Die Pferdelords 08 - Das Volk der Lederschwingen - Michael Schenk - E-Book

Die Pferdelords 08 - Das Volk der Lederschwingen E-Book

Michael Schenk

0,0
2,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Mit der zwölfteiligen Saga um die Pferdelords entsteht die faszinierende Chronologie eines Reitervolkes. Im Verlauf der Abenteuer entwickeln sich Kultur und Technik der beteiligten Völker, vom einfachen Signalspiegel hin zum optischen Präzisionsinstrument, der Dampfmaschine und, im letzten Abenteuer, sogar dem Luftschiff. Die Pferdelords begegnen bestehenden und untergegangenen Königreichen, den Elfen des Waldes und denen der See, Zwergen, Sandbarbaren, fliegenden Lederschwingen und krebsartigen Irghil, immer wieder bedroht von den Orks des schwarzen Lords und seinen gestaltwandlerischen Magiern. Die Pferdelords lassen eine faszinierende Welt entstehen und unterhalten mit Action, Spannung und Humor. Hier liegt die Reihe nun erstmals in einer vom Autor überarbeiteten und ergänzten e-Book-Ausgabe vor. Jedes Abenteuer ist in sich abgeschlossen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 575

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Michael Schenk

Die Pferdelords 08 - Das Volk der Lederschwingen

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1 Vorwort und Hinweis

Kapitel 2 Das Volk der Lederschwingen

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59 Karte "Die Völker" der Serie "Die Pferdelords"

Kapitel 60 Karte "Der Osten und der Pass von Merdoret"

Kapitel 61 Personenregister

Kapitel 62 Einige Maßeinheiten und Definitionen

Kapitel 63 Ankündigung Pferdelords 9

Impressum neobooks

Kapitel 1 Vorwort und Hinweis

Michael H. Schenk

Die Pferdelords 8

- Das Volk der Lederschwingen -

Fantasy-Roman

© Überarbeitete Neuauflage Michael Schenk 2020

Die Leserschaft der Serie „Die Pferdelords“ wird im ersten Roman eine große Nähe zu den Verfilmungen von „Der-Herr-der-Ringe“ feststellen. Dies war eine Bedingung des damaligen Verlages, meine auf zwölf Bände festgelegte Reihe überhaupt zu veröffentlichen, da man sich dadurch einen größeren Umsatz versprach. Ich stand also vor der Wahl, nicht veröffentlicht zu werden oder mich dieser Forderung zu stellen. Ich entschied mich für meine „Pferdelords“ und nahm einen raschen Genozid an ihren ursprünglich gedachten Feinden, den Walven, vor, um diese durch die Orks zu ersetzen. Man möge mir diesen Eigennutz verzeihen, doch damals war dies der einzige Weg, meine Pferdelords in den Sattel zu heben.

Die Pferdelords bieten detailreiche und spannende Abenteuer, in der die Völker mit ihrer jeweils eigenen Geschichte und Kultur zum Leben erweckt werden. Wem die tatsächlichen oder scheinbaren Wiederholungen von Beschreibungen in den Bänden auffallen, der wird feststellen, dass sie die Entwicklung der Völker und ihrer Siedlungen aufgreifen, denn bei den insgesamt zwölf Bänden handelt es sich um eine Chronologie. Im Lauf der Zeit entsteht aus dem Tauschhandel eine Währung, aus dem schlichten Signalfeuer ein kompliziertes optisches Instrument, man entdeckt das Schießpulver und die Dampfmaschine sowie schließlich sogar das Luftschiff. Man begleitet den Knaben Nedeam, der schon bald als Schwertmann und Reiter und schließlich sogar als Pferdefürst an der Seite seiner Freunde steht. Man begleitet den ehrenhaften Orkkrieger Fangschlag und auch dessen hinterlistigen Gegenspieler Einohr.

Meine Leser begegnen alten und neuen Völkern, doch selbst jenen, die man zu kennen glaubt, gewinne ich manche neue Seite ab.

Es erwartet Sie also eine spannende Saga um mein Pferdevolk und seine Freunde und Feinde.

Die Pferdelords-Reihe:

Pferdelords 01 – Der Sturm der Orks

Pferdelords 02 – Die Kristallstadt der Zwerge

Pferdelords 03 – Die Barbaren des Dünenlandes

Pferdelords 04 – Das verborgene Haus der Elfen

Pferdelords 05 – Die Korsaren von Um´briel

Pferdelords 06 – Die Paladine der toten Stadt

Pferdelords 07 – Das vergangene Reich von Jalanne

Pferdelords 08 – Das Volk der Lederschwingen

Pferdelords 09 – Die Nachtläufer des Todes

Pferdelords 10 – Die Bruderschaft des Kreuzes

Pferdelords 11 – Die Schmieden von Rumak

Pferdelords 12 – Der Ritt zu den goldenen Wolken

Mein Dank gilt dem Verlag WELTBILD, der es mir ermöglichte, die von ihm lektorierten Manuskripte für die weiteren Veröffentlichungen als e-Book zu verwenden und so dazu beitrug, dass diese Serie weiterhin im Handel erhältlich ist.

Die vorliegende Neuauflage der e-Books wurde von mir überarbeitet, ohne deren Inhalte zu verändern. Begriffe wurden vereinheitlicht und die Romane durch überarbeitete oder zusätzliche Karten ergänzt.

Viel Lesevergnügen wünscht Ihnen

Michael H. Schenk

Hinweis:

Kapitel 59: Karte der Völker, der Pferdelords-Reihe

Kapitel 60: Detailkarte "Der Pass von Merdoret"

Kapitel 61: Personenregister

Kapitel 62: Einige Maße und Definitionen

Kapitel 63: Vorschau auf "Die Pferdelords 9 – Die Nachtläufer des Todes"

Kapitel 2 Das Volk der Lederschwingen

Der Pfad war steil und sein Verlauf nur für das eingeweihte Auge zu

erkennen. Einzelne Tritte führten an der aufragenden Felswand entlang, und

die Hände mussten sich in Spalten und an Vorsprünge klammern, wenn die

Füße keinen festen Halt fanden. Nur zu leicht konnte man abgleiten und in die

Tiefe stürzen. Aber die beiden Männer nahmen die Mühsal des Aufstieges

zum Geburtsfelsen gerne auf sich. Viel zu selten schlüpfte im Horst der

Lederschwingen ein Junges, und noch seltener überlebte es das Ereignis um

mehr als wenige Augenblicke. Die Lederschwingen waren mächtige Wesen,

und vielleicht hatte die Natur es mit Bedacht so eingerichtet, dass es nur

wenige von ihnen gab.

Hier oben, unter dem höchsten Gipfel der Schwarzen Berge von Uma’Roll,

war die Luft dünn, und es war kalt. Obwohl die Männer die Unbilden dieser

Höhen gewohnt waren, fröstelten sie unter dem scharfen Wind. Anschudar

und Mordeschdar hatten sich fest in ihre dicken Pelzmäntel gehüllt, die

Kapuzen hochgeschlagen. Sie hielten die Köpfe ein wenig gesenkt,

verzichteten aber darauf, die Klarsteinscheiben vor ihre hölzernen Reithelme

zu klappen.

Unter Anschudars Fuß löste sich ein Stein, und er krallte seine freie Hand

in eine Felsspalte, als er für einen Augenblick den Halt verlor.

»Aufgeregt?« Mordeschdars Stimme klang nachsichtig.

Im Grunde war Anschudar noch kein erwachsener Mann und, wenn man es

genau nahm, auch noch kein Schwingenreiter. Jeden Morgen kämmte er sich

den Bartflaum gegen den Strich, damit er dichter und kräftiger wirkte. Ja, er

war aufgeregt, aber das war nur zu verständlich. An diesem Tag, wenn die

Geburt gelang, würde Anschudar zum ersten Mal den Rücken einer

Lederschwinge bedecken und sich auf ihr in die Lüfte erheben. Dann, endlich,

würde er ein Schwingenreiter sein.

»Gib mir den Sattel, Junge. Ich bin den Pfad schon oft mit

Schwingenrekruten gegangen und weiß, wohin ich den Fuß setzen muss.«

»Es ist mein Sattel«, erwiderte Anschudar störrisch. »Also muss ich ihn

auch tragen.«

»Stell dich nicht so an. Es ist auch dein Leben, Junge, und wenn du

abstürzt, dann bin ich es, der dich bergen und zum Horst zurückschleppen

muss.«

Anschudar seufzte. Der alte Schwingenführer hatte recht. Zögernd zog er

den ledernen Sattel unter dem Arm hervor und reichte ihn dem Alten. Die

Sitzfläche war kaum zwei Handflächen groß und weich gepolstert, während

die Steigbügel plump und massiv von ihren Lederriemen hingen.

»Wir sind bald da, Anschudar«, meinte Mordeschdar. »Glaube mir, ich

kann gut nachvollziehen, wie du dich jetzt fühlst. Mir erging es nicht anders,

als ich meiner Lederschwinge zum ersten Mal begegnete.«

»Vielleicht werde ich sie gar nicht zu Gesicht bekommen«, seufzte der

Jüngere und tastete sich weiter den eisigen Pfad entlang.

»Mag sein«, brummte Mordeschdar. »Wenn deine Schwinge schlüpft und

gut aus dem Ei kommt, muss sie noch den Sturz überstehen. Viele sind daran

schon gescheitert.«

Das war eigentlich Anschudars größte Angst. Von klein auf war er zum

Schwingenreiter erzogen worden. Nicht alle Männer seines Volkes waren

dazu auserkoren, eines Tages den Bund mit einem dieser Wesen einzugehen.

Man musste über die Fähigkeit der Verbindung verfügen, durch die man die

Gedanken der Flugwesen spürte, wenn man ihre Haut berührte. Als er zum

ersten Mal aus eigener Kraft auf seinen Beinen stehen konnte, hatten seine

Eltern ihn zur Feedanaa gebracht, der Hüterin des Horstes. Sie hatte

Anschudars Gaben erkannt und über seine Zukunft bestimmt. Doch all seine

Erziehung und sein theoretisches Wissen würden vergebens sein, wenn das

für ihn bestimmte Flugwesen zu Tode stürzte.

Anschudar blickte nach oben. Nur wenige Längen noch, und sie hatten

endlich den Gipfel des Geburtsfelsens erreicht. Diese höchste Erhebung des

Uma’Roll fiel zu einer Seite steil ab. Gute eineinhalb Tausendlängen ging es

dort hinab in die Tiefe. Dieser Abgrund würde über das Schicksal seiner

Lederschwinge und Anschudars Zukunft entscheiden.

Ein Stück über sich sah er das schwarze Rund des Eises. Anschudar

bemerkte den Schatten, der über ihn fiel, und spürte einen leichten Luftzug,

als das Muttertier dicht neben ihnen am Pfad vorbeistrich. Ihre ledrigen

Schwingen bewegten sich auch hier, in der dünnen Höhenluft, mit anmutigen,

sanft wirkenden Bewegungen. Sie hatte ihr Ei bebrütet und nun, da der

Schlupf unmittelbar bevorstand, behutsam auf dem Geburtsfelsen abgelegt.

»Sie ist sicherlich ebenso aufgeregt wie du, mein Junge.« Mordeschdar

nickte unter seinem Helm und der Kapuze. »Auch für sie hängt viel davon ab.

Es muss schwer sein, ein Junges zu verlieren.«

Anschudar konnte das verstehen. Die Lederschwingen empfanden um den

Tod eines ihrer Jungen nicht weniger Trauer als die Menschen des Volkes um

den ihrer eigenen Kinder. Er sah erneut auf das Ei. »Ich glaube, es ist gleich

so weit, Schwingenführer. Das graue Netz breitet sich aus.«

»Dann sollten wir uns beeilen«, knurrte Mordeschdar. »Du musst deine

Hände an die Schale legen, bevor sie bricht.«

Die Schale begann sich unmerklich zu öffnen. Mit den zahlreichen

Sprüngen, die ihre Oberfläche überzogen, wirkte sie, als habe man ein graues

Netz darübergeworfen. Lederschwingen hatten keinen Eizahn, mit dem sie die

dicken Schalen öffnen konnten. Sie mussten ihre Körpermuskeln anspannen

und die Schwingen ausbreiten, um das Ei zu zersprengen. Die Natur hatte es

so eingerichtet, damit das Wesen bereit war, sofort nach der Geburt zu

fliegen.

Erneut strich das Muttertier um den Geburtsfelsen, und dieses Mal stieß es

einen leisen Schrei aus, der die Männer zur Eile mahnte. Hastig kletterten sie

den Pfad hinauf, bis sie endlich auf dem winzigen Gipfelplateau des

Geburtsfelsens standen. Sie achteten nicht auf die Höhe, in der sie sich

befanden. Sie waren es gewohnt, in die Tiefe hinabzusehen. Sei es vom

Boden ihres Hortes aus oder vom Rücken einer Lederschwinge.

Das Plateau maß keine zehn Längen im Durchmesser und war nahezu

kreisrund. Der Boden war von den Lederschwingen sorgfältig geglättet und

anschließend gebrannt worden, damit kein spitzer Stein die Hülle eines Eis

beschädigen konnte. Eine kräftige Bö hätte die beiden Männer einfach vom

Felsen heruntergewischt, aber der Wind ging gleichmäßig, als Anschudar mit

einem langen Schritt an das Ei herantrat, während Mordeschdar am Ende des

Pfades verharrte. Es mochte an die fünf Längen hoch sein und deren zwei im

Durchmesser haben. Anschudar zog die gefütterten Handschuhe aus und legte

die klamm werdenden Hände an die Schale des Eis. Sie fühlte sich warm an

und vibrierte leicht. Es konnte nur noch Augenblicke dauern, bis es so weit

war.

»Es ist groß«, murmelte Anschudar.

»Ja, das ist es. Wenn du Glück hast, wirst du auf einer außergewöhnlichen

Schwinge reiten können. Doch beeile dich. Du musst nun ihren Namen

denken«, mahnte der Schwingenführer. »Rasch, bevor sie schlüpft.«

Gedanken waren intensiver, wenn man sie in Worten formulierte. Das

hatte sich Anschudar gut eingeprägt. »Flieg, Showaa, meine Lederschwinge.

Flieg.«

»Showaa?« Mordeschdar nickte beifällig. »Ein guter Name. Wollen wir

hoffen, dass …«

Es knackte hörbar, und Anschudar trat instinktiv zurück. Andächtig

starrten die beiden Männer auf das Ei. Die Linien des grauen Netzes

verbreiterten sich rasend schnell, Spalten entstanden. Auch das Muttertier

hatte diesen entscheidenden Augenblick erfasst. Elegant schwang es herum

und glitt sachte heran. Ihre muskulösen Beine berührten die Männer fast, als

sie dicht über ihre Kapuzen hinwegstrichen und dann mit wohldosierter Kraft

gegen die zerbrechende Schale stießen.

Vom Schwung des Muttertieres getroffen, zerbarst das Ei endgültig und

wurde dabei vom Plateau geschleudert. Instinktiv presste Anschudar die Hand

vor seinen Mund, als er es in die Tiefe stürzen sah. Er trat hastig an den Rand,

um besser sehen zu können. Zwischen den Schalen war ein Schemen zu

erkennen. Ein gedrungener Leib, der sich aber zu entfalten schien, während er

zusammen mit den Schalen in die Tiefe wirbelte.

»Flieg, Showaa, flieg«, flüsterte Anschudar.

Es war eine brutale Auslese, die nur den kräftigsten Jungtieren eine

Überlebenschance gab. Viele stürzten in den Tod und wurden dann betrauert.

Doch nicht Showaa.

Sie flog.

Instinktiv breitete sie ihre noch feuchten Flugschwingen und Steuerhäute

aus, die im Sturzflug trockneten und offenbar fest genug waren, um den

Luftmassen Widerstand zu bieten. Aus dem Sturz wurde eine flache Kurve.

Dicht über dem Boden zog Showaa steil an, und Anschudar stieß einen

heiseren Jubelschrei aus. »Sie fliegt! Showaa fliegt!«

»Was sollte sie auch sonst tun?«, brummte Mordeschdar, um seine

Rührung zu verbergen. »Schließlich ist sie eine Lederschwinge.« Er räusperte

sich. »Bereite dich jetzt vor. Sie muss dich erkennen und als ihren

Schwingenreiter akzeptieren.«

Das Muttertier zog weite Kreise um den Geburtsfelsen und beobachtete

mit seinem Doppelpupillenauge aufmerksam sein geschlüpftes Junges. Ihre

Bauchseite hatte sich intensiv rot verfärbt, was ihre Aufregung zeigte.

Showaa flog, doch nun kam es darauf an, ob sie ihren Reiter auch anerkannte.

Anschudar nahm den Schwingensattel und trat an den Rand des

Geburtsfelsens. Showaa gewann an Höhe und kam näher. Obwohl noch ein

Jungtier, war sie schon jetzt ungewöhnlich groß. Von den beiden kurzen

Maultentakeln bis zur Schwanzspitze maß ein ausgewachsenes Exemplar gute

zehn Längen, ein Maß, das von der Spannweite ihrer Schwingen noch

übertroffen wurde. Der Rumpf einer Lederschwinge war schlank und leicht,

und die beiden muskulösen Beine wurden im Flug nach hinten an den Leib

gelegt. Der flache Schädel glich einem stumpfen Dreieck, in dessen breiter

Vorderseite sich das Auge befand. Es hatte eine elliptische Form und zwei

schlitzartige Pupillen. Jede von ihnen war mit einem der Maultentakel

gekoppelt und erlaubte es der Lederschwinge, ihre Beute auf große

Entfernung zu erkennen und den Brennstrahl zu fokussieren. Die Seiten des

Schädels liefen in kurze Steuerschwingen aus, die das Flugwesen äußerst

wendig machten. Unter dem Schädel befand sich der Fressschlitz, an der

Oberseite die Membranen für die Saugatmung. Der Kopf saß auf einem

schlauchartigen Hals, der in den schlanken Rumpf überging. Dort setzten die

dreieckigen Flugschwingen an. Die grau und grün schattierte Haut war ledrig

und hatte den Wesen ihre Bezeichnung eingetragen. Showaa war ein

Weibchen, und so schimmerte ihre Bauchseite in einem sanften Rot. Sobald

sie in die Brunftzeit kam, würde es einen intensiveren Ton annehmen. Ein

verlockendes Signal für jedes Männchen. Natürlich würde die intensive

Färbung auch andere Wesen auf Showaa aufmerksam machen, doch für die

Lederschwingen gab es keine natürlichen Feinde. Nichts konnte ihnen die

Herrschaft über die Lüfte streitig machen.

»Präsentiere ihr Sattel und Lenkstab«, raunte Mordeschdar mit heiserer

Stimme.

Anschudar hob beides über den Kopf und verkniff sich einen leisen Fluch,

als einer der schweren Steigbügel schmerzhaft gegen seine Wange schlug.

Mit der einen Hand den Schwingensattel, mit der anderen den Lenkstab in die

Höhe haltend, sah er nervös zu der kreisenden Lederschwinge hinüber.

Showaa schien unentschlossen, zog mit aufgeregten Schwingenschlägen an

dem Menschenwesen vorbei. Der dreieckige Kopf war ihm zugewandt, und

die beiden senkrechten Schlitzpupillen im ovalen Auge bewegten sich

unruhig hin und her. Sie spürte instinktiv, was ihre Aufgabe war. Jede

neugeborene Lederschwinge wusste es, denn seit Generationen lebten die

Wesen mit den Menschen des Horstes in enger Verbindung.

»Showaa!«, rief Anschudar fordernd.

Showaas Kopf schien sich ein wenig zu neigen, so als lausche sie dem

Klang der Stimme. Erneut umrundete sie den Geburtsfelsen, und die beiden

Maultentakel zuckten leicht. Sie waren leer und hielten noch nicht die zwei

Gelbsteine, die der Lederschwinge die Fähigkeit verleihen würden, ihre

Feinde zu brennen. Auch die Kammern in ihrem Leib waren kaum mit Gas

gefüllt. Es reichte gerade aus, Showaa leicht genug zum Flug zu machen. Erst

später, nach dem Fressen, würden die Verdauungsgase in die Hohlräume

strömen.

Dann, endlich, legte sich die junge Lederschwinge in eine sanfte Kurve.

Ihre muskulösen Beine schoben sich nach vorn, und die noch weichen Krallen

reckten sich dem Boden des Plateaus entgegen. Die Landung war noch ein

wenig ungeschickt, und Showaa musste sich mit den Flugschwingen

abstützen. Aber sie war Anschudars Ruf gefolgt.

Er wusste, was er zu tun hatte, und trat an sie heran. Showaa senkte ihren

Kopf, bis dieser fast den Boden berührte, und wendete ihren langen Hals, um

Anschudar zu beobachten. Ihre beiden Schlitzpupillen schoben sich

aufeinander zu, als sie auf ihren künftigen Reiter scharf stellte.

»Leg ihr den Sattel auf. Jetzt«, raunte Mordeschdar.

»Ja, ich weiß«, erwiderte Anschudar.

Showaa zuckte leicht zusammen, als der Sattel ihre Haut berührte.

Anschudar hatte die Handgriffe oft geübt, und seine Bewegungen waren

schnell und sicher. Er legte Showaa den breiten Sattelgurt um den Hals, direkt

vor dem Ansatz der Flugschwingen, und strich ihr sanft über die Kehlhaut.

Instinktiv zog sich Showaas Muskulatur zusammen, und Anschudar konnte

den Gurt endgültig festziehen. Mordeschdar nickte beifällig. Sein Schüler

hatte es genau richtig gemacht. Nicht zu fest und nicht zu locker. Das richtige

Maß war wichtig, um einen festen Sitz zu garantieren, ohne den Hals zu stark

einzuschnüren. Anschudar zog die Steigbügel mit den schweren

Bügelschuhen nach unten und sah Mordeschdar für einen Augenblick an.

Dieser nickte. »Flieg mit ihr, Schwingenreiter. Nur so findet ihr endgültig

zueinander.«

Anschudar setzte den rechten Fuß in den Bügelschuh und zog sich in den

Sattel hoch. Unter dem ungewohnten Gewicht ihres Reiters richtete sich

Showaa instinktiv auf. Anschudar hatte Mühe, sich oben zu halten, als sich

die Schwinge zu voller Größe aufbaute. Er klopfte ihr beruhigend gegen den

Hals und spürte dabei ihre Erregung.

Behutsam setzte er mit der anderen Hand das Lenkholz an, ein

fingerstarker Stab, gute zwei Spannen lang und an den Enden nach unten

gekrümmt. Dort befanden sich die Lenkdorne aus reinem Gold. Stumpf

genug, um die Haut nicht zu verletzen, und spitz genug, der Schwinge die

gewünschte Richtung anzuzeigen. Später, wenn Anschudar und Showaa sich

aneinander gewöhnt hatten, würde das Lenkholz überflüssig sein. Eine leichte

Gewichtsverlagerung des Reiters im Sattel würde dann ausreichen.

»Flieg, Showaa«, sagte Anschudar leise. »Flieg, meine Schöne.«

Die Lederschwinge ging ein wenig in die Knie, stieß sich mit ihren

muskulösen Beinen ab und breitete zugleich ihre Flugschwingen aus.

Anschudar stieß einen Schrei reinsten Entzückens aus, als Showaa über den

Rand des Plateaus in die Tiefe glitt. Er spürte das Pumpen in ihren inneren

Kammern, als sie das Gewicht des Reiters ausglich, und genoss es, wie der

Wind an seinem Gesicht vorüberstrich. Der Boden kam rasend schnell näher,

aber der junge Schwingenreiter empfand keine Furcht und vertraute auf die

Fähigkeiten Showaas. Erneut stieß er einen jauchzenden Schrei aus, als sie

den Sturz dicht über dem Boden abfing und rasch wieder an Höhe gewann.

Das Plateau fiel hinter ihnen zurück, und Anschudar ließ Showaa ihren

Willen. Sie beide sollten diesen ersten gemeinsamen Flug genießen, denn er

würde sie zusammenführen. Der Wind stach wie mit eisigen Nadeln in sein

Gesicht. Es war schmerzhaft, und doch verzichtete Anschudar auch jetzt

darauf, das Klarsteinvisier vor seinen Helm zu klappen. Zu sehr genoss er das

Gefühl der Freiheit, wie es nur ein Schwingenreiter empfand. Hoch oben

zwischen den Wolken, losgelöst von der Mühsal, die mit dem Leben am

Boden verbunden war. Frei von der Enge des Horstes, der seinem Volk

Heimat und sichere Zuflucht vor den Kriegen der anderen Völker war.

Einst hatte auch Anschudars Volk den Boden der fruchtbaren Ebenen von

Rumak bewohnt. Doch dann waren die großen Kriege ausgebrochen, der

Menschenreiche untereinander und der Menschen und Elfen gegen die

Legionen des Schwarzen Lords. Wie mächtige Mühlsteine hatten sie

Anschudars Volk zwischen sich zerrieben, bis sich einige aus ihm der

Finsternis unterwarfen und die letzten freien Rumaker in die Schwarzen

Berge von Uma’Roll flüchteten. Immer höher hinauf, bis in die eisigen

Regionen, wohin ihnen kein Mensch und erst recht kein Ork folgen konnte,

denn die Bestien des Schwarzen Lords erstarrten in der Kälte. Die Handvoll

Überlebender wäre selbst dem Tod geweiht gewesen, wäre sie dort oben nicht

auf den Horst der Lederschwingen gestoßen. Obwohl sie äußerlich so wenig

gemeinsam hatten, fanden sie in einer nahezu symbiotischen Verbindung

zueinander.

Die Flugwesen waren Allesfresser. Sie verschmähten weder Pflanzen noch

Fleisch, begnügten sich aber auch mit Aas. Darin ähnelten sie durchaus den

Menschen, doch sie hatten eine Besonderheit, die sie von allen anderen

Lebewesen unterschied: Ihre Körper waren von großen Hohlräumen

durchzogen. Kammern, in denen Verdauungsgase gesammelt und aufgetrennt

wurden. Ein Teil davon diente dem zusätzlichen Auftrieb, ein anderer Teil als

Brennstoffvorrat. Über eine knöcherne Öffnung unterhalb des Auges konnte

das brennbare Gas ausgestoßen werden. Die schlitzförmigen Pupillen

zusammen mit den beiden Maultentakeln fokussierten den Ausstoß. Dadurch

konnte das Brenngas als diffuse Wolke oder scharf gebündelter Strahl

abgegeben werden. In längst vergangenen Zeiten, als die Lederschwingen

noch von kleinem Wuchs gewesen waren, hatte das Gas dazu gedient, einen

Angreifer durch seinen infernalischen Gestank abzuwehren oder ihn zu

ersticken. Dann hatten die Flugwesen im Zuge der Jahrtausendwenden

gelernt, über ihre Maultentakel winzige Blitze abzusondern, welche das Gas

entzünden konnten. Von da an wagte sich kaum mehr ein Fressfeind an die

Schwingen heran. Wieder viele Jahrtausendwenden später hatten die Wesen

entdeckt, dass die Wirkung des Brennstrahls noch gesteigert wurde, wenn sie

in ihren Maultentakeln Brocken von Gelbstein bereithielten. Ihm entströmten

Substanzen, welche die Wirkung des Brennstrahls auf verheerende Weise

steigerten.

Gelbstein war eigentlich eine flüssige Substanz, die sich in heißen

Tümpeln sammelte und bestialisch stank. An den Rändern der Tümpel oder

wenn diese austrockneten, kristallisierte die Flüssigkeit zu gelben Brocken. Es

fiel den Lederschwingen leicht, diese zu lösen und in ihre Tentakel

aufzunehmen. Aber dann wurden die Tümpel und die Vorkommen des

Gelbsteins seltener, und es wurde immer schwieriger, ihn zu finden. Meist

war er unter der Erde verborgen. Die Lederschwingen konnten ihn riechen,

doch gelang es ihnen kaum, ihn auszugraben. Bis die Menschen zu ihnen

stießen. Nun grub Anschudars Volk für die Flugwesen nach dem Gelbstein,

und die Lederschwingen schützten mit ihrem Brennstrahl den Horst und die

darin lebenden Menschen.

Der Horst selbst war eigentlich kaum gefährdet. Er lag zu weit oben in den

eisigen Gipfeln von Uma’Roll, unerreichbar für jedes Wesen, das nicht

fliegen konnte. Aber zur Suche nach Nahrung und Brennstein musste man

den Gipfel verlassen und in die Ebenen von Rumak hinabsteigen. Nur dort

gab es noch ausreichend Wild. Doch in den Ebenen herrschten schon seit

Langem die Orks des Schwarzen Lords. Solange der Gelbstein den Feueratem

der Lederschwingen verstärkte, waren die Krieger der Finsternis zwar keine

Gefahr. Aber nun, da er selten wurde, hatte der Rat der Schwingenreiter

verkündet, dass man in einigen Jahren wohl eine neue Heimat suchen müsse,

hoch oben im Norden. Für die Schwingen und ihre menschlichen Freunde war

der Norden unbekanntes Land. Dort sollte es Zwerge und Elfen geben und

sogar Menschen, die noch immer im Krieg mit den Orks lagen. Man musste

einen neuen Horst finden, der ebenso unerreichbar in eisigen Höhen lag, und

man brauchte neue Vorkommen von Gelbstein. War beides gefunden,

könnten die Bodenläufer ihre Kämpfe ruhig austragen, denn das Volk der

Lederschwingen bliebe davon unberührt.

Anschudar verlagerte sein Körpergewicht auf den rechten Steigbügel.

Showaa folgte bereitwillig seinem Wunsch und schwenkte in eine leichte

Rechtskurve. Sie gewann zusehends an Sicherheit in ihren Bewegungen. Der

Wind strich nun unangenehm in Anschudars Gesicht, und seine Augen

begannen zu tränen. Den Lenkstab in der Rechten, griff er mit der linken

Hand unter die Kapuze seiner Felljacke. Er spürte die Glätte des Helms, den

alle Schwingenreiter trugen. In den kalten Gefilden, in denen die Schwingen

lebten, waren die sorgfältig geschnitzten und bearbeiteten Holzhelme weit

angenehmer zu tragen als die rasch auskühlenden Metallhelme. Anschudar

tastete nach dem gekrümmten Schild aus Klarstein und klappte es vor seine

Augen. Auch wenn seine Sicht nun leicht verzerrt war, bedeutete es für sie

doch eine Erholung.

Fernab entdeckte er einen winzigen Punkt am Himmel. Es war eine

Schwinge, die in ihrer einsamen Wache um den Horst kreiste. Anschudar

lächelte unmerklich. Nun war er selbst ein Schwingenreiter, und bald würden

solche Streifenflüge ebenfalls zu seinen Aufgaben gehören. Er wandte sich

um, und was er dort sah, gefiel ihm nicht. Dunkle Wolken begannen sich am

Horizont zusammenzuballen, und Anschudar meinte das Leuchten von

Blitzen zu erkennen. Ein Gewittersturm braute sich zusammen, und es sah

ganz danach aus, als würde es ein ungewöhnlich starker werden.

Anschudar mochte keine Gewitterstürme, und für die Lederschwingen

waren sie sogar gefährlich. Wenn ein starker Blitz dicht genug an einem der

Flugwesen entlangfuhr, dann konnte er das Gas in dessen Brennkammern

entzünden, und das Wesen verging in einem Feuerball. Nein, die Schwingen

mieden die Gewitterstürme, und wenn ein solches Unwetter den Horst

bedrohte, zogen sich die Flugwesen in ihre Felsnischen zurück. Daher

beobachtete Anschudar den Gewittersturm mit wachsendem Unbehagen. Die

finstere Wolkenwand wurde größer und kam immer näher. Der junge

Schwingenreiter überlegte. Es sah ganz danach aus, als würde der Sturm das

Gebirge von Uma’Roll erreichen. Das wäre schlecht. Die Blitze entluden sich

meist an den höchsten Gipfeln, und auf dem allerhöchsten lag seine Heimat,

der Horst.

»Zeit, nach Hause zu fliegen, Showaa«, seufzte Anschudar. Er verlagerte

sein Gewicht auf den linken Steigbügel und drückte mit dem Lenkstab gegen

Showaas linke Halsseite.

Die Schwinge stieß einen leisen Schrei aus, und es war offensichtlich, dass

sie froh darüber war, dem Gewittersturm die Schwanzseite zu zeigen.

Instinktiv hatte sie erkannt, dass von der herannahenden und von Blitzen

durchzuckten Finsternis Gefahr ausging. Showaa neigte sich vor und ging in

einen steilen Sturzflug über. Sie gewann an Geschwindigkeit, fing dann ihren

Flug über den unteren Ausläufern des Gebirges ab und stieg mit raschen

Schwingenbewegungen wieder auf. Die Sonne stand in ihrem Rücken, und

Anschudar konnte sehen, wie Showaas Schatten über die Felsen glitt. Für eine

Weile genoss er diesen Anblick, bis ihm bewusst wurde, dass noch ein

anderer Schatten über das Land raste: der Schatten des Gewittersturms, der

sich viel zu schnell näherte. Donner begann die Luft zu erfüllen, und die

Berge des Uma’Roll warfen das Echo vielfach und verstärkt zurück. Es würde

knapp werden.

Vor ihnen tauchte der Horst auf, ein nicht besonders großes Plateau, das in

der Nähe des Geburtsfelsens lag. Auch hier ragte am Rand eine Felsnadel auf,

doch sie war nicht so hoch und lag auch nicht an einem Steilhang, weshalb sie

für den ersten entscheidenden Sturzflug der Schwingen ungeeignet war. Das

Plateau war von einem Wall umgeben, der aus eiförmigen Gebilden bestand.

Ein Teil davon diente den Flugwesen als Unterschlupf, andere waren von den

Menschen ausgebaut und für ihre Bedürfnisse eingerichtet worden. Die

Bauten ähnelten den Eiern der Lederschwingen, waren jedoch wesentlich

größer. Sie bestanden aus Bruchsteinen und einem Ferment der Flugwesen,

welches das Gefüge verband. Die äußere Hülle bestand aus demselben

Material wie die Schale der Eier und trotzte jedem Wetter. Das Innere ihrer

Behausungen hatten die Menschen liebevoll gestaltet, Zwischendecken hatten

sie eingezogen und Türen und Fenster eingesetzt. Das Holz war in

gemeinsamer Anstrengung aus den Tiefebenen heraufgeschafft worden.

Unterhalb der Bauten klebten schalenförmige Gebilde am Fels. In ihnen

wurden Dung und organische Abfälle gesammelt und fermentiert, die

Grundlage für eine bescheidene Getreidezucht. Vier besonders große Schalen

waren rund um den Horst verteilt und dienten der Speicherung von Wasser.

Da sich jedoch die meisten Regenwolken unterhalb des Horstes entluden,

mussten Schnee oder Eis von den Gebirgsgipfeln geholt werden, um sie zu

befüllen. Doch davon gab es reichlich, sodass kein Wassermangel herrschte

und eine der Zisternen den Schwingen sogar als Badegelegenheit diente. An

der Felsnadel befand sich das einzige Gebäude, dessen Beschaffenheit an die

Häuser der anderen Menschenvölker erinnerte. Es hatte eine rechteckige

Grundform und war niedriger als die übrigen Bauten, erstreckte sich aber

stärker in die Breite. Das Dach erinnerte in seiner Form an ausgebreitete

Flugschwingen und war sorgfältig mit Erde und Steinplatten gedeckt. Die

Schwingenreiter nannten es das Arsenal, denn hier bewahrten sie ihre

Ausrüstung, Werkzeuge und die Waffen auf. In einem abgeteilten Raum

befand sich auch das bedenklich schrumpfende Lager mit Gelbstein.

Außer Anschudar und dem Streifenreiter war keine andere Lederschwinge

in der Luft, und sie beide setzten nahezu gleichzeitig auf dem Plateau auf.

Nachdem der andere Reiter seiner Schwinge den Sattel abgenommen hatte,

hastete diese mit wenigen Sätzen zu ihrem Unterschlupf hinüber. Showaa war

unruhig und bewegte ihren langen Hals nervös hin und her, sodass Anschudar

Mühe hatte, den Sattelgurt zu öffnen. Ihre noch weichen Krallen bohrten sich

in den Boden, und die beiden Pupillen suchten instinktiv nach einer Zuflucht

vor dem Unwetter. Ihr Reiter berührte eine der Lenkschwingen ihres Kopfes

und deutete zu einem der künstlich geschaffenen Bauten. »Dort, Showaa.

Dort ist es sicher.«

Das Flugwesen stieß einen heiseren Schrei aus und trabte im wiegenden

Schritt ihrer Art auf das riesige Ei zu. Anschudar hatte Mühe, ihr zu folgen.

Normalerweise hätte er sich bei den anderen Schwingenreitern im Arsenal

eingefunden, aber Showaa war gerade erst geschlüpft und daher unerfahren.

Der Horst war ihr noch fremd, und so versuchte ihr Reiter, das nervöse Wesen

zu beruhigen.

Die Donnerschläge hallten übermächtig und schmerzten in den Ohren.

Schatten der Wolken hatten den Horst der Lederschwingen erreicht und

hüllten ihn in Dunkelheit. Eine Finsternis, die immer wieder vom grellen

Aufflackern eines Blitzes erhellt wurde. Anschudar drängte Showaa in ihren

Unterschlupf und strich ihr besänftigend über die Lenkschwingen. Die beiden

Schlitzpupillen in ihrem Auge schienen aufeinander zuzulaufen und dann

wieder auseinanderzustreben. Anschudar kannte dieses Anzeichen der Angst.

Instinktiv versuchte das Flugwesen, die Gefahr zu fokussieren, um ihren

Brennstrahl auszulösen, obwohl sie spürte, dass ihre Macht dem

Gewittersturm nicht gewachsen war.

»Ganz ruhig, Showaa, ganz ruhig«, schrie Anschudar gegen den Lärm des

Sturms an. »Es wird bald vorüber sein. Dir wird nichts geschehen.«

Der junge Schwingenreiter spähte durch die Öffnung des Unterschlupfes

über das Plateau hinweg. Es war ein ungewöhnlich schwerer Sturm, und die

Blitze zuckten waagrecht und senkrecht durch die Wolken, als wollten sie ein

Netz aus gleißendem Licht in die Dunkelheit weben. Es war noch kälter

geworden, doch es blieb trocken. Die Wolken regneten schon in den tieferen

Gebirgsregionen ab. Anschudar konnte das Gewitter riechen und ebenso die

Furcht der unerfahrenen Schwinge. Showaa legte ihren riesigen dreieckigen

Kopf an seinen Leib und hätte ihn beinahe zu Fall gebracht. Unbewusst strich

er mit der Handfläche über ihre Haut. Trotz der ledrigen Schuppen fühlte sie

sich glatt und angenehm warm an.

Anschudar zuckte zusammen, als ein Blitz in die Felsnadel fuhr.

Blauweiße Flammen umhüllten den Stein und wanderten daran hinunter. Erst

kurz über dem Dach des Arsenals verloren sie an Kraft. Der junge

Schwingenreiter biss die Zähne aufeinander. Es war ein heftiger Einschlag

gewesen, und es hätte nicht viel gefehlt, und der Blitz hätte sogar das Arsenal

erreicht. Das war noch nie zuvor geschehen, und Anschudar fragte sich, was

wohl passieren mochte, wenn das Gebäude getroffen würde.

Er hatte den Gedanken kaum zu Ende gesponnen, als es tatsächlich

geschah.

Es waren zwei Blitze, die aus verschiedenen Richtungen herabfuhren, sich

über der Felsnadel vereinten und sich erneut trennten. Irrlichtern gleich

umtanzten sie den Felsen. Rasend schnell glitten sie tiefer, und direkt über

dem Arsenal vereinten sie sich zu einer krachenden Entladung. Das Bauwerk

erstrahlte in bläulichem Licht, und Funken spritzten über den Boden des

Plateaus.

Von Entsetzen und Faszination gleichermaßen erfüllt, starrte Anschudar

auf Lichterbahnen, die vom Arsenal auszugehen schienen und wie die

Strahlen der Sonne auf die Bauten am Rand des Plateaus zuschossen. Der

junge Schwingenreiter war wie gelähmt, er bemerkte kaum, wie Showaa sich

an die Rückwand des Unterschlupfes presste. Doch er spürte die plötzliche

Hitze um sich, als die Lederschwinge unbewusst ihren Flammenatem

ausstieß. Zum Glück waren ihre Brennkammern noch nicht gefüllt, und sie

trug auch keinen verstärkenden Gelbstein, sodass die flüchtig aufflackernde

Flamme nur den Rücken seiner Jacke versengte. Dann erlosch sie, ebenso wie

das Tanzen der Blitzfunken auf dem Plateau. Jetzt, nachdem der grelle

Lichtschein erloschen war, wurde ein gelbes Glühen sichtbar, das von einer

Seite des Arsenals auszugehen schien. Das Gelb wandelte sich zu einem

giftigen Grün, während die Tür des Gebäudes aufflog. Eingehüllt von dichten

Rauchschwaden, quollen mehrere Männer aus der Öffnung hervor.

Schwingenreiter, die versuchten, sich in Sicherheit zu bringen. Erst jetzt

erkannte Anschudar, dass der Doppelblitz die Vorräte an Gelbstein getroffen

hatte.

Die Schwingenreiter rannten in verzweifelter Hast, denn wenn die Hitze

des Feuers zu groß wurde, würden die Gelbsteine explosionsartig zerbersten.

Die Männer hatten kaum die halbe Strecke zu den Randbauten überwunden,

als das Dach des Arsenals zersprang. Steinquader, Holz und undefinierbare

Fragmente sprühten, einem Vulkanausbruch ähnlich, in den Himmel. Auch

Anschudar spürte den warmen Hauch des Explosionswindes, aber die meiste

Energie entlud sich nach oben. Als sei der Gewittersturm mit dem

angerichteten Unheil zufrieden, rissen mit einem Mal die finsteren Wolken

auf, und unvermittelt überflutete wieder warmes Sonnenlicht das Plateau. Für

einen Moment herrschte eine merkwürdige Stille. Nur hier und da erklang das

Pochen von Trümmern, die auf dem Boden des Plateaus aufschlugen.

»Sind alle in Sicherheit?« Mordeschdars laute Stimme tönte durch den

Horst. »Sind alle aus dem Arsenal entkommen?«

»Arsenal? Welches Arsenal?« Die wütende Stimme trug einen Unterton

der Verzweiflung. Palschudar, einer der älteren Schwingenreiter, deutete

grimmig zu den Trümmern hinüber. »Seht es euch an, unser Arsenal! Bei den

tiefsten Abgründen der Schmieden von Cantarim, unsere gesamten Vorräte an

Gelbstein sind dahin!«

»Beruhigt euch, Schwingenreiter.« Mordeschdar räusperte sich. »Lasst uns

erst sehen, was noch zu retten ist. Das Feuer hat vielleicht nicht alles

verschlungen.«

Zwei, drei der Lederschwingen reckten ihre langen Hälse aus den

Randbauten, und die dreieckigen Köpfe pendelten unruhig hin und her.

Gewitterstürme waren das Einzige, was diese Wesen fürchteten, und nun, da

die Gefahr vorüber war, drängten sie wieder ins Freie. Einige von ihnen

breiteten sofort die Flugschwingen aus und erhoben sich in die Luft, sichtlich

froh, der Enge des Unterschlupfes entkommen zu sein.

Mordeschdar sammelte die Schwingenreiter um sich, und Anschudar folgte

dem Wink des Anführers. Frauen und Kinder traten aus ihren Bauten und

bewegten sich zu den Vorratsgebäuden, um zu prüfen, ob es auch dort

Schäden gegeben hatte. Die Aufmerksamkeit der Männer galt allein dem

Arsenal, in dem sich der größte Teil des Gelbsteins befunden hatte. Die

Flammen und der Rauch, die über der Ruine aufstiegen, verhießen nichts

Gutes. Die Hitze war zu groß, um nahe herantreten zu können, und so klappte

Anschudar das Klarsteinvisier seines Helmes vors Gesicht. Nur um die

ungeschützte Mundpartie verspürte der junge Schwingenreiter das Brennen

der hohen Temperaturen und hielt schützend einen Arm davor.

Palschudar sah Anschudar düster an. »Du hattest Glück. Dein Helm, dein

Sattel – sie sind verschont geblieben.«

Mordeschdar nickte. »Verdammt. Ich hätte nicht geglaubt, dass ein

Gewittersturm uns so viel Leid bringen könnte. Die meisten Waffen und

Ausrüstungen verbrennen nun, ebenso wie der kostbare Gelbstein.«

»Hier ist ein Riss in der Seitenwand«, rief ein anderer. »Ich glaube, ein

paar Sachen können wir noch retten.«

»Lasst es uns wenigstens versuchen«, brummte der Schwingenführer.

»Aber seid vorsichtig. Solange es brennt, kann der Gelbstein zerspringen, und

die Wände sind durch die Flammen aufgeheizt, sie haben sich verschoben.

Gebt acht, dass der Bau nicht einstürzt.«

Das Arsenal hatte aus zwei großen Räumen und einem

dazwischenliegenden Flur bestanden. Das Lager für den Gelbstein war

verloren, und von der Ausrüstung und den Waffen der Schwingenreiter ließ

sich nur wenig bergen und noch weniger wieder verwenden.

»Das Unglück hat unser Volk getroffen«, stellte Mordeschdar seufzend

fest. »Waffen, Helme, Sättel und all das andere, das können wir wieder

ersetzen. Es wird Zeit brauchen, aber unsere Vorräte reichen dafür aus. Doch

der Verlust des Gelbsteins ist wahrhaftig bedrohlich.«

»Wir sollten Feedanaa fragen«, schlug Palschudar vor.

»Ja, das sollten wir tun«, stimmte Mordeschdar zu. »Die Herrin des

Horstes wird Rat wissen.«

Feedanaa.

Niemand vermochte zu sagen, wie alt sie war. Die Farben ihres

Lederkleides waren stumpf geworden und die Flugschwingen dünn. Feedanaa

hob sich nur noch sehr selten in die Lüfte und dann nur für einen kurzen Flug.

Die Krallen an ihren beiden Füßen waren abgenutzt, und das dunkle Horn war

rissig. Sie zog eines ihrer Beine unmerklich nach, die Folge einer

unglücklichen Landung und eines schlecht verheilten Knochenbruchs. Aber

ihr Verstand war noch immer scharf, und all ihre Sorge galt ihren Kindern.

Für Feedanaa spielte es keine Rolle, ob sie aus einem Ei geschlüpft oder aus

einem Schoß geboren waren. Die alte Lederschwinge war etwas ganz

Besonderes, denn sie besaß die Fähigkeit, die Laute der Bodenläufer zu

formen. Es war ein Phänomen, das bislang bei keiner anderen Schwinge

aufgetreten war. Die Herrin des Horstes benutzte manche eigenen Begriffe

und bildete oft keine ganzen Sätze, aber die Menschen des Horstes hatten sich

daran gewöhnt und lauschten aufmerksam auf das, was die Herrin zu sagen

hatte.

Feedanaa hatte sich im Hintergrund gehalten und aufmerksam beobachtet.

Auf dem Plateau schien Chaos zu herrschen, denn die Menschen rannten

umher, um die Schäden zu begutachten, und die Schwingen waren nervös, da

sie spürten, dass etwas Unangenehmes geschehen war.

»Geht langsam und gemessenen Schrittes«, befahl Mordeschdar den

Schwingenreitern. »Hast wäre ein Zeichen mangelnden Respekts vor der

Herrin. Wir sind keine kleinen Kinder, die aufgeregt zu ihrer Mutter laufen.«

Die Männer zwangen sich dazu, langsam zu gehen, und hielten im

richtigen Abstand, verneigten sich respektvoll und überließen es dann ihrem

Schwingenführer, der Herrin zu berichten.

Feedanaa hörte aufmerksam zu. Ihre Pupillen glitten auseinander und

betrachteten das qualmende Arsenal. Die Flammen begannen in sich

zusammenzufallen. Dann fixierte die alte Lederschwinge Mordeschdar.

»Brennen der Baumköpfe … nicht schlimm. Brennen der Stechmetalle …

nicht schlimm.« Die Verluste der Helme und Waffen der Reiter beunruhigte

Feedanaa nicht sonderlich. »Brennen von Gelbstein für Feueratem … sehr

schlimm. Alles gebrannt?«

Mordeschdar strich sich mit der Hand über das Kinn. »Fast alles, Herrin

des Horstes. Etwas Gelbstein ist noch bei den Randbauten, und wir haben

noch einen Korb, der frisch geschürft, aber noch nicht bearbeitet ist.«

»Nicht viel.«

Der Schwingenführer seufzte. »Nein, das ist nicht viel. Es reicht nicht für

alle Schwingen. Nur für ein paar Streifenflüge zum Schutz des Horstes und

für den Feueratem von drei oder vier Lederschwingen.«

»Wenig Gelbstein … wenig Zeit.« Der dreieckige Kopf pendelte auf dem

langen Hals vor und zurück, während Feedanaa intensiv nachdachte. »Horst

muss gehen Norden … viel früh. Menschfreund fliegen Schwinge Nord.

Suchen Gelbstein. Schnell. Freund Schädelkopf … nicken oder schütteln?«

»Ich nicke und stimme dir zu, Herrin des Horstes.« Mordeschdar nickte

bestätigend. »Unsere Lage ist ernst. Wir haben nicht genug Gelbstein, um

unseren Horst zu verteidigen. Nicht genug, um in der Ebene zu jagen und

unseren Jägern Schutz zu bieten. Wir brauchen neue Gelbsteinvorkommen.

Neue Quellen.«

Feedanaa nickte. Sie hatte die menschliche Geste übernommen. »Brauchen

neue Quellen. Rasch.«

»Mit Anbruch des kommenden Tages wird die Expedition in den Norden

beginnen«, versicherte Mordeschdar.

Die Schwingenreiter verneigten sich erneut und zogen sich dann zurück. In

der Nähe des zerstörten Arsenals berieten sie sich untereinander.

»Das verfluchte Unwetter hat unsere Pläne zunichtegemacht«, knurrte

Palschudar missmutig. »Wir wollten den Norden erst in zwei oder drei

Jahreswenden erkunden.«

»Nun brechen wir eben etwas früher auf.« Mordeschdar hakte die Daumen

hinter seinen Leibgurt und wippte leicht auf den Fersen. »Im Grunde macht es

keinen großen Unterschied.«

»Den macht es wohl«, warf ein anderer ein. »Wir brauchen mehrere

Schwingen, um das nördliche Gebirge auszukundschaften und dort nach

Gelbstein zu suchen. Mehrere Schwingen und viel Zeit. Die Tiere müssen tief

in die Gebirgsschluchten vordringen, denn sie riechen den Gelbstein nur auf

geringe Entfernung. Das braucht seine Zeit.«

»Und während sie schnüffeln«, ergänzte Palschudar, »müssen andere

Schwingen sie mit ihrem Feueratem schützen.«

»Dafür ist nicht genug Gelbstein übrig«, stellte Mordeschdar mit leiser

Stimme fest. »Zumal wir noch den Horst sichern müssen. Ihr kennt Feedanaa.

Auch wenn uns hier eigentlich keine Gefahr droht, legt sie Wert darauf, dass

er immer gut geschützt ist.«

Palschudar sah den Schwingenführer skeptisch an. »Schön. Wie viele

Schwingen willst zu entsenden?«

»Eine«, knurrte Mordeschdar.

»Eine?«

Der Schwingenführer nickte. »Jene, die am besten dafür geeignet ist. Die

mit dem besten Geruchssinn.«

»Den haben die Jungen«, sagte ein Reiter lakonisch.

»So ist es.«

Die Männer sahen Anschudar an, und der junge Schwingenreiter begriff.

»Ich?«

»Nein, Showaa«, korrigierte Mordeschdar und lächelte knapp. »Sie ist

unbestreitbar die Jüngste. Aber da du ihr Schwingenreiter bist, wirst du sie

begleiten.« Der Schwingenführer legte eine Hand auf die Schulter des

überraschten Jungen. »Es wird ein großes Abenteuer für dich und deine

Showaa werden. Du musst das nördliche Gebirge erkunden und nach

Gelbstein suchen. Das bedeutet eine große Verantwortung für dich und

Showaa. Eine Verantwortung für die Zukunft unseres Volkes,

Schwingenreiter.«

Anschudar nickte benommen. »Dann werden wir sie auf uns nehmen.«

Mordeschdar sah unbewusst nach Norden. »Ein fremdes und vielleicht

feindliches Gebirge, junger Schwingenreiter. Dort gibt es Bodenläufer.

Angeblich sollen einige von ihnen auf Pferden reiten. Aber das ist sicherlich

nur eine alte Legende.«

»In jedem Fall wird es dort Orks geben«, meinte Palschudar. »Diese Brut

der Finsternis hat sich ja überall ausgebreitet.«

Anschudar nickte. »Ich werde vorsichtig sein und auf Showaa achten.«

»Dann nutze Wind und Schwingen, Anschudar«, sagte Mordeschdar

freundlich.

»Nutze Wind und Schwingen«, stimmten die anderen Schwingenreiter ein.

Am kommenden Morgen würden Anschudar und Showaa aufbrechen.

Nach Norden. Der Fremde entgegen. Um nach der Zukunft des Horstes zu

suchen und vielleicht den Tod zu finden.

Kapitel 3

Der Wind war schneidend und strich unbarmherzig durch die Täler der

Hochmark. Der Winter kam früh. Eigentlich viel zu früh, und er würde sehr

lang und kalt werden. Obwohl die Menschen der Mark daran gewöhnt waren,

bereiteten sie sich in diesem Jahr besonders gründlich darauf vor. Überall auf

den Feldern um die Stadt Eternas wurde fieberhaft die zweite Ernte

eingebracht. Denn Getreide, das nicht innerhalb weniger Tage in den

Scheunen und Vorratshäusern lag, würde dem Frost zum Opfer fallen. Viel

früher als gewohnt wurden die Ställe ausgebessert und die Dächer darauf

überprüft, ob sie der Last von Schnee und Eis standhalten würden.

Es war früh am Morgen, und die Schritte des Mannes knirschten auf dem

Boden der kleinen Koppel, der von Reif überzogen war. Er war von schlanker

Statur und hatte sich eng in den grünen Umhang der Pferdelords gehüllt,

dennoch konnte er ein Frösteln nicht unterdrücken. An seinem rotbraunen

Helm mit dem goldenen Symbol des Pferdevolkes wippte bei jedem Schritt

ein blau gefärbter Rosshaarschweif auf und nieder. Dieser und der schmale

blaue Saum des Umhangs zeigten an, dass er ein Schwertmann der Hochmark

war. Und wie das goldene Symbol bewies, kein beliebiger, sondern der Erste

Schwertmann der Hohen Dame Larwyn, der Herrin der Mark. Er trug die

Verantwortung für die Sicherheit der Menschen hier und führte das Banner

Larwyns in die Schlacht.

Nedeam strich nachdenklich über die Holme des Gatters. Das einst glatte

und frisch geschälte Holz war nun rissig und dunkel. Die vielen Jahre waren

nicht spurlos an dem kleinen Gehöft vorübergegangen, der Geburtsstätte

Nedeams, wo er unter der Obhut des Vaters und seiner Mutter Meowyn

aufgewachsen war. Bis die Horden der Orks seinen Vater töteten und seine

Mutter schwer verletzten. Sie lebte nun in der Burg von Eternas und war eine

berühmte Heilerin geworden. Nedeam hingegen hatte das elterliche Gehöft

viele Jahre zusammen mit seinem älteren Freund und Mentor Dorkemunt

bewirtschaftet. Nun war Dorkemunt tot, gefallen im Kampf gegen einen

mächtigen Zauberer, und es gab nichts mehr, was Nedeam noch an das alte

Gehöft gebunden hätte. Die Witwe Henelyn und ihre beiden Söhne, die es

nach Nedeams Aufstieg zum Ersten Schwertmann gemeinsam mit Dorkemunt

bewirtschaftet hatten, lebten seit dem Tod des alten Pferdelords im

Hammergrundweiler.

Nedeam hörte ein unterdrücktes Hüsteln und blickte kurz zum Haupthaus

hinüber. Dort standen Elbort und seine Familie und erwiesen ihm ihren

Respekt. Trotz der Kälte harrten sie aus, denn sie wussten, dass der erfahrene

Kämpfer nun endgültig Abschied von den Jahren seiner Kindheit nahm.

Elbort war ein Pferdelord, aber kein Schwertmann. Daher stand er nicht

ständig unter Waffen, sondern ergriff diese nur, wenn die Losung des

Pferdevolkes gegeben wurde und die Mark verteidigt werden musste. Nedeam

unterdrückte ein leises Seufzen. Der Anblick der kleinen Familie erinnerte ihn

an die glücklichen Jahre seiner Kindheit, und er hoffte, dass ihr das Leid

erspart blieb, dem er schon zu oft gegenübergestanden hatte. Denn mit seinen

siebenunddreißig Jahren hatte Nedeam schon manchen Kampf gefochten.

Die Sorge um die Zukunft der Hochmark bedrückte ihn. Zu dem alten

Feind im Osten, dem Schwarzen Lord und seinen orkischen Legionen, war

ein neuer und heimtückischer Gegner hinzugekommen: Garwin, der Sohn der

Hohen Dame Larwyn, ein Verräter und Renegat.

Er zuckte zusammen, als seine Hand gegen einen Splitter in dem

verwitterten Holz stieß. Instinktiv zog er sie zurück, entfernte den Splitter und

ließ ihn achtlos fallen. Nedeam wusste, dass sich diese Wunde sehr rasch

wieder schließen würde.

Er seufzte erneut und versuchte, die schwermütigen Gedanken

abzuschütteln. Vielleicht wäre er besser nicht hergekommen, um von dem

alten Gehöft Abschied zu nehmen. Aber er fühlte sich dazu verpflichtet,

zumal der Abschied auch einem treuen alten Gefährten galt. Stirnfleck, einst

das Pferd seines Vaters, hatte Nedeam über viele Jahre treu gedient, doch nun

war endgültig die Zeit gekommen, da sich ihre Wege trennen mussten.

Nedeam stützte sich leicht auf das Gatter und blickte zu dem Hengst hinüber,

der ein wenig abseits auf der Koppel stand und ihn noch nicht bemerkt hatte.

Stirnfleck war hager geworden und auf einem Auge fast blind. Es betrübte

den Ersten Schwertmann zu sehen, wie kraftlos das Tier an den Halmen

zupfte. Für einen Moment war er versucht, zu dem alten Gefährten

hinüberzugehen. Doch es war wohl besser, es nicht zu tun. Die Trennung war

ihnen beiden schwergefallen, und ein Wiedersehen mit erneutem Abschied

würde den Schmerz nur vergrößern.

Nedeam nickte Stirnfleck schweigend zu und wandte sich dann ab.

Langsam ging er zum Haupthaus zurück, wo Elbort und seine Familie noch

immer ausharrten. Elbort wusste, was in dem Mann vor sich ging. Jeder

Reiter des Pferdevolkes hätte es nachempfinden können.

»Wir werden uns gut um Stirnfleck kümmern, Hoher Herr Nedeam«,

versicherte der Pferdelord. »Seid unbesorgt. Er wird in Ehren und in Frieden

altern.«

»Dessen bin ich mir gewiss«, erwiderte Nedeam leise. »Bei Euch ist er in

guten Händen, und das gilt auch für das Gehöft. Ich sehe, Ihr habt den Stall

ausgebaut, guter Herr Elbort.« Der Erste Schwertmann nickte anerkennend.

»Das Dach wird jeder Schneelast standhalten.«

»Wir bekommen noch ein paar Schafe vom Horngrundweiler.« Elbort

lächelte Frau und Kindern zu. »Enyana versteht sich darauf, gute Wollfäden

zu spinnen. Das bringt noch immer Gewinn, trotz der feinen Tücher, die man

inzwischen aus dem Reich Alnoa erhält.«

»Ja, das Pferdevolk weiß gutes Wolltuch zu schätzen.« Nedeam strich

unbewusst über seinen grünen Umhang, der bis fast auf den Boden reichte.

»Nun, guter Herr Elbort, es ist an der Zeit zurückzureiten. Mir bleibt nur

noch, Euch für die Gastfreundschaft der Nacht zu danken. Somit ist dies nun

Elborts Gehöft, und ich wünsche Euch und den Euren ein langes und

glückerfülltes Leben.«

Nedeam wollte das Unvermeidliche nicht länger hinauszögern. Mit diesem

Gehöft waren schöne, doch auch schmerzhafte Erinnerungen verbunden. Vor

allem jene an Dorkemunt. Nein, er musste die trüben Gedanken abstreifen,

denn seine Zukunft lag in Eternas und an der Seite seiner geliebten Elfin

Llaranya.

Er trat neben Duramont, den großen braunen Hengst mit den schwarzen

Fesseln, den er jetzt ritt. Das Pferd schnaubte leise und scharrte mit den

Hufen. Es war begierig, sich endlich wieder bewegen zu können. Nedeam

hatte Duramont vor zwei Jahren ausgewählt und seine Ausbildung selbst

übernommen, ganz wie es der Tradition des Pferdevolkes entsprach. Der

Hengst war gelehrig und voller Temperament, und Nedeam war gespannt

darauf, wie sich sein neuer Gefährte bewähren würde, wenn er eines Tages

vom Lärm und Blut einer Schlacht umgeben war. Nedeam strich ihm sacht

über die Nüstern und flüsterte ein paar jener elfischen Worte, die Llaranya ihn

gelehrt hatte. Duramont schnaubte erneut, als Nedeam in den Sattel stieg und

sich vergewisserte, dass seine Waffen und der runde Schild mit dem Zeichen

der Hochmark griffbereit waren.

Ein letztes Mal schaute er zurück, dann gab der Erste Schwertmann seinem

Hengst die Zügel frei. Der Reitwind war schneidend kalt, und doch genoss

Nedeam diese Frische, die seine Gedanken frei machte. Für ihn gab es außer

Llaranyas Armen nichts, was trübe Gedanken rascher vertrieb als ein

schneller Ritt.

Er erreichte das lang gestreckte Tal, das sich vom Südpass der Mark bis

zum Tal von Eternas erstreckte. Auf halbem Weg lag der

Hammergrundweiler. Der Boden war hier besonders reich an Erz und Gold,

was in den letzten Jahren zu einem rapiden Wachstum des kleinen Weilers

geführt hatte. Noch vor wenigen Jahren hatte man sich kaum um den Abbau

von Gold bemüht. Es war für das Pferdevolk immer nur ein hübsch

glänzendes, aber nutzloses Material gewesen, da sich daraus keine tauglichen

Waffen oder Rüstungen fertigen ließen. Man hatte es als Zierrat benutzt oder

wertvolleres Metall damit überzogen, da es immerhin witterungsbeständig

war und edlen Stahl vor Rost schützte. Doch mittlerweile war sein Ansehen

gestiegen.

Der König des Reiches Alnoa hatte vor etlichen Jahren die Währung der

goldenen Schüsselchen eingeführt. Inzwischen verdrängten diese zunehmend

die einst üblichen Tauschgeschäfte. Selbst der Pferdekönig Reyodem ließ nun

eigene Schüsselchen herstellen, und der Hammergrund lieferte den dafür

notwendigen Rohstoff. Nedeam musste eingestehen, dass die neue Währung

den Handel vereinfachte, da jede Leistung oder Ware darin ihren Gegenwert

hatte. Aber ihm missfiel die zunehmende Gier mancher Menschen, denen es

immer stärker darum ging, ihren Besitz an Schüsselchen zu mehren.

Das steinerne Band der Handelsstraße zog sich von Süden nach Norden

durch die Hochmark und führte inzwischen bis zu den Städten des

Zwergenvolkes, jenen kleinen Männern und Frauen, die im

freundschaftlichen Waffenbund mit dem Pferdevolk standen. Immer wieder

stießen Handelskarawanen bis zu den Kristallstädten Nal’t’rund und

Nal’t’hanas vor, brachten Nahrungsmittel zu den »kleinen Herren« und

kehrten beladen mit kostbaren Edelsteinen und Erzen zurück.

Die Sonne stieg nun höher, und ein feiner Dunst begann vom Boden

aufzusteigen. Es würde also noch ein warmer Tag werden, und Nedeam war

froh darüber. Hoffentlich gelang es den Bauern im Tal von Eternas noch

rechtzeitig, den Rest der zweiten Ernte einzufahren. Viele Menschen mussten

versorgt werden, und auch wenn man Nahrungsmittel aus den anderen

Marken einhandeln konnte, so mochte sich Nedeam darauf nicht verlassen. Es

war wichtig, dass sich die Mark selbst versorgen konnte. Zu leicht geriet man

in Abhängigkeiten, und in Zeiten des Krieges konnte sich das als

verhängnisvoll erweisen. Niemand vermochte zu sagen, wie lange die Zeit

des Friedens anhalten würde. Im Grunde war es ja kein Frieden. Der

Schwarze Lord wartete nur auf eine Gelegenheit, die freien Länder erneut mit

Krieg zu überziehen, obwohl er vor sechs Jahren am Pass von Rushaan

geschlagen worden war. Es war nur eine Frage der Zeit, wann er seine

Legionen erneut entsenden würde. Dann würde sich zeigen, wie gut man

darauf vorbereitet war.

Der Erste Schwertmann überholte eine Gruppe von drei Planwagen, die

das Handelszeichen des Hauses Helderim an den Seiten führten.

Wahrscheinlich brachten sie wieder Klarstein für Fenster, feinste Tücher und

jenen unnützen Tand, den man im Reich Alnoa so sehr schätzte. Filigranes

Essbesteck mit sorgsam gearbeiteten Verzierungen, glitzernde Steine, die sich

die Frauen um den Hals hängten, und aufwendig gearbeitete Kleidung.

Nedeam empfand es als überflüssig, ein Messer mit feinen Ziselierungen und

Ätzarbeiten zu versehen. Ein Feind sollte schließlich keine Gelegenheit

finden, solchen Schmuck zu bewundern. Für ihn selbst musste eine Waffe

praktisch, für den Gegner jedoch tödlich sein. Allerdings schätzte seine

Llaranya solchen Zierrat durchaus. In mancher Hinsicht waren die

unsterblichen Wesen noch immer ein Rätsel für Nedeam, obwohl er mit

einem von ihnen verbunden war. Vielleicht hatten die Jahre der Kämpfe

seinen Blick für die Schönheit getrübt. Er führte ja selbst eine jener

geschwungenen elfischen Klingen anstelle des geraden Schwertes des

Pferdevolkes. Das Elfenschwert war schlank und mit filigranen Mustern

versehen. Dennoch musste er zugeben, dass sich damit Stoff und Harnisch

gleichermaßen mühelos zerteilen ließen.

Er ritt am Hammergrundweiler vorbei und wechselte ein paar Worte mit

einem der Herdenwächter. Die Bewohner des Weilers begannen soeben, ihr

Tagewerk aufzunehmen. Überall flimmerte die Luft über den Schornsteinen.

Kratzläufer stoben gackernd vor Nedeam auseinander, um dann nicht weit

entfernt erneut nach Nahrung zu picken. Aus einer nahe gelegenen

Bodenmulde war stetes Hämmern zu vernehmen, das noch eine Weile in

Nedeams Ohren nachklang, nachdem er dem Weiler schon längst den Rücken

gekehrt hatte.

Endlich erreichte er das Tal von Eternas und schließlich auch die Stadt.

Zügig trabte er die Hauptstraße von Eternas entlang und nickte den Männern

und Frauen zu, die ihm einen Gruß entboten. Entgegen seinen sonstigen

Gewohnheiten ließ er sich jedoch in kein Gespräch verwickeln. An diesem

Tag störten ihn die Enge und der Lärm der Stadt, obwohl er sie eigentlich

gewohnt war. Vielleicht lag es daran, dass der Besuch auf dem alten Gehöft

so viele Erinnerungen in ihm wachgerufen hatte. Er war erleichtert, die Stadt

bald wieder hinter sich zu lassen und die massiven Mauern der Burg von

Eternas vor sich aufragen zu sehen.

Als er in der Nähe des Tores war, hörte Nedeam Kommandos und das

Dröhnen von Hufen vom westlichen Übungsplatz herüberdringen. Den leicht

kehligen Klang der Kommandostimme kannte er nur zu gut, und er war

neugierig, wie sich ihr Besitzer unter den Schwertmännern schlug. Kurz

entschlossen zog er Duramont herum, erwiderte noch den Salut der Torwache

der Burg und trabte langsam zu den Gebäuden der Schwertmänner hinüber,

die vor einigen Jahren um den Platz herum errichtet worden waren.

Vor Nedeam übte ein Beritt von hundert Schwertmännern die engen

Reitformationen, für die sie beim Gegner so gefürchtet waren. Aber die

mustergültige Ordnung war dahin. Pferde bockten, und einige der Reiter

hatten Mühe, sich im Sattel zu halten. Stimmen schwirrten durcheinander und

wurden nur noch von dem mächtigen Organ des verärgerten Berittführers

übertönt.

Den Männern gegenüber saß ein riesiger Kämpfer auf einem gewaltigen

schwarzen Hengst. Im Gegensatz zu den Schwertmännern mit ihren grünen

Umhängen war er in eine wallende braune Kutte gehüllt. »Haltet die Tiere

ruhig, Pferdemenschen!«, brüllte Fangschlag wütend und bleckte seine

scharfen Fangzähne.

»Bei den finsteren Abgründen, Ihr habt leicht reden«, keuchte ein Reiter,

der krampfhaft versuchte, sein Pferd unter Kontrolle zu bringen. »Die Tiere

sind den Geruch von Orks nicht gewohnt, und außerdem schnappt Euer

verdammter Gaul nach ihnen!«

»Beißer ist ein gutes Pferd«, erwiderte Fangschlag und nickte dazu. »Ein

guter Kämpfer. Angemessen für einen großen Krieger.«

Beißer war ein bösartiges Biest. Das riesige Rundohr war der Einzige, der

sich ihm einigermaßen gefahrlos nähern konnte. Natürlich versuchte der

Hengst immer wieder, auch nach ihm zu treten oder ihn zu beißen, aber es

waren eher halbherzige Versuche, denn Fangschlag war sich nicht zu schade

zurückzubeißen. Wenn das Pferd gar zu störrisch wurde, hieb der Ork ihm mit

der flachen Hand auf den Schädel. Jedes andere Tier wäre davon gefällt

worden, doch auf Beißer hatte es eine besänftigende Wirkung. Pferd und

Reiter passten zusammen, obwohl man sich immer wieder fragen musste, wer

von ihnen am Ende die Oberhand behielte. Aber die beiden waren ein

wahrhaft Furcht einflößendes Gespann. Vielleicht war dies der Grund dafür,

dass man sich noch immer nicht an Fangschlags Gegenwart gewöhnt hatte,

obwohl er nun schon seit sechs Jahren bei den Pferdelords lebte.

Das Rundohr Fangschlag hatte bei der Schlacht von Rushaan die orkischen

Legionen des Schwarzen Lords als Oberkommandeur geführt. Er war den

Pferdelords schon zuvor begegnet und hatte sich im Kampf gegen Nedeams

Ziehvater Dorkemunt als ehrenvoller Kämpfer erwiesen. Er war seit vielen

Jahren von einem leidenschaftlichen Widerwillen gegen das Spitzohr Einohr

beseelt, durch dessen Feigheit und Hinterhältigkeit die Legionen Fangschlags

in Rushaan vernichtet wurden, während sich das Spitzohr selbst in Sicherheit

brachte. Das allein hätte Fangschlag vielleicht noch hingenommen, doch dann

hatte Einohr auch noch einen von Fangschlags Kohortenführern ermordet, um

keine unliebsamen Zeugen zu hinterlassen. Diese feige Tat hatte in

Fangschlag einen abgrundtiefen Hass gegen Einohr wachgerufen. Er hatte in

einen Waffenstillstand mit den Pferdelords eingewilligt, wenigstens so lange,

bis Einohr sein verdientes Ende gefunden haben würde, und war zusammen

mit ihnen in die Hochmark gekommen. Ein einsames Wesen ohne Heimat

und zunächst auch ohne Freunde. Dann gab es Verrat im Pferdevolk und

einen heimtückischen Mordanschlag gegen die Hohe Dame Larwyn. Man

bezichtigte Fangschlag der Tat, doch der alte Pferdelord Dorkemunt befreite

seinen alten Feind und zog mit ihm in das vergangene Reich von Jalanne, um

die Unschuld des Orks zu beweisen. Dort war der tapfere kleine Mann wie ein

wahrer Pferdelord gefallen, und während er in Ehren hinauf zu den Goldenen

Wolken ritt, wuchs zwischen Nedeam und Fangschlag eine tiefe

Verbundenheit. Aus dem feindlichen Ork war ein Freund geworden und ein

wertvoller Verbündeter im Kampf gegen den Schwarzen Lord.

Einer der Schwertmänner wurde nun endgültig abgeworfen und landete

direkt vor den Hufen von Nedeams Duramont. Benommen kam der Mann auf

die Beine und erkannte seinen Oberkommandeur. »Wahrhaftig, Hoher Herr

Nedeam, mein Pferd scheut sicherlich vor keiner einzelnen Bestie zurück,

doch dies hier sind gleich zwei.«

»Fangschlag ist keine Bestie«, rief der Ork und reckte sich im Sattel.

Beißer wollte diese günstige Gelegenheit nutzen, um ihn abzuwerfen, doch

das Rundohr hieb ihm beiläufig die Hand auf den Schädel, und der schwarze

Hengst schnaubte empört. »Fangschlag ist ein Krieger.«

»Wie wir alle schon feststellen konnten.« Nedeam lachte gut gelaunt.

»Und ganz offensichtlich macht es dem Krieger Fangschlag noch immer

Freude, meine braven Schwertmänner zu erschrecken.«

Der Ork entblößte erneut seine Fänge und stieß ein heiseres Bellen aus.

»Nedeam, mein menschlicher Freund, du weißt, ich bin ein friedfertiges

Wesen. Ein zahmer Ork, sozusagen. Und doch erschrecken deine Pferdereiter,

wenn sie mich und meinen kleinen Beißer sehen. Ha, wie müssen sie dann

erst erschrecken, wenn sie meinen wilden Brüdern begegnen?« Fangschlag

bellte erneut und krümmte sich dabei im Sattel. Die Unruhe, die seine

Gegenwart im Beritt ausgelöst hatte, amüsierte ihn. »Deine Männer müssen

sich an mich gewöhnen. Ich bin harmlos. Ich beiße nicht und benutze nicht

mein Schlagschwert. Aber andere werden das tun. Deine Pferdereiter müssen

vorbereitet sein.«

»So ist es, mein Freund.« Nedeam trabte an Fangschlags Seite. Er tat dies

demonstrativ, denn auch wenn man Fangschlag als Kämpfer respektierte, war

es wichtig, den Männern zu zeigen, dass der Erste Schwertmann das Rundohr

als Kampfgefährten und Freund sah. Viele der Pferdelords hatten schon gegen

die Orks gefochten, und die alten Instinkte ließen sich nur schwer

beherrschen. Die Bewohner der Burg und die Schwertmänner waren

Fangschlags Anblick mittlerweile zwar gewohnt, doch in der Stadt und in den

Weilern rief das Rundohr noch immer Abwehr hervor. Daher verbarg sich der

Ork stets unter seiner unförmigen Kutte, und Nedeam achtete darauf, dass der

Krieger mit der dunkel gescheckten Haut nicht allein durch die Hochmark

streifte.

»Fangschlag hat recht, Schwertmänner der Hochmark«, wandte sich

Nedeam an den Beritt, in den nun langsam wieder Ordnung kam. »Die Pferde

müssen sich an seinen Anblick und Geruch gewöhnen. Sie dürfen nicht davor

zurückscheuen.«

»Das tun nur die neuen Tiere«, wandte der Berittführer ein. Der Mann

hatte den Wimpel in die Armbeuge gelegt und folgte leicht amüsiert dem

Treiben. »Wir haben hier einige Pferde, die gerade erst zugeritten wurden.

Das bringt immer etwas Unordnung hinein, Hoher Herr.«

»Das ist wohl wahr«, bestätigte Nedeam. Er bemerkte, wie Beißer

begehrlich auf Duramonts Flanke schielte, aber der braune Hengst war auf der

Hut. »Du solltest dir wirklich ein anderes Pferd zulegen«, raunte er

Fangschlag zu.

»Beißer ist ein gutes Pferd. Groß und stark und bösartig.« Der Ork grunzte

und klopfte seinem Hengst gegen den Hals. »Das Pferd eines wahren

Kriegers.«

»Nun, wenn du es so siehst«, lenkte Nedeam ein und lächelte. »Wir hätten

sicherlich auch Mühe, ein anderes für dich zu finden.«

»Dorkemunt hat es ausgesucht. Eine wahrhaft gute Wahl.« Fangschlag

schürzte die Lippen. »Ein ruhmvolles Ende. Er war ein guter Krieger.

Dorkemunt hatte Ehre.«

»Und er war ein guter Freund«, ergänzte Nedeam.

Fangschlag sah ihn abschätzend an und nickte dann. »Auch Fangschlag ist

betrübt, Freund Nedeam. Ein großer Verlust.«

Der Erste Schwertmann seufzte. Dieser Tag schien voller schmerzlicher

Erinnerungen zu sein. »Ich werde zur Burg reiten, um der Hohen Dame zu

berichten, und danach freue ich mich auf ein Bad und auf Llaranya.«

»Arm umschlingen und Lefzen berühren?«

»Ja, auch darauf freue ich mich«, gestand Nedeam lachend ein.

»Menschliche Wesen sind sehr seltsam.« Fangschlag kratzte sich im

Nacken.

»Manchmal verstehen wir uns selber nicht.« Der Erste Schwertmann sah

zur Burg hinüber. Er glaubte die schlanken Gestalten von Larwyn und

Llaranya auf der Plattform des Signalturms zu erkennen. »Aber wir lernen

dazu.«

Während Nedeam sich der Burg näherte, musste er an die vergangenen

Jahre mit Llaranya denken. Sie waren ein Paar, wie es der Tradition des

Pferdevolkes entsprach, auch wenn die Vereinigungszeremonie nach dem

Brauch des elfischen Volkes ungewohnt gewesen war. Nedeam liebte sein

Weib über alle Maßen und war glücklich mit ihr, doch zugleich stellte diese

Liebe ihn immer wieder auf eine harte Probe. Denn die Elfin war nicht nur

eine schöne Frau, sondern zugleich eine hervorragende Kriegerin. Während

die Frauen des Pferdevolkes das Kriegshandwerk ihren Pferdelords

überließen, scheute Llaranya keineswegs davor zurück, ihre Meinung dazu

kundzutun. Im Prinzip hatte Nedeam auch nichts dagegen einzuwenden,

zudem vermochte er ihrer Beharrlichkeit ohnehin wenig entgegenzusetzen.

Doch gelegentlich wurmte es ihn, dass sie weit besser focht und ritt als er

selbst. Ihre Fertigkeiten waren bei den Schwertmännern anerkannt, dennoch

achtete Nedeam darauf, dass sie nicht allzu oft an den Waffenübungen

teilnahm. Hin und wieder hatte er es zugelassen und dann bemerkt, wie sehr

seine Männer darauf schauten, ob die schöne Elfin vielleicht bei einer ihrer

Übungen die Stirn runzelte. Im Volk der Pferdelords bewunderten die Frauen

die Kunstfertigkeit ihrer Männer im Umgang mit den Waffen, statt ihre

Haltung zu korrigieren und Verbesserungsvorschläge zu machen. Nein,

manchmal fiel es Nedeam nicht leicht, die Eigenheiten des elfischen Volkes

hinzunehmen.

Der Erste Schwertmann ritt in den vorderen Burghof ein, wich einem

Gespann aus, das Mist aus den Ställen zu den Feldern brachte, und stieg am

achteckigen Brunnen aus dem Sattel. Im Schatten des Haupthauses stand der

alte Tasmund. Einst Erster Schwertmann unter dem Pferdefürsten Garodem,

war er aufgrund der im Kampf erlittenen Verletzungen nicht mehr in der

Lage, in den Krieg zu ziehen. Er hatte Nedeams Mutter Meowyn zum Weib

genommen und beriet die Herrin Larwyn in Dingen, welche die Führung der

Hochmark betrafen.

»Verbreitet die Bestie wieder Schrecken?« Tasmunds Lächeln nahm seinen

Worten die Schärfe. Es hatte lange gedauert, bis er Fangschlag akzeptiert

hatte, und gelegentlich klang noch immer etwas von den alten Vorbehalten

durch. »Ich bemerkte Unruhe bei der Formationsübung und glaubte, das

Rundohr zu erkennen.«

»Ja, er bleckt ein wenig die Fänge«, räumte Nedeam ein.

»Nun, das schadet nicht.« Tasmund stützte sich schwer auf einen kurzen

Stock. Sein Rücken schmerzte wieder einmal. »Solange der Bursche nicht

beißt … Der nächste Ork, dem die Männer begegnen, wird nicht bloß seine

Fänge zeigen. Er wird ihr Fleisch wollen.«

Nedeam ließ Duramont am Brunnen saufen und sah am Mauerwerk des

Haupthauses empor. Die Sonne spiegelte sich in den Klarsteinscheiben der

Fenster. »Der Winter kommt in diesem Jahr sehr früh. Morgens liegt schon

Reif auf den Feldern.«

»Der Winter kommt jedes Jahr ein wenig früher und bleibt ein wenig

länger«, brummte Tasmund. »Vor einigen Jahreswenden war es um diese Zeit

noch warm, und es blieb reichlich Zeit, die zweite Ernte einzufahren. Aber

vielleicht täusche ich mich ja, und es sind nur meine alten Knochen, die gegen

die Kälte protestieren.«

»Nein, alter Freund, ich glaube, du hast recht. Es ist einfach noch zu früh

für diese Kälte.«

Tasmund nickte bedächtig. »Immerhin hat es einen Vorteil.« Er sah seinen

Freund schmunzelnd an. »Fangschlag war gestern bei Barus, dem alten

Nagerjäger.« Er lachte auf, als Nedeam die Stirn runzelte. »Barus soll ihm aus

den Nagerpelzen ein warmes Wams fertigen. Diese Kälte setzt den

verdammten Orks weit mehr zu als uns Menschen. Im Winter können sie sich

kaum bewegen und erst recht keinen Krieg führen. Wie es die alten Lieder

schon besingen, die Monde des Winters sind Monde des Friedens.«

»Solange der Schwarze Lord nicht auch auf den Gedanken kommt, seine

Legionen mit Pelzen auszurüsten«, lachte Nedeam.

Tasmunds Gesicht verfinsterte sich. »Reiß die Finsteren Abgründe nicht

auf, mein Freund, auch nicht im Scherz. Das fehlte uns noch.«

Nedeam legte dem Freund die Hand auf die Schulter. »Sei unbesorgt,

Tasmund. Es gibt nicht genug Nager, um all die Orks in Pelz zu hüllen.«

»Wer weiß?« Der alte Kämpfer zuckte die Schultern. »Niemand vermag zu

sagen, was in den Landen der Finsternis vor sich geht.«

Der Erste Schwertmann nickte. »Selbst Fangschlag kann nicht viel darüber

berichten. Er kennt die Bruthöhlen von Cantarim, in denen er geworfen

wurde, und die Gegenden, in die ihn seine Kämpfe führten. Aber er war nie

sehr weit im Osten, dort wo sich der Turm des Schwarzen Lords erhebt.«

»Nun, wie dem auch sei. Es reizt einen nicht gerade hinzureiten, nur um zu

sehen, ob es dort genug Nager für Pelze gibt.«

Sie lachten beide auf und nickten einander zum Abschied zu, und während

Tasmund langsam zum hinteren Burghof hinüberging, betrat der Erste

Schwertmann das Haupthaus, um der Hohen Dame Larwyn zu berichten und

endlich seine geliebte Llaranya wiederzusehen.

Bei seinem Blick zum Signalturm hatte er sich nicht getäuscht. Als er

Larwyns Arbeitszimmer betrat, saßen die beiden Frauen neben dem

Schreibtisch und studierten eine elfische Schriftrolle. Nedeam entbot der

Herrin seinen Ehrengruß und beugte sich dann zu Llaranya, um das

Willkommen mit ihr auszutauschen. Larwyn blickte lächelnd zur Seite und

tat, als betrachtete sie aufmerksam die elfische Karte, die hinter dem

Schreibtisch an der Wand hing. Als Nedeam sich aufrichtete, wies die Herrin

der Hochmark auf einen der gepolsterten Stühle.

»Setzt Euch, mein Freund. Ihr müsst rasch geritten sein, dass Ihr schon so

bald wieder in Eternas seid. Fiel es Euch schwer?«

Nedeam wusste, was die Herrin damit meinte, und nickte. »Das Gehöft

gehört nun Elbort. Er ist ein guter Mann und ein braver Pferdelord, Hohe

Dame. Es befindet sich bei ihm in guten Händen.«

»Und dennoch schmerzt es«, sagte Larwyn leise. »Wahrhaftig, Nedeam,

guter Freund, jeder Verlust hinterlässt seine Spuren in der Fährte unseres

Lebens.« Sie zögerte kurz. »Gibt es … Neuigkeiten?«

»Auf meinem Ritt zum Gehöft begegnete ich einer kleinen

Handelskarawane. Sie ist auf dem Weg nach Norden. Zu den Zwergen und

zur neuen Nordfeste am Pass des Eten. Die ist wohl beinahe fertig, ein

Wunder, das wir dem Fleiß und der Handwerkskunst der kleinen Herren zu

verdanken haben. Die Signaltürme zu errichten, wird weitaus länger dauern.«

Nedeam trat an die Karte heran und fuhr mit dem Finger den Pass entlang, der

von der Nordgrenze der Hochmark durch das Gebirge von Noren-Brak hin

zur Grenze der Öde von Rushaan führte. »Hier oben liegt das Bollwerk und

deckt den Zugang zum Pass. Der ist recht eng, verwinkelt und sehr lang.

Unmöglich, die Signaltürme oben auf den Gipfeln zu errichten. Also werden

sie in die steil aufragenden Felswände gebaut. Ohne die Zwerge wäre das gar

nicht zu schaffen. Es müssen zehn Türme errichtet werden, und keiner von

ihnen darf ausfallen, wenn ein Notsignal rasch zu uns gelangen soll. Die

Zwerge bauen sehr sorgfältig, aber schon ein schwerer Blitzsturm kann einen

Steinschlag auslösen und alles zunichtemachen. Notfalls wird uns die

Besatzung in der Feste doch durch einen Reiter benachrichtigen müssen. Aber

die Anlage wird stark genug sein, auch einer längeren Belagerung

standzuhalten, und wir würden sie sicherlich noch schnell genug erreichen.«

»Falls es je einen Angriff auf sie geben wird«, wandte Larwyn ein. »Der

Pass von Rushaan ist versperrt, und weiter im Norden gibt es keinen Weg,

den der Schwarze Lord nehmen könnte. Zu weit und zu kalt.«

»Ja, zu weit und zu kalt«, stimmte Nedeam zu. »Da wir von Kälte sprechen

… der Winter bricht früh herein, und wir müssen uns eilen, die Vorräte

einzubringen.«

Larwyn lächelte sanft. »Die Bauern sind dabei, und zwei Beritte der

Schwertmänner unterstützen sie. Gibt es Nachrichten von … Garwin?«

Nedeam zuckte entsagungsvoll die Schultern. »Nein, keine Nachrichten

über den Verbleib dieses … von Garwin.«

»Nennt es ruhig beim Namen, mein Freund. Garwin mag mein Sohn sein,

doch er ist auch ein Verräter und Renegat. Mit dem heimtückischen Verrat an

unseren Männern in Jalanne und dem Versuch, mich, seine eigene Mutter, zu

ermorden, hat er mit dem Pferdevolk gebrochen. Nein, Nedeam, Garwin ist

nun zu einer Gefahr für uns alle geworden. Es gibt Gerüchte, dass er Männer

um sich sammelt. Gerüchte, dass er den König stürzen und sich selbst zum

Herrn des Pferdevolkes machen will.« Larwyns Augen verrieten den

Schmerz, den sie empfand. »Das muss verhindert werden, Nedeam. Garwin

muss Einhalt geboten werden.«

»Es gibt keine Spur von ihm.« Nedeam wandte sich erneut der Landkarte

zu und deutete mit einer ausholenden Bewegung über die Marken des

Pferdevolkes. »Niemand kann sagen, ob er überhaupt noch in den Marken ist

oder sich nicht sogar ins Königreich Alnoa zurückgezogen hat, wo er sich

weit besser verbergen kann.«

»Das glaube ich nicht«, meldete sich Llaranya zu Wort. »Man mag von

ihm denken, was man will, doch feige ist er nicht. Hinterlistig und

rücksichtslos, ja, aber nicht feige. Nein, er wird nicht weit sein, denn ich

glaube nicht, dass er seine Pläne aufgegeben hat.«

»Ja«, stimmte Nedeam zu. »Was immer das für Pläne sein mögen, wir

werden sicherlich noch von ihm hören. Und ich glaube nicht, dass uns das

gefallen wird.«