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Als in seinem Rücken ein erstickter Fluch ertönte, drehte sich Oswald Shane alarmiert im Sattel um an und legte die Hand auf den Revolvergriff, in einer einzigen fließenden Bewegung. Zuerst starrte er kurz in die raubtierhaften Augen der Gefangenen, ehe sein Blick zu Deputy Kitting glitt, der sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Hand hielt. Seine Feldflasche hatte er fallen gelassen.
"Miststück!", presste Kitting hervor, ehe er sich seinem Boss zuwandte: "Das Aas hat mich gebissen, Sheriff!"
Shane registrierte, dass die schwere Fesselung, die Matilda auf ihrem Palomino hielt, nach wie vor intakt war, ignorierte deren blutiges Grinsen und spuckte angewidert auf den Prärieboden, ehe er Kitting beschied: "Selbst Schuld, Moose. Wer einer Bestie nahe kommt, passt lieber gut auf seine Finger auf."
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Seitenzahl: 144
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Ein falscher Hund in Uniform
Vorschau
Impressum
Ein falscher Hund in Uniform
von Kolja van Horn
Als in seinem Rücken ein erstickter Fluch ertönte, drehte sich Oswald Shane alarmiert im Sattel um und legte die Hand auf den Revolvergriff, in einer einzigen fließenden Bewegung. Zuerst starrte er kurz in die raubtierhaften Augen der Gefangenen, ehe sein Blick zu Deputy Kitting glitt, der sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Hand hielt. Seine Feldflasche hatte er fallen gelassen.
»Miststück!«, presste Kitting hervor, ehe er sich seinem Boss zuwandte: »Das Aas hat mich gebissen, Sheriff!«
Shane registrierte, dass die schwere Fesselung, die Matilda auf ihrem Palomino hielt, nach wie vor intakt war, ignorierte deren blutiges Grinsen und spuckte angewidert auf den Prärieboden, ehe er Kitting beschied: »Selbst Schuld, Moose. Wer einer Bestie nahekommt, passt lieber gut auf seine Finger auf.«
»Was soll das heißen?«, krähte Deputy Moose Kitting trotzig, während er seinen mageren Schecken ein Stück nach links bewegte, um etwas Abstand zu ihrer Gefangenen zu gewinnen. »Ich hab' ihr doch nur was zu Trinken geben wollen.«
»Aber klar, Moose.« Rick Bannister, Shanes zweiter, älterer Deputy lachte spöttisch. Dabei tanzte und bebte sein üppiger Schnauzbart über den Lippen. »An die Titten wolltest du ihr, nichts weiter.«
»Das ist nicht wahr, Sheriff – ich schwör's Ihnen«, beteuerte Kitting, wobei sein Gesicht derart rot anlief, dass die ausgedehnte Hügellandschaft aus Pickeln darunter fast verschwand und seinen Schwur Lügen strafte. »Die Gefangene hat mir zu verstehen gegeben, dass sie Durst hat. Da ist es doch wohl die geringste Christenpflicht...«
»Und wie hat sie dir das mitgeteilt, Spatzenhirn?«, fiel Bannister dem jungen Rotschopf ins Wort, »ich habe nämlich nichts gehört, keinen Muckser.«
Oswald Shane ging es genauso, doch das war nicht überraschend. Schließlich hatte Matilda Moreno kein einziges Wort mehr gesprochen, seit Judge Reinhold sie gestern Nachmittag zum Tode verurteilt hatte.
»Man hat's gesehen«, blaffte Moose Kitting zurück. »Außerdem hat sie seit drei Stunden nichts mehr bekommen, und das bei der Hitze.«
»Na und?«, erwiderte Bannister ungerührt und schob sich eine Zigarette in den Mundwinkel. »Hast du etwa Angst, dem Henker in Fort Bascom den Spaß zu rauben, wenn sie uns vorher tot aus dem Sattel kippt?« Er hielt ein Feuerzeug an den Glimmstängel, paffte einen Zug und zuckte die Achseln. »Die wären wahrscheinlich froh, wenn wir ihnen die Mühe ersparen.«
Matilda Moreno stieß einen gutturalen Laut aus, der alles Mögliche zum Ausdruck bringen mochte, von Missbilligung über Ungeduld bis zu höhnischer Verachtung. Zu einem in Worte gefassten Kommentar ließ sie sich immer noch nicht herab, schüttelte nur ihre lange rotbraune Mähne und straffte die Schultern – soweit es die Stricke, mit denen ihre Hände hinter dem Rücken an der Sattellehne und die Kette, mit der ein Lederriemen um ihren Hals vorn am Sattelhorn festgehalten wurden, zuließen.
Außerdem waren beide Füße der Latina mit Handschellen an die Steigbügel gekettet; jemand, der nicht wusste, um wen es sich bei der Frau handelte, die sie zu ihrem letzten Gang eskortierten, hätte sich bei der Art und Weise, wie sie auf ihrem Gaul fixiert worden war, wohl an Illustrationen von mittelalterlichen Foltermethoden erinnert gefühlt. In der Tat musste die erzwungen aufrechte Haltung im Sattel strapaziös, wahrscheinlich inzwischen auch schmerzhaft sein, aber Shane empfand keine Spur von Mitgefühl.
Es war ihm nicht erspart geblieben, drei von Matildas Opfern aufzufinden. Nur Gott und dieser Satan in Frauengestalt wussten, wie viele den Cardigans vorangegangen waren. Und diesen braven Christenmenschen war es weit übler ergangen als ihrer Mörderin. Möglicherweise hatten sie den Tod irgendwann sogar als Gnade empfunden.
Shanes Blick fiel auf die Feldflasche, die sich mittlerweile gluckernd zwischen den Pferdehufen entleert hatte. Der trockene Prärieboden schien das Wasser schneller aufzusaugen, als man schauen konnte. Aber vielleicht war es auch die sengende Mittagssonne, die das kühle Nass vor seinen Augen scheinbar regelrecht verdampfen ließ.
Er wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn und nickte Bannister zu. »Übernimm du das, Rick.«
Der Deputy hob die Hände an die Brust. »Ich soll...«
»Du gibst ihr zu trinken, na los«, knurrte Shane unwillig, ehe er aus dem Sattel stieg und auf Kitting zu stiefelte. »Lass mal sehen«, forderte er den Rothaarigen auf, als er neben dessen Pferd stand. Moose zögerte kurz, dann zeigte er ihm seine Hand.
Matilda hatte herzhaft zugebissen. Rote Halbmonde zeichneten sich innen und außen im Daumenballen des Deputies ab, und an mehreren Stellen hatten die scharfen Zähne die Haut durchdrungen. Schmale Blutfäden liefen daraus hervor über Kittings Handgelenk.
»Halt die Hand ausgestreckt«, forderte Shane seinen Deputy auf, ging zwei Schritte und klaubte Kittings Feldflasche auf. Er schüttete den Rest Wasser daraus über die Verletzung, hängte die Flasche mit dem Trageriemen an das Sattelhorn und holte einen Flachmann aus der Innentasche seiner Langjacke.
»Dein Halstuch«, forderte er den Deputy auf, und der entknotete den blassblauen Stoff mit der unverletzten Hand. Shane grinste humorlos, brummte »Das brennt jetzt ein bisschen« und schüttete etwas von seinem guten Whisky über die Bisswunde. Moose sog scharf die Luft ein, während Shane den Flachmann wieder verstaute, dem Jungen sein Halstuch abnahm und es mit raschen Bewegungen in einen provisorischen Verband verwandelte.
»Das müsste erst einmal reichen«, sagte er, »aber in Fort Bascom sollte sich ein Arzt darum kümmern.«
Kitting runzelte die Stirn und warf einen verstohlenen Blick in Richtung Matilda und Bannister, der der Frau gerade mit aller gebotenen Vorsicht eine Wasserflasche an die Lippen hielt.
»Bei allem Respekt, Sheriff«, raunte er, »sie ist eine Mörderin, aber doch kein tollwütiger Köter, oder?«
Nachsichtig hoben sich Shanes Mundwinkel. »Bisse von Menschen können tödlicher sein als die eines Hundes oder Wildtiers, die Tollwütigen mal ausgeschlossen«, erklärte er Kitting. »Deshalb darfst du das nicht auf die leichte Schulter nehmen, kapiert?«
Der junge Deputy schob die Unterlippe vor, starrte kurz auf seine verbundene Hand herab und nickte schließlich. Als er im nächsten Moment über Shane hinweg schaute in die Ferne und dabei die Stirn runzelte, wandte der Sheriff sich um.
Bannister zog gerade seine Wasserflasche von Matildas Mund fort, ließ noch einen großen Schwall in ihr üppiges Dekolleté laufen, das von der nur nachlässig und unvollständig geknöpften Bluse mehr betont als verhüllt wurde, und grinste dabei anzüglich, ehe er an den Zügeln seines Rappen zog und sich von der Bandida entfernte.
Shanes Augen verengten sich. Für ein paar Sekunden glaubte er, bei der Bewegung am Horizont würde es sich nur um eine Sinnestäuschung handeln. Die flirrende Hitze über der kargen Prärie war geeignet, einem alles Mögliche vorzugaukeln. Doch als Bannister den Rappen neben seinem Pferd zum Stehen brachte und knurrte: »Wir bekommen Besuch«, wusste er, dass seine Augen ihn nicht trogen.
»Lass sie ja nicht aus den Augen, Moose«, befahl er dem Deputy hinter ihnen, während er den Blick nicht mehr von der wabernden Staubwolke wandte, die sich aus nordöstlicher Richtung näherte und dabei wuchs. Ein paar Meilen dahinter befand sich Fort Bascom, jener Militärstützpunkt, auf dem das Todesurteil an Matilda Moreno vollstreckt werden sollte.
Wäre es nach den Bürgern von Paradise gegangen – jener Gemeinde, in der er und seine beiden Deputies für Recht und Ordnung sorgten – hätte man das Urteil der Geschworenen und das Strafmaß des Richters eben so gut an Ort und Stelle vollziehen können. Matildas Opfer waren hoch angesehene Mitbürger gewesen und ihr Ableben auf derart abscheuliche Weise geschehen, dass den meisten in Paradise Hängen noch als übertriebene Form der Gnade erschien. Dabei nahm Shane sich, wenn er ehrlich war, nicht aus.
Doch seit New Mexico einen neuen Gouverneur hatte, gab es auch neue Regeln und Gesetze. Todesurteile durften nur noch in der Hauptstadt und in einer Hand voll Einrichtungen – darunter die beiden Militärforts – vollstreckt werden, die sicherstellten, dass dort alles nach strengen Vorgaben ablief. Und wie es sich traf, war Judge Reinhold ein großer Anhänger des neuen Gouverneurs. Er hatte in seiner Urteilsverkündung viel von »Recht nach dem Gesetz, statt Vergeltung für heiße Herzen« gesprochen und den Zuschauern im Gemeindesaal, der gleichzeitig als Ort für Prozesse diente, ins Gewissen geredet, weil es immer wieder laut geworden war und sich die Fäuste ballten.
Selbst das Appellieren an den Glauben und ein paar treffende Zitate des bibelfesten Richters aus dem Buch der Bücher hatten nur unzureichend zur Beruhigung der Leute beitragen können, weshalb Shane und seine Deputies mit Unterstützung zweier Gerichtsdiener den Saal hatten räumen müssen, bevor sie Matilda über den Hinterhof ins Jail brachten. Nachdem die Dämmerung eingesetzt hatte und die Leute entweder nach Hause oder zu Buck Hodges in den Saloon gegangen waren, um sich bei Bier und Whisky dem Irrglauben hinzugeben, Alkohol würde ihre aufgewühlten Seelen beruhigen.
Reinhold hätte ihn nicht darauf hinweisen müssen, dass es besser wäre, Matilda Moreno so rasch wie möglich fortzuschaffen. Der Richter hatte es dennoch getan und sie noch vor dem Sonnenaufgang fortgeschickt, mit einem offiziellen Schreiben nach Fort Bascom.
Der Stützpunkt konnte dank der jüngst entstandenen Telegrafenleitung wenigstens vorab darüber informiert werden, dass man in Kürze ein Todesurteil an einer gemeingefährlichen Gesetzlosen zu vollstrecken hatte.
Deshalb spekulierte der Sheriff, dass es bei den sich nähernden Reitern um eine Art Empfangskomitee handeln könnte, und war fast ein wenig beleidigt, als sich herausstellte, dass nur ein einzelner Reiter die Staubwolke verursachte.
Der Uniformierte wurde etwas langsamer, als er sich ihnen auf Sichtweite näherte. Er versetzte seinen Schimmel in Trab, während Bannister und Shane einen kurzen Blick tauschten, weil der Mann sein gelbes Kavalleriehalstuch über Mund und Nase gebunden hatte.
»Was soll der Scheiß?«, knurrte Bannister und zog kurzerhand seine Winchester aus dem Scabbard.
»Schön ruhig bleiben«, ermahnte Shane ihn und warf einen Blick über die Schulter. Kitting hatte seinen Revolver gezogen und hielt ihn auf Matilda gerichtet. Ein wenig übereifrig, aber Shane sollte es recht sein. Er musterte die Latina, wandte jedoch den Blick ab, als sie ihm sofort wieder ihr diabolisch-herausforderndes Grinsen präsentierte. Diese mordlüsterne Visage hatte er schon zu oft und zu lange ertragen müssen.
Als er den Blick wieder über den Kopf seines Pferdes richtete, war der Soldat bereits auf einen Steinwurf herangekommen. Warum trug der Bursche ein Tuch vor dem Gesicht? Der Sheriff legte die Hand auf den Griff seines Sechsschüssers, bereit, zu ziehen.
Im Augenwinkel registrierte er, dass Bannister seinen Karabiner quer vor sich hinter dem Sattelhorn liegen hatte. »Auf Ihr Kommando, Sheriff«, knurrte der Deputy, während seine zu Schlitzen verengten Augen den uniformierten Reiter fixierten.
Der Soldat – ein Major oder wenigstens Captain, wie Shane anhand des Huts und der Schulterklappen zu erkennen glaubte – hob seine linke Hand, während er mit der rechten sein Reittier zügelte. Die Stimme klang durch das Tuch vor Mund und Nase etwas dumpf, aber sie war verständlich genug, damit die Worte Shane und Bannister den Atem stocken ließen: »Bleibt, wo Ihr seid, Messieurs! Und kommt mir besser nicht zu nahe. In Fort Bascom ist eine Seuche ausgebrochen!«
✰
Mit einem wohligen Seufzer sank Lassiter rücklings auf die Laken nieder, schloss die Augen und ließ den Dingen ihren Lauf. Die dralle Blondine ließ sich nicht lange bitten; sein Herz tat einen Sprung, als sich ihre Lippen um sein bestes Stück schlossen und sie ihn nach allen Regeln der Kunst verwöhnte.
Sein Körper glänzte vom Schweiß. Selbst mitten in der Nacht war es hier in Albuquerque so heiß, als stünde das Bett im Herzen der Hölle. Was kein Grund war, sich derartigen Wonnen zu verweigern.
Die Frau, deren Talente in Liebesdingen ihn auch jetzt wieder überraschten und verzauberten, krallte ihre Finger in seine Hüften, und nicht zum ersten Mal fragte er sich, was sie an ihm fand. Schließlich war er nicht mehr der Jüngste, und sie konnte sich jeden Mann aussuchen, den sie haben wollte.
Kurz, bevor er spürte, dass er es nicht mehr lange zurückhalten konnte und ihr deshalb über den Scheitel strich, damit sie sich erhob und auf den Rücken legte, klopfte es an der Tür.
Kurz und vernehmlich. Dreimal, ehe danach zwei deutlich zögerlichere Klopflaute in etwas längerem Abstand folgten.
Überrascht hob Lassiter den Kopf, und jenseits seiner aufgestellten Waden wackelte sie mit den Augenbrauen, ehe sie in Richtung des ungebetenen Besuchers sagte: »Einen Moment, bitte.«
Sie zwinkerte ihm ein wenig bedauernd, aber auch auffordernd zu, und als er verstand und sich zurückzog, schwang sie die Beine aus dem Bett, griff sich einen smaragdgrünen Morgenmantel und schlang den glänzenden Stoff um den kurvigen Körper; dabei war sie bereits auf dem Weg zur Tür der Suite.
Lassiter unterdrückte ein Seufzen und setzte sich auf die Bettkante, während Isadora Rubin die Tür öffnete, einen Umschlag in Empfang nahm und ein paar kurze Sätze in leisem Tonfall mit dem Boten wechselte, ehe sie die Tür wieder zuwarf und sich ihm zuwandte. Mit einem kurzen Blick auf das Kuvert und hochgezogenen Augenbrauen kehrte sie zu ihm zurück. »Traurig, aber das sieht ganz nach einer neuen Aufgabe für dich aus.« Sie warf ihm den Umschlag in den Schoß, schaute mit schiefem Grinsen auf ihn herab und fuhr ihm durch das sandfarbene Haar.
Lassiter schüttelte den Kopf. Er war verstimmt. »Du wusstest davon, oder?« Bei seiner Ankunft in Albuquerque war er noch davon ausgegangen, für eine Weile unbehelligt von neuen Aufgaben seine Wunden lecken und ein wenig das Leben genießen zu können.
Isadora Rubin, mittlerweile Staatsanwältin in New Mexico und nach wie vor eine der wichtigsten Kontaktpersonen der Brigade Sieben hier unten im tiefsten Süden, hatte ihm nicht widersprochen.
Versprochen hingegen hatte sie ihm auch nichts. Sie war Anwältin, in der Wolle gefärbt – kein Wort kam über ihre Lippen, wenn es nicht hilfreich für sie oder ihren Mandanten war.
Deshalb bewegte sie auch jetzt nur vielsagend und wortlos die fein geschwungenen Augenbrauen, während sie ihre Brüste dem Geliebten noch für einen Moment hüllenlos präsentierte, bevor sie sich ihr Mieder über den Oberkörper zog. Als sie ihm ihre Kehrseite zudrehte, durfte Lassiter immerhin noch den knackigen Hintern bewundern, während er fragte: »Worum geht es? Du weißt doch bestimmt schon, was in dem Umschlag steckt, nehme ich an.«
Er faltete die Hände im Nacken und musterte sie mit regloser Miene, als sie sich umdrehte und schmunzelte.
»Wir haben uns mal geschworen, immer ehrlich zueinander zu sein, stimmt's?« Sie hob den Kopf und starrte zu den Deckenbalken hinauf, als müsse sie sich sammeln und den Schwur selbstgewiss im Geiste wiederholen, an den Lassiter sich nicht einmal erinnerte.
Dafür gab es etwas anderes, das er nach wie vor mit der Staatsanwältin in Verbindung brachte – nämlich den Tod eines jungen Kollegen, den er nicht hatte verhindern können. Und die Brigade, wie er immer noch argwöhnte, nicht hatte verhindern wollen.*
Lassiter langte nach seiner Unterwäsche, zog sich an, ohne sie anzusehen, während Isadora an die Bar trat und ihnen zwei Gläser einschenkte. Rotwein für sie, Whisky für ihn.
Als sie sich, beide Gläser in Händen, wieder umdrehte, stand er direkt vor ihr, ohne dass sie eine Bewegung oder ein Geräusch bemerkt hatte. Er nahm ihr das Whiskyglas aus der Hand und fragte noch einmal: »Worum geht's?«
Sie seufzte und ließ es zu, dass er den Morgenmantel öffnete und beherzt ihre vollen Brüste umfasste.
»Ich... ich weiß es nicht genau, wirklich.« Isadora schaute zu ihm auf, und er spürte, wie ihr Herzschlag sich beschleunigte. »Aber es ist eilig...«
Lassiter lächelte kopfschüttelnd und schloss sie in seine Arme. »Nicht eilig genug, um sich gebührend voneinander zu verabschieden.«
✰
»Was reden Sie da?« Shane starrte den Uniformierten vor sich an, der offenbar ganz bewusst einige Pferdelängen zwischen sich und ihnen übrig gelassen hatte, als er sein Reittier zum Stehen brachte.
»Eine Seuche.« Der Mann riss die Arme empor; eine Geste der Hilflosigkeit. »Wir wissen noch nicht genau, worum es sich handelt. Aber es sind bereits fünfzehn Leute gestorben. Etwa genau so viele liegen im Lazarett, mit hohem Fieber und eitrigem Auswurf.« Er starrte über sein gelbes Tuch hinweg Shane an. »Glauben Sie mir, das möchten Sie nicht miterleben. Diese Plage scheint in hohem Maße ansteckend zu sein, deshalb steht Fort Bascom unter strengster Quarantäne. Die Meldung ging bereits über den heißen Draht an alle umliegenden Gemeinden. Auch Ihre Leute in Paradise müssten schon gewarnt sein. Commander Reininger hat mich geschickt, um Ihnen die Gefangene abzunehmen.«
Shane taxierte sein Gegenüber. Der Uniformierte wirkte gefasst, aber auch nervös. Deshalb konnte seine Geschichte stimmen – oder auch nicht.
»Das hört sich scheiße an, Sheriff«, knurrte Bannister mit leiser Stimme. »Besser, wir übergeben Matilda dem Mann und machen schleunigst kehrt.«
Shane hörte die Frau hinter sich leise und höhnisch kichern. Sie schien die Angst ihrer Bewacher zu wittern und sich darüber lustig zu machen.
Das Pferd des Soldaten scharrte unruhig mit den Hufen. Als wolle es den Sheriff zu einer Entscheidung drängen.
»Ich werde die Gefangene niemandem überlassen, dessen Gesicht ich nicht einmal kenne«, sagte er schließlich nach einigen Sekunden mit fester Stimme.
Der Offizier nickte, schob seinen Hut in den Nacken und zog das Halstuch vom Gesicht. »Verzeihen Sie. Ich... es ging mir nur um Ihre Gesundheit.«
Shane musste schlucken, als er erkannte, dass die untere Gesichtshälfte des Offiziers ungesund grau aussah, seine Lippen hingegen leuchtend rot waren. Der Mann sah eindeutig nicht gesund aus, obwohl der Sternträger keine Ahnung hatte, welche Krankheit das Äußere auf diese Art verändern konnte.
»Wäre wohl wirklich besser, wir verschwinden«, hörte er Kitting hinter sich mit wankender Stimme fordern, fragte aber trotzdem: »Haben Sie etwas, mit dem Sie sich ausweisen können, Sir?«
Der Mann schien zu lächeln, dann stieß er dem Pferd die Hacken in die Flanken, so dass es sich auf Shane und Bannister zubewegte. »Natürlich, Sheriff. Ich habe die schriftliche Order des Kommandanten dabei. Warten Sie...«