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Schon beim ersten Mal, als er Mandy Dane zu Gesicht bekam, hatte sich eine leise Stimme in Lassiters Hinterkopf gemeldet, die ihn warnen wollte. Ohne Zweifel war die Lady hinreißend: Kurvig und langbeinig, strahlte sie jene Mischung aus Verlorenheit und innerer Stärke aus, gegen die ein Teil in ihm schon immer machtlos gewesen war. Ihre smaragdgrünen Augen wanderten über die Spieltische, während sie an der Bar lehnte, das Glas neben sich unberührt, seit der Bartender es vor zehn Minuten serviert hatte. Sie schien nach jemandem zu suchen, ohne zu wissen, wer dieser jemand war oder wie er aussah. Lassiter war nicht zum Vergnügen auf der Natchez, doch diese Frau zog ihn magisch an, also gab er einem Impuls nach und brachte die Stimme in sich zum Schweigen, bei der es sich wohl um seinen sechsten Sinn gehandelt hatte.
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Seitenzahl: 140
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Ein heißer Tanz mit Mandy Dane
Vorschau
Impressum
Ein heißer Tanz mit Mandy Dane
von Kolja van Horn
Schon beim ersten Mal, als er Mandy Dane zu Gesicht bekam, hatte sich eine leise Stimme in Lassiters Hinterkopf gemeldet, die ihn warnen wollte. Ohne Zweifel war die Lady hinreißend: Kurvig und langbeinig, strahlte sie jene Mischung aus Verlorenheit und innerer Stärke aus, gegen die ein Teil in ihm schon immer machtlos gewesen war. Ihre smaragdgrünen Augen wanderten über die Spieltische, während sie an der Bar lehnte, das Glas neben sich unberührt, seit der Bartender es vor zehn Minuten serviert hatte. Sie schien nach jemandem zu suchen, ohne zu wissen, wer dieser jemand war oder wie er aussah.
Lassiter war nicht zum Vergnügen auf der Natchez, doch diese Frau zog ihn magisch an, also gab er einem Impuls nach und brachte die Stimme in sich zum Schweigen, bei der es sich wohl um seinen sechsten Sinn gehandelt hatte.
Lässig bewegte sich der Mann der Brigade Sieben zwischen den Spieltischen hindurch und glich dabei das leichte Schlingern des Bodens aus. Der Mississippi unter dem Raddampfer floss träge dahin, und hätte Kapitän Thomas P. Leathers die Maschinen nicht unter Volldampf laufen lassen, würden seine Passagiere wohl nicht mal diese kleinen Bewegungen spüren. Doch dies war schließlich keine gewöhnliche Schiffstour, sondern ein Wettstreit. Und seit sie New Orleans vor drei Stunden verlassen hatten, war ihnen die Robert E. Lee unter ihrem Käpt'n John W. Cannon bereits um zwei Schiffslängen voraus.
Lassiter glaubte, einen flüchtigen Geruch nach Barbecue wahrzunehmen. Verfeuerte Leathers gerade wieder Speckschwarten und Schweinefett, um die Leistung der Dampfmaschinen zu steigern? Der Gedanke war nicht abwegig, schließlich kannte man den Kommandanten des Dampfers dafür, alle möglichen und unmöglichen Tricks anzuwenden, wenn es darum ging, die Natchez schneller zu machen. Der alte Haudegen genoss einen legendären Ruf auf dem Ol' Man River, und wie bei Revolverhelden zog ein solcher junge, aufstrebende Konkurrenz an, die sich ihre Meriten erwerben wollten, indem sie den Silberrücken besiegten.
In diesem Fall war das John W. Cannon, ein junger Südstaatengentleman mit mehr Geltungsbedürfnis als Verstand, der Leathers zum Wettstreit herausgefordert hatte. Der Ältere hatte sich anfangs noch geziert, sogar mit einem Inserat darauf hingewiesen, diesmal den Fehdehandschuh keinesfalls aufnehmen zu wollen.
Doch nachdem die Gazetten und Journale erst einmal davon Wind bekommen hatten, wuchs sich die Sache rasch zum Spektakel aus. Die Reeder waren stets dankbar für öffentliche Aufmerksamkeit, nahmen Cannons großspurige Provokation also dankend auf. Schließlich waren die goldenen Zeiten der Dampfer längst vorüber. Die Eisenbahn hatte ihnen den Rang abgelaufen, weil sie schneller und zuverlässiger war. Da kam es jedem Schiffseigner zupass, wenn er beweisen konnte, dass seine Kähne noch längst nicht zum alten Eisen zählten, sondern immerhin auf dem Wasser in der Lage waren zu immer neuen Rekorden.
Bis nach St. Louis hinauf sollte das Rennen gehen, streng kontrolliert von unabhängigen Streckenposten. Und der Käpt'n der Natchez hatte zum Start in New Orleans bereits damit für Aufsehen gesorgt, dass er weder beim Transportgut noch bei den Passagieren Abstriche machte. Im Gegensatz zu seinem Rivalen, der die Robert E. Lee ohne Ladung und mit einem Minimum an Menschen an Bord über den Fluss steuerte, hatte Leathers derartige Einschränkungen als Kinderei abgetan und angekündigt, seine Linie so zu bedienen, wie er es immer tat – Zwischenstopps in Vicksburg und Memphis zum Löschen und Aufnehmen neuer Ladung inbegriffen.
Cannon hingegen, der seinen Dampfer sogar von Decksaufbauten befreit hatte, um das Gewicht so gering wie möglich zu halten, hatte geschäumt vor Wut und Scham, als von ihm abgelehnte Reisende am Kai vor der Natchez bereitwillig willkommen geheißen und an Bord geführt wurden.
Bei der kurzen Rede an die Passagiere, die Leathers vor einer halben Stunde oben von der Galerie hinab gehalten hatte, war dem Mann keine Spur von Nervosität anzusehen gewesen ob des kleinen Vorsprungs, den die Robert E. Lee herausgefahren hatte – und Lassiter konnte nicht umhin, der Kaltschnäuzigkeit des alten Kämpen stillen Respekt zu zollen. Selbst wenn der Wettstreit der Raddampfer ihm nicht unbedingt gut in die Karten passte. Möglicherweise sorgte er sogar dafür, dass sein Auftrag, hier im Casinosaal des Dampfschiffs nach falschen Silberdollars zu fahnden, ins Leere lief, weil die Scheinwerfer des öffentlichen Interesses sämtliche Gauner so rasch vertrieben hatten wie Kakerlaken, wenn unerwartet jemand mit einer Laterne die Küche betrat.
Ein Grund mehr, die Stunden auf dem Raddampfer anderweitig sinnvoll zu nutzen, redete er sich ein, während er einem Kellner auswich, der, ein halbes Dutzend Sektkelche auf einem Tablett balancierend, vor ihm auf den großen runden Tisch mit dem Rouletterad zusteuerte.
Er erreichte den freien Platz an der Theke links der Lady und hob die Hand in Richtung des Bartenders, ehe er seinen Hintern auf den Barhocker hievte. Als er höflich lächelnd den Kopf zur Seite wandte, reagierte die Schönheit mit den grünen Augen nur flüchtig, nickte leicht und erwiderte seinen Blick für nicht einmal eine halbe Sekunde, ehe sie wieder über die Tische im Saal schaute, als sehnte sie eine Verabredung herbei, die längst überfällig war.
Lassiter bestellte sich einen Bourbon und zündete sich einen Zigarillo an, während er auf den Drink wartete. Nach zwei Zügen fragte er beiläufig: »Hat man Sie versetzt, Ma'am? Wenn Sie mir seinen Namen verraten, finde ich den Kerl noch vor Sonnenuntergang und zerre ihn her, damit er vor Ihnen niederknien und um Verzeihung bitten kann.«
Sie wandte sich ihm zu, und ihr rechter Mundwinkel hob sich, dann folgte eine Winzigkeit später die linke Augenbraue. »Wie kommen Sie darauf, Mister?«
Gleichmütig zuckte Lassiter die Achseln. »Well ... Sie inspizieren schon eine ganze Weile den Saal, und Ihren Drink haben Sie nicht einmal angerührt.« Lassiter nickte in Richtung ihres Glases, das mit einer perlenden, karmesinroten Flüssigkeit gefüllt war, in der zwei dunkle Beeren und der Schnitz einer Orange schwammen. Ursprünglich war wohl auch noch Eis im Glas gewesen, doch das war mittlerweile geschmolzen.
Nun wandte die junge Frau sich ihm ganz zu, ihre Miene war dabei nicht unfreundlich, aber wachsam. »Soll das heißen, Sie beobachten mich schon länger?«
Lassiter hob die Hand und nickte dankend dem Barkeeper zu, als der seinen Whisky vor ihm abstellte. »Reiner Zufall, wirklich. Verzeihen Sie, Miss. Ich hatte mich gelangweilt, ließ die Blicke schweifen, ganz wie Sie es tun. Und da nahm der lieblichste Anblick im Saal meine Augen gefangen, für eine Weile. Aber bei meiner Ehre, beobachtet? Nein, auf keinen Fall.« Lassiter nahm einen Zug und wackelte mit den Brauen, eine Mischung aus Schalk und Schuldbewusstsein. »Nur ganz kurz, ich schwör's Ihnen.«
Er entlockte ihr damit immerhin ein schmales Lächeln, aber sie erwiderte: »Vielleicht sollte ich trotzdem einen der kräftigen Männer vom Sicherheitsdienst rufen, damit der Ihnen auf den Zahn fühlt. Erst schauen Sie, dann sprechen Sie mich von der Seite an ... wer weiß, was Sie sonst noch so im Schilde führen.«
»Nur die besten Absichten, Miss.« Lassiter griff sich an die Hutkrempe und neigte leicht den Kopf. »Mein Name ist Lassiter. Und sollten Sie so nett sein, mir Ihren zu verraten, würde ich mich freuen, Ihnen etwas zu Trinken zu spendieren, das vielleicht etwas weniger bunt ist, aber dafür gehaltvoller ...«
Die beiden Smaragde ihrer Augen zogen Lassiter in den Bann, und für ein paar Augenblicke schien die Zeit stillzustehen, ehe sie die Lider senkte, kurz auf sein Whiskyglas schaute und sagte: »Warum eigentlich nicht? Ich heiße Mandy Dane. Und ich nehme das, was Sie trinken.«
✰
»Noch einen Drink, Sir?« Fragend hob der Kellner seine Augenbrauen und beugte sich zu dem korpulenten Mann herab, der am Ecktisch sitzend ein Taschentuch hervorgezogen hatte und sich damit die glänzende Stirn abtupfte, bevor er den Kopf schüttelte.
»Nur ein Glas Wasser mit Eis«, erwiderte er mit einer dünnen Fistelstimme, die völlig unpassend erschien angesichts des massigen Leibes, aus dem sie gekommen war.
Rennie Espoza bewegte unbewusst die fleischigen Lippen, um Speichel im Mund zu sammeln. Gleichzeitig konzentrierte er sich darauf, die Krämpfe in Magen und Darm zu unterdrücken, die Übelkeit in ihm aufsteigen ließen und übel riechende Furze produzierten. Ein Paar am Nachbartisch hatte sich bereits erhoben und war an weiter entfernte Plätze geflohen, nun hatte er die Ecke des Speiseraums wenigstens für sich allein.
Die zweite Schale Gumbo war ein Fehler gewesen, eigentlich hatte er das schon geahnt, als man sie ihm servierte. Doch wenn Espoza nervös war, dann fraß er. Es war ein Reflex, ein Schutzmechanismus seines Geistes, um das Zittern und den flatternden Herzschlag unter Kontrolle zu bringen. Andere rauchten oder kippten sich Schnaps hinter die Binde, er stattdessen stopfte sich Essen in den Schlund. Das war wahrscheinlich noch die beste Methode, nur musste Espoza sich seit einiger Zeit fast ständig beruhigen, deshalb hatte er in zwei Jahren gut und gern vierzig Pfund zugelegt.
Seine Mutter beschimpfte ihn als Fettwanst, sie weigerte sich inzwischen sogar, ihm seine geliebten geschmorten Innereien zu kochen! Seitdem war ihr eigentlich inniges Verhältnis merklich abgekühlt.
Ein älterer Gentleman betrat den Raum, in dem das Licht und der Geräuschpegel deutlich gedämpfter waren als im Casino nebenan. Im kurzen Zeitraum, während dem der Durchgang offenstand, drang Stimmengewirr, Gelächter, Klirren von Gläsern und das Klackern der Roulettekugeln aus dem benachbarten Saal herein, dann schloss sich die ledergepolsterte Tür wieder.
Espoza beobachtete ohne großes Interesse, wie der Mann mit dem grauen Haarkranz an einem der vorderen Tische Platz nahm. Denn die Person, mit der er sich auf der Natchez treffen wollte, war eine Frau. Das Problem daran war nur – er wusste nicht, wie sie aussah.
Im Nachhinein ärgerte er sich zutiefst darüber, dem Killer Carte blanche erteilt zu haben. Es war ein dummer Anfall von Geiz gewesen, aus einer Laune heraus, als der gedungene Mörder gefragt hatte, ob er nicht Tabula Rasa machen und alle Beteiligten erledigen sollte, um ihm dann zu bringen, was Espoza wollte. »Tu, was du tun musst«, hatte er geantwortet, »aber übertreib's nicht.«
Und nachdem ihm kurz vor dem Ablegen mitgeteilt worden war, dass die Dinge in New Orleans nicht so gelaufen waren wie geplant, konnte Espoza nicht einmal sicher sein, ob das Geschäft auf dem Dampfer so über die Bühne gehen würde, wie es vereinbart worden war. Die Lady war tot, und er hatte ein paar Dutzend falscher Silberdollars bekommen, nicht jedoch die Karte. Die hatte jemand anders, der ihm eine Nachricht per Boten geschickt hatte. Das Treffen würde stattfinden, das Honorar bliebe dasselbe – fünftausend Dollar in Jetons für die falschen Silbermünzen, die er ja bereits in seinem Besitz habe.
Da hatte jemand ordentlich Chuzpe, das musste der Neid ihr lassen. Denn Espoza glaubte fest daran, dass er es mit einer zweiten Frau zu tun hatte, einer Freundin womöglich. Warum, wusste er selbst nicht so genau – es war ein Gefühl, und seine Instinkte trogen ihn selten.
»Ihr Wasser, Sir ...« Der Kellner tauchte auf und stellte das Glas vor ihm auf den Tisch. Er musterte Espoza indigniert. »Geht es Ihnen gut?«
»Wenn Sie etwas Natron hätten«, brachte der Angesprochene mit einem verkniffenen Lächeln heraus. »Mir ist nicht ganz wohl.«
»Selbstverständlich.« Der Kellner wollte sich zum Gehen wenden, als der korpulente Mann im weißen Leinenanzug hinzufügte: »Und einen doppelten Gin.« Ein leiser Furz entfuhr ihm, wie ein blasses Ausrufezeichen. Der Kellner nickte nur und machte, dass er davonkam.
Espoza kratzte sich das stoppelbärtige Doppelkinn und zuckte die Achseln. Nach dem vierten Mal war es Zeitverschwendung, sich noch über Schamgefühle Gedanken zu machen. Stattdessen fragte er sich, was er tun konnte, um die Dinge zu beschleunigen. Doch ihm waren die Hände gebunden.
Man würde sich wie geplant bei ihm melden, so hatte die letzte Nachricht gelautet. Hier, auf der Natchez, zu gegebener Zeit.
Wenigstens entfernte er sich mit jeder Minute weiter von New Orleans, und eines war sicher: Einer seiner größten Widersacher war wie geplant zur Hölle gefahren. Nun galt es, Fat Pat Augustines Erbe anzutreten. Allerdings fragte sich, wer ihm den Schlüssel zu Ali Babas Räuberhöhle übergeben würde.
Der Kellner kehrte zurück, auf dem Tablett befanden sich ein Tütchen Pulver für seinen Magen, ein gut gefülltes Glas mit Gin – und ein kleines Kuvert. Fragend schaute Espoza zur Bedienung auf, doch der Kellner breitete die Hände aus.
»Das wurde für sie abgegeben, hinten in der Küche. Man konnte mir nicht sagen, von wem der Umschlag stammt.«
Espoza runzelte die Stirn, nickte aber und bedankte sich. Er öffnete zuerst das Tütchen mit dem Natron, schüttete es statt in das noch halb volle Wasserglas in den Gin und trank die Mischung in einem Zug aus. Der hochprozentige Alkohol und das Basenpulver kamen im Magen an und schienen sich in ihrer Wirkung gegenseitig zu befeuern. Er räusperte sich, dann nahm er das Kuvert zur Hand.
Die Karte darin war beschrieben mit scharf gezogenen Lettern, deren Ober- und Unterbögen wie gezeichnete Dolche wirkten:
Morgen früh. Um fünf Uhr auf dem Sonnendeck. Bringen Sie die Jetons mit.
✰
Der Nachmittag verging wie im Fluge in Gesellschaft von Mandy Dane, und Lassiter musste sich ab und an selbst an seine Pflichten erinnern. Er behielt immerhin einigermaßen regelmäßig die Spieltische im Blick, vor allem aber den Schalter der Bank, an dem die Gambler Münzen und Banknoten in Chips und Jetons tauschen konnten, weil der Einsatz von Bargeld im Casino zwar geduldet, aber nicht gern gesehen wurde.
Die Brigade Sieben hatte ihn mit der Natchez auf die Reise geschickt, nachdem seine Ermittlungen in New Orleans mehr oder weniger im Sande verlaufen waren. Der Auftrag lautete, einer Falschmünzerbande auf die Spur zu kommen, die in großem Stil Silberdollars unter die Leute brachte, welche nur oberflächlich aus dem Edelmetall bestanden, in Prägung und Gewicht den echten Münzen aber täuschend ähnlich waren.
Der Schlupfwinkel der Zinker befand sich irgendwo in den Sümpfen Louisianas, und die Fäden wurden wohl in New Orleans' French Quarter gezogen, von einem der Bordellkönige des Rotlichtviertels. Dort jedenfalls waren Lassiter und andere Ermittler auf verdächtig viele Exemplare der falschen Silberdollars gestoßen. Doch als vor ein paar Tagen Fat Pat Augustine erschossen worden war, einer der Bosse der Unterwelt von New Orleans, hatten sich Spuren verflüchtigt und zuvor noch durchaus gesprächige Spitzel waren untergetaucht. Lassiter war sich vorgekommen wie ein Jagdhund, der einer fetten Wurst hinterhergehechelt war, die jemand an einer Schnur vor ihm wegzog – bis sie hinter einer Klappe verschwand und er mit hängender Zunge vor einer Mauer stand.
Eigentlich hatte er sich daraufhin mit einem Bundesmarshal namens Gab Brokenwood treffen wollen, um gemeinsam zu versuchen, die Spur der falschen Silberdollars wieder aufzunehmen. Doch der Sternträger war nicht zum vereinbarten Treffen erschienen. Der einzige Hinweis, der Lassiter noch geblieben war, war die Natchez gewesen. Dort sollte eine größere Menge Falschmünzen den Besitzer wechseln, so viel hatte ihm ein Informant noch mitgeteilt, kurz vor dem Mord an Augustine.
Er hatte ein Telegramm nach Memphis gesandt, zum Kontaktmann der Brigade Sieben, um neue Order anzufordern, aber keine Antwort erhalten. Als die beiden Dampfer am frühen Morgen vom Kai ablegen wollten, hatte er sich entschieden, auf eigene Faust und gut Glück an Bord der Natchez zu gehen.
Wegen des vagen Hinweises des Spitzels, aus einem Bauchgefühl heraus – und weil er beobachtet hatte, wie Ernest »Rennie« Espoza seinen schwabbeligen Körper über die Planken an Bord der Natchez schleppte.
Der korpulente Mann mit den vorspringenden Augen, der fleckigen weißen Haut und den maßgeschneiderten Anzügen, deren Stofffarbe sich kaum vom Teint ihres Trägers unterschied, galt im nahen Baton Rouge als honoriger Geschäftsmann, der in Baumwolle, Hanf und Tabak machte und fleißig für Kirchen und Armenhäuser spendete. Lassiter oder vielmehr die Brigade Sieben wussten es allerdings besser: Kaum ein krummes Ding, dessen Beute wirklich bedeutend war, wurde nicht über den dicken Mann mit der Dachsfrisur abgewickelt. Er war der Fürst aller Hehler im tiefsten Süden der Vereinigten Staaten, obwohl man ihm nie persönlich auch nur den geringsten Gesetzesverstoß hatte nachweisen können.
Also war Lassiter tatsächlich für einen Moment abgelenkt von der bezaubernden Gegenwart der schönen Frau an seiner Seite, als er beobachtete, wie Espoza aus dem benachbarten Speisesaal das Casino betrat, sich kurz umschaute und dann zielstrebig in Richtung des Bankschalters schlurfte. Dabei hoben sich die Schuhe scheinbar kaum über den abgewetzten Casinoteppich.
Espozas Anzug war erkennbar maßgeschneidert, ohne dass der teure Zwirn in der Lage war, das unansehnliche Äußere seines Besitzers zu kaschieren.
Lassiters Blick fixierte die Reisetasche von Espoza. Sie schien sehr schwer zu sein, denn sein Träger ließ die Schulter hängen und ging mit schweren Schritten.
»Lassiter?« Die Stimme von Mandy Dane ließ ihn den Kopf wenden. »Alles okay?«
Er grinste. »Sicherlich. Entschuldigen Sie.«
»Keine Ursache ...« Sie hob ihr Glas, hielt es ihm entgegen. »Wie wäre es mit dem Du? Nach unserem dritten gemeinsamen Drink?« Ihre unglaublich grünen Augen hefteten sich an die seinen, hielten Lassiters Blick fest.
Er griff nach seinem Whisky, und sie stießen an, bevor sie tranken.