kennenlernen, werden sie mit ihrem Hirten schon zufrieden sein. Sie fühlt sich so geborgen neben ihm. Dass das so gekommen ist mit ihr, gerade jetzt, hat sie oft bedrückt. Aber er lässt ihr das doch nicht fühlen. Sie möchte doch nicht mehr tauschen gegen früher.

Eine tüchtige Magd war sie, das haben alle Bauern gesagt. Aber wenn sie abends in ihr Bett ging, hat ihr doch immer etwas gefehlt. Wenn sie zur Lichtmess wieder gegangen ist, zu einem andern Bauern, hat sie das so recht gefühlt. Dann sind sie mit einem Mal so ganz anders gewesen. Sie hatten ihre Kartoffeln im Keller, ihr Korn in den Säcken, ihr Heu auf dem Boden, ihr Holz in Brettern aufgestapelt, ihren Hopfen verkauft. Sie hat Holz gehauen wie ein Mannsbild, hat ihnen im Dreschen, im Kartoffelabtragen allen was vorgemacht, auch manchem Mann. Hat die Kühe herausgefüttert und herausgeputzt, und ist dann wieder gegangen, hat irgendetwas gesucht und doch nicht gefunden.

Bis der Franz gekommen ist.

Sie hat ihm nicht recht getraut am Anfang, aber irgendetwas hat sie immer wieder zu ihm hingezogen. Und wie sie ihm dann gesagt hat, dass sie so ist, da hat er sie doch geheiratet, hat nicht zugegeben, dass die Schand' über sie kommt.

Und sie hat das nicht bereut. Sie können sich schon sehen lassen. Zeug zum Anziehen haben sie, der Blasch ist auch ganz gut bei Leib. Das Heu haben sie noch verkauft, auch das bisschen Hopfen. Wenn sich das Wetter noch ein paar Wochen hält, werden sie ihre Streu drüben auch noch heimbringen. Während die Männer geladen haben, hat sie den Blasch noch rasch geputzt, und ihm den Schwanz sauber gewaschen. Sie können ihnen nichts nachsagen, wenn sie so hineinfahren ins Dorf.

Bekannte begegnen ihnen öfter, sagen „Glück auf die Reis', Sperber!“ Bärbel sagt immer „Dank schön!“ Wie ein Feiertag ist ihr das alles.

Sie fahren über die Grenze der Oberpfalz, ihrer Heimat. Wie wenn sie immer von einem Bauer zum andern ging, ist ihr. Nur den kleinen Christoph hätt' sie doch gern mitgenommen. Das hat sie doch recht bedrückt, als sie ihm die letzten Blumen hingebracht hat. Aber vielleicht hatte Franz doch recht, als er sagte: „Musst net greinen, Mutter, wer weiß, was ihm alles erspart bleibt.“

Sie kann nicht mehr an sich halten, möchte mit Franz sprechen, ihm sagen: „Franz, heut Abend schlafen wir auf dem Heuboden. Die Hauptsache ist, der Blasch kommt gut unter, dass er ruht. Die fünfzig Pfennig für Betten können wir sparen, wir haben ja unsere Betten.“ Aber sie möchte es nicht sagen, weil Görgel das hören würde und fragt: „Willst nicht ein bissel frühstücken, Franz?“

Sie können sich heut schon ein Stückchen Rauchfleisch leisten. Und ein Fläschchen Bier für ihn hat sie auch noch mitgenommen.

Franz dreht sich um und meint: „Das wär gar nicht so ohne, Mutter, hast auch Appetit? – Das ist ein Zeichen, dass d' g'sund bist.“ Er schaut ihr in das saubere Gesicht unter dem neuen bunten Kopftuch, nimmt ihr den Schirm aus der Hand und sieht ihr zu, wie sie Brot und Speck schneidet und ihm die Flasche Bier reicht, und eine für Görgel. Er nimmt und sagt: „Ess nur auch tüchtig, Mutter, – sitzt auch gut jetzt?“ Er stopft ihr die Betten fester hinter den Rücken und steckt den Schirm dazwischen, dass sie ihn nicht mehr halten braucht. Sie lehnt sich dann zurück, faltet die Hände über ihrem hohen Leib und sagt: „Dank schön, Franz, mir fehlt gar nichts!“

Der Blasch war schon recht abgetrieben, als sie ankamen. Aber er bekam einen warmen Stall und einen warmen Trank. Joseph, Bärbels Bruder, konnte ihn bei einem Herrn unterstellen. Aber auf dem Heuboden können sie nicht schlafen, es ist kein Platz, sagt der Wirt. Für Bärbel bestellt Franz noch eine warme Suppe; er meint, die müsste sie haben bei dem nassen Wetter. So kommt eine Mark zu der andern. Bärbel schmerzt der Rücken, sie kann schlecht schlafen. Franz meint, das kommt von dem Sitzen. „Morgen fährst du mit der Bahn, Mutter, das Sitzen ist nicht gut fürs Kind. Die vierzig Pfennig machen uns auch nicht reich.“

Aber Bärbel wehrt ab. Sie ist wieder ausgeruht, sagt sie am Morgen. „Aber der Blasch, der ist auch trächtig; wenn der das Kalb wegwirft?“

„Magst schon recht haben“, sagt Franz, „die Pferde gehen so scharf.“ Er nimmt den Blasch an die Hand und führt ihn. Bärbel setzt sich wieder auf den Wagen. Franz geht zwei Stunden früher. So kann er den Blasch etwas schonen.

Am Abend stellen sie zum letzten Mal unter. Sie kommen überein, wieder im Bett zu schlafen, wegen die Leut'. Man weiß doch nicht, was die Bauern so reden, denken vielleicht, sie kommen ohne jeden Pfennig an, wenn der Knecht, der sie holt, das erzählt. Es ist nicht mehr weit, drei Stunden noch. Franz führt den Blasch wieder an der Hand, wartet mit ihm im Dorf davor.

Es ist noch am Nachmittag, als sie ankommen. Bärbel überlegt, was sie kochen kann. Ein bisschen Holz werden sie wohl finden, um den Ofen zu heizen. Franz hat in den drei Tagen nichts Warmes gegessen. Sie wird ihm eine Suppe oder ein „Eierplätzl“ machen. Ob der Stall warm ist? Und Blasch muss seinen Kleientrank noch bekommen, auch die Schweine müssen noch was Warmes im Trog haben. Der Eimer Futter war ein bisschen wenig und kalt, und so lange in der Kiste –, wenn sie nur nicht krumm werden? Bärbel kann gar nicht abwarten.