Lilly weiß, was ihre Mama braucht! - Carina Lind - E-Book

Lilly weiß, was ihre Mama braucht! E-Book

Carina Lind

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Beschreibung

In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie wird die von allen bewunderte Denise Schoenecker als Leiterin des Kinderheims noch weiter in den Mittelpunkt gerückt. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. Lilly weiß, was ihre Mama braucht! …nämlich ganz viel Liebe! Nach einem verregneten Frühling lachte die Sonne wieder vom Himmel herab. In dem Garten, der zum Haus von Familie Meiboom gehörte, blühten die Hortensien um die Wette. Jessica aber hatte gar keine Zeit, die üppige Pracht zu genießen. Sie war in Eile und auch ziemlich aufgeregt. Morgen sollte es auf eine kleine Reise nach Wildmoos gehen, an deren Ende ihre Hochzeit mit Wolfgang von Antenau stehen würde, und es waren noch etliche Vorbereitungen zu treffen. Das Haus lag etwas außerhalb von Rodenstettingen. Die Sonnenstrahlen hatten das freundliche Gebäude in ein wunderbar goldenes Licht getaucht, doch Jessica achtete gar nicht darauf. Schnell lief sie die Stufen hinauf, die zur Haustür führten. Seit zwei Jahren lebte die junge Frau wieder hier in ihrem Elternhaus, zusammen mit ihrer Tochter Lilly. Nach ihrer Scheidung hatte Jessica ein schreckliches seelisches Tief durchlitten. Zum Glück hatten ihre Eltern, Axel und Henriette Meiboom, ihr immer zur Seite gestanden. Sie hatten Jessica und Lilly nach der Scheidung bei sich aufgenommen, und das mit offenen Armen. Ja, für Jessica waren Axel und Henriette Vater und Mutter, und sie liebte die beiden sehr. Dabei waren sie gar nicht ihre leiblichen Eltern. Sie hatten Jessica adoptiert, als sie vier Jahre alt gewesen war. "Es war Liebe auf den ersten Blick", hatten Axel und Henriette Jessica erklärt, als sie ihr mit acht Jahren die Wahrheit erzählt hatten. Und für Lilly waren die beiden ohnehin die besten Großeltern der Welt. Sie verwöhnten Lilly wie eine Prinzessin.

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Seitenzahl: 123

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Sophienlust - Die nächste Generation – 52 –Lilly weiß, was ihre Mama braucht!

...nämlich ganz viel Liebe!

Carina Lind

Lilly weiß, was ihre Mama braucht!

…nämlich ganz viel Liebe!

Roman von Carina Lind

Nach einem verregneten Frühling lachte die Sonne wieder vom Himmel herab. In dem Garten, der zum Haus von Familie Meiboom gehörte, blühten die Hortensien um die Wette.

Jessica aber hatte gar keine Zeit, die üppige Pracht zu genießen. Sie war in Eile und auch ziemlich aufgeregt. Morgen sollte es auf eine kleine Reise nach Wildmoos gehen, an deren Ende ihre Hochzeit mit Wolfgang von Antenau stehen würde, und es waren noch etliche Vorbereitungen zu treffen.

Das Haus lag etwas außerhalb von Rodenstettingen. Die Sonnenstrahlen hatten das freundliche Gebäude in ein wunderbar goldenes Licht getaucht, doch Jessica achtete gar nicht darauf. Schnell lief sie die Stufen hinauf, die zur Haustür führten. Seit zwei Jahren lebte die junge Frau wieder hier in ihrem Elternhaus, zusammen mit ihrer Tochter Lilly. Nach ihrer Scheidung hatte Jessica ein schreckliches seelisches Tief durchlitten. Zum Glück hatten ihre Eltern, Axel und Henriette Meiboom, ihr immer zur Seite gestanden. Sie hatten Jessica und Lilly nach der Scheidung bei sich aufgenommen, und das mit offenen Armen.

Ja, für Jessica waren Axel und Henriette Vater und Mutter, und sie liebte die beiden sehr. Dabei waren sie gar nicht ihre leiblichen Eltern. Sie hatten Jessica adoptiert, als sie vier Jahre alt gewesen war.

„Es war Liebe auf den ersten Blick“, hatten Axel und Henriette Jessica erklärt, als sie ihr mit acht Jahren die Wahrheit erzählt hatten. Und für Lilly waren die beiden ohnehin die besten Großeltern der Welt. Sie verwöhnten Lilly wie eine Prinzessin.

Doch so schön das Leben bei Axel und Henriette auch war, für Jessica gab es dennoch ein Problem: Als sie damals Kevin geheiratet hatte, hatte sie ihren Job als Bürokauffrau aufgegeben. Später, nach der Scheidung von ihm, hatte sie keine neue Arbeit gefunden. Da Kevin auch keinen Unterhalt zahlte, stand sie praktisch ohne eigenes Geld da. Zwar bekräftigten Axel und Henriette stets, dass sie sich keine Sorgen machen sollte. Dennoch schmerzte es Jessica sehr, dass sie mit ihrer Tochter auf Kosten der Eltern lebte.

Jessica eilte durch den Hausflur und weiter über die Treppe, die hinauf in die obere Etage führte. Dort war das Kinderzimmer. Lilly hockte mitten auf ihrem Bett und las in einem Kinderbuch.

„Morgen geht es nach Wildmoos. Höchste Zeit, dass wir packen“, sagte sie, ging zu Lillys Kleiderschrank und schob die Kleiderbügel von links nach rechts.

„Was wollen wir mitnehmen?“, fragte sie.

Lilly setzte ein höchst wichtiges Gesicht auf. „Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus“, bemerkte sie. „Da braucht man jede Menge Klamotten.“

Unwillkürlich musste Jessica lachen. Es machte ihr immer wieder Spaß, wenn ihre Tochter so vorwitzig daherredete.

Nach einer Weile hatte Jessica Lillys schönste Kleider herausgesucht und legte sie auf das Bett. Lilly sah ihrer Mama aufmerksam zu. „Morgen fahren wir ganz früh los“, meinte sie wichtig. „Opa hat einen ganzen Gasthof in Wildmoos gemietet.“

„Ganz früh schaffen wir es bestimmt nicht“, lachte Jessica und ging wieder zum Schrank, um ein paar T-Shirts und Hosen auszuwählen. „Und ja, wir machen dort zwei Wochen Urlaub. Aber den ganzen Gasthof haben wir nur für den Tag der Hochzeit gemietet.“

„Und genau ist das Wichtigste“, meinte Lilly. „Die Hochzeitsfeier! Dazu hat Opa alle eingeladen: Onkel Herbert und Tante Hilde. Und Christel natürlich. Und Onkel Karl-Heinz und Tante Trude und Opas Sekretärin, Frau Wunderlein.“

„Sie heißt Underwein“, unterbrach Jessica ihre Tochter. „Rita Underwein.“

„Sag ich doch, Wunderlein“, plapperte Lilly munter weiter. „Und alle wohnen dann im Gasthof.“

„Nicht alle, nur die Verwandten. Und meine Freundin Christel. Und wohl auch ein paar von Wolfgangs Angehörigen.“ Jessica breitete die T-Shirts neben den Kleidern auf Lillys Bett aus. Lilly hopste zum Schrank und zog die Schublade mit ihren Strümpfen hervor. Voller Eifer begann sie, darin herumzuwühlen.

„Und dann, wenn die Hochzeit gefeiert wird, bekommen wir ganz viele Geschenke“, bemerkte sie dabei.

„Ob mein süßes, ewig plapperndes Mädchen Geschenke bekommt, weiß ich nicht“, sagte Jessica. „Ich glaube, die Geschenke sind nur für das Brautpaar, für Wolfgang und mich.“

„Ach so, das hatte ich schon befürchtet.“ Lilly nahm einen Armvoll Strümpfe aus ihrem Schrank und warf sie neben die T-Shirts und Kleider auf das Bett. Voller Hingabe fing sie an, die Strümpfe zu sortieren, die rosafarbenen kamen nach links, die himmelblauen nach rechts. Nachdem sie ihr Werk vollendet hatte, setzte sich Lilly auf die Bettkante.

„Und dann, wenn du den Wolfgang geheiratet hast, ist er dein neuer Mann. Da will ich nur hoffen, dass er nicht so gemein ist wie der andere und …“

„Lilly, so etwas sagt man nicht. So redet man nicht über seinen Vater.“

„Ich meine ja nur“, sagte Lilly und blieb eine ganze Zeit lang ruhig. Dann machte sie plötzlich ein sehr ernstes Gesicht und begann auf ihrer Unterlippe zu kauen. Es sah ganz so aus, als wollte sie doch wieder etwas sagen, traute sich aber nicht.

„Was ist denn, mein Schatz?“, fragte Jessica.

„Ach, es ist nichts.“

Jessica schob Strümpfe und Kleider beiseite und setzte sich neben Lilly. Dabei streichelte sie ihrer Tochter über den Rücken. „Ich glaube, da ist doch etwas“, meinte sie.

Lilly blickte ihre Mama mit großen Augen an. „Ich habe mir etwas überlegt. Wenn du den Wolfgang geheiratet hast, sage ich nicht mehr Wolfgang zu ihm. Ich nenne ihn Vater.“

„Vater? Das klingt aber komisch. Willst du nicht lieber Papa sagen?“

„Nein, will ich nicht.“

„Und warum nicht?“

„Ach, ich weiß nicht. Irgendwie ist mir der Mann suspekt.“

„Suspekt?“ Für einen klitzekleinen Moment war Jessica vollkommen perplex, dann musste sie lachen. Sie lachte so laut, dass sie sich fast verschluckte.

Es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich wieder beruhigt hatte. Schließlich sagte sie: „Wo hast du den dieses Wort aufgeschnappt? Nein, Wolfgang ist keineswegs suspekt. Er ist ein Mann von Welt. Ein richtiger Gentleman.“ Sie erhob sich und ging zurück zum Kleiderschrank. Sie schien etwas zu suchen, konnte es aber nicht finden. „Außerdem ist Wolfgang sehr attraktiv“, fügte sie noch hinzu.

„Ach ja, dass ich daran gar nicht gedacht habe“, tönte es von Lillys Bett. „Wolfgang ist attraktiv. Wolfgang sieht sehr gut aus. Wolfgang ist reich. Seine Familie gehört zur besten Gesellschaft.“

Lilly legte eine Pause ein, um Luft zu schöpfen, dann fügte sie noch hinzu: „Aber eines finde ich richtig doof an deinem Wolfgang.“

„Und was, bitteschön, sollte das sein?“

„Wolfgang ist alt.“

„Unsinn. Er ist nur wenige Jährchen älter als ich.“

„Aber er hat schon graue Schläfen.“ Lilly verschränkte ihre Arme. Sie sah plötzlich richtig trotzig aus.

„Aber das macht doch nichts“, sagte Jessica. „Mir gefallen seine grauen Schläfen.“

„Wie konnte ich das nur vergessen! Graue Schläfen sind modern. Die Frau von Welt mag graue Schläfen.“

„Was du so alles weißt.“ Jessica schüttelte ihren Kopf. Dann verließ sie kurz das Zimmer, um einen Koffer zu holen. Als sie wieder zurückkam, saß Lilly nicht mehr auf dem Bett. Sie hatte sich hinten in eine Ecke gehockt und spielte mit ihrem Puppenhaus.

Jessica achtete nicht weiter auf ihre Tochter und legte Lillys Kleidung in den Koffer. „Soll ich das grüne Kleid auch mitnehmen?“, fragte sie.

„Hmmm“, kam es aus Lillys Ecke.

„Oder magst du lieber das Weinrote mit dem bestickten Kragen?“

„Hmmm. Und noch einmal hmmm.“

„Puh!“ Jessica schüttelte ihren Kopf. „Du bist mir vielleicht eine Marke! Was ist nur los mit dir, Kind?“

Lilly antwortete nicht. Ihr Puppenhaus schien plötzlich das Wichtigste auf der Welt zu sein. Doch lange hielt Lilly es nicht aus. Urplötzlich sprang sie wieder auf. „Ich glaube, der Wolfgang kann mich nicht leiden“, platzte sie heraus.

Jessica ließ das weinrote Kleid fallen. „Aber wie kommst du denn darauf?“, fragte sie ganz entgeistert.

Lilly lief zu ihrer Mama, um sich ganz eng an sie zu kuscheln. Dabei blickte sie mit großen Augen zu ihr hinauf. „Ich gehe ihm auf die Nerven“, sagte das Kind.

„Ach du, mein Dummchen! Das glaube ich ganz bestimmt nicht.“

„Ich aber schon.“

Jessica legte ihre Hände auf Lillys Schultern. „Du bist nur manchmal ein wenig zu wild“, sagte sie und küsste Lilly auf das Haar. „Und manchmal redest du viel daher, wenn der Tag lang ist. Kinder, die so viel schnattern wie du, können ganz schön anstrengend sein.“

„Und weil ich anstrengend bin, mag Wolfgang mich nicht.“

„Natürlich mag er dich. Er ist nur manchmal ziemlich gestresst.“

„Ach ja, ich verstehe.“ Lilly nickte eifrig mit dem Kopf. „Wolfgang ist gestresst, weil er so furchtbar viel Arbeit hat. Weil er unheimlich wichtig ist. Weil ohne ihn gar nichts läuft.“

„Wolfgang ist eben sehr ehrgeizig“, erklärte Jessica. „Er will etwas aus sich machen.“

„Ach, ja?“

„Ach ja!“, sagte Jessica mit Bestimmtheit. „Wolfgang hat viele Talente und Fähigkeiten. Man muss ihn bewundern.“

„Ach so.“ Dann sagte Lilly nichts mehr. Jessica verstaute die restlichen Sachen im Koffer und klappte den Deckel zu. Der Koffer war recht voll geworden. Das Schloss wollte und wollte nicht einrasten.

„Da ist aber noch etwas“, bemerkte Lilly nach einer Weile. „Und das ist …, also ich weiß nicht ..., vielleicht …“

Lilly sprach nicht mehr weiter. Diesmal verschränkte sie ihre Arme hinter dem Rücken. Gleichzeitig presste sie die Lippen zusammen.

„Ja, was denn?“ Endlich war das verflixte Kofferschloss zugeschnappt.

„Hmmm.“ Lilly drehte sich hin und her.

„Immer heraus mit der Sprache!“, forderte Jessica ihre Tochter auf. „Frei von der Leber weg!“

„Ich glaube, es ist mir peinlich.“

„Unsinn“, sagte Jessica. „Dir muss nichts peinlich sein.“

„Also dann will ich dich fragen … Ich hätte so gerne gewusst … Ob du den Wolfgang …“ Lilly druckste noch immer herum. Dann brachte sie es endlich heraus: „Ich möchte wissen, ob du den Wolfgang eigentlich liebst?“

*

… ob du den Wolfgang eigentlich liebst?

Lillys Worte hallten noch lange in Jessicas Ohr. Sie hatte Lilly mit einer ausweichenden Antwort abgespeist, dann war sie ganz schnell aus dem Kinderzimmer verschwunden.

Jetzt, einige Stunden später, war Jessica allein in ihrem Zimmer. Unentwegt lief sie darin auf und ab. Ihre wirbelnden Gedanken ließen sie nicht zur Ruhe kommen.

Ob du den Wolfgang eigentlich liebst? – Lillys Frage wollte und wollte Jessica einfach nicht loslassen. Vor sich selbst musste sie zugeben, dass es schon lange in ihr rumorte. Doch die sie hatte dieses Problem stets verdrängt.

Endlich blieb Jessica stehen, direkt vor den Familienfotos, die in goldfarbenen Rähmchen auf der Kommode standen. Ganz vorne war das Foto von Wolfgang. Es war im letzten Sommer aufgenommen worden. Wolfgang war braun gebrannt und sah wirklich gut aus. In der Sonnenbräune seines Gesichtes wirkten seine grauen Augen außerordentlich hell, was Jessica sehr faszinierte.

Jessica kannte Wolfgang von Antenau seit vielen Jahren und hatte ihn immer bewundert, wegen seiner Fähigkeiten und seines Ehrgeizes. Er war ein angesehener Rechtsanwalt und führte eine gut gehende Kanzlei. Dazu war er kultiviert, höflich, belesen, und er stammte aus einer gut situierten Familie. Sein Vater und Großvater waren ebenfalls Rechtsanwälte gewesen.

Ja, Wolfgang war in jeder Beziehung eine gute Partie. Nein, mehr als das! Er war die Beste! Sie, Jessica, konnte sich glücklich schätzen, einen so wunderbaren Mann wie Wolfgang zu heiraten.

Jede Frau würde sich nach ihm verzehren, dachte sie. Nun ja, er war etwas älter als sie und manchmal ziemlich konservativ. Aber so war es nun einmal im Leben, man konnte nicht alles haben.

Direkt neben Wolfgangs Porträt waren die Fotos von Lilly. Lilly als Baby, als Kleinkind, unter dem Weihnachtsbaum, mit Oma und Opa im Zoo. Alle drei standen vor dem Elefantengehege und lachten in die Kamera. Axel und Henriette hielten Lilly bei der Hand. Sie schienen die glücklichsten Großeltern der Welt zu sein.

Jessica streichelte mit einem Finger über das Foto. „Ich habe euch alle sehr lieb“, flüsterte sie. Gleichzeitig verspürte sie eine unendliche Dankbarkeit. Axel und Henriette hatten sich immer bemüht, ihr und Lilly ein schönes Leben zu bereiten.

Axel und Henriette, Lilly und Wolfgang, ihre Freundin Christel – auf Jessicas Kommode waren viele Fotos versammelt. Ganz hinten war noch eins, das Jessica besonders gern mochte. Es zeigte sie selbst an ihrem zwölften Geburtstag. Sie hatte ein lustiges rotes Hütchen aufgesetzt und strahlte über das ganze Gesicht. Ihre ganze Clique war um sie versammelt: Christel, Anja, Tobias und Fabian. Fabian hatte einen Arm um Jessicas Schultern gelegt. Auch er trug ein lustiges Hütchen, seines war blau.

In diesem Moment klopfte es an der Tür. Rasch stellte Jessica das Bild wieder auf die Kommode zurück. Da wurde die Tür auch schon geöffnet, es war Henriette, und sie war sehr aufgeregt.

„Ach, Kindchen! Ich bin richtig aufgelöst!“, sagte die Mutter. „Die Abfahrt gleich morgen früh! Die Vorbereitungen für die Hochzeit! Es ist noch so viel zu bedenken! Hoffentlich haben wir nichts vergessen! Ich weiß schon gar nicht mehr, wo mir der Kopf steht!“

Sie atmete einmal tief durch, dann sprudelten tausend Fragen aus ihr heraus. Sie betrafen das Kleid, das Jessica zur Hochzeit tragen wollte, ihren Schmuck, ihre Frisur. Doch dann, urplötzlich, hielt Henriette mitten im Satz inne. Sie nahm Jessicas Hände in die ihren und strahlte die Adoptivtochter an.

„Du machst uns so glücklich“, sagte sie. „Axel ist vor Freude kaum noch wiederzuerkennen. Seine geliebte Jessica und Wolfgang werden ein Paar! Das war schon immer sein Traum. Du weißt, dass Axel sehr große Stücke auf Wolfgang hält.“

„Ja, Muttchen, ich weiß.“

„Axel und Wolfgangs Vater haben zusammen studiert. Axel kennt Wolfgang seit dessen Kinderzeit.“

„Aber das weiß ich doch, Mama.“

„Und jetzt finden unsere Kinder zusammen! Jessica, Jessica, Ich freu mich so sehr!“

Nachdem Henriette wieder gegangen war, schwirrte Jessica der Kopf. Nicht nur Henriette und Axel freuten sich auf die Hochzeit, sie freute sich natürlich auch. Als Wolfgang bald nach Jessicas Scheidung um ihre Hand angehalten hatte, hatte sie nur allzu gern Ja gesagt. Wolfgang bot ihr eine Schulter, an der sie sich ausweinen konnte. Er hatte sie getröstet, ihr zugehört und ihr die Aussicht auf ein wunderbares neues Leben eröffnet.

Inzwischen war es schon recht spät geworden, morgen mussten sie früh aufstehen, also bereitete sich Jessica für die Nacht vor. Zuletzt setzte sie sich vor den Spiegel und kämmte ihr Haar.

Eigentlich sehe ich gar nicht so schlecht aus, dachte sie und drehte ihren Kopf hin und her. Wolfgang und ich werden ein schönes Paar sein.

Kaum hatte sich Jessica zum Schlafen hingelegt, da öffnete sich ihre Zimmertür noch einmal, und ein kleiner Schatten huschte herein.

„Ich habe ganz blöde Sachen geträumt“, flüsterte Lilly. „Kann ich ein bisschen zu dir kommen?“

„Aber natürlich, mein Schatz.“ Jessica lupfte ihre Bettdecke. Wieselflink schlüpfte Lilly an Jessicas Seite und kuschelte sich an die Mama.

„Freust du dich auf unseren Urlaub in Wildmoos?“, fragte Lilly nach einer Weile.

„Ja“, sagte Jessica. „Es ist bestimmt wunderschön dort.“

„Und freust du dich auch auf Tante Hilde und Onkel Herbert?“

„Aber natürlich!“

„Und auf deine Freundin Christel?“

„Ja, mein Schatz.“

„Aber am meisten freust du dich auf den Wolfgang?“

„Selbstverständlich.“