1,99 €
Von den verkohlten Überresten der Häuser, erst vor wenigen Wochen errichtet, stieg immer noch Rauch auf. Doch es war nicht nur der Geruch verbrannten Holzes, der in der Luft lag, als Sheriff Randy Bowers mit verdrossener Miene den Schauplatz des Verbrechens inspizierte.
"Keine Überlebenden", brummte er. Es war keine Frage, dennoch erwiderte sein Deputy Bobby Chance: "Nope, Sir."
"Irgendwelche Hinweise, wer diese Sauerei veranstaltet hat?"
Chance spuckte zu Boden und hob resigniert die Achseln. "Als Amos Guthrie vorbeikam, war schon alles geschehen. Er hat niemanden gesehen - außer den Toten natürlich -, und ist dann gleich nach Harpers Edge gekommen, um uns zu alarmieren."
Bowers nickte grimmig. Achtzehn Leichen und keine Spur von den Mördern. Es sah ganz danach aus, als würde er die alten Kollegen von der Brigade Sieben zu Hilfe rufen müssen.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 139
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Der Tod und seine Lügen
Vorschau
Impressum
Der Tod und seine Lügen
von Kolja van Horn
Von den verkohlten Überresten der Häuser, erst vor wenigen Wochen errichtet, stieg immer noch Rauch auf. Doch es war nicht nur der Geruch verbrannten Holzes, der in der Luft lag, als Sheriff Randy Bowers mit verdrossener Miene den Schauplatz des Verbrechens inspizierte.
»Keine Überlebenden«, brummte er. Es war keine Frage, dennoch erwiderte sein Deputy Bobby Chance: »Nope, Sir.«
»Irgendwelche Hinweise, wer diese Sauerei veranstaltet hat?«
Chance spuckte zu Boden und hob resigniert die Achseln. »Als Amos Guthrie vorbeikam, war schon alles geschehen. Er hat niemanden gesehen – außer den Toten natürlich –, und ist dann gleich nach Harpers Edge gekommen, um uns zu alarmieren.«
Bowers nickte grimmig. Achtzehn Leichen und keine Spur von den Mördern. Es sah ganz danach aus, als würde er die alten Kollegen von der Brigade Sieben zu Hilfe rufen müssen.
Als sie zu ihren Pferden zurückkehrten, erkannte Randy Bowers den Karren von Aleister Poudran, dem Undertaker. Der Mann und seine Gehilfen würden an diesem Wochenende Überstunden machen müssen, so viel stand fest.
Neben ihm wandte Chance sich ab und übergab sich lautstark ins wadenhohe Präriegras. Bowers verzog die Lippen und stemmte die Fäuste in die Hüften, während er darauf wartete, dass der revoltierende Magen seines Deputies wieder zur Ruhe kam. Es dauerte eine Weile.
»Tut... tut mir leid, Sir«, brachte Chance schließlich gepresst und mit roten Augen hervor, als er sich wieder aufrichtete. »Aber... das war das Übelste, was... ich je zu... Gesicht bekommen habe.«
»Schon okay. Geht's wieder?« Bowers legte dem jungen Burschen eine Hand auf die Schulter, und der nickte tapfer.
»Denke schon.« Chance war kreideweiß im Gesicht, rang sich aber ein schiefes Lächeln ab und wischte mit dem Handrücken über den Mund. Sie gingen weiter und erreichten die Pferde in dem Moment, in dem Poudran daneben seinen pechschwarzen Rappen zum Stehen brachte.
»Was in Gottes Namen ist hier geschehen, Sheriff?«, fragte Poudran und strich sich dabei über das Revers seines dunklen Gehrocks. »Die Deutschen... sind die etwa alle...?«
Bowers hob die Augenbrauen, ein wenig überrascht darüber, dass ausgerechnet Poudran sich scheute, das Wort auszusprechen. Schließlich lebte er davon.
»Tot. Allerdings, es sieht ganz danach aus. Deshalb sollten Sie sich Verstärkung holen, Mr. Poudran – ehe die Kojoten Ihnen zuvorkommen.«
Der Undertaker kratzte sich im Nacken und fragte: »Von wie vielen armen Seelen sprechen wir?«
»Wenn es stimmt, was Roland Hoffstetter bei seiner Ankunft im März angegeben hat, dann waren es achtzehn. Neun Männer, fünf Frauen, vier Kinder.«
Neben Bowers stieß der Deputy einen erstickten Laut aus, und der Sheriff warf ihm einen kurzen Seitenblick zu. Aber Chance musste nicht wieder kotzen, sondern hatte lediglich seiner Betroffenheit Ausdruck verliehen.
»Sollen sie auf unserem Boothill bestattet werden?« Poudran hob die buschigen Augenbrauen. »Das würde Gebühren für die Gemeindekasse nach sich ziehen – über meinen sonstigen Lohn hinaus, meine ich.«
Der Sheriff warf einen Blick in die Runde. »Ich denke, sie hätten sich gewünscht, auf ihrem eigenen Grund und Boden begraben zu werden«, brummte er, tippte sich zum Abschied gegen die Hutkrempe und stiefelte zu seinem Braunen. Der Deputy folgte ihm, doch als Bowers sich in den Sattel schwang, schüttelte er den Kopf. »Sorry, Bobby. Aber jemand muss hier die Stellung halten und aufpassen, dass nicht geplündert wird.«
Chance breitete die Arme aus. »Aber was soll es hier noch zu stehlen geben, Sir? Es ist doch so gut wie alles verbrannt!«
»Keine Widerrede, du bleibst«, brummte Bowers. »Mach dich nützlich und geh Mr. Poudran zur Hand. Keine Sorge, ich werde ein paar Männer zusammentrommeln und dich bald ablösen lassen. Aber wenn ihr etwas von Wert findet – oder was auf die hinweist, die das hier getan haben, dann nimmst du es an dich und gibst mir Bescheid, verstanden?«
Sichtlich angewidert bei der Vorstellung, sich wieder den qualmenden Ruinen und Leichen zuwenden zu müssen, wurde Bobby Chances langes Pferdegesicht noch um einiges länger. Aber er nickte, und Bowers wendete seinen Falben, ehe er ihn mit sanftem Schenkeldruck in Trab versetzte und durch die Prärie lenkte, bis er nach einer halben Meile die Poststraße erreichte und sich nach Westen wandte, Harpers Edge entgegen.
Die Siedler aus Deutschland waren erst vor wenigen Wochen in die Plains gekommen. Ein hünenhafter Mann, der sich als Roland Hoffstetter vorgestellt hatte und offensichtlich der Wortführer der Gruppe gewesen war, außerdem zwei Familien, die Merlings und die Beckers. Sie waren mit acht Planwagen in der Stadt aufgetaucht, hatten Besitzurkunden vorgezeigt und verkündet, sich vier Meilen südlich von Harpers Edge niederlassen zu wollen. Hoffstetter war höflich, aber reserviert aufgetreten, und der Rest der Neuankömmlinge hatte kaum ein Wort verloren. Von ihrem Äußeren her hatten sie eigentlich ganz normal ausgesehen, aber nach diesem Tag hatte sich außer Hoffstetter, der bei der Bank ein Konto eröffnet und ein Schließfach gemietet hatte, keiner der neuen Nachbarn mehr in Harpers Edge blicken lassen, weshalb man spekulierte, dass sie vielleicht irgendeiner obskuren Abspaltung des christlichen Glaubens anhingen und deshalb lieber unter sich blieben. Gerade aus Mitteleuropa kamen in diesen Jahren immer wieder Trecks mit seltsamen Vögeln an, um in der Einsamkeit der Plains unbehelligt von Vorurteilen nach eigenem Gusto zu leben.
Immerhin hatten sie den Anstandsbesuch bei ihm und dem Friedensrichter gemacht, und ihre Papiere schienen in Ordnung zu sein. Obwohl Bowers ein wenig überrascht darüber gewesen war, dass derart einfache Leute über viertausend Acres des besten Weide- und Ackergrunds ihr eigen nannten, der in der Umgebung noch zu erwerben gewesen war. Dasselbe galt für Judge Cummings, weshalb sie sich telegrafisch in der Hauptstadt erkundigt hatten – und die Antwort war prompt gekommen. Hoffstetter und seine Leute hatten das Land völlig rechtmäßig erworben.
Nun ja... es war wohl kein Zufall, dass der Gouverneur des Staates ebenfalls den Namen Hoffstetter trug. Doch ein Schelm war, wer dabei Böses dachte. Wie auch immer – Hoffstetters Beziehungen, womöglich bis in höchste Kreise, mochten ihm zwar einen Grundbesitz verschafft, aber möglicherweise auch Neider auf den Plan gerufen haben, die vor Mord nicht zurückschreckten.
Natürlich kamen auch andere Täter für das Verbrechen in Frage. Beispielsweise die Bande der Strauchdiebe, die seit einiger Zeit die Gegend unsicher machte und von den Leuten nur die Ghostriders genannt wurde. Denn sie kamen aus dem Nichts, begingen brutale Überfälle und verschwanden wieder, ohne Zeugen zu hinterlassen, die noch in der Lage gewesen wären, sie beschreiben zu können.
Oder es steckten die Lakota dahinter – die wenigen, die nach der Umsiedlung in ein Reservat siebzig Meilen weiter nördlich noch durch die Plains streiften und sich partout nicht damit abfinden wollten, ihr angestammtes Revier zu räumen.
Vielleicht ein oder zwei Dutzend starrköpfige junge Krieger – die genaue Zahl kannte auch Bowers nicht – versteckten sich im dicht bewaldeten nördlichen Teil der Western Hills unweit der Stadt und sorgten immer wieder für Ärger, indem sie Vieh stahlen, Zäune zerstörten oder ihre Wut an einsam stehenden Scheunen ausließen. Dabei ging durchaus auch mal ein Gebäude in Flammen auf, was zum Tatort passen mochte, den er gerade hinter sich gelassen hatte.
Obwohl Randy Bowers es sich durchaus zutraute, die Morde selbst aufzuklären, wusste er doch, dass er sich durch übertriebenen Eigensinn gehörigen Ärger einhandeln konnte. Die Namensgleichheit ihres Gouverneurs mit dem Anführer der niedergemetzelten deutschen Siedler war Grund genug, eine weitere Depesche in die Hauptstadt zu schicken. Außerdem, wenn er schon einmal den Weg zur Telegrafenstation an der Bahnlinie auf sich nahm, die ein paar Meilen nördlich von Harpers Edge verlief, auch ein Ersuchen nach Washington. Es war nicht unmöglich, dass Gouverneur Hoffstetter ebenso auf die Idee kam, sich an das Justizministerium und deren spezielle Einsatztruppe zu wenden, doch schließlich war Bowers selbst mal Agent der Brigade Sieben gewesen. Warum die Dinge also nicht persönlich ins Rollen bringen?
✰
Tiefe Schatten fielen auf den massigen Körper des Mannes, der in einem Korbstuhl am Ende der Veranda saß und eine Zigarre rauchte. Das Ranchhaus wirkte verlassen bis auf ihn und seinen Besucher; alle Fenster waren dunkel, der wuchtige Bau wuchs aus der Landschaft empor wie ein riesiges totes Wesen aus der Urzeit. Hinter den Baumwipfeln senkte sich die Sonne nieder und färbte die Szenerie mit ihren letzten Strahlen purpurrot. Auch den Besucher, der auf den Treppen zur Veranda stehengeblieben war und die Krempe seines Huts in den Händen drehte wie ein nervöser Bittsteller. Dabei sah man, dass er nur neun Finger hatte.
»Hatten wir nicht zehn Uhr verabredet? Du kommst fast eine halbe Stunde zu spät...« Die Stimme des Mannes im Lehnstuhl klang heiser und eigentümlich schwermütig.
»Entschuldigen Sie. Ein paar Ihrer Leute kamen mir entgegen, auf der Weide. Ich musste einen Umweg nehmen, damit sie mich nicht zu Gesicht bekommen.«
»Gut. Dies wird auch dein letzter Besuch hier sein, klar? Wenn es irgendetwas gibt, benutzt du den üblichen Weg. Auf der Ranch möchte ich niemanden von euch mehr sehen.«
»Verstanden.«
Der korpulente Mann sog an seiner Zigarre, und für einen kurzen Moment erhellte die Glut ein teigiges, von Narben verunstaltetes Gesicht und zu Schlitzen verengte Augen.
»Also los, red schon. Ist alles erledigt?«
»Wie Sie es verlangt haben«, erwiderte der Besucher. »Sie sind alle tot, und der Brand wird nicht viel von ihnen übrig gelassen haben.«
»Alle? Bist du sicher?«
»Klar. Wir haben sie umzingelt, keine Chance, dass jemand davonkommen konnte.«
»Habt ihr die Spur gelegt?«
»Natürlich.« Ein Hauch von Ungeduld schlich sich in die Stimme des Mannes auf den Stufen.
»Hauptsache, ihr seid geschickt genug gewesen, damit es funktioniert«, brummte der Zigarrenraucher.
»Das wird es, mein Wort darauf.« Der Besucher zögerte einen Augenblick, dann fragte er: »Wann bekommen wir unseren Lohn?«
»Sobald ich sicher bin, dass alles so läuft wie geplant.«
»Aber...« Der Mann mit dem Hut unterbrach sich, fuhr dann etwas ruhiger fort, »es ist alles erledigt. Was sollte also noch...«
»Habt ihr gezählt?«, unterbrach ihn der Raucher brüsk, und seine heisere Stimme zischte wie eine angriffslustige Klapperschlange.
Der Angesprochene legte die Stirn in Falten. »Ob... ja, haben wir.«
»Wie viele?«
Der Mann nannte die Zahl, und der Raucher stieß einen wütenden Laut aus, ehe er antwortete: »Das sind zu wenig!«
»Aber... das waren alle, die dort waren! Ich schwör's Ihnen!« Der Blick des Besuchers weitete sich, und er blickte sichtlich beunruhigt auf den langläufigen Revolver, der neben dem Raucher auf dem Tisch lag.
»Ich kenne die Zahl derer, die mit Hoffstetter gekommen sind, du Kretin! Warum auch immer, ihr habt nicht alle von ihnen erwischt.«
»Das ist unmöglich!«
»Und doch entspricht es der Wahrheit.« Der Raucher wedelte mit seiner Zigarre durch die Luft und knurrte: »Ihr werdet herausfinden, wer von diesen Deutschen noch atmet, und dann bringt ihr es zu Ende – haben wir uns verstanden?«
Als sein Besucher einen Moment mit der Antwort zögerte, streckte der Raucher die Hand aus und legte sie um den Griff des Schießeisens auf dem Tisch.
»Schon gut, ich habe es gehört.« Der Mann auf den Stufen setzte den Hut wieder auf und eilte zu seinem Pferd, das er ein paar Schritte vor dem Ranchhaus an der Tränke zurückgelassen hatte. Er schwang sich in den Sattel und ritt grußlos davon.
✰
»Randy Bowers?«
Lassiter legte die Stirn in Falten. »Nie gehört, den Namen. Er war Brigadeagent?«
»Vor Ihrer Zeit, Lassiter.« Julius Penderton hatte sich erhoben und war an die Bar getreten. Mit fragendem Blick hob er eine mit bernsteinfarbener Flüssigkeit gefüllte Karaffe, und Lassiter nickte. Der Rechtsanwalt goss zwei Gläser halbvoll, nahm sie und kehrte an den Tisch zurück. »Er zählte zu den ersten, die nach dem Krieg rekrutiert wurden, war vorher Offizier in der Army. Ein harter Hund, im Übrigen auch bei mehreren Missionen Waffenbruder von Milton Huxley.«
Lassiter nickte mit säuerlicher Miene. Obwohl Milton ihn ausgebildet hatte, war ihr letzter gemeinsamer Auftrag Grund genug gewesen, nichts mehr zu schaffen zu haben wollen mit seinem ehemaligen Mentor. Nicht zum ersten Mal hatte der altgediente Agent ihn hinters Licht geführt, benutzt und betrogen. Doch dies war das eine Mal zu viel gewesen vor drei Jahren.* Seitdem waren sie sich nicht mehr begegnet, und Lassiter hatte gegenüber der Brigade-Sieben-Führung unmissverständlich klar gemacht, dass das auch so bleiben solle.
»Falls Sie glauben, dies sei für mich eine Empfehlung, was Mr. Bowers angeht, dann täuschen Sie sich«, brummte Lassiter mürrisch. »Ich und Huxley sind geschiedene Leute.«
»Ist mir bekannt«, erwiderte Penderton und nippte an seinem Drink. Er musterte Lassiter über den Rand des Glases hinweg. »Wussten Sie eigentlich, dass er sich vor kurzem zur Ruhe gesetzt hat? Ist auf eine Farm gezogen nach...«
»Interessiert mich einen feuchten Kehricht«, fuhr Lassiter dem Anwalt brüsk ins Wort, griff nach seinem Glas und trank den Whisky in einem Schluck aus, ehe er fragte: »Warum bin ich hier, Sir? Bei allem Respekt!«
Penderton stellte sein Glas ab und streckte beschwichtigend die langfingrigen Hände vor. »Natürlich, entschuldigen Sie.« Er erhob sich und ging zu seinem Schreibtisch hinüber, um einen Ordner zu holen, den er vor Lassiter auf den Tisch legte.
»Es geht um Mord...«
»Das tut es meistens«, warf Lassiter ein.
»An achtzehn Einwanderern. Männer, Frauen – und auch vier Kinder.«
Lassiters Miene veränderte sich, und er lehnte sich zurück. »Okay... fahren Sie fort.«
»Die Sache hat sich in den Plains zugetragen – etwa hundertfünfzig Meilen südöstlich von hier. Da Sie gerade in der Stadt waren, traf es sich gut. Mit dem Zug können Sie schon morgen Mittag vor Ort sein.« Penderton nahm noch einen Schluck von seinem Drink, ehe er fortfuhr.
»Bei den Opfern handelt es sich um Deutsche, die vor einem halben Jahr in Boston ankamen und sich von dort aus mit Planwagen auf den Weg nach Westen gemacht haben. Ihr Anführer hat sich in Harpers Edge – das ist die nächstgelegene Gemeinde – vorgestellt und nachgewiesen, dass er der Eigentümer eines stattlichen Stückes Land ist...«
»War, oder nicht?« Lassiter verzog die Lippen zu einem humorlosen Grinsen. »Nun ist er tot.«
»Sicher.«
»Gibt es irgendwelche Nachkommen?«
Penderton hob die Achseln. »Das wissen wir noch nicht, aber es werden natürlich entsprechende Nachforschungen angestellt.«
»Warum hat dieser Sheriff Bowers uns um Hilfe gebeten?« Lassiter starrte sein Gegenüber forschend an. »Als ehemaliger Agent der Brigade Sieben hält er sich nicht für kompetent genug, den Fall selbst zu lösen?«
Penderton hob die Schultern. »Möglicherweise hatte er deshalb Bedenken, weil der Gouverneur mit den Opfern verwandt sein könnte.« Der Advokat klopfte mit den Fingerknöcheln auf die Akte, die vor Lassiter auf dem Tisch lag. »Alles Weitere finden Sie in dem Dossier. Außerdem ein Umschlag mit hoffentlich ausreichender Barschaft und das Billett für die Bahn. Ihr Zug fährt in einer knappen Stunde, also sollten Sie sich besser beeilen.«
✰
Am frühen Morgen des nächsten Tages, Randy Bowers trank gerade seinen zweiten Becher Kaffee, erschien Bobby Chance zum Rapport. Mit vereinten Kräften hatten die Männer aus Harpers Edge die Deutschen noch am gestrigen Abend unter die Erde gebracht, wobei einige der Körper derart verbrannt waren, dass es nicht mal mehr möglich gewesen war, sie auseinanderzuhalten. Poudran hatte schließlich bestimmt, diese sterblichen Überreste zusammen in einer Grube zu bestatten. Ein Problem war dadurch mit den Kreuzen entstanden, die über den Gräbern aufgestellt werden sollten – also hatte man sich darauf geeinigt, dass Isaak Stern, der Schreiner und Tischler der Gemeinde, ein großes Kreuz erstellen solle, auf dem dann alle Namen der bedauernswerten Opfer Platz finden konnten.
Außer deprimierenden Details über den vergangenen Abend hatte sein Deputy aber noch einen Fund zu präsentieren, der Bowers immerhin ein grimmiges Lächeln entlockte, wenn es auch keinerlei Humor in sich trug.
Ein bestickter Lederbeutel, dessen Inhalt aus Knochen eines Vogels, ein paar Federn und kleinen Steinen bestand, unverkennbar indianischen Ursprungs.
Der Sheriff sah seinen ersten Verdacht bestätigt und überließ Chance die Aufsicht über das Office, um sich selbst auf den Weg zum südlichen Stadtrand von Harpers Edge zu machen.
Die meisten Lakota hatten sich in ihr Schicksal ergeben und von der Army in ein Reservat eskortieren lassen, mit Ausnahme der störrischen jungen Rothäute, die randalierend durch die Gegend zogen. Doch es gab noch eine dritte Gruppe Indsmen, nur ein knappes Dutzend, die hiergeblieben waren – mit Duldung der Weißen und als Teil der Gemeinde. Das funktionierte bisher leidlich, weil die beiden Lakota-Familien sich umstandslos angepasst hatten und selbst für die niedrigsten Arbeiten nicht zu schade waren. Sie trugen Kleidung der Weißen, aßen, was die aßen und akzeptierten Gesetze ebenso wie Hungerlöhne.
Bowers begegnete Looka-Rey und Cally-Moon, den Oberhäuptern der Familien, dennoch nach wie vor mit Argwohn. Sie lieferten ihm bisher zwar keinen Grund dafür, aber das Misstrauen gegen die Rothäute war ihm seit den Indianerkriegen in Fleisch und Blut übergegangen – und die Jahre in der Brigade hatten keinerlei Gründe geliefert, dem abzuschwören.