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Im endlosen Land zwischen Pecos River und den tödlichen Llanos kennt Gnade keinen Platz. Als eine Stampede den Trail in ein Chaos aus Staub, Blut und donnernden Hufen von 1.400 wilden Ladinos verwandelt, jagt Kirk Gallagher nicht nur seine zerstreute Herde - er jagt auch die Männer, die dahinterstecken. Jeder Meilenritt bringt ihn tiefer in die Wildnis, näher an Durst, Erschöpfung und die Kugeln seiner Feinde. Zwischen Apachenland, staubigen Cantinas und einem skrupellosen Rivalen wird Gallaghers Kampf zu einem Rennen gegen Zeit, Verrat und die erbarmungslose Hitze des Westens.
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Seitenzahl: 152
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Inhalt
COMANCHEN-MOND
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Inhaltsverzeichnis
Inhaltsbeginn
Impressum
Im endlosen Land zwischen Pecos River und den tödlichen Llanos kennt Gnade keinen Platz. Als eine Stampede den Trail in ein Chaos aus Staub, Blut und donnernden Hufen von 1.400 wilden Ladinos verwandelt, jagt Kirk Gallagher nicht nur seine zerstreute Herde – er jagt auch die Männer, die dahinterstecken.
Jeder Meilenritt bringt ihn tiefer in die Wildnis, näher an Durst, Erschöpfung und die Kugeln seiner Feinde. Zwischen Apachenland, staubigen Cantinas und einem skrupellosen Rivalen wird Gallaghers Kampf zu einem Rennen gegen Zeit, Verrat und die erbarmungslose Hitze des Westens.
Kirk Gallagher lag in seinen Decken, den Hut über das Gesicht gezogen, und spürte fröstelnd die Morgenkühle. Nur im Unterbewusstsein registrierte er den dumpfen Hufschlag eines sich nähernden Pferdes. Das Tier ging im Schritt. Es musste Earnie sein, der da herangeritten kam, um den Koch zu wecken. Bei der Herde schien unterdessen alles ruhig zu sein. Von den Remuda-Pferden im Seilkorral drang ab und zu ein Schnauben herüber.
Es waren die vertrauten Geräusche eines nächtlichen Treibherdencamps.
Der Hufschlag entfernte sich wieder. Es bedurfte keines großen Aufwands, um den Koch zu wecken. Beim Küchenwagen setzte gedämpftes Rumoren ein. Später war leises Knistern zu hören und Rauchgeruch wehte über das Camp. Durango hatte seinen Holländerofen in Gang gebracht. Damit begann die Routine eines neuen Tages, der der Mannschaft eine harte, vierzehnstündige Sattelarbeit bescheren würde.
Kirk Gallagher war wieder eingeschlafen, doch jetzt richtete er sich plötzlich auf, einen wilden Fluch Durangos im Ohr, und ebenso wie er fuhren rings um ihn herum acht weitere Männer in die Höhe.
»O verdammt!«, heulte Jesse Flynn. Er war als erster auf den Beinen, auf Strümpfen und in seinem roten Unterzeug einem tanzenden Derwisch ähnlich.
Das Krachen der Schüsse klang nur leise und aus größerer Entfernung durch die Dämmerung, aber es kam aus der Richtung der Herde, und keiner der Männer war sich auch nur eine Sekunde darüber im Unklaren, was das zu bedeuten hatte.
»Stampede!«, brüllte Durango von seinem Holländerofen. »Sie jagen die Herde in die Flucht! Hört ihr das Grollen?«
Innerhalb kürzester Frist verstärkte sich das Grollen zu einem Getöse, das den Boden erzittern ließ. Man hatte den Eindruck einer Urgewalt, die jedem menschlichen Widerstand spottete.
Im nächsten Moment rasten auch schon die ersten wilden Brasada-Rinder durch die Morgendämmerung heran, die Schwänze steil emporgereckt und die Augen verdreht. Wiehernd bäumten sich die Bereitschaftspferde am Streckseil auf und zerrten an den Zügeln.
»Zu den Gäulen!« Kirk Gallagher war bereits in die Stiefel gefahren und ließ seinen Worten als erster die Tat folgen. In vollem Lauf schnallte er den Gurt mit den beiden schweren Navy-Revolvern um und zog dann mit einem harten Ruck seinem hageren lehmgelben Wallach den Sattelgurt an.
Neben ihm tauchte Jesse Flynn auf. Der kleine, knorrige Brasada-Reiter hatte keine Zeit mehr gefunden, sich anzuziehen.
Er trug Hut und Stiefel zu seinem Unterzeug und hatte sich den Gurt mit seinem langläufigen Peacemaker-Colt wie ein Bandelier schräg über die Brust gehängt. Sobald er seinen Pinto herumgerissen hatte, zerrte er die Bullpeitsche vom Sattelhorn, jagte auf einen heranstürmenden Ladino-Stier zu und klatschte ihm die Lederschlange um den Schädel. Aber er wusste so gut wie alle anderen, dass es ein sinnloses Unterfangen war.
Ein paar dieser fahlgrauen Ungetüme konnte man vielleicht vom Camp abdrängen. Doch wenn erst die große Woge heranbrandete, gab es kein Halten mehr. Dann ging es um Leben und Tod, und man konnte nichts weiter tun, als sich in Sicherheit zu bringen.
Das Camp lag zwischen dem schmalen Creek und einer buschbestandenen Hügelflanke. Der Chuckwagon stand unmittelbar am Fuße des Hangs, geschützt durch ein paar Cottonwoods. Die Remuda, von der nun erregtes Wiehern herüberklang, war dahinter in einer Bucht untergebracht. Wenn die Stampede tatsächlich über das Camp hinwegging, dann würde sie unterhalb des Hangs vorbeifluten. Pferde und Küchenwagen würden also nach menschlichem Ermessen verschont bleiben.
»An den Drag!«, schrie Kirk Gallagher. »Reitet über den Hang! Die Burschen müssen am Drag zu finden sein!«
Er sah seinen jüngeren Bruder Matt, der gerade seinem Grauschimmel die Sporen gab und in spitzem Winkel den Hügel anging. Drei, vier weitere Männer folgten.
Jetzt ging es darum, jene Hundesöhne zu stellen, die den Ausbruch dieser Stampede verursacht hatten – mit voller Absicht, daran gab es keinen Zweifel.
Die Ladinos waren ausgeruht und seit Wochen an das harte Treiben gewöhnt. Beim Morgengrauen machte sich in der Herde stets eine gewisse Unruhe bemerkbar. In diesem Zustand genügten ein paar Revolverschüsse vollauf, um die Panik auszulösen.
Sie alle erlebten es nicht zum ersten Mal. Ein einzelner Stier warf sich herum und stieß sein urhaftes Gebrüll aus. Noch im selben Sekundenbruchteil sprang dann der Funke auf tausend andere Ladinos über wie ein elektrischer Schlag. Eine ganze Herde stürmte geschlossen davon und schien nur noch einem einzigen Impuls zu gehorchen: Flucht!
Wenn dann ihre Kräfte erlahmten, war die Herde über eine riesenhafte Fläche verstreut und es dauerte Tage, bis das Gros einer solchen Herde wieder eingesammelt werden konnte.
Eben war Kirk Gallagher im Begriff, seinem Bruder und den anderen Männern zu folgen, als er mitten zwischen den aufgescheuchten Ladinos den Reiter entdeckte. Es musste Earnie sein. Er hing zusammengesunken über dem Sattelhorn und lenkte sein Pferd nur noch mit letzter Kraft. Jeden Moment konnte ein Zusammenprall erfolgen. Wenn der junge Treibherdenreiter dann stürzte, geriet er unfehlbar unter die gespaltenen Klauen nachdrängender Brasada-Buschteufel und war verloren.
Dies zu erkennen und seinen hageren Wallach anzuspornen, war für Kirk Gallagher das Werk eines Augenblicks. Hinter ihm ertönte ein warnender Schrei, doch er kümmerte sich nicht darum. All seine Konzentration war darauf ausgerichtet, dem Strom wildgewordener Ladinos auszuweichen, die unaufhörlich in Galoppsprüngen an ihm vorüberfluteten. Der aufquellende Staub drang ihm beißend in Augen, Mund und Nase.
Mitunter waren die Brushdevils mit ihren ausladenden Hörnern erst im letzten Moment zu erkennen, sodass er nur durch waghalsige Ausweichmanöver dem Zusammenstoß entging. Je weiter er sich zu Earnie herankämpfte, umso dichter wurde das Gedränge.
Wie von einem reißenden Strom wurde Earnie etwa zwanzig Yards entfernt vorübergetrieben, ohne dass Kirk Gallagher dem Jungen hätte zu Hilfe kommen können. Dann endlich tat sich zwischen zwei Ladino-Rudeln eine Lücke auf. Gallagher nutzte sie, um den Wallach blitzschnell auf der Hinterhand herumzureißen.
Nun schwamm auch er gleichsam mit dem Strom, und seine Aufgabe wurde etwas leichter. Eine Minute später, dicht vor der Creeksenke, hatte er den Mann schließlich erreicht und griff ihm in die Zügel.
Wie in dumpfer Betäubung starrte Earnie ihn aus aufgerissenen Augen an. Offensichtlich konnte der Junge kaum begreifen, dass er noch im Sattel und am Leben war. An der rechten Schulter schimmerte seine Jacke dunkel vom Blut.
Kirk Gallagher schrie ihm eine Ermunterung zu, doch er hörte seine eigene Stimme nicht. Das Grollen der Stampede, dieser anhaltende Donner, verschlang jeden anderen Laut. Dabei befanden sie sich erst in der Vorhut der Herde, die geschlossene Phalanx gehörnter Schädel würde weiter hinten folgen. In ihr gab es dann kaum noch eine Lücke, die ein Reiter hätte ausnutzen können. Auch die Pferde schienen das instinktiv zu erfassen und galoppierten um ihr Leben.
Die Creeksenke war erreicht und die dunkle Hügelflanke blieb zurück. Der Strom aus Rinderleibern quoll weiter auseinander und wurde noch einmal lichter. Ohne Zögern nutzte Gallagher die Chance, um dem tödlichen Strudel zu entrinnen. Verbissen lenkte er den lehmgelben Wallach nach links und zerrte das andere Pferd hinter sich her, bis endlich nur noch vereinzelte Buschteufel vorüberjagten. Der Galopp wurde kürzer, und schließlich fielen die Pferde ganz von selbst in den Trab.
Während Gallagher sie immer weiter zum Hang hinüberzog, tauchten im wogenden Staub zwei Reiter der Mannschaft auf, die ihre Peitschen schwangen und das Letzte aus ihren Pferden herausholten, um an der Flanke der Herde weiter nach vorn zu gelangen.
Einer von ihnen kam herüber, als Gallagher in halber Höhe anhielt.
»Boss«, sagte er atemlos. »Was ist mit Earnie?«
Der Junge hob den Kopf und schluckte.
»Die Bastarde«, stöhnte er. »Ich hatte Durango geweckt und kam gerade vom Camp zurück, da erwischten sie mich – fünf Mann, drüben bei dem gespaltenen Felszacken. Ich habe meinen Gaul einfach in die Büsche gejagt. Aber sie kümmerten sich gar nicht weiter um mich, sondern ritten auf die Herde zu. Cop war auf der anderen Seite, aber es hätte wohl auch nichts genützt, wenn er bei mir gewesen wäre. Die ganze Herde ging hoch wie eine Ladung Dynamit, und dann konnte ich nur noch meine Haut retten. Glaubst du, dass es eine Stampede-Bande ist, Boss?«
Aus verkniffenen Augen starrte Kirk Gallagher auf die brodelnden Staubmassen, die von der durchgehenden Herde aufgewirbelt wurden.
»Kann sein, Earnie«, gab er rau zurück und gab dem zweiten Reiter den Befehl, sich um den Jungen zu kümmern.
»Bist du sicher, dass sich Copperfield auf der anderen Seite befand?«, fragte er dann zweifelnd.
Earnie tastete nach seiner durchschossenen Schulter und zog die Hand blutbefleckt zurück.
»Wo hätte Cop denn sonst sein sollen«, stieß er ächzend hervor. »Boss, du glaubst doch nicht etwa ...«
Gallagher gab keine Antwort mehr. Er hatte den Wallach schon herumgezogen und ritt wieder an.
»Stan wird versuchen, sie abzudrängen und im Kreis laufen zu lassen!«, schrie der andere Reiter ihm nach. »Ein Karussell ist jetzt die einzige Chance!«
Es blieb ungewiss, ob Kirk Gallagher den Ruf noch verstanden hatte. Er hielt sich auch weiter dicht unterhalb des Hügelkamms und jagte durch den hüfthohen Sage nach Süden, direkt auf jenen gespaltenen Felsen zu, von dem Earnie gesprochen hatte. Ein schroffer Grat zwang ihn, weiter nach rechts auszuweichen. Dahinter führte dann eine Kerbe in eine Art Canyon hinab, der sich quer durch die Hügelkette zog und am Fuß jener Bastion vorüberführte.
Das dumpfe Grollen, von fast sechstausend Ladino-Hufen hervorgerufen, entfernte sich und wurde allmählich schwächer. Kirk Gallagher ritt die steile Kerbe hinab, als irgendwo im Canyon Schüsse krachten.
Eine Gerölllawine löste sich und hüllte ihn in hellen Staub. Zwischen kollernden Steinbrocken kam er heil am Grund der Schlucht an. Er hatte seinen Henry-Karabiner aus dem Scabbard gezogen und hielt ihn schussbereit.
Im nächsten Moment sah er dann die Reiter durch die graue Dämmerung heranjagen. Vier Burschen flüchteten Hals über Kopf, während ein fünfter etwas zurückhing und auf die anderen einbrüllte. Der dünne, schrille Klang dieser Stimme durchfuhr Gallagher wie ein Schock. Zu langem Überlegen jedoch blieb ihm keine Zeit. Mit den Schenkeln trieb er den Wallach aus dem Gestrüpp hervor, riss dann das Gewehr an die Schulter und feuerte.
Von exaktem Zielen konnte bei diesen Lichtverhältnissen keine Rede sein.
Der Schuss lag zu tief und traf eines der Pferde in den Kopf. Das Tier überschlug sich und schleuderte den Reiter im weiten Bogen zwischen die Scrubwoods. In wilder Panik rissen die anderen Männer ihre Gäule zurück, als sie jäh den einzelnen Gegner vor sich auftauchen sahen. Mündungsfeuer von Coltschüssen zuckte Gallagher entgegen.
Mit einem Satz war er aus dem Sattel, ließ die Zügel des Wallachs zu Boden gleiten und hetzte geduckt vorwärts. Das Feuer verstummte für einen Moment. Die Desperados hatten ihn vom Rücken seines Pferdes verschwinden sehen und schienen an einen Treffer zu glauben. Da stemmte Gallagher die Füße ein und schoss zum zweiten Mal. Noch während er repetierte, sah er einen der Burschen zur Seite kippen. Dann krachten auch im Rücken der Bande erneut Coltschüsse.
Nun endlich konnte sich der Kerl mit der schrillen Stimme Gehör verschaffen. Was er den anderen zuschrie, war nicht zu verstehen. Aber Kirk Gallagher sah den Rest des Rudels plötzlich abschwenken. Sekunden nur, dann verschwanden die Reiter im Gestrüpp und tauchten nicht wieder auf, so, als ob sie von der kahlen Canyonwand verschluckt worden wären.
Drei, vier Reiter kamen aus dem Hintergrund den Canyon heraufgejagt. An der Spitze war auf seinem Grauschimmel unschwer Matt Gallagher, Kirks jüngerer Bruder, zu erkennen. Unmittelbar hinter ihm folgten Jesse Flynn und zwei weitere Treibherdenreiter. Sie gelangten an die Stelle, wo die Desperados auf so unerklärliche Weise verschwunden waren. Gallagher schrie ihnen eine Warnung zu und schnellte aus seiner Deckung hoch.
Es musste daran liegen, dass der Klang seiner Stimme zwischen den steilen Wänden verzerrt wurde. Einer der Männer schoss. Ein Dutzend Schritte vor Gallagher ließ der Kugeleinschlag eine Fontäne aufspritzen. Dann erst brüllte auch Jesse Flynn, der ihn endlich erkannt zu haben schien, und verhinderte damit, dass die Mannschaft weiterhin ihren eigenen Boss aufs Korn nahm.
Der kurze, harmlos verlaufene Zwischenfall erwies sich als Glücksumstand; denn noch während das Echo von Jesse Flynns Schrei im Canyon widerhallte, blitzte es drüben im Gestrüpp auf. Nachdem sich der Morgenhimmel schon grau gefärbt hatte, zeigte sich das Mündungsfeuer in einem fahlen Orangerot. Unzweifelhaft handelte es sich bei dem Schützen um jeden Desperado, dessen Pferd getroffen worden war. Und mit ebensolcher Sicherheit hätte er den Gegner zum Ziel genommen, der sich ihm am nächsten befand – Gallagher nämlich, wenn er nicht durch den vereinzelten Schuss der vier Reiter abgelenkt worden wäre.
Matt und Jesse Flynn beugten sich tief über den Hals ihrer Pferde, als sie wieder lospreschten, offenbar in der Annahme, die Verfolgung fortsetzen zu müssen, um Kirk Gallagher aus der Klemme zu helfen. Noch einmal donnerte ihnen aus den Scrubwoods am Fuße der Canyonwand ein Revolverschuss entgegen. Aber diesmal war Kirk Gallagher vorbereitet und brauchte nur noch um ein paar Zoll die Richtung zu korrigieren, ehe er abdrückte und dann in blitzschneller Folge zwei weitere Geschosse in das Gestrüpp jagte.
Noch im hämmernden Stakkato des Hufschlags war ein ersticktes Husten zu hören. Eine Gestalt tauchte auf. Von den dornigen Zweigen festgehalten, schwankte sie einige Schritte vorwärts und fiel dann schlaff auf das Gesicht.
Gallagher rannte wieder zu seinem Wallach zurück und saß auf. Er kam hinzu, als Matt und der gnomenhafte Jesse Flynn gerade ratlos neben dem Toten anhielten.
»Und die anderen?«, fragte Matt. »Sind sie dir durch die Lappen gegangen, Kirk? Zwei hast du erwischt, und einen haben wir mit Sicherheit angeschossen. Aber ursprünglich waren es sechs, das habe ich ganz deutlich erkannt, als wir ihnen auf den Fersen waren.«»Sechs«, murmelte Gallagher und nickte. Earnie Matthews hatte nur von fünf Desperados gesprochen. Nun plötzlich sollte es einer mehr gewesen sein. Aber die Rechnung ging trotzdem auf. Denn da war jene dünne, schrille und durchdringenden Stimme ...
Ohne eine Erklärung abzugeben, zog Kirk Gallagher das Pferd herum und trabte zu dem zweiten Toten. Dort warteten Dago und Hal Dunnigan. Das Halbblut hob die Hand und deutete auf die Felsen.
»Da«, sagte Dago kehlig.
Dann sahen sie es alle. Was aus einiger Entfernung wie eine durchgehende, ununterbrochene Canyonwand erschien, waren in Wirklichkeit zwei graue Felsvorsprünge, die sich wie Kulissen hintereinander schoben, sodass dazwischen ein Spalt lag.
Er war gerade breit genug, um zwei Reitern nebeneinander Platz zu bieten. Die Banditen schienen dieses Schlupfloch gekannt zu haben und hatten inzwischen bestimmt einen Vorsprung von mehr als einer halben Meile herausgeholt.
»Ich will wissen, welche Richtung sie eingeschlagen haben«, sagte Gallagher.
Es gab nur einen Mann, an den die Aufforderung gerichtet sein konnte: Dago setzte sich schweigend in Bewegung und lenkte seinen knochigen Gaul durch die Büsche in den Spalt.
»Und wir müssen jetzt nach Cop Ausschau halten«, krächzte Jesse Flynn. »Seit der Stampede ist er noch nicht wieder aufgetaucht.«
»Das können wir uns ersparen«, erwiderte Kirk Gallagher hart. »Ich habe Mr. Reece Copperfield zwar auch nicht gesehen, aber ich habe seine Stimme erkannt und deshalb brauche ich jetzt ein frisches Pferd.«
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Nach dem lehmgelben Wallach war der hochbeinige, sehnige Fuchs das zäheste Pferd der ganzen Remuda. Aber auch sein Trott war matter und schwerfälliger geworden.
Was Kirk Gallagher suchte, war nicht nur Vergeltung für eine in Panik getriebene Herde, für einen angeschossenen Reiter und für einen anderen, der bei dem Versuch, die Stampede in eine Kreisbahn zu lenken, stürzte und von vierzehnhundert wilden Brasada-Rindern zu Tode getrampelt worden war; er suchte den Beweis dafür, dass mehr hinter diesem Überfall steckte als die bloße Absicht von Strauchdieben, aus der zersprengten Herde in der kommenden Nacht einige Dutzend Ladinos davonzutreiben.
Er musste endlich Gewissheit darüber haben, ob Noel Ryan auch hier seine Hand im Spiel hatte, und ob Reece Copperfield sein Werkzeug gewesen war. Dieser Beweis war ihm einen so mörderischen Ritt und sogar das Risiko wert, von den drei verfolgten Burschen in eine Falle gelockt zu werden.
Die Sonne stand tief im Westen, eine rotglühende Kupferscheibe, die mit ihrem Rand schon fast die kargen, zerrissenen Hügel entlang des Pecos River zu berühren schien. Kirk Gallagher folgte seinem eigenen Schatten. Die Fährte der drei fliehenden Desperados führte nach Osten, immer tiefer hinein in die zerklüftete Wildnis, die sich wie eine letzte Barriere vor den tödlichen Llanos erstreckte.
Es war ein Landstrich, bei dem man sich mit Fug und Recht fragen konnte, ob er ein Teil der göttlichen Schöpfung war oder ob er seine Entstehung nicht vielmehr einer sadistischen Laune des Leibhaftigen zu verdanken hatte. Sandflächen und Geröllfelder lösten sich ab mit bröckelnden, von der Erosion der Jahrtausende zerfressenen Klippen, Felsformationen und Mesas. Es gab Verhaue von Dornbusch und Scrubwoods, mörderische Kaktushecken, dürre, staubige Buschinseln und vereinzelte Saguares, Organ Pipes und Regenbogenpinien.
Nur eines schien es in diesem Land nicht zu geben: Wasser. Die letzte ›tinaja‹, die er gegen Mittag passiert hatte, war ausgetrocknet gewesen.
In gewissem Sinne ähnelte dieses Land der Brasada, jenem wilden Geländestreifen am Rio Bravo, von wo Gallagher seine vierzehnhundert Brushdevils heraufgetrieben hatte. Seit fast sieben Wochen auf dem Trail, waren sie zuletzt in groben Zügen der Pecos-Route nach Norden gefolgt und hatten sich im Territorium von New Mexico verhältnismäßig sicher gefühlt. Bis sie dann der Zwischenfall an diesem Morgen eines Besseren belehrte.
Die Taktik der Bande, die zweifellos mit Copperfield Kontakt gehalten hatte, ließ auf Erfahrung in diesen Dingen schließen; sie hatte kaltblütig den günstigsten Zeitpunkt für ihre Aktion abgewartet. Gegen Morgen waren die Ladinos ausgeruht und deshalb imstande, viele Meilen zurückzulegen, ehe die wilde Stampede allmählich erlosch. Dabei war das Auftauchen eines solchen Rudels in dieser Gegend ganz ungewöhnlich. Nur sehr wenige Herden zogen nach Westen, weil die meisten von ihnen zu diesem Zweck die gefährlichen Llanos hätten durchqueren müssen. Und die Llanos waren Indianerland. Sie gehörten zum Herrschaftsgebiet der blutgierigsten und gefährlichsten Rothäute und ihrer Apachen-Vettern, Lipans, Kiowas, Mescaleros und anderen.
