H. C. Hollister 58 - H.C. Hollister - E-Book

H. C. Hollister 58 E-Book

H. C. Hollister

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Beschreibung

Es gibt Entscheidungen, denen ein Mann weder ausweichen noch vor denen er weglaufen kann. Vor eine solche Entscheidung wird Pat Brackett gestellt, der Reitboss der Halbmond-Ranch im abgeschiedenen Wind River Becken. Er muss wählen zwischen seiner Treue zur Ranch und Colonel Dundee, den er bereits seit seiner Jugend verehrt, und dem unbestechlichen Gefühl für Fairness und Rechtlichkeit, das ihn immer wieder vor neue Probleme stellt.
Der Draht, der die Weidegrenzen einer großen Ranch einengen soll, bringt ihn in heftige Gewissenskonflikte und erfordert eine Härte und Mitleidlosigkeit, die ihm im Grunde seines Wesens zuwider sind. Aber trotz aller Anfeindungen und Kämpfe geht Pat Brackett schließlich doch den Weg, den er als den einzig richtigen erkannt hat. Er geht ihn kompromisslos und ohne Zögern, weil dabei auf seinen Schultern die Verantwortung für die Zukunft eines ganzen Landes ruht.


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Inhalt

Cover

DORNIGE GRENZEN

Vorschau

Impressum

DORNIGE GRENZEN

Es gibt Entscheidungen, denen ein Mann weder ausweichen noch vor denen er weglaufen kann. Vor eine solche Entscheidung wird Pat Brackett gestellt, der Reitboss der Halbmond-Ranch im abgeschiedenen Wind River Becken. Er muss wählen zwischen seiner Treue zur Ranch und Colonel Dundee, den er bereits seit seiner Jugend verehrt, und dem unbestechlichen Gefühl für Fairness und Rechtlichkeit, das ihn immer wieder vor neue Probleme stellt.

Der Draht, der die Weidegrenzen einer großen Ranch einengen soll, bringt ihn in heftige Gewissenskonflikte und erfordert eine Härte und Mitleidlosigkeit, die ihm im Grunde seines Wesens zuwider sind. Aber trotz aller Anfeindungen und Kämpfe geht Pat Brackett schließlich doch den Weg, den er als den einzig richtigen erkannt hat. Er geht ihn kompromisslos und ohne Zögern, weil dabei auf seinen Schultern die Verantwortung für die Zukunft eines ganzen Landes ruht.

Als Pat Brackett das Büro des Frachthofes in Rivertown verlässt, wirft er einen Blick zum Himmel. Es ist Sommer, zweifellos, aber die durchsichtige Bläue des Tages wird schon von einem lauen Hauch durchzogen, der den kommenden Indianersommer erahnen lässt. Sechs, vielleicht sieben Wochen noch, dann werden die dünnen, glitzernden, zarten Fäden ziellos über das Land ziehen und von einer härteren Jahreszeit künden.

Der Übergang vom Indian Summer zum Winter erfolgt schnell hier im Wind River Becken, und auf einer großen Ranch gibt es bis dahin noch eine Menge Dinge zu erledigen. Die Halbmond-Ranch von Colonel Jason Dundee ist eine große Ranch, und Pat Brackett ist ihr Reitboss.

Noch einmal wendet er den Kopf zurück zu dem Mann, der nun an der Tür des Frachtbüros auftaucht, er macht dies in jener ruhigen, gelassenen und besonnenen Art, die mehr vom Selbstvertrauen eines Mannes verrät als tausend Worte.

»Sie wissen also Bescheid, Tyle. Vierzig Tonnen Heu noch zur Snake Creek Station. Und weitere hundertzwanzig Tonnen bleiben auf Abruf bereit. Sehen Sie sich das Zeug gründlich an. Wenn erneut so viel Hochgelenk mit groben, holzigen Stängeln darunter ist wie im vorigen Jahr, werde ich den Preis kürzen. Wir wollen Heu, kein Brennholz.«

Tyle Martin verzieht das Gesicht zu einem achtungsvollen Lächeln, in dem eine Menge Respekt vor diesem noch jungen, hartgesichtigen Mann zum Ausdruck kommt.

»Sie sollten mich besser kennen, Pat. Ich habe den Burschen schon beim vorigen Mal die Hölle heiß gemacht. Diesmal wird es nicht wieder passieren.«

»Ich kenne Sie noch besser, Tyle«, erwidert der Reitboss mit humorvoll zuckenden Mundwinkeln. »Ich würde jede Wette eingehen, dass Sie schon im vergangenen Jahr den Preis Ihrer Lieferanten gekürzt haben, ohne dass die Halbmond-Ranch etwas davon gemerkt hätte.«

Tyle Martin runzelt die Brauen und gibt sich Mühe, ein nachdenkliches Gesicht zu machen.

»Warten Sie mal, Pat, da müsste ich überlegen. Ich glaube, diese Wette würde ich nicht annehmen. Aber jedenfalls habe ich zu diesem Zeitpunkt Ihren Scheck bereits in den Händen gehalten.«

»Davon bin ich überzeugt«, entgegnet Pat Brackett sarkastisch. »Das ist eben der Nachteil bei prompter Zahlungsweise. Reklamationen werden dadurch nur unnötig kompliziert. Ich denke, in diesem Jahr werde ich Sie eine Weile auf Ihr Geld warten lassen, bis ich jeden Halm Ihrer Lieferung besichtigt habe. Das wird schätzungsweise bis zum Frühjahr dauern.«

»Bloß nicht!« Tyle Martin hebt abwehrend die Hände und zieht eine verzweifelte Grimasse. »Seien Sie gnädig, Pat, es waren nur hundertfünfzig Dollar, die ich nachträglich heruntergehandelt habe. Ich schlage vor, Sie nehmen die Hälfte davon als eine nachträgliche späte Buße an und kürzen sie bei der nächsten Rechnung. Bin ich wieder in Gnaden aufgenommen?«

»Ich werde jedenfalls dem Colonel gut zureden«, versichert der Reitboss mit einem Lächeln.

»Meinen Sie, er müsste es überhaupt erst erfahren? Machen Sie mir nur nichts vor. Wenn Sie nur ernsthaft wollten, dann wird der Colonel bestimmt nichts davon erfahren!«

»So viel Vertrauen kann man nicht enttäuschen«, murmelt Pat amüsiert. »Doch wir werden es anders machen, Tyle. Bei der nächsten Lieferung von Hafer werden Sie die Menge entsprechend erhöhen, ohne es auf der Rechnung zu vermerken – okay?«

»Na klar«, ächzt Tyle Martin erleichtert. Dann fährt er gedämpft fort: »Was halten Sie von den Geschichten, die über die Siedler am Fluss im Umlauf sind, Pat?«

Der Reitboss presst die Lippen aufeinander, und seine Augen scheinen sich von einer Sekunde zur anderen zu verdunkeln.

»Geschichten?«, wiederholt er fragend. »Sie müssen sich schon etwas deutlicher ausdrücken, Tyle.«

Als ob er nach einem passenden Ausdruck suchen müsse, druckst der Besitzer der Frachtstation und Futtermittelhandlung herum.

»Nun ja, es wird von einem Zaun gesprochen, von Stacheldraht, um es genau zu sagen.«

Pat Bracketts Miene ist plötzlich wie versteinert.

»Hören Sie, Tyle, das ist ein schlechter Witz«, knurrt er hart. »Haben Sie da nicht aus dummem Gerede etwas zu viel herausgehört?«

»Verstehen Sie mich richtig, Pat. Ich will nicht derjenige sein, auf den man später mit dem Finger zeigt. Ich mache meine Geschäfte mit der Halbmond-Ranch ebenso gut wie mit den Siedlern am Fluss und in den Hügeln. Mir liegt nur daran, einen wirklich großen Verlust zu vermeiden.«

»Ich weiß«, erwidert der Reitboss. »Also dann, was ist, Tyle?«

Dieser richtet die Blicke auf ihn wie ein in die Enge getriebener Fuchs und senkt sie sofort wieder.

»Jesse Boone und Bob Travis sollen sich drüben im Store darüber unterhalten haben«, murmelt er. »Und Sam McAllister behauptet, er hätte genau verstanden, dass von einem Zaun die Rede war. Sie haben sich den Draht heimlich in Cheyenne bestellt und erwarten ihn Ende dieser Woche. Angeblich wollen sie zwölf Meilen Zaun ziehen, vom Snake Creek bis zu den Cliffs.«

»Und Sie haben sich gefragt, ob Sie mir überhaupt etwas davon sagen sollen, Mister?«, entgegnet der Reitboss scharf. »Geben Sie nur acht, dass Sie nicht eines Morgens aufwachen und in einem falschen Bett liegen, Tyle! Wenn es um Stacheldraht geht, dann habe ich kein Verständnis für lahme Neutralität und flaue Ausreden. Dieses Becken hier ist in erster Linie Rinderland, und was ...«

»... und was in jedem anderen Land der liebe Gott ist, das ist hier Colonel Jason Dundee, nicht wahr?«, fällt ihm Martin bitter ins Wort. »Aah, ich verstehe Sie nicht, Pat. Sie sind sonst der fairste Mann, der jemals im Sattel gesessen hat. Nur wenn es um den Colonel oder die Halbmond-Ranch geht, verlieren Sie vollends den Verstand. Sehen Sie denn nicht ein, dass ...«

»Hören Sie auf, Tyle«, knurrt Pat Brackett gepresst. »Wenn hier jemand blind ist, dann sind Sie es und die anderen. Oder haben Sie vergessen, dass dieses Becken vor knapp zehn Jahren noch Indianerland war? Der Colonel hat alle Arbeit geleistet, um überhaupt eine Grundlage für die Besiedlung des Beckens zu schaffen. Ich bin mit ihm zusammen aus der Gefangenschaft entlassen worden. Weil es in Texas zu viele Strauchdiebe, Blutsauger und Yankee-Glücksritter gab, ist er nach Norden gezogen – bis hierher ins Wind River Becken. Er hat es nach Squatter-Recht in Besitz genommen und alle Voraussetzungen für die Zukunft dieses Landes geschaffen. Prioritätsrecht nennt man so etwas, Tyle – das Recht dessen, der zuerst dagewesen ist.

Und erst als die Indianergefahr beseitigt war, durch den Halbmond-Brand beseitigt war, da kamen die Siedler wie ein Heuschreckenschwarm. Wir haben ihnen das Hügelland überlassen, ohne mit der Wimper zu zucken. Ja, der Colonel hat diesen Leuten sogar noch manche Unterstützung gewährt.«

»Weil er das Hügelland ohnehin nicht für seine Rinder brauchte«, erklärt Tyle Martin. »Und außerdem hat sich die Unterstützung für ihn bestens bezahlt gemacht, weil er über die Siedler billiges Winterheu beziehen konnte. Denken Sie nur daran, wieviel Heu wir früher aus großer Entfernung heranschaffen mussten. Dagegen sind die hundertfünfzig Tonnen der letzten Jahre wie ein armseliger Schober. Sogar eine eigene Heumannschaft wäre euch auf der Halbmond-Ranch teuer zu stehen gekommen.«

»Und wenn schon«, beharrt der Reitboss grimmig. »Auch eine Ranch muss schließlich nach kaufmännischen Gesichtspunkten geleitet werden – nicht wahr?

Okay, wir haben unser Winterfutter billig gekauft. Aber die Siedler hätten noch weniger für ihr Heu bekommen, wenn sie es aus dem Becken hätten hinausschaffen und dort draußen irgendwo verkaufen müssen. Es war und ist also ein Geschäft zum gegenseitigen Vorteil, nicht nur für diesen Halbmond-Brand. Nur ein Narr könnte daraus irgendwelche Vorwürfe gegen den Colonel ableiten.«

»Na gut, Pat«, beschwichtigt der Besitzer der Frachtstation und hebt die Hand. »Wenn Sie es so betrachten, dann frage ich mich aber nur, warum es dann trotzdem immer wieder irgendwelchen Kummer mit den Siedlern am Fluss gibt. Sie haben schließlich nichts anderes getan als die Leute in den Hügeln.«

»Aber sie hatten nicht die Zustimmung des Colonels, als sie sich dort ihre Parzellen absteckten«, erwidert Pat Brackett daraufhin gepresst. »Der Fluss wäre eine natürliche Trennungslinie gewesen. Nicht die Halbmond-Ranch, sondern die Schollenbrecher haben sie überschritten, gegen alle Vernunft und gegen das alte Recht der freien Weide. Sie haben also nicht den geringsten Grund, sich zu beklagen.«

Dann wendet er sich mit einem harten Ruck ab und geht. Tyle Martin aber lässt seine Augen noch lange auf der hageren, beherrscht wirkenden Gestalt Pat Bracketts ruhen und murmelt vor sich hin:

»Daraus mag der Teufel schlau werden. Ein kleiner Schwindel von hundertfünfzig Dollar lässt ihn kalt, er erträgt es sogar mit Humor – genau wie ein Bursche, mit dem man Pferde stehlen kann. Aber es braucht nur das Wort ›Stacheldraht‹ zu fallen, dann gerät er aus der Fassung – als ob der Draht nicht überall das Ende der freien Weide gebracht hätte!«

✰✰✰

Rivertown als Stadt zu bezeichnen, würde einer maßlosen Übertreibung gleichkommen. Die Hauptstraße mit den ausgefahrenen Wagenfurchen, die sich im Herbst in ein gigantisches Schlammbad verwandelt, ist zugleich die einzige Straße. Nur zwei Wege zweigen davon ab. Einer führt zu Tyle Martins Maultierkorral und der andere zum Schulgebäude.

Doch immerhin, Rivertown ist der Kristallisationspunkt für die Besiedlung dieses Landes. Tyle Martin unterhält hier seine Frachtstation und seine Futtermittelhandlung. Etwa achtzig Yards entfernt liegt der große Generalstore Sam McAllisters, dem gleichzeitig ein Saloon angegliedert ist. Außerdem bekleidet Sam McAllister das Amt eines Postagenten und Bürgermeisters. Für seinen Tätigkeitsdrang gibt es keine Grenzen, wenn darüber auch so manche recht lieblose Bemerkungen gefallen sind.

So hatte Abe Kelly, der Schmied, einmal behauptet, dass es sich dabei im Grunde nur um Geltungssucht handele, und als Indiz dafür hatte er angeführt, dass der Generalstore als einziges Gebäude in Rivertown über eine falsche Fassade verfügt, mit welcher ein zweites Stockwerk vorgetäuscht werden soll, wo in Wirklichkeit gar keines ist.

Zeitweilig hatte man Sam McAllister auch verübelt, dass er für seinen Saloon eine »zweifelhafte Frau« angestellt hatte. So jedenfalls sahen es die Ladies der Stadt. Es war deswegen fast zu einer Art Palastrevolution in Rivertown gekommen. Da sich der männliche Teil der Bevölkerung dieser Bewegung jedoch nicht anschloss, war sie schließlich im Sande verlaufen.

Nicht zuletzt war das auch Pearl Lounsberry zu verdanken, sie hatte im Laufe der Zeit beweisen können, dass sie trotz ihres leichtfertigen Make-ups, wie es nun einmal zu einem Saloon gehört, keineswegs so »zweifelhaft« war, wie man es ihr zunächst nachgesagt hatte. Inzwischen verfügt sie sogar über einen Stammplatz beim sonntäglichen Gottesdienst.

Pat Brackett befindet sich auf dem Weg zum Saloon, wo er sein Pferd zurückgelassen hat. Schon von weitem entdeckt er den grauen Hengst, dessen dunkler »Aalstrich« – eine dunklere Tönung des Fells, die von der Mähne entlang des Rückgrats bis zur Schwanzwurzel verläuft – auf die Abstammung des Hengstes von Wildmustangs hinweist. Tatsächlich war Washakie der Leithengst eines Wildpferdrudels, ehe es dem Reitboss nach wochenlangen Bemühungen gelungen war, ihn in eine Falle zu treiben und ihm die Lassoschlinge über den Kopf zu werfen.

Jetzt aber ist Washakie von Gerald, dem hoffnungsvollen Sprössling Tyle Martins, mit Beschlag belegt. Der Junge sitzt auf dem Rücken des Hengstes, richtet sich abwechselnd in den Steigbügelriemen auf und lässt sich wieder in den Sattel zurückplumpsen, als wenn er einen schneidigen Trab vorexerzieren wolle. Neben dem Kopf des Hengstes steht die hünenhafte Gestalt von Dave Ross, einem der Bestleute der Halbmond-Ranch. Er hält das Kopfgeschirr fest und sorgt dafür, dass der Dreikäsehoch ein »Wildpferd« reiten kann. Mit gönnerhafter Miene beobachtet er die Kapriolen des Jungen.

»Mr. Brackett! Mr. Brackett!«, kräht Gerald, als er den Reitboss bemerkt. »Sie haben es gesehen, dass ich Washakie reiten kann! Aah, wenn ich das Mike Boone und Benny Travis erzähle, das glauben sie mir nie! Aber Sie können bezeugen, dass ich ein richtiges Wildpferd unter dem Sattel gehabt habe, nicht wahr, Mr. Brackett?«

Der Reitboss unterdrückt ein Grinsen und nickt.

»Verdammt, was ist das?«, stößt da plötzlich Dave Ross grollend hervor. »Sieh dir das an, Pat, und dann sag mir, ob du auch das siehst, was ich sehe!«

Schon die jähe Veränderung im Gesicht des Jungen hat Pat Brackett stutzig gemacht. Jetzt fasst er Gerald bei den Hüften, hebt ihn vom Pferd und wendet sich um. Seine Augen verengen sich und die gebräunte, wettergegerbte Haut an Kinn und Nacken scheint sich mit einem Mal zu spannen.

»Phil Towers und Ben Efron«, murmelt er gepresst, »und wenn mich nicht alles täuscht, dann ist das Jesse Boone, den sie da am Lasso haben.«

Laut schreiend rennt Gerald quer über die Straße zum Frachtwagenhof hinüber. Zwei Frauen treten aus dem Store und erbleichen, und hinter den Scheiben des Barber Shops tauchen ein paar fassungslose Gesichter auf.

»Nein, das ist nicht Jesse Boone«, keucht Dave Ross mit heiserer Stimme. »Das ist nur noch das, was nach sechs Meilen Hölle von ihm übriggeblieben ist!«

Diese Behauptung geht nicht weit an den Tatsachen vorbei. Vielleicht ist Jesse Boone nicht völlig bewusstlos, aber er ist in einen Zustand dumpfer Lethargie versunken und so teilnahmslos, dass er die Vorgänge in seiner Umwelt gar nicht mehr erfassen kann. Wie ein Betrunkener wankt er dahin, der Kopf pendelt ihm willenlos auf der Brust, sein Oberkörper ist vornüber gesunken und wird nur durch die beiden straff gespannten, tief in das Fleisch seiner Oberarme einschneidenden Lassos halbwegs aufrecht gehalten. Leere Augen starren aus einem maskenhaften, staubüberzogenen Gesicht.

Phil Towers und Ben Efron haben ihre Pferde inzwischen in Schritt fallen lassen. Wenn sie die Absicht hatten, hier eine abschreckende Vorstellung zu geben, so ist ihnen dies vollauf gelungen. Immer mehr Menschen tauchen nun vor den Häusern auf – vor dem Barber Shop, in der Einfahrt der Schmiede, wo sich gleichzeitig der Mietstall befindet, auf dem Gehsteig vor Tyle Martins Frachtstation und in der Gittertür der kleinen Bankfiliale. Vor ihrer aller Augen spielt sich diese anwidernde Szene ab, mit der nach Meinung der beiden Akteure die Macht und die harte Faust der Halbmond-Ranch demonstriert werden soll. Das große Schweigen senkt sich über Rivertown. Nur eine der Frauen ruft mit zitternder Stimme: »Mein Gott!«, und dann sind manchmal die Atemzüge von Jesse Boone zu hören, wenn er keuchend nach Luft ringt.

Vor dem Saloon bringen die beiden Kerle mit Beifall heischendem Grinsen ihre Pferde zum Stehen und lockern die Lassos. Sofort sinkt der Siedler in sich zusammen, torkelt ein paar Schritte und schlägt mit einem heiseren Seufzer schwer zu Boden.

Ben Efron sitzt ab, lässt achtlos die Zügel seines Pferdes fallen und arbeitet sich Hand über Hand am Lasso entlang bis zu dem Bewusstlosen vor. Er streift ihm die beiden Schlingen ab, und während nun auch Phil Towers sein Lasso aufzurollen beginnt, tönt er mit einem rauen Auflachen:

»Das wär's also, und ebenso wird es jedem verdammten Schollenbrecher ergehen, der mit einer Flinte in den Büschen steckt, wenn Halbmond-Reiter in der Nähe sind. Der gute Jesse Boone hat seine Lektion geschluckt. Wenn es noch einer probieren will, den werden wir gleich auf Strümpfen aus dem Land jagen!«

Wie eine Mauer umgibt sie das starre, ablehnende Schweigen der Menschen. Die beiden hartgesottenen Burschen lassen sich nicht davon beeindrucken. Ben Efron befestigt sein Lasso wieder am Sattel, führt sein Pferd an den Holm und schlingt die Zügel darum. Dann geht er auf seinen Reitboss zu, zieht die Mundwinkel zu einem spöttischen und selbstsicheren Grinsen herab, und dann knurrt er:

»Hallo, Brackett, ich glaube fast, nach dieser Sache haben wir eine Zulage verdient. Durch rechtzeitiges Zuschlagen kann man sich eine Menge Kummer in der Zukunft ersparen, nicht wahr?«

Pat Brackett steht noch immer wie erstarrt. Die gelben Funken in seinen Augen werden weitgehend durch die gesenkten Lider verdeckt. Schlaff hängen seine Arme am Körper herab, und in derselben Haltung verharrt er auch, bis der Bursche unmittelbar vor ihm steht.

»Yeah«, erwidert er gedehnt. »Rechtzeitiges Zuschlagen ist eine Menge wert, Mister!«

Und dann schlägt er zu.

Obwohl Ben Efron nicht gerade ein Schwächling ist, wird er durch diesen wuchtigen Uppercut glatt von den Beinen gerissen. Er kippt nach hinten und überschlägt sich, dann bleibt er verkrümmt auf der Seite liegen.

Der Reitboss aber streckt mit einer lässigen, abwehrenden Bewegung die Linke gegen Phil Towers aus, hält die Rechte mit dem Handgelenk in unmittelbarer Nähe des rauen Revolverkolbens, der aus seinem tiefgeschnallten Halfter ragt, und brummt warnend:

»Das würde ich mir an deiner Stelle noch einmal überlegen, Freund! Schon mancher hat sehr schnell nach seinem Eisen gegriffen und fand dann niemals mehr Gelegenheit zu der Feststellung, dass er doch zu langsam war.«

Zur Hälfte hat der Bursche den Colt bereits aus dem Halfter gezogen, trotzdem lässt er ihn jetzt fahren, als ob der Kolben plötzlich weißglühend geworden wäre. Seine Hand bewegt sich wie im Krampf, als er verlegen mit der Handfläche an seinen Rippen entlangstreicht. Er schluckt, schaut tückisch aus den Augenwinkeln auf den Reitboss und keucht schwer:

»Das war zu viel, Brackett, so kann man mit einer harten Mannschaft nicht umspringen. Sie haben sich nicht einmal angehört, was Ben Efron Ihnen zu sagen gehabt hätte.«

»Warum hast du ihn nicht ziehen lassen, Pat?«, grollt Dave Ross aus dem Hintergrund vorwurfsvoll. »Ich hätte diesem Schinder die Ohren vom Kopf geschossen, wenn er es nicht anders hätte haben wollen.«

Der Reitboss geht gar nicht erst auf diese Worte ein. Hart ruhen seine Augen auf Phil Towers. Mit einer ungeduldigen Kopfbewegung entgegnet er: