Lassiter 2687 - Kolja van Horn - E-Book

Lassiter 2687 E-Book

Kolja van Horn

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Beschreibung

Entflohener Mörder am Baum erhängt von Kindern entdeckt. Sheriff spricht von Lynchjustiz.
Die Räuber flehten um Gnade. Der Nachtfalke kannte kein Erbarmen.
Maskierter Vigilant legt lang gesuchten Lorne Bravo vor den Stufen des Sheriff´s Office ab. Kein Leben mehr im Leib des Killers.
Kopfschüttelnd schob Staatsanwalt Oswald Fisher die Gazetten mit den schreienden Schlagzeilen zu einem Stapel zusammen und schaute auf die Uhr. In einer Stunde erwartete er Lassiter, um ihn in einer heiklen Mission nach Norden zu schicken. Vordergründig ging es dabei zwar nicht um den Nachtfalken, doch das mochte sich ändern, sobald der Brigadeagent vor Ort war.


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Seitenzahl: 142

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Cover

Der Nachtfalke

Vorschau

Impressum

Der Nachtfalke

von Kolja van Horn

Entflohener Mörder am Baum erhängt von Kindern entdeckt. Sheriff spricht von Lynchjustiz.

Die Räuber flehten um Gnade. Der Nachtfalke kannte kein Erbarmen.

Maskierter Vigilant legt lang gesuchten Lorne Bravo vor den Stufen des Sheriff's Office ab. Kein Leben mehr im Leib des Killers.

Kopfschüttelnd schob Staatsanwalt Oswald Fisher die Gazetten mit den schreienden Schlagzeilen zu einem Stapel zusammen und schaute auf die Uhr. In einer Stunde erwartete er Lassiter, um ihn in einer heiklen Mission nach Norden zu schicken. Vordergründig ging es dabei zwar nicht um den Nachtfalken, doch das mochte sich ändern, sobald der Brigadeagent vor Ort war.

Zwölf Jahre zuvor. Louisville, im Herzen von Texas

Wäre Casey McIntire nicht so sternhagelvoll gewesen in jener verfluchten Nacht, die sein Leben auf den Kopf stellte, dann hätte er wohl spätestens in dem Moment das Unheil gewittert, als er sich umschaute und verdutzt erkennen musste, dass sie Louisville schon ein gutes Stück hinter sich gelassen hatten.

Doch mit all dem Bier und Whisky in seinem Leib brachte ihn die Erkenntnis nur dazu, verwirrt die Stirn in Falten zu legen und dem Zechkumpan links von sich, der fürsorglich einen Arm um ihn gelegt hatte, damit er nicht umfiel, fragend in die Augen zu schauen.

»Was zum Teufel tun wir hier, Otis?«, fragte er mit schwerer Zunge. »Die Saloons liegen samt und sonders in der anderen Richtung, hier gibt es nichts mehr...«

Der Mann an seiner anderen Seite lachte kehlig und schwenkte eine fast volle Flasche. »Die haben alle schon dicht gemacht, Compadre. Selbst bei Esther, der Eule, brennt kein Licht mehr, da sind wir doch gerade vorbeimarschiert. Schon vergessen?« Er grinste nachsichtig unter seinem langhaarigen Schnauzbart, der ihn aussehen ließ wie einen traurigen Hund, dann reichte er Casey die Flasche. »Verdursten musst du trotzdem nicht. Vorerst.«

Casey nahm einen langen Schluck und wunderte sich, wie weich der hochprozentige Alkohol ihm die Kehle herabfloss. Es schien fast, als hätte das Zeug sich in Wasser verwandelt. »Aber... was wollen wir hier?«, fragte er noch einmal und gab die Flasche zurück. »Hier oben schlafen doch alle, Scott.«

Der Angesprochene nickte bedächtig, schob die Whiskyflasche in die weite Außentasche seiner Langjacke und warf Otis einen vertraulichen Blick zu, der Casey entging. »Wohl wahr, Kumpel«, erwiderte er. »Aber ist das hier nicht auch der Weg, der zu deinem Bett führt?«

Casey starrte ihn für einen Moment dümmlich an, dann warf er einen Blick in die Runde.

Die letzte der Laternen, die seit einigen Monaten die Nächte von Louisville erhellten, lag bereits einen Steinwurf hinter ihnen, aber der Vollmond schien hell von einem wolkenlosen Himmel. Daher erkannte Casey selbst mit seinen benebelten Sinnen, dass Scott recht hatte. Sie befanden sich auf der Straße hinauf in die Western Hills, eine bewaldete Hügelkette, an der sich die Hütten und Häuser der Anwohner befanden, die den Wunsch nach etwas mehr Privatsphäre verspürten – und zumeist auch über das Vermögen verfügten, um sich mehr als nur eine Wohnung oder ein kleines Haus in der Stadt zu leisten. Zwar gab es auch ein paar bescheidene Wohnquartiere im Wald, Blockhütten zumeist, aber die Häuser weiter oben mit Blick hinab auf das in einer langgezogenen Senke liegende Louisville waren Villen mit hübschen Gärten drumherum, einige sogar regelrechte Anwesen, die neben dem Wohngebäude noch über Stallungen und Gesindehäuser verfügten.

»Okay«, brummte Casey gedehnt. »Nett von euch, Messieurs. Aber es ist nicht nötig, dass ihr mich zu Bett bringt. Von hier aus schaffe ich das schon allein.« Grinsend löste er sich aus Otis' Arm, klopfte ihm auf die Schulter und tippte sich an die Hutkrempe. »Gehabt euch wohl...«

Er taumelte ein knappes Dutzend Schritte voran, legte damit aber nur wenige Yards zurück, weil seine Füße sich nicht recht für eine Richtung entscheiden konnten. Mal strebten sie nach links, sodass er gefährlich nahe an den mit dornigen Sträuchern überwucherten Graben am Rand des Weges geriet, dann, als er das erkannte und sich korrigierte, stolperte er umso hastiger in die Gegenrichtung.

Goddam, schalt er sich im Geiste, das ist ausnehmend peinlich. Was sollen die beiden von dir denken? Das du weniger verträgst als ein Chorknabe?

Lachend sprangen die beiden Männer ihm bei; gerade noch rechtzeitig, bevor Casey sich mit dem Gesicht voran in den Dreck verabschieden konnte. Sie packten ihn links und rechts unter den Achseln, zogen ihn auf die Füße. Otis griente: »Nimm es mir nicht übel, Compadre. Aber es scheint wohl doch besser, wir begleiten dich noch ein Stück.«

»Denke ich auch«, stimmte Scott zu und rückte Casey den Hut zurecht. »Schließlich gibt man aufeinander acht unter Freunden – oder nicht?«

Casey nickte ergeben. Der Begriff »Freunde« mochte ein wenig übertrieben erscheinen, wenn man sich erst seit zwei Tagen kannte. Aber angesichts seines desolaten Zustands sollte er das wohl nicht auf die Goldwaage legen.

Immerhin hatte er mit den beiden Jungs eine Menge Spaß gehabt, seit sie sich im Raging Bull Inn beim Pokerspiel kennengelernt hatten. Otis hatte ihm fast zwanzig Dollar abgeknöpft, war aber mit seinem Gewinn so spendabel umgegangen, dass kein böses Blut aufgekommen war. Im Gegenteil – sie hatten sich auf Anhieb gut verstanden, und der Abend war zu einer sehr langen Nacht geworden.

Die beiden waren vom Rio Grande gekommen und auf dem Weg hinauf nach Abilene, wie sie Casey erzählt hatten. Ein Viehtrieb hatte sie fast zwei Monate lang im Sattel gehalten, und nun wollten sie ein wenig Spaß haben über das Wochenende, ehe sie für den nächsten Job anheuerten.

Die Cowboys hatten eine Menge Geschichten zu erzählen, und Casey war ein dankbarer Zuhörer. Hier in der ländlichen Mitte von Texas zu behaupten, es passiere nicht viel, konnte man wohl noch als Übertreibung bezeichnen, und ihn langweilte Louisville zu Tode. Zwar konnte er sich als einziger Sohn einer Witwe, die über einen bescheidenen Wohlstand verfügte, nicht unbedingt beklagen. Er führte ein sorgloses Leben und hatte stets mehr Dollars in der Börse, als er wirklich brauchte.

Doch was nützte einem ein volles Portemonnaie in einem öden Kaff am Arsch der Welt? Selbst der Huren in Dotty Taylors Etablissement am Overlandtrail war er mittlerweile überdrüssig.

Ständig lag Mom ihm damit in den Ohren, dass er alt genug sei, um endlich etwas aus seinem Leben zu machen. Damit mochte sie recht haben, nur wusste Casey einfach nicht, was dieses »etwas« sein sollte. Seine Mutter wünschte sich natürlich, dass er in Dads Fußstapfen träte und eine Ausbildung zum Anwalt in Angriff nahm, am besten noch ein Studium an der Universität von Texas in Austin. Doch das kam für Casey nicht in Frage. Er war nun einmal kein Bücherwurm, und die Vorstellung, sein zukünftiges Leben am Schreibtisch oder in Gerichtssälen verbringen zu müssen, dicke Bücher und Aktenordner zu wälzen und irgendwann so bucklig und graugesichtig wie sein alter Herr daherzukommen, war ihm zuwider.

Harte körperliche Arbeit – so musste er sich eingestehen – war allerdings auch nichts, dem er besonders viel abgewinnen konnte. Er hatte es in der Schreinerei von Bob Revelle versucht, bei Corny Knowles, dem Müller und bei zwei Ranchern aus der Gegend. Mehr als zwei, drei Wochen waren nie vergangen, bevor man ihn feuerte oder er selbst die Flinte ins Korn warf.

Otis' und Scotts abenteuerliches Nomadenleben als freischaffende Viehtreiber allerdings faszinierte ihn; auch das mochte oft hart und entbehrungsreich sein, aber sie sahen etwas von der Welt, es gab Kameradschaft unter Männern, Abenteuer und keinerlei Bindungen an ein langweiliges Heim. Vielleicht, so ging es ihm schon seit Stunden durch den Kopf, sollte er sich den beiden einfach anschließen und für ein paar Monate der Stadt den Rücken kehren, die er seit seiner Geburt nicht ein einziges Mal verlassen hatte.

»Moment.« Die beiden Männer, die ihn in ihrer Mitte über den Weg geleiteten, blieben plötzlich stehen, und Scott bedachte ihn mit einem eigentümlichen Blick, ehe er auf ein fahles Leuchten deutete, das durch das Buschwerk hindurch im Wald zu erkennen war. »Siehst du das?«

Casey zuckte die Achseln. »Klar«, brummte er. »Das ist die Hütte von Danny Three-Oaks. Na und?«

»Messerscharf erkannt«, zischte Otis, und als Casey sich ihm zuwandte, wirkte das Grinsen des Mannes auf einmal gar nicht mehr so leutselig wie zuvor. Es hatte nun eher etwas Verschlagenes an sich. »Genau der, der mit uns heute Abend am Pokertisch saß. Daran wirst du dich doch wohl noch erinnern, oder?«

Zögernd nickte Casey. Die vergangenen Stunden waren ein regelrechter Parforce-Ritt gewesen; sie hatten sich schon am späten Nachmittag getroffen, unten bei Dotty. Zwei Runden vögeln, dazu die ersten Drinks. Danach, zurück in der Stadt, hatten sie im Palomino Inn für eine Grundlage gesorgt, indem sie zum Bier drei mächtige T-Bone-Steaks mit Kartoffeln und Bohnen vertilgten. Casey war danach ein wenig träge geworden, doch seine beiden Amigos hatten kein Schlappmachen akzeptiert, sondern ihn postwendend weiter gezerrt in den nächsten Saloon.

Bei Sonnenuntergang waren sie dann im Raging Bull gelandet, wie schon am Abend zuvor. Und natürlich unvermeidlicherweise im Verlauf des Abends am Pokertisch. Casey wusste noch, dass sie zu sechst gewesen waren. Otis, Scott, er, der alte Jimmy, Rory Malone und... ja. Und Three-Oaks.

Außerdem erinnerte er sich daran, dass es nicht so gut gelaufen war für den erfolgsverwöhnten Otis. Three-Oaks hatte ihm gehörig das Fell über die Ohren gezogen. Casey hatte keine Ahnung, wie viel der baumlange Halbindianer Otis – und den anderen Mitspielern am Tisch – abgeknöpft hatte, aber es war beträchtlich gewesen. Einen fetten Haufen Münzen und Scheine hatte Three-Oaks mit seinen schaufelartigen Unterarmen aus der Tischmitte zu sich herangezogen, alles seelenruhig in einem großen, fleckigen Lederbeutel verschwinden lassen und sich erhoben, ehe er sich mit knappem Kopfnicken von den Verlierern verabschiedet und den Schankraum verlassen hatte.

»Die verlauste Rothaut lacht sich ins Fäustchen«, knurrte Scott, während er zu der Blockhütte im Wald hinüber starrte. Otis kicherte. »Mag sein. Aber nicht mehr lange.«

Die Worte seiner Zechkumpane sickerten zögerlich in Caseys vom Alkohol geschwängertes Bewusstsein. Es dauerte ein paar Sekunden, bevor er fragte: »Hey, Freunde... was... was habt ihr vor?«

Otis trat einen Schritt beiseite und betrachtete ihn. Auch Scott hatte Casey losgelassen, grinste schief und holte die Whiskyflasche aus seiner Jackentasche.

»Was denkst du wohl, Casey?«, knurrte Otis. Sein Grinsen wurde breiter, und als seine Oberlippe sich hochschob, entblößte sie eine Reihe weißer Zähne. Klein und spitz, fast wie bei einem Wiesel.

»Wir holen uns unsere Dollars zurück«, verkündete Scott, »ganz einfach. Die Rothaut hat betrogen, so viel ist mal klar. Aber damit wird er nicht davonkommen.«

Casey, nun ganz ohne fremde Hilfe auf seinen Füßen stehend, schwankte ein wenig, deshalb breitete er die Arme aus, bevor er vorsichtig den Kopf schüttelte. »Three-Oaks betrügt nicht. Das dürft ihr mir glauben«, sagte er. »Ich mag den Burschen zwar nicht besonders, aber er hat euch nicht...«

»Überlass das besser uns, Compadre«, fiel Otis ihm unwillig ins Wort. »Jemand, der sich so spielend leicht über den Tisch ziehen lässt wie du, sollte vorsichtig mit seinem Urteil sein.«

Casey verengte den Blick und starrte Otis an, weil ihm vage bewusst war, was der damit sagen wollte. Er setzte zu einer Erwiderung an, doch Scott legte ihm die Hand auf die Schulter und raunte: »Nichts für ungut, Kumpel. Aber Otis und ich erkennen einen Falschspieler, wenn er vor uns sitzt. Wir wollten kein Aufsehen vorhin im Saloon, verstehst du? Solche Dinge regelt man lieber diskret, von Mann zu Mann.«

Was sie vorhatten, lief doch eher auf ein drei gegen einen hinaus, ging es Casey durch den Kopf. Er hob die Hände. »Damit will ich nichts zu schaffen haben«, murmelte er.

»Was soll das denn heißen?«, knurrte Otis und legte ihm die Hand auf die Brust. Er stieß ihn nicht, aber sein Gesicht verriet, dass er es gern tun wollte. »Hast du nicht gesagt, wir wären Compadres? Für dich mögen zwanzig Dollar nicht mehr sein als ein Schiss am Morgen, aber wir zwei sind nicht so reiche Pinkel wie du!«

»Lass ihn«, forderte Scott seinen Kumpel auf und schob Otis beiseite, ehe er Casey in den Blick nahm. »Wir haben unseren jungen Freund wohl überschätzt, als wir dachten, er hätte ein paar stramme Eier in der Hose.« Scott legte ihm die Hände auf die Schultern, sein Lächeln war halb väterlich, halb geringschätzig. »Aber du bist eben doch nur ein verwöhntes Jüngelchen, habe ich recht?«

Casey biss die Zähne zusammen und schob das Kinn vor. »Ihr habt gut reden! Schließlich müsst ihr nur in die Sättel steigen und seit weg, als wäret ihr nie hier gewesen! Aber ich lebe in dieser Stadt.«

Otis lachte hämisch. »Klar, Hombre. Und so wird's auch bleiben. Einmal ein armes Würstchen, immer ein armes Würstchen...«

Wütend ballte Casey die Fäuste, doch Scott schob seinen massigen Körper zwischen ihn und Otis, ohne Caseys Schultern loszulassen. »Hör zu, Amigo«, brummte er. »Niemand verlangt, dass du das mit uns ausfechtest, okay?« Er beugte sich vor, bis sein Gesicht nur eine Handbreit von Caseys entfernt war, ehe er anfügte: »Aber wenn du uns beweisen willst, dass deine Sprüche von Freundschaft und Verbrüderung nicht nur leeres Gewäsch waren, dann kannst du wenigstens eins für uns tun.«

Casey hob die Brauen und strengte sich an, nicht zu lallen und Scotts stoischem Blick unverwandt zu begegnen, als er antwortete: »Was denn? Sag es, und ich tu's.«

»Master Casey! Bitte, Sie müssen aufwachen!«

Es fühlte sich eher wie Bewusstlosigkeit an als wie ein sanfter Schlummer, aus der Casey McIntire auftauchte in die Wirklichkeit. Durch seinen Schädel stampfte eine ausgewachsene Stampede, und die Zunge schien mit fauligem Moos überwachsen und füllte seinen ganzen Mund aus.

Ächzend stemmte er sich hoch, schaute sich aus schmalen Augen um und brauchte einen Moment, ehe er erkannte, wo er sich befand.

Der schlaksige Schwarze in Latzhosen und mit einem grauen Haarkranz um den Schädel, der vor ihm in die Hocke ging und ihn mit Augen groß wie Billardkugeln anstarrte, war dafür ein hilfreiches Indiz. Denn es handelte sich um Washington, das Faktotum seiner Mutter.

Also lag er wohl tatsächlich im Stroh ihres kleinen Stalles, selbst wenn er nicht die geringste Ahnung hatte, wie er hierher gekommen war.

Washington streckte die Hand aus und bohrte seine langen, kräftigen Finger so tief in Caseys Schulter, dass er scharf die Luft ausstieß. »Was zum Teufel... lass los, Washington!«, zischte er, und der Schwarze gehorchte zögernd, ehe er mit flehender Stimme forderte: »Bitte, Master Casey. Sie müssen mitkommen, jetzt gleich!«

»Was ist denn nur los mit dir?«, fragte Casey unwillig und musste sich anstrengen, damit das Gesicht dicht vor seinen Augen allmählich klarer wurde. »Du bist ja völlig von Sinnen.«

Washington bot einen beunruhigenden Anblick: Die Augen traten weit hervor, seine Stirn glänzte verschwitzt, die Unterlippe bebte. Nun, da er Caseys Schulter nicht mehr gepackt hielt, rangen seine Hände miteinander, und die breiten Schultern hatte er bis zu den Ohren hochgezogen wie ein Soldat im Schützengraben.

»Es... es...«, stammelte er, »ihre Mutter, Master, sie... sie...«

Washingtons Stimme erstarb, und er schlug die Augen nieder, offenbar unfähig, auszusprechen, was geschehen war. Langsam, während das Bewusstsein vollständig in seinen Geist zurückkehrte, schlich sich damit auch eine böse Vorahnung in Caseys Gedanken.

Er ließ sich von Washington auf die Füße helfen, klopfte fahrig Staub und Heu aus der Kleidung und versuchte, sich daran zu erinnern, was in der vergangenen Nacht vorgefallen war. Doch das erwies sich wenigstens vorerst als sinnloses Unterfangen.

Er wusste noch, dass er mit Scott und Otis um die Häuser gezogen war und ordentlich einen drauf gemacht hatte. Sie hatten gehurt und gesoffen, als gäbe es kein Morgen, und später dann gepokert im Raging Bull. Danach zerfaserten die Bilder in seinem Kopf zu nebulösen Schlieren.

Hatten die beiden Cowboys ihn heimgebracht? Und im Stall abgelegt, weil sie oben im Haus niemanden mehr aus dem Schlaf reißen wollten mitten in der Nacht? So dürfte es wohl gewesen sein...

»Master Casey! Jetzt kommen Sie doch«, drängte sich Washingtons heisere Stimme wieder in sein Bewusstsein. »Der Sheriff, er... er wartet auf der Veranda auf Sie.«

Schlagartig war Casey hellwach. »Der Sheriff?! Was zur Hölle will Bannerman bei uns?«

Washington antwortete nicht, blickte ihn nur verzweifelt an und presste die vollen Lippen so fest zusammen, dass seine Kiefermuskeln zitterten. Kopfschüttelnd und mit unsicheren Schritten ging Casey an ihm vorbei aus dem Stall hinaus und stapfte den Weg zur Villa hinauf. Er musste sich konzentrieren, damit seine Stiefel die schmalen Schieferplatten trafen, die wie Stufen in den ansteigenden, mit Moos, Gras und Stauden bedeckten Boden gelegt waren.

Zwischen den Birken hindurch kam das hübsche zweistöckige Haus in Sicht; zunächst das mit Holzschindeln gedeckte Dach aus dem vorn der große, daneben die beiden kleineren Erker hervorragten. Ein paar Schritte später die Veranda. Casey erkannte Sheriff Bannermann, der seinen Hut in den Händen hielt und ihn stehend erwartete, obwohl die Rattansessel, die um den runden Tisch gruppiert waren, dazu einluden, Platz zu nehmen.

Ein Kloß wuchs in Caseys Hals, als er das Ende der Treppe erreichte und über die kurze Zufahrt auf die Villa zuging. Unbewusst straffte er die Schultern, atmete tief ein und wappnete sich.

Bannermann musterte ihn, als er näher kam und die Stufen zur Veranda erklomm. Seine Knie fühlten sich seltsam taub an, als er fragte: »Sheriff, was führt Sie zu uns zu so früher Stunde?«