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Als Clyde Harris den Maskierten zwischen den Chaparral-Büschen entdeckt, ist seine Flucht vor dem Gesetz zu Ende. Man hält Clyde für einen Revolvermann, und er ist nur zu gern bereit, die ihm aufgezwungene Rolle zu spielen. Als "Slade Sterling" gerät er in einen Weidekrieg, in dem die Gegner vor keiner Gemeinheit zurückschrecken. Wird Clyde Harris sich jemals wieder aus diesem Lügennetz befreien können?
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Seitenzahl: 154
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Wispernde Schatten
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Impressum
Wispernde Schatten
Als Clyde Harris den Maskierten zwischen den Chaparral-Büschen entdeckt, ist seine Flucht vor dem Gesetz zu Ende. Man hält Clyde für einen Revolvermann, und er ist nur zu gern bereit, die ihm aufgezwungene Rolle zu spielen.
Als »Slade Sterling« gerät er in einen Weidekrieg, in dem die Gegner vor keiner Gemeinheit zurückschrecken. Wird Clyde Harris sich jemals wieder aus diesem Lügennetz befreien können?
Der Fahrer fluchte unterdrückt, als er seine Doppelgespanne zur Tränke ans Ufer führte und die beiden Stangenpferde so ungeduldig nachdrängten, dass er selbst ins Wasser tappte. Clyde Harris trat hinzu, um dem Alten zu helfen. Im selben Moment sah er zwischen den Chaparral-Büschen einen Maskierten auftauchen. Instinktiv fuhren seine Hände zu den beiden 38er Colts, als die schrille, kichernde Stimme des Maskierten erklang:
»Das würde ich an Ihrer Stelle nicht tun, Sterling! Wirklich, es ginge mir gegen den Strich, in Gegenwart von Ladies eine Schießerei anzufangen. Los, stecken Sie die Hände in die Jackentaschen!«
Langsam spreizte Clyde Harris die Hände vom Körper ab. Es hatte keinen Zweck, den Helden zu spielen, wenn man auf weniger als fünfzehn Schritt Distanz in eine Revolvermündung schaute.
»Schon gut, Mister«, sagte er. »Lassen Sie sich bei Ihrem Hold-up nur nicht nervös machen. Ich fürchte, Ihre Mühe wird sich ohnehin nicht lohnen.«
Der Bursche mit dem Halstuch vor dem Gesicht trat nun zwischen dem Gestrüpp hervor.
»Das lassen Sie nur unsere Sorge sein, Sterling«, knurrte er und hielt einen Revolver genau auf Clyde Harris' Gürtelschnalle gerichtet. »Auch wenn Sie sich noch so friedfertig zeigen, wir bleiben wachsam. Der Trick, mit dem wir reinzulegen wären, ist noch nicht erfunden.«
Noch während er sprach, war hinter der Kutsche zwischen den Cottonwoods ein weiterer Bandit aufgetaucht, dessen untere Gesichtshälfte ebenfalls von einem Halstuch verdeckt war. Er stieß einen schrillen Pfiff aus und sagte dann krächzend:
»Nur keine Aufregung, Leute! Das hier ist bloß ein Empfangskomitee für den ehrenwerten Mr. Slade Sterling. Niemandem wird etwas geschehen, wenn ihr euch ruhig verhaltet.«
Die beiden Frauen hielten einen Jungen zwischen sich, der die Szene aus großen Augen verfolgte, und drängten zum Schlag der Kutsche. Auf dem Weg näherte sich ein Reiter, der drei ledige Pferde an langen Zügeln hinter sich herzog.
»Das wäre es also«, ließ sich erneut der zweite Bandit vernehmen. »Schnallen Sie vorsichtshalber ab, Sterling, ehe Sie zu den Gäulen gehen. Wir haben an alles gedacht und Ihnen ein hübsches Pferdchen mitgebracht. Es macht Ihnen hoffentlich nichts aus, die Reise im Sattel fortzusetzen?«
Clyde Harris räusperte sich und versuchte Ordnung in das Chaos seiner Gedanken zu bringen.
»Nein«, erwiderte er mit belegter Stimme, »absolut nicht. Vorausgesetzt natürlich, Sie können mir verzeihen, dass ich gar nicht Sterling heiße.«
Eine Sekunde lang stutzte der Maskierte und wechselte einen Blick mit seinem Kumpan. Dann fragte er:
»Und wie heißen Sie dann, Mister?«
»Ich«, sagte Clyde Harris. »Ich heiße ...« Er brach ab. Um ein Haar wäre ihm sein wirklicher Name über seine Lippen gekommen.
»Sehen Sie, Sterling, so ist das«, erwiderte nun wieder der erste Bandit. »Es gibt tausend Namen, aber wenn man plötzlich einen braucht, dann fällt einem keiner ein. Wie gefällt Ihnen Tom Jones? Oder Bill Smith?« Seine Stimme veränderte sich, als er fortfuhr: »Aber jetzt ist Schluss mit dem Gerede. Lassen Sie Ihre Kanonen fallen, Sterling!«
Mit einem scharfen Atemzug griff Harris zur Schnalle. Seine Halfter rutschten herab und klatschten in den Staub.
»Na also«, schnaufte der Bandit bei der Kutsche. »Es geht alles, wenn man nur die richtigen Mittel anwendet.«
Da sein Partner es nun mit einem waffenlosen Mann zu tun hatte, setzte er sich bereits in Bewegung und zog sich in den Sattel. Der Bursche mit der schrillen Stimme näherte sich Clyde Harris und stieß ihm die Mündung seiner Waffe in den Rücken.
»Los!«, zischte er. »Gehen wir!«
Ohne Widerstand begab sich Harris zu den Pferden. Dabei suchte er rastlos nach einer Lösung seines Problems. Es war zum Verrücktwerden. Dreißig Meilen vor der Grenze musste er noch in eine solche Lage geraten. Harris fühlte sich in die Enge getrieben. Und damit wuchs sein Zorn. Wenn aber in Clyde Harris der Zorn aufwallte, dann wurde er gefährlich.
Er hatte den Fuß bereits erhoben, um ihn in den Bügel zu schieben. Alles sah ganz harmlos aus. Doch nur eine Sekunde später verwandelte sich Clyde Harris in einen Tornado. Er warf sich zur Seite und wirbelte herum. Ehe sein Bewacher noch erfasst hatte, was hier geschah, krachte bereits eine Faust auf jene Stelle, wo sich unter dem Halstuch die Nase abzeichnete. Zugleich wurde ihm von der Seite her der Colt aus der Hand gerissen.
Der Bursche taumelte zurück und stieß ein Krächzen aus. Einer der beiden Kerle feuerte, nachdem das Pferd nervös zur Seite gewichen war. Vor Clyde Harris' Stiefeln peitschte die Kugel in den sandigen Boden und wirbelte eine Staubfontäne auf. Einen Sekundenbruchteil später schoss auch Harris mit dem Revolver, den er seinem Bewacher entrissen hatte.
Der Bandit stieß einen Schrei aus und zerrte am Zügel, als er sich im Sattel zur Seite warf. Das Pferd fuhr auf der Hinterhand herum und galoppierte davon. Mit einem wilden Fluch jagte sein Kumpan hinterher, und die beiden ledigen Pferde wurden mitgerissen. Schon nach wenigen Augenblicken verschwanden sie hinter der nächsten Buschecke.
Als der Hufschlag verklungen war, drehte Harris den entwaffneten Burschen an der Schulter herum und zerrte ihm das Halstuch herunter. Ein schmales Gesicht kam zum Vorschein, das nun in einem verkrampften Grinsen erstarrte.
»Sie werden doch wohl einen Spaß vertragen, Sterling«, stieß der Bandit krächzend hervor. »Wirklich, es sollte doch nur ein Scherz sein ...«
»Yeah«, gab Harris mit schmalen Augen zurück, »so habe ich es auch aufgefasst. Und weil Vergnügungssucht mein schlimmstes Laster ist, werden wir den Spaß jetzt noch ein bisschen fortsetzen.«
Mit einer schnellen Bewegung aus dem Handgelenk schleuderte er den Colt achtlos in die Büsche. Im nächsten Moment traf den Banditen eine Linke am Kinnwinkel und warf ihn zu Boden.
Die Fäuste vor der Brust angewinkelt, baute sich Clyde Harris über seinem Opfer auf.
»Los, mein Junge!«, knirschte er. »Komm nur hoch! Das war noch nichts. Das war noch gar nichts. Nun kannst du zeigen, ob du auch ohne dein Schießeisen einen Spaß verstehst.«
Benommen starrte der Bandit zu ihm hoch. In seiner Miene spiegelten sich seine widerstreitenden Empfindungen. Dann trat er plötzlich mit aller Kraft zu und traf das Knie seines Gegners. Clyde Harris wurde von dem Tritt aus dem Gleichgewicht gebracht und strauchelte. Blitzschnell war der Bandit auf den Beinen, sprang ihn an und hämmerte wild auf ihn ein.
Zwei, drei Schläge musste Harris hinnehmen. Fast sah es so aus, als hätte sich das Blatt vollkommen gewendet. Doch nur für wenige Sekunden diktierte der schlanke, wendige Kerl das Geschehen. Schon sein nächster Angriff wurde mit einem Konter gestoppt. Ein Treffer in die Magengrube ließ den Banditen in der Körpermitte einknicken. Der nächste Schlag gegen das Kinn richtete ihn wieder auf und warf ihn rückwärts. Im Sturz drehte er sich und fiel auf das Gesicht.
Mit einem Seufzer ließ Clyde Harris die Fäuste sinken. Seine Blicke suchten die Zuschauer dieses kurzen Kampfs.
Mrs. Helen Fotheringhill hielt ihren Enkel Laurie an sich gepresst und war vor Entsetzen wie gelähmt.
Der Fahrer der Kutsche bewegte stumm die Lippen und strich über seinen grauen Schnurrbart.
Reno Colby, ein Mann mit feisten Hamsterbacken, hatte sich auf den Wagentritt gestellt, um auf diese Weise die Auseinandersetzung besser beobachten zu können. Er war einigermaßen fassungslos, und der Ausgang dieses Kampfs schien ihn wenig zu befriedigen.
Ganz anders war es mit dem graugesichtigen Fremden im speckigen Gehrock. Er stand noch immer am selben Fleck beim Gepäckhalter der Kutsche. Sein faltiges, gramvolles Gesicht blieb ausdruckslos, aber in seinen Augen glaubte Harris einen Schimmer von Amüsiertheit oder Schadenfreude zu entdecken. Offen blieb allerdings, ob diese Schadenfreude Clyde Harris oder dem geschlagenen Banditenrudel galt.
Es war kein Zufall, dass Harris' Blick zuletzt Janet Lakeland streifte. Die junge Frau hatte ihre Beherrschung nicht verloren und stand schützend vor einem Kind. Gerade als Harris sie anschaute, zeigte sich jedoch ein jähes Erschrecken in ihren Zügen, und sie stieß atemlos hervor:
»Vorsicht, Sterling!«
Harris' Kopf fuhr herum. Auf Anhieb erkannte er die Gefahr. Der Bandit war zwar hart getroffen, aber zäh genug, um noch nicht aufzugeben. Eben hatte er sich wieder erhoben. Er wandte Harris den Rücken zu und bückte sich schwerfällig. Vor ihm am Boden lag der Kreuzgurt mit den beiden 38er Colts.
Drei lange Sätze brachten Clyde Harris zu ihm. Dann traf sein Tritt das verlängerte Rückgrat des niederträchtigen Burschen. Wie von einem Katapult geschnellt, schoss der Bandit vorwärts. Mit dem Schädel krachte er gegen den Stamm einer Weide, die sich weit über den Creek neigte, und platschte dann bäuchlings ins Wasser. Sein Hut wurde von der Strömung erfasst und davongetrieben.
Gelassen hob Clyde Harris seinen Gurt auf und legte ihn wieder um die Hüften. Während er den Sitz der beiden Halfter überprüfte, sah er zu, wie sich sein heimtückischer Gegner in dem höchstens knietiefen Wasser abplagte. Zweimal versuchte der Kerl sich aufzurichten und sank kraftlos wieder zurück, bis er endlich ein paar herabhängende Äste der Weide zu packen bekam und sich torkelnd ans Ufer rettete. Dort brach er erschöpft in die Knie.
Langsam wandte sich Clyde Harris wieder der Kutsche zu.
»Kennt vielleicht jemand von Ihnen diesen Mann?«, erkundigte er sich mit spröder Stimme.
Der Fahrer senkte betreten die Blicke und blieb stumm.
»Tut mir leid, Mr. Sterling«, erwiderte der graugesichtige Fremde. »Ich bin nur auf der Durchreise und kenne noch keinen Menschen in dieser Gegend.«
Eine schroffe Erwiderung lag Clyde Harris auf der Zunge, als er sich bereits wieder mit diesem falschen Namen angeredet hörte. Aber ein unbestimmbares Gefühl hielt ihn davon ab. Er nickte knapp.
»Und Sie, Mr. Colby?«
»Ich?« Der untersetzte Mann zuckte zusammen und stieg vom Kutschentritt. »Mich geht das alles nichts an, Mister.«
»Ich kenne ihn«, sagte Janet Lakeland fest. »Er heißt Tony Hearst und gehört zur Mannschaft der Company-Ranch. Aber fragen Sie mich nicht, was das alles zu bedeuten hat, Mr. Sterling. Mir scheint, das müssten Sie besser wissen als wir alle zusammen.«
Clyde Harris schwieg betroffen. Mehr und mehr kam ihm zu Bewusstsein, dass er ohne sein Zutun in eine Rolle gedrängt wurde, die ihm nur recht sein konnte und seinen eigenen Absichten weitgehend entgegenkam.
Hier bot sich ihm die Gelegenheit, seine Identität abzulegen und fast mühelos in eine fremde Haut zu schlüpfen. Er konnte Clyde Harris sterben lassen und fortan als Clyde weiterleben. Wer immer dieser Slade Sterling sein mochte, dessen Name ihm irgendwie bekannt vorkam, jeder fremde Name war besser als sein eigener. Vielleicht erübrigte es sich dann sogar, über die Grenze nach Mexiko zu gehen.
»Das mag sein, Miss Lakeland«, sagte er verschlossen. »Ich denke, die Pause war lang genug, und wir sollten wieder einsteigen.« Er wandte sich dem Fahrer zu und fuhr fort: »Wie sieht es aus? Können wir weiterfahren?«
✰✰✰
Kurz vor Sonnenuntergang jagte die schwankende Concord-Kutsche mit einer langen Staubfahne nach Patagonia hinein und kam vor dem alten spanischen Gasthof zum Stehen.
Während Clyde Harris seinen Sattel, die Satteltaschen und den Mantelsack in Empfang nahm, beobachtete er seine Umgebung. Janet Lakeland hatte nur eine kleine Koffertasche und strebte bereits einem flachen Adobebau auf der anderen Seite der Plaza zu, an dem ein Schild mit der Aufschrift »Eldorado-Bar« hing.
Ein buckliger Gnom mit kahlem Schädel und erschreckend langen muskulösen Armen kam ihr entgegen und bemächtigte sich ihres spärlichen Gepäcks. Der Mann trug eine weiße Wickelschürze, die fast bis zum Boden reichte. Anscheinend war er ein Barkeeper, also schien es sich beim Eldorado um Janet Lakelands Lokal zu handeln.
Mrs. Helen Fotheringhill und ihr Enkel wurden von einem hochgewachsenen, grauhaarigen Mann begrüßt, der mit einem gefederten Ranchwagen gekommen war und in dessen Begleitung sich zwei Weidereiter befanden.
Zweifellos war dieser Mann Vernon Fotheringhill, der Besitzer der bedeutendsten Ranch in diesem Gebiet, wie Harris den Gesprächen in der Kutsche hatte entnehmen können.
Die Frau flüsterte ihm etwas zu, und der Rancher warf unter seinen hellen, buschigen Brauen hervor einen Blick auf Clyde Harris, der von unverkennbarer Missbilligung zeugte. Dann begab sich die ganze Gruppe zum Wagen.
Der graugesichtige Fremde mit seiner mit Initialen bestickten Reisetasche stand bereits unter den Arkaden und verhandelte dort mit einem Hausburschen. Da die Entfernung nicht groß war, konnte Harris verstehen, was dort geredet wurde.
»Aber sicher, Ehrwürden«, erklärte der Hausbursche gerade. »Ein gutes Zimmer, ein prächtiges Zimmer mit einem weichen Bett. Wenn Ehrwürden mir vielleicht ...«
Er wollte nach der Reisetasche langen, doch der Fremde brachte sie hastig vor seinem Zugriff in Sicherheit und unterbrach ihn würdevoll:
»Nenne mich nicht Ehrwürden, mein Sohn. Ich bin kein Pastor und kein Prediger, sondern nur ein sündiges Schaf in einer großen Herde, ein einfacher Reisender in Geschäften. Geh nun voran und zeige mir den Weg.«
Harris' Aufmerksamkeit wurde auf eine Gruppe gelenkt, die an der breiten Hofeinfahrt stand und deren ganzes Interesse offensichtlich ihm galt. Den Mittelpunkt bildete ein großer, starkknochiger Mann mit fleischigem Gesicht und einem trübsinnig herabhängenden Mongolenbart, dessen Zipfel ihm bis unter das Kinn reichten.
Dieser Mann hatte seine Jacke zurückgeschlagen und beide Daumen in die Westentasche gehakt, sodass außer seiner Uhrkette auch noch ein blitzender Sheriffstern sichtbar wurde. Er fixierte Clyde Harris aus wässrigen Augen und lauschte dabei den Worten Reno Colbys, der gedämpft auf ihn und zwei andere einredete.
Der Anblick des Amtssterns ließ Harris ein flaues Gefühl in seinem Magen verspüren. Er straffte unwillkürlich die Schultern, als der Sheriff plötzlich seine Jacke glättete, sich in Bewegung setzte und langsam herüberkam.
In diesem Moment sagte im Schatten des Bogengangs ein hohes, kieksendes und offenbar kaum dem Stimmbruch entwachsenes Organ:
»Frank Tanner ist ein Gummilöwe, Sterling. Nehmen Sie eine Nadel und pieken Sie ihm ins Hinterteil, dann werden Sie schon sehen, wie er zusammenschrumpft.«
Harris warf einen Blick über die Schulter und sah einen mageren Burschen, der unter den Arkaden auftauchte und sich gegen den nächsten Pfeiler lehnte. Sein Gesicht zeigte den Ausdruck eines hungrigen Wolfs, und in seinen Augen glaubte Clyde Harris eine grenzenlose Bewunderung zu entdecken. Er brauchte einige Sekunden, um zu begreifen, dass diese Bewunderung ihm selbst galt.
Der Junge mochte achtzehn oder neunzehn Jahre alt sein. Er trug ein verschwitztes Baumwollhemd und speckige Chaps. An seinen staubigen Stiefeln klirrten große Chihuahua-Sporen. Vor seinem rechten Schenkel baumelte ein schwerer 45er Colt in einem tief ausgeschnittenen Halfter.
»Tatsächlich?«, fragte Harris schleppend. »Und wer bist du, Amigo?«
»Ich?« Der Junge grinste. »Ich bin Kid Osborne. Old Horace hat mich geschickt, um Sie abzuholen.«
Der Sheriff hatte sich schon bis auf wenige Schritte genähert und stützte sich nun mit beiden Händen auf den Holm.
»Hallo«, sagte er mit belegter Stimme, die seine Unsicherheit verriet. »Sie sind also Slade Sterling, nicht wahr?«
Gelassen hielt Harris dem Blick der vorquellenden Augen stand.
»Und was, meinst du, Kid, will Frank Tanner von mir?«
Durch ein Kichern zeigte der Junge sein Gefallen an diesem Spiel.
»Was er will? Haben Sie nicht gesehen, wie Reno Colby ihn bearbeitet hat, Sterling? Unser prächtiger Sheriff wird auf den Busch klopfen und Ihnen tüchtig einheizen. Ist das nicht zum Totlachen? Ein Mann wie Frank Tanner will einem Slade Sterling Angst einjagen. Los, versuchen Sie's doch mal mit einer Nadel, Slade! Sie wissen schon ...«
Die Miene des Sheriffs verkrampfte sich.
»Mich braucht kein Mensch zu bearbeiten, damit ich meine Pflicht tue«, stieß er rau hervor. »Und es ist meine Pflicht, Ihnen zu sagen, dass Sie sich da auf einen höllischen Job einlassen, Sterling. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein harter Brocken wie Sie blindlings auf so etwas hereinfällt. Sehen Sie sich nur diesen Burschen dort an. Solche Kerle finden Sie auf Horace Mackenzies Lohnliste – Buschteufel, Grenzhüpfer und verkappte Desperados.
Bis jetzt haben Sie es immer geschafft, allen Schwierigkeiten mit dem Gesetz aus dem Weg zu gehen, Sterling. Selbst wenn ich etwas gegen Sie unternehmen wollte, ich fände keine Handhabe. Noch nicht, Sterling.
Aber wenn Sie sich von Horace Mackenzie einwickeln lassen, könnte sich das rasch ändern. Ich hege keine besondere Sympathie für käufliche Revolvermänner Ihres Schlags, aber ich würde Ihnen gern den harten Weg ersparen, den Horace Mackenzie gegangen ist. Auch er ist nicht so aus den Steinbrüchen von Yuma herausgekommen, wie man ihn fünfzehn Jahre zuvor hineingeschickt hatte, das können Sie mir glauben.
Und wenn Sie denken, dass ihm Unrecht geschah, als sein einziger Sohn getötet wurde, dann muss ich Ihnen erwidern, dass Horace Mackenzie es selbst herausgefordert hatte. Jedermann hierzulande weiß, wie er es früher getrieben hat. Niemand kann es den Leuten verargen, dass sie ihm von Anfang an mit Misstrauen begegnet sind.«
Irritiert brach er ab, da Clyde Harris ihn unverwandt anstarrte.
»Sind Sie fertig, Tanner?«, fragte er kühl. »Dann verraten Sie mir am besten gleich, wen Sie verteidigen wollen oder nach wessen Pfeife Sie tanzen. Sie würden es mir dadurch sehr erleichtern, mich hier zurechtzufinden.«
Das Gesicht des Sheriffs lief dunkel an.
»Ich verbitte mir solche Unterstellungen, Sterling!«, fauchte er aufgebracht. »Über mein Tun und Lassen bin ich keinem Menschen Rechenschaft schuldig.«
»Nicht?« Harris zog die Brauen hoch. »Und ich dachte immer, ein Mann in Ihrer Stellung müsste auf seine Wähler Rücksicht nehmen, damit er auch bei der nächsten County-Wahl seinen Posten behält und nicht durchfällt.
Aber wenn Sie so unabhängig sind, wie Sie behaupten, dann sollten Sie sich vielleicht um die Burschen kümmern, die mich an der Furt in der Chaparral-Senke in Empfang nehmen wollten. Mindestens einen davon finden Sie auf der Company-Ranch. Hat Reno Colby Ihnen nichts davon erzählt?«
»Doch«, antwortete Frank Tanner gepresst. »Er hat auch erwähnt, wie glatt Sie mit diesem Rudel fertiggeworden sind, Sterling. Immerhin, wenn Sie vielleicht offiziell Anzeige erstatten wollen ...«
Clyde Harris' Miene blieb ausdruckslos.
»Nein«, erwiderte er. »Vielen Dank, Sheriff. Aber Sie können diesen Kerlen ausrichten, dass es beim nächsten Mal nicht so glimpflich ablaufen wird. – Sonst noch etwas?«
Frank Tanner schüttelte den Kopf.
»Nein«, murmelte er rau, »es hätte keinen Zweck. Dass ich Sie warnen wollte, haben Sie wohl auch begriffen. Reiten Sie nur zur Seven-Stones-Ranch, Sterling. Horace Mackenzie wird bald einsehen, dass ihm auch der hartgesottene Revolverheld nicht weiterhelfen kann.«
Er wollte sich abwenden, als Harris' Stimme ihn noch einmal stocken ließ.
»Vielleicht, Tanner. Aber wenn Sie einen guten Rat hören wollen, dann nennen Sie mich nie wieder einen Revolverhelden, savvy?«
Der Sheriff blickte sein Gegenüber an.