Nick und Pünktchen wollen tanzen - Carina Lind - E-Book

Nick und Pünktchen wollen tanzen E-Book

Carina Lind

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Beschreibung

In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie wird die von allen bewunderte Denise Schoenecker als Leiterin des Kinderheims noch weiter in den Mittelpunkt gerückt. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. »Pünktchen, meine Liebste«, sagte Nick eines Abends zu seiner besten Freundin, »die kleine Heidi hat mich schon den ganzen Tag lang gelöchert.« »Aber wieso denn?«, fragte Pünktchen und strich sich eine ihrer rotblonden Locken aus dem Gesicht. Eigentlich hieß das junge Mädchen Angelina, doch weil es so viele lustige Sommersprossen hatte, wurde es nur bei seinem Spitznamen genannt. »Heidi will unbedingt die Sage von der Kriemhild-Kapelle hören, und zwar von dir, Pünktchen. Seitdem Heidi weiß, dass du die alte Sage so gut kennst, gibt sie einfach keine Ruhe mehr«, meinte Nick und schaute Pünktchen tief in die Augen. Über Pünktchens Gesicht huschte ein Lächeln, sie mochte es sehr, wenn Nick sie so ansah. Sie hatte Nick sofort in ihr Herz geschlossen, seitdem er dafür gesorgt hatte, dass sie nach Sophienlust kommen durfte. Sophienlust war ein Kinderheim der ganz besonderen Art, ein großes Haus inmitten einer wunderschönen Parkanlage mit Spielplätzen und einem Reitstall. Genauso wie alle, die in Sophienlust lebten, war Pünktchen als Waisenkind gekommen, sie hatte nämlich bei einer Feuerkatastrophe beide Eltern verloren. Dieses schreckliche Ereignis lag nun schon einige Jahre zurück, trotzdem saß der Schmerz immer noch tief, obwohl sie in Sophienlust ihr Glück gefunden hatte. Pünktchen verstand sich sehr gut mit allen, die hier lebten, so auch mit Schwester Regine und Tante Ma. Mit Magda, der Köchin, die sich jeden Tag darauf verstand, die leckersten Gerichte auf den Tisch zu zaubern. Sie mochte die anderen Waisenkinder sehr gerne, aber auch die Gastkindern, die nur für ein paar Tage oder Wochen nach Sophienlust kamen, wenn sich ihre Eltern, aus welchem Grund auch immer, nicht um sie kümmern konnten. Am liebsten aber mochte Pünktchen Nick, zu dem sie sehr starke Gefühle hegte, was durchaus auf Gegenseitigkeit beruhte. Seit einiger Zeit waren sie und Nick sogar so etwas wie ein Paar. Nick war aber nicht nur ein junger Mann, der mit seinen dunklen Haaren und dunklen Augen gut aussah. Nick hatte auch sehr viel Verantwortung zu tragen, und dafür bewunderte Pünktchen ihn.

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Seitenzahl: 126

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Sophienlust - Die nächste Generation – 135 –Nick und Pünktchen wollen tanzen

… doch eine alte Legende steht ihnen im Weg

Carina Lind

»Pünktchen, meine Liebste«, sagte Nick eines Abends zu seiner besten Freundin, »die kleine Heidi hat mich schon den ganzen Tag lang gelöchert.«

»Aber wieso denn?«, fragte Pünktchen und strich sich eine ihrer rotblonden Locken aus dem Gesicht. Eigentlich hieß das junge Mädchen Angelina, doch weil es so viele lustige Sommersprossen hatte, wurde es nur bei seinem Spitznamen genannt.

»Heidi will unbedingt die Sage von der Kriemhild-Kapelle hören, und zwar von dir, Pünktchen. Seitdem Heidi weiß, dass du die alte Sage so gut kennst, gibt sie einfach keine Ruhe mehr«, meinte Nick und schaute Pünktchen tief in die Augen. Über Pünktchens Gesicht huschte ein Lächeln, sie mochte es sehr, wenn Nick sie so ansah. Sie hatte Nick sofort in ihr Herz geschlossen, seitdem er dafür gesorgt hatte, dass sie nach Sophienlust kommen durfte.

Sophienlust war ein Kinderheim der ganz besonderen Art, ein großes Haus inmitten einer wunderschönen Parkanlage mit Spielplätzen und einem Reitstall. Genauso wie alle, die in Sophienlust lebten, war Pünktchen als Waisenkind gekommen, sie hatte nämlich bei einer Feuerkatastrophe beide Eltern verloren. Dieses schreckliche Ereignis lag nun schon einige Jahre zurück, trotzdem saß der Schmerz immer noch tief, obwohl sie in Sophienlust ihr Glück gefunden hatte.

Pünktchen verstand sich sehr gut mit allen, die hier lebten, so auch mit Schwester Regine und Tante Ma. Mit Magda, der Köchin, die sich jeden Tag darauf verstand, die leckersten Gerichte auf den Tisch zu zaubern. Sie mochte die anderen Waisenkinder sehr gerne, aber auch die Gastkindern, die nur für ein paar Tage oder Wochen nach Sophienlust kamen, wenn sich ihre Eltern, aus welchem Grund auch immer, nicht um sie kümmern konnten.

Am liebsten aber mochte Pünktchen Nick, zu dem sie sehr starke Gefühle hegte, was durchaus auf Gegenseitigkeit beruhte. Seit einiger Zeit waren sie und Nick sogar so etwas wie ein Paar. Nick war aber nicht nur ein junger Mann, der mit seinen dunklen Haaren und dunklen Augen gut aussah. Nick hatte auch sehr viel Verantwortung zu tragen, und dafür bewunderte Pünktchen ihn.

Nick, der eigentlich Dominik von Wellentin-Schoenecker hieß, war der Leiter von Sophienlust, und das trotz seiner jungen Jahre. Er hatte das gesamte Anwesen von seiner Urgroßmutter geerbt, mit der Maßgabe, es zu einem Heim für Kinder zu machen, die in Not geraten waren. Damals, als seine Urgroßmutter starb, war Nick selbst noch ein Kind gewesen. Deshalb hatte zunächst seine Mutter Denise die Verantwortung für Sophienlust übernommen. Inzwischen war Nick erwachsen, und jeden Tag bewies er aufs Neue, dass er die große Aufgabe, die ihm das Schicksal in die Hände gelegt hatte, meistern konnte. Um das nötige Fachwissen zu erwerben, hatte Nick sogar ein Fernstudium in Kinderpsychologie aufgenommen. Trotzdem brauchte er gelegentlich noch Hilfe von seiner Mutter, die immer bereit war, ihrem Sohn mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.

»Wenn Heidi die Sage von der Kriemhild-Kapelle hören will, warum löchert sie dich und nicht mich?«, fragte Pünktchen verwundert.

»Du warst heute den ganzen Tag über im Pferdestall. Weil es geregnet hat, mochte Heidi nicht zum Stall laufen. Und jetzt liegt sie schon im Bett«, sagte Nick mit einem Blick auf seine Uhr. Heidi war eins der kleineren Sophienlust-Kinder, und die mussten natürlich früher schlafen gehen als die großen.

Am nächsten Morgen, gleich nach dem Aufstehen, kam Heidi zu Pünktchen gerannt. »Erzählst du uns heute von der Kriemhild-Kapelle?«, fragte die Kleine ohne Umschweife. »Du hast gesagt, dass du die alte Sage in der Schule gehört hast, und jetzt will ich sie von dir hören! Nicht nur ich, die anderen auch! Kim und Simon und Vicky und alle anderen. Erzählst du sie uns, Pünktchen?«

»Natürlich«, lächelte Pünktchen. »Natürlich erzähle ich euch die alte Sage. Aber nicht jetzt, jetzt wollen wir ins Esszimmer gehen und frühstücken, danach geht es gleich zur Schule.«

»Und wann? Wann erzählst du sie?«

»Heute Abend.«

»Als Gute-Nacht-Geschichte?«

»Ob es eine Gute-Nacht-Geschichte ist, weiß ich wirklich nicht«, sagte Pünktchen. »Sie ist nämlich ein bisschen gruselig.«

»Gruselig?«, strahlte Heidi. »Gruselgeschichten sind sowieso die besten! Außer für Leon natürlich, der ist ja erst vier. Aber ich, ich bin schon groß! Ich bin schon acht! Ich kann schon lesen und schreiben!«

»Ach«, grinste Pünktchen. »Dann kannst du die Sage ja selber lesen.«

»Och, nö. Ich möchte sie von dir hören, Pünktchen! Du bist die beste Erzählerin der Welt. Wenn man etwas erzählt bekommt, ist es auch viel schöner, als selbst zu lesen.«

Pünktchen streichelte Heidi über ihr blondes Haar, dann gingen die beiden zum Esszimmer. Dort hatten sich die anderen Kinder bereits um den großen Tisch versammelt. Kaum war Heidi auf ihren Stuhl gehopst, verkündete sie lauthals, dass Pünktchen heute Abend eine ganz tolle Geschichte erzählen wollte. »In meinem Zimmer«, sagte Heidi mit einem Seitenblick auf Pünktchen. »Wir setzen uns alle auf mein Bett oder den Teppich. Und dann kommt die Gruselgeschichte.«

»Gruselgeschichte?«, fragte Leon sofort. »Die will ich auch hören!«

»Pah! Das ist nichts für kleine Kinder! Kinder, die noch nicht einmal ihr Butterbrot selbst schmieren können, dürfen keine Gruselgeschichten hören.« Heidi griff nach einer Brotscheibe und bestrich sie dick mit Butter, so wie Leon es gerne mochte. Dann fragte sie den Kleinen, ob sie Wurst oder Käse darauflegen sollte.

*

Am frühen Abend machte Pünktchen ihr Versprechen wahr. Sie ging in Heidis Zimmer, um die Sage von der Kriemhild-Kapelle zu erzählen. Als sie dort ankam, hatten sich bereits alle Kinder dort versammelt, sogar Fabian war gekommen. Fabian war der älteste der Jungen, eigentlich kein Kind mehr, eher ein Teenager. Pünktchen hatte überhaupt nicht damit gerechnet, dass er ihr zuhören wollte, umso mehr freute sie sich, dass auch Fabian da war.

Fabian hockte auf dem Teppich, direkt neben Martin und Simon. Vicky und Angelika hatten es sich auf dem Bett gemütlich gemacht. Heidi und Kim lehnten mit dem Rücken an dem hübsch bemalten Bauernschrank, der links an der Wand stand. In eine dicke Decke eingehüllt, warteten sie auf die Dinge, die da kommen sollten. Pünktchen rückte einen Stuhl herbei und setzte sich, dann blickte sie in die Runde. »Leon ist nicht da«, stellte sie fest. »Das ist auch gut so.«

»Weil die Geschichte gruselig ist?«, grinste Fabian.

»Sie ist ganz gruselig«, bestätigte Heidi. »Pünktchen hat mir das gesagt. Aber weil ich schon groß bin, darf ich sie hören, der Leon aber nicht.«

»Leon wollte unbedingt mit uns kommen«, sagte Angelika. »Schwester Regine hat versucht, es ihm auszureden, obwohl er lange gequengelt hat. Aber dann hat sie versprochen, ihm vor dem Zubettgehen aus einem Kinderbuch vorzulesen. Ihm und seiner Schwester Marie.«

»Marie ist ein Dreikäsehoch!«; meinte Heidi, worauf alle lachten.

Pünktchen wartete noch, bis sich alle Augen auf sie richteten, dann fing sie an zu erzählen: »Vor vielen hundert Jahren gab es mal einen Wunderstein, mit dem konnte man zaubern, es war nämlich der Stein der Weisen. Er war wunderschön, aus blauem Saphir, und wenn man ihn gegen die Sonne hielt, funkelte und blitzte und strahlte er so hell, dass man aufpassen musste, nicht zu erblinden. Wer aber das Strahlen aushalten konnte, der durfte in die Zukunft schauen. Die Kreuzfahrer hatten den Stein in Jerusalem gestohlen und ihn dann in ein Kloster gebracht. Direkt hier in unserer Nähe.«

»Meinst du etwa die Benediktiner-Abtei?«, fragte Angelika. »Die, von der nur noch eine Ruine übrig ist?«

»Ja, genau die«, sagte Pünktchen. »Damals war es natürlich noch keine Ruine, sondern ein stattliches Kloster mit vielen Mönchen und einem Abt, der hieß Adalbert von Ahringsfeld, er war nämlich aus hochherrschaftlichem Geschlecht. Und der hat dann den Stein an sich genommen.«

Pünktchen hatte im Geschichtsunterricht sehr gut aufgepasst, deshalb konnte sie das, was damals geschehen war, in allen Einzelheiten erzählen. Das tat sie so bravourös, dass bald alle an ihren Lippen hingen, sogar Fabian. Pünktchen ließ die schneidigen Kreuzritter wieder auferstehen, habgierige Lehnsherren die Bauern ausplündern und eine schreckliche Pest unter den Menschen wüten. Dabei war die Erzählung von der Pest so gruselig, dass nicht nur Heidi, sondern auch die anderen erschauerten. Heidi und Kim zogen ihre Decke bis zur Nasenspitze hinauf und starrten Pünktchen ungläubig an.

Der Höhepunkt in Pünktchens Geschichte war eine fruchtbare Feuersbrunst, die wie das Gericht Gottes über das Kloster hinwegfegte. Es fiel Pünktchen nicht leicht, von dem Feuer zu berichten, konnte es doch ihre alten Wunden wieder aufreißen. Doch das Feuer gehörte unbedingt zu der Sage dazu, und als sie es schilderte, tat sie es so voller Gefühl, dass alle ganz betroffen waren.

»Als das Feuer ausbrach, versuchte der Abt zu fliehen«, erzählte Pünktchen. »Den Wunderstein hat er mitgenommen und in seiner Kutte versteckt. Als der Lehnsherr davon hörte, wollte er den Abt verfolgen. Natürlich tat er das nicht allein, er hatte noch zwei Spießgesellen bei sich. Die sollten dem Abt den Wunderstein wegnehmen. Der Lehnsherr wollte den Stein nämlich für sich haben, und das schon seit langer Zeit. Als das Feuer wütete, entstand natürlich ein großer Wirrwarr. Da glaubte der Lehnsherr, dass die Gelegenheit, an den Stein zu kommen, besonders günstig sei.«

»Der Abt hat tatsächlich an den Wunderstein geglaubt?«, fragte Fabian. »Das ist wäre aber richtig bescheuert. Der Stein ist doch keinen Pfifferling wert!«

»Und warum nicht?«, wollte Simon wissen.

»Na, denk‘ doch mal nach! Wenn man mit dem Stein in die Zukunft schauen kann, dann hätte der Abt das Feuer vorhergesehen!«

»Dann hätten die Mönche ganz viele Eimer mit Wasser aufgestellt, damit man das Feuer gleich wieder löschen kann«, meinte Heidi, worauf Vicky und Angelika leise in sich hinein kicherten.

»Vielleicht hat der Abt den Stein doch nicht mitgenommen?«, vermutete Martin. »Vielleicht ist der Stein im Feuer verbrannt.«

»Oder der Abt hat ihn versteckt, bevor er abgehauen ist«, überlegte Simon. »Bestimmt in den unterirdischen Gängen unter dem Kloster. Ich bin da mal reingeklettert, ich kenne mich da unten gut aus. Da gibt es jede Menge Flure und Gänge, schlüpfrige Steine und Wasser, das von oben runterrieselt, und Ratten und ...«

»Und das Schlossgespenst«, grinste Martin.

»Niemand weiß, was mit dem Stein geschehen ist«, sagte Pünktchen. »Der Lehnsherr allerdings glaubte felsenfest, dass der Abt mit dem Stein fliehen wollte. Und dass der blaue Saphir tatsächlich Wunderkräfte besitzt. Deshalb ist er ja hinter ihm her, zusammen mit seinen Spießgesellen, und die waren bis an die Zähne bewaffnet. Der Abt musste sich mächtig sputen, um seine Verfolger abzuschütteln, doch die waren viel schneller als er. Adalbert von Ahringsfeld hatte sich gerade bis zum Haselberg durchgeschlagen, da hörte er die Verfolger schon mit ihren Waffen rasseln. Also nahm er all‘ seine Kräfte zusammen und kletterte den steilen Berg hinauf, was gar nicht so leicht war. Er hatte ja eine Kutte an, mit der man nicht gut klettern kann.«

»Vielleicht hat Adalbert beim Klettern ganz viel gebetet«, meinte Heidi. »Und dann hat der Liebe Gott ihm geholfen.«

»Ganz bestimmt hat er gebetet«, lächelte Pünktchen. »Auf jeden Fall hat Adalbert es bis zum Hillerkogel geschafft. Der Hillerkogel ist eine riesige Felsnase, die wie ein Mahnmal in den Himmel ragt. In Adalberts Augen war es allerdings kein schnödes Mahnmal, er dachte, es sei der Finger Gottes. Adalbert war vorher noch nie auf dem Haselberg gewesen, und als er plötzlich vor dem Finger Gottes stand, glaubte er, dass er gerettet war. Doch er hatte sich geirrt. Kaum hatte er sich zur Rast unter einen Baum gesetzt, da tauchten seine Verfolger auf. Die stürzten sich wie wilde Tiere auf ihn, sie wollten ihm die Kleider vom Leibe reißen, um den Stein der Weisen zu finden. In seiner Not hat Adalbert so laut nach seinem Gott geschrien, dass der Hillerkogel ins Wanken kam, und die Erde gebebt hat. In Sekundenschnelle sind Steine und Erdmassen zu Tal gestürzt und haben den bösen Lehnsherrn und seine Kumpane mitgerissen. Die Verfolger sind den ganzen Berg runtergekugelt und dann in den Kriemhild-Bach gefallen. Da sind sie sie dann alle ertrunken.«

»Und Adalbert? War der auch tot?«, wollte Kim wissen.

»Nein, eben nicht. Adalbert hat kein einziges Erdklümpchen abbekommen, kein Steinchen hat ihn getroffen. Er war nicht nur gerettet, er war vollkommen unverletzt. In seiner Dankbarkeit hat er sich zu Boden geworfen und seinem Gott geschworen, am Hillerkogel eine Kapelle zu bauen. Die sollte der Muttergottes geweiht werden, und das ist dann auch geschehen. Weil aber unten der Kriemhild-Bach fließt, wird die Kapelle im Volksmund Kriemhild-Kapelle genannt.«

»Und die Kapelle ist oben auf dem Haselberg?«, fragte Vicky. »Wir sind schon einige Male zum Haselberg gewandert, aber eine Kapelle habe ich noch nie gesehen.«

»Wir waren immer weiter unten am Wildgehege«, erklärte Pünktchen. »Da, wo die Mufflons und Hirsche sind. Die Kapelle ist aber ganz weit oben. Im Übrigen ist die Geschichte noch gar nicht zu Ende.«

»Oh, es gibt noch mehr!«, freute sich Heidi. »Was denn? Was denn? Du musst weitererzählen, Pünktchen!«

»Nachdem die Kapelle gebaut und der Abt sie eingeweiht hatte, hatte er in der Nacht einen prophetischen Traum. Ein goldglänzender Engel trat an sein Bett und sagte ihm, dass man neben der Kapelle einen Glockenturm bauen sollte. Die Glocke müsse jeden Tag geläutet werden, und zwar genau bei Sonnenuntergang. Würde man dies auch nur ein einziges Mal vergessen, dann sollte der Hillerkogel ins Tal stürzen. Von diesem Traum hat Adalbert von Ahringsfeld seinen Mönchen berichtet, und die haben es den Bauern, die das Kloster wieder aufbauen mussten, weitererzählt. Bald wussten es alle, die hier in der Gegend gelebt haben. Also hat man dafür gesorgt, dass der Glockenturm gebaut und die Glocke jeden Abend geläutet wird. Natürlich will niemand, dass der Hillerkogel ins Tal stürzt.«

»Die Menschen glauben tatsächlich an solche Märchen?«, lachte Fabian. »Ich jedenfalls nicht.«

Angelika und Martin nickten zustimmend. Sie fanden Pünktchens Geschichte wirklich spannend. Aber dass eine Felsnase ins Tal stürzt, weil man vergisst, eine Glocke zu läuten? Nein, das war absolut unwahrscheinlich.

Simon und Vicky waren sich da nicht so sicher, und Heidi und Kim erst recht nicht. Heidi blickte Kim mit großen Augen an, dann fragte sie: »Und wenn der Hillerkogel doch abstürzt? Und alles unter sich begräbt? Wenn er bis nach Sophienlust rollt?«

»Nein, das ist vollkommen unmöglich«, lächelte Pünktchen. »Der Haselberg ist einige Kilometer von Sophienlust entfernt. Bis hierhin kommt der Felsen nicht.«

»Er könnte aber auf das Wildgehege stürzen! Er könnte die Tiere totmachen! Den Hirsch und die Rehe! Die tollen Mufflons mit den tollen Hörnern! Die Wildschweine und den Fuchs!« Plötzlich war Heidi so aufgeregt, dass ihre Wangen förmlich glühten.

»Aber nein! Das kann nicht passieren!«, versuchte Pünktchen, die Kleine zu beruhigen. »Das Wildgehege ist auf der ganz anderen Seite vom Haselberg.«

»Wird Glocke auch heute noch geläutet?«, wollte Angelika wissen. »Wer macht das eigentlich?«

»Oben auf dem Haselberg gibt es eine Gaststätte, die heißt Haselhütte. Knut Wangeritz ist der Wirt. Von der Haselhütte bis zum Hillerkogel ist es nicht weit, deshalb muss der Wirt jeden Abend die Glocke läuten. Bisher war also alles in Ordnung, doch jetzt gibt es ein Riesenproblem. Knut Wangeritz ist nämlich schon alt, deshalb will er sich aus seinem Betrieb zurückziehen und sich eine Finca auf Mallorca kaufen.«

»Knut Finken kaufen?«, fragte Kim. »Warum denn?« Der kleine Vietnamese hatte noch einige Probleme mit der deutschen Sprache, und was eine Finca ist, wusste er auch nicht. Also erklärte Angelika es ihm.