H. C. Hollister 93 - H.C. Hollister - E-Book

H. C. Hollister 93 E-Book

H. C. Hollister

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Beschreibung

Der Augenblick, in dem Lester McCorrick in der kleinen Rinderstadt Sioux Flats eintrifft, bezeichnet den Anbeginn turbulenter Ereignisse. Denn Cameron Beery, der Manager der mächtigen Crown-Ranch, hat längst erfahren, dass sein letzter Gegner in diesem Becken den seit langem schwelenden Weidekrieg mit Hilfe eines harten Kämpfers und Revolvermanns entscheiden will. Aber ist dieser höfliche, bescheidene junge Mann, der aus der Überlandpost steigt, wirklich ein Kämpfer? Zumindest die Burschen, die Cameron Beery zum Empfang ausgeschickt hat, sowie Kay Patrick von der Arrow-Ranch, der ebenfalls gekommen ist, um Lester McCorrick abzuholen, zweifeln daran.
Nach Lesters unfreiwilligem Besuch auf der Crown-Ranch, der mit einem ebenso erzwungenen Fußmarsch über vierzehn Meilen endet, gibt es wohl niemanden mehr, der diesem höflichen jungen Mann eine entscheidende Rolle in der Auseinandersetzung mit einem skrupellosen Weidepiraten zutrauen würde. Und ausgerechnet da beginnt Lester zu kämpfen - hart und unerbittlich.


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Inhalt

Cover

DER WEIDEPIRAT

Vorschau

Impressum

DER WEIDEPIRAT

Der Augenblick, in dem Lester McCorrick in der kleinen Rinderstadt Sioux Flats eintrifft, bezeichnet den Anbeginn turbulenter Ereignisse. Denn Cameron Beery, der Manager der mächtigen Crown-Ranch, hat längst erfahren, dass sein letzter Gegner in diesem Becken den seit langem schwelenden Weidekrieg mit Hilfe eines harten Kämpfers und Revolvermanns entscheiden will. Aber ist dieser höfliche, bescheidene junge Mann, der aus der Überlandpost steigt, wirklich ein Kämpfer? Zumindest die Burschen, die Cameron Beery zum Empfang ausgeschickt hat, sowie Kay Patrick von der Arrow-Ranch, die ebenfalls gekommen ist, um Lester McCorrick abzuholen, zweifeln daran.

Nach Lesters unfreiwilligem Besuch auf der Crown-Ranch, der mit einem ebenso erzwungenen Fußmarsch über vierzehn Meilen endet, gibt es wohl niemanden mehr, der diesem höflichen jungen Mann eine entscheidende Rolle in der Auseinandersetzung mit einem skrupellosen Weidepiraten zutrauen würde. Und ausgerechnet da beginnt Lester zu kämpfen – hart und unerbittlich.

Der junge Mann, der mit seiner bestickten Reisetasche aus der Postkutsche steigt, wirkt sympathisch, bescheiden und höflich – harmlos, um es mit einem Wort auszudrücken. Seine graue Tweedjacke ist von alltäglichem Schnitt und lang genug, um Gurt und Halfter zu verbergen. Nur das letzte Stück dieses Halfters, von dem eine lederne Fangschnur herabbaumelt, ist sichtbar.

Die Tatsache, dass Lester McCorrick einen Revolver trägt, ist keineswegs ungewöhnlich. Im Gegenteil, es würde eher Aufsehen erregen, wenn er in diesem Land keine Waffe trüge. Er hat ein jungenhaftes Gesicht, freundlich, offen und leicht gebräunt.

Da ein wohlerzogener junger Mann gewisse Formen beherrschen sollte, wendet sich Lester McCorrick sofort um, als er festen Boden unter den Füßen spürt, um der Lady beim Aussteigen zu helfen. Es mag zweifelhaft erscheinen, ob die Lady, die hinter ihm der Postkutsche entsteigt, wirklich eine Lady ist. In ihrer etwas übertriebenen Aufmachung – Straußenfedern am Hut und mit einer wallenden Boa – sieht sie eher wie ein Tanzgirl aus. Immerhin dankt sie für seine Ritterlichkeit mit einem gekonnten Augenaufschlag und lässt ihre behandschuhte Rechte einige Zeit länger in seiner hilfreichen Hand, als dies unbedingt nötig gewesen wäre.

In diesem Augenblick bückt sich ein dunkelhaariger Hüne durch den Kutschenschlag, der für seine Körpermaße zu eng gebaut ist. Er bemerkt das Spiel der Blicke, und eine zornige Röte steigt ihm bis in die Haarwurzeln empor. Mit einem federnden Satz springt er zu Boden und schiebt sich aufgebracht zwischen Lester McCorrick und das Mädchen.

»Mister«, knurrt er dazu rau, »kümmern Sie sich gefälligst um Ihren eigenen Kram, wenn Sie Ärger vermeiden wollen.«

Der Stoß mit der Schulter, den Lester McCorrick abbekommen hat, ist nicht gerade sanft und lässt ihn einen Moment lang taumeln. Nur für den Bruchteil einer Sekunde blitzt es in seinen rauchgrauen Augen auf, dann senkt er rasch die Augen, greift an seinen Hut und murmelt: »Tut mir leid, Sir, ich hatte wirklich nicht die Absicht, mich der Lady oder Ihnen aufzudrängen. Entschuldigen Sie bitte.«

Ob eines so jämmerlichen Rückzugs schürzt die Lady spöttisch die Lippen, und ihr Begleiter gibt einen zufriedenen Grunzlaut von sich. Gleich darauf jedoch wendet er sich ihr zu und knurrt drohend:

»Und wenn du nicht aufhörst, mit jedem grünen Burschen zu kokettieren und ihm schöne Augen zu machen, mein Kind, dann ...«

Tracy Drake, so lautet der »Künstlername« der Lady, zieht einen Schmollmund und wirft beleidigt den Kopf in den Nacken. Sie schickt noch rasch einen Blick zu Lester McCorrick hinüber, der sich gerade vom Beifahrer der Kutsche seinen Sattel reichen lässt, und geht dann tänzelnd zum Gehsteig vor der Posthalterei, wo sich einige Gruppen von Neugierigen eingefunden haben.

Unter den Neugierigen, die die Ankunft der Cheyenne-Post bestaunen, haben sich drei Männer etwas abgesondert. Zwei von ihnen stehen dem dunkelhaarigen Hünen an Gewicht und Größe kaum nach, und diese beiden setzen sich auf einen stummen Wink ihres Partners hin in Bewegung. Der dritte Mann, der den wortlosen Befehl erteilt hat, wirkt zwischen ihnen wie ein Gnom. Es ist ein schmalbrüstiger, olivenhäutiger Mexikaner, der zwei Halfter so befestigt hat, dass die elfenbeinernen Kolben seiner Revolver im schrägen Winkel griffbereit vom Körper abstehen.

Der Hüne hat gerade die Hutschachtel, die vom Wagendach gereicht wurde, in den Händen, als die beiden Schwergewichte ihn in die Mitte nehmen und bei den Ellbogen packen. Einer von ihnen fährt mit der freien Hand rasch unter den Rock des Mannes und bringt – vermutlich aus einem versteckten Halfter – eine flache Bisley-Pistole zum Vorschein. Das alles geschieht so rasch und glatt, dass der Dunkelhaarige zunächst gar keine Zeit zur Gegenwehr findet.

Doch schon eine Sekunde später explodiert er. Er lässt den Hutkoffer fallen und rammt beide Ellbogen zur Seite. Eines der Schwergewichte stößt einen ächzenden Laut aus infolge des heftigen Stoßes. Trotzdem hält der Bursche noch fest, ebenso wie sein Partner auf der anderen Seite. Im Nu ist ein verbissenes Ringen im Gange.

Tracy Drake hat bereits einen Fuß auf die unterste Gehsteigstufe gesetzt und sonnt sich in den bewundernden Blicken der Müßiggänger. Doch in den Gesichtern der Männer kann sie lesen, dass hinter ihrem Rücken etwas vor sich geht. Sie fährt herum und stößt einen spitzen Schrei aus. Aber da ist der Ringkampf schon entschieden, durch das Eingreifend des dritten Mannes.

Mit geschmeidigen Schritten ist der Mexikaner von hinten herangeglitten und stößt dem Hünen die Mündung eines seiner Revolver in das Rückgrat. Dazu sagt er mit kehligem Akzent:

»Geben Sie es auf, Senor McCorrick! Ich habe schon stärkere Männer gesehen, die von einem kleinen Stückchen Blei sehr schwach geworden sind. Los«, fügt er mit Nachdruck hinzu, »machen Sie keine Schwierigkeiten! Wir haben Sie sicher.«

Der starkknochige Mann erstarrt und stößt heftig die Luft aus. Er spreizt die Hände vom Körper ab, ehe er den Kopf zurückwendet. Er ist bleich, als er gepresst entgegnet:

»Was soll dieser Blödsinn! Ist das etwa ein Überfall auf offener Straße? Und was für einen Namen gebrauchen Sie da?«

Der Mexikaner zeigt ein dünnes Lächeln. Er scheint seiner Sache völlig sicher zu sein, denn er erwidert zynisch:

»Geben Sie sich keine Mühe, Señor McCorrick. Wir kennen Sie zwar nicht, aber wir wussten, dass Sie mit dieser Post aus Cheyenne kommen würden. Und da ist ein Irrtum wohl völlig ausgeschlossen. Sie brauchen sich nur Ihre Mitreisenden anzusehen.«

Inzwischen sind weitere Passagiere aus der Kutsche zum Vorschein gekommen, die sich ängstlich zur Seite drücken. Es handelt sich um eine rundliche Farmersfrau, die ständig einen Korb an sich gepresst hält, und um einen kleinen, dürren Mann mit einer Nickelbrille auf der Nase.

»Mister«, keucht der Hüne verkniffen, »ich versichere Ihnen, Sie irren sich. Ich heiße nicht McCorrick. Mein Name ist Tonio Malaparte, und ich bin der Impresario von Miss Tracy Drake. Fragen Sie sie doch selbst, wenn Sie mir nicht glauben. Und dann sagen Sie diesen beiden Gorillas, dass sie endlich ihre üblen Pfoten von mir nehmen sollen, sonst werde ich wild!«

In diesem Moment ist Tracy Drake heran und trommelt in wenig damenhafter Manier mit beiden Fäusten auf eines der Schwergewichte ein.

»Lasst ihn los, ihr Buschräuber!«, ruft sie dazu schrill. »Aah, ich fahre euch mit den Krallen ins Gesicht, wenn ihr Tonio nicht sofort ...«

»Lasst ihn los«, sagt nun auch Peso Sanchez, der mexikanische Revolvermann, mit etwas ratloser Stimme. Nur vorsichtshalber behält er seine Waffe noch in der Hand.

»Señor«, knirscht Peso Sanchez schneidend, »wenn das ein Trick gewesen sein sollte, dann versprechen Sie sich nur nicht zu viel davon.«

Tonio Malaparte zerbeißt einen Fluch zwischen den Zähnen.

»Mister«, grollt er gepresst, »hören Sie auf, mir auf diese Art zuzusetzen, und sehen Sie sich lieber um. Kennen Sie das Plakat da drüben? Dann lesen Sie es!«

Unwillkürlich richtet auch Peso Sanchez die Blicke zur Posthalterei, wo ein farbenfrohes Plakat angeschlagen ist. Darauf wird in prahlerischen Worten das Auftreten der gefeierten Sängerin Tracy Drake im Alhambra angekündigt. In etwas kleineren Buchstaben verspricht der Saloon außerdem die Bekanntschaft mit dem unübertroffenen Illusionisten Tonio Malaparte. Der Mexikaner liest es zum ersten Mal mit Bewusstsein, und seine glitzernden Augen werden schmal.

»Wenn Sie nicht McCorrick sind«, stößt er zwischen zusammengepressten Zähnen hervor, »wer ist es dann?«

»Ich, Sir«, meldet sich aus dem Hintergrund eine freundliche Baritonstimme. »Ich hätte den Irrtum schon eher aufgeklärt, aber bis jetzt war mir selbst noch nicht so richtig klar, worum es ging. Ich hoffe, Sie werden mir erzählen ...«

Peso Sanchez muss schlucken. Doch er ist nicht der Einzige, der die Fassung verliert. Auch die beiden Schwergewichte starren den sanftmütigen jungen Mann an und reißen die Augen auf, ehe sie endlich zur Besinnung kommen. Dann stürmen sie wie auf Kommando los.

Lester McCorrick hat sich bereits in Bewegung gesetzt, um ihnen entgegenzugehen. In der Rechten trägt er seine bestickte Reisetasche. Den Sattel hat er über den linken Unterarm gelegt. Wer jemals einen schweren mexikanischen Sattel mit einer Hand hat tragen müssen, der weiß, welch ein Kraftaufwand dazu erforderlich ist.

Lester McCorrick allerdings scheint davon nichts zu spüren. Er bewegt sich mit gewohnter Schlaksigkeit. Aber dann stolpert er über eine der ausgefahrenen Radfurchen, und der Sattel fliegt einem der heranstürmenden Schwergewichte vor die Füße. Der Bursche strauchelt, brüllt auf und streckt die Arme weit nach vorn. Scheinbar ist es ein Zufall, der Lester McCorrick in eine andere Richtung stolpern lässt. Ein merkwürdiger Zufall, denn sein gestrecktes Bein gerät dabei dem zweiten Schwergewicht in die Quere. So klammern sich die beiden Angreifer aneinander fest und können trotzdem nicht verhindern, dass sie das Gleichgewicht verlieren. In schöner Gemeinsamkeit fallen sie zu Boden.

Lester McCorrick jedoch, der sich noch nicht hat fangen können, stolpert weiter, bis er Peso Sanchez in die Seite prallt. Auch der Mexikaner wird fast umgestoßen. Zwar kann er sich auf den Beinen halten, doch er verliert seinen Revolver. Noch im Fallen fängt Lester McCorrick die Waffe auf. Glück oder Zufall – er bekommt sie gleich richtig zu fassen. Als er sich mit einem verlegenen Lächeln aufrichtet, schaut Peso Sanchez in die Mündung seiner eigenen Waffe. Unwillkürlich reißt er die Hände vom Körper weg, um jedem Missverständnis vorzubeugen. Auch ein erfahrener Pistolero und Zweihandmann weiß, was die Glocke geschlagen hat, wenn ihm auf solche Distanz ein Revolver vor den Leib gehalten wird.

Lester McCorrick setzt seine Tasche zu Boden, sein Lächeln wird noch sanfter und freundlicher. Bis hierher hat er ein Schauspiel vollendeter Tollpatschigkeit geboten, und auch jetzt bleibt er diesem Prinzip treu. Er hält den Revolver so verkrampft, dass jedem Narren auffallen muss, wie wenig er es gewohnt ist, mit einer Waffe umzugehen. Erst als er die erstarrte Miene von Peso Sanchez bemerkt, zuckt er förmlich zusammen, packt die Waffe beim Lauf und greift mit der Linken nach dem Hut.

»Mein Gott«, murmelt er verdattert. »Da hätte ich beinahe etwas angerichtet. Entschuldigen Sie, Sir, ich wollte wirklich nur verhindern, dass dieser hübsche Revolver in den Staub fällt.«

Das alles wird so völlig harmlos und vor allem glaubhaft vorgebracht, dass Peso Sanchez geraume Zeit braucht, um die veränderte Lage zu begreifen. Mit einem scharfen Atemzug lässt er die Hände sinken und reißt Lester McCorrick dann die Waffe aus der Hand.

»Sie«, knirscht er heiser. »Sie wollen McCorrick sein?«

»Nein.«

»Señor«, faucht er. »Wollen Sie mich zum Narren halten?«

»O nein«, beteuert Lester und hebt abwehrend die Hand. »Sie missverstehen mich. Sie haben mich gefragt, ob ich McCorrick sein wolle, und ich habe gesagt: nein. Ich kann Ihnen versichern, Sir, ich will es gar nicht sein. Aber leider bin ich es und ich kann beim besten Willen nichts daran ändern.«

Es ist durchaus verständlich, wenn Peso Sanchez und seine schwergewichtigen Begleiter sich auf den Arm genommen fühlen. Der Mexikaner lässt das mit einem galligen Lachen erkennen.

»Ha!«, sagt er grimmig. »Sie scheinen ein ausgesprochener Witzbold zu sein, Amigo!«

Lester McCorrick nickt betrübt.

»Meine Mutter hat schon immer gesagt, dass als Kind viel über mich gelacht worden wäre. Mir war das gar nicht recht, denn ich kann es nicht leiden, wenn die Leute mich auslachen. Ich gebe mir die größte Mühe, aber immer geht alles schief. Anscheinend habe ich ein besonderes Talent darin, Unfug anzurichten.«

»Das«, erwidert Peso Sanchez sarkastisch, »scheint mir auch so. Señor Warren McCorrick!«

Er scheint seinen Gesprächspartner nicht ganz für voll zu nehmen, denn er stößt seine Waffe ins Halfter zurück. Lester aber lächelt sanft und zuvorkommend.

»Mir scheint«, sagt er bescheiden, »jetzt handelt es sich doch um eine Verwechslung. Mein Name ist Lester McCorrick. Warren ist der Vorname meines Vaters. Hat man Sie geschickt, um ihn abzuholen, Sir?«

Zum ersten Mal rafft Peso Sanchez sich zu einem Grinsen auf.

»Habt ihr gehört«, sagt er zu seinen beiden Begleitern. »Er heißt Lester McCorrick.«

»Yeah«, brummt einer von den Burschen grämlich. »Es soll öfter vorkommen, dass berühmte Männer närrische Söhne haben. Anscheinend hat dieser Grünschnabel noch immer nicht begriffen.«

»Verzeihung«, murmelt Lester leicht betreten, »was soll ich noch nicht begriffen haben? Ich muss Ihnen sagen, ich finde es nicht sehr höflich, dass Sie mich einen Grünschnabel nennen, Mister.«

»Du hast recht gehabt, Butch«, knurrt der andere kopfschüttelnd. »Wir haben es mit einem ausgemachten Trottel zu tun.«

Beleidigt zieht Lester McCorrick das Kinn an. Doch der Mexikaner beschwichtigt ihn mit einer Handbewegung und sagt scharf: »Maul halten, Dick!«

»Ja«, stimmt Lester McCorrick zu, »in einen geschlossenen Mund können keine Wespen fliegen.«

Peso Sanchez geht darüber hinweg. Doch sein Verhalten zeigt, dass er sich inzwischen zu einer anderen Methode entschlossen hat. Er greift an seinen Hutrand, stellt sich mit mexikanischer Grandezza vor und setzt hinzu: »Wir sind tatsächlich hier, um Ihren Vater abzuholen, Señor.«

»Dann hat Sie also Mr. Patrick geschickt?«

Der Mexikaner entblößt die Zähne in einem messerscharfen Grinsen.

»Nehmen Sie es einmal an. – Und warum ist Ihr Vater nicht gekommen?«

Lester McCorrick zuckt mit den Achseln.

»Wissen Sie, Mr. Sanchez, offenbar hat Horace Patrick meinen Dad überschätzt. Er ist zwar noch kein alter Mann mit seinen zweiundfünfzig Jahren, aber er wird ein bisschen von der Fußgicht geplagt. Podagra nennt es der Doc, wir reden einfach vom Zipperlein. Und wenn ein Mann nicht mehr so gut zu Fuß ist, dann überlässt er lange Reisen lieber den Jüngeren. Deshalb hat er mich geschickt.«

»Eine gute Idee.« Peso Sanchez kichert. »Warren McCorrick, der berühmte Marshal von Wichita Falls, schickt seinen Sohn auf die raue Weide von Wyoming.«

»Yeah«, bestätigt Lester McCorrick in schleppender texanischer Mundart, »ich hatte es satt, als Assistant Marshal immer nur am Rockzipfel meines Vaters zu hängen. Da kam der Brief von Mr. Patrick gerade zur rechten Zeit. Haben Sie einen Wagen dabei, Mr. Sanchez?«

»Nein, aber einen Gaul. Sie können Ihren Sattel so lange in der Posthalterei lassen.«

Ohne eine Zustimmung abzuwarten, gibt der Mexikaner dem breitschultrigen Butch einen Wink, woraufhin dieser den Sattel aufnimmt und damit in die Poststation geht.

Dann fügt Peso Sanchez mit einer einladenden Bewegung hinzu:

»Darf ich Sie also zu einem Besuch auf unsere Ranch bitten, Señor McCorrick?«

Lester nickt erfreut.

»Aber sicher. Ich nehme Ihre Einladung dankend an.«

Als sie gerade losreiten wollen, löst sich drüben vom Wagen die untersetzte Gestalt des Marshals. Hinkend überquert er die nicht sehr breite Straße und tritt den Reitern in den Weg.

»Sanchez«, sagt er mit quengelnder Stimme, »ich hätte da was zu klären. Eben ist behauptet worden, hier solle auf offener Straße eine Art Entführung stattfinden, die ich als Marshal von Sioux Flats zu verhindern hätte. Was sagen Sie dazu?«

Der Mexikaner hat sein Pferd zum Stehen gebracht und legt die Hände über das Sattelhorn. Aus glitzernden Augen schaut er zu dem Mädchen auf dem Wagen und auf den blonden, hochgewachsenen Mann, der sich nun ebenfalls nähert und hinter dem Marshal Aufstellung nimmt.

»Eine Entführung?«, fragt Peso Sanchez mit hartem Akzent. »Das ist eine schlimme Anschuldigung, Señor Pearson. Können Sie mir auch verraten, wer sie erhoben hat?«

Virgil Pearson, der alte Marshal von Sioux Flats, schluckt verkrampft und fährt sich mit einer fahrigen Bewegung des Handrückens über das grau gesprenkelte Kinn.

»Fangen Sie nur nicht gleich wieder Verdruss an, Sanchez«, erwidert er heiser. »Ich bin eine Amtsperson. Wenn Sie sich mit mir anlegen, können Sie sich nicht auf Notwehr herausreden, wie Sie das schon verschiedentlich getan haben.«

Es scheint eine besondere Stärke des Mexikaners zu sein, unangenehme Dinge einfach zu überhören. So geht er auch jetzt nicht auf die Bemerkung des Marshals ein, sondern richtet die Blicke auf den blondhaarigen jungen Mann und sagt kehlig:

»Sind Sie vielleicht auf die Idee mit der Entführung gekommen, Señor Carpenter?«

»Natürlich habe ich diese Idee gehabt, Sanchez. Ganz so schwer war das ja auch nicht herauszufinden. Wir haben nämlich Mr. McCorrick erwartet. Und ich wüsste nicht, welchen Anlass er hätte, mit Ihnen und Ihren beiden Schlägern auf die Crown-Ranch zu reiten.«

Bis jetzt hat sich Lester McCorrick völlig teilnahmslos verhalten. Nur ab und zu schielt er zu dem Mädchen auf dem Wagen hinüber. An den Problemen, die seine Ankunft hervorgerufen hat, scheint er wenig interessiert zu sein. Nun allerdings, als er sieht, dass das Mädchen die Leinen aufnimmt und der Wagen sich in Bewegung setzt, wendet er sich dem Anwalt zu und sagt:

»Ich verstehe nicht ganz, Sir. Ich bin von Mr. Sanchez eingeladen worden. Ist das nicht Anlass genug?«

Wes Carpenter starrt ihn an, als ob er an seiner Zurechnungsfähigkeit zweifelte. Doch ehe er diese Zweifel laut äußern kann, hat hinter ihm der Wagen gewendet und das Mädchen bringt das Doppelgespann zum Stehen.

»Siehst du nicht, dass es hoffnungslos ist, Wes?«, fragt sie spröde. »Hier sind doch irgendwelche Dinge im Spiel, die wir noch nicht kennen. Ich habe Dad von Anfang an davor gewarnt, sich mit noch mehr angeworbenen Revolverhelden einzulassen. Jetzt wird er hoffentlich einsehen, was dabei herauskommt.«

Lester McCorrick hat als einziger den Hut gezogen und hält ihn vor der Brust.

»Madam«, sagt er höflich, »ich bin mir nicht sicher, ob hier von mir die Rede ist. Natürlich wäre es mir sehr unangenehm ...«