H. C. Hollister 102 - H.C. Hollister - E-Book

H. C. Hollister 102 E-Book

H. C. Hollister

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Beschreibung

Fast ein Jahr lang reitet Wayne Barclay auf der Fährte des Mannes, der seinen Bruder ermordet und beraubt hat. Mitten im Winter, im eisigen Idaho, findet er die ersten Hinweise. Im Goldcamp von Suttonville trifft er auf Vincent Sterling selbst - einen Mann, der inzwischen zu Macht und Einfluss gelangt ist und gegen den es nicht genügend Beweise gibt, um ihn eines Mordes zu überführen. So kommt es, dass Wayne zunächst nur eine Lösung sieht: Er will Sterling mit der Waffe gegenübertreten und ihn töten.
Eine Begegnung in der Postkutsche ist schuld daran, dass er diesen Plan dann doch fallen lässt. Er lernt einen alten, kauzigen Anwalt kennen - und dessen Tochter, von der er erfährt, dass sie die Verlobte Sterlings ist. Um die Verwirrung der Gefühle komplett zu machen, verliebt sich Wayne unsterblich in dieses kühle und scheinbar so berechnende Mädchen. Obgleich auch der Anwalt in die undurchsichtigen Geschäfte Sterlings verstrickt ist, geht er mit Wayne eine geheime Partnerschaft ein. Es entsteht ein neuer Plan, wie der mächtigste Mann von Suttonville zu Fall zu bringen ist ...


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Inhalt

Cover

CHINOOK

Vorschau

Impressum

CHINOOK

Fast ein Jahr lang reitet Wayne Barclay auf der Fährte des Mannes, der seinen Bruder ermordet und beraubt hat. Mitten im Winter, im eisigen Idaho, findet er die ersten Hinweise. Im Goldcamp von Suttonville trifft er auf Vincent Sterling selbst – einen Mann, der inzwischen zu Macht und Einfluss gelangt ist und gegen den es nicht genügend Beweise gibt, um ihn eines Mordes zu überführen. So kommt es, dass Wayne zunächst nur eine Lösung sieht: Er will Sterling mit der Waffe gegenübertreten und ihn töten.

Eine Begegnung in der Postkutsche ist schuld daran, dass er diesen Plan dann doch fallen lässt. Er lernt einen alten, kauzigen Anwalt kennen – und dessen Tochter, von der er erfährt, dass sie die Verlobte Sterlings ist. Um die Verwirrung der Gefühle komplett zu machen, verliebt sich Wayne unsterblich in dieses kühle und scheinbar so berechnende Mädchen. Obgleich auch der Anwalt in die undurchsichtigen Geschäfte Sterlings verstrickt ist, geht er mit Wayne eine geheime Partnerschaft ein. Es entsteht ein neuer Plan, wie der mächtigste Mann von Suttonville zu Fall zu bringen ist ...

Gegen die beißende Kälte hat Wayne Barclay den Kragen seines Schafmantels hochgestellt. Unter dem Vordach der eingeschneiten Station wartet er darauf, dass die Concord-Kutsche vorfährt. Aber offenbar ist man hinten im Hof noch damit beschäftigt, die Schlittenkufen unter dem schwerfälligen Fahrzeug anzubringen, ohne die es keine Chance hätte, sich durch die Schneeverwehungen der Berge von Idaho zu kämpfen.

Eine Woche ist es jetzt her, seit Wayne Barclay im Schneesturm sein Pferd verlor. Tier und Reiter waren fast blind und halb erfroren, als der Wallach unversehens in eine Mulde tappte und sich ein Bein brach. Es war einer jener Blaueis-Blizzards gewesen, in denen ein Mann zehn Schritte von seiner Hütte entfernt umkommen kann. Wer sich in einem solchen Schneesturm in sein Geschick ergibt, der ist verloren. Bei Wayne Barclay war es eine ganz bestimmte Idee gewesen, die ihn immer wieder emporriss, und irgendwie hatte er es dann geschafft.

Seit einem Jahr reitet er auf der Fährte eines Mannes. Und hier, in Idaho, ist diese Fährte plötzlich heiß geworden. Bald wird Wayne Barclay dem Schurken gegenüberstehen, der vor annähernd drei Jahren als Herdenboss seines Bruders Kevin Barclay fern im Süden auf den Trail ging. Vincent Sterling hieß dieser Mann. Weder er noch Kevin Barclay oder die Herde wurden jemals wiedergesehen. Nur ein Reiter aus der bunt zusammengewürfelten Treibherdenmannschaft war Monate später an den Pecos River zurückgekehrt, ein Mexikaner namens Carlos Gomez. Er hatte davon berichtet, dass sie die Herde in einem Minencamp im nördlichen Colorado abgesetzt hatten, und dass die Mannschaft von Kevin Barclay ausgezahlt worden war. Kevin selbst hatte sich zusammen mit dem Vormann Vincent Sterling auf den Rückweg gemacht. Eine Woche später war Kevin durch einen Zufall gefunden worden – tot, von zwei Kugeln getroffen.

Der Scheck, den er sich für den Erlös der Herde hatte ausstellen lassen, war verschwunden. Es hatte langer Nachforschungen Waynes bedurft, ehe sich herausstellte, dass dieser Scheck kurz darauf in Denver eingelöst worden war. Dem Mörder, denn nur er konnte es gewesen sein, war ein Vermögen von über dreißigtausend Dollar in die Hände gefallen. Offenbar hatte er sich vollkommen in Sicherheit gewiegt – nicht ohne Grund, wie Wayne zugeben muss. Denn nur einem Zufall war es zuzuschreiben, dass jener Mexikaner Carlos Gomez von dem unbekannten Toten erfuhr und ihn als Kevin Barclay identifizieren konnte. Nur durch diese Fügung war verhindert worden, dass auch Kevin Barclay zu jenen Verschollenen des Westens gehörte, deren Schicksal für alle Zeiten unaufgeklärt blieb.

✰✰✰

Die Straßen von Boise liegen wie ausgestorben. Bei dieser Hundekälte hält sich niemand länger als unbedingt erforderlich im Freien auf. Ein Wunder, dass sich unter diesen Verhältnissen noch eine Post hinauswagt.

Fluchend zerrt ein Mann das erste Gespann um die Ecke. Bis weit über die Fesseln sinken die beiden vordersten Pferde in den Schnee ein.

»Also dann ...!«, ruft der Fahrer krächzend. »Nur zu, Leute! Wenn wir länger als zwei Minuten stehen, bringen die Gäule dieses verteufelte Fuhrwerk überhaupt nicht mehr von der Stelle.«

Mit einem Blick stellt Wayne Barclay fest, dass sein Sattel und sein Gepäck gut auf dem Dach der Kutsche verstaut sind. Gegen den schneidenden Wind drückt er seinen Hut fester auf den Kopf und geht auf die Kutsche zu. In diesem Moment öffnet sich auch die Tür der Station. Wayne sieht ein Mädchen mit schmalem, von der Kälte gerötetem Gesicht, das von einer Pelzkapuze reizvoll umrahmt wird. Über dem linken Arm trägt sie eine karierte Wolldecke, während sie mit der Rechten einen brabbelnden Mann stützt, dessen grauer Backenbart zu seinem glattrasierten, faltigen Kinn einen seltsamen Kontrast bildet. Er nähert sich mit unsicheren, tappenden Schritten und scheint seine Umgebung kaum wahrzunehmen.

Wayne Barclay öffnet den Schlag der Kutsche und tritt dann zur Seite, während der Stallhelfer den Wagentritt herabklappt.

»Passen Sie nur auf, Mr. Stoddard«, sagt der Mann, »dass Sie mit dem Schnee an Ihren Stiefeln nicht vom Tritt abrutschen.«

Wieder brabbelt der grauhaarige Alte etwas Unverständliches vor sich hin.

Wayne sieht rote Flecken auf den knochigen Wangen des Alten. Er macht den Eindruck eines Fieberkranken.

»Kommen Sie, Mister«, sagt Wayne, »ich helfe Ihnen hinein.«

Doch gerade als er die Hand ausstreckt, geschieht es. Lee Stoddard strauchelt, und ehe Wayne zuspringen kann, schlägt der Alte der Länge nach in den Schnee und bleibt mit einem Grunzlaut liegen. Das Mädchen lässt ein erschrecktes Ächzen hören und will sich hastig bücken. Dabei stoßen sie und Wayne unversehens mit den Köpfen zusammen, wenn auch der Anprall durch ihre Pelzkapuze und Waynes Hut gemildert wird. Ihr Gesicht ist dunkelrot übergossen, als sie sich aufrichtet.

»Ich bitte um Entschuldigung, Miss«, sagt Wayne mit einem kurzen Blick. Dann hebt er Lee Stoddard vom Boden auf, ohne dass der Alte ihn dabei in irgendeiner Weise unterstützte. Mit sanftem Nachdruck schiebt er ihn in die Kutsche, sodass sich der Mann nur noch auf die gepolsterte Sitzbank fallenlassen braucht. Das Mädchen hat sich unterdessen nach dem Hut gebückt, der Wayne bei dem Zusammenprall vom Kopf gefallen ist.

»Es ... es tut mir leid, Sir«, sagt sie zögernd. »Vielen Dank für Ihre Hilfe.«

Wayne ist nicht entgangen, dass Verlegenheit und Abweisung in ihr kämpfen. Sein eigenes Gesicht hat die Undurchdringlichkeit einer Pokermiene angenommen.

»Ich bitte Sie«, erwidert er ausdruckslos. »Wenn ein Mann krank ist, kann das schon einmal vorkommen.«

»Krank?« Alle Bitterkeit des Mädchens entlädt sich in diesem einen Wort. »Sie wissen ebenso gut wie ich, Mister, dass er keineswegs krank, sondern schon am frühen Morgen sinnlos betrunken ist.«

Mit einer eckigen Bewegung nimmt Wayne seinen Hut entgegen und erwidert mit belustigt zuckenden Mundwinkeln:

»Mein Name ist Barclay, Miss, Wayne Barclay ...«

»Maureen Stoddard«, erwidert das Mädchen kurz angebunden die Vorstellung. »Und der Mann, dem ich diese Blamage zu verdanken habe, ist Lee Stoddard, mein Vater ...«

Ihre Worte scheinen unvollständig in der Luft zu hängen, und ihre Blicke irren plötzlich ab. Wayne schaut über die Schulter zurück und sieht einen Mann mit olivenhäutigem Gesicht, dunklen, stumpfen Augen und einem dünnen Bärtchen auf der Oberlippe, dessen Enden neben den Mundwinkeln herabgezogen sind. Augenblicklich fühlt Wayne einen massiven Widerwillen gegen diesen Burschen in sich aufkeimen.

Auch die beiden restlichen Passagiere sind inzwischen aus der Station gekommen, ein knochiger, schwerfälliger Mann mit verbittertem Gesicht und eine füllige Lady, die sich bis zur Nasenspitze in ihr Schultertuch eingeschlagen hat.

Als die Pferde sich in die Stränge werfen, kommt die Kutsche, deren Kufen bereits wieder am Schnee festgefroren waren, mit einem harten Ruck in Fahrt.

Lee Stoddard hat sich zunächst zurückgelehnt und ist mit rasselndem Atem in den Schlaf gesunken. Mit einem lauten Schnarchton wacht er plötzlich wieder auf und starrt sein Gegenüber an.

»Hallo«, sagt Wayne trocken. »Fühlen Sie sich jetzt besser, Mister?«

Lee Stoddard scheint zu begreifen, wo er sich befindet.

»Besser?«, echot er mit unsicherer Stimme. »Wer sagt Ihnen denn, dass ich mich schlecht gefühlt habe, Freund?«

Der olivenhäutige Bursche in der Ecke lässt ein leises Lachen hören. Sofort hebt Stoddard den Kopf und starrt ihn an.

»Sparen Sie sich nur Ihr blödes Kichern, Don Rossano«, brummt er finster. »Sie denken, ich trinke zum Vergnügen, wie? Aber Sie irren sich. Ich wollte mich vor dieser Fahrt ein bisschen aufwärmen, das ist alles. Ich dachte, auf diese Weise könnte ich gleichzeitig all diesen Dreck vergessen, in dem ich Tag für Tag herumwaten muss, während der ehrenwerte Mr. Vincent Sterling sich als erfolgreicher Städtegründer und ...«

»Jetzt ist es genug, Stoddard«, zischt Don Rossano scharf. »Wenn Sie etwas gegen Vincent Sterling haben, dann sagen Sie es ihm doch selbst, wenn Sie wieder nüchtern sind, anstatt hier Brandreden zu halten.«

Mit einem Schlag ist dieses Gespräch für Wayne Barclay von brennender Aktualität. Denn hier ist von dem Mann die Rede, auf dessen Ergreifung seit einem Jahr sein ganzes Sinnen und Trachten gerichtet ist.

»Manchmal bekommt ein Mann ganz einfach zu viel, wenn er alles hinunterwürgen muss. Dann bleibt ihm nur die Wahl, es auszuspucken oder daran zu ersticken.«

»Nicht wahr?« Mit offenkundigem Triumph schnappt Lee Stoddard nach dem Köder. »Muss ich mir schon von einem Revolverhelden vorschreiben lassen, wann und wo ich reden darf?«

»Halten Sie den Mund, Stoddard, Sie betrunkener Winkeladvokat!«, keucht Don Rossano gepresst. »Wenn Sie Ihre verteufelte Zunge weiter Galopp gehen lassen, werden Sie sich noch um Kopf und Kragen reden.«

In vergeblichem Bemühen, sich eine würdige Haltung zu geben, zieht Lee Stoddard das Kinn an seinen steifen Kragen.

»Mein Gott«, zetert die Frau in der Ecke, »was soll das denn?«

»Nichts, Madam«, brummt Lee Stoddard. »Manche Leute stellen es sich ganz einfach zu leicht vor, die Wahrheit zu unterdrücken. Tatsache ist nämlich, dass der prächtige Mr. Vincent Sterling sich ganz hübsch vergaloppiert hat und dass sein Nimbus eines unfehlbaren Geschäftsmanns auf dem besten Weg ist, zum Teufel zu gehen. All sein vieles Geld steckt in lauter Unternehmungen, die immer wertloser werden. Das trügerische Waschgold am Salmon Creek hat ihm einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. Im Frühjahr werden viele Digger Suttonville verlassen, weil sie ihre Claims bis auf den felsigen Grund durchgeschürft haben und weil sich die Schufterei für ein paar Unzen Waschgold nicht mehr lohnt. Suttonville wird bald eine Geisterstadt sein, wenn nicht ein Wunder geschieht. Und versuchen Sie einmal, in einer Geisterstadt Geschäfte zu machen!«

In diesem Moment legt Maureen Stoddard die Hand auf den Unterarm ihres Vaters und sagt nur ein Wort:

»Dad ...«

Der alte Anwalt lässt sich zurücksinken und schließt die Augen.

»Schon gut«, erwidert er dumpf. »Schon gut, Mädel! Du hast ja recht, ich bin wirklich betrunken.«

»Ein Glück, dass er es endlich einsieht«, meldet sich Don Rossano zynisch. »Ich fürchte, Vincent Sterling wird für seine anzüglichen Redensarten trotzdem wenig Verständnis aufbringen. Oder rechnen Sie damit, dass er auf Sie Rücksicht nehmen wird, Miss Maureen?«

Maureen Stoddards Miene verhärtet sich. Sie errötet unwillig und wirft Wayne einen seltsamen Blick zu.

»Reden Sie mich gefälligst nicht mit meinem Vornamen an, Don Rossano«, entgegnet sie dann zornig. »Ich kann mir denken, dass Vincent Sie mit einem ganz bestimmten Auftrag mitgeschickt hat. Aber sicher bezog sich dieser Auftrag nicht darauf, dass Sie uns unablässig nachspionieren sollten.«

»Wer weiß«, murmelt der Revolvermann vieldeutig. »Vincent Sterling ist ein vorsichtiger Mann – auch gegenüber seiner Braut und seinem zukünftigen Schwiegervater. Und ich wette, er ist sogar sehr daran interessiert, was Ihr Vater so in betrunkenem Zustand von sich gibt ...«

»Hören Sie auf, Mann«, geht Wayne dazwischen. »Mir wird übel, wenn ich noch länger dieselbe Luft mit einem schmierigen Spitzel und Zuträger atmen muss.«

Waynes leichter Tonfall kann über seine eiskalte, beleidigende Absicht nicht hinwegtäuschen. Mit einem Ruck beugt Don Rossano sich vor, sodass er an dem knochigen Mann vorbei auf den Sprecher schauen kann, der mit ihm auf der gleichen Bank sitzt.

»Mister«, knurrt er, »es ist hier nicht der richtige Ort, um Ihnen ein Loch in den Hut zu schießen und Ihnen Ihre Beleidigungen zurückzugeben. Deshalb haben Sie noch eine ganze Weile Zeit, sich in sehr höflichen Worten zu entschuldigen und Ihr Bedauern auszusprechen, bevor wir aussteigen. – Muss ich noch mehr sagen?«

»Nein«, murmelt Wayne Barclay, und sein Mund wird schmal, »ich habe schon verstanden.«

Dann lehnt er sich zurück und schiebt seinen Hut über das Gesicht.

Es wird Nachmittag, ohne dass in der Kutsche wieder eine Unterhaltung in Gang gekommen wäre. Lee Stoddard ist erneut in einen tiefen Schlaf versunken. Aber auch er wird aufgeweckt, als die Kutsche plötzlich schwankt, in eine Schräglage gerät und schließlich ganz zum Stehen kommt. Vom Bock ertönt das anhaltende Fluchen des Fahrers.

Wayne Barclay öffnet den Schlag und reckt den Kopf hinaus.

»Was gibt es?«

»Was schon?«, grollt der Fahrer zurück. »Schnee natürlich. Wir sind in eine Verwehung geraten. Wir kommen nicht mehr von der Stelle und müssen schaufeln.«

Ohne eine weitere Frage springt Wayne hinaus und sinkt sofort bis zu den Schenkeln in den tiefen Schnee.

»An die Arbeit«, sagt er trocken. »Bis zur Schneeschmelze können wir nicht warten.«

Hinter ihm erscheint der knochige Mann und zerrt wollene Handschuhe aus der Tasche.

»Kann ich helfen?«, meldet sich Lee Stoddard zögernd.

»Alle Männer können helfen«, versetzt Wayne gelassen. »Wenn schon nicht so viele Schaufeln da sind, dann wird doch wenigstens die Kutsche dadurch leichter.«

Mit gespannten Zügen bückt sich Don Rossano durch die enge Tür der Kutsche.

»Vielleicht wäre es ganz gut, wenn die Post bei der Weiterfahrt überhaupt etwas leichter wäre«, sagt er beißend.

Unbeeindruckt wendet Wayne ihm den Rücken zu und fragt den Fahrer:

»Haben wir Schaufeln?«

»Drei Stück, hinten auf dem Gepäckhalter«, gibt der Mann zurück. »Mir scheint, wir müssen uns auf mindestens hundert Yards eine Gasse wühlen. Da können wir in zwei Schichten arbeiten.«

Nach etwa zehn Minuten ist der Weg wenigstens so weit freigeschaufelt, dass die Kutsche ein Stück vorrücken kann und die Pferde frei stehen. Wayne schaufelt unverdrossen drauflos. Doch weit mehr als er schafft der knochige Mann mit den schwieligen Händen. Er kehrt erst zur Kutsche zurück, als Wayne bereits seit einigen Minuten vom Fahrer abgelöst wurdet.

»Ich heiße Tom Anderson«, sagt er, als er sich mit seinem schwieligen Daumen eine Pfeife stopft. Nachdem auch Wayne seinen Namen genannt hat, fährt der Mann fort: »Sir, ich glaube, Sie sollten die Angelegenheit mit diesem Rossano nicht auf die leichte Schulter nehmen. Ich habe solche Typen kennengelernt. Sie sind das pure Gift, wenn sie in ihrer Eitelkeit gekränkt werden.«

Wayne zeigt ein scharfes Lächeln.

»Sie werden es nicht glauben, Mr. Anderson, aber ich habe unseren Freund Rossano keine einzige Sekunde unterschätzt. Und da ich genug Zeit hatte, ihn unter meinem Hut hervor zu beobachten, habe ich auch schon eine Menge über ihn herausgefunden. Er trägt zwei Revolver und will damit den Anschein eines Zweihandmannes erwecken. Aber in Wirklichkeit weiß er mit seiner Linken so gut wie nichts anzufangen. Und noch etwas: Es macht ihn unsicher, wenn man sich überhaupt nicht um ihn kümmert. Nur eitle Burschen reagieren so, und ich muss sagen, dass ihre Eitelkeit sie leider nur noch gefährlicher macht. Aber keine Sorge, ich werde schon auf ihn achtgeben, und ich weiß, wie man solche Pilger zu behandeln hat ...«

»Sind Sie sich dessen auch ganz sicher, Mr. Barclay?«, fragt aus dem Hintergrund eine Stimme. Maureen Stoddard ist aus der Kutsche gestiegen, um sich auf der freigeschaufelten Strecke die Beine zu vertreten. Ihre graugrünen, klugen Augen blicken ihn skeptisch und besorgt zugleich an.

»Absolut, Miss Stoddard«, erwidert Wayne beherrscht. »Ich behaupte niemals etwas, wenn ich meiner Sache nicht vollkommen sicher bin.«

Maureen Stoddards Blicke scheinen sich zu verschleiern.

»So? Dass ein gewisser Typ von Männern doch immer glaubt, er sei vor jedem Irrtum gefeit ...«

»Und Sie kennen diesen Typ?«

»Allerdings – oder besser: einen Mann, der diesem Typ angehört und Ihnen insofern ähnelt.«

Mit einem Schlag wird Waynes Miene ausdruckslos.

»Sprechen Sie vielleicht von Ihrem Verlobten, von dem ehrenwerten Mr. Vincent Sterling?«

So große Mühe er sich auch gegeben hat, kühl und leidenschaftslos zu sprechen, Maureen Stoddard ist der falsche Unterton in diesen Worten nicht entgangen. Sie horcht auf.

»Was haben Sie gegen Vincent Sterling, Mr. Barclay?«

»Wie kommen Sie darauf, dass ich etwas gegen ihn haben könnte? Ich habe ihn noch niemals im Leben zu Gesicht bekommen«, entgegnet Wayne.

»Ich spüre es«, versetzt das Mädchen überzeugt. »Sie hassen Vincent Sterling, nicht wahr? – Nun, seine Geschäftsmethoden sind nicht gerade rücksichtsvoll. Nehmen Sie zum Beispiel meinen Vater. Neben seiner Anwaltspraxis hat er sich auch mit Grundstücksgeschäften befasst. Aber vor zwei Jahren kam Vincent Sterling nach Suttonville und hat es verstanden, meinen Vater innerhalb weniger Monate völlig an die Wand zu drücken. Mein Vater wäre ruiniert gewesen und hätte diesen Ruin sicherlich nicht überlebt. So blieb also nur die Möglichkeit, ihn durch ein anderes Geschäft zu retten – durch meine Verlobung mit Vincent Sterling.«

Sekundenlang verschlägt es Wayne die Sprache. Alles hätte er erwartet, nur nicht eine so nüchterne, beinahe zynische Betrachtungsweise bei einer jungen Frau wie Maureen Stoddard. Neben ihm stößt Tom Anderson ein überraschtes Schnauben aus.

»Sind Sie immer so offen?«, murmelt Wayne gepresst.

»Manchmal«, gibt das Mädchen mit einem dünnen Lächeln zurück. »Nur so kann ich schließlich erwarten, dass auch Sie Ihre Karten aufdecken, nicht wahr?«

»Dann ist also Vincent Sterling damit einverstanden, dass Sie Ihre Verlobung als Geschäft betrachten?«

»Warum sollte er nicht? Für ihn ist alles nur Geschäft.«

Langsam stößt Wayne den Atem aus.

»Wirklich ein liebenswerter Zeitgenosse, scheint mir ...«

»Damit ist meine Frage noch nicht beantwortet.«

Wayne zuckt mit den Achseln und vergräbt die Hände in die Taschen seines Mantels.

»Was würden Sie – beispielsweise – denken, wenn ich Ihnen jetzt sagte, dass ich nur nach Suttonville fahre, um einen Schurken namens Vincent Sterling umzubringen?«

Maureen Stoddards Augen werden starr.

»Ich – ich würde Ihnen kein Wort glauben, ehe Sie mir nicht den Grund dafür genannt hätten.«

»Nun, dieser ehrenwerte Mr. Vincent Sterling könnte – natürlich wieder nur als Beispiel – meinen Bruder ermordet und ihm all das viele Geld geraubt haben, mit dem er heute seine Geschäfte macht.«

Auf Maureens Wangen zeigen sich scharf abgezirkelte rote Flecken.

»Das – das ist nicht wahr!«, keucht sie erregt.

»Natürlich nicht«, beschwichtigt Wayne sarkastisch. »Ich habe Ihnen doch gleich gesagt, dass ich nur in Beispielen spreche. Eine andere Antwort auf Ihre Frage kann ich Ihnen jedoch leider nicht geben.«

»Sie wollen also mit der Wahrheit hinter dem Berg halten?«

»Vielleicht. Ihre sogenannte Offenheit war ja im Grunde auch nur ein Trick, um mich zum Auspacken zu bewegen, nicht wahr? Sie wollten bei mir den Eindruck erwecken, dass Ihnen Ihr Bräutigam gleichgültig ist oder dass Sie ihn sogar verabscheuen. Und dabei ist mir völlig klar, dass eine Frau wie Sie sich niemals verkaufen würde – um keinen Preis der Welt.«

Dunkelrot hebt sich Maureen Stoddards Gesicht von dem grauweisen Opossumfell ab, mit dem ihre Kapuze gefüttert ist. Ihre Stimme jedoch klingt völlig beherrscht, als sie erwidert:

»Vielen Dank für dieses Kompliment, Mr. Barclay. Mit Männern wie Don Rossano scheinen Sie sich wirklich auszukennen, aber von Frauen – von Frauen verstehen Sie gar nichts ...«

Damit wendet sie sich ab und geht zum Schlag der Kutsche zurück.

Verlegen klopft Tom Anderson seine Pfeife an der schwieligen Handkante aus, sodass der noch glimmende Tabak zischend in den Schnee fällt.

»Ich glaube«, sagt er mit einem Räuspern, ohne Wayne anzublicken, »wir sind wieder an der Reihe und sollten die anderen ablösen.«

Als es nach mehr als einer Stunde geschafft ist und sich die Kutsche wieder in Bewegung setzt, ist die Dämmerung bereits hereingebrochen.