Lassiter 2763 - Kolja van Horn - E-Book

Lassiter 2763 E-Book

Kolja van Horn

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Beschreibung

Winston Decker erstarrte, als er die Revolvermündung spürte, die sich hart und todbringend in seine linke Niere bohrte. "Keinen Laut, Winston", knurrte jemand hinter ihm, und Decker wusste sofort, wen er hinter sich hatte. "Gehen wir doch ein bisschen ins Grüne, wo wir uns in Ruhe unterhalten können." Unsanft wurde er in eine Gasse gestoßen, die nach wenigen Schritten vor einer Treppe endete. "Weiter", befahl der Revolvermann, und Decker gehorchte. Die Stufen führten in ein Waldstück, dunkel und abgelegen, das auf der anderen Seite vom Bahndamm begrenzt wurde, wie Decker zu wissen glaubte. Ein guter Platz für einen Mord. "Hören Sie", sagte er und ärgerte sich darüber, wie jämmerlich seine Worte klangen. "Ich konnte nichts tun. Sie werden mich jetzt nicht etwa umlegen, oder?"

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Seitenzahl: 152

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

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Mexikanische Ballade Teil 2 Salvación

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Impressum

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Inhaltsverzeichnis

Inhaltsbeginn

Impressum

Mexikanische Ballade Teil 2Salvación

von Kolja van Horn

Winston Decker erstarrte, als er die Revolvermündung spürte, die sich hart und todbringend in seine linke Niere bohrte. »Keinen Laut, Winston«, knurrte jemand hinter ihm, und Decker wusste sofort, wen er hinter sich hatte. »Gehen wir doch ein bisschen ins Grüne, wo wir uns in Ruhe unterhalten können.« Unsanft wurde er in eine Gasse gestoßen, die nach wenigen Schritten vor einer Treppe endete. »Weiter«, befahl der Revolvermann, und Decker gehorchte. Die Stufen führten in ein Waldstück, dunkel und abgelegen, das auf der anderen Seite vom Bahndamm begrenzt wurde, wie Decker zu wissen glaubte. Ein guter Platz für einen Mord. »Hören Sie«, sagte er und ärgerte sich darüber, wie jämmerlich seine Worte klangen. »Ich konnte nichts tun. Sie werden mich jetzt nicht etwa umlegen, oder?«

»Das kommt ganz darauf an, welche Antworten ich bekomme«, brummte Lassiter ungnädig. »Jedenfalls wandeln Sie auf dünnem Eis, Winston. Selbst wenn Ihnen der Schweiß bis runter in die Arschritze läuft.« Ein weiterer, unbarmherziger Stoß mit dem Revolverlauf trieb Winston Decker die Stufen hinab.

»Mir waren die Hände gebunden«, beteuerte er, dem tatsächlich das Hemd am Leib klebte bis runter zum schweißnassen Hintern, was nicht nur an der schwülen Hitze lag, die bereits am frühen Vormittag wieder über El Paso brütete. »Der Sonderbeauftragte hat uneingeschränkte Befehlsgewalt und ist nur dem Minister persönlich Rechenschaft schuldig. Das hat er mir schriftlich ...«

»Von wem zum Teufel reden wir?«, fiel Lassiter ihm barsch ins Wort. Sie hatten mittlerweile den Fuß der Treppe erreicht. Singvögel trällerten muntere Melodien in den Baumkronen über ihnen, die angenehmen Schatten spendeten. Ein beschaulicher Ort, der zum Verweilen einlud.

Um einem neuerlichen Stoß ins Kreuz zuvorzukommen, marschierte Decker voran, einen schmalen, von farbenfroh blühenden Büschen gesäumten Pfad entlang. Weit und breit war niemand zu sehen, und der Lärm der Straße oben schien bereits so fern wie eine verblassende Erinnerung.

»Sie haben ihn doch selbst kennengel-«

»Sein Name! Goddam, Winston, strapazieren Sie nicht meine Geduld!«, stieß Lassiter hörbar erzürnt hervor.

»Er ... er heißt Morrow Ingram«, antwortete Decker stockend und fuhr sich über die Kehle. Liebend gern hätte er einen langen Schluck aus dem silbernen Flachmann genommen, der in der Innentasche seines zerknitterten Leinenjacketts steckte. Doch er wagte nicht, danach zu greifen. »Er ist vor ein paar Tagen hier aufgekreuzt. Nicht lange, bevor wir uns das letzte Mal trafen wegen der Vernehmungsprotokolle aus Nevada.«

Ein Brummen in seinem Rücken bestätigte, dass Lassiter ihm zuhörte, offenbar aber mehr erwartete. Also fuhr Decker fort: »Angeblich ist Ingram gekommen, um die Sicherheitsmaßnahmen zu leiten, die die Brigade Sieben anlässlich des Besuchs von Präsident Porfirio Díaz in drei Tagen durchführen will. Als Unterstützung für die Rurales hier in El Paso del Norte, Díaz eigener Leibgarde und der Miliz. Natürlich mit aller gebotenen Diskretion.«

»Natürlich.« Lassiters Echo troff vor Sarkasmus. »Ich hätte allerdings erwartet, für eine derart wichtige Operation ohne großes Nachfragen rekrutiert zu werden. Schließlich saß ich Ihnen direkt gegenüber, der Termin war lange bekannt. Und Sie bräuchten dafür doch wohl jeden fähigen Agenten, den Sie auftreiben können, denn in Ihrem Laden stehen sich die nicht gerade gegenseitig auf den Füßen, habe ich Recht?«

Decker verzog die Lippen, denn damit hatte Lassiter natürlich recht. La Estación del Sur, wie die erste feste Niederlassung der Brigade Sieben in Mexiko genannt wurde – oder auch »der Laden«, wenn man Lassiter fragte – war personell nicht gerade üppig ausgestattet. Und nun, nach dem Debakel am Kloster San Cristobal vor zwei Tagen, bei dem sein gesamtes achtköpfiges Einsatzteam draufgegangen war, sah es düsterer denn je aus.*

»Gestern sind frische Kräfte eingetroffen«, gab er bekümmert Auskunft. »Zwölf Federales aus Texas, gute Männer ...«

»Haben Sie denen auch erklärt, weshalb die Betten Ihrer eigenen Leute jetzt freigeworden sind?« Lassiters Stimme klang bitter. »Aber dieser Ingram wird ja sicher nachbestellen können. Mehr Kanonenfutter, so wie er sich Nachschlag holt am Buffet im Hotel Alcaraz.«

Decker horchte auf. Lassiter wusste also offenbar bereits, wo der Mann aus Washington logierte, selbst wenn er bis eben noch dessen Namen nicht gekannt hatte. Er war seit seinem Untertauchen vor zwei Tagen also nicht untätig gewesen.

Sie erreichten eine Bank am Wegesrand. Die Bretter im rostigen schmiedeeisernen Rahmen waren durchgebogen, mit einer dunkelgrünen Moosschicht überzogen und von Vogelkot übersät, aber Decker ließ sich trotzdem ungefragt darauf nieder. Lassiter blieb vor ihm stehen, und nach kurzem Zögern steckte er den Remington ins Holster.

Der Mann der Brigade Sieben sah besser aus, als Decker erwartet hätte; offenbar war er irgendwo untergekommen, hatte seine Blessuren behandelt und sich etwas erholen können von den Strapazen der vergangenen Tage. Allerdings fiel Deckers geübtem Blick auf, wie Lassiter sein linkes Bein entlastete, welches unterhalb der Wade geschwollen zu sein schien.

Er zeigte darauf und fragte: »Was ist passiert?«

Lassiter schob sich einen Zigarillo zwischen die Lippen und zündete ihn an. Erst, nachdem er zwei Züge genommen und den blauen Qualm hinauf zu den Baumwipfeln geblasen hatte, antwortete er so redselig wie immer: »Schlangenbiss.«

»Ist das passiert, als Sie sich in der Gewalt der Rebellen befanden?«

»Nein«, gab Lassiter zurück. »Da hatte ich mich gerade verabschiedet.«

»Verabschiedet?« Decker hob verständnislos die Brauen. »Aber Sie waren doch bis zum Treffen am Kloster ...«

»Die Schlange beendete meinen Fluchtversuch«, knurrte Lassiter unwillig. »Frühzeitig.« Er hob den Blick und taxierte Decker, die stahlblauen Augen so kalt wie Eis. »Was hat Ingram wirklich vor, Winston?«

Decker hob die Achseln. »Ich weiß nur das, was ich gerade gesagt habe.« Eine Lüge, doch er hoffte, sie war ihm glatt genug über die Lippen gekommen, damit Lassiter sie schluckte.

»Das ist ein großer Haufen Scheiße«, gab sein Gegenüber unwillig zur Antwort, »in einem verdammt kleinen Glas – und Sie wissen es.« Lassiter nahm den Zigarillo zwischen Daumen und Zeigefinger, mit der Glut voran wie einen winzigen Speer, ehe er sich vorbeugte und damit nur eine Handbreit vor Deckers Auge verharrte.

»Ein Sonderbeauftragter kommt aus Washington, um Babysitter zu spielen für einen korrupten Potentaten? Das wäre sogar für Sie ein Job weit unterhalb Ihrer Qualifikation, Winston.« Lassiter zwinkerte, es sah verschmitzt aus. Doch die Glut des Zigarillos kam noch näher, bis Decker die Hitze zu spüren glaubte. Blinzelnd wich er ein Stück zurück.

»Teufel auch, Lassiter«, presste er hervor. »Was wollen Sie hören? Ingram ist ein arroganter Arsch, der mir nicht mal die Uhrzeit verrät, ganz zu schweigen davon, dass er mich über seine Pläne unterrichtet.«

»Er hätte mich kaltlächelnd geopfert – und Sie?«, sagte Lassiter. »Er hat all Ihre Männer über die Klinge springen lassen, Winston. Topper Headon, Mortenson, Claybourne ... ich kannte nicht alle, aber ich hab ihre Leichen gesehen. Oben auf der Mesa. Bei einigen konnte man die Gesichter nicht mehr erkennen, weil sie weggeschossen waren.« Lassiter hielt einen Moment inne, während er nachzudenken schien. Dann fragte er: »War das Ihre Idee mit der Gatlin Gun?«

»Ich wusste nicht einmal davon!« Decker hob beide Hände und sog entsetzt Luft ein, als der Zigarillo kurz nach vorn schoss. Im letzten Moment zog Lassiter ihn zurück und richtete sich auf.

»Sie verschließen die Augen vor der Wirklichkeit«, stellte er fest. »Ducken sich und hoffen, das Unwetter zieht über Sie hinweg. Aber dieser Ingram ...« Lassiter nahm einen letzten Zug vom Zigarillo, ehe er ihn fallen ließ und austrat. »Er spielt ein dreckiges Spiel und geht dabei über Leichen. Denken Sie, er würde um Sie weinen, sollten Sie einer der nächsten sein?«

Sekundenlang musterte Lassiter ihn, dann tippte er sich an die Krempe seines Stetsons, der als einziges Kleidungsstück nicht ramponiert aussah und deshalb wohl erst seit Kurzem das Haupt des Mannes bedeckte: »Passen Sie gut auf sich auf, Winston. Buenas Tardes.« Er machte kehrt und entfernte sich in Richtung Bahndamm.

Decker sah ihm nach und rang mit sich. Wem konnte er mehr trauen, Lassiter oder Ingram? Darauf fiel die Antwort nicht schwer. Aber wem gegenüber musste er loyal sein? Die Direktion der Brigade Sieben hatte ein Telegramm geschickt, deren Anweisungen waren eindeutig gewesen: Lassiters Leben hatte unbedingt geschützt zu werden. Doch nach allem, was er über die Vorgänge beim Geiselaustausch erfahren hatte, war dies nicht Ingrams Priorität gewesen.

Decker öffnete den Mund, wollte Lassiter nachrufen. Ihn bitten, zurückzukommen. Um ihm von der Frau zu erzählen, die er vor zwei Tagen vom Bahnhof abgeholt hatte, in Ingrams Auftrag.

Sie war schön, mit der Aura einer Raubkatze, und der Name Soledad Malaflor, mit dem sie sich ihm vorgestellt hatte, war so sicher falsch gewesen wie die blonde Haarfarbe von Carlita, der Hure, die Decker ab und zu aufsuchte in der Casa de las Abejas, El Pasos bestem und gleichzeitig diskretestem Bordell am Südende der Stadt.

Decker schloss die Lippen wieder, und als Lassiter hinter einer Wegbiegung aus seinem Sichtfeld verschwand, erhob er sich, holte den Flachmann hervor und trank. Einmal, um das Nervenflattern zurückzudrängen. Und dann noch zwei Schlucke, damit sich seine stets ein wenig betrübt dreinblickenden Gesichtszüge, die an einen enttäuschten Bluthund denken ließen, ebenfalls entspannten.

Er erreichte den Fuß der Treppe, starrte die Stufen hinauf und seufzte. Vielleicht würde ihn ein Besuch in der Casa de las Abejas ein wenig aufmuntern. Zu dieser Tageszeit war dort nicht viel los, und Carlita wäre bereit, ihm ihre ungeteilte Aufmerksamkeit zu widmen.

Morrow Ingram ließ den Blick über die Terrasse wandern und blieb dabei nicht zum ersten Mal für einige Sekunden an den offenen Türen hängen, die ins Foyer des Hotel Alcazar führten. Seine Finger trommelten einen ungeduldigen Rhythmus auf der Tischplatte neben der Kaffeetasse, die er ebenso wenig wie das vielfältige Frühstück angerührt hatte in der halben Stunde, seitdem er hier saß.

Wagte diese unverschämte Person es etwa, ihn ein weiteres Mal zu versetzen?

Dass sie gestern nicht zum anberaumten Dinner erschienen war, hatte Ingram noch als Retourkutsche hingenommen, weil er die Lady nicht wie vereinbart persönlich vom Bahnhof abgeholt, sondern stattdessen Winston Decker geschickt hatte, um sie zum Hotel zu chauffieren.

Er war selbst nicht glücklich gewesen über dieses Arrangement, weil er Decker eigentlich möglichst lange aus der Sache hatte heraushalten wollen, doch die Umstände hatten ihn dazu gezwungen. Außerdem war der Leiter der Estación del Sur nur ein besserer Laufbursche gewesen und weiterhin völlig ahnungslos.

So würde es auch bleiben. Decker war bis zum großen Tag vollauf damit beschäftigt, die Truppe Federales zu instruieren und die Schutzmaßnahmen zum Auftritt von Porfirio Díaz mit den Ordnungskräften vor Ort zu koordinieren. In diese Angelegenheiten würde er, Ingram, sich nur zurückhaltend einmischen, um stets auf dem neuesten Stand zu bleiben.

Dringlicher war es, sich endlich mit der Frau abzustimmen, die sich Jezebel nannte. Zwar blieben noch zwei Tage Zeit, dennoch war Ingram nicht wohl dabei, Jezebel, die vor achtundvierzig Stunden in El Paso eingetroffen war, noch nicht einmal von Angesicht zu Angesicht begegnet zu sein.

Er hatte natürlich sofort an die Tür ihrer Suite geklopft, nachdem sie ihrer Verabredung hier auf der Terrasse ferngeblieben war. Doch niemand hatte geöffnet, und unten am Empfang war ihm beschieden worden, dass die Señorita das Hotel eine halbe Stunde vor seinem Eintreffen verlassen hatte.

Danach hatte er es noch zweimal vergeblich in der zweiten Etage versucht und schließlich eine Nachricht hinterlassen, mit der dringlichen Einladung zum Brunch für heute.

Nun saß er hier, zum wiederholten Mal düpiert und fragte sich, ob man ihn in sehr aufwändiger Form zum Narren hielt.

Winston Decker hatte ihm bestätigt, dass er die Lady vom Bahnhof abgeholt und ins Hotel gebracht hatte, auch der Portier und ein Page bestätigten ihr Einchecken. Doch seitdem war sie wie vom Erdboden verschwunden.

War Jezebel mit der Hälfte ihres üppigen Honorars auf Nimmerwiedersehen verschwunden, nur weil er ihr beim Eintreffen nicht die versprochenen bonheurs erwiesen hatte? Er wusste um die Eigenheiten der Dame, konnte sich ein derart unprofessionelles Verhalten aber nicht vorstellen. Jezebel galt als zuverlässig, wenn auch schwierig. Sie pochte auf strikte Einhaltung aller Verabredungen und äußerte manchmal Forderungen, die mindestens ungewöhnlich waren. Doch bei einer Erfolgsquote von hundert Prozent – wenigstens im Falle der ihm bekannten Operationen – nahm man eine gewisse Kauzigkeit in Kauf.

Nicht hinnehmbar war allerdings, seit fast zwei Tagen behandelt zu werden, als sei man Luft!

Ein paar Tische weiter erhoben sich die außer ihm letzten noch verbliebenen Frühstücksgäste; ein Ehepaar aus Maryland, das ihm vor zwei Tagen ein Gespräch in der Bar aufgezwungen hatte und seitdem stets freundlich grüßte. Auch jetzt nickten sie ihm wieder zu, und er zwang sich zu einem schmalen Lächeln, das die Augen hinter den dunklen, kreisrunden Gläsern seiner Brille nicht erreichte, während er mit der linken Hand die Uhr aus der Westentasche zog.

Es war elf Uhr dreißig, und das Maß war voll. Schnaubend erhob er sich von seinem Stuhl, da kam sie durch die Tür.

Mr. und Mrs. Binding wichen unwillkürlich vor der schlanken Frau mit dem pechschwarzen Haar zurück, als wäre sie ein Raubtier, das unerwartet irgendwo seinem Käfig entkommen war. Jezebel würdigte die beiden keines Blickes, während sie ohne Eile an ihnen vorüber schritt, die Arme locker neben dem drahtigen Körper schwingend und Ingram zielsicher im Blick.

Er verzog die Lippen, bevor er sich zurück auf den Stuhl fallen ließ. Als Jezebel ihm gegenüber Platz nahm, hatte er bereits an der Kaffeetasse genippt und festgestellt, dass deren Inhalt fad und kalt war. Er hob die Hand und winkte dem Kellner, der abwartend neben der Tür lehnte. Als er zwei Finger hob und anschließend auf seine Tasse zeigte, nickte der Bursche und eilte hinein.

»Sie sind zu spät«, knurrte er zur Begrüßung. »Viel zu spät. Ich habe gerade überlegt, nach Ihnen suchen zu lassen.« Seine Mundwinkel hoben sich zur Andeutung eines Lächelns, das nicht erwidert wurde.

»Ich mag es nicht, wenn Verabredungen missachtet werden«, erwiderte Jezebel. Ihr Blick wanderte über die Schalen und Teller des reichhaltig gedeckten Frühstückstischs. Der Ledermantel wisperte so leise wie Fledermausschwingen, als sie sich ein wenig vorbeugte und den Arm ausstreckte. Mit geschürzten Lippen und spitzen Fingern nahm sie ein Stück Weizenbrot, tauchte es in ein Schälchen mit dunkelroter Marmelade und schob es sich in den Mund.

Fasziniert sah Ingram ihr beim Kauen zu. Sie war blass, aber mehr als nur hübsch. Die Augen standen leicht schräg und verliehen ihr etwas Katzenhaftes. Das Gesicht war herzförmig mit einer markanten Kieferlinie, der Mund vielleicht eine Spur zu klein, aber mit vollen Lippen, die sich leicht spöttisch kräuselten, als sie bemerkte, wie er sie anstarrte.

Manchmal reichten die dunklen Augengläser eben nicht aus. Dennoch streiften seine Blicke weiter unverhohlen über die Kurven ihres sinnlichen Körpers, der zwar ganz in Schwarz gehüllt war, durch den engen Schnitt und die glänzenden Stoffe aber dennoch nicht versteckt, sondern eher präsentiert wurde. Sicher nicht ohne Absicht.

Dabei brummte er: »Ich muss mich vermutlich entschuldigen, aber es gab eine dringliche Angelegenheit, die meine Anwesenheit zur Zeit Ihrer Ankunft andernorts erforderte.« Er hob beide Hände, eine Geste des Einlenkens, die ihm ein wenig schwerfiel, aber Ingram war geschmeidig.

Er brauchte diese Frau – und ihre uneingeschränkte Bereitschaft. Alles andere hatte sich dem unterzuordnen.

»Daher war ich gezwungen, Ihnen Decker zu schicken. Haben Sie das Telegramm nicht rechtzeitig erhalten?«

»Der Ritter von der traurigen Gestalt.« Jezebel nickte leicht. »Es wurde mir in Pecos vom Schaffner überreicht. Eine weitere Abweichung von den Regeln.«

»Sie bestehen darauf, über alles informiert zu werden.«

»Das ist richtig.« Sie nickte. »Aber hier in El Paso sollten mich so wenige Menschen wie möglich mit Ihnen in Verbindung bringen. Das wäre in beiderseitigem Interesse.«

»Mr. Decker leitet die Niederlassung der Brigade Sieben hier vor Ort«, wandte Ingram ein. »Er ist ...«

»... ein versoffener Idiot«, fiel Jezebel ihm ins Wort. »Oder ein Ritter von der traurigen Gestalt, wenn man es nett formulieren möchte.« Sie hob die Brauen. »Dabei sehen Sie gar nicht so nett aus, Mr. Ingram.«

»Ich verfüge durchaus über einen Sinn für feinen Humor«, erwiderte der Mann aus Washington. »Manchmal, wenn mir langweilig ist.«

Der Kellner kam und brachte den Kaffee. Er erkundigte sich höflich, ob man noch etwas wünsche, und für einen Moment war Ingram versucht, darauf zu nicken, obwohl er wusste, dass die Zeit für Bestellungen bereits seit einer Viertelstunde um war und die Angestellten sich um das Abräumen und die Vorbereitungen für die Mittagsgäste kümmern mussten.

Einfach nur, um seiner Neigung zu Gemeinheiten nachzugeben. Doch nach kurzem Überlegen entschied er sich dagegen.

Es war fortan wichtiger, sich unauffällig zu verhalten, als billigen Impulsen nachzugeben. Die Operation trat in eine entscheidende Phase ein.

Also schüttelte er freundlich lächelnd den Kopf, legte einen Dollar auf das Tablett des Kellners (nicht zu viel und nicht zu wenig) und schaute ihm nach, wie er die Terrasse verließ.

»Sie werden fortan nichts mehr mit Decker zu tun haben«, wandte er sich danach wieder Jezebel zu. »Nur noch mit mir. Ich melde mich, wenn es nennenswerte Informationen gibt oder es zu unvorhergesehenen Problemen kommt. Rechnen Sie mit so etwas?«

Jezebel hob die Achseln. »Bisher nicht. Aber das lässt sich niemals garantieren.«

»Natürlich nicht.« Ingram nickte. »Brauchen Sie noch irgendetwas von mir? Dann wäre jetzt der beste Zeitpunkt, es mitzuteilen.«

»Was hat Sie davon abgehalten, mich gleich bei meiner Ankunft zu treffen?« Jezebel musterte ihn eindringlich. Und das lange genug, damit er die Hände hob, als müsse er sich verteidigen.

»Die Sache ist erledigt«, sagte er, worauf sie den Kopf schüttelte.

»Schüsse waren zu hören, sie hallten durch das ganze Tal.« Jezebel beugte sich vor. »Ich will alles wissen, sonst reise ich noch heute Abend ab.«

Ihr schlangengleicher Blick brachte Ingram dazu, sich zurückzulehnen und achselzuckend zu knurren: »Ein Gefangenenaustausch. Der Anführer der Rebellen gegen einen von uns. Es lief nicht so, wie wir wollten. Gab ein paar Tote auf unserer und hoffentlich auch auf der anderen Seite. El Salvador ist entkommen, aber über ihn und die Gruppe der Rebellen steht bereits alles in der Akte, die Sie bekommen haben. Damit dürften Sie vorerst hinreichend informiert sein.« Er hob die Achseln. »Hätte sich nicht einer unserer Agenten überrumpeln und entführen lassen, wäre das nicht nötig gewesen. Aber dieser Lassiter ...«

»Wer?« Ingram schaute auf, weil ihm nicht entgangen war, wie scharf Jezebel plötzlich geklungen hatte.

»Lassiter.« Er musterte sie. »Warum, kennen Sie ihn?«

Jezebel starrte ihn sekundenlang an, und ihre Stirn legte sich in Falten. »Vielleicht«, murmelte sie schließlich.