Mein vertauschtes Kind - Carina Lind - E-Book

Mein vertauschtes Kind E-Book

Carina Lind

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Beschreibung

In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie wird die von allen bewunderte Denise Schoenecker als Leiterin des Kinderheims noch weiter in den Mittelpunkt gerückt. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. »Aufwachen, mein Schatz! Das Frühstück wartet schon auf dich!« Mit diesen Worten kam Lieselotte in das Zimmer ihrer Enkelin. Nachdem sie die Vorhänge sachte beiseitegeschoben hatte, trat sie an das Kinderbett und betrachtete die Kleine, die noch immer in seligem Schlummer lag, liebevoll. Das rabenschwarze Haar, das sich in tausend Locken um den ganzen Kopf kringelte, die rosigen Wangen, Lotte war wirklich ein süßes Kind, und sie war Lieselottes größter Schatz. Lieselotte setzte sich auf die Bettkante und streichelte ihrem Liebling durch das Haar. Noch halb verschlafen öffnete Lotte erst das eine Auge, dann das andere. Diesen Moment konnte Lieselotte jeden Morgen sehr genießen, Lotte hatte nämlich leuchtend blaue Augen, an denen sich Lieselotte kaum sattsehen konnte. Nachdem sich Lotte ausgiebig gerekelt und gestreckt hatte, setzte sie sich auf, um ihre Oma in die Arme zu schließen und sich an sie zu kuscheln. Eine ganze Weile saßen Oma und Enkelin so beieinander, doch dann war es für die Kleine Zeit aufzustehen, ins Bad zu huschen und sich in der Küche an den Frühstückstisch zu setzen. Dort stand Lottes Lieblingsspeise schon mitten auf dem Tisch, eine ganz besondere Käsespezialität. Natürlich hatte Lieselotte die Köstlichkeit nicht im Supermarkt gekauft, sondern am frühen Morgen selbst zubereitet. »Ah, leckerer Käse!«, rief Lotte voller Freude, als sie auf ihren Stuhl hopste und sofort mit beiden Händen nach der Schale langte. »Dein Käse ist der beste der Welt, Oma!« Anschließend griff Lotte nach dem Löffel und klatschte eine große Portion auf ihr Butterbrot, um dann mit sichtlichem Behagen hineinzubeißen. Nachdem Lotte die Hälfte ihres Brotes verputzt hatte, legte sie den Rest auf den Teller und blickte ihre Oma mit großen Augen an. »Was ist denn, Kind?«, wollte Lieselotte wissen. »Hast du irgendetwas auf dem Herzen?«

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Seitenzahl: 129

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Sophienlust - Die nächste Generation – 110 –Mein vertauschtes Kind

Unveröffentlichter Roman

Carina Lind

»Aufwachen, mein Schatz! Das Frühstück wartet schon auf dich!« Mit diesen Worten kam Lieselotte in das Zimmer ihrer Enkelin. Nachdem sie die Vorhänge sachte beiseitegeschoben hatte, trat sie an das Kinderbett und betrachtete die Kleine, die noch immer in seligem Schlummer lag, liebevoll. Das rabenschwarze Haar, das sich in tausend Locken um den ganzen Kopf kringelte, die rosigen Wangen, Lotte war wirklich ein süßes Kind, und sie war Lieselottes größter Schatz.

Lieselotte setzte sich auf die Bettkante und streichelte ihrem Liebling durch das Haar. Noch halb verschlafen öffnete Lotte erst das eine Auge, dann das andere. Diesen Moment konnte Lieselotte jeden Morgen sehr genießen, Lotte hatte nämlich leuchtend blaue Augen, an denen sich Lieselotte kaum sattsehen konnte.

Nachdem sich Lotte ausgiebig gerekelt und gestreckt hatte, setzte sie sich auf, um ihre Oma in die Arme zu schließen und sich an sie zu kuscheln. Eine ganze Weile saßen Oma und Enkelin so beieinander, doch dann war es für die Kleine Zeit aufzustehen, ins Bad zu huschen und sich in der Küche an den Frühstückstisch zu setzen. Dort stand Lottes Lieblingsspeise schon mitten auf dem Tisch, eine ganz besondere Käsespezialität. Natürlich hatte Lieselotte die Köstlichkeit nicht im Supermarkt gekauft, sondern am frühen Morgen selbst zubereitet.

»Ah, leckerer Käse!«, rief Lotte voller Freude, als sie auf ihren Stuhl hopste und sofort mit beiden Händen nach der Schale langte. »Dein Käse ist der beste der Welt, Oma!« Anschließend griff Lotte nach dem Löffel und klatschte eine große Portion auf ihr Butterbrot, um dann mit sichtlichem Behagen hineinzubeißen.

Nachdem Lotte die Hälfte ihres Brotes verputzt hatte, legte sie den Rest auf den Teller und blickte ihre Oma mit großen Augen an.

»Was ist denn, Kind?«, wollte Lieselotte wissen. »Hast du irgendetwas auf dem Herzen?«

»Lecker«, machte Lotte und setzte ein vielsagendes Gesicht auf. Schließlich kniff sie ein Auge zusammen, dann platzte sie plötzlich heraus: »Kriegen die Engel im Himmel eigentlich auch so leckeren Käse, Oma?«

»Wie kommst du denn darauf, Kind?«, fragte Lieselotte verwundert.

»Ich meine nur so ... weil ... weil Papa und Mama jetzt Engel sind. Weil sie tot sind und jetzt im Himmel wohnen. Da müssen sie den ganzen Tag Harfe spielen.«

»Sie müssen den ganzen Tag Harfe spielen? Das verstehe ich nicht.«

»In dem Bilderbuch, das ich zu Weihnachten bekommen habe, da ist das so. Da spielen die Engel den ganzen Tag Harfe, und manchmal tun sie auch Geige spielen. Aber wenn sie den ganzen Tag spielen und spielen, dann haben sie abends ganz bestimmt Hunger. Dann kriegen sie leckeren Käse, nicht wahr, Oma?«

»Ich weiß gar nicht, ob Engel überhaupt etwas essen.«

»Nicht?« Das mochte Lotte kaum glauben. »Aber meine Mama hat deinen Käse immer so gerne gemocht. Mein Papa auch. Ganz bestimmt kriegen Papa und Mama im Himmel auch Käse.« Lotte griff wieder nach ihrem Butterbrot und stopfte den Rest voller Behagen in sich hinein.

Während Lotte mit vollen Backen kaute, wollte sie noch etwas wissen: »Gibt es im Himmel auch einen Supermarkt? Einen, wo man Käse kaufen kann?«

»Ich glaube nicht, dass es im Himmel einen Supermarkt gibt.«

»Wenn es keinen Supermarkt gibt, ist das auch nicht schlimm. Dann muss der Liebe Gott den Käse machen.«

»Ob der Liebe Gott diesen speziellen Käse machen kann, das weiß ich wirklich nicht, Kind.« Lieselotte hatte alle Mühe, sich das Lachen zu verkneifen.

»Klar kann der das! Der Liebe Gott kann einfach alles, der kann nämlich zaubern! Dann gibt er Papa und Mama so viel leckeren Käse, wie sie nur wollen, und wenn sie satt sind, spielen Papa und Mama wieder Harfe. Oder sie breiten ihre Flügel aus und fliegen durch die Wolken. Schade, dass ich nicht fliegen kann, Oma. Ich würde auch gerne fliegen, so wie die Engel im Himmel.«

Während Lotte weiter vom Lieben Gott und dem Himmel, den Engeln, dem Fliegen und vom Käse schwatzte, wanderten Lieselottes Gedanken in eine ganz andere Richtung. In ihrer Erinnerung tauchte nämlich wieder jener schreckliche Tag auf, an den sie nicht mehr denken wollte, niemals, nie wieder. Doch sie konnte sich nicht dagegen sträuben, die Bilder, die sie am liebsten auf ewig verdrängt hätte, waren einfach zu mächtig, nun schoben sie sich mit Gewalt vor ihr geistiges Auge. Vor allem das Bild ihrer Tochter Eva und deren Mann Sascha, Lottes Mama und Papa, die der Tod auf so grausame Weise zu sich geholt hatte.

Damals wohnten Eva und Sascha noch mit Lotte in Stuttgart, doch oft kamen sie nach Brückenbach um die Oma zu besuchen. So auch an jenem schicksalsträchtigen Tag. Nach dem gemeinsamen Mittagessen es gab Kartoffelknödel, daran erinnerte sich Lieselotte noch genau, wollte man zum ›Autaler Streichelzoo‹ fahren und dort einen gemütlichen Nachmittag verbringen. Sascha hatte am Steuer gesessen und Eva neben ihm auf dem Beifahrersitz, Lotte mit ihrer Oma auf der Rückbank. - Wie sehr hatte sich Lotte auf die Schafe und Ziegen gefreut! Auf die seltenen Hühnerrassen, auf die Esel und alle anderen Tiere, die man im ›Autaler Streichelzoo‹ bestaunen und streicheln konnte. Doch dann, mitten auf der Hassenberger Landstraße, war es dann passiert.

Mit einem Seufzer stand Lieselotte auf und ging zur Kaffeemaschine, die drüben auf der Anrichte stand. Dabei hatte sie das Gefühl, neben sich zu stehen, nicht wirklich in ihrem Körper anwesend zu sein. Als sie nach der Kanne griff, um sich noch eine Tasse einzuschenken, geschah jede ihrer Bewegungen wie automatisch. Bis heute wusste sie nicht, wie sie und Lotte aus dem völlig demolierten Wagen herausgekommen waren. Nur weil sie und Lotte auf dem Rücksitz gesessen hatten, waren sie beide mit dem Leben davongekommen. Eigentlich hatte Lieselotte vorne auf dem Beifahrersitz sitzen sollen, so hatte Eva es gewollt. Doch Lieselotte hatte die Rückbank vorgezogen, um ganz nah bei ihrer Enkelin zu sein. Wenn sie heute nur daran dachte, wäre sie tausendmal lieber vorne eingestiegen. Dann hätte der Tod sie geholt und nicht ihre geliebte Tochter Eva.

Doch was konnte sie gegen diese verhängnisvolle Entscheidung tun? Nichts, aber auch rein gar nichts. Das Rad der Zeit ließ sich nun einmal nicht zurückdrehen.

Autsch, fast hätte Lieselotte sich verbrannt, als der heiße Kaffee über den Rand ihrer Tasse schwappte. Doch der Moment, der sie in die Gegenwart zurückholte, währte nur kurz. Jetzt sah sie sich und das Kind am Straßenrand sitzen, sie hielt Lotte mit beiden Armen fest an sich gedrückt und wiegte sie wie ein Baby. Dabei wagte sie kaum, nach den Rettungssanitätern zu schauen, die mit aller Macht um Evas und Saschas Leben kämpften. Doch alle Mühe war umsonst, auch die Ärzte, die wenig später hinzukamen, hatten nur noch den Tod von Lottes Eltern feststellen können.

Eva und Sascha, zwei junge Menschen, so plötzlich, so brutal aus dem Leben gerissen! Nur weil ein betrunkener Lkw-Fahrer ihnen die Vorfahrt genommen hatte! Die eigene Tochter zu verlieren! Und auch noch den Schwiegersohn! Lieselotte konnte es noch immer nicht fassen, obwohl der grausame Unfall schon fast drei Jahre zurücklag. Zwar hatte die Zeit inzwischen eine Narbe über die Wunde gelegt. Doch wann immer Lotte von ihrer Mama und ihrem Papa sprach, wollte die Narbe wieder aufreißen.

Als Lieselotte zum Tisch zurückkehrte, ließ sie ihren Blick lange auf ihrer Enkelin ruhen. Damals, als der Unfall passierte, war Lotte knapp drei Jahre alt, und inzwischen hatte sie den Verlust der Eltern einigermaßen verkraftet. Nun ja, Lotte war ein Kind, und wahrscheinlich gehen Kinder mit tragischen Ereignissen ganz anders um als Erwachsene. Außerdem hatte Lieselotte ihre Enkelin sofort zu sich genommen und versucht, ihr mit ihrer Liebe über die schlimme Zeit hinwegzuhelfen. Dass Lotte direkt zu ihrer Oma durfte, war für das Kind natürlich ein großes Glück. Umgekehrt bedeutete Lotte auch für die Oma ein großes Glück. Lotte war ein aufgewecktes Kind, welches das Haus jeden Tag mit fröhlichem Geplapper und Lachen erfüllte. Damals hatte Lieselotte sehr unter den depressiven Stimmungen gelitten, die sich ihrer bemächtigen wollten. Damals hatte sie das Gefühl gehabt, in ein bodenloses Loch zu sinken, in dem es nichts gab außer Trostlosigkeit und Düsternis. Doch dann war Lotte da, Lieselottes kleiner Sonnenschein, ihre Gegenwart hatte die trüben Gedanken vertrieben.

»Oma! Du hörst mir ja gar nicht zu! Ich will aber noch etwas wissen.« Lottes Stimme riss Lieselotte mitten aus ihren Gedanken. »Was ist denn, Kind?«, fragte sie.

»Warum musst du ins Krankenhaus?«

»Aber das habe ich dir doch schon erklärt. Ich habe manchmal ganz schlimme Rückenschmerzen. Dann kann ich nachts nicht schlafen, weil ich nicht weiß, wie ich liegen soll.« Dass die Schmerzen kurz nach dem Unfall aufgetreten waren und wahrscheinlich damit zusammenhingen, mochte Lieselotte ihrer Enkelin natürlich nicht erzählen.

»Und bücken kannst du dich auch nicht so richtig. Weil du schon uralt bist, Oma.«

Nun musste Lieselotte aber lachen. »Ich glaube nicht, dass ich alt bin«, meinte sie. »Mit fünfundfünfzig ist man noch nicht alt. Und uralt schon mal gar nicht.«

»Ach so. - Aber was macht der Doktor dann mit dir, wenn du im Krankenhaus bist?«

»Zuerst wird geschaut, wo die Schmerzen herkommen. Das nennt man Anamnese und dann ...«

»Langnese? Wieso das denn?«

»Es heißt Anamnese. Aber das musst du dir nicht merken, Kind. Auf jeden Fall bekomme ich im Krankenhaus ganz viele Behandlungen und Medizin natürlich auch. Das Ganze nennt man ›Schmerztherapie‹. Damit ich wieder richtig gesund werden kann, muss ich aber eine Weile im Krankenhaus bleiben.«

»Oh.«

Eine Zeit lang war Lotte ganz still. Dann wischte sie sich mit dem Ärmel über den Mund und fragte: »Und was ist mit mir? Wenn du weg bist, Oma?«

»Aber das habe ich dir doch auch schon erklärt, Schatz. Ich bringe dich nach Sophienlust.«

»Ich will aber nicht in ein Waisenhaus«, brummelte Lotte. »Ich bin doch kein Waisenkind! Ich habe doch dich, Oma!«

»Natürlich hast du mich. Ich bleibe ja auch nicht lange fort. Nur zwei Wochen, vielleicht auch drei.«

»So lange?« Lotte ließ sich gegen die Stuhllehne fallen und starrte die Oma aus ihren großen, leuchtend blauen Augen an.

»In Sophienlust wird es dir ganz bestimmt gefallen. Da gibt es die schönsten Spielplätze, und im Sommer wird sogar ein Swimmingpool aufgebaut. In Sophienlust gibt es auch Pferde, und zwei Hunde haben sie auch. Die Hunde heißen Anglos und Barri, das hat Nick mir alles erzählt.«

»Nick? Wer soll denn das sein?«

»Nick ist der junge Mann, der das Kinderheim leitet.«

»Dann ist es gar kein Waisenhaus? Sondern ein Kinderheim?«

»Ein Kinderheim mit vielen netten Kindern. Mit denen kannst du nach Herzenslust spielen. Nick hat mir auch erzählt, dass eins der Kinder Leon heißt. Leon ist jetzt fünf, genauso alt wie du und ...«

»Aber ich bin nicht mehr fünf! Ich werde bald sechs!«

»Ein anderer Junge heißt Kim. Kim ist, glaube ich, sieben. Zwei Spielkameraden sind also schon mal gebongt. Im Übrigen bleibt uns ja auch nichts anderes übrig, als dass ich dich nach Sophienlust bringe.«

»Na schön. Dann muss ich halt in das Kinderheim. Aber jetzt will ich ein Marmeladenbrot. Kriegt man im Himmel eigentlich auch Marmelade, Oma?«, fragte Lotte und grapschte mit beiden Händen nach dem Marmeladentopf.

*

Als Lieselotte mit ihrer Enkelin nach Sophienlust fuhr, lachte die Sonne von einem strahlend blauen Himmel herab. Es war angenehm warm, und sicher durften die Kinder heute im Swimmingpool planschen. Darauf freute sich Lotte schon sehr.

»Da! Da hinten ist der Pool!«, krähte Lotte vom Rücksitz und tippte mit dem Finger gegen die Autoscheibe. »Und die Pferde? Wo sind die?«

»Die sind auf der Weide. Die liegt ein Stück hinter dem Haus.«

»Und das Haus? Wo ist das?«

»Na, da vorne! Direkt vor uns, du Dummerchen.«

»Was? Das Haus da, das soll Sophienlust sein? Das glaube ich nicht.«

»Natürlich ist es Sophienlust. Was hast du denn gedacht?«, lachte Lieselotte und steuerte den Parkplatz an, der sich direkt neben dem Haus befand.

»Das ist doch nie im Leben ein Kinderheim!«

»Ja, was denn sonst?«

»Eine echt tolle Bude! Ein richtiges Schloss!«

»Ja«, nickte Lieselotte. »Man könnte das Haus wirklich für ein Schloss halten. Aber eigentlich ist es ein alter Herrensitz.«

»Nee, Oma, es ist ein Schloss! Ganz bestimmt! Einen Prinzen gibt es bestimmt auch und ...«

»Der einzige Mann im Haus ist Nick. Von dem habe ich dir schon erzählt, und nun lass uns aussteigen, Kleines.«

Lotte sprang mit einem Satz aus Omas Wagen, dann lief sie sofort zu der breiten Freitreppe, die zum Gebäude hinaufführte. Dort stellt sie sich breitbeinig hin und stemmte ihre Händchen in ihre Hüften. Aufmerksam ließ sie ihren Blick über das ganze Gebäude schweifen, das jetzt, im Sonnenschein, besonders prachtvoll aussah.

Endlich hatte Lieselotte das Gepäck ihrer Enkelin aus dem Wagen geholt, bald gingen beide gemeinsam die Treppe hinauf. Als sie oben ankamen, öffnete sich die Tür, und ein junger Mann kam aus dem Haus. Es war Nick. Lieselotte kannte ihn bereits. Schon vor einigen Tagen war sie nach Sophienlust gefahren, um das Haus und den Park in Augenschein zu nehmen. Dabei hatte sie Nick, Tante Ma und Schwester Regine kennengelernt, welche die Kinder betreuten.

Gleich bei diesem ersten Kennenlernen hatte Nick einen sehr guten Eindruck auf Lieselotte gemacht. Nick hatte sie auch durch das Haus geführt und ihr die Kinderzimmer gezeigt. In Sophienlust hatte jedes Kind sein eigenes Zimmer, und alle waren liebevoll und gemütlich eingerichtet. Ja, hier in Sophienlust würde ihre geliebte Enkeltochter gut aufgehoben sein.

Nach der Begrüßung führte Nick seine Gäste in die Eingangshalle, wo Lotte bereits erwartet wurde. Die Kinder, die dauerhaft in Sophienlust wohnten, wussten natürlich, dass heute ein Gastkind gebracht wurde, das wollten sie so schnell wie möglich sehen. Deshalb hatten sie sich mitten in der Eingangshalle versammelt. Kaum dass Lotte in die Halle gekommen war, liefen sie auf sie zu, um sie neugierig zu umringen.

»Ich heiße Fabian«, sagte der älteste Junge. Ein anderer rief: »Ich bin der Martin.«

Fabian, Martin und Simon. Vicky, Angelika, Heidi. So viele Namen, so viele neue Gesichter. Dann war da noch Pünktchen, die eigentlich Angelina hieß, aber von allen ›Pünktchen‹ genannt wurde. Pünktchen trug ein kleines Mädchen auf dem Arm, das Marie hieß und ungefähr zwei Jahre alt sein mochte. Schließlich drängte sich ein Junge durch die Reihe, der genauso klein war wie Lotte. »Ich bin der Leon«, verkündete er. »Ich bin schon fünf.«

»Aber ich bin bald sechs«, grinste Lotte. Dann erblickte sie einen anderen Jungen, der mit seinem lackschwarzen Haar und den hübschen Mandelaugen ein wenig fremdländisch aussah. »Bist du ein Chinese?«, fragte Lotte ganz unverblümt.

»Nein, ich aus Vietnam.«

»Vietnam? Liegt das in China?«

»Nö. Vietnam ganz woanders. Ich bin Kim.«

»Willst du das Spielzimmer sehen?«, fragte Leon und stupste Lotte in die Seite.

»Unsere Hunde auch da«, sagte Kim.

Au ja, das Spielzimmer! Und die Hunde natürlich! Die wollte Lotte natürlich sehen! Schon stürmte sie mit Leon und Kim aus der Halle in einen der seitlichen Flure.

»Ich glaube, Ihre kleine Enkelin ist gut in Sophienlust angekommen«, sagte Nick zu Lieselotte. »Wollen wir Lottes Gepäck jetzt nach oben in ihr Zimmer bringen?«

»Natürlich. Sehr gerne.«

Nachdem Lieselotte alles ausgepackt hatte, ging sie wieder nach unten zum Spielzimmer, um sich von ihrem kleinen Schatz zu verabschieden. Lotte hockte zusammen mit Kim, Leon und Heidi auf dem Teppich, wo alle gemeinsam versuchten, ein Puzzle zusammenzusetzen. Die beiden großen Hunde, die zu Sophienlust gehörten, lagen faul daneben und ließen sich von Simon streicheln.

Als Lieselotte ihre Enkelin so vergnügt mit den anderen Kindern spielen sah, ging ihr förmlich das Herz auf. Ja, hier in Sophienlust würde es Lotte gut gehen. Sie musste sich keinerlei Sorgen machen.