Die Meistersinger von Nürnberg - Kein Drama nach Richard Wagner - Anno Stock - E-Book

Die Meistersinger von Nürnberg - Kein Drama nach Richard Wagner E-Book

Anno Stock

0,0
6,49 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.

Mehr erfahren.
Beschreibung

Lustspiele, Komödien, Tragödien, Dramen – viele der berühmtesten Bühnenstücke sind den meisten Menschen heute nur vom Hörensagen bekannt. Insbesondere die altertümliche Sprache und der schematische Aufbau für die Bühne lassen nicht nur Schülerinnen und Schüler verzweifeln. Die Reihe "Kein Drama" bringt großartige Werke aus vergangener Zeit in Prosa neu heraus. So werden sie endlich für jede und jeden verständlich.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 97

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Die Meistersinger von Nürnberg

Kapitel 1: Gestohlene Blicke

Die Stimmen der Gemeinde füllten das hohe Kirchenschiff der Katharinenkirche wie eine sanfte Flut. "Da zu dir der Heiland kam", sangen sie im Chor, während das gedämpfte Nachmittagslicht durch die bunten Glasfenster fiel und tanzende Farbflecken auf die steinernen Säulen warf .

Walther von Stolzing stand an eine dieser Säulen gelehnt, sein Herz hämmerte so laut, dass er fürchtete, die halbe Gemeinde könnte es hören. Seine Augen suchten nur ein Gesicht in der Menge – Eva Pogner, die in der letzten Reihe der Kirchenbänke saß. Jedes Mal, wenn sie sich verstohlen zu ihm umdrehte, fühlte er sich, als würde die Welt für einen Moment stillstehen.

Sieh mich an, flehte er stumm, während die Gemeinde weiter sang. Nur ein Zeichen, dass du fühlst, was ich fühle.

Eva spürte seinen Blick wie eine physische Berührung auf ihrer Haut. Sie wollte sich umdrehen, wollte ihm zeigen, dass ihr Herz genauso wild schlug wie seines, aber die strenge Magdalene saß direkt neben ihr, und die Augen der ganzen Gemeinde schienen auf sie gerichtet. Trotzdem – sie konnte nicht anders. Langsam, als würde sie nur ihre Haltung korrigieren, drehte sie den Kopf.

Ihre Blicke trafen sich.

"Willig deine Taufe nahm", sang die Gemeinde weiter, doch für Walther existierte in diesem Moment nichts anderes als Evas braune Augen, die eine Frage stellten, die er noch nicht zu deuten wagte .

Eva fühlte, wie ihre Wangen heiß wurden. Schnell senkte sie den Blick wieder auf ihr Gebetbuch, doch ihre Hände zitterten leicht. Was machst du nur mit mir?, dachte sie. Wir kennen uns doch kaum.

"Weihte sich dem Opfertod", erklang es feierlich durch die Kirche. Walther nutzte den Moment, um einen Schritt von der Säule wegzutreten. Seine Geste war zärtlich, dann drängender – eine stumme Bitte um Verständnis, um Hoffnung .

Eva wagte es, wieder aufzublicken. Diesmal hielt sie seinem Blick einen Moment länger stand, bevor sie schüchtern abwehrte. Nicht hier, sagten ihre Augen. Nicht jetzt. Aber dann, fast gegen ihren Willen, blickte sie wieder zu ihm auf, und diesmal lag etwas Seelenvolles in ihrem Blick, das Walther das Herz aufgehen ließ.

"Dass wir durch ein' Tauf' uns weih'n", sang die Gemeinde, und Walther fühlte sich, als würden die Worte direkt zu ihm sprechen. Er legte die Hand aufs Herz – die höchste Beteuerung, die er in diesem heiligen Raum wagen konnte. Ich schwöre es dir, sollte die Geste sagen. Was auch immer es kostet.

Eva lächelte – nur ein winziges Aufblitzen, bevor sie beschämt die Augen wieder senkte. Aber es reichte. Es reichte, um Walther Hoffnung zu geben .

Die letzten Töne des Chorals verklangen. "Nimm uns freundlich an, dort am Fluss Jordan." Die Gemeinde erhob sich rauschend von den Bänken, und plötzlich war die Kirche voller Bewegung. Menschen drängten zum Ausgang, unterhielten sich leise, während das Nachspiel der Orgel noch durch den Raum hallte.

Walther sah seine Chance. Mit wilder Entschlossenheit drängte er sich durch die Menge, ignorierte die empörten Blicke einiger älterer Damen, die er dabei unsanft zur Seite schob. Er musste zu ihr. Jetzt.

Kapitel 2: Das verlorene Brusttuch

"Warte!", flüsterte Walther eindringlich, als er Eva endlich erreichte. Seine Stimme war leise, aber das Feuer darin war unüberhörbar. "Ein Wort! Nur ein einziges Wort!"

Eva wirbelte herum, ihr Herz machte einen Sprung. Doch dann fing sie sich schnell und wandte sich an Magdalene. "Mein Brusttuch! Schau mal, liegt es noch auf der Bank?"

Magdalene seufzte mit der Geduld einer Frau, die solche Ablenkungsmanöver nur zu gut kannte. "Vergeßliches Kind! Jetzt heißt es suchen." Sie kehrte zu den Kirchenbänken zurück, nicht ohne einen wissenden Blick auf Walther zu werfen .

Kaum war sie außer Hörweite, trat Walther näher. "Fräulein, verzeiht mir, dass ich alle Regeln breche", begann er hastig. "Aber ich muss es wissen. Es gibt Dinge, die man einfach fragen muss, egal was es kostet."

Eva sah ihn mit großen Augen an. Sein Gesicht war bleich vor Aufregung, seine Hände zitterten leicht.

"Leben oder Tod", fuhr er fort, "Segen oder Fluch – alles hängt von deiner Antwort ab. Bitte, sag mir nur dies eine: Bist du schon –"

"Hier ist das Tuch", unterbrach Magdalene, die zurückgekehrt war.

"Oh nein! Die Spange!", rief Eva plötzlich aus, offensichtlich dankbar für eine weitere Ablenkung.

"Ist sie abgefallen?" Magdalene schüttelte den Kopf, ging aber gehorsam wieder suchen .

Walther nutzte die erneute Gelegenheit. "Licht und Freude oder Nacht und Tod", sagte er drängend. "Ich muss wissen, ob ich hoffen darf oder ob meine schlimmsten Befürchtungen wahr sind. Bitte, sag mir –"

"Da ist auch die Spange." Magdalene war schon wieder da, hielt triumphierend das kleine Schmuckstück hoch. "Komm, Kind! Jetzt hast du Spange und Tuch... Oh je! Jetzt habe ich selbst mein Gebetbuch vergessen!" Sie eilte erneut davon .

Walther wurde langsam verzweifelt. "Dieses eine Wort – warum sagst du es nicht? Nur eine Silbe, die mein Schicksal entscheidet. Ja oder nein! Ein winziger Laut würde genügen." Er holte tief Luft, dann platzte es aus ihm heraus: "Bist du schon verlobt?"

Eva öffnete den Mund, um zu antworten, doch in diesem Moment kehrte Magdalene zurück, das Gebetbuch fest an die Brust gedrückt. Sie verneigte sich leicht vor Walther, ein amüsiertes Funkeln in den Augen.

"Sieh an, Herr Ritter", sagte sie mit gespielter Förmlichkeit. "Welche Ehre, dass Ihr Euch um Evchens Schutz sorgt. Soll ich Meister Pogner von Eurem Besuch berichten?"

"Oh, wäre ich doch nie in sein Haus gekommen!", entfuhr es Walther bitter und leidenschaftlich .

Magdalene zog überrascht die Augenbrauen hoch. "Aber Junker! Was sagt Ihr denn da? Ihr seid doch gerade erst in Nürnberg angekommen. Wurdet Ihr etwa nicht freundlich aufgenommen? Hat Euch die Gastfreundschaft – Küche, Keller, alles was das Haus zu bieten hatte – nicht gefallen?"

"Gute Lene", unterbrach Eva schnell, "das meint er doch gar nicht so." Sie wandte sich an Walther, ihre Stimme wurde weicher. "Er möchte nur wissen... wie soll ich es sagen? Ich verstehe es ja selbst kaum. Mir ist, als wäre ich in einem Traum." Sie holte tief Luft. "Er fragt, ob ich schon verlobt bin."

"Hilf Gott!" Magdalene schlug erschrocken die Hand vor den Mund. "Sprich nicht so laut! Komm, wir sollten nach Hause gehen. Wenn uns hier jemand sieht!"

"Nicht bevor ich alles weiß!", beharrte Walther .

"Die Kirche ist leer, alle sind schon gegangen", versuchte Eva zu beruhigen.

"Genau das macht mir ja Sorgen!", erwiderte Magdalene nervös. "Herr Ritter, können wir das nicht woanders besprechen?"

In diesem Moment trat ein junger Mann aus der Sakristei. David, ein Lehrling mit freundlichem Gesicht und geschickten Händen, begann damit, die schwarzen Vorhänge vor dem Chorraum zu schließen.

"Nein! Erst dieses Wort!", drängte Walther.

"Bitte, nur dieses Wort!", unterstützte Eva ihn flehend.

Magdalene, die sich schon zum Gehen gewandt hatte, erstarrte plötzlich. "David?" Ein zärtlicher Ton schlich sich in ihre Stimme. "David ist hier?" Sie drehte sich wieder um, versuchte ihre Aufregung zu verbergen .

Eva nutzte den Moment. "Was soll ich ihm sagen, Lene? Hilf mir!"

Magdalene, deren Blick immer wieder zu David wanderte, antwortete zerstreut: "Herr Ritter, was Ihr die Jungfer fragt, ist nicht so einfach zu beantworten. Es stimmt, Evchen ist Pogners Braut –"

"Aber niemand hat den Bräutigam je gesehen!", unterbrach Eva lebhaft.

"Den Bräutigam kennt noch niemand", erklärte Magdalene. "Erst morgen wird das Gericht ihn ernennen. Der Meistersinger, der den Preis gewinnt –"

"Und ich selbst werde ihm den Siegeskranz reichen", fügte Eva mit glänzenden Augen hinzu .

"Meistersinger?", fragte Walther verwundert.

"Seid Ihr das etwa nicht?", fragte Eva bang.

"Ein Wettgesang?", fragte Walther weiter.

"Vor einem Gericht aus Meistern", bestätigte Magdalene.

"Und wer gewinnt den Preis?"

"Wen die Meister für würdig befinden."

"Und die Braut wählt dann?"

Eva vergaß für einen Moment alle Zurückhaltung. "Dich oder keinen anderen!"

Die Worte hingen in der Luft wie ein Versprechen. Walther wandte sich ab, ging ein paar Schritte auf und ab, sichtlich erregt von dieser Offenbarung .

Magdalene war entsetzt. "Evchen! Evchen! Bist du von Sinnen?"

"Gute Lene", flehte Eva, "hilf mir, den Ritter zu gewinnen!"

"Aber du hast ihn doch gestern zum ersten Mal gesehen!"

"Genau das ist es ja, was mir solche Qualen bereitet", gestand Eva. "Es ist, als hätte ich ihn schon lange gekannt, als hätte ich ihn schon in einem Bild gesehen. Sag, erinnert er dich nicht an David?"

"Bist du verrückt? An David?" Magdalene war völlig perplex .

"An den David im Bild, meine ich."

"Ach, du meinst den König David mit der Harfe und dem langen Bart auf dem Zunftschild der Meister?"

"Nein!" Eva schüttelte energisch den Kopf. "Den David, der Goliath besiegte. Mit dem Schwert am Gürtel und der Schleuder in der Hand, das Haupt von hellen Locken umrahmt – so wie Meister Dürer ihn gemalt hat."

Magdalene seufzte laut. "Ach, David! David!"

"Da bin ich! Wer ruft?", fragte David, der gerade zurückkam. Er hatte ein Lineal im Gürtel stecken und schwenkte ein großes Stück Kreide an einer Schnur .

"Ach David!", rief Magdalene. "Was für ein Chaos du anrichtest!" Dann, leiser für sich: "Der liebe Schelm! Ob er es wohl schon weiß?" Laut fuhr sie fort: "Sieh mal, du hast uns hier eingeschlossen!"

"Nur in mein Herz!", antwortete David mit einem schelmischen Grinsen.

Magdalene wurde rot. "Du treues Gesicht! Sag mal, was treibst du hier eigentlich?"

"Keine Possen, wenn Ihr das meint. Sehr ernste Dinge! Ich richte hier den Ring für die Meister her."

"Wie? Gibt es heute ein Singen?"

"Nur eine Freiung heute", erklärte David. "Lehrlinge werden freigesprochen, wenn sie nichts gegen die Regeln verbrochen haben. Und wer die Prüfung besteht, wird zum Meister ernannt" .

Magdalene wandte sich aufgeregt an Eva. "Da wäre der Ritter ja genau am richtigen Ort! Komm, Evchen, wir müssen jetzt wirklich gehen."

"Lasst mich euch nach Hause begleiten", bot Walther schnell an.

"Wartet lieber hier auf Meister Pogner", riet Magdalene. "Er wird bald kommen. Wenn Ihr um Evchens Hand kämpfen wollt, dann ist jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen."

Zwei Lehrjungen kamen herein und begannen, Bänke herbeizutragen.

"Wir müssen wirklich gehen!", drängte Magdalene.

"Was soll ich tun?", fragte Walther verzweifelt.

"Lasst Euch von David alles erklären. Er kennt sich aus mit der Freiung." Sie wandte sich an David: "Davidchen, hör mal, mein lieber Freund. Pass gut auf den Ritter auf! Erklär ihm alles!" Dann, mit einem verschmitzten Lächeln: "Dafür bewahre ich dir etwas Feines aus der Küche auf. Und wenn der Junker heute Meister wird, darfst du morgen noch dreister nach Leckereien fragen" .

Sie zog Eva zum Ausgang.

"Sehe ich dich wieder?", rief Walther Eva nach.

"Heute Abend, ganz sicher!", antwortete sie mit leuchtenden Augen. Dann, zu sich selbst: "Was will ich wagen? Wie könnte ich es in Worte fassen? Mein Herz ist neu, mein Sinn ist neu, alles was ich beginne, fühlt sich neu an."

Walther trat einen Schritt näher. "Ich weiß nur eines, verstehe nur eines: Ich will dich mit allen Sinnen gewinnen! Wenn nicht mit dem Schwert, dann muss es anders gelingen. Ich werde als Meister um dich singen! Für dich gebe ich alles – Gut und Blut! Für dich all meinen Dichter-Mut!"

"Mein Herz glüht vor Seligkeit", flüsterte Eva. "Ich werde über dich wachen mit liebender Treue" .

"Schnell nach Hause, sonst gibt es Ärger!", mahnte Magdalene und zog Eva durch die Vorhänge mit sich fort.

David betrachtete Walther mit einer Mischung aus Bewunderung und Skepsis. "Gleich Meister werden? Oho! Das braucht viel Mut!"

Walther ließ sich erschöpft und aufgewühlt in einen erhöhten Lehnstuhl fallen, den zwei Lehrjungen zuvor von der Wand weggerückt hatten. Seine Gedanken wirbelten durcheinander. Eva liebte ihn – das hatte sie praktisch gestanden. Aber um sie zu gewinnen, musste er Meistersinger werden. Heute. Jetzt gleich.

Er hatte keine Ahnung, was das bedeutete, aber eines wusste er sicher: Er würde alles tun, was nötig war.

Kapitel 3: Die Kunst der Meister