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Plötzlich vernahm David Brooker ein metallisches Klirren - und erstarrte. Vorsichtig schob er sich bis an den Rand der Felskante. "So kannst du bleiben, Mister! So kriegst du die volle Schrotladung!", schrie Hugh Nolan und hob die Flinte. Da knirschte es unter Davids Füßen. Der Felsabsatz geriet ins Rutschen. Unten in der Mulde donnerte der Schrotschuss. David Brooker hörte den heiseren Schrei seines Bruders und feuerte auf Hugh Nolan. Während sein eigener Sturz begann, sah er den Mann zusammenbrechen.
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Seitenzahl: 154
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
JAGD OHNE GNADE
Vorschau
Impressum
JAGD OHNE GNADE
Plötzlich vernahm David Brooker ein metallisches Klirren – und erstarrte. Vorsichtig schob er sich bis an den Rand der Felskante. »So kannst du bleiben, Mister! So kriegst du die volle Schrotladung!«, schrie Hugh Nolan und hob die Flinte.
Da knirschte es unter Davids Füßen. Der Felsabsatz geriet ins Rutschen. Unten in der Mulde donnerte der Schrotschuss. David Brooker hörte den heiseren Schrei seines Bruders und feuerte auf Hugh Nolan. Während sein eigener Sturz begann, sah er den Mann zusammenbrechen.
In der Warbow Station sah Patricia McKenzie die beiden Männer zuerst, die staubbedeckt wie Gespenster zwischen den Föhren und Espen den Hang herabgetaumelt kamen. Sie erstarrte einen Moment vor Schreck und lief dann zum Schuppen, wo ihr Vater damit beschäftigt war, zersplitterte Fenster durch neue zu ersetzen.
»Zwei Männer«, rief sie. »Sie kommen aus der Range und haben keine Pferde.«
Der Stationsagent griff nach dem Gewehr und hastete auf den Hof hinaus. Aus verkniffenen Augen sah er den Näherkommenden entgegen.
»Sie sehen aus, als ob sie halb verdurstet wären«, murmelte er nach einer Weile. »Und das Glitzern ihrer Kleidung verrät, dass sie durch die Salt Flats gekommen sind. Pumpe Wasser in den Trog, Patricia.«
Wortlos kam das Mädchen der Anweisung nach. Sie betätigte noch immer den Schwengel, als Deputy Marshal David Brooker und sein Gefangener Alan Brooker mit schleppenden Schritten auf dem Hof anlangten.
Die Lippen der beiden Männer waren ausgedörrt und aufgesprungen, ihre Gesichtshaut wirkte wie grobkörniger Schmirgel, und ihre Lider und Augen waren rot entzündet.
»Hallo«, krächzte Alan Brooker beim Anblick des Mädchens. Mehr als dieses eine Wort brachte er nicht hervor, und sein Grinsen wirkte wie eine teuflische Grimasse. Er stürzte zur Pumpe hin, hielt die gefesselten Hände unter den plätschernden Strahl, beugte den Kopf und trank mit der Gier eines Verdurstenden. David stand daneben und fischte den Hut, der seinem Bruder vom Kopf gefallen war, aus dem Trog.
»Mach Schluss«, sagte er rau. »Du wirst das viele Wasser auf einmal nicht vertragen.«
Alan schien wie von Sinnen. Anstatt auf die Stimme der Vernunft zu hören, warf er sich mit dem ganzen Oberkörper in den Trog, als Patricia McKenzie aufhörte zu pumpen und der Strahl versiegte. Der Deputy packte ihn beim Kragen seiner Jacke und riss ihn mit einem Ruck zurück, sodass Alan strauchelte und zu Boden stürzte.
»Das ist genug, habe ich gesagt«, stieß David Brooker gepresst hervor. »Es sind schon Männer gestorben, nur weil sie sich nicht beherrschen konnten.«
Alan stützte sich auf einen Ellenbogen und sah ihn von unten hasserfüllt an.
»Du bist ein Satan, Kleiner«, keuchte er. »Aber noch sind wir nicht in Cedar Bluffs, wo du den harten Revolvermarshal spielen kannst. Es gibt auf dieser Welt noch Menschen mit Anstand und Gerechtigkeitssinn, die nicht einfach zuschauen, wenn ein Gefangener von einem Folterknecht misshandelt wird.«
Der Deputy brauchte ein paar Sekunden, ehe er die niederträchtige Absicht hinter diesen Worten durchschaute. Neben ihm war Steve McKenzie mit seinem Gewehr aufgetaucht. Er schaute auf den staubigen, halbblinden Stern an David Brookers Hemdtasche und sagte:
»Der Mann hat recht, Marshal. Ich weiß nicht, weshalb Sie ihn in Handschellen hierhergeschleppt haben, aber ich werde nicht dulden, dass Sie ihn wie ein Stück Vieh behandeln. Sehen Sie denn nicht, dass er vollkommen erledigt ist?«
Gallig lachte Alan Brooker auf.
»Natürlich sieht er das, aber es macht ihm nicht das Geringste aus. Gestern hat er mich niedergeschlagen und verprügelt, nur weil ich einfach nicht mehr weiterkonnte.«
Um den Eindruck seiner Worte zu verstärken, deutete er auf die Schwellung an seinem Kinn, als er fortfuhr: »Er selbst hatte noch die ganze Flasche mit Wasser, aber mir hat er keinen Tropfen abgegeben. Verstehen Sie jetzt, warum er noch auf den Beinen ist und ich restlos fertig bin?«
Mit zwei langen Schritten war David Brooker bei ihm, packte ihn bei der Jacke und zerrte ihn vom Boden hoch.
»Du verdammter ...«, krächzte er, dann versagte ihm vor Zorn die Stimme. Am vergangenen Abend hatte er seinen Proviant und den restlichen Inhalt der Satteltasche mit Alan geteilt und ihn zwei Stunden schlafen lassen, während er selbst kein Auge zutat. Seine Erbitterung über die infame Lüge war also verständlich. Aber Alan blinzelte ihn an, und in seinen Mundwinkeln zeigte sich der Anflug eines höhnischen Grinsens.
»Mister«, sagte Steve McKenzie aufgebracht, »wenn Sie auch nur den geringsten Wert auf meine Gastfreundschaft legen, dann gewöhnen Sie sich auf dieser Station das Fluchen ab.«
David Brooker gab keine Antwort. Mit einer angewiderten Bewegung ließ er Alan los und trat neben den Trog. Aber Patricia McKenzie machte keine Anstalten, erneut zu pumpen, sondern hielt seinem Blick feindselig und unbewegt stand. Da beugte sich der Deputy hinab, schöpfte Wasser und trank aus den hohlen Händen.
»Mein Name ist David Brooker«, erklärte er formell und ein wenig steif, als er sich wieder aufgerichtet hatte. »Ich bin Deputy Marshal von Cedar Bluffs, und dieser Mann ist mein Gefangener. Ich wünsche, dass Sie sich von ihm zurückhalten.«
»Sicher«, ließ sich Alan vernehmen, »vielleicht gibt es hier einen Schweinekoben oder etwas Ähnliches, wo man mich einsperren könnte.«
David bemerkte, dass die Blicke des Mädchens an seinem Bruder hingen, und dass dabei ein schwärmerischer Ausdruck in ihre Augen trat. Auch Alan blieb das nicht verborgen. Er verzog das schmutzverschmierte Gesicht zu einem Lächeln und senkte dann in gutgespielter Betretenheit den Kopf.
Es gab viele Tricks und winzige Gesten, mit denen Alan das Wohlwollen einer Frau zu erringen wusste, und dieser hier war ganz auf die romantische Natur Patricia McKenzies abgestellt. Die Wirkung blieb denn auch nicht aus.
Sie trat von der Pumpe zurück und sagte: »Ist es vielleicht auch verboten, einen entkräfteten Mann mit Essen zu versorgen, Marshal?«
Der Deputy langte nach den Waffen.
»Ich werde dafür bezahlen, Miss«, gab er verschlossen zurück.
»Das habe ich nicht verlangt.«
»Aber ich werde es trotzdem tun.«
»Natürlich wird er das«, spottete Alan ganz offen. »Manche Leute fühlen sich in ihrem Stolz gekränkt, wenn sie etwas geschenkt annehmen sollen. Wussten Sie das noch nicht, Miss ...?«
»Ich heiße Patricia«, sagte das Mädchen leise.
»Und ich Alan – Alan Brooker. Sie werden es sicher nicht glauben, aber der da ist mein Bruder.«
Patricia McKenzies Augen weiteten sich wie bei einem Schock.
»Ihr – er ist wirklich Ihr Bruder?«
Alan zeigte ein melancholisches Lächeln.
»Ich sagte ja, dass Sie es nicht glauben würden. Fragen Sie ihn doch selbst, Patricia.«
Sie schüttelte wild den Kopf und streifte dann eine Strähne ihres kastanienfarbenen Haars zurück.
»Das kann ich mir sparen. Ich bin sicher, dass Sie mich nicht anlügen würden.«
Offenbar verursachte Steve McKenzie diese Unterhaltung wachsendes Unbehagen.
»Wenn Sie wirklich Brüder sind, Marshal«, wandte er sich an den Deputy, »ist es dann nötig, dass Sie ihn wie einen Kettensträfling gefesselt herumschleppen?«
»Überlassen Sie das mir«, entgegnete David Brooker hart. »Sobald die nächste Postkutsche kommt, werde ich Sie von unserer Gesellschaft befreien. Bis dahin sollten Sie mich mit überflüssigen Fragen verschonen. Ich bringe diesen Mann nach Cedar Bluffs vor Gericht, genügt Ihnen das?«
Der Stationsagent stützte sich auf die Mündung seines Gewehrs.
»Wenn ich ehrlich sein soll – nein«, entgegnete er in geduldigem, aber festem Ton. »Und wenn Sie an meiner Stelle wären, Marshal, dann würden Sie das begreifen. Schließlich möchte man gern wissen, wem man unter seinem Dach Gastfreundschaft gewährt. Die nächste Postkutsche kommt erst morgen hier durch – wenn sie kommt ...«
»Können Sie mir das etwas näher erklären, Mister?«
»Wir sind gestern Abend von Bronco-Apachen überfallen worden«, erläuterte der Alte. »Mein Stationshelfer Ben Thatcher wurde dabei getötet. Vielleicht haben Sie schon einmal den Namen Mata Maniota gehört. Er ist der Anführer einer Kriegshorde von Chiricahuas, die weiter im Süden einen Packtierzug angegriffen und die Maultiertreiber getötet haben. Hier bei uns haben sie sämtliche Pferde weggetrieben.«
David Brooker blickte zum Haus hinüber und schaute ein wenig skeptisch drein.
»Und sie haben nicht versucht, die Station niederzubrennen?«
»Der Allmächtige hat uns vor einem solchen Ende bewahrt«, sagte McKenzie. »Eine Kavallerie-Patrouille aus Fort Benson war hinter den Apachen her. Vielleicht wussten sie das und sind deshalb so rasch abgezogen.
Eine Stunde später waren die Soldaten schon da, etwa zwölf oder dreizehn Mann unter Führung eines Leutnants. Sie haben sich nicht lange aufgehalten, sondern sind der Horde gleich in die Warbow Range gefolgt.«
»Wenn das so ist, dann brauchen Sie sich keine Sorgen mehr zu machen, McKenzie«, mischte sich Alan ins Gespräch. »Heute Morgen, noch vor Anbruch der Dämmerung, haben wir auf der anderen Seite der Hügel ein ziemlich heftiges Gewehrfeuer gehört. Das werden die Blauröcke gewesen sein. Und wenn sie diese blutigen Heiden nicht aufgerieben haben, dann haben sie ihnen bestimmt die Furcht des Herrn beigebracht.«
Sicher war es kein Zufall, dass Alan solche Worte gebrauchte. Zweifellos hatte er auch Patricias Vater längst richtig eingeschätzt, und tatsächlich trug ihm seine Bemerkung ein anerkennendes Nicken des Alten ein.
»Sie sollten sich ein bisschen herrichten«, sagte der Stationsagent. »In der Zwischenzeit wird Patricia Ihnen etwas zu essen machen, damit Sie wieder zu Kräften kommen. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen auch Rasierzeug leihen.«
»Das wird mein lieber Bruder wohl kaum zulassen, fürchte ich«, antwortete Alan mit gramvoller Miene. »Sie müssen wissen, dass er mich des Mordes beschuldigt.«
Patricia McKenzie, schon im Fortgehen begriffen, wandte sich noch einmal um und sah ihn aus großen, fragenden Augen an.
»Haben Sie es getan, Alan?«
Der Gefangene lächelte melancholisch.
»Natürlich nicht, Pat. Ich befand mich in gewissen Schwierigkeiten, die ich jenem Burschen zu verdanken hatte, das gebe ich zu. Ich hätte ihn auch getötet, wenn es mir gelungen wäre, ihn zu einem fairen Kampf zu stellen. Aber dazu kam es nicht mehr. Während ich noch mit ihm redete, schoss ihn ein anderer in den Rücken.
Allerdings gab es dafür keine Zeugen, und weil ich meinen prächtigen Bruder kannte, bin ich mit jenem anderen, einem gewissen Hugh Nolan, geflohen.
Dave verfolgte uns, überrumpelte uns in der Nacht und schoss Nolan nieder. Ich bin jetzt nur noch seine Trophäe, die er nach Cedar Bluffs zurückbringen will, weil er hofft, auf diese Weise demnächst den Posten des Marshals zu bekommen.
So ist das, Patricia. Wenn ein Mann einmal richtig vom Ehrgeiz gepackt wird, dann kümmert es ihn nicht einmal mehr, ob er den eigenen Bruder unschuldig an den Strick liefert. Der Kleine will ganz einfach seine Unbestechlichkeit unter Beweis stellen. Dagegen hätte ich gar nichts einzuwenden. Aber nachdem er Hugh Nolan erschossen hat, habe ich keine Chance mehr, meine Unschuld zu beweisen. Selbst wenn ich die Wahrheit sage, wird jedermann in Cedar Bluffs glauben, dass ich mich nur reinwaschen will und deshalb alles auf einen Toten schiebe.«
Steve McKenzie räusperte sich, um das Spiel der Blicke zwischen Alan Brooker und seiner Tochter zu unterbrechen.
»Geh jetzt, Patricia!«, befahl er mit spröder Stimme. »Das sind Dinge, die uns nichts angehen.«
Dann ergriff er sein Gewehr und ging wieder in den Schuppen.
Geraume Zeit später betraten die beiden Männer den Wohnraum, ohne ein Wort miteinander gewechselt zu haben, und Patricia McKenzie trug das Essen auf. Ihre Miene ließ keinen Zweifel daran, dass ihre Sympathien auf Seiten des Gefangenen waren. David Brooker hätte versuchen können, ihr die Augen zu öffnen, aber er wusste, dass er der Zungenfertigkeit Alans nichts entgegenzusetzen hatte. Es war schon immer so gewesen, dass die Dinge in der Schilderung Alans ein anderes Gesicht bekamen, auch wenn er an der Wahrheit nur ganz unmerkliche Korrekturen vornahm.
Das beste Beispiel dafür bot sein knapper Bericht von dem Kampf am Rande der Gila Range. Er hatte sich in groben Zügen an die Tatsachen gehalten, und doch musste jeder, der nicht Zeuge gewesen war, den Eindruck gewinnen, dass er, David Brooker, Hugh Nolan kaltblütig niedergeschossen hatte, obwohl es in Wahrheit reine Notwehr gewesen war.
Welchen Sinn hatte es also, diese Darstellung zu bestreiten? Solange keiner von ihnen über Beweise verfügte, würde doch jeder Zuhörer das glauben, was er glauben wollte. Und in Patricias speziellem Fall gab es nicht den geringsten Zweifel, dass sie Alan im Geiste längst von jeder Schuld freigesprochen hatte.
Das Wesen dieses Mädchens war in seltsamer Weise aus Naivität und Neugier zusammengesetzt. In ihr vereinigten sich ein argloses Gemüt und ein ungewöhnlicher Lebenshunger mit der Sehnsucht nach Zärtlichkeit und Verständnis. Dies alles ließ sich leicht erklären, wenn man den verbitterten Charakter ihres frommen Vaters und das Leben in der Abgeschiedenheit dieser Station in Rechnung stellte. Aber leider schufen ihre Wesenszüge auch in fataler Weise die Voraussetzung, dass sie für Alan zu einem leichten Opfer wurde.
Nachdem sie den Tisch gedeckt und die Schüsseln aufgetragen hatte, verharrte sie noch einen Moment unschlüssig und sagte dann leise: »Wollen Sie Alan nicht wenigstens zum Essen die Handschellen abnehmen, Dave?«
Offenbar war jeder Frau eine instinktive Berechnung angeboren. David Brooker jedenfalls spürte, dass er den Gebrauch seines Vornamens durch das Mädchen nur solcher Berechnung zu verdanken hatte.
»Hören Sie, Patricia«, antwortete David mit belegter Stimme, »ich weiß, dass Sie mich nicht mögen, und durch die Ablehnung Ihres Wunsches mache ich mich bei Ihnen sicher nicht beliebter. Aber eines können Sie mir glauben, ich habe meine triftigen Gründe, Alan gefesselt zu lassen.«
»Wirklich?«, fragte das Mädchen starr.
»Ich will nicht auf meinen eigenen Bruder schießen müssen«, erwiderte der Deputy hart. »Und wenn ich ihm die Fesseln abnähme, würde mir das nicht erspart bleiben, wie ich Alan kenne.«
»Lassen Sie nur, Pat«, wehrte nun auch Alan mit schmerzlichem Lächeln ab. »Nicht einmal ein Engel könnte ihn bekehren. Es gibt Menschen, deren Selbstgerechtigkeit nur noch von ihrem Starrsinn und ihrer Unbelehrbarkeit übertroffen wird. Das ist der einzige Grund, weshalb er sich solche Dinge einredet, obwohl er genau weiß, dass ich nicht fähig wäre, dem eigenen Bruder auch nur ein Haar zu krümmen.«
Patricia McKenzies Augen verdunkelten sich. Sie schluckte.
»Dann werde ich Ihnen den Speck zerschneiden, damit Sie mit dem Löffel essen können«, entschied sie beherrscht und ließ ihren Worten gleich die Tat folgen.
David Brooker zwang sich, langsam und bedächtig zu essen, während ihm vor Erschöpfung und Übermüdung die Augen zuzufallen drohten. Nach einiger Zeit ging das Mädchen hinaus. Er wartete förmlich auf eine triumphierende Bemerkung seines Bruders, doch Alan blieb stumm, löffelte seine Bohnen mit Speck und schob gelegentlich große Brocken des frischen Weißbrots in den Mund, das Patricia reichlich aufgetischt hatte. Dass er dabei stets beide Hände bewegen musste, schien ihm nichts auszumachen.
Seine Wangen waren dunkel von Bartstoppeln und verliehen seinem verwegenen Gesicht ein noch wilderes, heruntergekommenes Aussehen.
Als Patricia wieder erschien, brachte sie ihren Vater mit. Der Deputy hatte zwei Zigaretten gedreht, angezündet und reichte die eine seinem Bruder hinüber. Alan rauchte in gierigen Zügen und lehnte sich auf der Bank zurück.
»Lieber Himmel«, murmelte er mit mattem Blinzeln, »es kommt mir so vor, als ob ich seit hundert Jahren nicht mehr geschlafen hätte. Sicher haben Sie einen bescheidenen Platz, wo ich mein müdes Haupt zur Ruhe betten kann, Patricia.«
Der grauhaarige Stationsagent nickte.
»Sie hat die Kammer von Ben Thatcher hergerichtet.«
»Und darin ein zweites Lager zurechtgemacht«, ergänzte das Mädchen in sarkastischem Ton. »Ich nehme an, dass Sie Ihren Gefangenen nicht einmal im Schlaf aus den Augen lassen wollen, Marshal.«
»Das ist richtig, Miss«, entgegnete der Deputy mit erzwungener Gelassenheit und zerdrückte seine Zigarette im Aschenbecher.
»Er tut damit nur seine Pflicht«, spottete Alan Brooker gallig. »Er wird also abwechselnd das linke und das rechte Auge schließen, damit ich ihm nur nicht durch die Lappen gehe.«
Die Spöttelei prallte wirkungslos an Davids unbewegter Miene ab.
»Komm jetzt«, stieß er rau hervor.
Die Kammer lag in einem Anbau am westlichen Ende des Hauses. Das Bett hatte ein weißlackiertes Metallgestell und stand unmittelbar unter dem Fenster. In der anderen Ecke hatte das Mädchen einen Strohsack auf den Boden gelegt und ein Kissen und zwei Wolldecken hinzugefügt.
David Brooker deponierte sein umfangreiches Waffenarsenal auf dem Wandbrett, behielt aber seinen eigenen Gurt mit den beiden 45er Smith & Wesson-Revolvern umgeschnallt. Mit einer knappen Bewegung deutete er auf das Bett.
»Da kannst du schlafen.«
Grinsend zog Alan die Brauen in die Höhe.
»Direkt am Fenster? Ist das nicht zu gefährlich, Kleiner? Ich könnte schließlich ...«
»Du kannst gar nichts«, fiel ihm der Deputy schroff ins Wort. Er zog sich bis zu seinem Lager zurück, griff in die Tasche und warf dem anderen dann einen kleinen Schlüssel zu. »Du kannst dir aussuchen, mit welcher Hand du dich am Bettgestell anschließen willst. Wenn ich mich recht erinnere, dann schläfst du am liebsten auf dem Bauch.«
»Dass dir doch auch immer gleich eine Lösung einfällt«, murmelte Alan grinsend und schüttelte den Kopf. »Aber vorsichtshalber bleibst du doch außer Reichweite, wie?«
David erwiderte: »Einem naiven Mädchen wie Patricia kannst du ruhig erzählen, dass du mir nie ein Haar krümmen würdest. Ich weiß es besser, seitdem du auf mich geschossen hast, und deshalb verlasse ich mich lieber auf meine Wachsamkeit. Vorwärts, zieh die Jacke und die Stiefel aus!«
Der Gefangene langte nach dem flachen Schlüssel, schob ihn mit einigen Verrenkungen der Handgelenke ins Schloss und öffnete die Fessel. Als die stählerne Acht neben ihm auf dem Bett lag, sah er seinen Bruder mit einem scharfen Grinsen an.
»Ich frage mich, was du tun würdest, wenn ich das verdammte Ding nicht mehr anlege, Kleiner.«
»Versuche es, dann wirst du es erleben«, entgegnete der Deputy hart. »Aber du kannst jede Wette eingehen, dass ich mich von dir nicht aufs Kreuz legen lasse, Bruder.«
Ein paar Sekunden hielt die Spannung an, dann stieß Alan einen langgezogenen Seufzer aus.
»Ganz so närrisch, wie du mich einschätzt, bin ich nun doch nicht«, murmelte er, während er die Stiefel von den Füßen zerrte und sich seiner Jacke entledigte. »Du hasst mich, und aus Hass haben schon Männer die größten Verrücktheiten angestellt. Meine Chance wird schon noch kommen, und dann werde ich dir nicht waffenlos gegenübersitzen, während du zwei Schießeisen an der Hüfte trägst. Verlass dich darauf, Bruderherz, irgendwann kommt es auch noch anders, und dann wird sich schon herausstellen, wer von uns der Härtere ist.«
David Brooker ging nicht auf die Herausforderung ein.
»Den Schlüssel«, forderte er. »Wirf mir den Schlüssel herüber. Und dann leg dich endlich hin und such dir eins von deinen Handgelenken aus.«
Der Schlüssel flog auf den Strohsack am Boden. Alan streckte sich mit einem wohligen Seufzer auf das Bett und bewegte die Zehen.
»Ich nehme das linke«, entschied er. Als ob er sich mit seinem Schicksal abgefunden hätte, drückte er die Fessel um sein linkes Handgelenk und ließ sie schnappend einrasten. Zwei rasche Schritte brachten seinen Bruder an das Kopfende des Bettes. Er fasste das freie Ende der Fessel, zog Alans Hand nach oben und schloss die zweite Schelle um das Rohr des eisernen Bettgestells.