Ein richtiger Papa für Annina - Carina Lind - E-Book

Ein richtiger Papa für Annina E-Book

Carina Lind

0,0

Beschreibung

In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie wird die von allen bewunderte Denise Schoenecker als Leiterin des Kinderheims noch weiter in den Mittelpunkt gerückt. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. In der vergangenen Nacht war ein heftiger Regenguss über Sophienlust niedergegangen. Doch inzwischen hatten sich die dicken Wolken wieder verzogen. Gerade erhob sich die Sonne über den Horizont, bald würde sie an einem wunderbar blauen Himmel erstrahlen. Es war also ein herrlicher Sonntagmorgen, als die Heimleiterin Else Rennert, die von allen liebevoll 'Tante Ma' genannt wurde, durch den Park von Sophienlust spazierte. Auf den Rasenflächen schimmerten noch immer unzählige Regentropfen wie kleine Perlen, und die Rosenbüsche neben dem Pavillon blühten in voller Pracht. Im Hintergrund sah das alte Herrenhaus im Licht der aufgehenden Sonne besonders prächtig aus, es wirkte fast wie ein Schloss. Das große Haus mit seinem Wintergarten, der weitläufige Park und die Spielplätze darin, die alten Bäume, die Blumenrabatten – Sophienlust wirkte wie ein kleines Paradies. Else Rennert dachte auch an die Pferde drüben auf der Koppel und die beiden Hunde, die zum Haus gehörten. Ja, hier musste sich jeder wohlfühlen. Kein Wunder, dass Sophienlust auch das 'Haus der glücklichen Kinder' genannt wurde. Else Rennert blickte auf ihre Uhr. Es war kurz vor neun, im Haus saßen jetzt alle gemütlich im Speisezimmer beisammen. Und sicher hatte Magda, die Köchin, zum heutigen Sonntag wieder ein besonders leckeres Frühstück gezaubert. Heute würde sie, Else, jedoch nicht mit den anderen im Speisezimmer essen, sondern zusammen mit ihrem Sohn Wolfgang und seiner Familie, die in einem Anbau von Sophienlust wohnten. Else freute sich sehr auf das Zusammensein mit Wolfgang und seiner Frau Carola. Aber am meisten freute sie sich auf Alexandra und Andreas, ihre Enkelkinder. Else liebte die dreijährigen Zwillinge über alles. Sie beflügelte ihren Schritt, als sie zum Anbau hinüberging. Kaum hatte sie Wolfgangs Wohnung betreten, da kamen Alexandra und Andreas schon auf sie zugestürmt. "Oma!

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 129

Veröffentlichungsjahr: 2022

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Sophienlust - Die nächste Generation – 65 –Ein richtiger Papa für Annina

Wie eine Familie endlich komplett wurde…

Carina Lind

In der vergangenen Nacht war ein heftiger Regenguss über Sophienlust niedergegangen. Doch inzwischen hatten sich die dicken Wolken wieder verzogen. Gerade erhob sich die Sonne über den Horizont, bald würde sie an einem wunderbar blauen Himmel erstrahlen. Es war also ein herrlicher Sonntagmorgen, als die Heimleiterin Else Rennert, die von allen liebevoll ‚Tante Ma‘ genannt wurde, durch den Park von Sophienlust spazierte. Auf den Rasenflächen schimmerten noch immer unzählige Regentropfen wie kleine Perlen, und die Rosenbüsche neben dem Pavillon blühten in voller Pracht. Im Hintergrund sah das alte Herrenhaus im Licht der aufgehenden Sonne besonders prächtig aus, es wirkte fast wie ein Schloss.

Das große Haus mit seinem Wintergarten, der weitläufige Park und die Spielplätze darin, die alten Bäume, die Blumenrabatten – Sophienlust wirkte wie ein kleines Paradies. Else Rennert dachte auch an die Pferde drüben auf der Koppel und die beiden Hunde, die zum Haus gehörten. Ja, hier musste sich jeder wohlfühlen. Kein Wunder, dass Sophienlust auch das ‚Haus der glücklichen Kinder‘ genannt wurde.

Else Rennert blickte auf ihre Uhr. Es war kurz vor neun, im Haus saßen jetzt alle gemütlich im Speisezimmer beisammen. Und sicher hatte Magda, die Köchin, zum heutigen Sonntag wieder ein besonders leckeres Frühstück gezaubert. Heute würde sie, Else, jedoch nicht mit den anderen im Speisezimmer essen, sondern zusammen mit ihrem Sohn Wolfgang und seiner Familie, die in einem Anbau von Sophienlust wohnten. Else freute sich sehr auf das Zusammensein mit Wolfgang und seiner Frau Carola. Aber am meisten freute sie sich auf Alexandra und Andreas, ihre Enkelkinder. Else liebte die dreijährigen Zwillinge über alles.

Sie beflügelte ihren Schritt, als sie zum Anbau hinüberging. Kaum hatte sie Wolfgangs Wohnung betreten, da kamen Alexandra und Andreas schon auf sie zugestürmt. „Oma! Oma! Auf den Arm! Auf den Arm!“, riefen beide gleichzeitig und versuchten, an ihr hochzuspringen. Else bückte sich, um zuerst Alexandra hochzuheben. Sie drückte die Kleine zärtlich an sich und gab ihr dabei einen dicken Kuss.

„Ich auch! Ich auch!“, rief Andreas aufgeregt. Alexandras Zwillingsbruder konnte es kaum erwarten, dass auch er auf Omas Arm durfte. Und natürlich wurde auch er hochgehoben und geknuddelt, kaum dass Else die kleine Alexandra wieder abgesetzt hatte.

„Schön, dass du da bist, Schwiegermama“, sagte Carola mit einem Lächeln, als sie zu ihr und den Zwillingen in den Flur kam. Die junge Frau nahm ihre Schwiegermutter herzlich in den Arm und küsste sie auf die Wange. Dann schob Carola ihre Kinder ins Esszimmer, wo sie die Dreijährigen auf ihre Kinderstühle setzte. Endlich kam auch Wolfgang dazu, sodass sich alle einem gemütlichen Frühstück widmen konnten. Carola schnitt ein weiches Rosinenbrötchen in zwei Hälften, um sie mit Butter und Marmelade zu bestreichen und den Zwillingen auf die Teller zu legen. Wolfgang schenkte seiner Mutter Kaffee ein und reichte ihr Zucker und Sahne. Während er nach einem Brötchen griff, begann er, von der Projektwoche zu erzählen, die morgen in seiner Schule starten sollte.

„Ab Montag soll kein normaler Unterricht stattfinden“, erklärte Wolfgang seiner Mutter. „Vielmehr werden verschiedene Lerngruppen angeboten. Jedes Kind kann sich selbst aussuchen, welche es besuchen will.“ Wolfgang war Lehrer für Kunst und Musik am Gymnasium in Maibach. Er liebte seinen Beruf, die Arbeit machte ihm viel Spaß. Jetzt freute er sich darauf, anlässlich der Projektwoche etwas ganz Neues auszuprobieren.

„Ich werde eine Theatergruppe leiten“, erzählte Wolfgang weiter. „Sieben Kinder haben sich bei mir angemeldet. Das Stück, das sie aufführen wollen, haben sie sich selbst ausgedacht. Wir wollen auch Kostüme und Masken basteln. Und ein paar Kulissen brauchen wir auch.“

„Ein Theaterstück einzustudieren und dazu noch die Bastelarbeit – das wird viel Zeit in Anspruch nehmen“, ergänzte Carola. „Hoffentlich hat sich Wolfgang nicht zu viel vorgenommen.“

„Gestern Abend sind mir tatsächlich Bedenken gekommen, ob das in einer Woche überhaupt zu schaffen ist“, fügte Wolfgang hinzu. „Deshalb habe ich Carola gebeten, mich ein wenig zu unterstützen. Sie könnte mich gelegentlich in die Schule begleiten und bei den Bastelarbeiten helfen.“

„Du bist Kunstmalerin“, meinte Else Rennert, zu Carola gewandt. „Und sogar eine sehr gute! Es wird für dich ein Leichtes sein, die schönsten Kulissen zu malen.“

„Ich kann auch malen!“, rief Alexandra. „Ich auch Kunstmalerin!“ Und schon langte die Kleine in den Marmeladentopf. Sie fischte eine Handvoll Marmelade heraus und patschte sie auf ihren Teller. Dann fing sie an, den Klecks mit dem Finger zu einem Smiley zu verarbeiten. In Windeseile griff Carola nach Alexandras Hand, wobei sie den Kopf schüttelte. „Man darf mit dem Essen nicht spielen!“, ermahnte sie die Kleine und putzte Alexandras Finger mit einer Serviette sauber. „Man darf kein Essen verschwenden.“

„Kein Essen verplempern“, sagte Alexandra. „Immer alles aufessen.“ Kaum dass Carola Alexandras Hand wieder losgelassen hatte, nahm die Kleine ihren Teller und leckte ihn ab.

„Teller ablecken böse“, meinte Andreas altklug und blickte seine Schwester strafend an. Wie zur Bestätigung setzten auch die Erwachsenen eine ernste Miene auf. Dabei hatten sie jedoch alle Mühe, sich das Lachen zu verkneifen.

Schließlich wandte sich Else Rennert an ihren Sohn: „Du sagtest, dass die Theatergruppe ein Stück aufführt, das sich die Kinder selbst ausgedacht haben. Was ist denn das für ein Stück?“

„Es heißt ‚Das kleine Einhorn‘ und …“, wollte Wolfgang erklären, doch er kam nicht weiter.

„Ich will mitspielen! Ich will Einhorn sein!“, krähte Andreas nämlich laut über den Tisch, und Alexandra rief: „Ich auch mitspielen! Ich will Einhorn sein!“

„Aber das geht doch nicht“, versuchte Großmama Else die beiden zu beruhigen. „Ihr seid noch zu klein.“

„Aber Einhorn auch klein“, meinte Alexandra und verschränkte ihre Ärmchen vor der Brust.

„Kleine Kinder spielen Einhorn“, murrte Andreas und tat es seiner Schwester gleich.

„Natürlich könnt ihr Einhorn spielen. Nach dem Frühstück, draußen im Park“, sagte Else. Mit einem Schmunzeln fügte sie noch hinzu: „Doch vorher basteln wir zwei riesige Hörner. Sicher hat eure Mama Papier und Pappe in ihrem Atelier. Und ganz viel Leim. Die Hörner kleben wir dann auf eure Nasen. Ganz fest, damit sie richtig gut anwachsen.“

„Nee …“, sagte Andreas und fasste sich an sein Stupsnäschen.

„Nee…“, echote Alexandra und presste ihre Händchen vors Gesicht.

In diesem Moment klingelte es an der Tür. Carola und Wolfgang blickten einander verwundert an, sie hatten niemanden erwartet.

Wolfgang erhob sich von seinem Platz und ging in den Flur, um die Haustür zu öffnen.

*

„Katharina du? Und Annina?“, fragte Wolfgang erstaunt, als er Carolas beste Freundin und deren Tochter vor der Tür stehen sah. „Mit euch hätte ich nun gar nicht gerechnet. – Schön, dass ihr da seid! Kommt nur herein!“ Wolfgang nahm Katharina herzlich in den Arm, dann begrüßte er auch Annina. Wolfgang Rennert mochte Annina sehr gern. Dennoch war es für ihn immer ein bisschen komisch, wenn sie in sein Haus kam. Annina war nämlich Schülerin am Gymnasium in Maibach, und Wolfgang war ihr Kunstlehrer. In gewisser Weise war er aber auch eine Art Onkel für Annina. Wenn sie ihn in der Schule duzte und als ‚Onkel Wolfgang‘ ansprach, war das für die anderen Schüler nicht selten ein Grund zum Lachen.

„Wir sitzen gerade am Frühstückstisch“, erklärte Wolfgang, während er Katharina und Annina ins Haus einließ. „Meine Mutter ist auch da. Geht schon mal ins Esszimmer und setzt euch zu den anderen. Ich hole noch rasch ein Gedeck für euch.“

Als Katharina mit ihrer Tochter ins Esszimmer kam, freuten sich alle sehr. Nach der Begrüßung rückte man ein wenig enger zusammen, und Wolfgang holte noch zwei Stühle herbei.

„Ich möchte gern zwischen den Zwillingen sitzen“, sagte Annina und blickte Wolfgang erwartungsvoll an.

„Oh, oh“, lachte Wolfgang, „das könnte schwierig werden.“ Doch dann griff er beherzt nach Alexandras Kinderstuhl und hob ihn mitsamt der Kleinen in die Höhe. Alexandra quietsche vor Freude, als Wolfgang seine Tochter zusammen mit dem Kinderstuhl etwas seitlich wieder absetzte.

„Ich auch! Ich auch!“, verlangte Andreas, also hob Wolfgang auch seinen Stuhl in die Höhe. Endlich war so viel Platz geschaffen, dass Annina zwischen den Kinderstühlen sitzen konnte.

Sofort patschte Andreas mit seinem Händchen auf Anninas Arm. „Ich will Wurstbrot“, verlangte er von ihr.

„Es heißt: Ich möchte bitte ein Wurstbrot“, sagte Annina zu dem Kleinen, während sie nach einer Scheibe von dem köstlichen Bauernbrot griff, es mit Butter bestrich und Wurstscheiben auflegte. Als das Butterbrot fertig war, hielt sie es Andreas dicht vor die Nase. „Erst ‚bitte‘ sagen“, forderte sie den kleinen Jungen auf.

„Ich bitte Wurstbrot haben“, sagte Andreas brav und klatschte in die Hände.

„Na also. Geht doch“, meinte Annina und legte Andreas das Brot auf den Teller.

„Ich auch Wurstbrot. Bitte, bitte!“ Alexandra zupfte Annina am Ärmel. Also machte sich Annina daran, eine zweite Stulle zu schmieren.

Carola beobachtete Annina mit einem Lächeln. Sie hatte sichtlich Spaß daran, wie die Zehnjährige mit den Zwillingen umging. Carola wusste nur zu gut, dass sich Annina schon lange ein Geschwisterchen wünschte. Jedes Mal, wenn Annina mit Alexandra und Andreas zusammen war, versuchte sie, die beiden zu bemuttern.

Während die Zwillinge ihr Wurstbrot verputzten, erzählte Wolfgang wieder von seinem Theaterprojekt. Annina lauschte Wolfgangs Worten mit Begeisterung. Auch sie hatte sich nämlich für die Theatergruppe angemeldet. Das Mädchen konnte den morgigen Tag kaum abwarten. Sie freute sich sehr darauf, eine Schulwoche zu erleben, die so ganz anders sein würde als das, was sie sonst kannte.

Wolfgangs Erzählung, dazu die neusten Geschichten aus Maibach und dem nahegelegenen Wildmoos, ein bisschen Klatsch, ein bisschen Tratsch, schon bald plauderten alle munter durcheinander. Nur Katharina war merkwürdig in sich gekehrt. Manchmal sagte sie ‚ja‘ oder ‚nein‘ oder ‚ach so‘. Ansonsten blieb sie meist still.

Schließlich fragte Carola ihre Freundin: „Was ist denn mit dir los, Katharina? Du sagst ja kaum etwas. Dazu machst du so ein seltsam griesgrämiges Gesicht. So kenne ich dich ja gar nicht! Was ist dir denn für eine Laus über die Leber gelaufen?“

Carolas Worte hatten scherzhaft und aufmunternd klingen sollen, doch sie bewirkten genau das Gegenteil. Plötzlich schossen Katharina die Tränen in die Augen. Tapfer versuchte sie, sie hinunterzuschlucken, doch es gelang ihr nicht. Sie schlug die Hände vor das Gesicht und begann zu weinen.

Sofort herrschte am Tisch betretenes Schweigen. Alle starrten Katharina an, und selbst die Zwillinge hörten auf, an ihrem Wurstbrot zu kauen. Carola blickte erst fragend zu Else hinüber, dann zu ihrem Mann. Natürlich hatte auch Wolfgang keine Ahnung, welcher Kummer Katharina bedrückte. Hilflos zuckte er mit den Schultern.

Es war Annina, die schließlich das Schweigen brach. „Meine Mama hat sich mit Volker verkracht“, verkündete sie.

Katharina holte ein Taschentuch hervor und trocknete ihre Tränen. „Du sollst ihn nicht ‚Volker‘ nennen“, sagte Katharina zu ihrer Tochter. „Warum sagst du nicht einfach ‚Papa‘ zu ihm?“

„Dein Freund ist nicht mein Vater“, meinte Annina trotzig. „Und ein Papa ist er schon gar nicht.“

„Ach, Kind!“, sagte Katharina nur und fing wieder an zu weinen.

Carola schlang einen Arm um ihre Freundin und zog sie ein Stück näher zu sich heran. „Magst du uns erzählen, was passiert ist?“, fragte sie.

„Ja. Nein. Später vielleicht“, sagte Katharina leise. Sie brauchte mehrere Minuten, um ihre Fassung zurückzugewinnen. Die gedrückte Stimmung, die sich derweil am Frühstückstisch ausbreitete, wurde nur durch die Schmatzgeräusche unterbrochen, die Alexandra von sich gab. Das Wurstbrot war einfach zu lecker.

Schließlich richtete sich Katharina kerzengerade auf. Die junge Frau blickte von einem zum anderen. Dann sagte sie: „Ich bin heute nicht spontan zu euch gekommen. Ich habe eine große Bitte. Ich wollte euch fragen, ob Annina und ich ein oder zwei Tage hierbleiben dürfen.“

„Die Mama und Volker haben sich nämlich richtig gefetzt“, erklärte Annina. „Und darum haben die Mama und ich den Volker verlassen.“

Wolfgang war so verblüfft, dass er sein Messer fallen ließ. Dabei machte es auf seinem Teller so laut ‚Klack‘, dass Katharina erschrocken zusammenzuckte. „Wie bitte? Du hast Volker verlassen?“, fragte er.

„Ja … Nein“, antwortete Katharina. „Nicht wirklich. Ich brauche nur eine kleine Auszeit, bis ich wieder einen klaren Gedanken fassen kann. Es tut mir leid, dass ich euch so überfalle, aber im Moment wusste ich keinen anderen Ausweg … Ich möchte euch aber auch nicht zur Last fallen.“

„Aber du fällst uns doch nicht zur Last!“, sagte Carola mit Bestimmtheit. „Und Annina auch nicht! Selbstverständlich kannst du so lange in Sophienlust bleiben, wie es für dich richtig ist.“

Wolfgang wandte sich an seine Mutter und fragte sie: „Es ist doch bestimmt noch ein Gästezimmer frei?“

„Natürlich“, nickte Else. „Ich werde mich nachher gleich darum kümmern.“

*

Nach dem Frühstück ging Else zu Nick und fragte ihn, ob Katharina und Annina ein Gästezimmer bewohnen durften. Nick, der eigentlich Dominik von Wellentin-Schoenecker hieß, war der Leiter des Kinderheims Sophienlust. Obwohl Nick noch nicht einmal zwanzig war, meisterte er die verantwortungsvolle Aufgabe, die ihm das Schicksal übertragen hatte, mit Bravour. Natürlich konnte er sich jederzeit an seine Mutter wenden, wenn es um eine besonders knifflige Angelegenheit ging. Denise von Schoenecker stand ihrem Sohn immer gern mit Rat und Tat zur Seite.

Nick war sofort bereit, Katharina und ihrer Tochter ein Gästezimmer zur Verfügung zu stellen. Es war so geräumig, dass es genügend Platz für Mutter und Tochter bot. Dazu war es liebevoll und sehr gemütlich eingerichtet.

„Hier ist es klasse! Hier bleiben wir!“, sagte Annina, kaum dass sie und ihre Mama das Zimmer betreten hatten.

„Na, das denke ich wohl nicht“, meinte Katharina und schob ihren Rollkoffer hinein. Sie machte sich daran, verschiedene Kleidungsstücke in einen Schrank zu räumen, Annina widmete sich ihrem Rucksack. Zwei, drei Kinderbücher, ein bisschen Spielzeug und ihr kleiner Lieblingsteddy, mehr war nicht darin. Annina legte alles auf ihren Nachttisch, dann holte sie ihre Schultasche und stellte sie auf einen Tisch, der direkt unter dem Fenster stand.

„Du hast deine Schultasche mitgenommen?“, fragte Katharina erstaunt.

„Und du hast es nicht einmal gemerkt“, meinte Annina. „Du interessierst dich nur immer für deinen Volker. Und kaum noch für mich.“

„Aber Schatz! Wie kannst du nur so etwas sagen!“ Anninas Worte versetzten Katharina einen Stich. Sie bückte sich zu ihrer Tochter herunter und schlang beide Arme um das Mädchen. „Ich habe dich sehr, sehr lieb“, sagte sie. „Du bist mir das Allerliebste auf dieser Welt.“ Katharina küsste Annina auf beide Wangen, dann stand sie wieder auf, um auch die Schuhe in den Schrank zu räumen.

„Trotzdem hättest du deine Schultasche doch gar nicht gebraucht“, sagte Katharina dabei. „Erstens bist du ab morgen in der Theatergruppe, da brauchst du keine Schulsachen. Und zweitens bleiben wir nicht lange hier. Ein oder zwei Tage vielleicht und dann …“

„… dann willst du wieder zu deinem Volker zurück“, bemerkte Annina und setzte sich auf das Bett.

Mit einem Seufzer setzte sich Katharina neben ihre Tochter und legte einen Arm um sie. „Ich weiß nicht, mein Schatz“, sagte sie. „Ich weiß es wirklich nicht.“

Nachdem sich Annina und ihre Mama im Gästezimmer eingerichtet hatten, gingen sie wieder zu Carolas Familie. Annina lief sofort in das Kinderzimmer, um mit Alexandra und Andreas zu spielen. Wolfgang hatte sich inzwischen in sein Arbeitszimmer zurückgezogen. Er wollte noch an den letzten Textpassagen für ‚Das kleine Einhorn‘ feilen.

In der Küche war Carola bereits mit den Vorbereitungen für das Mittagessen beschäftigt. Sofort griff Katharina nach einem Messer, um beim Gemüseschnippeln zu helfen.

Nach einer Weile fragte Carola ihre Freundin: „Ich will nicht aufdringlich sein. Aber magst du vielleicht von deinem Streit mit Volker erzählen? Ich wundere mich, warum du Knall auf Fall ausgezogen bist.“