Neues Glück am Haselberg - Carina Lind - E-Book

Neues Glück am Haselberg E-Book

Carina Lind

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Beschreibung

In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie wird die von allen bewunderte Denise Schoenecker als Leiterin des Kinderheims noch weiter in den Mittelpunkt gerückt. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. Jedes Mal wenn Leander zum Gartenhaus ging, blieb er kurz vor dem hübschen Gebäude stehen, um es in aller Ruhe zu betrachten. Die Mauern waren fast komplett von wildem Wein überwuchert, der jetzt im Frühjahr seine ersten Blätter entfaltete. Gleich daneben blühte der Apfelbaum, darunter breiteten sich Krokusse und Narzissen aus. Das Gartenhaus gehörte zum Anwesen Karl-Gustavs von Retten, Leanders Schwiegervater. In dessen nobler Villa lebte er mit Stefanie, seiner Frau, und seinem Sohn. Die Villa, der große, gepflegte Garten, alles war vom Besten, vom Feinsten, einzig das Gartenhaus war ziemlich in die Jahre gekommen. Nach Ansicht Karl-Gustavs hätte man es abreißen und durch einen modernen Pavillon ersetzen sollen. Es hatte Leander viel Überredungskunst gekostet, seinem Schwiegervater diese Idee auszureden und ihm das Gartenhaus als Atelier zu überlassen. Seitdem verbrachte er dort so viel Zeit wie möglich, um zu zeichnen und zu malen. Wie immer knarrte die Tür ein wenig, als Leander sie öffnete. Er liebte dieses Geräusch. Für ihn hörte es sich an, als habe das Gartenhaus eine Stimme, fast so, als ob es lebendig wäre. Auch drinnen offenbarte das alte Gemäuer seinen ganz eigenen Charme, der von dem kreativen Chaos, das hier herrschte, noch unterstützt wurde. Heute war Leander jedoch nicht gekommen, um zu malen, er wollte mit Muße das Bild betrachten, das er gestern fertiggestellt hatte. Also rückte er seinen Sessel zurecht, und obwohl dieser ziemlich abgewetzt und mit Farbe bekleckert war, mochte Leander gerade diesen Sessel besonders gern. Er ließ sich in das Polster fallen und blickte auf das Porträt, das vor ihm auf der Staffelei stand. Leander hatte sich angewöhnt, seine künstlerischen Werke immer sehr kritisch zu beurteilen, doch jetzt durfte er sich gratulieren, das Porträt seiner Frau war wirklich gut gelungen. Leider hatte Stefanie nicht ein einziges Mal Modell gesessen, obwohl er sie mehrmals darum gebeten hatte. Deshalb hatte Leander verschiedene Fotos zu Hilfe genommen, um seine Vorstellungskraft beim Malen zu unterstützen. Die Fotos lagen noch immer auf einem Beistelltisch.

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Seitenzahl: 133

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Sophienlust - Die nächste Generation – 60 –Neues Glück am Haselberg

Leander und Fridolin wagen den Neubeginn …

Carina Lind

Jedes Mal wenn Leander zum Gartenhaus ging, blieb er kurz vor dem hübschen Gebäude stehen, um es in aller Ruhe zu betrachten. Die Mauern waren fast komplett von wildem Wein überwuchert, der jetzt im Frühjahr seine ersten Blätter entfaltete. Gleich daneben blühte der Apfelbaum, darunter breiteten sich Krokusse und Narzissen aus. Das Gartenhaus gehörte zum Anwesen Karl-Gustavs von Retten, Leanders Schwiegervater. In dessen nobler Villa lebte er mit Stefanie, seiner Frau, und seinem Sohn. Die Villa, der große, gepflegte Garten, alles war vom Besten, vom Feinsten, einzig das Gartenhaus war ziemlich in die Jahre gekommen. Nach Ansicht Karl-Gustavs hätte man es abreißen und durch einen modernen Pavillon ersetzen sollen. Es hatte Leander viel Überredungskunst gekostet, seinem Schwiegervater diese Idee auszureden und ihm das Gartenhaus als Atelier zu überlassen. Seitdem verbrachte er dort so viel Zeit wie möglich, um zu zeichnen und zu malen.

Wie immer knarrte die Tür ein wenig, als Leander sie öffnete. Er liebte dieses Geräusch. Für ihn hörte es sich an, als habe das Gartenhaus eine Stimme, fast so, als ob es lebendig wäre. Auch drinnen offenbarte das alte Gemäuer seinen ganz eigenen Charme, der von dem kreativen Chaos, das hier herrschte, noch unterstützt wurde.

Heute war Leander jedoch nicht gekommen, um zu malen, er wollte mit Muße das Bild betrachten, das er gestern fertiggestellt hatte. Also rückte er seinen Sessel zurecht, und obwohl dieser ziemlich abgewetzt und mit Farbe bekleckert war, mochte Leander gerade diesen Sessel besonders gern. Er ließ sich in das Polster fallen und blickte auf das Porträt, das vor ihm auf der Staffelei stand.

Leander hatte sich angewöhnt, seine künstlerischen Werke immer sehr kritisch zu beurteilen, doch jetzt durfte er sich gratulieren, das Porträt seiner Frau war wirklich gut gelungen. Leider hatte Stefanie nicht ein einziges Mal Modell gesessen, obwohl er sie mehrmals darum gebeten hatte. Deshalb hatte Leander verschiedene Fotos zu Hilfe genommen, um seine Vorstellungskraft beim Malen zu unterstützen. Die Fotos lagen noch immer auf einem Beistelltisch. Leander griff nach dem Stapel und blätterte ihn durch, um eine ganz spezielle Aufnahme herauszusuchen. Es war das Foto, das er vor fünfzehn Jahren von Stefanie gemacht hatte, an jenem denkwürdigen Sommertag in Maibach. Dort hatte er sie kennengelernt, und es war Liebe auf den ersten Blick gewesen.

Abwechselnd blickte Leander auf das Foto und das Porträt. In all den Jahren hatte sich Stefanie äußerlich kaum verändert. Ihre dunklen Augen, die vollen Lippen, das wellige braune Haar – sie war noch immer die attraktive Frau, in die er sich damals Hals über Kopf verliebt hatte. Leander musste unwillkürlich lächeln, als er sich an die glückliche Zeit erinnerte, die er und Stefanie miteinander gehabt hatten. Wie vergnügt war Stefanie damals gewesen! Jung und lebensfroh, leicht und unbeschwert, und immer hatte sie einen lustigen Spruch auf den Lippen gehabt! Nach wenigen Wochen des Kennenlernens war es sehr schnell gegangen, wie im Fieber hatten sie sich das Jawort gegeben und eine rauschende Hochzeit gefeiert. Als dann noch der kleine Fridolin auf die Welt kam, schien das Glück perfekt zu sein. Doch wenn Leander heute daran zurückdachte, kam es ihm fast so vor, als wäre diese Zeit der Liebe und des Lachens ein einziger Traum gewesen. Leander liebte seinen Sohn sehr, und auch Stefanie liebte er noch immer, obwohl sie sich in den letzten Jahren zu einer vollkommen anderen Frau entwickelt hatte. Aus dem unbeschwerten Mädchen von einst war erst eine engagierte Mutter, dann eine kühle und energische Geschäftsfrau geworden. Als Fridolin eingeschult wurde, hatte Stefanie urplötzlich die Meinung vertreten, dass der Junge nun ›aus dem Gröbsten heraus‹ wäre, wie sie es nannte. Rundheraus hatte sie erklärt, dass sie keine Lust mehr hätte, ihre Tage zu Hause in Dornmühl zu verbringen, stattdessen wollte sie sich in das exklusive Autohaus einbringen, das ihrem Vater in Stuttgart gehörte.

Mit einem tiefen Seufzer lehnte sich Leander in seinem Sessel zurück und schloss die Augen. Er wusste bis heute nicht, ob es überhaupt Stefanies eigene Idee gewesen war, in Karl-Gustavs Autohaus einzusteigen. Oder ob Karl-Gustav ihr irgendetwas eingeredet hatte, der alte Herr konnte nämlich sehr manipulativ sein.

Kaum war Stefanie in Karl-Gustavs Autohaus eingestiegen, da hatte sie sich völlig verändert. Unter den Fittichen ihres Vaters hatte sie sich zur erfolgreichen, sehr gut bezahlten Top-Managerin entwickelt. Das war an sich nichts Schlechtes, aber nun verbrachte sie die meiste Zeit in Stuttgart. Frühmorgens fuhr sie mit ihrem Vater dorthin und kam erst spätabends nach Hause. Jedes Mal war sie müde und abgearbeitet, sie hatte kaum Zeit für ihren Mann und ihren Sohn.

Was ist nur aus uns geworden?, dachte Leander, wir haben uns doch einmal so sehr geliebt!

Das Knarren der Tür riss Leander jäh aus seinen Gedanken. Er drehte sich um und sah seinen Sohn ins Atelier kommen.

»Hier bist du, Papa«, sagte Fridolin und marschierte zu der Staffelei, um das Porträt zu betrachten. »Ui!« Der Junge pfiff anerkennend durch die Zähne. »Das ist echt gut geworden! Deine Frau sieht genauso aus wie in Wirklichkeit.« Fridolin griff nach einem Stuhl und setzte sich neben seinen Vater.

»Sag nicht immer ›deine Frau‹, wenn du zu mir von deiner Mutter sprichst«, meinte Leander. »Stefanie ist deine Mama.«

»Quatsch«, maulte Fridolin und setzte eine sehr ernste Miene auf. »Früher, ja, da ist sie wirklich meine Mama gewesen. Aber das ist schon lange her. Seitdem sie in dem ollen Autohaus arbeitet, hat sie kein Interesse mehr an mir. Und an dir auch nicht, Papa. Das musst du dir endlich mal klarmachen. Immerhin bist du ein erwachsener Mann. Du solltest den Tatsachen ins Auge sehen.«

Normalerweise hatte Leander sehr viel Spaß daran, wenn sein Sohn so altklug daherredete, doch heute blieb ihm das Lachen förmlich im Halse stecken, Fridolin hatte nämlich vollkommen recht, und das war überaus traurig.

Deshalb wechselte Leander rasch das Thema. Er fragte seinen Sohn, wie es heute in der Schule gewesen war. Fridolin war ein sehr guter Schüler, zudem ein sehr vernünftiger und selbstständiger Junge, der sich schon jetzt Gedanken über seine Zukunft machte. Wenn Fridolin erwachsen war, wollte er sich für die Umwelt oder für den Tierschutz einsetzen.

»Heute haben wir in der Schule einen interessanten Film über afrikanische Elefanten gesehen«, erzählte Fridolin. »Wusstest du, dass in den letzten Jahren immer mehr Elefanten ohne Stoßzähne geboren werden?«

»Ohne Stoßzähne?«; staunte Leander. »Wieso denn das?«

»Früher wurden viele Elefanten wegen des Elfenbeins ermordet«, erklärte Fridolin. »Dann wurden einige ohne Stoßzähne geboren. Unser Lehrer sagte, es sei aus einer Laune der Natur heraus geschehen. Die Elefanten ohne Stoßzähne waren natürlich klar im Vorteil. In unglaublich kurzer Zeit hat die Evolution dann einen riesigen Sprung gemacht. Jetzt kommt die Hälfte aller Elefanten ohne Stoßzähne auf die Welt, es hat kaum fünfzig Jahre gedauert. Ist das nicht irrsinnig interessant? – Ich glaube, ich will später Tierforscher werden.«

Noch lange saßen Leander und sein Sohn im Atelier beieinander, um sich über Fridolins Zukunftsträume zu unterhalten. Es wurde später und später. Bald senkte sich die Abenddämmerung herab. Leander mochte das helle Neon-Licht, das er zum Malen brauchte, nicht einschalten, deshalb stellte er ein paar Kerzen auf. Mit der Zeit wurde es immer gemütlicher, während sie sich über Elefanten und andere Tiere und Leanders Bilder unterhielten.

Nach einer Weile blickte der Mann wieder auf das Porträt von Stefanie. »Manchmal finde ich, dass meine Bilder im Halbdunkel besser aussehen als bei Tageslicht«, sagte er.

»Ich finde deine Bilder immer klasse«, meinte Fridolin. »Höchste Zeit, dass du eine Ausstellung in einer großen Kunstgalerie bekommst.«

»Aber ich kenne doch keine Galeristen.«

»Oh Papa! Dann musst du eben welche kennenlernen! Du musst deine Bilder überall herumzeigen!«

Plötzlich knarrte wieder die Eingangstür, diesmal war es Stefanie, die hereinkam. Sie schaltete sofort das Neonlicht ein. Die beschauliche Stimmung wurde so jäh unterbrochen, dass Leander und Fridolin unwillkürlich zusammenzuckten.

»Stefanie, du kommst ins Atelier?«, fragte Leander überrascht. Er war sehr erstaunt über das plötzliche Erscheinen seiner Frau, normalerweise kam Stefanie nie hierher.

Fridolin zeigte auf das Porträt, das auf der Staffelei stand. »Schau nur, was für ein fantastisches Bild Papa von dir gemalt hat«, sagte er.

Stefanie trat kurz an die Staffelei heran, um einen flüchtigen Blick auf das Porträt zu werfen. »Wirklich sehr schön«, meinte sie und wandte sich wieder zum Gehen. Dabei sagte sie: »Mein Vater und ich sind heute etwas früher aus Stuttgart zurückgekommen. Ihr solltet jetzt ins Haus gehen, ich habe Abendessen gemacht.«

Vater und Sohn blickten sich verblüfft an. Stefanie hatte Abendessen gemacht? Das sah ihr überhaupt nicht ähnlich. Aber natürlich beschlossen sie, der Anweisung Folge zu leisten.

Als Leander und Fridolin ins Haus kamen, war das Abendessen keineswegs vorbereitet. Es standen nur zwei Tüten eines Stuttgarter Delikatessen-Geschäfts auf dem Esstisch, ›Asien Feinkost‹ war darauf zu lesen. Während Leander die Tüten auspackte, deckte Fridolin den Tisch. So wie jeden Abend hatte sich Stefanie noch ins Bad zurückgezogen, um sich nach der Arbeit frisch zu machen, und Karl-Gustav saß wahrscheinlich schon wieder in seinem Büro, das er im Erdgeschoss seiner Villa hatte. Leander und Fridolin mussten eine geraume Weile warten, ehe Stefanie zusammen mit ihrem Vater das Esszimmer betrat.

Sofort machte sich Karl-Gustav über die Sushis her und legte auch Fridolin eine Portion auf den Teller. Angewidert blickte Fridolin auf die bunten Röllchen, die da vor ihm lagen.

»Du weißt ganz genau, dass ich Vegetarier bin, Großvater«, sagte er und schob den Teller von sich.

»Ach so? Wieso vergesse ich das nur immer wieder?«, witzelte Karl-Gustav von Retten und spießte ein Sushi-Röllchen auf eines seiner Essstäbchen. Mit einem hämischen Grinsen drehte er es dicht vor Fridolins Nase hin und her.

Fridolin lehnte sich weit auf seinem Stuhl zurück. »Ich esse kein Fleisch«, sagte er mit Bestimmtheit.

»Es ist kein Fleisch«, bemerkte Stefanie. »Es ist Fisch. Das solltest du eigentlich wissen.«

»Natürlich weiß ich, dass Sushi aus Fisch gemacht wird«, sagte Fridolin. »Aber egal ob Fleisch oder Fisch. Ich esse keine toten Tiere.«

»Papperlapapp«, grinste Karl-Gustav. »Warum willst du keine toten Tiere essen?«

»Aber Großvater!«, rief Fridolin fast schon verzweifelt. »Du weißt ganz genau, wie sehr ich Tiere liebe! Wer Tiere liebt, kann doch keine Tiere essen! Und übrigens will ich später Tierforscher werden.«

»Soso«, bemerkte Fridolins Großvater. »Neulich noch wolltest du dich im Umweltschutz engagieren. Gestern im Tierschutz. Und heute willst du plötzlich Tierforscher werden? Junge, du weißt wirklich nicht, was du willst.«

»Aber Karl-Gustav!«, warf Leander ein. »Der Junge ist erst vierzehn. Ich finde, dass er bereits sehr klare Vorstellungen hat.«

»Flausen, alles nur Flausen«, brummte Karl-Gustav. »Umwelt und Tiere? Alles nur neumodischer Firlefanz! Das gibt sich mit der Zeit.«

»Aber ich liebe Tiere!«, sagte Fridolin mit Nachdruck, wobei er seine Hände unter dem Tisch zu Fäusten ballte.

»Ich liebe Tiere auch«, lachte Stefanie. »Allerdings nur in Form von Steaks oder anderen Köstlichkeiten, wie Sushi zum Beispiel.« Voller Genuss ließ sich Stefanie ein Sushi-Röllchen auf der Zunge zergehen.

Diskussionen wie diese gab es leider oft in der pompösen Villa des Schwiegervaters. Leander kannte sie zur Genüge, und sie waren ihm ein Gräuel, außerdem führten sie zu nichts. Ohne ein Wort zu sagen, holte er einen neuen Teller und stellte ihn vor Fridolin. »Sicher magst du etwas vom Reis essen und von der Erdnusssoße?«, fragte er seinen Sohn und schob ihm zwei Schalen hin. Dabei streichelte er ihm über den Rücken.

*

Am nächsten Tag herrschte reges Treiben in der Villa. Karl-Gustav von Retten hatte heute Geburtstag, deshalb sollte am Abend eine große Party stattfinden. Der Wetterbericht hatte gutes Wetter vorausgesagt, deshalb wollte man auch draußen feiern. Bereits am frühen Morgen fuhr eine Firma aus Leiningen vor, um auf der Terrasse Tische, Stühle und Heizpilze aufzustellen. Später kam ein Partyservice aus Maibach, um den Wohnbereich zu dekorieren und ein kaltes und ein warmes Büffet vorzubereiten. Gleichzeitig trug ein Getränkedienst Champagner, Wein und ein Bierfass ins Haus. Leander und Frau Fiebig, die Zugehfrau, hatten alle Hände voll zu tun, um Anweisungen zu geben und überall dort einzuspringen, wo sie gebraucht wurden. Als Fridolin aus der Schule kam, half er seinem Vater und Frau Fiebig nach Kräften.

Obwohl er Geburtstag hatte, war Karl-Gustav frühmorgens nach Stuttgart gefahren, er wollte in seinem Autohaus arbeiten, so wie an jedem Tag, und natürlich hatte Stefanie ihn begleitet. Beide kamen erst am späten Nachmittag zurück. Stefanie verschwand sofort in ihrem Ankleidezimmer, um sich für die Party vorzubereiten. Karl-Gustav machte einen Rundgang durch die gesamte Villa und auch über die Terrasse, um alles zu inspizieren, was für den Abend vorbereitet worden war. Dabei hatte er erstaunlich wenig zu beanstanden.

Als am Abend die Gäste eintrafen, war Karl-Gustav bester Laune. Er begrüßte jeden überschwänglich und führte alle, die dies wünschten, durch sein Haus, und das mit unverhohlenem Stolz. Er und Stefanie hatten fast die gesamte High Society von Stuttgart eingeladen, alles Menschen, die Leander und Fridolin nicht kannten. Obwohl ihnen die Gäste vorgestellt wurden, konnten sie sich die vielen fremden Namen und Gesichter kaum merken. Inmitten der Schickeria, zu der auch Stefanie längst gehörte, fühlte sich Leander bald wie das fünfte Rad am Wagen. Fridolin ging es nicht besser. Deshalb nutzte er die erstbeste Gelegenheit, um in seinem Zimmer zu verschwinden.

Obwohl sich Leander unter den vielen fremden Menschen nicht wohlfühlte, versuchte er immer wieder, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Doch das war gar nicht so leicht, wie er bald feststellen musste. Sie, die aus der gehobenen Gesellschaftsschicht stammten, und er, der unbekannte Künstler, gehörten zwei gänzlich verschiedenen Welten an.

Plötzlich kam ein durchgestylter junger Mann auf Leander zu und sprach ihn an: »Ihr Herr Schwiegervater hat mich vorhin durch seine Villa geführt. Dabei sind mir die wunderbaren abstrakten Bilder aufgefallen, die überall hängen. Fantastisch, einfach fantastisch! Diese Pinselführung! Und erst die gewagten Farbkompositionen! Sie sind wirklich ein herausragender Künstler, Herr Sonnheim!«

»Die Bilder, die im Haus hängen, sind nicht von mir«, sagte Leander.

»Nein? Die Bilder sind nicht von Ihnen? Aber man sagte mir doch, dass Sie Künstler sind.«

»Ja, das stimmt. Allerdings pflege ich einen ganz anderen Kunststil. Ich male keine abstrakten Bilder, meine sind gegenständlich.«

»Ach, gegenständliche Bilder also.« Der Durchgestylte machte ein skeptisches Gesicht, er schien von gegenständlicher Kunst nicht viel zu halten. Trotzdem wollte er Leanders Bilder sehen.

»Im Gartenhaus ist mein Atelier«, erklärte Leander. »Wir können gerne dorthin gehen.«

Leander ging mit dem kunstinteressierten Gast zur Terrasse. Von dort führte ein Gartenweg zum Atelier.

»Wo willst du denn hin, Viktor?«, war plötzlich Stefanies Stimme zu hören.

»Dein Mann will mich in sein Atelier entführen, um mir seine Bilder zu zeigen«, erklärte der durchgestylte Viktor. »Ich wunderte mich nämlich, warum in eurem Haus nicht ein einziges Bild von ihm hängt.«

»Ja, das habe ich mich auch schon gefragt«, sagte eine sehr elegante Dame, die ein rosafarbenes Kostüm trug.

»Was im Haus meines Vaters hängt, das bestimmt immer noch er«, erklärte Stefanie.

»Ach, und Sie haben kein Mitspracherecht?«, wollte ein älterer Herr von Leander wissen.

»Selbstverständlich habe ich das.«

»Und warum hängt dann kein Bild von Ihnen im Haus?«, fragte die Dame im rosafarbenen Kleid.

»Das frage ich mich auch«, sagte Viktor und rückte ganz nah an Stefanie heran. Er blickte ihr tief in die Augen, als er noch hinzusetzte: »Mögen dein Vater und du die Bilder deines Mannes nicht? Weil sie gegenständlich sind?«

Bald mischten sich noch andere Gäste in das Gespräch. Jetzt ging es nur noch um die Frage, ob abstrakte oder gegenständliche Malerei interessanter war und was einen höheren Preis auf dem Kunstmarkt erzielte.

»Wahrscheinlich können Sie diese Frage am besten beantworten«, wandte sich Viktor an Leander. »Sicher sind Sie sehr gut auf dem Kunstmarkt vertreten.«

»Der Kunstmarkt wartet noch auf mich«, meinte Leander ausweichend, denn er hatte bisher nur sehr wenige Bilder verkauft. Dann blickte er von einem zum anderen. »Vielleicht möchten Sie alle jetzt mit mir zum Atelier gehen«, sagte er so laut, dass jeder es hören konnte. »Dort können Sie sich selbst einen Eindruck verschaffen.«