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Jim Kane ist voller Sorge, als er die Stadt Haxtun in der Ebene Colorados auftauchen sieht. Hier ließ er vor Monaten seine Mannschaft und Johnny zurück. Hierher hatte Amos reiten sollen, als er vor über zwei Monaten Cheyenne mit fast viertausend Dollar verließ. Aber Amos hatte sein Ziel nie erreicht. Jim hat keine Ahnung, wohin die Verfolgung Emmery Faltons Amos geführt hat. Er weiß nur eines: Seine Männer können schon seit Monaten keinen Dollar mehr besitzen, und hier in dieser Gegend gibt es keinen Job für einen Mann der Weide. Er kommt in die Stadt hinein und macht eine Feststellung, mit der er niemals gerechnet hat: seine Männer sind verschwunden ...
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Seitenzahl: 318
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Inhalt
TERROR IN HAXTUN
Vorschau 1
FEUER UNTER DEN HUFEN
Vorschau 2
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Impressum
Cover
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsbeginn
Impressum
Sie waren Brüder – Jim, der am Spieltisch gelernt hatte, dass der Mann am längsten lebt, der schneller schießt als seine Gegner; Amos, der bullige, breitschultrige Mann, hart geworden in zahllosen Kämpfen; Johnny, der hübsche, hitzige Linkshänder, der jüngste der drei Kanes. Sie standen auf verschiedenen Seiten, als sie sich zum ersten Mal sahen. Aber der harte, gemeinsame Kampf um ihr Land und ihr Leben schmiedete sie aneinander, stärker und unauflöslicher als glühender Stahl.
Jim Kane ist voller Sorge, als er die Stadt Haxtun in der Ebene Colorados auftauchen sieht. Hier ließ er vor Monaten seine Mannschaft und Johnny zurück. Hierher hatte Amos reiten sollen, als er vor über zwei Monaten Cheyenne mit fast viertausend Dollar verließ. Aber Amos hatte sein Ziel nie erreicht. Jim hat keine Ahnung, wohin die Verfolgung Emmery Faltons Amos geführt hat. Er weiß nur eines: Seine Männer können schon seit Monaten keinen Dollar mehr besitzen, und hier in dieser Gegend gibt es keinen Job für einen Mann der Weide. Er kommt in die Stadt hinein und macht eine Feststellung, mit der er niemals gerechnet hat: seine Männer sind verschwunden ...
Die Stadt lag auf den weiten, wenig gewellten Ebenen in der Nordwestecke von Colorado, eine Ansammlung von Holzbauten mit abblätternder Farbe und staubigen Adobehütten, die sich um die von Radfurchen zerklüftete Mondlandschaft der Hauptstraße und drei Nebengassen gruppierten. Die Gegend war trocken und zumeist sandig. Ihrem Charakter nach gehörte sie schon fast zu den ausgedörrten, trostlosen Prärien von Nebraska.
Es war ein außergewöhnlich warmer Apriltag des Jahres 1869, als Jim Kane sein Pferd durch eine Lücke zwischen den Bodenwellen lenkte und die Häuser von Haxtun vor sich sah. Als er von hier aufbrach, hatte er geglaubt, spätestens in wenigen Wochen zurückkehren zu können. Seitdem waren fast fünf Monate vergangen.
Er hatte Lynn Barrel zur Strecke gebracht, jenen Banditen, der ihm die Satteltaschen mit dem Erlös der Herde gestohlen hatte. Das Geld aber war zum Teufel — oder besser: es war in der Feuerung einer Baldwin-Lokomotive verschwunden und in Flammen aufgegangen. Das war Lynn Barrels Rache gewesen, als er keinen Ausweg mehr sah.
Jim Kanes Barschaft beschränkte sich also auf jene zwölfhundert Dollar, die er in seinem Gürtel bei sich trug. In Haxtun, so hoffte er, würde er seine Mannschaft wiederfinden, die er hier zurückgelassen hatte. Er hegte nicht den leisesten Zweifel, dass sein Bruder Johnny, Saleratus, Tex Halloway, Ken Annakin und die anderen noch immer auf ihn warteten.
Die Straße führte unmittelbar an den verwitterten Holzgebäuden des Mietstalls und der Futtermittelhandlung vorüber. Ein älterer Mann schob eine Karre mit Dung über den Hof, blickte nur kurz zu dem Reiter herüber und schaute dann auffallend rasch wieder fort. Der Grund für seine Bedrücktheit war nicht zu übersehen; er war ziemlich groß und hartgesichtig und trug schwarze Lederhandschuhe und zwei Colts in tiefsitzenden, weit ausgeschnittenen Halftern. Sein breiter, dünnlippiger Mund war verkniffen, und seine tiefliegenden Augen zeigten den Ausdruck von Argwohn und Wachsamkeit.
Jim Kane hielt dem Blick unbewegt stand und lenkte seinen Wallach zum Saloon an der Ecke. Aus den Augenwinkeln nahm er wahr, dass sich auch der starkknochige Bursche in Bewegung setzte und über die Straße schlenderte. Ganz Haxtun lag wie ausgestorben, so als ob die Bevölkerung von einer Seuche dahingerafft worden wäre oder die Stadt verlassen hätte.
Die Sonne spiegelte sich in den Scheiben des Stores. Ein Hund schnupperte am Gehsteig und rannte plötzlich mit eingezogenem Schwanz davon, als von irgendwoher ein Stein geflogen kam. Dann tauchte auch der Mann auf, der ihn — offenbar aus purer Langeweile — geworfen hatte. Er musste im Winkel unter der Außentreppe des Stores gestanden haben und ging mit kurzen, watschelnden Schritten zum Saloon, wo er sich schläfrig gegen den Holm lehnte. Sein stupides, breites Gesicht war zu einem ausdruckslosen Grinsen verzogen, als er dem Reiter entgegenblinzelte.
Was Jim Kane zuallererst ins Auge fiel, waren die schwarzen Lederhandschuhe, die auch dieser Bursche trug. Möglicherweise hatte der Store von Haxtun einen größeren Posten davon billig hereinbekommen, aber Jim Kane erschienen sie eher als ein Zeichen der Zusammengehörigkeit. Auch dieser zweite Mann trug zwar einen Colt, aber man sah ihm an, dass es sich bei ihm eher um einen bulligen Schlägertyp als um einen Revolvermann handelte.
In Jim Kane verstärkte sich das Gefühl des Unbehagens. Notgedrungen lenkte er den Appaloosa dicht neben dem stämmigen Burschen an den Holm und saß steifbeinig ab. Er hatte einen Ritt von fast vierzig Meilen hinter sich; Staub rieselte aus den Falten seiner Kleidung, als er die Zügel seines Wallachs locker um den Holm schlang.
»Fremd hier, wie?«, klang eine kehlige Falsettstimme, kaum dass er den Fuß auf die erste Stufe des Vorbaus gesetzt hatte.
Jim blieb stehen und wandte langsam den Kopf. Der untersetzte Mann hatte sein stämmiges Bein weit vorgespreizt und versperrte ihm damit den Zugang zum Vorbau des Saloons.
»Getroffen«, erwiderte Jim Kane unbewegt. Hinter ihm näherten sich Schritte, dann war auch der zweite Mann da und nahm neben seinem bulligen Partner Aufstellung.
»Ein verdammt lausiges Nest«, sagte er schleppend. »Es kommen kaum Fremde hierher, und wenn, dann klemmen sie sich meistens bald wieder auf ihren Gaul und reiten weiter. Man kann das Verfahren nur empfehlen. Der Whisky ist miserabel — das reine Klapperschlangengift.«
Jim Kanes Brauen gingen in die Höhe.
»Danke für den Tipp«, gab er gelassen zurück. »Unter diesen Umständen werde ich Bier trinken.«
Der vierschrötige Bullenbeißer grinste bedauernd und tauschte einen Blick mit seinem knochigen Partner.
»So begriffsstutzig kann ein einzelner Mensch doch gar nicht sein. Wenn er nicht reden könnte, dann würde ich sagen, er ist so ein ähnlicher Fall wie der rothaarige Brian aus der Schmiede. Oder was meinst du dazu, Vance?«
Vance, der Zweihandmann, kniff die Augen zusammen.
»Ich bin mir nicht sicher, Rocky«, gab er tonlos zurück. »Irgendwie kommt mir dieser Hombre nicht ganz astrein vor.«
»Du denkst, man sollte ihm auf den Zahn fühlen?«, erkundigte sich Rocky mit einem meckernden Lachen.
»Oder ihn zum Teufel jagen«, erwiderte Vance und ließ mit einem Schlag die Maske fallen. »Hast du noch immer nicht kapiert, Mister? Du bist hier unerwünscht. Also klettre schleunigst auf deinen großen Ziegenbock und reite weiter — das heißt, falls dich keine wichtigen Geschäfte hier zurückhalten.«
»Und falls doch?«, fragte Jim Kane bescheiden.
Der Tonfall blieb auf den knochigen Vance nicht ohne Wirkung. Er hob die Oberlippe und entblößte in einem ironischen Lächeln seine starken Zähne.
»Dann möchten wir gern Näheres über dieses Geschäft erfahren, ehe wir dich davonjagen.« In einer unübersehbaren Geste ließ er beide Hände auf die Kolben seiner Paterson-Colts fallen, während sein Partner Rocky sich grinsend mit der Zungenspitze die Lippen anfeuchtete.
»Also, mein Freund«, zischte der Revolvermann durch die zusammengepressten Zähne, »was willst du in Haxtun?«
Jim Kane stand mit gesenktem Kopf dicht vor ihm, ein Bild der Zerknirschung und zögernder Unsicherheit. Umso überraschender kam für Vance seine blitzschnelle Rechte. Tief bohrte sich Jims Faust in die Magengrube des Opfers. Der knochige Revolvermann gab ein würgendes Stöhnen von sich und klappte zusammen wie ein Taschenmesser.
Dabei begegnete sein Gesicht Jim Kanes emporschnellendem Knie, und dieser Zusammenprall hätte auch einen noch härteren Brocken als Vance von den Beinen gerissen. Er wurde wie ein willenloses Bündel zurückgeworfen, krachte mit dem Rückgrat gegen den Holm und kippte mit einem gurgelnden Laut zur Seite. Dabei schoss ihm bereits das Blut aus der Nase.
Es hätte des heiseren Gebrülls nicht bedurft, um Jim Kane herumfahren zu lassen. Der Anblick Rockys, der sich mit geschwungenen Fäusten und gesenktem Schädel gegen ihn warf, bestätigte seine Einschätzung dieses Kerls. Ein brutaler, stupider Schläger wie Rocky dachte gar nicht daran, nach dem Colt zu greifen, wenn er eine Sache auch mit den Fäusten erledigen zu können glaubte.
Sein Angriff erfolgte mit der Wildheit und der Kraft, aber auch mit der Unbesonnenheit eines gereizten Stiers. Jim Kane war vor dem Holm eingekeilt und konnte den ersten Schwinger nur noch knapp mit der Schulter blockieren. Trotzdem hatte er das Empfinden, als ob ihn der Tritt eines Maultiers getroffen hätte.
Geistesgegenwärtig griff er selbst an. Er warf sich nach vorn, schmetterte einen verzweifelten Haken gegen die ungedeckten Rippen seines Gegners und tauchte gleichzeitig unter dessen erneutem Hieb weg. Auf diese Weise konnte er der drangvollen Enge am Holm entrinnen und sich Bewegungsfreiheit verschaffen.
Wenn es Rocky gelang, auch nur einen einzigen Treffer jener Art, wie Jim ihn soeben hatte einstecken müssen, richtig ins Ziel zu bringen, dann war jeder Kampf entschieden.
Mit einem erstaunten Grunzen fuhr Rocky herum, um seinen leichtfüßigen Gegner erneut zu stellen. Jim Kanes gleitender Sidestep kam buchstäblich im allerletzten Moment. Sein Oberarm wurde von dem wüsten Schlag noch gestreift, aber gerade deshalb erreichte er sein Ziel: Rocky konnte seinen Schwung nicht mehr bremsen und schoss an ihm vorüber. Diesmal aber war es Jim Kane, der in aller Unschuld ein Bein vorgespreizt hatte. Wenn er hier zu besonders niederträchtigen Methoden griff, blieb ihm immer noch die Rechtfertigung, dass er diese Auseinandersetzung nicht heraufbeschworen hatte.
Sein Gegner strauchelte wie vorgesehen. Und genau im richtigen Moment krachte ihm mit der Wucht eines gut geölten Fallbeils Kanes Handkante ins Genick. Rocky gab keinen Laut mehr von sich und wurde in den Staub geworfen. Dass er dabei mit dem Kopf gegen die unterste Stufe des Gehsteigs krachte, war bei der Robustheit dieses Schädels wohl kaum noch von Bedeutung. Zweimal scharrten Rockys Stiefelspitzen noch durch den Staub, dann blieb er reglos liegen.
Mit starrer Miene stieg Jim Kane über ihn hinweg, schob seinen verrutschten Hut zurecht und ging auf den Eingang des Saloons zu. Oberhalb der Pendeltür starrte ihm ein entgeistertes Gesicht entgegen und veranlasste ihn, an den Hutrand zu greifen. Es war ein hellhäutiges, ovales Frauengesicht mit schrägstehenden, grünlich irisierenden Augen, das von einer Flut tizianroten Haars eingerahmt wurde.
Jim zog einen Türflügel zurück und sah nun auch die schlanke Gestalt der Frau, die schon jetzt, am Nachmittag, ein weit ausgeschnittenes Kleid aus schillernder Seide trug, vor das sie bei der Arbeit lediglich eine Schürze gebunden hatte. Sie machte keine Anstalten, Jim den Weg freizugeben, sondern schaute ihn nur wortlos an.
An ihr vorbei überflogen Jim Kanes Blicke das Innere des Saloons, an den er sich noch gut erinnerte. Außer der Frau war kein Mensch anwesend. Nicht die geringste Spur von seinem Bruder Johnny und der Mannschaft. Seine Sorge wuchs. Die Veränderung in dieser Stadt war allem Anschein nach so tiefgreifend gewesen, dass auch seine Leute davon in Mitleidenschaft gezogen worden waren.
Andererseits aber spürte er instinktiv, dass es nicht ratsam war, dieses Thema öffentlich und unbekümmert anzuschneiden. In diesem Fall war Geduld der beste Teil der Klugheit.
»Hallo«, grüßte er mit matter Freundlichkeit, »ich nehme an, Sie leben vom Umsatz dieses Ladens, Ma'am. Würde es Ihnen etwas ausmachen, mich hineinzulassen?«
Die junge Frau runzelte die geschwungenen Brauen und zog die Schultern zusammen. Sie wirkte bedeutend intelligenter als die meisten Barmädchen und Flitterladies, die Jim kennengelernt hatte.
»Sie sehen gar nicht aus wie ein Narr, und doch benehmen Sie sich so, Mister«, sagte sie mit einer klangvollen dunklen Altstimme. »Ihre einzige Chance, weiterem Verdruss zu entgehen, besteht darin, schleunigst von hier zu verschwinden, und selbst dann können Sie nicht sicher sein, dass der Kummer Sie nicht doch noch einholt. Auch wenn Sie eben ziemlich rasch mit Vance und Rocky fertiggeworden sind, die beiden sind alles andere als Waisenknaben, das können Sie mir glauben.«
»Ich weiß.« Jim Kane nickte in gespieltem Gleichmut. »Aber ich habe etwas dagegen, mich auf diese Weise bedrängen zu lassen. Außerdem ist meine Kehle ausgedörrt und ich möchte Ihren miserablen Whisky probieren. Gestatten Sie?«
Mit einem Seufzer trat das Mädchen zur Seite.
»Sie sind ein noch größerer Narr, als ich dachte, Fremder. Bilden Sie sich nur nicht ein, dass Sie mir mit Ihrer Halsstarrigkeit imponieren können.«
»Schade«, entgegnete Jim lakonisch und ging bereits zur Bar, »mir hätte sehr daran gelegen, dass Sie eine gute Meinung von mir haben.«
Die Frau trat hinter die Theke und schob ihm eine Flasche und ein Glas zu. »Sie sind ein sonderbarer Mensch«, murmelte sie leise.
Jim Kane nahm seinen Hut ab und langte gleichzeitig mit der anderen Hand unter die Jacke. Seine Bewegungen waren so unauffällig, dass selbst ein aufmerksamer Beobachter sie kaum beachtet hätte. Schließlich lag der Hut auf der Bar, und er ließ auch seine Rechte scheinbar ganz lässig dort ruhen, während er sich mit der linken Hand einen Whisky eingoss. Mit einem Lächeln richtete er die Augen auf die Frau, hinter deren Rücken sich der große Spiegel befand.
»Gehen Sie weg«, sagte er in unverändert freundlichem und lässigem, aber drängendem Ton. »Rasch zur Seite!«
Die Frau erstarrte — aber nur für ein paar Sekunden, dann hatte sie begriffen, streifte eine Haarsträhne aus der Stirn und wandte sich ab, um am Ende der Theke ein paar Gläser im Regal zu ordnen. Im selben Moment flog auch schon die Tür auf.
Vance, der starkknochige Revolvermann, machte nur einen Schritt in den Raum und blieb sofort wieder stehen. Sein Gesicht war verzerrt und von der rauen Behandlung gezeichnet. Spuren seines Nasenblutens waren noch jetzt auf der Oberlippe sichtbar. Er hatte seine beiden Paterson-Colts gezogen und hielt sie tief im Hüftanschlag.
»Los«, stieß er schrill hervor, »dreh dich um, Mann! Ich schieße nicht gern jemandem in den Rücken, aber wenn es sein muss ...«
»Nur keine falsche Bescheidenheit«, murmelte Jim Kane spröde und wandte sich langsam um, ohne indes die Rechte, die durch seinen Hut halb verdeckt wurde, von der Bar zu nehmen. »Wenn Killer deines Schlags nicht wenigstens diese erbärmliche Rechtfertigung hätten, dann bliebe ihnen ja gar nichts mehr. Fällt es dir jetzt leichter?«
Die Lippen des Burschen spannten sich, doch an Stelle einer Erwiderung schwenkte er nur die Mündung seines rechten Colts um eine Winzigkeit in die Höhe.
Die beiden Schüsse vereinigten sich zu einem einzigen schmetternden Krachen.
Ein Kugeleinschlag ließ den großen Spiegel hinter der Bar zerspringen. Von dem hässlichen Loch in der Mitte zogen sich die gezackten Risse nach allen Seiten.
Ein ebenso hässliches Loch jedoch klaffte dicht oberhalb der linken Braue in der Stirn des Revolverhelden. Seine Kinnlade sank herab und vermittelte den Eindruck von fassungsloser Leere. Er kippte rückwärts, stieß gegen die beiden Hälften der Pendeltür, die unter diesem Aufprall weit nach draußen schwangen, und stürzte schwer auf den Gehsteig. Nur seine Beine ragten noch unter der Tür in den Saloon herein und zeigten die schiefgetretenen Stiefelabsätze.
Die Frau hinter der Bar hatte sich instinktiv an die Kehle gegriffen, als die Schüsse dröhnten und die Scheiben des Saloons unter dem Druck der Explosionen klirrten. Noch jetzt schien sie nicht zu fassen, auf welche Weise der unerwartete Ausgang dieses kurzen Kampfs zustande gekommen war. Endlich schob Jim Kane den Hut vollends zur Seite, und seine Rechte mit dem Colt kam zum Vorschein. Noch jetzt, als er zur Tür ging, kräuselte sich ein blauer Rauchfaden aus der Mündung der schweren 45er Waffe.
Rocky, der bullige Schläger, sprang vom Gehsteig und ging hastig hinter dem großen Appaloosa-Wallach in Deckung, als er Jim Kane auftauchen sah. Nichts schien ihm ferner zu liegen als ein Revolverkampf gegen einen Gegner, dem auch sein weit schnellerer Partner nicht gewachsen war.
Offenbar durch das Krachen der Schüsse angelockt, erschien in der Gassenmündung hinter dem Mietstall eine schiefrückige, hinkende Gestalt, der ein abgeschabter, zu lang geratener Gehrock um die Beine schlotterte. Der magere Mann blieb stehen, reckte den Hals und blickte herüber. Dann, als er den toten Revolvermann am Boden bemerkt hatte, rannte er eilig davon, um kurz darauf mit einem zweirädrigen, hohen Karren zurückkehrte, den er an den beiden langen Holmen stolpernd vor sich herschob.
Allem Anschein nach handelte es sich um den Totengräber oder Leichenbestatter von Haxtun, dessen Gehör für Schießereien besonders geschult sein musste.
Ansonsten schien niemand in der Stadt davon Notiz zu nehmen — bis auf den bulligen Partner von Vance natürlich, der noch immer hinter dem Wallach in Deckung stand und seinen Colt in der Hand hielt.
»Mister«, stieß er mit seiner gequetschten Stimme hervor, »das war allein Vances Idee. Ich habe in dieser Runde keine Chips gekauft.«
Jim Kane starrte ihn aus verkniffenen, mitleidlosen Augen an.
»Verschwinde!«, befahl er schroff.
Rocky ließ sich das nicht zweimal sagen. Die ersten Schritte ging er rückwärts, ohne den Colt zu senken. Erst als er ein Stück entfernt war, wandte er sich schlagartig um und begann zu rennen, wobei er fast mit dem Karren des Totengräbers zusammengestoßen wäre.
Jim Kane ging wieder zur Bar, ersetzte die abgefeuerte Kartusche in seiner Waffe durch eine frische Patrone und ließ den Colt wieder verschwinden.
»Der Mann, der da kommt, scheint der Leichenbestatter zu sein«, bemerkte er freudlos. »Ich hatte eher mit dem Erscheinen des Marshals gerechnet.«
Zögernd kam die Frau von der Ecke der Bar zurück und warf einen Blick auf den zerschossenen Spiegel.
»Es gibt keinen Marshal in dieser Stadt«, erwiderte sie kehlig. »Schon seit Wochen nicht mehr.«
Jim Kane nippte an seinem Whisky. »Dann hat er es also aufgegeben?«
»Falls Sie es so nennen wollen, wenn ein Mann auf offener Straße getötet wird«, versetzte das Mädchen bitter. »Ich war nicht selbst dabei, sondern weiß es nur aus den Erzählungen der Leute. Ein Fremder kam in die Stadt, genau wie Sie, Mister. Er ging zum Office, rief den Marshal heraus und schoss ihn dann ohne jedes weitere Wort auf der Schwelle nieder.«
Ein Geräusch draußen auf dem Gehsteig weckte Jims Aufmerksamkeit. Er drehte sich rasch um und näherte sich erneut der Tür. Das Mädchen ging mit ausdrucksloser Miene zu einem Fenster.
Der Leichenbestatter hatte seinen Karren vor den Stufen des Gehsteigs abgestellt, packte den Toten unter den Achseln und schleifte ihn hinüber. Dem Mann im schlotternden Gehrock gelang es ohne große Schwierigkeiten, den Leichnam hinaufzuzerren und mit einer alten Plane zuzudecken.
Anschließend stemmte er sich mit seinem ganzen Körpergewicht auf die Holme, um den Karren mit der stummen Last in die Waagrechte zu bringen und davonzuschieben. Irgendwie hatte er es sogar geschafft, den Hut und die Waffen des Revolvermanns mitgehen zu lassen.
»Und was ist aus dem Burschen geworden, der den Marshal erschossen hat?«, fragte Jim Kane, ohne das Mädchen anzuschauen.
»Er hat seinen Sieg nicht einmal fünf Minuten überlebt«, kam widerwillig die Antwort. »Er kam hierher in den Saloon, trank einen Brandy und wollte wieder davonreiten. Aber da kamen ein paar von Clive Carlsons Revolvermännern aus dem Store und erledigten ihn gemeinsam, ehe er in den Sattel steigen konnte. Er wurde gleich neben dem Marshal begraben. Kein Mensch kennt seinen Namen oder weiß, wer er gewesen ist.«
Nachdenklich drehte sich Jim Kane eine Zigarette.
»Und die Stadtväter haben seither keinen Marshal mehr angeworben?«
Das Mädchen drehte sich um und machte sich erneut an den Gläsern im Regal zu schaffen.
»Seither heißt diese Stadt Clive Carlson, falls Sie darauf hinauswollen«, sagte sie tonlos. »Oder irre ich mich, wenn ich annehme, dass Sie an allem, was Clive Carlson und diese Stadt betrifft, brennend interessiert sind?«
Jim Kane zeigte ein mattes Lächeln und ging über die Frage hinweg. Möglicherweise hielt sie ihn für einen Beauftragten der Territoriumsverwaltung oder sogar für einen Staatenreiter. Er musste äußerst vorsichtig taktieren, bis er den Verhältnissen in Haxtun auf den Grund gelangt war.
»Wie heißen Sie?«, fragte er scheinbar freimütig.
»Ich?« Die direkte Frage musste den Verdacht des Mädchens womöglich noch verstärken. »Caroline Heath.«
»Und Ihnen gehört dieser Saloon?«
Die Züge des Mädchens verhärteten sich.
»Wie kommen Sie darauf?«
»Ich war schon einmal hier — im vergangenen Jahr. Da stand ein Mann hinter der Bar. Die Leute nannten ihn Mac ...«
»Mac war ein verdammter Narr«, entfuhr es Caroline Heath mit ungewollter Heftigkeit. »Er hat sich auf eine höllische Pokerrunde gegen Clive Carlson eingelassen, obgleich er genau hätte wissen müssen, dass er niemals gewinnen konnte. So hat er diesen Saloon an Carlson verloren und ist aus der Gegend verschwunden.«
»Demnach stehen Sie im Dienste Clive Carlsons, Caroline?«
Caroline Heath ließ die Frage unbeachtet und starrte ihn argwöhnisch an.
»Wer sind Sie nun wirklich, Mister?« Kane lächelte unergründlich.
»Ein Satteltramp — oder ein namenloser Pilger in der Wüste des irdischen Daseins«, erwiderte er mit leisem Spott in der Stimme. »Wer wird schon über einen haarigen Burschen wie mich reden wollen, wenn eine so hübsche Lady wie Sie genügend Gesprächsstoff liefert? Auf welche Weise sind Sie in diesen Saloon und an Clive Carlson geraten, Caroline? Sie sind eigentlich nicht der Typ einer Flitterlady.«
Die Augen des Mädchens verdunkelten sich, und ihre Miene erstarrte in Abweisung.
»Was soll das, Mister? Sind Sie auch so ein komischer Retter der gefallenen Mädchen?«
Kane ließ sich von ihrer bissigen Ironie nicht beeindrucken.
»Sie kennen sich ziemlich gut in diesen Dingen aus, Caroline«, sagte er anerkennend. »Sie haben sich mit den Verhältnissen abgefunden und sind eine Frau ohne Illusionen, wie? Das spricht für Ihre Intelligenz. Aber wollen Sie nicht doch meine Frage beantworten?«
Das Mädchen sah, wie Jim Kane mit unverändertem Lächeln die Blicke auf sie richtete. Da senkte sie unvermittelt den Kopf und erzählte gepresst:
»Ich bin seit Ende Januar hier. Eigentlich wollte ich zur Bahnlinie nach Julesburg hinauf, aber da war der viele Schnee in diesem Winter — und dann war auch meine Reisekasse leer bis auf den Grund. Clive Carlson bot mir diesen Job an. Da bin ich geblieben. Finden Sie etwas dabei?«
»Warum sollte ich?« Jim Kane verzog die Lippen. »Sie sind also geblieben. Und wie lange war Clive Carlson vor Ihnen da?«
»Nur wenige Wochen«, versetzte Caroline Heath spröde. »Er soll mit einer rauen Revolvermannschaft in die Stadt gekommen sein, die Taschen voller Geld und den Kopf voll fantastischer Pläne. Schon wenig später passierte die Geschichte mit dem Marshal.«
»Und danach die mit Mac, dem Besitzer dieses Saloons«, ergänzte Jim lapidar. »Dieser Mr. Clive Carlson scheint ein ausgesprochener Glückspilz zu sein.«
»Sein Glück ist sogar noch größer, als Sie denken«, bemerkte das Mädchen gallig. »Ihm gehört auch der General Store dort drüben. Er hat ihn gekauft, kurz nachdem er den Saloon gewonnen hatte. Es soll ein ganz reelles Geschäft gewesen sein, denn Clive Carlson konnte einen einwandfreien Kaufvertrag und eine Quittung vorweisen, als der vorherige Storekeeper verschwand. Nur ...«
»Ja?«
»Nur wurde der Storebesitzer von einem Farmer gefunden. Es war gegen Ende Februar, als Tauwetter einsetzte und die erste Schneeschmelze begann.«
»Da kam also der ehemalige Storebesitzer wieder zum Vorschein?«
»Steifgefroren und mit drei Kugeln im Leib. Aber natürlich hatte Clive Carlson damit schon längst nichts mehr zu schaffen.«
»Selbstverständlich nicht«, bemerkte Jim Kane mit entrüstetem Kopfschütteln. »Was ging es ihn an, wenn der Bursche, von dem er den Store erworben hatte, so dumm war, sich hinterher von irgendwelchen Banditen das Geld wieder abnehmen und umbringen zu lassen. Es wäre eine schreiende Ungerechtigkeit, Clive Carlson dafür verantwortlich zu machen.«
»Genau das finde ich auch«, sagte das Mädchen ausdruckslos. »Mr. Carlson kann mitunter ein sehr großzügiger Mann sein.«
»Davon bin ich überzeugt, Caroline. Man merkt es schon an Ihrer Erzählung, wie sehr Sie ihn verehren«, murmelte Jim Kane mit unverhohlenem Sarkasmus. »Sicher ist er selbst nicht gerade glücklich über die Häufung von Zufällen, weil sie ihn in ein vollkommen falsches Licht rücken könnten.«
Caroline Heath presste die Lippen aufeinander.
»Das glaube ich nun wieder nicht, Mister. Er gehört nicht zu dem Typ, der auf die Meinung seiner Umwelt Rücksicht nimmt.«
»Also ein Mann, der unbeeinflusst seinen Weg geht«, erwiderte Jim Kane. »Das ist bewundernswert.«
Da schaute Caroline Heath ihn noch einmal verkniffen von der Seite her an und wandte sich dann schroff ab. Sie war vollends in die Irre geführt und vermochte das Rätsel Jim Kane nicht zu lösen. Nicht einmal, als er eine Mahlzeit bestellte, sprach sie noch ein Wort, sondern begab sich schweigend in die Küche, um den Imbiss zu bereiten.
Für Jim Kane war damit die Gefahr weiterer unbequemer Fragen gebannt. Zwar hatte er den Eindruck, dass Caroline Heath für den mächtigen, skrupellosen Clive Carlson durchaus keine reine Sympathie empfand, aber er sah trotzdem keinen Anlass, seine Karten vorzeitig aufzudecken. Das Spiel, das hier von Carlson aufgezogen wurde, war zweifellos für alle Außenstehenden sehr gefährlich, und Jim Kane sah sich dadurch immer mehr in seiner Befürchtung bestärkt, dass sein Bruder Johnny und die Mannschaft davon betroffen waren.
Bis jetzt gab es nicht die geringste Spur von ihnen — fast so, als ob sie sich niemals in Haxtun aufgehalten hätten —, und doch würden sie ihm mit Sicherheit eine Nachricht hinterlassen haben, wenn sie auch nur die geringste Gelegenheit dazu gefunden hätten. Es galt also, mit aller gebotenen Vorsicht herauszufinden, was aus ihnen geworden war und auf welche Weise sich die einschneidenden Veränderungen in Haxtun auf sie ausgewirkt hatten.
Seit Jim Kanes Eintreffen in Haxtun mochte eine knappe Stunde vergangen sein, als der Hufschlag einer scharf reitenden Mannschaft von draußen hereindrang. Während des Essens konnte er durch das Fenster beobachten, dass sechs oder sieben Reiter zum Store galoppierten und dort ihre Pferde zum Stehen brachten. Noch ehe alle abgesessen waren, tauchte Rocky, der bullige Schläger, bei der Außentreppe auf, redete gestikulierend auf die Männer ein und deutete dabei zum Saloon herüber.
»Jetzt werden Sie Farbe bekennen müssen, Mister«, klang plötzlich die Stimme Caroline Heath durch die beklemmende Stille. Sie entledigte sich ihrer Schürze, strich über ihr Kleid und setzte hinzu: »Der Mann, der Ihnen jetzt auf den Zahn fühlen wird, ist Clive Carlson persönlich. Mit ihm werden Sie bestimmt nicht so leicht fertig wie mit den beiden Gorillas.«
In pedantisch anmutender Beharrlichkeit wischte Jim seinen Teller mit einem Stück Biskuit aus und schob es in den Mund.
»Ja«, sagte er schleppend, »das hatte ich mir schon gedacht. Die meisten dieser Burschen tragen ebenfalls schwarze Lederhandschuhe. Es scheint sich da um eine Art Gütezeichen zu handeln. Sie könnten mir noch ein Ingwerbier geben, Caroline. Für einen Apriltag ist es reichlich warm, finden Sie nicht?«
Caroline Heath stülpte schweigend eine Flasche Ingwerbier in ein großes Glas und brachte es an den Tisch. Währenddessen hatte sich die Gruppe von Männern bereits in Bewegung gesetzt, überquerte die Straße vom Store her und war dann durch das Fenster für kurze Zeit nicht mehr zu erkennen, bis sich ihre sporenklirrenden Schritte der Tür näherten. Das Mädchen warf Jim Kane noch einen Blick jähen Bedauerns zu und kehrte hastig an die Bar zurück.
Über der Tür erschienen die Schultern und Köpfe dreier Männer. Zwei von ihnen spähten herein, stießen die Flügel auseinander und traten rasch zur Seite, die Hände an den Revolverkolben. Zwei andere folgten und gingen weiter bis zur Bar, wo sie sich wie auf Kommando mit den Ellenbogen auf die Messingstange stützten und so Aufstellung nahmen, dass sie Jim Kane im Auge behalten konnten.
Jim wusste mit einem Blick, dass er es mit einem Rudel gefährlicher Wölfe zu tun hatte, skrupellos und ohne Erbarmen, die nur auf einen Wink ihres Anführers warteten, um ihn zu erledigen. Erst als diese vierköpfige Vorhut Posten bezogen hatte, folgte das nächste Paar — ein großer, kräftiger Mann etwa Ende Dreißig, mit einer fahlen Löwenmähne, einem blonden, gelbfleckigen Schnurrbart, ausgeprägtem Kinn und wässrigen, etwas hervorquellenden Augen von unbestimmbarer Farbe.
Er trug einen schwarzen, ungekniffenen Hut mit glitzerndem Conchoband, gestreifte Hosen, die in kniehohen Stiefeln steckten, und eine abgewetzte dunkle Jacke. Sein Colt war eine unscheinbare Waffe mit glattem Nussbaumkolben und ragte aus einem Halfter, wie es als Dutzendware in jedem Store zu bekommen war. Man hätte ihn für einen x-beliebigen Rindermann, für den Besitzer einer mittleren Ranch oder wegen seiner klobigen Stiefel sogar für einen wohlhabenden Farmer halten können.
Die Art jedoch, wie er dieses schlimme Rudel an der Kandare hatte und mit knappen, kaum wahrnehmbaren Gesten beherrschte, bewies hinlänglich, dass dieser äußere Eindruck trog. Clive Carlson war mit Sicherheit kein gewöhnlicher Mann. Er musste über irgendwelche Qualitäten verfügen, die ihn haushoch über all diese Männer emporragen ließen und ihn jeglicher Kritik seitens dieser Kerle entzogen.
Sein Begleiter, der ihm wie ein Schatten mit einem halben Schritt Abstand folgte, wirkte ihm gegenüber unscheinbar und schmal, obgleich er Clive Carlson um fast zwei Zoll überragte. Seine Hosen und seine Lederweste waren schwarz, und schwarz war auch sein patronengespickter Kreuzgurt mit den beiden glitzernden, schweren Nickelrevolvern. Seine Stirn schien sehr niedrig zu sein, weil der Hutrand fast mit den Augenbrauen abschloss. Der Mann hatte ein unterentwickeltes, fliehendes Kinn, einen dürren Hals mit stark vorspringendem Adamsapfel und einen lächerlich kleinen Mund.
Wenn er trotzdem keineswegs ein Bild der Lächerlichkeit bot, so lag das zweifellos an seiner scharfen Adlernase und den jettschwarzen, funkelnden Augen, die tief in ihren Höhlen lagen und gierig auf Jim Kane gerichtet waren.
Wenn das Rudel neben Clive Carlson überhaupt noch einen zweiten Leitwolf anerkannte, dann musste es dieser schlangenäugige Bursche sein. Mit unbewegter Miene folgte er seinem Boss bis ans Ende der Bar, doch während Carlson sich dort jovial dem Mädchen zuwandte, starrte sein Leibwächter unverwandt Jim Kane an und ließ mit einem schläfrigen Lächeln beide Hände zu den Schenkeln hinabhängen.
»Nun, wie läuft das Geschäft, Caroline?«, erkundigte sich Clive Carlson gönnerhaft bei seiner Angestellten. »Ich war drei Tage draußen auf der Farm und muss sagen, dort läuft alles ganz vorzüglich. Wir machen wirklich Fortschritte. Und hier?«
»Es könnte besser sein«, erwiderte Caroline Heath ohne erkennbare Anteilnahme. »Die letzte Woche war ziemlich still. Früher muss dieser Saloon jedenfalls mehr abgeworfen haben. Ich glaube, die Leute aus Haxtun fühlen sich ziemlich unbehaglich, und das wundert mich nicht einmal.«
Clive Carlson räusperte sich und zog das Kinn an den Kragen.
»Das sollte es aber, Caroline. Ich fürchte, Sie haben nicht ganz die richtige Einstellung zu Ihrem Job. Warum, glauben Sie, habe ich einer so hübschen und attraktiven Frau die Leitung des Saloons überlassen? Gerade Ihnen müsste es doch am schnellsten gelingen, die Vorurteile der Leute zu überwinden und ihnen klarzumachen, dass diese Stadt mit meinen Ideen und unter meinem Schutz einer großen Zukunft entgegengeht.«
Caroline Heath stand reglos wie eine Bildsäule da und verriet mit keinem Wimperzucken ihre Einstellung zu den hochfliegenden Plänen dieses Mannes, der bei aller Sachlichkeit doch etwas von dem fanatischen Eifer eines Sektenpredigers entwickelte.
»Das ist schon möglich, Mr. Carlson«, gab sie einsilbig zurück, »aber es fällt den Leuten schwer, das alles zu verstehen, weil sie bisher noch nichts Greifbares erkennen können.«
In Clive Carlsons Gesicht zeigte sich ein grüblerischer Zug. Wenn er mit seinen Revolverschwingern in den Saloon gekommen war, um Jim Kane zur Rechenschaft zu ziehen, dann schien er das über diesen neuen Problemen fast vergessen zu haben.
»Es fehlt ihnen eben jegliche Fantasie und ein bisschen Gefühl für das Ungewöhnliche«, dozierte er mit erhobenem Zeigefinger. »Dinge dieser Größenordnung sind immer schwer zu erfassen; sie zeigen sich zunächst nur in Umrissen wie eine Vision. Man braucht ein besonderes Gefühl dafür, um sich dies alles als Realität vorstellen zu können. Vielleicht habe ich bei diesen primitiven, einfallslosen Menschen wirklich etwas zu viel vorausgesetzt.
Wahrscheinlich schon morgen werden sie mit eigenen Augen sehen können, wie hier die moderne Technik ihren Einzug hält. Das muss sie doch überzeugen, nicht wahr? Die große Zukunft dieses Landes hat bereits begonnen, die Menschen wissen es nur noch nicht, Caroline.«
Seine Stimme hatte einen salbungsvollen Tonfall angenommen, der die Ähnlichkeit mit einem wandernden Erweckungsprediger noch augenfälliger machte.
»Ich fürchte, da ist noch etwas«, sagte Caroline Heath verschlossen. »Die Leute müssen den Eindruck haben, dass sie unter ständiger Beobachtung stehen, solange Burschen wie Vance und Rocky dauernd hier herumlungern oder die Straße entlangstolzieren, als ob sie die Herren von Haxtun wären, vor denen alle anderen den Gehsteig zu räumen und den Hut zu ziehen haben.«
Die Miene Clive Carlsons verdüsterte sich mit einem Schlag.
»So, tun sie das?«, kam es wie fernes Gewitterrollen über seine Lippen. »Dann haben diese Hohlköpfe offenbar meine Absichten falsch verstanden, oder ich habe ihnen zu viel freie Hand gelassen. Aber mein Werk wird sicher nicht an der Unzulänglichkeit solcher Narren scheitern.«
Ein paar Sekunden lang starrte er finster vor sich hin. Dann wandte er sich mit einem Ruck Jim Kane zu und stieß gepresst hervor: »Ich habe mir sagen lassen, dass Sie ein Unruhestifter sind und eine Auseinandersetzung mit meinen Leuten provoziert haben, Mister. Können Sie mir dafür eine Entschuldigung liefern?«
Jim Kane saß zusammengesunken hinter dem Tisch und lehnte nun den Oberkörper zurück.
»Eine Entschuldigung?«, wiederholte er schleppend. »Damit kann ich leider nicht dienen. Allenfalls hätte ich eine Erklärung: Sie sollten sich Ihre Burschen entweder besser ansehen oder sie an die Kette legen, sonst werden Sie durch diese sogenannten Unzulänglichkeiten immer wieder Ärger bekommen. Dieser Vance war ein größenwahnsinniger Giftpilz, und ich lasse mich nicht gern von solchen anmaßenden Pilgern herumstoßen.«
Die buschigen Brauen Clive Carlsons zogen sich langsam zu einem durchgehenden Strich zusammen.
»Richtig«, sagte er mit einem tiefen Atemzug. »Sie erinnern mich daran, dass Sie Vance erschossen haben, Freund, und das hätten Sie besser vermieden. Es ist eine Frage der Autorität und der Disziplin, verstehen Sie? Ob Sie nun bei Vance im Recht waren oder nicht, spielt im Grunde gar keine Rolle. Ich kann es einfach nicht hinnehmen, dass einer meiner Leute angegriffen wird, weil darin gleichzeitig ein Angriff auf mich zu erblicken ist. Andere könnten sich zur Nachahmung angeregt fühlen. Es tut mir leid um Sie.«
Er drehte unmerklich den Kopf zur Seite und sprach aus dem Mundwinkel: »Ich möchte vermeiden, dass es hier vor den Augen von Caroline geschieht, Franciosa, ist das klar?«
Die Lider des schlangenäugigen Revolvermanns sanken zum Zeichen des Verständnisses noch etwas weiter herab.
»Wir werden es so schonend wie nur möglich machen, Boss«, murmelte er und wandte sich sofort mit einem dünnen, fadenscheinigen Lächeln an Jim Kane: »Wie wäre es mit einem kleinen Spaziergang, Mister?«
Jim lächelte zurück, wenngleich ihm nicht verborgen blieb, wie sich die abwartende Lässigkeit der vier anderen Hartgesottenen im Raum in lauernde Bereitschaft verwandelte.
»Tut mir furchtbar leid, Amigo«, versetzte er mit doppelbödiger Freundlichkeit, »ich habe noch nicht gezahlt.«
Franciosa zog die Oberlippe in die Höhe, sodass seine Schneidezähne sichtbar wurden.
»Das macht doch nichts, Mister. Dieser kleine Imbiss geht auf Rechnung des Hauses. Kommen Sie getrost.«
Er grinste zynisch, und es ließ sich nicht übersehen, dass seine Handflächen nun schon die Kolben der Nickelrevolver berührten. Zwei der anderen Burschen, einer an der Bar und einer neben der Tür, machten sich in gleicher Weise bereit, jeden Widerstand zu brechen, wenn es bei diesem Kräfteverhältnis überhaupt dazu kam. Niemand schien dem einsamen Mann hinter dem Tisch eine Chance einzuräumen. Das Grinsen eines der Revolvermänner zeigte fast eine Spur von Mitleid.
In diesem Moment klang ein metallischer Laut durch die Stille, ein leises Knacken, dessen Bedeutung keinem dieser erfahrenen Wölfe unklar sein konnte. Jim Kane hatte sich wieder leicht vorgebeugt. Seine Hände blieben hinter der Tischkante verborgen, als er mit trügerischer Sanftheit sagte:
»Da haben Sie schon den Ärger, von dem ich soeben noch sprach, Carlson. Und es liegt wirklich an der mangelnden Fantasie. Ihre Burschen fühlen sich in der Überzahl zu sicher. Sie können sich gar nicht vorstellen, dass ich es nicht erst auf eine Schießerei ankommen lasse, sondern sofort den Leitwolf aufs Korn nehme. Haben Sie sehr große Lust zu sterben, bevor Ihre Pläne verwirklicht sind, Carlson?«
Die ganze Bande war erstarrt, und Clive Carlson schien die Luft anzuhalten.
»Sie bluffen doch«, stieß er atemlos hervor. Sein Ausdruck, der eben noch ganz auf würdevolles Bedauern abgestellt war, hatte sich von Grund auf gewandelt.
Jim Kane grinste ihn entwaffnend an.
»Warum sollte ich? Da es ohnehin um meinen Kopf geht, gibt es in diesem Spiel für mich keine Steigerung mehr. Bei Ihnen war das bis jetzt anders, Carlson. Aber nun zwinge ich Sie, ebenfalls den höchsten Einsatz zu bringen. Leider ist dieser Tisch nicht hoch genug, deshalb muss ich Sie an einer Stelle treffen, wo es ziemlich lange dauert und sehr weh tut. Ich garantiere Ihnen und vielleicht noch zwei anderen einen Bauchschuss.«
Trotz aller Beherrschung stach Clive Carlsons Nase ein wenig blass aus seinem Gesicht hervor.
»Franciosa und die anderen sind viel zu schnell, als dass Sie noch zum Abdrücken kämen, Mister.«
»Es wird Sie sicher furchtbar amüsieren, aber ich brauche gar nicht mehr abzudrücken«, versetzte Jim gedehnt. »Den Abzug habe ich längst bis zum Anschlag durchgezogen. Ich halte den Hammer nur noch mit dem Daumen fest. Können Sie sich vorstellen, was passiert, wenn einer dieser Gorillas mich erwischt? Sie haben doch Fantasie, oder?«
Clive Carlsons Zähneknirschen war eine deutliche Antwort. Auch Franciosas Miene glich plötzlich nur noch einer ausdruckslosen Grimasse, und die anderen Revolvermänner gaben keinen Laut von sich. Wenn Jim Kanes Worte der Wahrheit entsprachen, dann hatte er den besten — und einzigen — Trumpf gefunden, der in diesem ungleichen Spiel noch zu einem glimpflichen Ausgang führen konnte. Und wenn nicht, dann bluffte er jedenfalls so gut, dass Clive Carlson es schwerlich darauf ankommen lassen würde. Ein Zucken widerwilliger Hochachtung ging über das Gesicht des großen Mannes.
»Nun gut«, sagte er verkniffen. »Die Partie steht also wieder ausgeglichen. Sie haben Format, mein Freund, und vor allem genug Verstand, um meine schwache Stelle auf Anhieb zu erkennen. Ich kann es mir nicht leisten, wegen einer solchen Bagatelle mein Leben aufs Spiel zu setzen. Niemand ist da, der für mich einspringen und an meiner Stelle all diese Pläne in die Tat umsetzen könnte.«
Kühl und beherrscht nickte Jim Kane ihm zu, ohne seine Stellung zu verändern.
»Ich wusste, dass Sie unter solchen Umständen rasch Vernunft annehmen würden, Carlson. Und weiter?«
Mit der Zunge feuchtete sich Clive Carlson die Lippen an; es blieb das einzige Zeichen von Unsicherheit.
»Weshalb sind Sie nach Haxtun gekommen, Freund?«
Kane lächelte freudlos.
»Bei meinem Pferd hat sich ein Eisen gelockert. Es muss zum Hufschmied, ehe ich weiterreiten kann.«
»Ist das alles?«
»Was sollte ich sonst in dieser armseligen Gegend wollen?«
Noch stand leiser Argwohn in Clive Carlsons Zügen, aber auch er schien zu erfassen, dass die lebensbedrohliche Situation für ihn umso kritischer wurde, je länger sie anhielt. Jeder Augenblick konnte zu einem Missverständnis mit einem seiner Revolvermänner führen, durch das dann möglicherweise die Katastrophe ausgelöst wurde.
Clive Carlson war kein Feigling, sondern viel zu sehr vom Wert seiner Person durchdrungen, als dass er seine Haut leichtfertig zu Markte getragen hätte. So stand sein Entschluss schon nach wenigen Augenblicken der Überlegung fest, und er setzte hinzu:
