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London, 17. Jahrhundert. Während die Pest die Stadt in Angst und Schrecken versetzt, nutzt der gerissene Diener Face die Abwesenheit seines Herrn für ein gewagtes Spiel. Gemeinsam mit dem Betrüger Subtle, der sich als gelehrter Alchemist ausgibt, und der Prostituierten Dol Common verwandelt er das herrschaftliche Haus in eine Werkstatt der Täuschung.Gierige Kaufleute, die nach dem Stein der Weisen lechzen. Adlige, die sich Liebestränke erhoffen. Puritaner, die von schnellem Reichtum träumen. Einer nach dem anderen tappen die Opfer in die Falle des teuflischen Trios. Mit falschen Versprechungen von Gold, Macht und Vergnügen spinnen die Betrüger ein immer dichteres Netz aus Lügen.Doch wie lange können Face, Subtle und Dol ihr perfides Spiel aufrechterhalten? Als die Gier der Gauner selbst sie zu entzweien droht und unerwartete Komplikationen auftreten, gerät ihr Meisterwerk der Manipulation ins Wanken. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt – bevor der Hausherr zurückkehrt und die Wahrheit ans Licht kommt.
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Seitenzahl: 109
Veröffentlichungsjahr: 2025
Anno Stock
Der Alchemist - Kein Drama nach Ben Jonson
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Table of Contents
Der Alchemist
Prolog
Kapitel 1: Der Streit der Schurken
Kapitel 2: Der erste Narr
Kapitel 3: Der Träumer vom goldenen Zeitalter
Kapitel 4: Das Jonglieren der Lügen
Kapitel 5: Die Gier wächst
Kapitel 6: Das Netz verdichtet sich
Kapitel 7: Die Maske des Spaniers
Kapitel 8: Der Zusammenbruch
Kapitel 9: Die Nachwirkungen
Epilog
Impressum neobooks
Anno Stock
Ein Roman nach Ben Jonson
London im Jahre 1610. Die Pest wütete durch die engen Gassen der Stadt wie ein unsichtbarer Würgeengel. Wer es sich leisten konnte, floh aufs Land. Die Straßen, sonst vom Lärm der Händler und dem Gedränge der Menschenmassen erfüllt, lagen verlassen da. Nur die Ärmsten, die Verzweifelten und jene, die im Chaos ihre Chance witterten, blieben zurück.
In einem solchen verlassenen Haus in Blackfriars, dessen rechtmäßiger Besitzer längst in sicherer Entfernung weilte, hatte sich eine unheilige Dreifaltigkeit der Gaunerei eingenistet. Hier, hinter verschlossenen Türen und zugezogenen Vorhängen, wurde ein Theater der Täuschung inszeniert, das selbst die größten Bühnenkünstler vor Neid erblassen ließ.
Jeremy, der Diener des abwesenden Hausherrn, hatte sich in "Captain Face" verwandelt – einen Mann von vermeintlichem Stand und Einfluss. An seiner Seite: ein selbsternannter Alchemist namens Subtle, dessen einziges Gold jenes war, das er den Leichtgläubigen aus der Tasche zog. Und dann war da noch Dol Common, eine Frau von vielen Talenten und noch mehr Masken.
Gemeinsam hatten sie sich geschworen, die Gier und Einfalt ihrer Mitmenschen in klingende Münze zu verwandeln. Doch wie alle Bündnisse, die auf Betrug gebaut sind, ruhte auch dieses auf wackeligem Fundament. Und an diesem schwülen Augustmorgen sollte die brüchige Natur ihrer Partnerschaft auf die Probe gestellt werden...
Die Luft im Haus in Blackfriars stand dick und stickig. Durch die geschlossenen Fensterläden drangen nur schmale Lichtstreifen, die den Staub tanzen ließen wie winzige Geister. In der Hauptkammer, wo normalerweise ein ehrbarer Haushalt seinen Geschäften nachgegangen wäre, herrschte an diesem Morgen alles andere als ehrbare Stimmung.
„Du verdammter Scharlatan!", brüllte Jeremy, der sich sonst so gerne Captain Face nennen ließ, und seine Stimme hallte von den getäfelten Wänden wider. Sein Gesicht war rot angelaufen, die Adern an seinen Schläfen traten hervor. „Du elender Quacksalber! Glaubst du wirklich, ich hätte vergessen, wo ich dich aufgelesen habe?"
Subtle, der sich selbst so gerne als Doktor und Gelehrten bezeichnete, fuhr herum. Unter seinem theatralisch wallenden Gewand – ein Kleidungsstück, das einst einem echten Universitätsmann gehört haben mochte, nun aber fleckig und fadenscheinig war – spannte sich sein hagerer Körper. Seine Augen, tief in den Höhlen liegend, funkelten vor Zorn.
„Aufgelesen?", zischte er, und seine Stimme bebte vor unterdrückter Wut. „Du wagst es, von Aufsammeln zu sprechen? Du, der du nicht mehr warst als ein jämmerlicher Diener, der seinem Herrn die Stiefel wichste?"
Jeremy machte einen Schritt auf ihn zu, die Fäuste geballt. In seinem Kopf wirbelte die Erinnerung an die letzten Wochen – die mühsam aufgebauten Schwindeleien, die kunstvoll gesponnenen Lügen, die gefüllten Geldbeutel. Und nun dies: Subtle, der sich aufführte, als wäre er der alleinige Architekt ihres Erfolgs.
„Wage es nicht, mich daran zu erinnern, was ich war!", fauchte Jeremy. „Ohne mich hättest du weiterhin in irgendeiner schmutzigen Gasse gehockt, hättest Kohle verkauft oder in Lumpen nach Maden gesucht! Ich war es, der dir diesen Platz verschafft hat! Ich war es, der die Gelegenheit erkannte, als mein Herr vor der Pest floh!"
Die Worte trafen Subtle wie Peitschenhiebe. Unwillkürlich zuckte er zusammen, denn sie stachen in eine Wunde, die nie richtig verheilt war – die Wunde seiner Herkunft, seiner Armut, seiner Bedeutungslosigkeit. Ja, er erinnerte sich nur zu gut an jene Tage, als er durch die Straßen Londons gestreunt war, ein Niemand unter Niemanden.
Aber das war vorbei, sagte er sich. Jetzt war er Doktor Subtle, der Mann, der vorgab, die Geheimnisse der Alchemie zu kennen, der behauptete, aus unedlen Metallen Gold machen zu können, der versprach, den Stein der Weisen zu besitzen. Die Narren, die zu ihm kamen, glaubten jedes Wort, das er sprach – solange er nur gelehrt genug klang.
„Gelegenheit?", höhnte Subtle nun, und ein boshaftes Lächeln umspielte seine schmalen Lippen. „Du sprichst von Gelegenheit? Ohne meine Kunst, ohne meine Erfindungsgabe wären wir längst entlarvt! Es ist mein Wissen, meine Fähigkeit, diese Dummköpfe zu überzeugen, die uns reich macht! Du bist nur das Gesicht – die hohle Fassade!"
„Hohle Fassade?" Jeremy lachte auf, ein hartes, freudloses Lachen. „Und wer, glaubst du, bringt dir diese Dummköpfe? Wer spielt den vornehmen Captain, der ihnen Zugang zu deinen angeblichen Wundern verschafft? Wer kennt die richtigen Leute, die genug Geld haben, um betrogen zu werden?"
Sie standen sich nun direkt gegenüber, zwei Männer, vereint im Betrug, doch getrennt durch Gier und Eitelkeit. Der Raum schien kleiner zu werden, die Luft noch stickiger. Keiner von beiden wollte nachgeben, keiner wollte zugeben, dass er den anderen brauchte.
In Subtles Kopf jagten sich die Gedanken. Natürlich wusste er, dass Jeremy recht hatte – zumindest teilweise. Ohne dieses Haus, ohne Jeremys Kontakte, ohne die Maske des respektablen Captain Face wäre ihr Betrug nie so erfolgreich gewesen. Aber das hieß nicht, dass er sich dies ins Gesicht sagen lassen musste. Sein Stolz, so zerbrechlich und künstlich er auch sein mochte, war das Einzige, was ihm geblieben war.
„Ohne mich", sagte Subtle nun langsamer, jedes Wort betonend, „wärst du immer noch ein Diener. Ein Niemand. Bestenfalls ein Dieb, der eines Tages am Galgen baumeln würde."
„Und ohne mich", konterte Jeremy mit eisiger Stimme, „wärst du verhungert in irgendeinem Graben. Vergiss das nicht, Subtle. Vergiss niemals, wem du dies alles zu verdanken hast!"
Die Spannung zwischen ihnen knisterte wie statische Elektrizität vor einem Gewitter. Beide Männer atmeten schwer, ihre Blicke verhakt wie die Geweihe zweier kämpfender Hirsche.
„Ich könnte dich hinauswerfen", drohte Jeremy leise, aber seine Stimme trug eine gefährliche Eindringlichkeit. „Dies ist nicht dein Haus, Subtle. Es gehört meinem Herrn. Und ich bin derjenige, der hier die Schlüssel hat."
Ein Anflug von Angst huschte über Subtles Gesicht, so schnell, dass man es hätte übersehen können – aber Jeremy sah es. Und er genoss es. Ja, dachte er mit grimmiger Befriedigung, Subtle wusste genau, wie prekär seine Position war.
Aber Subtle hatte nicht jahrelang überlebt, indem er sich einschüchtern ließ. Er richtete sich auf, zog die Schultern zurück und setzte jene Maske der Überlegenheit auf, die er so gut beherrschte.
„Hinauswerfen?", wiederholte er mit gespielter Gelassenheit. „Und dann? Willst du alleine weitermachen? Du, der du keine Ahnung von den Künsten hast, die ich beherrsche? Du, der du nicht einmal weißt, wie man einen richtigen Trank zusammenbraut, geschweige denn, wie man die Sprache der Alchemie spricht?"
Jeremy öffnete den Mund zu einer Erwiderung, aber in diesem Moment erklang eine Stimme von der Treppe her – eine weibliche Stimme, scharf und durchdringend wie eine Messerklinge.
„Bei allen Heiligen! Seid ihr beide von Sinnen?"
Dol Common erschien in der Tür, die Hände in die Hüften gestemmt, ihr Gesicht eine Maske entrüsteter Autorität. Sie war eine stattliche Frau, weder jung noch alt, mit dunklen Augen, die zu viel gesehen hatten, und einem Mund, der zu viele Lügen gesprochen hatte. Ihr Kleid, an diesem Morgen einfach und praktisch, konnte nicht verbergen, dass sie eine Frau war, die wusste, wie man Männer um den Finger wickelte.
„Man kann euch bis auf die Straße hören!", fuhr sie fort und schloss die Tür hinter sich. „Wollt ihr, dass die Nachbarn kommen? Wollt ihr, dass sie Fragen stellen? In Zeiten wie diesen?"
Beide Männer verstummten. Dol hatte recht, und das wussten sie. Das Letzte, was sie brauchten, war Aufmerksamkeit. Ihr ganzes kunstvolles Gebäude aus Lügen und Täuschungen beruhte auf Diskretion und sorgfältig kontrollierter Publicity.
Sie trat zwischen die beiden, und ihre Präsenz wirkte wie kaltes Wasser auf einem Feuer. „Seht euch an", sagte sie mit einer Mischung aus Verachtung und Mitleid in der Stimme. „Zwei erwachsene Männer, die sich streiten wie Gassenjungen. Habt ihr vergessen, was auf dem Spiel steht?"
Jeremy wandte sich ab, fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Seine Wut war noch da, aber Dols Intervention hatte etwas von ihrer unmittelbaren Hitze genommen. Er wusste, dass sie recht hatte – wie immer. Dol war die Vernünftige unter ihnen, die Pragmatische. Ohne sie wären er und Subtle sich wahrscheinlich schon längst an die Kehle gegangen.
Subtle räusperte sich und versuchte, seine Würde wiederherzustellen. „Die gute Dol hat natürlich recht", murmelte er, ohne Jeremy anzusehen. „Wir sollten uns auf die Arbeit konzentrieren."
„Die Arbeit", wiederholte Dol mit einem Schnauben. „Ja, die Arbeit. Die Arbeit, die uns alle reich macht – wenn ihr sie nicht durch euren idiotischen Stolz ruiniert!"
Sie ging zum Fenster, spähte vorsichtig durch einen Spalt im Laden hinaus auf die Straße. Die Morgensonne stand schon höher, und bald würden sie Kunden erwarten können. Verzweifelte Menschen, gierige Menschen, törichte Menschen – Menschen, die bereit waren, für falsche Versprechen zu zahlen.
„Hört mir zu, beide", sagte sie, ohne sich umzudrehen. „Wir haben hier eine goldene Gelegenheit. Mein Herr Lovewit ist fort und wird es noch Monate bleiben. Dieses Haus steht uns zur Verfügung. Die halbe Stadt ist in Panik wegen der Pest, und die Leute werden noch leichtgläubiger als sonst. Dies ist unsere Zeit."
Sie drehte sich um und sah beide Männer durchdringend an. „Aber sie wird nicht lange dauern. Nichts dauert ewig. Und wenn ihr beide euch gegenseitig zerfleischt, dann ist es morgen schon vorbei."
In der Stille, die folgte, konnte man das Ticken einer Uhr aus einem anderen Raum hören. Jeremy und Subtle standen immer noch da, aber die Kampfeslust war aus ihren Haltungen gewichen. Stattdessen machte sich eine Art mürrischer Resignation breit – das Wissen, dass Dol, wie nervtötend ihre Vernunft auch sein mochte, vollkommen recht hatte.
„Außerdem", fügte Dol mit einem plötzlichen Lächeln hinzu, „habt ihr beide vergessen, dass ich meinen Anteil auch noch haben will. Und ich werde verdammt noch mal dafür sorgen, dass ihr ihn mir nicht durch eure Dummheit raubt."
Trotz allem musste Jeremy grinsen. Das war Dol – sie konnte von moralischer Entrüstung zu nackter Gier wechseln, ohne mit der Wimper zu zucken. Und genau deshalb funktionierte ihre Partnerschaft.
Subtle nickte steif. „Die Dame spricht weise", sagte er mit übertriebener Förmlichkeit. „Vielleicht sollten wir unsere... Meinungsverschiedenheiten ruhen lassen."
„Ruhen lassen", wiederholte Jeremy und verschränkte die Arme. „Gut. Aber vergiss nicht, Subtle: Wir sind Partner. Gleichberechtigte Partner. Keiner von uns ist mehr als der andere."
„Natürlich", erwiderte Subtle mit einem dünnen Lächeln. „Gleichberechtigte Partner."
Beide Männer wussten, dass dies gelogen war. Jeder von ihnen hielt sich insgeheim für den Wichtigeren, den Unverzichtbaren. Aber für den Moment waren sie bereit, diese Lüge aufrechtzuerhalten.
Dol seufzte erleichtert. „Gut. Dann können wir ja zum Geschäft zurückkehren. Wir erwarten heute doch diesen Sir Epicure Mammon, nicht wahr? Der alte Geizkragen, der glaubt, wir könnten ihm Gold herstellen?"
Bei der Erwähnung dieses Namens hellten sich die Gesichter beider Männer auf. Sir Epicure Mammon – ein reicherer Dummkopf war kaum vorstellbar.
„Ah ja", sagte Subtle, und seine Augen bekamen einen gierigen Glanz. „Sir Epicure. Ein Mann von großem Vermögen und noch größerer Einfalt."
„Er ist überzeugt, dass ich ihm den Stein der Weisen beschaffen kann", fuhr Subtle fort, nun ganz in seinem Element. „Er träumt davon, all seine Schüsseln und Pfannen in Gold zu verwandeln. Er fantasiert von ewiger Jugend und unermesslichem Reichtum."
Jeremy lachte auf. „Und er wird jeden Penny dafür zahlen, nicht wahr?"
„Jeden einzelnen", bestätigte Subtle mit einem Nicken. „Der Mann ist besessen. Und Besessenheit, meine lieben Freunde, ist unser bestes Werkzeug."
Dol lächelte listig. „Dann sollten wir uns vorbereiten. Ich nehme an, ich werde wieder die verrückte Lord Lady spielen müssen?"
„Möglicherweise", sagte Subtle. „Wir werden sehen, wie sich die Dinge entwickeln. Aber seid bereit für alles."
Die Atmosphäre im Raum hatte sich vollständig gewandelt. Der Streit war vergessen – oder zumindest verschoben. Jetzt waren sie wieder das, was sie am besten konnten: ein Team von Betrügern, die sich auf ihre nächste Vorstellung vorbereiteten.
Jeremy ging zum Tisch, auf dem verschiedene Requisiten lagen – gefälschte Dokumente, mysteriös aussehende Flaschen, ein großes Buch mit lateinischen Aufschriften, die Subtle selbst erfunden hatte. Er ordnete sie sorgfältig an, ließ seine Finger über die Oberflächen gleiten. Jedes Stück war Teil ihrer Inszenierung, jedes Detail wichtig.
Subtle zog sein Gewand zurecht und begann, vor sich hinzumurmeln – lateinische Phrasen, griechische Begriffe, arabische Wörter, alles wild durcheinandergeworfen. Es klang beeindruckend, auch wenn es völliger Unsinn war. Aber das war das Geheimnis: Die meisten Menschen verstanden nicht genug, um den Unterschied zu erkennen.
Dol beobachtete beide mit verschränkten Armen. In ihrem Kopf liefen bereits die Szenarien durch, die möglichen Wendungen des kommenden Tages. Sie war die Strategin, die Denkerin. Während Jeremy das Gesicht und Subtle das Gehirn des Betrugs waren, war sie das Rückgrat.
„Erinnert ihr euch an die Geschichte, die wir ihm erzählt haben?", fragte sie plötzlich. „Über den Stein, der angeblich fast fertig ist?"
„Natürlich", sagte Subtle. „Ich habe ihm erklärt, dass die letzte Projektion nur noch wenige Tage dauern wird. Er muss nur noch geduldig sein – und natürlich weiterhin in unsere Materialien investieren."
