Die vergessenen Briefe - Carina Lind - E-Book

Die vergessenen Briefe E-Book

Carina Lind

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Beschreibung

In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie wird die von allen bewunderte Denise Schoenecker als Leiterin des Kinderheims noch weiter in den Mittelpunkt gerückt. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. »Schatz, kannst du bitte zu uns in die Küche kommen? Wir müssen mit dir reden«, rief Louises Mutter. Eigentlich hatte das Mädchen keine Lust, das spannende Buch, in dem es gerade schmökerte, beiseitezulegen. Doch da war ein ungewohnter Ton in Mamas Stimme, also stand Louise doch vom Sofa auf. Ihre Eltern saßen sich am Küchentisch gegenüber. Ihr Vater räusperte sich vernehmlich, als sie sich zu ihnen setzte. »Louise, wir haben eine wichtige Nachricht für dich«, sagte ihr Papa. Louises Mutter nickte und fing sofort an zu erklären: »Dein Vater und ich … wir müssen wieder für einige Zeit verreisen. Diesmal geht es nach Indien, nach Manipur. Dort wird ein humanitäres Projekt ins Leben gerufen, welches dringend unsere Hilfe braucht. Wir haben gerade erst davon erfahren und …« »…und ich kann mal wieder nicht mitkommen?«, unterbrach Louise ihre Mutter. »Leider nicht, Liebes«, antwortete Louises Vater sanft. »Du musst ja zur Schule.« »Immer diese blöde Schule«, maulte Louise.

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Seitenzahl: 127

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Sophienlust - Die nächste Generation – 147 –Die vergessenen Briefe

Ein altes Geheimnis wird gelüftet

Carina Lind

»Schatz, kannst du bitte zu uns in die Küche kommen? Wir müssen mit dir reden«, rief Louises Mutter. Eigentlich hatte das Mädchen keine Lust, das spannende Buch, in dem es gerade schmökerte, beiseitezulegen. Doch da war ein ungewohnter Ton in Mamas Stimme, also stand Louise doch vom Sofa auf.

Ihre Eltern saßen sich am Küchentisch gegenüber. Ihr Vater räusperte sich vernehmlich, als sie sich zu ihnen setzte. »Louise, wir haben eine wichtige Nachricht für dich«, sagte ihr Papa.

Louises Mutter nickte und fing sofort an zu erklären: »Dein Vater und ich … wir müssen wieder für einige Zeit verreisen. Diesmal geht es nach Indien, nach Manipur. Dort wird ein humanitäres Projekt ins Leben gerufen, welches dringend unsere Hilfe braucht. Wir haben gerade erst davon erfahren und …«

»…und ich kann mal wieder nicht mitkommen?«, unterbrach Louise ihre Mutter.

»Leider nicht, Liebes«, antwortete Louises Vater sanft. »Du musst ja zur Schule.«

»Immer diese blöde Schule«, maulte Louise. »Nie darf ich mit euch mit!«

»Außerdem wäre es viel zu anstrengend für dich«, sagte Louises Mutter, ohne auf den Einwurf ihrer Tochter einzugehen. »In Manipur warten unzählige Menschen auf medizinische Hilfe, auf Wasser und Nahrung und eine Unterkunft. Die Situation dort ist sehr angespannt, Hilfe ist dringend erforderlich.« Dass die Situation in Manipur zudem äußerst gefährlich war, erwähnte Louises Mutter wohlweislich nicht.

»Dann muss ich also wieder zu deiner Schwester, Mama? Zu Tante Clara?«

»Ja, mein Schatz. Clara wird in der Zeit, in der wir in Indien sind, auf dich aufpassen.«

Louise atmete tief ein. Tante Clara war zwar sehr nett, trotzdem wäre sie natürlich viel lieber bei ihren Eltern geblieben. »Und wie lange werdet ihr weg sein?«, fragte das Mädchen verstört.

»Etwa vier Wochen. So ist es jedenfalls geplant. Natürlich werden wir dich, so oft es geht, anrufen.«

»Okay. Ich verstehe«, seufzte Louise. Einerseits war sie stolz auf ihre Eltern und deren Arbeit, andererseits fürchtete sie die kommende Zeit ohne sie. Doch sie wollte ihnen keine Sorgen bereiten.

Einige Tage später war es bereits so weit. Der Morgen war klar und kühl, als Louises Mama mit ihrer Tochter zum Auto ging. Ihr Koffer, prall gefüllt mit Kleidung, Büchern und allem anderen, was das Mädchen brauchen würde, stand schon im Kofferraum. Louises Schultasche lag direkt daneben.

»Haben wir auch nichts vergessen?«, fragte ihre Mutter, während sie Louises Jacke ordentlich zuknöpfte.

»Ich glaube nicht, Mama«, antwortete Louise leise. Dann verabschiedete sie sich von ihrem Papa und setzte sich auf den Beifahrersitz.

Die Fahrt ging durch ganz Maibach, bis an das andere Ende der Stadt. Dort bewohnte Clara ein schmuckes Einfamilienhaus mit einem großen, sehr gepflegten Garten. Die Hortensien standen in voller Blüte, und auf dem Apfelbaum reiften die ersten Früchte.

Clara stand vor dem Gartenzaun, wo sie auf ihre Schwester Bianca und auf Louise gewartet hatte. »Willkommen, ihr zwei Hübschen!«, rief Clara, kaum dass Louise und ihre Mama aus dem Wagen gestiegen waren. Erst umarmten sich die beiden Schwestern sehr herzlich, dann nahm Clara auch ihre Nichte in den Arm.

»Ich habe Louises Zimmer schon vorbereitet«, versicherte Clara, als sie und Bianca Louises Gepäck aus dem Kofferraum nahmen und ins Haus trugen.

Es war nicht das erste Mal, dass Louise einige Zeit bei ihrer Tante Clara verbrachte. Dort ging es ihr immer prächtig, Clara erlaubte ihrer Nichte nämlich manches, was sie zu Hause nicht durfte. Louise konnte es sehr genießen, abends deutlich länger Fernsehen zu schauen. Eine ganze Tafel Schokolade auf einmal zu verputzen. Oder im Wohnzimmer bei krachend lauter Musik Breakdance zu üben. Trotzdem sehnte sich Louise natürlich nach ihren Eltern. Auch wenn sie abends häufig mit ihnen telefonieren konnte, verspürte sie ein mulmiges Gefühl in der Magengegend.

So gingen einige Tage dahin, doch dann geschah etwas völlig Unerwartetes.

Es war ein Mittwochabend, als Clara nach einem langen Arbeitstag nach Hause kam. Louise, die gerade über ihren Hausaufgaben schwitzte, hörte das vertraute Geräusch von Claras Schritten im Flur. Sofort warf das Mädchen Bleistift und Geo-Dreieck beiseite und lief aus dem Zimmer in den Hausflur. Dort blieb Louise wie angewurzelt stehen.

»Ist alles in Ordnung, Tante Clara?«, fragte Louise. Claras Gesichtsausdruck war nämlich ganz anders als sonst, so merkwürdig, dass er nicht zu deuten war.

Clara blieb einen Moment lang still, als müsste sie ihre Gedanken sortieren. Dann lächelte sie ihre Nichte auf eine Art und Weise an, die ihre gemischten Gefühle verrieten.

»Wir wollen uns ins Wohnzimmer setzen«, sagte Clara schließlich und winkte ihrer Nichte, ihr zu folgen.

»Was ist denn, Tante Clara?«, fragte Louise aufgeregt. »Gibt es etwa ein Problem?«

Clara blickte Louise direkt in die Augen. »Ja, es gibt sogar zwei. Das erste ist, dass du mich nicht Tante nennen sollst. Das klingt für mich, als wäre ich bereits uralt. Das habe ich dir schon oft gesagt, also denke bitte daran, dass ich Clara heiße. Einfach nur Clara.«

»Na gut, ich will es mir jetzt endlich merken. Und was ist das zweite Problem?«

Clara richtete sich in ihrem Sessel kerzengerade auf und atmete einmal tief durch. »Heute Nachmittag hat man mich zu einer Konferenz der Geschäftsführung gebeten. Man hat mir eine Position angeboten, von der ich nie zu träumen gewagt hätte. Es ist die Position eines Director of International Operations.«

»Director für internationale Operationen?«, fragte Louise. »Was soll das heißen? Du bist doch keine Ärztin, Tante … äh, ich meinte Clara.« Louise konnte bereits recht gut Englisch, sie besuchte nämlich die neunte Klasse des Maibacher Gymnasiums. Trotzdem wusste sie nicht, was dieser Titel zu bedeuten hatte.

»Für diesen Titel gibt es verschiedene Übersetzungen«, erklärte Clara. »Die beste ist wohl Leiterin für internationale Zusammenarbeit. Es ist eine unglaubliche Chance für mich. Und ein großer Schritt nach oben in der Firmenhierarchie.«

»Das klingt doch toll, Clara«, sagte Louise zögerlich. Natürlich ahnte das Mädchen, dass es auch einen Haken geben musste. Immerhin hatte Clara von einem zweiten Problem gesprochen.

»Ja, es ist wirklich toll«, stimmte Clara zu. »Und mehr als das. Es ist einfach fantastisch.«

»Wo ist dann das Problem?«

»Diese Beförderung ist mit einem intensiven Einarbeitungsprozess verbunden. Das bedeutet viele Schulungen, lange Arbeitstage, und wahrscheinlich muss ich auch oft verreisen. Ich hätte also nicht mehr genug Zeit, um mich um dich zu kümmern.«

Ein unbehagliches Schweigen breitete sich aus. Louise spürte, wie sich ein Knoten in ihrem Magen bildete. »Das heißt, ich muss wieder weg?«, fragte sie leise.

Clara verließ ihren Sessel und setzte sich neben ihre Nichte auf das Sofa. Sie griff nach Louises Hand und drückte sie sanft. »Ich darf diese einmalige Chance nicht verpassen. Das wirst du sicher verstehen, Liebes. Aber du bist mir natürlich noch wichtiger. Wir müssen einen Weg finden, der für uns beide funktioniert.«

Louise blickte ihre Tante von der Seite an. Obwohl sie Angst vor dem hatte, was nun kommen konnte, wollte sie nicht, dass Clara ihre Karrierechancen für sie opferte. »Du musst die Beförderung annehmen«, sagte Louise schließlich. »Ich werde schon irgendwie alleine klarkommen. Immerhin bin ich schon dreizehn. Ich kann Tiefkühl-Pizza aufbacken, ich werde also nicht verhungern.«

Clara lächelte Louise liebevoll an: »Das ist sehr tapfer von dir, Louise. Aber so geht es natürlich nicht. Deshalb habe ich über eine andere Lösung nachgedacht. Wie würde es dir gefallen, wenn ich dich vorübergehend in Sophienlust unterbringe?«

»In Sophienlust? Das ist doch ein Waisenhaus! Und da soll ich hin?«

»Es ist nicht nur ein Waisenhaus. In Sophienlust werden auch Gastkinder aufgenommen, deshalb ist es eigentlich ein Kinderheim. Außerdem gehen viele Kinder, die in Sophienlust leben, auf dieselbe Schule wie du. Du müsstest sie eigentlich kennen. Erst neulich hast du mir von Pünktchen erzählt.«

»Ja, ich kenne Pünktchen vom Schulhof. Eigentlich heißt sie Angelina, aber alle nennen sie Pünktchen, weil sie so viele Sommersprossen hat. Vicky und Angelika kenne ich auch, das sind zwei Schwestern. Die haben ihre Eltern bei einem Lawinenunglück verloren, seitdem leben sie in Sophienlust. Wie schrecklich ist das denn, Tante … äh, Clara?! Dann sind da noch ein paar Jungs, Martin, Fabian und Simon.« Louise zählte alle Sophienlust-Kinder, die sie vom Schulhof kannte, an ihren Fingern ab. »Seit Neustem ist da auch noch ein Mädchen. Ich glaube, sie heißt Roswitha … Ach ja, jetzt erinnere ich mich … Pünktchen hat erzählt, dass Roswitha von ihrer Mutter in Sophienlust abgegeben wurde, weil die sie nicht mehr haben will! Boah, ist das aber gemein!«

»Na siehst du! Du kennst bereits viele Kinder, die in Sophienlust leben. Dann wird es dir sicher nicht schwerfallen, dich dort einzugewöhnen. Es ist ja auch nur für eine gewisse Zeit.«

»Wie lange denn?«

»Das weiß ich jetzt noch nicht so genau. Aber darüber sollst du dir bitte keine Sorgen machen. Sophienlust liegt in der Nähe von Wildmoos, das ist nicht weit von Maibach entfernt. Wenn irgendetwas passiert, wenn du Hilfe brauchst, kannst du mich jederzeit anrufen. Dann schicke ich meine Sekretärin sofort zu dir.«

»Frau Brunner«, seufzte Louise. »Und wo bringt die mich dann hin?«

»So weit wollen wir jetzt noch gar nicht denken, Schatzi. Im Übrigen bin ich mir ganz sicher, dass es dir in Sophienlust gefällt.«

Natürlich hatte sich Clara längst im Internet über Sophienlust informiert. Sie hatte auch mit Dominik von Wellentin-Schoenecker, dem Leiter des Kinderheims, telefoniert. Obwohl Clara inzwischen wusste, dass Herr von Wellentin-Schönecker noch sehr jung war, hatte sie schnell Vertrauen zu ihm gefasst. In der geschäftlichen Position, die sie derzeit noch innehatte, hatte sie nämlich viel Menschenkenntnis erworben.

Clara legte einen Arm um Louises Schultern. Dann fing sie an, Sophienlust vor den Augen ihrer Nichte in den schönsten Farben auszumalen. Sie sprach von dem Haus, in dem jedes Kind ein eigenes Zimmer hatte. Sie erklärte, dass es ein stattlicher Herrensitz war, der fast wie ein Schloss wirkte. Sie erzählte auch von dem großen Park mit seinen Spielplätzen. Von den zwei großen Hunden, die im Park herumtobten, und von den Pferden, die zu Sophienlust gehörten.

»Ja, von den Pferden hat Pünktchen auch schon erzählt«, sagte Louise. »Vielleicht ist Sophienlust doch gar nicht so schlecht.«

»Ich kann meine allerliebste Nichte also doch dazu überreden, eine Weile in Sophienlust zu bleiben?«, versuchte Clara, ihre Nichte zu bezirzen. »Auch wenn ich sie zur Belohnung in das beste Restaurant von ganz Maibach einladen muss?«

»Dahin, wo es die leckersten Pommes der Welt gibt? Und den extra süßen Kaiserschmarrn zum Nachtisch? Und das noch heute? Jetzt gleich?«

»Natürlich. Was hast du denn gedacht?«

»Hach!«, stieß Louise mit einer Mischung aus Vorfreude und Resignation aus. »Na gut. Wenn‘s denn sein muss, kannst du mich nach Sophienlust bringen.«

Als Louise ihr Einverständnis gab, atmete Clara innerlich erleichtert auf. Natürlich hatte sie Louise längst unter Vorbehalt in Sophienlust angemeldet.

*

Der Nachmittag war grau und regnerisch, als Clara mit Louise nach Sophienlust fuhr. Das leise Prasseln des Regens auf dem Autodach schien die gedrückte Stimmung noch zu verstärken, die über Louise hing wie ein schweres Tuch. Immer wieder versuchte Clara, ein lockeres Gespräch mit ihrer Nichte zu führen, doch Louise war zu sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt, um wirklich darauf einzugehen. Das mulmige Gefühl in ihrer Magengegend hatte sich seit heute Morgen mächtig verstärkt, gleichzeitig pochte ihr Herz vor Aufregung. Einerseits freute sie sich auf Pünktchen und die anderen Kinder, auf die Hunde und Pferde, andererseits kam sie sich verloren und wie abgeschoben vor. Ihre Eltern waren nur sporadisch zu erreichen, weil das Netz in Manipur immer wieder zusammenbrach. Auch Clara war aus Louises Sicht ganz weit weg, auch wenn sie versprochen hatte, dass sie sie jederzeit anrufen könne.

»Wir sind gleich da, Liebes«, sagte Clara schließlich. »Da hinten kann man schon das Eingangstor von Sophienlust erkennen.«

Vom Eingangstor führte ein Weg durch einen sehr schönen Park. Bald tauchte auch das imposante Gebäude auf. Es war ein altes, herrschaftliches Haus, das von einer stillen Eleganz umgeben war, die sehr einladend wirkte. Die hohen Fenster und die verzierte Fassade erinnerten Louise an die Geschichten, die sie als kleines Kind über alte Schlösser und Burgen gelesen hatte. Leider war dieses Haus kein Märchenort, sondern der Ort, der für die nächste Zeit ihr Zuhause sein sollte.

»So, da wären wir«, sagte Clara, als sie das Auto zum Stehen brachte und den Motor abstellte. Sie drehte sich zu Louise um und legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Es wird alles gut, Louise. Du wirst sehen, hier sind viele nette Menschen.«

Clara und ihre Nichte stiegen aus, dabei fühlte Louise den kühlen Hauch des Regens auf ihrer Haut. Sein leises Rauschen wurde von knirschendem Kies unter ihren Füßen begleitet, als sie auf die breite Freitreppe zugingen, die zum Haus hinaufführte. Bevor Clara auf den Klingelknopf drücken konnte, öffnete sich die Tür. Ein attraktiver junger Mann stand im Eingangsbereich und begrüßte sie.

»Willkommen in Sophienlust«, sagte er mit einem Lächeln. »Ich bin Dominik von Wellentin-Schoenecker, der Leiter von diesem Heim. Du kannst mich gerne duzen und Nick nennen, Louise, das sagen hier alle zu mir.«

Nick reichte erst Clara, dann Louise seine Hand, welches sie zögernd ergriff. Als sie seinen sanften, warmen Händedruck spürte, merkte sie, wie ihre Nervosität deutlich nachließ. Nick strahlte eine solche Herzlichkeit aus, dass es schwer war, sich nicht zumindest ein wenig getröstet zu fühlen.

»Wir haben schon alles für dich vorbereitet«, sagte Nick freundlich zu Louise, »Du wirst dich sicher schnell bei uns einleben. Die anderen Kinder freuen sich schon auf dich, viele kennst du ja bereits aus der Schule.«

Nick führte Clara und Louise in die Eingangshalle, und weiter in den ersten Stock hinauf, wo sich die Kinderzimmer befanden. Das Zimmer, welches für Louise vorgesehen war, wirkte einladend und sehr gemütlich. Es gab überhaupt keinen Grund, sich dort nicht wohlzufühlen.

Nachdem Clara das Zimmer inspiziert und für gut befunden hatte, ging sie zusammen mit Nick wieder nach unten, um Louises Gepäck zu holen. Clara half ihrer Nichte noch, sich in ihrem neuen Zuhause einzurichten, dann nahm sie Louise in den Arm, um sich von ihr zu verabschieden.

»Ich muss jetzt leider schon wieder in die Firma«, sagte Clara dabei. »Wenn es ein Problem gibt, wenn etwas nicht in Ordnung ist, dann rufst du mich an. Dann schicke ich meine Sekretärin zu dir, versprochen.«

Louise fühlte, wie sich ein Kloß in ihrem Hals bildete, doch sie nickte tapfer. »Okay, Clara«, sagte sie und zwang sich zu einem Lächeln. Zusammen mit Nick begleitete sie ihre Tante noch bis zum Auto. Als Clara davonfuhr, winkte sie dem Auto noch lange hinterher. Als es aus ihrem Blickfeld verschwunden war, fühlte sich das Mädchen plötzlich ganz klein und wie verloren in der fremden Welt von Sophienlust.

Nick erkannte Louises Unsicherheit natürlich sofort. »Komm, Louise, sicher möchtest du jetzt zu den anderen Kindern«, sagte er schnell, um das Mädchen von sich selbst abzulenken. »Weil das Wetter so schlecht ist, sind sie alle im Spielzimmer. Wollen wir jetzt dorthin gehen?«

Halb neugierig, halb willenlos ging Louise mit Nick zurück in die Eingangshalle. Von dort zweigte ein Flur ab, der zum Spielzimmer führte. Als Louise mit Nick in das Zimmer ging, stürzten sofort zwei große Hunde auf das Mädchen zu, eine dunkelbraune Dogge und ein Bernhardiner.

»Ach du meine Güte!«, rief Nick erschreckt. »An unsere Hunde hatte ich gar nicht gedacht. - Du hast doch hoffentlich keine Angst vor Hunden, Louise?«

»Nein, überhaupt nicht. Ich mag Hunde sehr gerne.« Geduldig ließ sich das Mädchen von den beiden beschnüffeln, dann streichelte sie ihnen über das Fell.