H. C. Hollister 109 - H.C. Hollister - E-Book

H. C. Hollister 109 E-Book

H. C. Hollister

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Als Jesse Farell in grauer Morgendämmerung am Ufer des Rio Bravo hält, ist er am Ende. Er wird von einem Rudel erbarmungsloser Verfolger gehetzt. Hinter ihm liegt die raue Vergangenheit eines Revolvermanns, und an eine Zukunft glaubt er nicht mehr. Irgendwann wird er sich eine Wand in seinem Rücken suchen und sich stellen, auch wenn es sein letzter Kampf sein sollte. Aber der Tod ist ihm dicht auf den Fersen. Und hinter sich hat er nur die gurgelnde Wasserfläche des Rio Bravo.
Die Verfolger sehen ihn in den lehmigen Fluten versinken, als er sich angeschossen ans mexikanische Ufer zu retten versucht. Vom selben Augenblick an, da Jesse in der armseligen Kate eines mexikanischen Peons aufwacht, vollzieht sich in ihm unaufhaltsam eine Wandlung. El Campesino, ein romantischer, von Tragik umwitterter Desperado, zeigt ihm den Weg - den einzigen Weg, der einen Revolvermann aus dem Teufelskreis herausführen kann. Als Jesse Wochen später wieder den Rio Bravo durchfurtet und sich in das gesetzlose Pecos-Land begibt, hat er zum ersten Mal eine Aufgabe, für die es sich lohnt, das Leben einzusetzen ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 158

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

GESETZ DES PECOS

Vorschau

Impressum

GESETZ DES PECOS

Als Jesse Farell in grauer Morgendämmerung am Ufer des Rio Bravo hält, ist er am Ende. Er wird von einem Rudel erbarmungsloser Verfolger gehetzt. Hinter ihm liegt die raue Vergangenheit eines Revolvermanns, und an eine Zukunft glaubt er nicht mehr. Irgendwann wird er sich eine Wand in seinem Rücken suchen und sich stellen, auch wenn es sein letzter Kampf sein sollte. Aber der Tod ist ihm dicht auf den Fersen. Und hinter sich hat er nur die gurgelnde Wasserfläche des Rio Bravo.

Die Verfolger sehen ihn in den lehmigen Fluten versinken, als er sich angeschossen ans mexikanische Ufer zu retten versucht. Vom selben Augenblick an, da Jesse in der armseligen Kate eines mexikanischen Peons aufwacht, vollzieht sich in ihm unaufhaltsam eine Wandlung. El Campesino, ein romantischer, von Tragik umwitterter Desperado, zeigt ihm den Weg – den einzigen Weg, der einen Revolvermann aus dem Teufelskreis herausführen kann. Als Jesse Wochen später wieder den Rio Bravo durchfurtet und sich in das gesetzlose Pecos-Land begibt, hat er zum ersten Mal eine Aufgabe, für die es sich lohnt, das Leben einzusetzen ...

Im Osten dämmerte ein grauer Morgen herauf, als Jesse Farell den Rio Bravo erreichte. Er kam aus Colorado und hatte einen Trail von mehr als sechshundert Meilen hinter sich. Und hier war er am Ende. Er fühlte sich leer und ausgebrannt, und wenn es in seinem Innern überhaupt eine Regung gab, dann war es dumpfe Verzweiflung. Schemenhaft konnte er das jenseitige Ufer des Flusses erkennen. Das war Mexiko. Jesse Farell war im Begriff, seiner Heimat den Rücken zu kehren – nicht als ein vom Gesetz Verfolgter, sondern als ein Mann, der von seiner eigenen Vergangenheit gehetzt wurde.

Der Bursche schoss nicht schlecht. Schon die erste Kugel patschte zu Jesse Farells Füßen gegen einen Stein und ließ einen hellen Funken aufspritzen, das zweite Geschoss zerrte an seiner grauen Buschjacke, und beim nächsten glaubte er einen Luftzug an seinem Ohr zu verspüren.

Jesse schoss zum ersten Mal, als der Revolverheld bis auf zwanzig Schritte heran war. Mit einem erstickten Krächzen griff sich der Angreifer an die Schulter, schwankte im Sattel und kippte dann zur Seite.

Nun war die Chance da, an ein Pferd zu kommen, das noch ebenso bei Kräften war wie Oak Timberlands Riesengaul und die Tiere der beiden anderen Verfolger. Jesse Farell stürmte vorwärts und erwischte das scheuende Pferd beim Zügel. Im selben Moment jedoch peitschte von weiter hinten ein Schuss durch die Büsche und eine von Hass überschnappende Stimme schrie:

»So nicht, Farell! Jetzt haben wir dich, du Hundefloh!«

Jesse sprang zurück. Mit einem menschlich anmutenden Laut brach das Pferd auf der Vorderhand ein und fiel zur Seite. Noch reichte auf vierzig Yards Entfernung das Licht nicht aus, um eines Schusses völlig sicher zu sein. Deshalb hatte Oak Timberland das größere Ziel gewählt. Von dieser Sekunde an würde die Zeit für ihn arbeiten.

Der rosige Streifen am Horizont wurde breiter und feuriger. Das Licht nahm von Minute zu Minute zu, und bald würde die Sonne auch die Dunstschleier im Flusstal aufgelöst haben. Wie einfach würde es dann sein, einen Mann zu erledigen, den man von verschiedenen Seiten mit Gewehren aufs Korn nehmen konnte. So und nicht anders musste Oak Timberlands Plan aussehen.

Nur eine Chance gab es noch für Jesse Farell, den Rio Bravo.

Jesse schnellte empor, verharrte für den Bruchteil einer Sekunde und warf sich dann zur Seite. Der sichere Instinkt des Revolverkämpfers hatte ihm genau die Spanne angezeigt, welche die Gegner brauchen würden, um ihn zu entdecken und die Waffen auf ihn zu richten. Zwei Schüsse krachten unmittelbar nacheinander. Einer peitschte von den Büschen herüber, hinter denen sich die Pferde in Deckung befinden mussten, der andere kam bereits von viel weiter links. Es ließ sich also unschwer ausrechnen, dass sich der dritte Mann des Rudels weiter nach rechts geschoben haben musste, um auf diese Weise den Einschließungsring zu vollenden. Dieser dritte Mann war am gefährlichsten, weil er stromabwärts postiert war und demnach am längsten mit seinen Kugeln den Fluss bestreichen konnte. Ein solches Risiko ließ sich in der Kürze der Zeit nicht mehr ausschalten, es musste in Kauf genommen werden.

Noch einmal spannte Jesse Farell jeden Muskel seines sehnigen Körpers zum Sprung. Als er dann losschnellte, wusste er, dass es um Leben oder Tod ging.

In geduckten Sätzen hetzte er zum Ufer und vollführte ein paar Zickzacksprünge über das Geröll. Raues Gebrüll klang auf, das ihm unverständlich blieb, weil ihm das Blut in den Ohren rauschte. Die Schüsse aber nahm er deutlich wahr. Sieben oder acht mussten es gewesen sein, ehe endlich unter seinen Stiefeln das seichte Wasser aufspritzte, und er verspürte eine grenzenlose Verwunderung, dass er bei diesem Bleihagel nicht getroffen wurde.

Jesse versuchte, seinen verzweifelten Sprint durchzuhalten. Doch das Wasser, das ihm nun bereits bis über die Knie reichte, hemmte seine Bewegungen und ließ ihn stürzen. Instinktiv warf er sich zur Seite und reckte beide Revolver empor, um sie trocken zu halten. Noch im Fallen sah er dicht neben sich die Fontäne eines Kugeleinschlags aufspritzen.

Er tauchte nicht ganz unter, sondern konnte sich in einer hockenden Stellung halten. Links von ihm kam Oak Timberland ans Ufer gestürmt, rasend vor Zorn und offenbar nur von dem einen Gedanken erfüllt, das gestellte Wild nicht noch in letzter Sekunde entwischen zu lassen.

Mit zwei Schüssen trieb Jesse Farell den großen Mann zurück und hatte die Genugtuung, ihn nach dem zweiten Schuss auf dem linken Bein einknicken zu sehen, obgleich die Entfernung für einen Revolverschuss nun eigentlich schon zu groß war. Dann rappelte er sich wieder auf, feuerte beidhändig zu den Büschen hinüber und ging dabei immer tiefer ins Wasser. Schon jetzt reichte es ihm bis zu den Oberschenkeln, und die eigentliche Stromrinne war nur noch wenige Schritte entfernt. Man sah deutlich, wie jenseits der Abbruchkante große Wirbel erschienen und das Wasser schneller dahinschoss.

Offenbar nur leicht angekratzt, feuerte Oak Timberland vom Boden aus weiter. Die Schüsse lagen zu kurz. Einige Schritte vor Jesse Farell spritzten die Fontänen auf. Dann mischte sich auch das hellere Peitschen zweier Gewehrschüsse in das Höllenkonzert. Mit aller Kraft arbeitete Jesse sich weiter, strauchelte, als er sich an einem Steinbrocken das Knie zerschrammte, und hatte sekundenlang den Eindruck, als sei dies alles gar keine Wirklichkeit, sondern einer jener Alpträume, in denen man trotz verzweifelter Anstrengung doch nur zeitlupenhafte Bewegungen vollführen kann.

Dann spürte er den Schlag am rechten Unterarm, etwa so wie einen brennenden Peitschenhieb. Er taumelte weiter rückwärts, weil ihm unter der Wasseroberfläche immer wieder größere Steinbrocken im Weg waren. So gut das auf diese Entfernung überhaupt möglich war, deckte er eine Gruppe von dunkelgrünen Agarita-Büschen mit seinen Schüssen ein. Nur für einen kurzen Moment hatte er den Burschen mit dem Gewehr dort entdeckt und sofort in Deckung gezwungen. Wenn dieser Mann auf ihn zum Schuss kam, war es aus. Es gab jetzt bereits genug Büchsenlicht, und fünfundsechzig Yards waren für einen Gewehrschuss keine Entfernung. Befriedigt stellte Jesse Farell fest, dass sein rechter Arm ihm noch gehorchte, obgleich es warm und klebrig daran herabsickerte.

Nahm das seichte Wasser denn nie ein Ende? Er brauchte die Strömung, um sich von ihr aus dem Schussbereich tragen zu lassen.

Der Hammer des Revolvers, den er in der Rechten hielt, traf auf eine leere Hülse. Da er abwechselnd gefeuert hatte, blieb ihm nur noch eine einzige Patrone in der zweiten Waffe. Während er sich rückwärtsgehend durch das knapp hüfttiefe Wasser kämpfte und auf das Erscheinen des Burschen bei den Agarita-Büschen lauerte, stieß er die nutzlos gewordene Waffe ins Halfter zurück und sicherte sie mit der kleinen Lederkappe.

Wieder feuerte von drüben Oak Timberland, obgleich sich die Entfernung noch vergrößert hatte und er sich immer noch an derselben Stelle befand. Wirklich zielen konnte man auf diese Distanz mit dem Revolver nicht mehr, und somit waren seine Schüsse nichts weiter als ein Ausdruck hilflosen Zorns.

Plötzlich schnellte bei den Agarita-Büschen eine Gestalt aus der Deckung und riss das Gewehr an die Schulter. Blitzschnell jagte Jesse Farell seinen letzten Schuss hinaus. Ob er traf oder nicht, das war im Augenblick gar nicht so wichtig. In erster Linie kam es darauf an, den Gewehrschützen zu irritieren und sich über die letzten tödlichen Sekunden hinwegzuretten. Und tatsächlich – auch der peitschende Gewehrschuss lag zu kurz. Doch der Triumph darüber währte nicht einmal den Bruchteil einer Sekunde. Jesse bemerkte das Aufspritzen des Wassers im selben Augenblick, da ihm etwas in die Seite fuhr. Der harte, betäubende Schlag warf ihn rückwärts ins Wasser. Er hörte vor dem Untertauchen ein wildes Gebrüll, dann hatte er keinen Boden mehr unter den Füßen, wurde von der Strömung gepackt und herumgewirbelt.

Das also war die Fortsetzung des Alptraums. Die Kälte des Wassers raubte ihm den Atem, doch dieser Schock verhinderte gleichzeitig, dass er die Besinnung verlor. Einen Schmerz spürte er kaum, aber dafür strahlte von seiner linken Seite eine Lähmung aus. Ein Strudel schien ihn gefangen zu halten und erbarmungslos in die Tiefe zu reißen. Mit verzweifelten Beinstößen kämpfte er dagegen an, während dumpf und unwirklich der Hall weiterer Schüsse zu ihm drang.

An eine Orientierung war längst nicht mehr zu denken. Ganz instinktiv setzte er sich zur Wehr, als hier der nasse Tod mit gierigen Armen nach ihm griff. Wieder rauschte das Blut in seinen Ohren. Der Druck wurde unerträglich und schien ihm die Brust zu zerreißen. Wenn er wenigstens die Zeit gefunden hätte, vor dem Untertauchen noch einmal tief durchzuatmen. So aber drohte ihm der Luftmangel das Bewusstsein zu rauben. Es waren qualvoll endlose Sekunden in der Schwärze des Wassers. Fast unwiderstehlich war die Versuchung, einfach einzuatmen, das Wasser in die Lungen strömen zu lassen und dieser entsetzlichen Quälerei ein Ende zu machen.

Erst als es unvermittelt hell um ihn wurde und der Druck von ihm wich, merkte Jesse Farell, wie ihm geschah. Unter seiner Buschjacke im Rücken gab es ein großes Luftpolster, das wie eine Schwimmweste wirkte. Diesem Auftrieb hatte er es offenbar zu verdanken, dass er sich aus dem Strudel hatte freikämpfen können und wieder an die Oberfläche gerissen wurde.

Er schoss mit der Strömung dahin. Rings um ihn war es grau. Nur ein rosiger Schimmer durchbrach diesen Dunst, als er verzweifelt nach Luft schnappte. Dann hatte er das Bewusstsein der drohenden Gefahr auch schon wieder vor Augen, steckte den Kopf ins Wasser und versuchte erneut unter die Oberfläche zu tauchen, jeden Augenblick weiterer Schüsse vom Ufer her gewärtig. Er musste trotz körperlicher Not die Feststellung treffen, dass es gar nicht so einfach war, mit diesem Luftpolster zu tauchen. Er hatte erwartet, dass ihn Stiefel, Patronengurt und Waffen nach unten ziehen würden, aber offenbar war der Auftrieb stärker.

Diesmal versuchte Jesse, möglichst lange unter Wasser zu bleiben und legte sich mit letzter Kraft schräg gegen die Strömung, um auf diese Weise an das gegenüberliegende Ufer getragen zu werden. Würgende Übelkeit zwang ihn zum Auftauchen. Er hatte Wasser geschluckt. Jetzt erbrach er es in einem würgenden Hustenanfall, der kein Ende nehmen wollte. Es überkam ihn ein Gefühl völliger Apathie und Gleichgültigkeit.

Die Strömung führte ihn aus den Nebelschwaden heraus, sodass er schemenhaft das vorübergleitende Ufer wahrnahm. Welches Ufer es war, das vermochte er schon nicht mehr zu unterscheiden. Und es war ihm auch absolut gleich. Es interessierte ihn nicht einmal mehr, dass die Geschwindigkeit des Stroms zuzunehmen schien. Seine Energie war erschöpft. Ganz bestimmt würde sie nicht mehr ausreichen, um ihn ans Ufer zu bringen. Ans rettende Ufer? Der Gedanke hatte für Jesse Farell nichts Verlockendes mehr. Irgendwann würde die Luft unter seiner Segeltuchjacke entweichen.

✰✰✰

Er lag in einer geräumigen Adobehütte. Zwei kleine Fenster und die Tür waren weit geöffnet. Die Sonne zeichnete helle Rechtecke auf den gestampften Lehmboden und erfüllte, wie es Jesse schien, den bescheidenen Raum mit gleißendem Licht. Kalebassen, Tontöpfe und Kupfergeschirr hingen an der Wand neben der offenen Feuerstelle. Ein dünner Rauchfaden kräuselte sich aus der grauen Holzasche zum Kamin empor und umhüllte den geschwärzten Topf, der an einem eisernen Haken hing. Das Gackern von Hühnern drang herein, und dann war auch eine Frauenstimme zu vernehmen.

Seine Brust wurde von einer straffen Bandage beengt. Wenn er vorsichtig tastete, glaubte er die Länge der Furche zu spüren, welche ihm die abprallende Kugel an den Rippen gerissen hatte. Es war ein gutes Zeichen, dass er in der Wunde nur noch ein schwaches Pochen wahrnahm. Die Entzündung konnte demnach kein schlimmes Ausmaß erreicht haben. Anders war es mit seinem rechten Unterarm, der ebenfalls einen Verband trug.

Der ganze Kampf am Rio Bravo stand ihm plötzlich wieder vor Augen, und er glaubte noch einmal jenen Schlag am Arm zu spüren, dem er zunächst keine Bedeutung beigemessen hatte, weil seine Bewegungsfähigkeit nicht beeinträchtigt wurde. Jetzt aber war der ganze Arm steif und schwer wie Blei. Die Rötung zog sich sogar bis über den Ellenbogen hinauf, und selbst das Schultergelenk erschien steif, weil die Drüsen in der Achselhöhle stark geschwollen waren.

So nüchtern wie möglich machte Jesse Farell sich klar, dass dies möglicherweise die ersten Anzeichen einer beginnenden Blutvergiftung waren. Erstaunlich genug, dass sich demgegenüber das Fieber bereits im Abklingen befand.

Jesse schob die Decke zurück und richtete sich schwerfällig auf. Es ging, obgleich er dabei einen Stich in der Seite verspürte und sich an der Kante seines Lagers festhalten musste, weil ihm schwindlig wurde. Danach erst bemerkte er, dass er nur ein Leinenhemd auf dem Leib trug. Es war aus dem gleichen groben Stoff gefertigt wie das Laken, mit welchem das Maisstroh seiner Lagerstatt bedeckt war.

Eine Art Schemel stand am Fußende der einfachen Pritsche, darauf lag seine Kleidung. Erst als er mühsam und schwankend in seine Hose fuhr, stellte er fest, dass die Sachen geflickt und hergerichtet worden waren. Auf beide Knie seiner Denimhose hatte jemand große Flicken von hellgrauem Stoff gesetzt, und sogar die eingerissene Tasche war wieder genäht. Jesse stopfte das Hemd in die Hose und schloss den Bund. Dann tappte er auf nackten Füßen zur Tür.

Gegen den Türpfosten gestützt, schaute er über den Hof, der auf der linken Seite von einem raschelnden Maisfeld begrenzt wurde. Ein dicker, schwitzender Mexikaner mit weit geöffnetem Hemd und einem ausgefransten Strohsombrero hockte auf einer Kiste und walkte hingebungsvoll mit Lederfett an einem Sattel herum, den er einigermaßen fachgerecht über einen Hauklotz gelegt hatte.

Jesse war nicht einmal erstaunt, als er an den silbernen Beschlägen seinen eigenen Sattel erkannte, den einzigen Luxusgegenstand, den er sich bei seiner sonst sehr sparsamen Lebensweise erlaubt hatte. Wie dieser Sattel hierher gelangt war, darüber machte er sich zunächst keine Gedanken, weil seine Aufmerksamkeit von einer anderen Gestalt abgelenkt wurde.

Das Mädchen stand vor dem Stall und streute den Hühnern Futter hin, wobei es leise vor sich hin summte. Es war barfüßig und trug nur ein schlichtes Kattunkleid, aber Jesse Farell erinnerte sich nicht, jemals ein Bild so bestrickender Anmut gesehen zu haben.

Mit ihren vielleicht siebzehn Jahren stand diese kleine Mexikanerin an der Schwelle des Frauenalters, das verriet ihre Gestalt und ihre ganze Haltung. Zu ihrer fröhlichen und dabei sanften Gelassenheit stand die verschleierte, unbewusste Vitalität ihrer Blicke in offenem Kontrast, und auf ihren vollen Lippen lag der ganze Zauber einer niemals eingestandenen Sehnsucht nach den Geheimnissen des Lebens. Jesse Farell sah das dunkle Haar, das ihr in Wellen bis auf die Schultern herabfloss, und wurde von diesem Anblick in den Bann geschlagen – bis der dicke Mann auf der Kiste in das Summen einstimmte und ihn mit seinen falschen Tönen aus der Versunkenheit riss. Noch hatte ihn niemand an der Tür bemerkt. Sogar der struppige Hund beim Stall lag auf der Seite und blinzelte nur schläfrig in die Sonne.

Das grelle Sonnenlicht wurde Jesse zum Verräter. Seine Augen begannen zu tränen, er suchte sich zu beherrschen und konnte dann doch nicht verhindern, dass sich die angestaute Explosionskraft in einem heftigen Niesen entlud. Das Mädchen fuhr herum und stieß einen leisen Schrei aus, und der Mexikaner keuchte verdutzt:

»Por Dios – el Gringo!«

Jesse wischte sich mit dem linken Handrücken über die Augen und bemühte sich um ein Lächeln, obgleich ein stechender Schmerz seine Seite durchzuckt hatte. Er hatte eine ungefähre Vorstellung davon, dass er in dieser Kleidung und mit seinem wüsten Stoppelbart wie ein dürres bleiches Gespenst aussehen musste.

»Erschreckt nicht, Freund«, sagte er matt. »Wahrscheinlich sehe ich aus wie eine Wasserleiche, und um ehrlich zu sein, ich fühle mich auch so ähnlich.«

»Padre ...«, ächzte das Mädchen, und dann folgten ein paar hastige Worte, die Jesse trotz seiner Spanischkenntnisse nicht verstehen konnte. Auch von der ebenso raschen Antwort des Mannes schnappte er nur ein einziges Wort auf, den Namen Consuela.

Der Hund sprang auf und begann zu kläffen. Dann kam das Mädchen auch schon auf ihn zugehastet und drängte ihn mit einem ganzen Wortschwall zu seinem Lager zurück. Gegen diese temperamentvolle Fürsorge gab es einfach keinen Widerspruch. Ergeben ließ Jesse sich zurücksinken, gleich darauf fasste Consuela auch schon seine Beine, hob sie empor und streifte ihm die Decke über.

»Sie haben schlimmes Fieber gehabt, Señor«, sagte der Mann von der Tür her in holprigem Englisch. »La bruja hat Sie am Arm geschnitten, um das Gift aus Ihrem Körper fließen zu lassen.«

»La bruja?«, fragte Jesse verständnislos.

Der Mexikaner lächelte.

»Die Hexe«, erklärte er. »Sie wohnt in einer Schilfhütte an einem toten Nebenarm des Flusses, und es macht ihr nichts aus, wenn sie so genannt wird. Zuweilen ist sie nicht ganz richtig im Kopf – Sie verstehen?« Er begleitete die Zwischenfrage mit einer Bewegung zur Schläfe und fuhr fort: »Aber von Krankheiten versteht sie mehr als jeder medico.«

Jesse Farell verstand noch etwas ganz anderes, der Mann vermied es – offenbar aus Höflichkeit – von einer Schussverletzung oder Verwundung zu sprechen. Und gleich darauf hatte Jesse eine Vision. Er spürte wieder einen schneidenden Schmerz an seinem Unterarm und sah ein faltiges Altweibergesicht vor sich, einem verschrumpelten Apfel nicht ganz unähnlich.

»Abuela?«, kam es ganz mechanisch und ohne sein Zutun über seine Lippen. Es war das spanische Wort für »Großmutter«, und er wusste beim besten Willen nicht, wieso es ihm plötzlich in den Sinn kam.

»Si, Señor«, erwiderte der dicke Peon und setzte in hartem Akzent hinzu: »Sie haben gehört, dass wir sie so angeredet haben, nicht wahr?«

»Yeah«, murmelte Jesse gedankenverloren, weil das wirklich die einzige Erklärung war, »so muss es gewesen sein, obgleich ich mich nicht daran erinnere.«

Consuela war inzwischen mit den Füßen in einfache Holzpantinen geschlüpft und scheuchte den Hund hinaus, der mit leisem Knurren an der Tür erschien.

»Ich werde Ihnen etwas zu essen machen, Señor«, sagte sie mit einem verhaltenen Blick. »Abuela meint, Sie sind so zäh wie ein Wolf, wie ein Bergwolf aus der Sierra Madre, und Sie werden bald wieder gesund sein. Hier, nehmen Sie das.«

Aus einem Topf, der in der Asche der Feuerstelle stand, goss sie eine bräunlich grüne Flüssigkeit in eine irdene Schale und reichte sie ihm. Während Jesse sie an die Lippen hob, blickte er über den Rand hinweg auf das Mädchen, das unter seinem Blick die Augen niederschlug und sanft errötete. Dann aber, als er den ersten Schluck genommen hatte, verzerrte sich Jesses Gesicht, er hielt den Atem an und ächzte entsetzt:

»Um Himmels willen, das ist ja pure Galle!«