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Nach dem Tod seines Vaters ist der junge Dannie ganz auf sich allein gestellt. Als er auf die Handelsstation Grimby trifft, erwarten ihn dort statt Sicherheit nur Gewalt, Betrug und Gier. Erst als der wortkarge Kaliko Mills auftaucht, scheint es Hoffnung zu geben. Die wahre Gefahr jedoch lauert außerhalb der Stadt, wo ein zwielichtiges Restkommando der Armee und eine Bande berüchtigter Snakes die letzte große Schlacht planen. Zusammen mit einer Handvoll Verbündeter wird Dannie in einen Strudel aus Verrat, Gewalt und verzweifeltem Überlebenswillen gezogen. Wer wird am Ende überleben - und was wird Dannie tun, um sich zu behaupten?
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Seitenzahl: 143
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
DAS VERLORENE KOMMANDO
Vorschau
Impressum
DAS VERLORENE KOMMANDO
Nach dem Tod seines Vaters ist der junge Dannie ganz auf sich allein gestellt. Als er auf die Handelsstation Grimby trifft, erwarten ihn dort statt Sicherheit nur Gewalt, Betrug und Gier. Erst als der wortkarge Kaliko Mills auftaucht, scheint es Hoffnung zu geben. Die wahre Gefahr jedoch lauert außerhalb der Stadt, wo ein zwielichtiges Restkommando der Armee und eine Bande berüchtigter Snakes die letzte große Schlacht planen.
Zusammen mit einer Handvoll Verbündeter wird Dannie in einen Strudel aus Verrat, Gewalt und verzweifeltem Überlebenswillen gezogen. Wer wird am Ende überleben – und was wird Dannie tun, um sich zu behaupten?
Der Junge erwachte, weil das Rumpeln des schweren Murphy-Wagens plötzlich aufgehört hatte. Verschlafen kletterte er über das Schlussbrett und sprang mit einem ungelenken Satz zu Boden. Nachdem er sich neugierig umgeblickt hatte, ging er nach vorn zum Fahrersitz. Durch betont lange Schritte versuchte er, sich ein möglichst männliches Aussehen zu geben. Was dabei herauskam, waren die staksigen, unsicheren Bewegungen eines langbeinigen Fohlens.
»Hallo«, brummte der bärtige Fahrer ein wenig mürrisch. »Wir sind da, mein Freund.«
»Danke, Mister«, erwiderte der Junge mit hoher, durchdringender Stimme, die von einem allmählich beginnenden Stimmbruch zeugte. Er hatte ein rundes, sommersprossiges Gesicht und trug einen viel zu großen Erwachsenenhut, dessen Schweißleder man wohl mit dicken Lagen von Zeitungspapier ausgestopft hatte, um zu verhindern, dass er ihm über die Ohren rutschte. Seinen übrigen Sachen war er schon längst entwachsen. Die Ärmel seiner abgeschabten Jacke endeten eine halbe Spanne über dem Handgelenk, sodass ihm das Baumwollhemd ständig darunter hervorrutschte, und die Hose reichte nur noch knapp bis zur halben Wade. Da er in seinen hohen Schnürschuhen keine Strümpfe trug, blieb ein gutes Stück seiner mageren Beine sichtbar.
»Vielen Dank auch fürs Mitnehmen«, setzte er hinzu, während er von dem Fahrer ein karges Bündel entgegennahm, das in eine Art Mantelsack verschnürt war. Daraufhin wandte er sich an einen kleinen, struppigen Hund, der sprungbereit auf den Bodenbrettern des Fahrersitzes hockte, und munterte ihn auf: »Komm, Tobby! So komm schon! Wir sind da.«
Mit akrobatischer Verrenkung seiner Kinnlade ließ der Fahrer die abgekaute Stummelpfeife in den anderen Mundwinkel wandern.
»Passt schon«, bestätigte er und deutete mit dem Peitschenstiel auf ein langgestrecktes graues Gebäude an der Ecke. »Das da ist die Grimby-Station – Frachthof, Futtermittelhandlung und Mietstall in einem.«
Der kleine Bastardhund war vom Wagen gesprungen und inspizierte schnüffelnd und mit glänzenden Knopfaugen den nächsten Baum, ehe er das Bein hob. Der Junge beobachtete ihn und schulterte sein Bündel. Seine Miene war ein Spiegel widerstreitender Empfindungen.
»Yeah«, sagte er zögernd, »die Grimby-Station.«
Dann nickte er noch zu dem bärtigen Fahrer hinauf, als ob er sich selbst Mut machen wolle, und setzte sich in Bewegung.
Bannock-Charlie war ein Halbblut und hatte von seinen Bannock-Ahnen die kurze, vierschrötige Gestalt, die krummen Beine mit den einwärts gerichteten Fußspitzen und den watschelnden Gang geerbt. Er überquerte gerade den Hof, als der Junge durch die breite Toreinfahrt kam. Sofort blieb er stehen und setzte den verbeulten Eimer ab.
»Guten Tag«, sagte der Junge schüchtern.
Bannock-Charlie entblößte in einem fragenden Grinsen seine gelben Stummelzähne. Langsam strich er über die dicken schwarzen Zöpfe, die ihm von beiden Schultern herabhingen und ihm fast das Aussehen einer mondgesichtigen Squaw verliehen.
Durch das grausam anmutende Grinsen des Halbbluts wurde der Junge noch mehr eingeschüchtert. Er wechselte sein Bündel von der Schulter unter den Arm und nahm allen Mut zusammen, als er ein wenig schrill und misstönend sagte:
»Ich – ich heiße Dannie Sparks, Mister.«
Die ungewohnte, respektvolle Anrede rief in dem Gesicht des Halbbluts eine Veränderung hervor.
»Mich Bannock-Charlie«, sagte er in gutturaler Sprechweise und tippte sich mit dem Daumen gegen die schmierige Weste. »Was du wollen hier, klein' Mann mit groß' Hut?«
Dannie Sparks hatte seine Verlegenheit überwunden.
»Ich suche Mr. Matt Grimby«, entgegnete er eifrig. »Ich soll ihm Grüße von meinem Vater bestellen. Mr. Grimby und Pa waren früher lange Zeit zusammen.«
Mit einem Schlag wurde Bannock-Charlies Miene ausdruckslos.
»Grimby?«, stieß er kehlig hervor und senkte die Blicke auf den struppigen Vierbeiner, der sich vor den Füßen des Jungen in den Staub gestreckt hatte. »Du warten hier, savvy?«
Er ließ seinen Eimer zurück und watschelte eilig zum Haus, wo er im Windfang des Hintereingangs verschwand. Der Junge rührte sich nicht vom Fleck. Nur seine Blicke ließ er neugierig umherschweifen – zur Wagenremise, zum Stall und zum angrenzenden Schuppen, aus dessen vorgebauter Firstluke ein Kranbalken mit einer Rolle hervorragte, und schließlich zum Misthaufen auf der anderen Seite des Hofs, der unordentlich zusammengekarrt war und auf dem einige Hühner scharrten.
Auch Tobby schenkte dem Federvieh sein Interesse, bis nach kurzer Zeit das Halbblut wieder erschien und dem Jungen einen Wink gab. Folgsam stiefelte Dannie hinüber und zog seinen Hut, als er ins Haus trat.
Der große, fleischige Mann mit den schweren Hängebacken wuchs hinter einem alten Rollschreibtisch hervor.
»Hallo, mein Sohn«, murmelte er gönnerhaft und musterte Dannie mit einem raschen, taxierenden Blick. »Du suchst also den Eigentümer dieser Station?«
»Mr. Matt Grimby – yeah, Sir.«
»Dann bist du an der richtigen Adresse«, sagte der Mann und kam hinter dem Schreibtisch hervor. »Und was willst du von mir?«
Die Eröffnung, dass er endlich am Ziel war, ließ den Jungen vor Freude erröten.
»Ich soll Sie von meinem Vater grüßen – von Ben Sparks, Sir. ›Matt Grimby‹, hat er immer gesagt, Sir, ›das ist mein einziger und bester Freund, Junge, einer von der alten Sorte, ein Bursche von echtem Schrot und Korn.‹ Das hat Pa gesagt, Sir. ›Wenn mir einmal etwas zustoßen sollte, dann gehst du zu Matt Grimby und richtest ihm Grüße von mir aus. Dann weiß ich, dass du versorgt und in guten Händen bist. Matt Grimby lässt den einzigen Sohn seines Freundes nicht vor die Hunde gehen.‹ Deshalb bin ich gekommen, Sir.«
Er leierte die lange Rede beinahe beschwörend herunter, als habe er sich die Sätze im Geiste schon hundertmal zurechtgelegt, und ließ dabei die Blicke mit bohrender Hartnäckigkeit auf dem Gesicht seines Gegenübers ruhen. Mit heftigem Blinzeln versuchte er dabei, der Feuchtigkeit in seinen Augen Herr zu werden.
Der Mann verschränkte die Arme vor der Brust.
»Es ist gut, Charlie«, sagte er, ohne das Halbblut anzuschauen. »du kannst gehen.« Als Bannock-Charlie noch einen Moment zögerte, drehte er unvermittelt den Kopf herum und fügte mit beißender Schärfe hinzu: »Hast du nicht verstanden, Halfcast?«
Bannock-Charlie zuckte zusammen und watschelte davon. Der große, fleischige Mann wandte sich wieder dem Jungen zu. Als er bemerkte, dass dessen Augen sich bei seinem beißenden Befehlston geweitet hatten, ging ein beschwichtigendes Grinsen über sein Gesicht.
»Nun«, sagte er, »mit solchen Burschen muss man manchmal deutlich reden, sonst stehen sie nur herum und halten Maulaffen feil. Wie heißt du, mein Sohn?«
»Dannie«, antwortete der Junge und verbesserte sich dann rasch: »Daniel Sparks, Mr. Grimby.«
Mit einem Räuspern wollte der Mann die nachfolgende Denkpause ausfüllen.
»Weißt du, Daniel«, brummte er schließlich, »uns ist da ein kleiner Irrtum unterlaufen. Ich bin zwar der Eigentümer dieser Station, aber ich heiße Bruce Bolton. Matt Grimby ist schon seit annähernd zwei Jahren tot. Das scheint dein Vater nicht gewusst zu haben, sonst hätte er dich sicher nicht auf die Reise geschickt. Es tut mir leid, aber ich fürchte, ich kann nichts für dich tun.«
Das Mienenspiel des Jungen war eine rasche Folge von Zweifel, Betroffenheit, Unglauben und schließlich düsterer Verzweiflung, als ihm die volle Bedeutung der Worte zu Bewusstsein kam. Plötzlich rannen Tränen über seine Wangen, seine Enttäuschung und Ratlosigkeit machten sich in einem erstickten Schluchzen Luft.
Bruce Bolton betrachtete das Bild des Jammers zuerst ausdruckslos und später mit sichtlichem Widerwillen.
»Ich habe dir doch gesagt, dass es mir leidtut«, stieß er ärgerlich hervor. »Was ist mit deinem Vater?«
Der Junge zog ein großes, nicht mehr ganz sauberes Schnupftuch hervor und fuhr sich damit über das Gesicht.
»Er – er ist tot, Sir. Vor zwei Monaten ist er an einer Blutvergiftung gestorben. Der Anwalt aus der Stadt meinte, allein könnte ich mit unserer Farm nichts anfangen. Unsere Nachbarn haben sie gekauft. Nach Pas Beerdigung blieben mir noch achthundert Dollar. Der Advokat hat gesagt, bei dieser Mitgift würde mich bestimmt jeder gern aufnehmen.«
Bruce Boltons Augen verengten sich.
»Achthundert Dollar?«, fragte er mit einem scharfen Atemzug. »Du schleppst wirklich achthundert Dollar mit dir herum, mein Sohn?«
Dannie nickte und hielt unvermittelt inne, als wären ihm Bedenken gekommen.
»Nicht direkt, Sir«, würgte er hervor.
»Was soll das nun wieder heißen?« fuhr ihn Bolton unwirsch an. »Hast du das Geld oder hast du es nicht?«
Die Lippen des Jungen zuckten. Er ließ sein Bündel zu Boden gleiten und umkrampfte mit beiden Händen den Hut.
»Ich habe einen Umschlag, Sir. Aber es ist kein Geld darin. Nur ein Brief. Es ist ein Kreditbrief, hat der Advokat gesagt, und man muss ihn durch eine Bank einlösen.«
Der Mann am Schreibtisch wandte sich ab. Er ließ sich Zeit. Umständlich entnahm er einem Kästchen eine Zigarre, bearbeitete das Mundstück mit einem Federmesser und zündete sie an. Als er sich wieder umdrehte und den Rauch zur Decke blies, hatte er eine wohlwollend-väterliche Miene aufgesetzt.
»Nun, das ist ja im Grunde auch ziemlich gleichgültig. Jedenfalls weißt du jetzt nicht, wo du bleiben sollst, nicht wahr? Hast du noch irgendwelche Verwandte?«
Bedrückt schüttelte Dannie Sparks den Kopf.
»Ma ist schon lange tot.«
»Schlimm«, murmelte Bruce Bolton. »Das ist wirklich sehr schlimm, Daniel. Du bist allein, ohne Dach über dem Kopf, und hast keinen Menschen.«
Er ließ die düsteren Worte wirken, bis er merkte, dass dem Jungen wieder Tränen in die Augen schossen, und fuhr dann einlenkend fort: »Ich habe eigentlich überhaupt keine Verwendung für dich, aber ich sage mir, irgendwie muss man dir helfen. Man kann dich doch nicht wie einen streunenden Hund auf die Straße jagen.«
Hoffnungsvoll starrte Dannie zu ihm empor.
»Sie – Sie wollen mich behalten, Sir?«
»Du siehst für dein Alter schon recht kräftig aus«, erwiderte Bruce Bolton und wiegte nachdenklich den Kopf. Als er erfasste, dass er den Dingen vorausgeeilt war, setzte er fragend hinzu: »Wie alt bist du überhaupt, Daniel?«
»Ich werde im nächsten Jahr dreizehn, Sir«, sprudelte der Junge hervor. »Und ich bin wirklich stark. Auf der Farm habe ich immer mit angepackt und den Stall ganz allein in Ordnung gehalten. Ich kann wirklich arbeiten, Sir – was Sie wollen, Sir ...«
Bruce Bolton interessierte sich eine ganze Weile scheinbar ausschließlich für den Brand seiner Zigarre. Er lächelte milde, als er bemerkte, dass die Blicke des Jungen an seinen Lippen hingen.
»Wenn das so ist«, erwiderte er wohlwollend, »dann könnte man es vielleicht mit dir versuchen. Wir werden dir in Charlies Kammer ein Lager herrichten, du bekommst dein Essen und jede Woche einen Dollar, wenn du deine Arbeit ordentlich verrichtet hast. Was sagst du dazu, mein Sohn?«
Nun, da er von seinen schlimmsten Sorgen befreit war, wurde Dannie vor Ergriffenheit die Kehle eng.
»Danke, Sir«, würgte er schrill hervor. Er wollte sich schon nach seinem Bündel bücken, als ihm ein Versäumnis bewusstwurde. So deutete er auf den Hund, der sich zu seinen Füßen niedergelassen hatte, und fragte schüchtern:
»Und Tobby, Sir? Darf ich Tobby bei mir behalten? Er ist ganz zahm und frisst auch gar nicht viel, höchstens ein paar Küchenabfälle und Knochen.«
Missbilligend blinzelte der Mann auf den Hund hinab, schien sich aber im letzten Moment eines Besseren zu besinnen und sagte: »Nun, meinetwegen. Ich habe zwar nichts für Köter übrig, aber wenn du so sehr an ihm hängst – man ist schließlich kein Unmensch.«
Er schnippte den hellen Aschekegel von seiner Zigarre und sah zu, wie der Junge wieder nach seinem Mantelsack griff. In diesem Moment sagte Bolton scheinbar beiläufig:
»Fast hätte ich noch etwas vergessen, Daniel. Sicher hast du außer dem Brief noch andere Papiere oder ähnliche Dinge bei dir. Das alles lässt du am besten hier. Ich werde es für dich aufheben und im Schreibtisch einschließen.«
✰✰✰
Chuck Benteen hockte auf dem Verandageländer des Red Bull Inn und hielt eine Gala-Vorstellung ab. Die Dämmerung war gerade erst hereingebrochen und somit herrschte für seine Tricks und Taschenspielerkunststückchen gerade die richtige Beleuchtung. Und eine lohnende Pokerrunde war um diese Zeit im Red Bull ohnehin noch nicht zusammenzubringen.
Das Publikum dieser Vorstellung allerdings war sehr gemischt. Es bestand aus ein paar Halbwüchsigen, einer fetten Blackfoot-Squaw, einem barfüßigen Dreikäsehoch, der hingebungsvoll in der Nase bohrte, einigen Maultieren und Pferden sowie einem kleinen, struppigen Bastardhund.
Kaliko Mills, der es sich in einem Rohrstuhl auf der Veranda bequem gemacht hatte, legte seine Füße auf das Geländer und zeigte ungeniert seine durchgelaufenen Stiefelsohlen. Er hatte diese Vorstellung schon zu oft erlebt, als dass sie ihn noch interessiert hätte. Trotzdem, so fand wenigstens Chuck Benteen, hätte dieser hagere Satteltramp nicht gleich seinen verbeulten Stetson über Augen und Nase zu ziehen brauchen.
Neben Kaliko Mills stand eine Flasche am Boden, und neben dieser Flasche hockte Jacco mit untergeschlagenen Beinen. Jacco war ein stadtbekannter Trunkenbold und ein Pumpgenie von besonderen Gnaden. Die windschiefe Hütte draußen bei den Korrals, die er bewohnte, hatte er sich für ein paar Tage von ihrem Besitzer »ausgeliehen«. Das war inzwischen mehr als zwei Jahre her.
Sein listiges Grinsen verriet, dass er bereits wieder seinen Normalzustand erreicht hatte. Mit einem Fliegenwedel in der Hand hätte man ihn für Kaliko Mills' Leibsklaven halten können. Im Moment allerdings war Jaccos Augenmerk wohl mehr auf die Flasche gerichtet.
Mit einem Paradestück – er lenkte die Karten wie einen Wasserfall in seine Rocktasche – beendete Chuck Benteen seine Vorführung und glitt geschmeidig vom Geländer herunter.
»Verehrtes Publikum, dies war das Ende der Vorstellung«, verkündete er mit einer leichten Verneigung. »Ich hoffe, Sie werden mir gelegentlich wieder die Ehre erweisen.«
Er schaute die Straße entlang, wo vier uniformierte Reiter sichtbar wurden. Zur selben Zeit erschien in der Tür des Red Bull Inn eine Frau, die ein tief ausgeschnittenes Kleid trug und ihr kastanienrotes Haar mit Hilfe eines prächtigen spanischen Kamms aufgesteckt hatte.
»Glaubst du eigentlich immer noch, dass du dir selbst mit diesen verrückten Vorstellungen einen Dienst erweist, Chuck?«, fragte sie mit spröder Stimme. »Musst du deine Geschicklichkeit so närrisch zur Schau stellen, bis jeder glaubt, du könntest sie vielleicht auch am Spieltisch anwenden?«
Der Spieler grinste und strich seinen dunklen Rock glatt. In den Tiefen seiner Augen glomm der Spott.
»Sollen sie doch«, antwortete er mit herabgezogenen Mundwinkeln. »Am Ende werden sie dadurch nur neugierig, ob sie mich erwischen können. Der Umsatz in deinem Saloon wird bestimmt nicht darunter leiden.«
Er stieß mit dem Ellbogen Kaliko Mills an, der noch immer mit verdecktem Gesicht träge in seinem Rohrstuhl hing, und fuhr bissig fort: »Eher vielleicht unter diesem verlausten Satteltramp, an den du dein Wohlwollen und deinen guten Brandy verschwendest, Lorna.«
Lorna Verwoerd schürzte die Lippen.
»Er hat die Flasche bezahlt«, sagte sie abweisend.
»Stimmt«, klang unter dem Hut eine schleppende Stimme hervor. »Und zwar mit dem Geld, das ich diesem Kartenhai aus der Nase gezogen habe. Das Kunststück soll er mir erst mal nachmachen.«
»Zwecklos«, spottete Chuck Benteen. »Nicht einmal aus deinen Taschen könnte man einen lumpigen Cent hervorzaubern, geschweige denn aus deiner Nase, Mr. Wildpferdjäger. Wann hast du eigentlich deinen letzten Mustang eingefangen?«
»Davon verstehst du nichts, Mr. Benteen«, kam wieder die schleppende Stimme. »Man muss Geduld haben und darf die Wildpferde nicht vergrämen. Kürzlich erst habe ich einen Hengst gesehen – einen Hengst sage ich dir ...«
Die vier uniformierten Reiter waren vor dem Red Bull Inn angelangt und brachten die Pferde am Holm zum Stehen. Ihr Anführer, der auf den Ärmeln die drei Winkel eines Sergeanten trug, schob seine Kappe ins Genick und stützte sich mit beiden Händen auf das Sattelhorn, während er das Gesäß anhob. Sein kantiges Bullenbeißergesicht zeigte zwei rote Narben an der Wange und der Stirn.
»Was sehe ich?«, krächzte er mit heiserer Falsettstimme. »Der ehrenwerte Mr. Kaliko Mills und eine Flasche? Das kann eine ausschweifende Feier werden.«
»Der hat uns noch gefehlt!«, knurrte Kaliko Mills unter dem Hut hervor. »Du bist nicht eingeladen, Drei-Winkel-Soldat. Wir feiern im engsten Kreis – nur Jacco, ich und die Flasche.«
Sergeant Brian Sloan winkte seinen drei Begleitern zu. Sie alle waren den Rekrutenstiefeln längst entwachsen und gehörten offenbar zu den »Alten Knochen« der Armee. Ihre Galgenvogelgesichter wirkten nicht vertrauenerweckend. Aber das war bei dem Restkommando von Fort Cascade auch schwerlich zu erwarten. Handelte es sich doch bei Sergeant Sloans Truppe um die Auslese eines ganzen Regiments. Allerdings um eine Auslese im negativen Sinne.
Die vierzehn Mann, die er befehligte, hatten ausnahmslos bereits einige Monate im Bunker zugebracht, und die meisten waren dem Kriegsgericht nur knapp entkommen. Schlägerei, Trunkenheit im Dienst, Befehlsverweigerung und Entfernung von der Truppe, das waren die Delikte, die auf dem Konto dieser Burschen verzeichnet standen.
Sergeant Brian Sloan hatte selbst auch einige Sünden abzubüßen. Deshalb war er beim Abrücken der Truppe aus Fort Cascade zum Anführer dieses Restkommandos bestimmt worden, das in Wirklichkeit eine Strafeinheit darstellte. Brian Sloan nämlich pflegte es mit dem Dienstreglement nicht so genau zu nehmen. Er hatte sich längst sein eigenes System von Belohnung und Strafe zurechtgelegt, das mit dem der Armee in keinem einzigen Punkt übereinstimmte.