Die UFO-AKTEN 57 - Kolja van Horn - E-Book

Die UFO-AKTEN 57 E-Book

Kolja van Horn

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Beschreibung

Mehr als ein Jahr ist vergangen, seitdem die junge Frau, die sie als Green Genie kennengelernt hatten, spurlos aus Las Vegas verschwand und dabei mehrere Tote hinterließ. Nun führen Hinweise Judy Davenport und Cliff Conroy nach Maine. Dort treffen sie im streng bewachten Internat Summerhill, das von Senator Campbells Organisation unterhalten wird, auf den mittlerweile zwölfjährigen Michael, den sie einst aus den Fängen des Kriminellen Nelson DeLoran befreien konnten. Ihr neuer Auftrag lautet nun: Sich auf die Fährte von Green Jeanie zu setzen, in der Hoffnung, durch sie auch dem untergetauchten DeLoran auf die Spur zu kommen ...

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Seitenzahl: 134

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalt

Cover

Die Wundersamen

UFO-Archiv

Vorschau

Impressum

Kolja van Horn

Die Wundersamen

Bowers Farm, unweit von Moosehead

Maine, 28. Oktober 2023, 19:31 Uhr

Obwohl es bereits dämmerte, war die Luft auf der Veranda immer noch schwül und drückend. Morgan Bowers' Hemd klebte feucht an seinem Körper. Er trank einen großen Schluck aus seinem Glas und warf einen Blick auf die leere Flasche mit dem billigen Schnaps von Benny's Liquors. Es war die letzte aus einem halben Dutzend, das er vor ein paar Tagen mit den Dollarscheinen gekauft hatte, die er in der Küche stehenden Kaffeedose gefunden hatte.

Daneben lag ordentlich zusammengelegt ein Strick ...

»Kein Schnaps mehr da«, murmelte er mit schwerer Zunge und grinste gequält. »Also wohl auch kein Grund mehr, es noch länger hinauszuzögern.«

Er seufzte, stützte die Hände auf die Lehnen des Rattanstuhls und stemmte sich hoch.

Hinter der Scheune tauchte die untergehende Sonne den Abendhimmel in ein ungesund dunkles Violett, das Morgan Bowers an einen frischen Bluterguss erinnerte. Mit dem Hanfseil in der rechten Hand schlenderte er über den Hof und trat aus einem halbherzigen Impuls heraus gegen den linken Vorderreifen des Fords. Der zwanzig Jahre alte Pick-up vor dem halb offenen Scheunentor befand sich nur deshalb noch auf der Farm, weil die Bank den Schrotthaufen für uninteressant befunden hatte.

Berechtigterweise; die paar Gallonen im Tank waren vermutlich mehr wert als das gesamte rostige Blech drumherum.

Darüber hinaus hatten die mitleidlosen Bastarde des Inkassounternehmens nichts hiergelassen, dessen Wert über ein paar Dollar hinausging, als sie vor drei Tagen (oder waren es fünf? Morgans Erinnerung wurde allmählich etwas schwammig, seit er sich nur noch flüssig und hochprozentig ernährte) hier aufgekreuzt waren und ihm die Pfändungsgenehmigung unter die Nase gehalten hatten.

Er war froh gewesen, dass Isabel und noch mehr Jamie und Luther, seine beiden Jungs, das nicht hatten miterleben müssen. Seine Noch-Ehefrau hatte ihn vor knapp einer Woche (oder so; jedenfalls war es ein Sonntag gewesen und der Abend, bevor die Wichser von der Bank gekommen waren – als hätte Isabel es gerochen) im Streit verlassen und die Kinder mitgenommen.

Im Toyota, der deutlich besser in Schuss war als der Truck, und vermutlich zu ihren Eltern nach Bangor, die sie bestimmt mit selbstzufriedenen Mienen und den Worten empfangen hatten: »Haben wir's nicht gleich gesagt?«

George und Betty Evans hatten Morgan nie gemocht. Beide unterrichteten an der High School und hielten sich deshalb wohl für etwas Besseres. Isabel hatte das früher zwar nie gestört, doch nun würde sie wohl nicht mehr umhinkommen, Mom und Dad darin zuzustimmen, dass sie einen Versager geheiratet hatte.

Jetzt stand er hier, Morgan Bowers junior, Farmer in fünfter Generation, der das Ackerland bereits vor fünfzehn Jahren vom Vater übernommen hatte. Genau genommen allerdings vor den Trümmern seiner Existenz.

Der Betrieb war schon damals von Morgan Bowers senior nicht mehr wirklich profitabel gewesen, weshalb er alles getan hatte, um das zu ändern. Dabei hatte er auf effizienteres Saatgut, Kunstdünger, die chemische Keule gegen Schädlinge und intensivere Bodennutzung gesetzt. Das stellte sich nun, in Zeiten des Klimawandels, als fatal heraus. Ihr übermäßig durch Monokulturen beanspruchtes Ackerland hatte nämlich durch die Dürren der letzten Jahre noch mehr an Fruchtbarkeit verloren als das mancher Nachbarn.

Hinzu kamen die erdrückenden Schulden, weil er die modernste Technik für die Landmaschinen haben wollte und fest daran geglaubt hatte, was ihm die Vertreter der Firmen suggerierten – Hightech würde sich auch in der Landwirtschaft auszahlen, es bräuchte eben nur einen etwas längeren Atem.

Diese rosige Zukunft hatte sich jedoch nicht eingestellt. Stattdessen war ihm schließlich im Würgegriff der Banken der Atem ausgegangen. Noch vor fünf Jahren hatten sie ihm ihre Kredite förmlich aufgedrängt, um sich jetzt wie Geier auf die kümmerlichen Reste zu stürzen.

Nicht einmal den beschissenen Fernseher hatten sie ihm gelassen! Aber das war noch sein geringstes Problem. Schließlich liefen da ohnehin immer nur dieselben deprimierenden Nachrichten über wirtschaftlichen Niedergang und ökologische Katastrophen in Dauerschleife, wenn man sich kein teures Abonnement für Netflix, Paramount, Apple oder wenigstens Kabelfernsehen (alles würden die Jungs natürlich bei den Evans vorfinden, das war ja klar) leisten konnte.

Besonders schlechte Laune überkam Morgan, wenn der Bauernfänger mit dem gelben Haar, der sich nun wieder aus der Deckung wagte, auf dem Bildschirm auftauchte und tat, als wären all die Lügen und leeren Versprechungen, denen Morgan und Millionen andere damals aufgesessen waren, niemals ausgesprochen worden.

Wäre das Jagdgewehr noch im Schrank des Wohnzimmers, oder wenigstens einer der beiden Revolver, dann hätte Morgan sich vielleicht überlegt, an seinem letzten Tag auf Gottes Erde noch den einen oder anderen Idioten drüben in Moosehead in die Hölle vorauszuschicken. Er hätte da einige gute Kandidaten gewusst, allen voran Jeremy »The Woodsman« Hancock, den Bürgermeister der Gemeinde, der ihm vor der Wahl im letzten Jahr das Blaue vom Himmel versprochen hatte – und nun eiskalt pfänden ließ. Denn Hancock war auch der Filialleiter der Bank, bei der Morgan Bowers bis zum Hals in der Kreide stand. Aber Waffen und Munition hatten die freundlichen Helfer des Kreditinstituts natürlich ebenfalls eingesteckt.

Also musste er sich selbst genügen. Und einen Strick benutzen statt einer Smith & Wesson, um dem Elend endlich ein Ende zu setzen.

Im ersterbenden Sonnenlicht, das durch die halbblinden Fenster in der Rückwand der Scheune hereinfiel, sah er Staub- und Strohpartikel miteinander um die Lufthoheit streiten. Letztere stiegen von den wenigen Ballen auf, die in der Ecke gestapelt waren. Sie taugten nicht einmal als Viehfutter, nur noch zur Fermentierung in der Biogasanlage von Robbie Chance, vier Meilen die Straße hinauf.

In Gedanken fragte Morgan sich, ob Robbie das Zeug wohl abholen würde, sollte man ihn hier irgendwann finden, vom Querbalken hängend, der vor dem Heuboden unter dem Dach verlief. Bei diesem Einfall lächelte er schief und schüttelte ungläubig den Kopf über sich selbst, denn das spielte jetzt doch wirklich keine Rolle mehr.

Nun ließ er den Großteil des Seils zu Boden fallen, hielt den verbliebenen Rest in seiner Hand und schaute zum Balken hinauf, um den Strick hinaufzuschleudern. Doch da bemerkte er jemanden, der mit übergeschlagenen Beinen am Rand des Heubodens saß und zu ihm hinunterblickte.

»Lassen Sie das bleiben, Mr. Bowers.«

»Schei...ße ...« Bowers taumelte zwei Schritte zurück und schnappte nach Luft. Er ließ das Ende des Stricks fallen, geriet ins Stolpern und hätte sich fast auf den Hosenboden gesetzt. Der Schreck, der ihn durchfuhr, sorgte dennoch buchstäblich dafür, dass er sich ein bisschen in die Hosen machte.

»Gut«, kommentierte sein unerwarteter Gast zufrieden und meinte damit wohl das Seil, das Morgan Bowers entglitten war.

Bowers blinzelte, rieb sich die Augen und starrte erneut hinauf zur Kante des Heubodens – doch die Fremde saß immer noch dort. Und das, obwohl ihr eigenartiges Aussehen durchaus dazu gepasst hätte, dass der Alkohol ihm Trugbilder vorgaukelte.

Vor allem die Haare ... Schulterlang, in der Mitte gescheitelt und unten herum schwarz, oben auf dem Kopf aber knallgrün. Vage glaubte Morgan sich an ein Musikvideo zu erinnern, in der eine Sängerin mit fast derselben Frisur und Leichenbittermiene über den Bildschirm geschlichen war, aber an deren Namen konnte er sich nicht mehr erinnern – und es machte wohl auch wenig Sinn, dass sich ein Popstar in seine Scheune verirrte.

»Wer zum Teufel bist du?«, brachte er endlich hervor, und die junge Frau lächelte.

»Ein rettender Engel?« Sie hob die Hände und schüttelte den Kopf, wie um klarzumachen, dass das ein Scherz gewesen war. »Nein, Engel ist wohl das falsche Wort. Aber aufhängen müssen Sie sich trotzdem nicht, so viel ist mal klar.«

Morgan verzog die Lippen. »Ach ja? Was weißt du denn schon? Verzieh dich und lass mich allein, verdammt!« Er kniff die Augen zusammen, insgeheim immer noch damit rechnend, dass die junge Frau da oben sich im nächsten Moment in Luft auflösen würde.

Was sie jedoch nicht tat. Stattdessen verschränkte sie die Arme vor der Brust und musterte ihn halb vorwurfsvoll, halb mitfühlend. »Hören Sie zu ... ich habe mir erlaubt, hier in der Scheune für ein paar Tage Unterschlupf zu suchen. Deshalb habe ich das ein oder andere mitbekommen.«

»Du hast hier in der Scheune übernachtet – seit mehreren Tagen?«, fragte Bowers verblüfft, obwohl das eigentlich gar nicht so erstaunlich war. Er war schon seit mindestens einer Woche nicht mehr hier drinnen gewesen – und seit Isabels Abreise ohnehin größtenteils ziemlich weggetreten.

»Ich habe nichts geklaut, keine Sorge.« Sie ließ kurz den Blick wandern und hob dann die Achseln, als wolle sie hinzufügen: Was sollte man hier auch mitgehen lassen?

»Jedenfalls kann ich gut verstehen, dass du ziemlich mies drauf bist«, sagte die junge Frau. »Vor allem, nach dem, wie dich diese Mistkerle mit dem Transporter behandelt haben. Als wärst du der letzte Dreck.«

Morgan Bowers verzog das Gesicht und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ist ja wirklich nett von dir, Mädchen. Trotzdem wäre ich jetzt lieber allein, wenn du nichts dagegen hast.«

Sie glitt geschickt an der Leiter herab und lächelte, als sie vor ihn trat. Der Blick aus ihren tiefgrünen Augen jagte ihm aus unerfindlichen Gründen einen Schauder über den Rücken. Morgan strich sich das Haar aus der Stirn und brummte: »Also dann, gute Weiterreise.«

Sie schüttelte den Kopf, klopfte ihm auf die Schulter und fragte: »Wie steht's mit deinen Nachbarn, Morgan? Gibt's da jemanden, der dir bei der Ernte helfen würde?«

Er runzelte die Stirn und registrierte vage, dass sie ihn plötzlich mit du und seinem Vornamen ansprach.

»Was ... was denn für 'ne Ernte? Da draußen gibt es nichts zu ernten außer Dreck.«

Sie legte ihm eine Hand ins Kreuz und schob ihn sanft, aber bestimmt in Richtung der Tür, die in der Rückwand der Scheune hinaus auf eines seiner Felder führte.

»Was soll der Unsinn?«, murmelte er, ließ sich aber von der jungen Frau bis zur Tür führen, ehe sie sie öffnete, und ihm buchstäblich die Kinnlade runterfiel.

Da draußen – wo gestern noch kaum etwas außer Gestrüpp und sandigem grauen Boden zu sehen gewesen war – standen nun leuchtend goldene Ähren, mehr als kniehoch bis zur Indianerbirnen-Hecke am anderen Ende des Feldes etwa hundertzwanzig Meter entfernt. Reife Gerste, und das Ende Oktober.

»Das ... das ... das ist ... völlig unmöglich«, stammelte er entgeistert, woraufhin die Frau neben ihm die Arme ausbreitete und gelassen entgegnete: »Und doch ist es real. Keine Angst, Morgan – du bist zwar besoffen, aber nicht verrückt.«

Er trat einen Schritt von ihr zurück und legte sich die Hand über den Mund, schüttelte den Kopf und starrte sie völlig fassungslos an. »Wer ... bist du?«, fragte er schließlich noch einmal.

»Jean«, antwortete sie, und ein leises Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. »Manche nennen mich Green Jeanie. Und jetzt weißt du auch, warum.«

Summerhill

Maine, 10. November 2023, 11:32 Uhr

»Auffällig unauffällig«, murmelte Cliff und ließ den Blick über die majestätischen Douglasien schweifen, die die Auffahrt säumten, während er den Winnebago im Schritttempo vorwärtsrollen ließ.

Judy runzelte nachdenklich die Stirn und fragte: »Was meinst du?«

»Die Überwachung. Vermutlich wird jeder Quadratzentimeter von mindestens drei Kameras abgedeckt, aber sehen kann man kaum eine ... Da!« Er zeigte auf eine unscheinbare Lücke im tiefen Grün, und Judy nickte nach kurzem Zögern, als sie das Gerät am Stamm ausmachte, obwohl es wie eine Wildtierkamera in Tarnfarben lackiert war.

»Es wäre ja wohl auch fahrlässig, nicht größten Wert auf die Sicherheit zu legen, wenn man bedenkt, wer in Summerhill beherbergt ist«, kommentierte sie.

»Beherbergt, kaserniert – oder vielleicht doch eher eingesperrt?« Cliff warf seiner Partnerin einen kurzen Seitenblick zu. »Wissen wir, ob alle sich dort aus freien Stücken aufhalten?«

»Vielleicht hat uns der Senator ja genau deshalb hierher eingeladen – weil er dein bekanntes Misstrauen ihm gegenüber zerstreuen will«, erwiderte Judy.

Cliff griente. »Überrascht hat mich der alte Geheimniskrämer damit schon, zugegeben. Was musstest du ihm versprechen, damit er uns derart offenherzig Zugang zu einer der geheimsten Einrichtungen des Landes gewährt?«

»Nichts weiter. Ich habe mich lediglich nach dem kleinen Michael erkundigt. Wie es ihm geht, seit wir ihn in Vegas der Obhut von Campbells Männern überlassen haben. Daraufhin hat er mir die Koordinaten und eine Wegbeschreibung nach Summerhill zukommen lassen.«

»Einfach so?«

»Einfach so.« Judy hob die Achseln und verdrehte die Augen. »Herrgott, Cliff – nach zwei Jahren solltest du langsam den Gedanken zulassen, dass Senator Campbell zu den Guten gehört.«

»Wir sind hier in keinem Western aus den 1950er-Jahren, Judy. Hier die Guten, da die Bösen, das ist mir etwas zu einfach.«

Judy setzte zu einer Antwort an, überlegte es sich aber anders, als nach einer Wegbiegung das Eingangstor in Sicht kam. Es wirkte wenig einladend; zwei wuchtige Betonsäulen fassten blickdichten Stahl ein, auf den Kronen der Torflügel und der Säulen stachen Metallspitzen in den Himmel. Links und rechts des Tores verlief eine gut vier Meter hohe Ziegelmauer am Waldrand entlang.

»Ausgesprochen hübsch«, bemerkte Cliff sarkastisch. »Sieht ganz so aus wie der Zugang zu einer Wohlfühloase.«

Zwei breitschultrige Kerle erwarteten sie. Ihre Mienen wirkten nicht unfreundlich, die Ausbuchtungen unter den leger geschnittenen Sportsakkos waren aber unübersehbar.

Einer der beiden kam näher, trat neben den Winnebago und machte eine kreisende Handbewegung, die Cliff signalisierte, das Fenster herunterzulassen.

»Mr. Conroy und Ms. Davenport?«

Die heisere und feminin hohe Stimme des vierschrötigen Mannes überraschte Cliff derart, dass seine Antwort in einem Laut endete, der irgendwo zwischen Husten und Prusten lag. Er versuchte den Heiterkeitsausbruch zu tarnen, indem er sich kopfschüttelnd die Faust vor den Mund hielt und sich lautstark räusperte, während Judy neben ihm zustimmend den Kopf bewegte.

Der Wächter nickte, drückte einen Knopf auf einer Fernbedienung und die Torflügel glitten leise auf ihren Schienen auseinander.

»Das kommt davon, wenn man Polyester-Unterwäsche trägt«, erklärte Cliff mit todernster Miene, nachdem er den Winnebago durch das Tor gelenkt hatte.

Jenseits der festungsgleichen Mauern verlor sich der Anschein einer Strafanstalt sofort, wie er anerkennen musste. Links und rechts erstreckten sich Grünflächen mit blühenden Sträuchern, der gepflegte Kiesweg beschrieb eine sanfte Kurve und strebte auf ein majestätisches Hauptgebäude im Neuengland-Stil zu, das von mehreren Nebenbauten flankiert wurde. Als sie die sanfte Hügelkuppe passierten, wurde der Blick frei auf Sportplätze, die sich linker Hand bis zum Waldrand gut eine halbe Meile entfernt erstreckten.

Ein paar der Schüler und Studenten wanderten über den Campus, saßen mit Büchern im Schoß auf hellblau gestrichenen Bänken oder schlugen Bälle auf den beiden Tenniscourts. Kaum jemand schaute in ihre Richtung, als er das Wohnmobil auf den halbkreisförmigen Vorplatz steuerte.

Das fand Cliff zwar etwas merkwürdig, denn Besucher von draußen waren sicher selten – aber da es sich bei den Schülern, die er zu Gesicht bekam, ausschließlich um männliche Teenager handelte, verbuchte er die betont gleichgültigen Mienen als aufgesetzte Coolness.

Senator James Victor Campbell erwartete sie auf der Freitreppe, die hinauf zum Eingang des Instituts führte. Er hatte jemanden an seiner Seite, der Cliff unwillkürlich an seinen Physikprofessor auf der Highschool erinnerte: Abfallende Schultern, ein überlanger Hals und das Gesicht einer Eule mit kaum sichtbarer Nase, runden Augen, die von dicken Brillengläsern auf das doppelte vergrößert wurden und einem lippenlosen Mund. Darüber hinaus trug er einen großkarierten Pullunder unter einem Cordjackett undefinierbarer Farbe mit den unvermeidlichen Lederflicken an den Ellenbogen.

Neben dem wie immer perfekt gekleideten und frisierten Campbell mit seinen blitzenden Zähnen und der Sonnenbankbräune wirkte der Mann, als hätte man den lokalen Footballstar dazu verdonnert, dem größten Loser der Schule zur Seite zu stehen.

»Ernest Gingerbread, der Direktor von Summerhill«, stellte der Senator den Brillenträger seinen beiden Bundesmarshals vor, und Gingerbread überraschte sie mit einem durchaus selbstbewussten Lächeln und festem Händedruck.

»Sie beide haben also unseren Michael Coors aus den Klauen dieser Kinderfänger befreit«, konstatierte er, woraufhin Judy den Kopf hin- und herbewegte.

»Nun, nicht ganz, Mr. Gingerbread«, erwiderte sie. »Eigentlich war es eine junge ...«

»Unsere Zeit ist knapp bemessen«, fiel Campbell ihr hastig ins Wort, »daher würde ich Sie gern sofort hereinbitten. Nach einer kleinen Führung gibt es nämlich noch etwas anderes zu besprechen.«

Sie gingen nun auf den Eingang zu, und Cliff tauschte einen bedeutungsvollen Blick mit Judy, während er die Augenbrauen hob.

Im Foyer hielten sich nur zwei junge Frauen hinter dem Empfangstresen auf. Sie nickten ihnen freundlich, aber etwas reserviert zu, bevor sie Gingerbread und Campbell in einen leeren Flur folgten. Judys Schuhe klapperten deutlich auf dem Fliesenboden, dessen Muster ein filigranes Labyrinth bildete.

Hinter den Türen links und rechts ließen sich leise Stimmen vernehmen, größtenteils von Jugendlichen, ab und an auch die eines Erwachsenen.