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Dichte graue Nebelschwaden ballten sich über dem Tal, als plötzlich Schüsse die Stille zerrissen. "Los!", stieß der wilde Sheridan mit zusammengepressten Zähnen hervor und legte seinem Grauschimmel die Schenkel an. Orangefarben stachen die Mündungsfeuer durch die Nacht. Einer der Reiter kippte aus dem Sattel. Der Bandit bei der Wertsachenkiste richtete sich jäh auf und fiel auf das Gesicht. Matt Sheridan hatte auf harte Art den Kampf entschieden. "Eine Kutsche ohne Passagiere", sagte er. "Ich weiß schon jetzt, was die Kiste enthält ..."
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Seitenzahl: 141
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Der wilde Sheridan
Vorschau
Impressum
Der wilde Sheridan
Dichte graue Nebelschwaden ballten sich über dem Tal, als plötzlich Schüsse die Stille zerrissen. »Los!«, stieß der wilde Sheridan mit zusammengepressten Zähnen hervor und legte seinem Grauschimmel die Schenkel an.
Orangefarben stachen die Mündungsfeuer durch die Nacht. Einer der Reiter kippte aus dem Sattel. Der Bandit bei der Wertsachenkiste richtete sich jäh auf und fiel auf das Gesicht. Matt Sheridan hatte auf harte Art den Kampf entschieden. »Eine Kutsche ohne Passagiere«, sagte er. »Ich weiß schon jetzt, was die Kiste enthält ...«
Ringo Shore gehörte zu jener Sorte wilder Burschen, die ihre Kräfte und Fähigkeiten selbst weit höher einschätzten als ihre Umwelt. Dabei war er im Grunde noch ein Junge – eben erst zwanzig, mager wie ein Bergwolf nach einem langen Winter und voll von verrückten Vorstellungen über jene Dinge, die ihm das Leben noch schuldete.
Seine Familie stammte aus den Tälern der Ozarks in Missouri und hatte den Fehler begangen, sich zu deutlich als Anhänger der Sklaverei zu bekennen. Während der Wirren des Bürgerkriegs war sie fast ausgerottet worden.
Ringo Shore wuchs auf wie ein herrenloser, streunender Hund – hier und da von einer mitleidigen Seele gefüttert, dann wieder verstoßen und mit einem Tritt davongejagt. Mit sechzehn hatte er sich einem Wagentreck in den Westen angeschlossen und beim Durchqueren der Indian Nations zwei Kiowas erschossen. Von diesem Augenblick an fühlte er sich als vollwertiger Mann.
Die folgenden Jahre hatten seine Hoffnungen nicht ganz erfüllt. Er schlug sich geraume Zeit als Laufbursche und Stalljunge durch, bis er auf einer Ranch im Norden von Arizona einen Job als Pferdebursche bekam. Irgendwann war ihm dann der Sprung zum Weidereiter gelungen. Fortan konnte nichts mehr seine Überzeugung erschüttern, dass er zu Großem berufen war, ein junger Held und Ritter der Weide.
Nach drei weiteren Jahren nahm er die Gelegenheit wahr, mit einem Rudel hartgesottener Trailmen zweihundert Rinder hinauf nach Nevada zu treiben. Er besaß ein Pferd, einen McClellan-Sattel und zweihundert Dollar in bar. Und vor allem natürlich einen glitzernden 45er Nickelrevolver.
Es störte ihn nicht, dass in der Herde mehr Brandzeichen zu finden waren, als in den Herdenpapieren verzeichnet standen. Diese kleinen Schönheitsfehler hatte nicht er, sondern der Trailboss zu verantworten.
Für Ringo Shore war der Ritt nach Norden nichts weiter als der Aufbruch zum großen Abenteuer. Virginia City war das Ziel – jene Stadt, in der die sagenhafte Comstock-Ader entdeckt worden war, wo der Dollar rollte und wo man den Teufel tanzen lassen konnte.
An dem Abend, an dem der Trailboss zur Stadt vorausritt, um den Verkauf der Herde perfekt zu machen, hatten sie das Ende des Treibens gefeiert.
Der Katzenjammer für Ringo Shore folgte am nächsten Morgen. Als er mit brummendem Schädel aufwachte, war von dem Herdencamp nichts weiter als die erkaltete Asche des Feuers übrig. Seine Partner samt ihrem Gepäck und ihren Pferden hatten sich scheinbar in Luft aufgelöst. Dafür war eine fremde Mannschaft dabei, die Rinder auszurichten und in Marsch zu setzen.
Trotz des Katers war Ringo Shore wie der Blitz aus den Decken und sattelte seinen Gaul, der zwischen den Büschen graste. Seine Aufregung, soweit es die Herde betraf, erwies sich jedoch als überflüssig. Die fremde Mannschaft arbeitete im Dienste des Viehaufkäufers, der die Rinder ordnungsgemäß erworben hatte.
Der Trailboss und seine hartgesottenen Kumpane waren auf und davon, um Lohn und Prämie ihres jüngsten Partners zu sparen. Die Flasche Brandy, die sie ihm am Vorabend eingeflößt hatten, war für sie eine gute Kapitalanlage gewesen.
Ringo Shore brachte den Rest des Tages damit zu, das gesamte Goldgräbercamp nach den Betrügern zu durchkämmen. Seine Mühe blieb vergebens. Er kochte vor Zorn und Erbitterung, als er gegen Abend im Black Jack landete. Noch hatte der Betrieb in der Spielhölle gar nicht richtig begonnen.
Nachdem der Junge an der Theke mit dem Freiimbiss ein Sandwich genommen und sich an der langen Bar einen Drink bestellt hatte, schlenderte er zu den Spieltischen hinüber.
Einer der Kartenhaie nahm eben erst den Wachstuchschoner von seinem grünbezogenen Tisch und machte zwinkernd eine einladende Bewegung.
Das herablassende Grinsen des Mannes war Ringo Shore in tiefster Seele zuwider. Er hatte das Empfinden, dass er hier nicht für voll genommen wurde, und starrte auf den Stapel versiegelter Kartenpäckchen. Dann saß er auch schon auf einem Stuhl, nickte dem olivenhäutigen Spieler zu und leerte sein Glas.
Den Mann wollte er sehen, dem es gelang, ihm das Fell über die Ohren zu ziehen. Hier würde er sein Kapital vervielfachen und doppelt und dreifach hereinholen, worum man ihn am Morgen betrogen hatte.
Als eine halbe Stunde später die Musik einsetzte, nahm Ringo Shore das kaum noch wahr. Er hatte bereits achtzig Dollar gewonnen, war von dem Spiel fasziniert und konnte nicht aufhören.
Neue Teilnehmer kauften sich in die Runde ein. Auch an den anderen Tischen begann das Spiel. Der Stimmenlärm im Raum verstärkte sich, und unter der Decke wogte bereits blauer Qualm. Wenn die Musik eine Pause einlegte, hörte man das Schnarren des großen Cheeriorades und das beinerne Klappern der Roulettekugeln.
Am Abend wachte Virginia City erst richtig auf. Das Geschäft der Bankhalter und Barkeeper kam in Schwung, und auch der Weizen jener Flitterladys, die sich ungeniert als Gesellschafterinnen oder Glücksbringer anboten, begann zu blühen.
Ringo Shore hätte einen Glücksbringer gut gebrauchen können. Dreimal hatte er einen gewonnenen Pokertopf mit einem Drink gefeiert. Nun gab es keinen Grund mehr zum Feiern. Mit einem einzigen Schlag, gerade als er sich besonders sicher fühlte, geriet er in Verlust. Es war schon ein ausgemachtes Pech, wenn man mit einer hohen Full Hand von vier lächerlichen Siebenen geschlagen wurde.
Verbissen ging er daran, diesen Schlag wieder wettzumachen. Was dabei herauskam, waren weitere Verluste. Das Spiel entwickelte sich zu einem Duell zwischen ihm und dem Kartenhai, dessen Miene zu glatt und dessen Finger zu geschickt waren.
Der Junge passte auf wie ein Schießhund. Der Spieler lächelte.
Eine Stunde später war Ringo Shore in Schweiß gebadet und besaß noch ganze achtzehn Dollar. Der Rest seines Geldes lag im Topf.
Nur er und der Kartenhai waren noch im Spiel.
»Zwei«, stieß Ringo Shore gepresst hervor und schob seine abgelegten Karten zur Seite.
Der Spieler teilte aus.
»Ich eine«, sagte er lässig.
Ringo Shore deckte auf.
»Zwei Paare.«
Der Gegner folgte seinem Beispiel. Nacheinander legte er um – zwei Zehnen, ein As, eine Neun. Dann zog er seine fünfte Karte und schob eine weitere Zehn dazu. Langsam öffneten sich seine Lippen zu einem bedauernden Lächeln.
»Tut mir leid, Freund. Zwei Paare sind nicht gut genug, wenn ich ...«
Er brach ab, als er Ringo Shore anblickte. Das Gesicht des Jungen hatte sich verzerrt.
»Nein«, keuchte er, »nicht bei mir, Mister! Wo ich pokern gelernt habe, wurden alle Karten von oben gezogen – alle, verstehen Sie?«
Die Hände des Spielers erstarrten ebenso wie seine Miene. Plötzlich vollführte er mit der Rechten eine schlenkernde Bewegung.
Ein Mann, der an der Seite des Tisches saß, warf sich zurück und krachte mit seinem Stuhl zu Boden.
Einen Sekundenbruchteil später donnerte Ringo Shores Nickelrevolver. Der verzerrte Ausdruck des Spielers zerfloss in Fassungslosigkeit. In seinem plissierten Hemd, genau in der Mitte zwischen zwei Perlmuttknöpfen, zeigte sich ein hässliches dunkles Loch, dessen Umgebung sich rot färbte.
Aus dem Rockärmel des Bankhalters polterte eine kleine, doppelläufige Derringerpistole auf den Spieltisch. Dann kippte der Kartenhai verkrümmt zur Seite.
Die Musik war ebenso verstummt wie das Schnarren des Cheerios und der Stimmenlärm. Für einen Augenblick wurde es in der Spielhölle still.
Schließlich ertönte irgendwo ein Fluch, und zwei der Tanzgirls begannen beim Anblick des Toten hysterisch zu kreischen.
Mit gehetzten Blicken schaute sich Ringo Shore um.
»Er wollte mich betrügen!«, rief er schnell. »Er hat sich selbst eine Karte von unten gegeben. Jeder Cent auf diesem Tisch gehört mir. Ich habe in Notwehr geschossen.«
Der Junge raffte das Geld an sich und stopfte die Scheine und Münzen mit raschen Griffen in sein Hemd.
Plötzlich waren drei Burschen da. Sie schoben sich von verschiedenen Seiten heran, und ihr Aussehen ließ keinen Zweifel daran, welches ihre Aufgabe hier im Black Jack war.
»Lass das Ding fallen, Junge!«, stieß einer von ihnen scharf hervor. »Weg mit der Kanone, sonst wird es bitter!«
In Ringo Shores Kehle stieg unaufhaltsam ein Schluchzen empor. Seine Hand krampfte sich um den Griff des Nickelrevolvers. Er begriff, dass er keine Zeit mehr finden würde, um die Waffe herumzureißen, aber in diesem Zustand war ihm jede Verzweiflungstat zuzutrauen.
In diesem Moment fiel sein Blick auf einen großen, dunkelhaarigen Mann, der ein paar Schritte von dem grünbezogenen Spieltisch entfernt stand und sich nicht vom Fleck bewegt hatte. Für die Dauer eines Herzschlags sah er ein Paar rauchgraue, durchdringende Augen auf sich gerichtet, dann bemerkte er das leichte Kopfschütteln und hörte eine gelassene Stimme:
»Lasst ihn zufrieden. Dieser olivenhäutige Kartenhai war nicht geschickt genug, um ein guter Betrüger zu sein.«
Nun sah ihn einer der drei Burschen an. Seine Augen weiteten sich, seine Kinnlade klappte herab, und aus seiner Kehle kam ein ersticktes Krächzen.
»Verdammt«, knurrte einer seiner Partner, »mischen Sie sich nicht ein, Mister! Das hier ist eine Sache, die nur uns angeht.«
Und in drohendem Tonfall setzte er hinzu: »Oder wollen Sie etwa behaupten, dass Sie etwas von einem Betrug gesehen hätten?«
Der große, dunkelhaarige Fremde verzog die Lippen.
»Davon habe ich nichts bemerkt«, sagte er knapp. »Aber ich sehe das Blatt dieses Burschen noch jetzt auf dem Tisch liegen. Nur ein Narr würde sich damit begnügen, eine einzige neue Karte zu kaufen, wenn er nichts weiter als ein Paar in der Hand hält. – Genügt Ihnen das, Freund?«
Sein Gegner stieß einen Fluch aus und war drauf und dran, seinen Revolver auf den großen Fremden zu richten. Ein Zuruf seines Partners hielt ihn zurück.
»Hör auf damit, du Idiot! Oder bist du lebensmüde?«
Der Mann zögerte. Noch hielt er den Lauf seiner Waffe von der Seite her auf Ringo Shore gerichtet. Aus den Augenwinkeln musterte er den Fremden in der verschossenen Buschjacke, seinen verbeulten, ausgebleichten Stetson mit dem schlampigen Texas-Kniff, seine kräftigen, locker herabhängenden Hände und die beiden schweren 44er Navy-Colts in den tiefgeschnallten Kreuzhalftern. Es gab keinen Zweifel, dass er es mit einem besonders harten Brocken zu tun hatte.
Am meisten aber beeindruckte ihn der kühle, durchdringende Blick der hellen grauen Augen, die zu dem wettergegerbten, lederhäutigen Gesicht einen starken Kontrast bildeten. Doch das alles genügte nicht, um die Reaktion seines Partners zu erklären. So schob der Bursche sein kantiges Kinn vor und schnaufte:
»Den Pilger will ich erst mal sehen, der mich noch schlagen kann, wenn ich schon das Schießeisen in der Hand ...«
»Mister«, unterbrach ihn der Fremde mit klirrender Stimme, »an Ihrer Stelle würde ich jetzt keinen Fehler begehen.«
Die Warnung war noch nicht verklungen, als ihr auch schon das Keuchen des zweiten Burschen folgte:
»Begreifst du noch immer nicht, Stan? Das ist Sheridan. Das ist Matt Sheridan!«
Der mit Stan angeredete Mann wurde blass, senkte den Colt und starrte seinen Partner ungläubig an.
Von dem dritten Kerl war ein langgezogener Seufzer zu hören. Zugleich lief ein Raunen und Murmeln durch den Raum.
Ringo Shore nahm alles auf, als sei er gar nicht mehr davon betroffen. Er konnte den Blick nicht von dem Fremden losreißen. Erst die knappe Aufforderung des »wilden Sheridan« weckte ihn aus seiner Versunkenheit.
»Es wäre besser, wenn wir jetzt gingen, Junge.«
Vor ihnen öffnete sich ein freier Raum bis zur Tür des Etablissements. Ein fauchender Windstoß von draußen versetzte die Pendeltür in Schwingungen.
Ringo Shore stolperte vorwärts und presste mit der Linken das Geld unter seinem Hemd fest an den Leib. Er wollte sich umwenden, um die Gegner nicht aus den Augen zu lassen. Aber Matt Sheridan schien von solchen dramatischen Rückzügen nichts zu halten. Mit den etwas ungelenken Schritten eines sattelgewohnten Mannes ging er zur Tür, öffnete einen Flügel und ließ dem Jungen den Vortritt. Seine Blicke überflogen noch einmal den Raum. Eine Sekunde später stand er neben Ringo Shore auf dem Vorbau und fragte knapp:
»Hast du ein Pferd, Junge?«
Ringo nickte verkrampft und deutete auf den Braunen, der inmitten einer Reihe anderer Pferde am Holm stand.
»Dann los«, sagte der wilde Sheridan. »In den nächsten Tagen wird dir das Klima von Virginia City bestimmt nicht bekommen.«
Nach einer kleinen Pause setzte er kopfschüttelnd hinzu: »Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass ich schon so bald weiterreiten würde.«
Der Junge hastete zu seinem Braunen, löste die verschlungenen Zügel und drängte das Tier aus der schmalen Lücke auf die Straße, wo er rasch in den Sattel sprang.
»Und Sie, Sir?«, krächzte er, als Matt Sheridan zu Fuß neben ihm auftauchte.
Der große Mann lächelte verkniffen, wandte den Kopf zur Seite und sagte:
»Diablo, komm her, du Satansbraten.«
Der riesenhafte, zottige Wallach stand an der Ecke. Fast sah es aus, als ob der hässliche Grauschimmel schliefe. Sein knochiger Schädel zeigte einen stupiden Ausdruck, und die zurückgelegten Ohren ließen auf Tücke und Bosheit schließen. Im selben Moment, da Sheridans Stimme erklang, ging mit dem Wallach eine erstaunliche Veränderung vor sich. Sein Kopf fuhr in die Höhe, sein Körper schien sich zusammenzuziehen, und seine Ohren richteten sich steil auf.
Erst jetzt stellte sich heraus, dass er gar nicht angebunden war. Mit einer Geschmeidigkeit, die man dem mächtigen Grauschimmel nicht zugetraut hätte, fuhr er herum und kam angetrottet.
Was dann geschah, schien schon oftmals geprobt worden zu sein. Matt Sheridan hob den linken Fuß und reckte den linken Arm zur Seite. Mit schlafwandlerischer Sicherheit traf er den Steigbügel und packte mit der Linken das Sattelhorn. Diablo hatte nicht eine Sekunde angehalten. Sobald er die Berührung spürte, drehte er sich in den Schwung des Reiters hinein.
Plötzlich saß Matt Sheridan im Sattel, ohne dass man genau hätte erkennen können, wie er so rasch und mühelos hinaufgelangt war. Der Grauschimmel trottete weiter wie ein riesenhafter Wolf.
Erst als Ringo Shore seinen Braunen antreiben musste, wurde ihm klar, wie raumgreifend dieser scheinbar holprige Trott des Wallachs war.
Sie waren bereits bis zur nächsten Ecke gelangt, ehe aus der Tür des Black Jack die ersten Menschen auf den Vorbau quollen. Gelassen ritt Matt Sheridan weiter und schlug die östliche Richtung ein. Der Lärm des Vergnügungsviertels blieb zurück.
✰✰✰
Nach einem Camp an der Nordspitze des Walker Lakes stießen sie am Abend des darauffolgenden Tages auf den Wagentrail und passierten in der Dunkelheit die Pferdewechselstation der Postlinie, eine kleine Ranch, die in einer waldigen Bucht am Fuße eines steilen Hangs lag. Gegen Mitternacht befanden sie sich tief im Bergland.
Der Wagentrail wand sich an einem schäumenden Bach entlang durch den Talgrund, manchmal eingeengt durch verfilzten Buschwald. Sie befanden sich unmittelbar vor einer Bergschulter, als sie die Schüsse hörten.
Der Widerhall wurde von den Hängen zurückgeworfen und machte es fast unmöglich, die genaue Anzahl der Schüsse festzustellen. Nach Matt Sheridans Schätzung mussten es mindestens ein Dutzend sein, und einmal war das dumpfere Krachen einer Schrotflinte deutlich herauszuhören. Sheridan dachte sofort an einen Überfall auf die Postkutsche.
»Los!«, stieß er mit zusammengepressten Zähnen hervor und legte seinem Grauschimmel die Schenkel an.
Was dem zottigen Wallach an unermüdlicher Zähigkeit zuzutrauen war, hatte Ringo Shore bereits erfahren. Obwohl beide Pferde dieselbe Strecke zurückgelegt hatten, befand sich sein Brauner im Vergleich zu Diablo in einem bedauernswerten Zustand. Nun erhielt er auch eine Vorstellung von der Spurtkraft des scheinbar so plumpen Grauschimmels.
Als er selbst sein Pferd unter Zuhilfenahme der Sporen in Galopp setzte, hatte Matt Sheridan bereits dreißig Yards Vorsprung gewonnen, umrundete die Bergflanke und gelangte dort in das milchige Dämmerlicht des Mondes. In wilder Verbissenheit trieb auch Ringo Shore seinen stolpernden Braunen an. Dann sah er die Szene vor sich.
Der Bergbach rauschte hier in einem von Felsblöcken übersäten Bett unmittelbar neben der Poststraße, während sich auf der anderen Seite dunkler Nadelwald mit spärlichem Unterholz bis an die scharfe Kehre des Wagentrails erstreckte. Diese enge Kurve war die ideale Stelle für einen Überfall, weil die Postkutsche hier ihr Tempo vermindern musste.
Die Concord-Kutsche war mit dem rechten Vorderrad von der Straße abgekommen und neigte sich so schräg über das Bachbett, als ob sie jeden Moment auf die Seite kippen wollte. Das Sechsergespann war zum Stehen gekommen und drängte unruhig von der steilen Kante weg.
Auf dem Bock hing eine zusammengesunkene Gestalt. Ein weiterer Mann lag neben dem linken Stangenpferd am Boden. Ein maskierter Reiter hatte eben einen reiterlosen Gaul eingefangen, der mit wild pendelnden Bügeln das Weite suchen wollte.
Ein zweiter Mann kniete auf der Straße neben der eisenbeschlagenen Wertsachenkiste und sprengte das Schloss mit zwei Schüssen aus seinem Colt.
Ein dritter Bandit wartete unter den Bäumen und hielt schussbereit ein Gewehr vor sich über dem Sattel. Er war es auch, der als erster den heranjagenden Matt Sheridan erkannte und einen Warnruf ausstieß. Einen Sekundenbruchteil später hatte er schon das Gewehr an die Schulter gerissen und feuerte.
Ringo Shore packte ein panischer Schreck, als er den Sattel des Grauschimmels plötzlich leer sah. Er stieß einen wilden Schrei aus und schoss mit seinem Nickelrevolver. Eines der Postpferde wieherte und bäumte sich auf, sodass die Kutsche bedenklich schwankte. Auch der Bandit auf der Straße eröffnete das Feuer.