Lassiter 2724 - Kolja van Horn - E-Book

Lassiter 2724 E-Book

Kolja van Horn

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Beschreibung

Der scharfe Knall des Gewehrschusses zerriss die friedliche Stille auf der Passstraße. Der Wallach stieß ein überraschtes Schnauben aus, doch das erfahrene Armeepferd blieb auf den Ruck am Zügel hin sofort stehen. Während heißes Blei eine Armlänge links von Lassiters Kopf vorüberzischte und auf einen Felsen prallte, ehe es mit wütendem Heulen davonjagte, sprang der Mann der Brigade Sieben aus dem Sattel und brachte sich mit zwei ausgreifenden Sätzen hinter dem Felsen in Deckung, der statt seiner getroffen worden war.
Welcher heimtückische Bastard wollte ihn hier auf freier Strecke zur Hölle schicken? Die Augen zu Schlitzen verengt, wanderten seine Blicke über die karstigen Klippen, die sich rechts des Weges und gegenüber aus der gähnenden Schlucht heraus in den Himmel reckten. Doch vom Schützen war nichts zu entdecken.

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Seitenzahl: 145

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Cover

Tod eines Richters

Vorschau

Impressum

Tod eines Richters

von Kolja van Horn

Der scharfe Knall des Gewehrschusses zerriss die friedliche Stille auf der Passstraße. Der Wallach stieß ein überraschtes Schnauben aus, doch das erfahrene Armeepferd blieb auf den Ruck am Zügel hin sofort stehen. Während heißes Blei eine Armlänge links von Lassiters Kopf vorüberzischte und auf einen Felsen prallte, ehe es mit wütendem Heulen davonjagte, sprang der Mann der Brigade Sieben aus dem Sattel und brachte sich mit zwei ausgreifenden Sätzen hinter dem Felsen in Deckung, der statt seiner getroffen worden war.

Welcher heimtückische Bastard wollte ihn hier auf freier Strecke zur Hölle schicken? Die Augen zu Schlitzen verengt, wanderten seine Blicke über die karstigen Klippen, die sich rechts des Weges und gegenüber aus der gähnenden Schlucht heraus in den Himmel reckten. Doch vom Schützen war nichts zu entdecken.

Allerdings war Lassiter ziemlich sicher darüber, dass der Attentäter sich ihm gegenüber hinter einer bizarr geformten Felsmauer verbarg, deren gezackte Spitzen aussahen wie der Rücken eines schlafenden Drachen. Hinter dem steinernen Wall lag ein langgezogenes Plateau, auf dem sich ein mannshohes Geflecht ineinander verknoteter Mesquitesträucher erstreckte.

Er glaubte, dort kurz vor dem Knall im Augenwinkel das Mündungsfeuer aufblitzen gesehen zu haben. Außerdem war das Plateau augenscheinlich der einzige Platz auf der anderen Seite des Canyons, den ein Schütze erreichen und an dem er Position beziehen konnte. Jenseits davon fielen die Felswände schroff und steil in die Tiefe und boten keinerlei Möglichkeit dafür.

Er hob den Kopf ein Stück über die Kante des Felsbrockens, um vielleicht eine Bewegung seines Gegners auszumachen, und wurde sofort belohnt. Ein zweiter Schuss krachte, diesmal besser gezielt, denn er riss ihm den Stetson vom Schädel, ehe er hastig den Kopf wieder einzog.

In aufflammendem Zorn fuhr seine Hand zum Griff des Remington, ehe er den Kopf schüttelte. Wenig war in dieser Situation nutzloser als sein Sechsschüsser. Sein Blick fuhr zum Scabbard, in dem die Winchester steckte. Die wäre deutlich hilfreicher, aber der Schütze da oben hinter den Felsen hatte gerade unter Beweis gestellt, dass er in der Lage war, ihm den Schädel wegzublasen, sobald er ihn noch einmal zu weit erhob.

Lassiter verzog die Lippen, dann stieß er zwei Pfiffe aus, und der Wallach drehte ihm den Kopf zu.

»Genau, Kumpel«, knurrte der Brigadeagent. »Du hast mich schon verstanden, oder?« Er pfiff noch einmal, diesmal ein leicht abgewandeltes Kommando. Das dreijährige Armeepferd schüttelte kurz sein Haupt. Dann bewegte es sich langsam rückwärts.

Grinsend fuhr Lassiter sich mit dem Handrücken über die schweißbedeckte Stirn. Es ging doch nichts über ein gut trainiertes Reittier. Der Wallach reagierte auf ein gutes Dutzend gepfiffener Befehle, geriet selbst in einer Schießerei nicht in Panik, war robust, genügsam und in den vier Monaten, seit Lassiter das Tier in Fort Bendix erstanden hatte, so weit mit seinem Besitzer verbunden, dass er wohl niemanden sonst mehr auf seinen Rücken lassen würde.

Der Wallach näherte sich ihm, und sein Schweif schlug ein wenig nervös hin und her. Fliegen wichen ihm aus und summten dabei verärgert. Nur noch zwei, drei Yards, dann würde der Körper des Pferdes wenigstens zum großen Teil in der Schusslinie stehen, und das Scabbard mit dem Karabiner...

Ein Schuss krachte, dann noch einer. Die Projektile schlugen so dicht vor den Vorderhufen des Wallachs ein, dass der ins Tänzeln geriet. Mit einem raschen Laut brachte Lassiter das Pferd zum Stehen, ehe er einen Fluch zwischen den Zähnen zerbiss.

»Ich weiß, was Sie vorhaben! Und ich werde das Pferd erschießen, wenn es nicht wieder dahin geht, wo es war!«

Lassiter runzelte die Stirn. Vorsichtig schob er sich links an dem schützenden Felsen entlang und spähte hinauf zu den Felsen gegenüber. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte er, eine Reflexion des Sonnenlichts auf Metall zwischen den Gesteinszacken aufblitzen zu sehen.

»Ich spaße nicht! Der Gaul!«

Lassiter verzog das Gesicht, doch er pfiff das Kommando, das den Wallach bewog, wieder vorwärts zu trotten, ehe ein zweiter Pfiff das Tier zum Stehen brachte.

»Und jetzt?«, rief er. »Was wollen Sie machen? Warten, bis ich verhungert bin? Von da oben werden Sie mich jedenfalls nicht erwischen.«

Lassiter wartete auf eine Antwort, schließlich war es der Heckenschütze gewesen, der das Schweigen gebrochen hatte. Außerdem hatte der dabei etwas Wichtiges von sich preisgegeben, dass den Brigadeagenten eine schnelle Antwort erwarten ließ.

Denn bei dem Heckenschützen handelte es sich ohne Zweifel um eine Frau.

Doch es vergingen zwei geschlagene Minuten, dann vier, ohne dass die schießwütige Lady sich zu einer Äußerung herabließ. Schließlich seufzte Lassiter und rief: »Hören Sie... ich kann hier hinter dem Felsen seelenruhig die Dämmerung abwarten und mich dann im Dunkeln davonmachen. Oder Sie sagen mir einfach, was...« Er verstummte, als er das Geräusch sich entfernender Hufe hörte, das durch den Canyon hallte.

Offenbar hatte die Frau erkannt, dass mit dem Überraschungsmoment auch jede Chance vertan war, Lassiter nonchalant das Lebenslicht auszublasen, und gab nun Fersengeld. Was nicht hieß, dass sie es nicht bei nächster Gelegenheit wieder versuchen würde.

Doch Lassiter, den eine vage Ahnung zur Identität der unbekannten Schützin beschlich, hatte nicht vor, darauf zu warten. Stattdessen galt es, selbst wieder das Heft des Handelns in die Hände zu bekommen. Also sprang er in den Sattel und trieb den Wallach zur Eile an.

Ein Schild an einer Wegbiegung verriet ihm, dass noch vier Meilen zwischen ihm und seinem Ziel Vultures Creek lagen, und das Geierpaar, das krächzend über ihm kreiste, schien Lassiter den Weg weisen zu wollen. Es war keine Mission der Brigade Sieben, die ihn in diese gottverlassene Gegend geführt hatte. Sondern ein Artikel im Santa Fé Observer, der über den Mord am ehrenwerten Richter Endeavour Nolan berichtete.

Er war Nolan – damals jedoch tatsächlich in seiner Funktion als Brigadeagent – vor acht Jahren begegnet, als in der Region Gesetze weniger wert waren als eine Gewehrkugel. Der furchtlose Jurist hatte es sich zum Ziel gesetzt, das zu ändern und die Outlaws, die die Siedler in der Gegend rund um die gerade gegründete neue Gemeinde in Angst und Schrecken versetzten, in ihre Schranken zu weisen. Mit der Unterstützung eines Bundesmarshals, eines halben Dutzends Deputies und dreier Brigadeagenten war ihm das in einer wochenlangen gewalttätigen Auseinandersetzung gelungen, und dafür hatte er sich die Dankbarkeit und Bewunderung der gesetzestreuen Bewohner von Stadt und Umgebung erworben.

Doch der Preis dafür war hoch gewesen.

Als den Banditen klar geworden war, dass sie die Schlacht verlieren würden, hatten sie sich darauf besonnen, was Nolans vermeintliche Achillesferse war – seine junge Frau und die zwölfjährige Tochter. Und versuchten, beide zu entführen.

Nolans Leibwächtern gelang es, die Tochter davor zu bewahren, verschleppt zu werden, aber die Frau des Richters gelangte in die Fänge der Outlaws, die daraufhin forderten, Nolan solle mit seinen Schergen die Stadt verlassen, wolle er seine Gattin lebend wiedersehen.

Der Richter hatte keine Wahl, als sich zu weigern – und appellierte an die Vernunft der Banditen. Denn sie würden nichts gewinnen damit, ihn zur Flucht zu treiben, weil dann ein anderer käme.

Die Antwort der Gesetzlosen folgte rasch und war drastisch: der Kopf von Nolans Frau in einem Weidenkorb.

Doch damit hatten die Outlaws ihr eigenes Schicksal besiegelt. In einer gnadenlosen Hetzjagd wurden sie durch die Prärie verfolgt und keiner entging seiner gerechten und endgültigen Strafe. Der Sieg über das Verbrechen war vollständig und dauerhaft, doch der blutige Weg dahin hatte Richter Nolan zu einem anderen Menschen gemacht. Unbeugsam und kompromisslos war er schon zu Beginn gewesen, doch mit dem Tod seiner Frau schienen ihn die Zuversicht und der Glaube an das Gute im Menschen verlassen zu haben, die zuvor sein Wesen in Balance gehalten hatten.

Lassiter, der länger in der Stadt geblieben war als die anderen, war in Sorge gewesen über die seelische Gesundheit des aufrechten Mannes, doch die Liebe zu seiner Tochter schien Nolan letzten Endes den Halt zu geben, um über den Verlust der Gattin hinwegzukommen. Hinzu kam das Ansehen, das schon an Heldenverehrung grenzte, welches er unter der Bevölkerung genoss.

So hatte der Agent der Brigade Sieben sich damals von einem Mann verabschiedet, der zwar seelisch verwundet, aber nicht gebrochen war – und fest entschlossen schien, sein Leben dem Recht in Vultures Creek zu widmen.

Was war geschehen? Der Artikel in der Gazette erging sich in vagen Andeutungen darüber, dass Nolan illegale Landnahmen gedeckt und dafür kassiert hatte. Der Schreiberling spekulierte sensationsheischend über einen Racheakt geprellter Farmer, die vergeblich auf den starken Arm des Gesetzes gehofft hatten.

Acht Jahre mochten eine lange Zeit sein – doch der Nolan, den er kannte, sollte seitdem zu einem korrupten Steigbügelhalter von Landhaien geworden sein? Das kam Lassiter völlig undenkbar vor.

Viel wahrscheinlicher erschien es ihm, dass der Richter sich mit den Leuten angelegt hatte, die in der Region mit illegalen Mitteln Grund an sich reißen wollten, und das mit dem Leben bezahlt hatte.

Was und wer auch immer hinter dem Mord an Endeavour Nolan steckte: Er würde es herausfinden.

Lucious Casberg sah den Ärger bereits kommen, als der alte Horowitz gegenüber unter dem Vordach seines Eisenwarenladens in einer Geschwindigkeit aus dem Schaukelstuhl emporschoss, als hätte man seinen Hosenboden in Brand gesteckt. Ungeachtet seines ständigen Klagens über Rückenschmerzen sprang Horowitz mit einem agilen Satz die Stufen zur Straße hinab und stellte sich der Reiterin in den Weg, die gerade von Osten her in die Stadt getrabt kam.

»Du bist ja immer noch hier, Florence«, krähte der Alte, und die Empörung ließ seine Stimme heiser und viel zu hoch klingen.

Die junge Frau strich sich das rotblonde Haar aus der Stirn. Sie wirkte erschöpft. »Ich wohne hier in Vultures Creek, Mr. Horowitz. Genau wie Sie.«

Horowitz öffnete mehrfach den breiten Mund und schloss ihn wieder. Es sah fast so aus, als wolle er nach den Nüstern von Florence Nolans Pferd schnappen.

»Du bist hier nicht mehr erwünscht, und das weißt du, Mädchen«, knurrte der Alte schließlich. »Besser, du siehst das ein und verschwindest, ehe noch ein Unglück geschieht.«

Casberg seufzte lautlos und trat aus dem Schatten hinaus auf die Mainstreet. Er klemmte sich die Daumen hinter den Revolvergurt und rief mit gewichtiger Miene. »Sei vorsichtig mit dem, was du sagst, Adam.«

Horowitz wandte den Kopf und warf ihm einen giftigen Blick zu. »Sie hat hier nichts mehr verloren«, zischte er. »Also kann sie das schmutzige Geld ihres Vaters nehmen und machen, dass sie davonkommt.«

»Zunächst mal bist du es, der sich verzieht«, gab Casberg ungerührt zurück. »Sofort, oder ich mach dir Beine!« Er ging ein paar drohende Schritte auf den Ladenbesitzer zu, und der schnaubte erbost, ehe er sich trollte.

»Danke, Sheriff«, sagte Florence Nolan leise, während sie dem Ladenbesitzer nachschaute, bis sich die Tür von Horowitz' Geschäft hinter ihm geschlossen hatte. »Aber mit dem alten Stinkstiefel wäre ich schon allein fertig geworden.«

»Daran habe ich nicht den geringsten Zweifel.« Casberg grinste schief. »Nett, dass du mir trotzdem die Gelegenheit gelassen hast, mich als Ordnungshüter aufzuspielen.« Seine Worte waren nur halb im Scherz gemeint; seit er in dem Disput um den ermordeten Richter Nolan, der seit Wochen die Gemeinde in zwei Parteien spaltete, Position bezogen hatte, wurde seine Autorität regelmäßig in Frage gestellt. Müsste er sich in diesen Tagen zur Wahl stellen, würde er sicher nur einen Bruchteil der vierhundertsechsunddreißig Stimmen erhalten, die vor drei Jahren für ihn votiert hatten. Das waren damals mehr als vier von fünf Wahlberechtigten gewesen.

Damals, bevor der Baron ins Tal gekommen und die hübsche kleine Welt in und um Vultures Creek sich schlagartig verdunkelt hatte.

»Warst du auf Hasenjagd?«, fragte er mit einem Blick auf die Winchester im Scabbard der jungen Frau. »Wenn du willst, kann ich dir Fleisch bei Hoss Bennings besorgen – du musst mir nur sagen, was du möchtest.«

Casberg wusste, dass der Metzger sich wie viele andere Händler in der Stadt inzwischen rundheraus weigerte, Florence zu bedienen. Nach dem Tod ihres Vaters waren jene, die Nolans Ermordung für eine gerechte Strafe hielten, Florence noch eine Weile mit einer Mischung aus Mitleid und Ressentiment begegnet. Doch inzwischen setzte sich die alttestamentarische Sichtweise durch, auch die Kinder für die vermeintlichen Sünden der Eltern in die Mitschuld zu nehmen.

Natürlich gab es noch viele Bürger in Vultures Creek, die nicht aufgehört hatten, an die Redlichkeit ihres Richters zu glauben. Und die deshalb auch jetzt noch zu seiner Tochter hielten.

Aber sie waren in der Minderheit. Und viele hielten es für klüger, ihre Meinung lieber nicht zu laut kundzutun. Denn die, die den so lange fast vergötterten Richter nun verteufelten, waren die lauteren und gewaltbereiten in der Stadt.

Nicht ohne Grund lag Endeavour Nolan seit drei Wochen sechs Fuß tief begraben auf dem Boothill.

»Nett von Ihnen«, erwiderte Florence und bemühte sich um ein Lächeln, doch es drang nicht bis zu ihren Augen hinauf. »Ich komme bei Gelegenheit darauf zurück. Aber für heute Abend haben mich die Jacksons zum Dinner eingeladen, ich bin also versorgt.«

»Beneidenswert.« Casberg verzog das Gesicht. »Macht Betsy etwa ihren legendären Rollbraten?«

Florences Lächeln wurde breiter. Und sah fast schon echt aus. »Sie haben's erraten. Und zum Nachtisch rechne ich mit Apple Pie. Genug und mehr, bis ich um Gnade flehe.«

Casberg lachte. »Besser, du reitest jetzt weiter, ehe du einen gestandenen Sternträger vor Neid in Tränen ausbrechen siehst.«

Sie tippte sich an die Krempe ihres Huts und versetzte das Pferd mit sanftem Schenkeldruck in Bewegung.

Erst, als sie hinter der Kurve der Mainstreet verschwunden war, kam Casberg in den Sinn, dass Florence es geschickt verstanden hatte, seine dezente Frage danach, was sie draußen vor der Stadt getrieben hatte, zu beantworten.

Wenn Blicke töten könnten, wäre sie auf den paar hundert Yards, die sie durch Vultures Creek und hinauf auf den Weg über den bewaldeten Hügelkamm führten, an deren Ende ihr Haus lag, wohl ein Dutzend Male leblos aus dem Sattel gekippt. Niemand trat ihr mehr in den Weg oder schleuderte ihr auch nur hasserfüllte Worte über ihren Vater, den gefallenen Engel, hinterher, aber das eisige Schweigen und die verkniffenen Mienen waren eigentlich noch schlimmer als der zeternde Giftzwerg Horowitz.

Wie hatte es nur so weit kommen können? Die Antwort war kompliziert und nicht mit ein paar Worten zu erklären. Und sie musste sich eingestehen, dass ihr Vater nicht ganz unschuldig daran gewesen war. Dennoch machte es Florence immer noch fassungslos, wie leicht es scheinbar so vielen in dieser Stadt gefallen war, ihren Richter zu verdammen und als korrupten Verräter zu verleugnen, ungeachtet seiner Verdienste um die Gemeinde.

Die Hufe ihres Pferdes machten kaum ein Geräusch auf dem dichten Bett aus Kiefernadeln, Zapfen und Moosbewuchs, das den Weg bedeckte. Die Nadelbäume trugen bis in zehn Fuß Höhe kaum Äste und wuchsen mit mehreren Yards Abstand zueinander, so dass die Sicht auf die Häuser ihrer Nachbarn kaum behindert war. Deshalb sah sie Betsy einen guten Steinwurf entfernt drüben in ihrem Küchengarten Kräuter zupfen, und die ältere Frau bemerkte sie ebenfalls. Beide winkten sich zu, und Florence rief: »Bleibt es bei Sieben?«

»Nicht, wenn du etwas Besseres vorhast, Schätzchen«, erwiderte Betsy, worauf Florence lächelte.

»Kein Gedanke! Als würde ich mir das entgehen lassen.«

»Dann bis später.«

Florence winkte noch einmal, glitt aus dem Sattel und führte ihren Schimmel am Haus vorbei zum Stall. Sie versorgte das Tier und kümmerte sich auch um die anderen beiden Pferde in den Nachbarboxen, ehe sie mit der Winchester zum Haus zurückkehrte und sich dabei wie üblich wachsam umschaute. Der stete Blick über die Schulter war ihr seit Dads Tod zur zweiten Natur geworden, obwohl sie es hasste, sich derart von der vermeintlichen Bedrohung vereinnahmen zu lassen.

War sie wirklich in Gefahr? Vermutlich nicht. Im Gegensatz zu ihrem Vater, dem Richter, war sie keine wirkliche Gegnerin für den Landhai Baron Eugen von Strelitz, der sich vor knapp drei Jahren hier breitgemacht und von Anfang an keinen Zweifel daran gelassen hatte, dass er kein freundlicher Nachbar sein wollte, sondern unumschränkter Herrscher.

Es gab niemanden mehr, der sich ihm in den Weg stellte, und Florence hatte keine Beweise dafür, dass von Strelitz hinter dem Mord an ihrem Vater steckte. Und Regierungsagenten die Erfüllungsgehilfen waren, wie Vater ihr gegenüber noch kurz vor seinem Tod behauptet hatte.

Die Sonne versank hinter den Baumwipfeln, und irgendwo im dichten Grün rief ein Käuzchen. Doch nirgendwo bemerkte Florence einen Bewaffneten, der durch die Büsche schlich, also öffnete sie die Hintertür und trat ins Haus.

Im Korridor stellte sie die Winchester zurück ins Waffenregal und verharrte kurz vor den vier Gewehren. Vielleicht war das dumm gewesen vorhin, vielleicht würde sie den Versuch aber auch wiederholen.

Als sie sich in Richtung Wohnzimmer wandte und zwei Schritte machte, erstarrte sie im nächsten Moment beim Anblick der hochgewachsenen Gestalt, die vor den großen Fenstern neben der Eingangstür stand. Die Sonne schien direkt hinter dem Mann in den Raum, blendete Florence ein wenig und brachte sie zum Blinzeln, während sie versuchte, die dunkle Silhouette zu identifizieren. Obwohl ihr Verstand längst die Antwort kannte.

»Was sollte der Blödsinn, Florence? Ich habe vom Tod deines Dads gelesen, komme, um zu helfen, und du willst mir eine Kugel in den Kopf jagen?«

Sie war versucht, herumzuwirbeln und die Winchester wieder aus dem Regal zu reißen, aber Lassiter, der offenbar ihre Gedanken lesen konnte, schüttelte den Kopf. »Lass das Gewehr dort, wo es ist. Erklär mir lieber, was in dich gefahren ist. Ich will dir helfen, zum Teufel!«