Das Berghotel 244 - Verena Kufsteiner - E-Book

Das Berghotel 244 E-Book

Verena Kufsteiner

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Beschreibung

Die Geschwister Alisa und Jörg Gruber sind im Zillertal geboren. Ihr verstorbener Vater Hans war ein leidenschaftlicher Kletterer, der die höchsten Gipfel und anspruchsvollsten Routen bezwang. Alisa und Jörg haben die Leidenschaft ihres Vaters geerbt. Sie sind beide Meister im Freeclimbing und haben schon überall auf der Welt Turniere gewonnen.
Zu Ehren des Vaters wollen Alisa, Jörg und seine Verlobte Verena die "Königsroute" am Feldkopf besteigen, allerdings ohne Seilschaft. Dazu checken sie im Berghotel ein und lassen sich von Sporttrainer und Bergführer Lukas Einrieder Tipps für die geplante "Gedenktour" geben. Als dieser erfährt, wo die drei aufsteigen wollen, ist er entsetzt: Die Tour durch den Gletscher ist selbst mit einer erfahrenen Seilschaft sehr anspruchsvoll und gefährlich, auch in der warmen Jahreszeit. Für Freeclimber grenzt sie jedoch an Selbstmord. Er rät ihnen dringend ab, schlägt alternative Routen vor, kann damit aber keinen überzeugen. Lukas spricht mit den Kastlers, sie kommen schließlich überein, dass er die drei Gäste auf ihrer Tour begleitet. Obwohl Lukas ein erfahrener Bergführer ist, bricht er mit gemischten Gefühlen auf ...


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Inhalt

Cover

Wenn der Berg ruft!

Vorschau

Impressum

Wenn der Berg ruft!

Drei junge Leute und ein wagemutiger Plan

Von Verena Kufsteiner

Die Geschwister Alisa und Jörg Gruber sind im Zillertal geboren. Ihr verstorbener Vater Hans war ein leidenschaftlicher Kletterer, der die höchsten Gipfel und anspruchsvollsten Routen bezwang. Alisa und Jörg haben die Leidenschaft ihres Vaters geerbt. Sie sind beide Meister im Freeclimbing und haben schon überall auf der Welt Turniere gewonnen.

Zu Ehren des Vaters wollen Alisa, Jörg und seine Verlobte Verena die »Königsroute« am Feldkopf besteigen, allerdings ohne Seilschaft. Dazu checken sie im Berghotel ein und lassen sich von Sporttrainer und Bergführer Lukas Einrieder Tipps für die geplante »Gedenktour« geben. Als dieser erfährt, wo die drei aufsteigen wollen, ist er entsetzt: Die Tour durch den Gletscher ist selbst mit einer erfahrenen Seilschaft sehr anspruchsvoll und gefährlich, auch in der warmen Jahreszeit. Für Freeclimber grenzt sie jedoch an Selbstmord. Er rät ihnen dringend ab, schlägt alternative Routen vor, kann damit aber keinen überzeugen. Lukas spricht mit den Kastlers, sie kommen schließlich überein, dass er die drei Gäste auf ihrer Tour begleitet. Obwohl Lukas ein erfahrener Bergführer ist, bricht er mit gemischten Gefühlen auf ...

Golden stieg die Frühlingssonne über dem Tal von St. Christoph auf. Die kleine Gemeinde lag weltabgeschieden in einem schmalen Seitenteil des bekannten Zillertals. Sechs Berge umgaben den Ort wie ein majestätisches Panorama aus Stein.

Der Höchste, der Feldkopf, mit seinem goldenen Gipfelkreuz und der Kabinenbahn, die hinauf zur Feldkopfhütte und einem Wanderweg von seltener Schönheit führte, war gleichsam das Wahrzeichen von St. Christoph.

Folgte man der schmalen Bergstraße von Mayrhofen kommend, so fiel der Blick als Erstes auf seinen charakteristischem Gipfel, der die meiste Zeit im Jahr schneebedeckt war und an dessen Hängen im Winter ein bekanntes Abfahrtsrennen stattfand.

Jetzt, Anfang Mai, schimmerte der Krähenwald, der sich am Feldkopf bis zur Baumgrenze hinaufzog, in einem tiefen, frischen Grün. Gesunde Mischwälder, tiefer, dunkler Tann und lichte Bergwälder prägten die liebliche Landschaft rund um St. Christoph. Die traditionelle Landwirtschaft hatte hier noch einen hohen Stellenwert. Erbhöfe, oftmals schon seit vielen Generationen im Familienbesitz, prägten die Umgebung im Tal und auf der Höhe. Die Menschen lebten von und mit der Natur, dem Wetter, den Jahrezeiten. Sie legten Wert darauf, all das, was ihre Lebensgrundlage war, zu erhalten.

Obwohl dieser herrliche Flecken Erde so nah an den bekannten und beliebten Zielen des alpinen Massentourismus lag, gab es doch weder Bettenburgen, noch Skilifte oder andere Insignien des überbordernden Fremdenverkers unserer Zeit.

Die Talbewohner bewahrten die Natur, der Gemeinderat unter dem Vorsitz des ehrenamtlichen Bürgermeisters Toni Angerer ließ keine Projekte zu, die auf schnelles Geld abzielten und dazu geeignet waren, die Umgebung zu verschandeln.

Freilich konnte man hier auch Urlaub machen. Obwohl St. Christoph in seiner stillen Schönheit bei Individualreisenden als Geheimtipp galt, fanden doch jedes Jahr zahlreiche Gäste den Weg ins Sporthotel am Sonnenhang, von den Einheimischen kurz Berghotel genannt.

Auf einer Anhöhe am Dorfrand gelegen, grüßte das im schönen Gebirgsstil errichtete Haus den Reisenden schon von Weitem. In der äußeren Anmutung erinnerte das Berghotel an ein großes, gepflegtes Bauernhaus und passte sich so ideal in die ländliche Umgebung ein. Drinnen fand der Gast jeglichen Komfort, den er sich nur wünschen konnte.

Andi und Hedi Kastler waren die Besitzer des Berghotels in St. Christoph. Die beiden liebten ihren Beruf und gingen völlig darin auf. Die üppige Blondine mit einer Vorliebe für offenherzige Dirndl und ihre bodenständige bessere Hälfte führten eine harmonische Ehe. Kinder waren ihnen versagt geblieben, sodass sie ihre ganze Energie und Aufmerksamkeit in ihr »Baby«, das Berghotel, stecken konnten. Nach wie vor waren sie ein wenig verliebt ineinander. Und wenn Andi auf einen Gast eifersüchtig reagierte, weil der seine Hedi allzu sehr anflirtete, dann sprühten zwischen ihnen noch die Funken wie zu Beginn ihrer Ehe.

Doch meist herrschte ein harmonisches Miteinander. Zwischen den Eheleuten ebenso wie zwischen ihnen und ihren Angestellten. Die Mitarbeiter im Berghotel zogen gemeinsam an einem Strang, man betrachtete sich als große Familie. Hatte einer Sorgen oder ein Problem, konnte er sich stets an die Kastlers wenden. Die legten großen Wert darauf, dass ihre Angestellten, vom Koch bis zum Zimmermadel, sich wohl fühlten. Denn sie waren der Meinung, dass sich nur dann auch die Gäste wohl fühlen konnten.

An der Rezeption in der großzügig bemessenen Hotelhalle wechselten sich Andi Kastler, die Hausdame Gerda Stahmer und der Nachtportier ab. Für Ordnung und Sauberkeit in den gemütlich eingerichteten Gastzimmern sorgen die Stubenmadeln Sofie und Lena. Es gab auch Appartements und ein Hochzeitszimmer mit einem echten Himmelbett.

Die Köche Leo Hofbacher und Rosi Stadler waren für die leiblichen Genüsse zuständig. Sie beherrschten die Bandbreite vom lokalen Schmankerl bis zur Haute Cuisine in Perfektion.

Kilian Garnreiter, der Chauffeur, Page und Hausmeister in einer Person, sorgte dafür, dass im Berghotel immer alles funktionierte und es keine Beschwerden gab.

Franz Kroneder war mit der Pflege von Außenpool und Hallenbad betraut und kümmerte sich zudem um Blumenbeete und Rabatten.

Lukas Einrieder, der fesche junge Fitnesstrainer, war besonders bei den weiblichen Gästen beliebt. Er agierte als Personal Trainer, gab Tennisstunden, war Bergführer und im Winter als Skilehrer unterwegs.

So hatte jeder seine Aufgaben und erfüllte diese gewissenhaft, um für jeden Feriengast einen unvergesslich schönen Aufenthalt zu garantieren.

Neben den diversen sportlichen Aktivitäten gab es für die Gäste zudem einen Biergarten, unter schönen, alten Kastanien gelegen, ein uriges Weinstüberl, das traditionsreiche Jagdstüberl und eine Bar. Natürlich durften auch Räumlichkeiten für Familienfeiern und diverse Veranstaltungen nicht fehlen.

Und die Kastlers hatten immer neue Ideen, mit denen sie ihre Gäste erfreuten. Tanzabende, Sommerfeste, Spezialitätenwochen im Restaurant, Maskenbälle ... die Liste ließe sich beinahe endlos fortsetzen. Zudem längere, geführte Wandertouren auf den Höhen rund um St. Christoph, Schlittenfahrten im Winter oder spezielle Sportangebote wie Drachenfliegen oder Freihandklettern. Es wurde einfach für jeden Geschmack etwas geboten.

An diesem herrlichen Maimorgen saßen die meisten Gäste beim Frühstück auf der Panoramaterrasse. Hier hatte man einen wunderbaren Ausblick in den hellblauen Frühlingshimmel und auf die sechs Berge ringsum. Würzig und klar war die reine Bergluft, sie weckte die Lebensgeister und lud dazu ein, in die Natur zu gehen, die Seele baumeln zu lassen, sich zu entspannen.

Manch ein weiblicher Gast ließ sich vorher noch im hoteleigenen Schönheitsstudio mit echtem Wildrosenöl massieren, ein echtes Wellness-Highlight.

Hedi und Andi Kastler hielten sich im Büro hinter der Rezeption auf. Sie besaßen ein schmuckes Einfamilienhaus, nur ein paar hundert Meter vom Berghotel entfernt. Doch die meiste Zeit verbrachten sie hier, stets darauf bedacht, dass in ihrem Berghotel auch alles rund lief.

Wie meist trug Hedi ein fesches Dirndl, das ihr ob der vorhandenen Kurven sehr gut stand. Und Andi, in kariertem Hemd und Krachlederner, fand, dass seine bessere Hälfte darin einfach zum Anbeißen ausschaute. Als er das allerdings aussprach, bedachte sie ihn mit einem spöttischen Blick und riet ihm: »Nimm lieber ein Hörnle zum Kaffee. Die Rosi hat's heut frisch gebacken.« Sie wusste, dass ihr Anderl Süßem nicht widerstehen konnte. Und so war es auch jetzt.

Sehr gern bediente der Hotelier sich und vertilgte das süße Frühstücksteilchen mit der zarten Nougatfüllung genießerisch.

»Ist das ein neues Rezept?«, wunderte er sich dabei. »Es schmeckt irgendwie anders...«

»Nougat und gesalzenes Karamell, die Rosi hat halt Ideen.«

»Sehr fein.« Andi spülte das Ganze mit einem Schluck Kaffee herunter und rieb sich zufrieden die Hände. »Liegt was an, Spatzl? Sonst geh ich zur Rezeption, bis die Gerda kommt.«

»Ja, ich hab den Lukas hergebeten. Wir haben da eine kleine Gruppe Freeclimber aus Mayrhofen, die eine Tour vorhaben.«

Der Hotelier warf einen Blick auf die Buchung.

»Alisa und Jörg Gruber? Der Name sagt mir was.« Er rieb sich nachdenklich das glatt rasierte Kinn. »Wenn ich nur wüsste, in welchem Zusammenhang ich den schon mal gehört hab...«

Lukas Einrieder klopfte nun gegen die offene Tür, wünschte einen schönen Morgen und gesellte sich zu den Kastlers. Der fesche, hoch gewachsene Sonnyboy hatten wie meist gute Laune. Er liebte seinen Job und war schon am frühen Morgen hellwach. Lukas lebte auf dem elterlichen Wiedbach-Hof, den sein älterer Bruder Hans bewirtschaftete. Er packte daheim mit an, wenn Hilfe gebraucht wurde, und war ein unkomplizierter, bodenständiger Typ. Nur in der Liebe hatte er sich bislang nicht festlegen wollen. Es mochte an dem Überangebot liegen, das ihm im Berghotel sozusagen zu Füßen lag. Einem aber konnte Lukas nie widerstehen, und das waren süße Sachen. Sogleich hatte er das letzte Hörnchen erspäht und stibiezte es mit einem charmanten Lächeln Richtung Chefin. Andis Miene hingegen verfinsterte sich, denn er hatte durchaus mit einem kleinen Nachschlag geliebäugelt ...

»Gut, dass du kommst, Lukas, wir haben da eine Buchung von drei Freeclimbern und eine Anfrage für eine geführte Kraxeltour am Feldberg«, ließ Hedi ihn wissen. »Magst mal schauen?«

Lukas warf einen Blick auf den Bildschirm und bekam dabei große Augen.

»Die Geschwister Gruber! Ja, mei, das ist mir eine richtige Ehre, wenn die mit mir kaxeln wollen.«

»Eine Ehre? Wie meinst du jetzt das?«, fragte Hedi.

Noch ehe Lukas ihr antworten konnte, fiel Andi ein: »Ja, freilich, die haben doch schon alles abgeräumt, was es national und international an Titeln in der Disziplin zu holen gibt, net wahr? Vor Kurzem war ein Artikel in der Tageszeitung. Die zwei sind im Zilertal geboren.«

»Stimmt genau«, pflichtete Lukas seinem Chef bei. »Die sind die totalen Bergfexe, echte Eichkatzerln. Denen macht in der Wand keiner was vor. Und das alles ohne Seil. Ich frag mich nur, warum die beiden eine Führung bei mir gebucht haben. Was könnte ich denen schon noch beibringen?«

Hedi hob die Schultern.

»Hier steht nur, sie buchen ein Einzel- und ein Doppelzimmer sowie eine geführte Bergtour am Feldkopf. Mehr kann ich dir auch net sagen, Lukas.«

Der junge Mann lächelte schmal. »Dann werden wir uns wohl überraschen lassen müssen. Bin fei schon sehr gespannt ...«

***

»Wunderschön, Alisa! Da hast wieder gezaubert, gelt?« Die Kundin in dem kleinen Blumenladen in Mayrhofen betrachtete den Frühlingsstrauß aus zarten, pastelligen Blüten begeistert. »Meine Schwester wird sich gewiss sehr freuen.«

»Schön, dass er Ihnen gefällt, Frau Berger«, erwiderte die hübsche, junge Floristin mit den dunklen Locken und den tiefblauen Augen zufrieden. »Und gute Besserung für Ihre Schwester. Wie lang muss sie denn noch im Spital bleiben?«

»Gut eine Woche. Die geht auch noch vorbei. Und hernach werde ich mich um sie kümmern, bis sie ihr Bein wieder benutzen kann.«

Alisa nickte. »So ein Bruch braucht seine Zeit, um zu verheilen. Das weiß ich aus eigener Erfahrung.«

»Bei deinem Hobby würde ich mich fei zu Tode fürchten. Ganz ohne Seil die höchsten Gipfel zu erklimmen, nein, das wär ganz gewiss nix für mich!«

»Für meinen Bruder und mich ist's ganz normal, wir sind das Klettern halt von klein auf gewöhnt. Der Vater selig hat's uns beigebracht. Er hat uns zu richtigen Bergfexen gemacht.«

»Bewundernswert! Und wann geht's wieder in die Berge?«

»Schon am Wochenende. Jörg und Verena kommen mit, wir wollen in St. Christoph den Feldkopf-Gletscher bezwingen.«

Die Dame in mittleren Jahren zuckte ein wenig zurück.

»Einen Gletscher? Ist denn das net sehr gefährlich?«

»Ein gewisses Risiko ist bei unserem Sport immer dabei, aber das macht ja auch den Reiz aus.« Alina lächelte versonnen. »Diesmal geht's aber noch um mehr. Wissen Sie, diese Tour, die hat unser Vater selig zu allen vier Jahreszeiten bezwungen. Damit ist er sogar ins Guinessbuch der Rekorde gekommen, denn die Strecke ist sehr anspruchsvoll. Das hat außer ihm keiner geschafft.«

»Und nun wollt ihr es ihm gleichtun.«

»Na ja, das könnten wir wohl net. Jetzt im Frühjahr stehen die Chancen am besten, es zu schaffen. Im Sommer ist das Eis zu weich, im Winter zu hart. Und im Herbst kommen oft Stürme, die das Kraxeln im Gletscher unmöglich machen.«

»Da habt ihr euch aber was vorgenommen ...«

»Ein halbes Jahr ist der Vater jetzt nimmer. Wir möchten uns bei der Tour noch mal an ihn erinnern und ihm gleichzeitig als einem der größten Kraxler seiner Generation Tribut zollen.«

»Das klingt schön. Ich wünsch euch alles Gute und kommt mir nur alle wieder gesund zurück.«

Alina lachte und versprach: »Wir werden uns Mühe geben.«

Als die Kundin den Laden verlassen hatte, warf die junge Floristin einen Blick auf die Uhr. Es wurde bald Zeit zu schließen, Alisa musste heim und für die Kraxeltour packen.

Seit einem Jahr betrieb sie nun den kleinen Laden mit den ausgefallenen floristischen Kreationen und das mit stetig wachsendem Erfolg. Die Kundschaft liebte ihre kreativen Ideen aus Blatt und Blüte, und Alisa hatte ihre Freude an dem Handwerk, das sie mit wahrer Leidenschaft betrieb, ebenso wie das Freeclimbing.

Kraxeln hatte sie schon als Dreikäsehoch gekonnt. Irgendwann waren ihr und ihrem Bruder Jörg die Seile aber wie Fesseln erschienen. Sie wollten sich davon befreien, die Berge nur mit Geschicklichkeit und Körperkraft bezwingen, ohne jegliche Hilfsmittel. Seither hatte das Geschwisterpaar es in dieser Disziplin zu wahrer Meisterschaft gebracht.

Die Kraxeltour am Feldkopf aber, die bedeutete ihnen mehr als alle Auszeichnungen und Medaillen zusammen. Den gleichen Aufstieg zu machen wie einst der Vater, den gleichen Weg zu gehen, die gleiche Aussicht zu genießen. Dies erschien Alisa wie ein ganz besonderes Geschenk, das sie dem geliebten Vater noch einmal nahebringen konnte ...

Die kleine Klingel über der Ladentüre meldete noch einen Kunden. Ausgerechnet! Alisa verzog ärgerlich den Mund, denn gerade hatte sie Feierabend machen wollen. Als sie den Kunden erkannte, verfinsterte sich ihre Miene noch ein wenig mehr.

Der fesche junge Mann mit dem dichten, dunklen Haar und den klugen grauen Augen lächelte ihr jungenhaft zu und sagte: »Gut, dass ich dich noch erwische, Lissi. Ich habe schon befürchtet, der Laden wäre zu und du bereits auf dem Weg nach St. Christoph.« Er hob die breiten Schultern. »Ich bin einfach nicht früher aus dem Betrieb weg gekommen.«

Michael Haselbeck betrieb eine kleine Firma, die hochwertige Sportbekleidung herstellte. Er hatte sie von seinem Vater übernommen und ganz auf moderne, nachhaltige Produktion umgestellt. Damit war er erfolgreich, ebenso als sportlicher Hobbykraxler. Vor etwas mehr als einem Jahr hatte er Alisa und ihren Bruder bei einer Meisterschaft in Berchtesgaden kennengelernt und sich in die bildsaubere Brünette verliebt. Leider hatte Alisa ihn immer wieder abblitzen lassen. »Normale« Kraxler waren ihr zu fad. Und was Michael so am Berg zeigte, das hatte sie einmal schlicht und gnadenlos als senil bezeichnet.

Darüber hatte er sich lange sehr geärgert. Doch seinen Gefühlen für die eigenwillige junge Frau hatte das keinen Abbruch getan. Und es reizte ihn, ihr zu beweisen, dass er auf sportlichem Gebiet durchaus mithalten konnte.

»Gibt's einen speziellen Grund für deinen Besuch?«, fragte sie und gab sich große Mühe, desinteressiert zu klingen.