Das Berghotel 108 - Verena Kufsteiner - E-Book

Das Berghotel 108 E-Book

Verena Kufsteiner

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Beschreibung

Annes Lebensglück ist zerbrochen. Vor über einem Jahr stand sie kurz vor der Hochzeit mit ihrem geliebten David, doch dann geschah das furchtbare Unglück: Ihr Verlobter und sie wurden unter einer Schneelawine begraben. Anne überlebte schwer verletzt, David wurde nie gefunden.

Seit diesem schrecklichen Verlust hat sich das Leben der jungen Frau komplett verwandelt. Sie kann ihre Beine nicht mehr bewegen und sitzt im Rollstuhl. Ihren Beruf als Lehrerin musste sie aufgeben, und sie zieht sich von der Außenwelt komplett zurück.

Anne lässt sich zögernd überreden, zurück an den Ort zu fahren, an dem das Unglück damals geschah - nach St. Christoph ins Zillertal. Vielleicht hilft es ihr, wie damals im Berghotel zu wohnen und sich der Erinnerung an die Geschehnisse zu stellen?

Im Berghotel lernt Anne den charmanten Simon kennen. Anfangs will sie es nicht wahrhaben, doch allmählich entwickelt sie Gefühle für den attraktiven und sympathischen jungen Mann. Anne ahnt ja nicht, dass Simon ein Geheimnis vor ihr verbirgt - ein Geheimnis, das alles zwischen ihnen ändern wird ...

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Inhalt

Cover

Impressum

In deinen Armen bin ich frei

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Anne von Sarosdy / Bastei Verlag

Datenkonvertierung E-Book: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-2627-7

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Im idyllischen St. Christoph, dort, wo auch der »Bergdoktor« lebt und praktiziert, liegt das Hotel »Am Sonnenhang«. Es ist ein Haus, in dem sehr viel Wert auf Tradition und Gastlichkeit gelegt wird – und sich für die Gäste so mancher Traum erfüllt.

In deinen Armen bin ich frei

Als die gelähmte Anne ein Wunder erlebte

Von Verena Kufsteiner

Annes Lebensglück ist zerbrochen. Vor über einem Jahr stand sie kurz vor der Hochzeit mit ihrem geliebten David, doch dann geschah das furchtbare Unglück: Ihr Verlobter und sie wurden unter einer Schneelawine begraben. Anne überlebte schwer verletzt, David wurde nie gefunden.

Seit diesem schrecklichen Verlust hat sich das Leben der jungen Frau komplett verwandelt. Sie kann ihre Beine nicht mehr bewegen und sitzt im Rollstuhl. Ihren Beruf als Lehrerin musste sie aufgeben, und sie zieht sich von der Außenwelt komplett zurück.

Anne lässt sich zögernd überreden, zurück an den Ort zu fahren, an dem das Unglück damals geschah – nach St. Christoph ins Zillertal. Vielleicht hilft es ihr, wie damals im Berghotel zu wohnen und sich der Erinnerung an die Geschehnisse zu stellen?

Im Berghotel lernt Anne den charmanten Simon kennen. Anfangs will sie es nicht wahrhaben, doch allmählich entwickelt sie Gefühle für den attraktiven und sympathischen jungen Mann. Anne ahnt ja nicht, dass Simon ein Geheimnis vor ihr verbirgt – ein Geheimnis, das alles zwischen ihnen ändern wird …

»Aaaahhh!«

Ein gellender Schrei riss Hedi Kastler unsanft aus dem Schlaf. Neben ihr schrie, nein, brüllte ihr Mann vor Schmerzen. Schlagartig war sie hellwach.

»Andi? Um Himmels willen! Was fehlt dir denn?«

»Mein Bein! Mein Bein! Ohhhh, tut das weeeeh!«

Silbriges Mondlicht fiel durch einen Spalt zwischen den Gardinen in das Schlafzimmer und beleuchtete das schmerzverzerrte Gesicht ihres Mannes. Seine Augen waren weit aufgerissen und sein Mund keuchend geöffnet.

Hedi fuhr der Schreck in alle Glieder.

»Wo tut es dir weh? In der Brust?«

»Nein, nein, im Bein. Es krampft!«

Hedi zog die Zudecke zur Seite und bemerkte die steifen Zehen ihres Mannes. Schlagartig dämmerte es ihr. Ein Wadenkrampf! Beherzt schlang sie eine Hand um seine Zehen und bog sie in Richtung Schienbein.

Augenblicklich entspannte sich ihr Mann.

»Das ist besser. Danke, Hedi.« Erleichtert stieß er den Atem aus. »Es hat sich angefühlt, als hätte mein letztes Stündlein geschlagen.«

»So hat es sich auch angehört. Mir ist fast das Herz stehengeblieben.«

»Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe. Das war schon der dritte Wadenkrampf diese Woche«, murrte Andreas. »Allmählich fängt es an, mir auf die Nerven zu gehen.«

»Der dritte? Das wusste ich ja gar net! Warum hast du mir denn nix davon gesagt? Das ist doch net normal.«

»So schlimm wie heute Nacht war es bisher noch nie. Bis jetzt hat es mich bei der Arbeit erwischt, wenn ich am Computer gestanden habe, und ist schnell wieder vergangen.«

»Trotzdem macht es mir Sorgen. Geh besser morgen zum Arzt und lass das abklären, ja?«

»Das ist bestimmt net nötig.«

»Mir wäre es lieb, wenn der Doktor einmal nach dir schauen würde. Net, dass mehr dahintersteckt.«

»Na gut. Wenn es dich beruhigt, werde ich hingehen.« Andreas beugte sich zu ihr und drückte ihr ein Busserl auf den Mund. Dann streckte er sich mit einem erleichterten Schnaufen wieder aus und zog die Decke über sich. Kurz darauf verrieten seine tiefen Atemzüge, dass er wieder eingeschlafen war.

Hedis Herzschlag beruhigte sich dagegen nur langsam wieder. Sie war hellwach! Der soeben ausgestandene Schreck saß ihr noch in allen Knochen. Dieser Andi! Fast beneidete sie ihren Mann um seinen gesunden Schlaf. Sobald sein Kopf das Kissen berührte, war er weg. Sie dagegen …

Sie legte sich ebenfalls wieder hin, aber der Schlaf wollte nicht kommen. Stattdessen gingen ihr allerhand Gedanken durch den Kopf.

Morgen muss ich mich um das Schmücken des Rosensaals kümmern, überlegte sie. Die Geburtstagsfeier unseres Bürgermeisters soll besonders schön werden. Dafür muss alles perfekt sein. Und dem Gärtner werde ich ein bisserl Dampf machen. Das Unkraut steht bald höher als unsere Rosen!

Hedi warf sich eine Weile in ihrem Bett herum, ehe sie es aufgab. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Sie schob ihre Zudecke weg und ging ins Badezimmer. Als die Tür hinter ihr zugefallen war, knipste sie das Licht an und blinzelte, bis sich ihre Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten.

Sie benutzte die Toilette. Beim anschließenden Händewaschen fiel ihr Blick auf den Spiegel. Ihre Haare hatte sie erst letzte Woche frisch getönt, sie glänzten seidig. Das Nachthemd betonte ihre weibliche Figur. Im Großen und Ganzen war Hedi zufrieden mit ihrem Äußeren.

Allerdings musste sie in letzter Zeit immer öfter auf die abendliche Schokolade verzichten, damit ihre Dirndl nicht an der Taille zwickten. Dabei war sie im Hotel wirklich den ganzen Tag auf den Beinen. An Training fehlte es ihr also nicht!

Egal, beschloss Hedi. Was man nachts zu sich nimmt, zählt net, deshalb werde ich mir jetzt eine heiße Schokolade gönnen.

Sie lenkte ihre Schritte in die Küche und setzte einen Topf mit Milch auf. Während die Flüssigkeit warm wurde, rührte sie Kakaopulver hinein und warf einen Blick durch das Küchenfenster nach draußen.

Der Nachthimmel wölbte sich wie mitternachtsblauer Samt über den Bergen. Vom Dorf schimmerten vereinzelte Lichter herüber, als wollten sie mit den Sternen um die Wette leuchten. Auf einer nahen Anhöhe stand das Berghotel – ein rustikales Alpenhaus, vor dessen Balkons üppige Geranien blühten.

Hedi und ihr Mann hatten das Hotel vor etlichen Jahren selbst aufgebaut. Sie hatten keine Kinder bekommen können, deshalb schenkten sie all ihre Zeit und ihre Liebe ihrem Betrieb.

Viele Gäste kamen mittlerweile jedes Jahr wieder. Ein schöneres Kompliment konnte sich Hedi nicht denken.

Als der Kakao fertig war, goss sie ihn in einen Becher und setzte sich damit an den Küchentisch. Unter der Eckbank stand ihr Handarbeitskorb. Gut versteckt unter einem weißen Tuch lag darin die Strickweste, die für ihren Mann gedacht war. Es sollte eine Überraschung werden, aus diesem Grund konnte Hedi auch nur daran arbeiten, wenn Andi nicht daheim war.

Er liebte Trachtenkleidung, deshalb hatte sie Hirschhornknöpfe besorgt. Außerdem arbeitete sie jeweils ein Edelweiß in die Westentaschen ein.

Während Hedi das Strickzeug aufnahm und die Nadeln klappern ließ, drangen vom nahen Kirchturm zwei einzelne Glockenschläge heran. Es war mitten in der Nacht, und sie war hellwach.

Wenn der Kakao nicht ausreichte, um sie müde zu machen, würde sie nachher zu einem Schlafmittel greifen müssen. Das wollte sie allerdings lieber vermeiden, denn sonst würde sie morgens wie eine Schlafwandlerin herumwanken. Solche Tabletten beeinträchtigten sie stundenlang. Dabei hatte sie im Hotel alle Hände voll zu tun! Der Frühling zeigte sich von seiner besten Seite – und sie waren beinahe ausgebucht.

Unter Hedis geschickten Händen verwandelte sich die tannengrüne Wolle in das Rückenteil einer Herrenweste.

Auf dem Tisch lag noch der Brief ihrer Jugendfreundin, der an diesem Tag mit der Post gekommen war. Hedi schaute versonnen darauf nieder. Nach Wochen war es das erste Lebenszeichen ihrer Freundin!

Barbara und sie waren zusammen aufgewachsen, bis das Schicksal sie auf verschiedene Wege geschickt hatte. Aus den Augen verloren hatten sie sich jedoch niemals.

Während Hedi mit ihrem Mann im Zillertal lebte, war Barbara mit ihrer Familie nach Salzburg gezogen. Ihr Mann war Musiker und spielte in einem Sinfonieorchester. Sie hatten eine Tochter bekommen – Anne.

Anne war zu einer patenten jungen Frau herangewachsen. Sie hatte Sprachen und Pädagogik studiert. Lehrerin wollte sie werden. Zumindest war das der Plan gewesen – bis zu jenem unglückseligen Tag vor sechzehn Monaten. Damals hatte im Berghotel Annes Hochzeit gefeiert werden sollen. Doch einen Tag vor der Trauung war ein Unglück geschehen und hatte den jungen Bräutigam in den Tod gerissen.

Ich mache mir furchtbare Sorgen um das Madel, schrieb Barbara. Sie versinkt in ihrer Einsamkeit und lässt niemanden an sich heran. Nicht einmal mehr ihren Vater oder mich. Nach Davids Tod ist etwas in ihr zerbrochen. Sie vergräbt sich in ihrem Zimmer und verlässt das Haus kaum noch. Ich erkenne mein eigenes Kind nicht wieder. An dieser Stelle war die Schrift verwischt, als wären Tränen darauf getropft.

Ich glaube, Anne gibt sich die Schuld am Tod ihres Verlobten. Dabei hätte sie ihn nicht retten können. Sie wurde doch selbst von der Lawine mitgerissen und schwer verletzt. Seitdem sitzt sie im Rollstuhl, und es sieht nicht so aus, als könnte sie ihn je wieder verlassen. Niemand kann ihr helfen, Hedi. Mein Kind droht, zugrunde zu gehen, und ich bin machtlos dagegen.

Meine letzte Hoffnung ist es, dass sie an dem Ort Frieden mit der Vergangenheit schließt, an dem das Unglück geschehen ist. Kann ich Anne eine Weile zu euch ins Berghotel schicken? Ich weiß mir sonst keinen Rat mehr. In inniger Freundschaft, Deine Barbara

Nachdenklich schaute Hedi auf das Schreiben nieder.

Anne ist uns jederzeit willkommen, dachte sie, aber wird ihr Kummer hier net eher noch schlimmer werden? Wo alles sie an den Verlust ihres Verlobten erinnert? An die Lawine, die ihn in den Tod gerissen hat? Oder wird unser Bergfrühling ihr guttun? Wird die gute Luft sie vielleicht stärken? Womöglich findet sie hier tatsächlich wieder Frieden.

Hedi gab sich einen Ruck.

Ich werde Barbara schreiben, dass Anne gern zu uns kommen kann. Sie ist uns willkommen. Ich hoffe nur, ihr Aufenthalt hier endet net in einer Katastrophe!

***

»Hast du alles eingepackt, Anne? Deine Medikamente?«

»Ja, Mutterl.«

»Und das Ladegerät für dein Handy? Damit du net ohne Strom dastehst, wenn du Hilfe brauchst?«

»Das ist auch im Koffer.«

»Und warme Socken? Du weißt, dass du nachts so schnell kalte Füße im Bett bekommst und dann net schlafen kannst.«

»Ich habe wirklich alles eingepackt.« Anne widerstand dem Impuls, die Augen zu verdrehen und ihre Mutter daran zu erinnern, dass sie schon fünfundzwanzig war und selbst für sich sorgen konnte. Stattdessen stopfte sie ihren Rucksack in den Fußraum ihres Autos und atmete erleichtert auf, als alles verstaut war.

Sie saß bereits hinter dem Lenkrad und wandte sich nun nur noch einmal zur Seite, um ihre Mutter zum Abschied zu umarmen.

»Auf Wiedersehen, Mutterl.«

»Wiedersehen, mein Schatz.« Barbara Moldenhauer schniefte leise. »Pass auf dich auf. Und ruf an, wenn du angekommen bist, ja?«

»Das mache ich.«

»Ich wünschte, ich könnte dich begleiten, aber daran ist leider net zu denken. Dein Vater würde ständig seine Medikamente vergessen. Du kennst ihn ja.«

Anne dachte an ihren Vater, der seiner Violine so herrliche Melodien entlocken konnte, dass es seinen Zuhörern Tränen in die Augen trieb, zugleich aber furchtbar zerstreut war, wenn es um das tägliche Leben ging.

»Ich würde lieber daheimbleiben«, murmelte sie.

»Schmarrn. Der Urlaub im Zillertal wird dir guttun. Hedi hat mir geschrieben, dass sie ein fabelhaftes Zimmer für dich reserviert hat. Sie wird sich gut um dich kümmern.«

»Das muss sie net.« Annes Gesicht verschloss sich. »Ich komme zurecht.«

»Natürlich kommst du zurecht, aber es ist keine Schande, Hilfe anzunehmen. Schon gar net, wenn man im Rollstuhl sitzt.« Ihre Mutter reichte ihr einen Beutel ins Auto. »Hier ist ein Imbiss für unterwegs. Ich habe auch eine Thermoskanne mit Kräutertee für dich eingepackt.«

»Reiseverpflegung? Warum denn das? Ich breche doch net zu einer Polarexpedition auf. Von Salzburg nach St. Christoph sind es nur zwei Stunden Fahrt. Da werde ich bestimmt net verhungern.«

»Vielleicht gerätst du unterwegs in einen Stau. Oder machst eine längere Pause. Ich will nur, dass du versorgt bist.«

»Na gut. Dankeschön, Mutterl.« Anne ließ den Motor an. Seit dem Lawinenunglück saß sie im Rollstuhl. Ihre Eltern hatten dafür gesorgt, dass sie trotzdem mobil blieb, und ihr ein Auto gekauft, das einen breiten Einstieg und genügend Platz bot, um den Rollstuhl zu verstauen. Außerdem war alles so angelegt, dass sie den Wagen mit den Händen bedienen konnte und die Füße nicht brauchte.

Annes Elternhaus stand am Rand der Mozartstadt und bot einen ungehinderten Blick auf die Festung Hohensalzburg. Von hier aus waren es rund 160 Kilometer bis ins Zillertal. Anne hatte sich die Strecke vorher auf ihrem Routenplaner angeschaut. Die Fahrt würde sie am Chiemsee vorbei über Kufstein bis ins Zillertal führen.

Das Berghotel stand in einem Dorf namens St. Christoph. Es wurde von einer Jugendfreundin ihrer Mutter und deren Ehemann geleitet. Einen idyllischeren Ort konnte sie sich kaum vorstellen, deshalb hatte sie auch vor über einem Jahr dort heiraten wollen. Doch dann war das Unglück geschehen. Nun graute es ihr davor, an den Ort zurückzukehren, an dem ihr Leben zerbrochen war.

Warum hatte sie sich nur darauf eingelassen?

Ihre Mutter hatte ihr zugeredet, den Bergen noch eine Chance zu geben. Jetzt, im Frühling, würden sie gewiss völlig anders aussehen als damals mitten im Winter.

Als ob das einen Unterschied machen würde!

David war tot – und ein Teil von ihr selbst war mit ihm gestorben. Anne war innerlich wie betäubt. Sie empfand keine Freude und auch keine Wärme mehr. Nur noch Einsamkeit.

Finanziell war sie durch die Lebensversicherung ihres Verlobten abgesichert. Zumindest würde sie das sein, sobald die Versicherung die Zahlung endlich freigab. David hatte darauf bestanden, dass sie sich gegenseitig absicherten. Allerdings zögerte die Versicherung die Auszahlung hinaus, weil Davids Leichnam nicht gefunden worden war.

Annes Mutter regte sich maßlos darüber auf. Ihr selbst war es jedoch gleichgültig. So, wie ihr alles gleichgültig geworden war. Sie hatte das Schlimmste erlebt, das man erleben konnte. Sie hatte ihren Verlobten und ihre Zukunft verloren. Nun schien das Leben an ihr vorbeizurauschen, ohne dass sie noch daran teilnahm.

Ihre Mutter wünschte ihr eine gute Fahrt und winkte, als Anne losfuhr. Im Rückspiegel wurde ihre Gestalt kleiner und kleiner, bis sie schließlich gar nicht mehr zu sehen war.

Anne schluckte. Um sich von dem flauen Gefühl in ihrem Magen abzulenken, schaltete sie das Radio an. »Love can build a bridge«, schmachtete der Sänger der Band ›Westlife‹. Anne zuckte zusammen. Wenn es nur so einfach wäre! Wenn die Liebe eine Brücke bauen könnte, über die sie zu ihrem Schatz gelangen könnte! Doch das war unmöglich.

David war fort, und es gab keinen Weg, der zu ihm führte. Keinen. Ganz egal, wie sehr sie ihn auch vermisste.

Grimmig schaltete sie das Radio aus.

Kurz nach dem Unglück hatte sie sich jede Nacht in den Schlaf geweint. Ihr Herz hatte sich angefühlt, als hätte es sich in ein schwarzes Loch verwandelt, das jedes wärmere Gefühl auf Nimmerwiedersehen verschluckte. Inzwischen war der reißende Schmerz in ihrem Innersten einem dumpfen Ziehen gewichen, aber besser, nein, besser war das nicht.

Anne steuerte ihr Auto über die Autobahn. Je weiter sie vorankam, umso mehr verschlechterte sich das Wetter. Der Himmel zog sich zu, und es wurde dunkler, obwohl es gerade erst nach vierzehn Uhr war.

Kurz nachdem sie die Autobahn verlassen hatte, fuhr sie durch einen Tunnel. Als sie ihn hinter sich hatte, umgab sie dichter Nebel, der jeden Blick auf die Berge verhinderte. Die Scheinwerfer konnten das milchige Weiß kaum durchdringen. Anne musste sich auf ihr Navigationsgerät verlassen, das sie nach St. Christoph lotste. An einer Kreuzung bog sie jedoch zu früh ab.

»Wenn möglich, bitte wenden«, verlangte die sonore Stimme aus dem Navigationsgerät.

Seufzend folgte Anne dem Rat und war wenig später wieder auf der richtigen Strecke.