H. C. Hollister 6 - H.C. Hollister - E-Book

H. C. Hollister 6 E-Book

H. C. Hollister

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Beschreibung

Bei ehrlichen Leuten aufgewachsen, erfährt Mike Shane, dass er äußerst dunkler Herkunft sei. Seines inneren Gleichgewichts beraubt, macht er sich auf einen weiten und gefahrvollen Weg, um seine wirklichen Eltern zu suchen. Doch ein Mann wie Mike Shane kennt keine Furcht.
Seine Mutter, vor seinen Augen erschossen, kann ihm nur noch die beiden Worte "Shoshone Cavern" zuflüstern, dann ist sie nicht mehr. Mike wird des Mordes an seiner eigenen Mutter angeklagt und kann sich nur mit einer kühnen Flucht aus der für ihn bereits gelegten Schlinge retten. Doch nun zählt auch er zu den Ausgestoßenen, denn er hat sich durch seine Flucht jenseits des Gesetzes gestellt.
Mike jagt hinter dem Mörder seiner Mutter her. Die Spur führt ihn nach den Shoshone Cavern, einem berüchtigten Banditen-Camp. Dort findet er in Jim Drake einen unersetzlichen Freund, der ihm auf seinem rauen Weg durch das Camp große Hilfe leistet. Doch Mike findet auch seinen Vater ...

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Inhalt

Cover

Impressum

WILDE GRENZE

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Ertugrul Edirne/Becker-Illustrators

Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-9592-1

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

»Es gibt heute eigentlich zu viele Autoren, die angeblich so schreiben, wie der Wilde Westen wirklich war. Wenn man dann näher hinschaut, entdeckt man doch nur zu oft ein verfälschtes Bild, Klischee und Schablone. In jedem meiner Romane versuche ich bis auf den Grund einer historisch echten Darstellung vorzudringen. Der grandiose Stoff zwingt mich einfach dazu.«

H.C. Hollister, Mitte der 1960-er Jahre

WILDE GRENZE

Bei ehrlichen Leuten aufgewachsen, erfährt Mike Shane, dass er äußerst dunkler Herkunft sei. Seines inneren Gleichgewichts beraubt, macht er sich auf einen weiten und gefahrvollen Weg, um seine wirklichen Eltern zu suchen. Doch ein Mann wie Mike Shane kennt keine Furcht.

Seine Mutter, vor seinen Augen erschossen, kann ihm nur noch die Worte »Shoshone Cavern« zuflüstern, dann ist sie nicht mehr. Mike wird des Mordes an ihr angeklagt und kann sich nur mit einer kühnen Flucht aus der für ihn bereits gelegten Schlinge retten. Nun zählt er zu den Ausgestoßenen, denn er hat sich durch seine Flucht jenseits des Gesetzes gestellt.

Mike jagt hinter dem Mörder seiner Mutter her. Die Spur führt ihn nach den Shoshone Cavern, einem berüchtigten Banditen-Camp. Dort findet er in Jim Drake einen unersetzlichen Freund, der ihm auf seinem rauen Weg durch das Camp große Hilfe leistet. Doch Mike findet auch seinen Vater …

Mike Shane gibt den letzten Schuss aus dem gebrauchten Colt ab.

»Eine Kugel im Zentrum, der Rest daneben«, murmelt er enttäuscht, als er die selbstgefertigte Scheibe in den Fingern dreht.

Dann fährt er jäh herum. Über den Sträuchern, die die Lichtung umschließen, erkennt er das grinsende Gesicht von Jim Drake.

»Hallo, Kunstschütze«, lacht Jim und kommt heran. »Was willst du eigentlich, Mann? So mancher Bursche, der sich für einen prächtigen Revolverschützen hält, würde sich nach diesem Treffergebnis bei der Entfernung alle zehn Finger lecken. Drei Schuss in weniger als zwei Sekunden. Und drei Treffer auf einem Ziel von höchstens einem viertel Quadratfuß! Du hast Talent, mein Freund, und eine ganz verteufelt schnelle und sichere Hand. – Aber solange du mit deiner Methode weiterschießt, wirst du kein besseres Ergebnis schaffen.«

»Und mit welcher Methode soll ich es besser machen?«

»Geh zur Seite, ich mache es dir vor.« Lässig schlendert Jim Drake von dem Baum fort. Seine Haltung ist ruhig und gelöst.

Mike lässt kein Auge von ihm, um sich keinen seiner Schüsse entgehen zu lassen.

Der Donner der Schüsse folgt so dicht aufeinander, dass man kaum feststellen kann, wie oft die Flamme an der Mündung aufgezuckt ist.

Fasziniert starrt Mike noch immer auf das Bild, als Jim seinen Revolver schon wieder nachgeladen hat.

Jim war plötzlich gedankenschnell herumgewirbelt. Die Rechte hatte den Colt hochgerissen, die Handkante der Linken hämmerte ein rasendes Stakkato auf den Hammer der Waffe. Der Zeigefinger der Rechten hatte den Abzug nur einmal angezogen und dann nicht mehr losgelassen.

»So kannst du nur mit einem alten Modell schießen, wo noch der Hammer den Transport der Trommel besorgt, Mike. Bei den neuen Waffen macht das der Abzug. Da ist es aus mit dem Hackschuss, savvy?«

Mike ist beeindruckt und geht zu dem Baum hinüber. Die ganze Serie – sechs Kugellöcher – liegt dicht beieinander in der Mitte des Kreises.

»Mann, steh nicht herum, versuch es selbst!«

Wie ein Schatten fegt Mike herum, die Schüsse bellen auf, beinahe zu einem einzigen verschmelzend. Jim hat die Sekunden gezählt – drei waren es, da ist die Trommel leer. Zwei Einschläge sitzen im Kreis.

Jim nimmt das Blatt herunter und zerreißt es in kleine Fetzen, die er davonflattern lässt.

»Ich habe zwei Jahre gebraucht, bis ich soweit war«, sagt er einfach. Dann gehen sie in Richtung zur Stadt zurück.

☆☆☆

Als sie Bozeman erreichen, ist die Dämmerung hereingebrochen. Jim geht mit seinem Pferd zum Stall des Golden Triangle.

»Sehen wir uns noch, Mike?«

»Sicher, Dad ist im Schankraum. Ich gehe noch eine halbe Stunde zu ihm.«

»Ich komme gleich nach, wenn ich den Gaul versorgt habe«, nickt Jim und verschwindet im Hofeingang.

Die Haltestange vor dem Hotel ist dicht mit Sattelpferden besetzt. Der Schankraum wird meist von älteren Bürgern und Ranchern besucht, die keinen Wert auf das laute Treiben in den wilden Saloons der Stadt legen.

Mike sieht seinen Vater sofort und nickt ihm zu. Er sitzt mit einigen Geschäftsleuten an einem Ecktisch.

»Gib mir ein Bier, Walt«, sagt Mike zum Barkeeper und lässt seine Blicke durch den Raum schweifen. Eine zusammengesunkene Gestalt sitzt allein an einem Tisch. Dann hebt sie den Kopf. Die stieren Augen Jeb Potters blicken Mike aus verquollenen Lidern an. Potter stemmt sich hoch und torkelt zu Mike heran. Sein Whiskyglas hält er in der Hand. Die bräunliche Flüssigkeit schwappt über und fließt über seine Hand.

Potter steht so unsicher auf den Beinen, dass er erst an Mike wieder Halt findet. Angewidert tritt Mike einen Schritt zurück, während Potter schlürfend den Whisky von seiner Hand ableckt.

»Prost, Greenhorn! Cheerio! Ich bin dir wohl nicht fein genug, du verdammter, hochnäsiger Bastard?«

Rau und heiser kommen die Worte aus Potters versoffener Kehle. Dabei verliert er das Gleichgewicht und torkelt erneut gegen Mike.

»Lassen Sie mich in Ruhe, Potter«, schiebt Mike ihn von sich. »Sonst halte ich ein Streichholz an Ihren Hals. Sie explodieren wie ein Pulverfass, verlassen Sie sich drauf!«

Mit krampfhaft aufgerissenen Augen starrt der Betrunkene Mike an. Dann geht ein hämisches Grinsen über sein Gesicht.

»Du bist ein dreckiger … Bastard. Und so was will … einen angesehenen Bürger beleidigen!«

Drohend fuchtelt Potter mit seinem Zeigefinger vor Mikes Gesicht herum.

»Das wissen ja nicht viele … aber Jerobeam Potter weiß es! Und ich werde es dir sagen: Du bist nur ein dreckiger Bastard!«

Wenn der Betrunkene seine Worte auch nur stockend herausbringt, die Lautstärke ist so, dass man seine Rede im ganzen Raum hören kann.

An mehreren Tischen ist die Unterhaltung verstummt. Viele Augen verfolgen den Fortgang der Vorstellung, die Jeb Potter geben will.

Da legt sich eine schwere Pranke auf Potters Schulter. Harry Shane dreht ihn zu sich herum.

»Halt den Mund, Potter. Du bist mal wieder besoffen wie ein Schwein. Mach, dass du ins Bett kommst!«

»He, Shane! Warum fasst du mich an? Ich will dem Bengel doch bloß sagen, dass er … aah.«

Wenn Harry Shanes Schmiedepranke einmal kräftig zulangt, kann er damit einen Stier fällen. Seine Faust ist Potter unter das Kinn gefahren, sodass dieser um einige Zoll in die Höhe wächst und dann wie ein nasser Sack in sich zusammenfällt.

Damit hat die Vorstellung ein vorzeitiges Ende gefunden. Die allgemeine Aufmerksamkeit wendet sich sofort wieder anderen Dingen zu.

»Warum hast du ihn gleich niedergeschlagen, Dad? Man hätte ihn doch auch anders loswerden können.«

Wenn Mikes Stimme sonst schon etwas spröde klingt, so wirkt sie jetzt fast brüchig.

»Du kennst dich mit Betrunkenen nicht aus, Junge. Er hätte todsicher gleich angefangen zu randalieren«, sagt Harry Shane, und sein Gesicht ist hochrot. Vielleicht ist es Zorn, der ihm das Blut zu Kopf steigen lässt, vielleicht aber auch … Verlegenheit.

☆☆☆

»Wir hätten es ihm schon längst sagen sollen, Harry. Stelle dir doch nur einmal vor, dass er es von einem Saufbold wie Potter erfährt, oh Gott, ich mag gar nicht daran denken. Wie kann ein Mensch nur einen anderen Bastard nennen? Potter ist doch einer der wenigen, die wissen, wie es wirklich war. Warum tut er es also?«

Das Zimmer ist dunkel. Nur der Schein des Mondes malt silberne Kringel auf den weißgescheuerten Dielenboden und die hochgebauschten Federbetten des Ehepaares Shane. Harry Shane spürt die ängstliche Hand seiner Frau, die zu ihm hinübertastet.

»Er war sinnlos betrunken, Rosie. Mir stockte der Atem, als ich seine Worte hörte. Im letzten Augenblick habe ich ihn noch zum Schweigen gebracht!« Und Harry Shane betastet die Knöchel seiner rechten Hand, die Potter ins Land der Träume geschickt hatte.

»Wenn es sein muss, Rosie, so soll er es von uns selbst erfahren. Ich hätte es ihm gern erspart, aber anscheinend soll es nicht sein.«

Shane hört das unterdrückte Schluchzen seiner Frau. Auch ihm selbst verursacht ein Kloß in seiner Kehle ein würgendes Gefühl, aber er weiß nicht, was er sagen soll. Er nimmt die Hand seiner Frau in seine schwielige Faust und drückt sie ganz sacht.

Morgen früh werde ich mit Mike sprechen, nimmt er sich vor. Es soll endlich Klarheit herrschen. Ich will wieder ruhig schlafen, so wie Mike es in dieser Nacht noch tut.

☆☆☆

Der Mondschein wirft einen verzerrten Schlagschatten von Mikes Gestalt auf den Staub der Straße. Wie eine Märchenwelt wirkt die im Mondlicht schimmernde Stadt. Nur aus dem Marshals Office blinkt noch ein mattes Licht.

Mike Shane hat keine Augen für das romantische Bild. In ihm tobt die Hölle. Wenn er sich auch im Golden Triangle beherrschen konnte, so glaubt er, dass Potters Worte trotz seines Rausches einen ganz bestimmten Sinn hatten. Irgendwo liegt der Schatten eines Geheimnisses auf seinem Leben. Viele kleine Begebenheiten, die er früher nie beachtet hatte, nehmen im Lichte dieser Betrachtungsweise ein ganz eigenartiges Gesicht an.

Noch ist Mike selbst die Richtung seiner Vermutungen nicht klar. Doch um sich Gewissheit zu verschaffen, ist er nun auf der Suche nach Jeb Potter.

Dieser zerlumpte Strolch, der sich als ehrenwerten Bürger bezeichnete, hat keine feste Wohnung. In den meisten Fällen dient ihm ein versteckter Winkel des Mietstalles oder der Frachtwagengesellschaft als Nachtquartier.

Wells Fargo & Comp. Ltd. Express and Banking. So steht es in großen Buchstaben über dem Hofeingang der Gesellschaft, die ihr Verkehrsnetz über den ganzen Middle und Far West ausgedehnt hat.

Vorsichtshalber drückt Mike sich in den Schatten der Häuser und blickt sich um. Keine Menschenseele ist zu sehen.

Still liegt auch der Hof der Wells Fargo, als Mike ihn mit raschen Sätzen überquert. Der Stall ist von außen verriegelt, das beste Zeichen, dass Potter nicht darin ist. Seitlich hinter dem Stall befindet sich ein Schuppen, in dem Heu und Stroh für die zahlreichen Pferde der Station aufbewahrt wird. An diesem Schuppen fehlt die Tür. Ein reparaturbedürftiger Frachtwagen ist zu erkennen, dessen Hinterachse sich zurzeit in Shanes Schmiede befindet.

Mike zwängt sich zwischen Tor und Wagen hindurch und taucht in die Dunkelheit ein. Mit angehaltenem Atem bleibt er stehen.

Das war nicht nötig, denn die rasselnden Schnarchtöne wären auch ohnedies nicht zu überhören gewesen. Nur Potters Stiefel ragen aus dem Heustapel heraus.

Mike packt zu und zerrt Potter heraus auf den gestampften Lehmboden der Tenne.

»Rrrchh«, macht Potter, wälzt sich zur Seite und schnarcht weiter.

Da packt ihn Mike bei den Aufschlägen seiner Jacke und schüttelt ihn, dass sein Kopf wie ein Uhrpendel von einer Seite zur anderen schwankt. Einige knurrende Laute stößt Potter aus, dann schlägt er die Augen auf und blinzelt gegen das helle Rechteck der Tür.

»Was ist denn, zum Teufel? Lasst mich doch schlafen. Euer lausiger Schuppen wird davon nicht schlechter.«

Anscheinend hat Potter schon einmal schlechte Erfahrungen mit den Stallburschen der Station gemacht, dass er Mike nun für einen von ihnen hält.

»Werden Sie wach, Potter. Ich bin es, Mike Shane!«

Es vergeht geraume Zeit, bevor Potter seinen alkoholumnebelten Blick auf Mikes Gesicht richtet.

»Oh, verdammt, Shane, was willst du? Willst wohl die Prügel fortsetzen, die dein Bulle von Vater einem armen, alten Mann gegeben hat?«

»Sie sollen etwas fortsetzen, Potter. Die Geschichte nämlich, die Sie mir im Golden Triangle erzählen wollten, haben Sie verstanden?«

Offenbar ist die Wirkung des Whiskys schon so weit verflogen, dass Potter sich in etwa erinnern kann.

»Und wenn ich es nicht tu, Greenhorn?«

»Dann wären Sie der erste arme, alte Mann, den ich in meinem Leben windelweich prügle!«

»Die Geschichte willst du also hören, Shane. Nun gut! In nüchternem Zustand hätte ich sie dir zwar nie erzählt, aber jetzt habe ich an deinem Vater etwas gutzumachen.«

Er spricht das Wort Vater ganz gedehnt und höhnisch. Anscheinend hat er eine Erwiderung Mikes erwartet, aber der schaut ihn nur schweigend an.

»Well, die Sache ist so: Der gute Harry Shane ist noch nie Vater gewesen.«

»Potter!« Es ist fast ein Ächzen, das Mike ausstößt. Seine Faust krampft sich in das Hemd des Mannes und drückt ihm fast die Luft ab.

Mit einem Ruck, der seinen Hemdkragen zerfetzt, macht Potter sich wieder frei.

»Goddam, wenn du die Wahrheit nicht ertragen kannst, warum fragst du dann? Es ist so, wie ich gesagt habe, verlass dich drauf!«

Mikes Gesicht ist kreidebleich, seine Augen sind aufgerissen. Trotz des Dämmerlichtes im Schuppen kann Potter die verkrampften Kinnmuskeln Mikes erkennen.

»Pass auf, ich erzähle es dir genau, wie es gewesen ist!«

Und dann erfährt Mike die Geschichte eines leichtsinnigen Barmädchens, das eines Tages ein Kind zur Welt brachte. Es war in einer der wilden Städte des mittleren Westens. Und er erfährt von zwei Menschen, die er bisher für seine Eltern gehalten hatte, denen das Glück versagt blieb, jemals ein Kind zu haben. Er erfährt, wie sie dieses Kind adoptierten und dann mit einem Treck weiter nach Westen zogen. Alles nur, damit dieses Kind niemals erfahren sollte, dass sie, Harry und Rosie Shane, nicht seine leiblichen Eltern waren. Potter war zu jener Zeit in dem gleichen Saloon angestellt wie jenes Mädchen. Als er Jahre später als verlotterter Tramp nach Bozeman kam, das zu jener Zeit nur aus wenigen armseligen Hütten bestand, hatte er Shane sofort wieder erkannt. Und auch Shane hatte sich seiner erinnert.

»Wie heißt sie?«, murmeln Mikes Lippen tonlos.

»Wer?«

»Meine … meine Mutter?«

Nur quälend kommen diese Worte heraus.

»Warte mal! Sie war ein tolles Weib – aber wie hieß sie noch? Es war ein französisch klingender Name. Aah ja. Katherine Blanchard, so hieß sie. Vor Jahren habe ich sie einmal in einer Kneipe in Cody gesehen, aber sie hat mich nicht mehr erkannt. Ist ja auch schon über zwanzig Jahre her.«

»Katherine Blanchard!«

Als wenn er sich diesen Namen unauslöschlich einprägen wollte, spricht Mike ihn langsam und deutlich vor sich hin.

»Potter! Es wird dein Tod sein, wenn noch ein Mensch diesen Namen oder diese Geschichte erfahren sollte!«

Als Potter Mikes dunkelglühende Augen sieht, glaubt er ihm diese Drohung aufs Wort.

Augenblicke später ist Mike verschwunden.

☆☆☆

»Harry! Harry, so komm doch schnell! Mike ist nicht da!«

Fluchend steckt sich Harry Shane die letzten Zipfel seines Hemdes in die Hose und rennt hinüber in die Küche. Seine Frau ist nur mit einem weiten Flanellunterrock bekleidet. Sie weist auf ein Blatt Papier, das auf dem Küchentisch liegt.

»Lies du es, Harry! Mir verschwimmen die Buchstaben vor den Augen.«

Es dauert eine Weile, bis Harry Shane seine Nickelbrille endlich gefunden hat. Nervös fummeln seine Hände an den Bügeln, bis die Brille endlich richtig auf seiner Nase sitzt. Er nimmt das Blatt von seiner Frau entgegen. Dann liest er vor, und seine mächtigen Fäuste krampfen sich um die Ränder des Blattes:

Rosie-Mam! Dad!

Ich habe die Wahrheit erfahren. Es ist ein schwerer Schlag für mich. Nun habe ich keine ruhige Sekunde mehr, bis ich sie gesehen habe, meine … Eltern. Aber ich komme zurück. Meine Ersparnisse habe ich mitgenommen, auch den alten Wallach aus dem Stall. Bitte, verzeiht mir, aber ich kann nicht anders.

Mike

☆☆☆

Der Weg von Bozeman nach Cody führt über die Grenze der beiden Staaten Montana und Wyoming. Zu dem Zeitpunkt, da die Pflegeeltern sein Verschwinden bemerkten, befindet sich Mike schon mehr als zehn Meilen entfernt am Westufer des Yellowstone River. Er folgt dem Lauf des Flusses und überquert irgendwann im Laufe des Tages die Grenze. Bei dem Tempo, das Mike vorlegt, gerät sein alter Wallach mächtig in Schweiß.

Am Abend erreicht er eine Pelztierjägerstation am Ufer des Yellowstone Lake.

Die rauen Burschen, die das ganze Jahr lang in dieser Einsamkeit leben, freuen sich über jede Neuigkeit, die aus der Welt zu ihnen dringt. Aber Mike enttäuscht sie mit seiner Wortkargheit. Nachdem sein Pferd versorgt ist und er selbst gegessen hat, sucht er sein Lager auf.

Die Luftlinienentfernung zwischen der Station und der Stadt Cody am nördlichsten Zipfel von Wyoming beträgt nicht mehr als dreißig Meilen. Mike ist überzeugt, es an einem Vormittag bis zu seinem Ziel schaffen zu können.

Endlich, es ist darüber Mittag geworden, entdeckt er eine Lücke in der lang gezogenen Bergkette. Anhand von Berichten kann er unschwer feststellen, dass es die Lücke zwischen der Absaroka- und der Shoshone Range sein muss, die ihm das Abbiegen nach Osten ermöglicht.

Meilenweit ist hier nirgendwo ein Anzeichen von menschlicher Ansiedlung zu entdecken. Nur die Berge mit ihren bizarren Zacken und steinigen Hängen begleiten seinen Ritt nach Osten. Als er schließlich von einem Bergsattel aus in weiter Ferne eine Stadt vor sich liegen sieht, ist es Abend geworden.

Cody, fährt es ihm da durch den Kopf. Cody und Katherine Blanchard. Die Stadt, die dort unten sechs oder sieben Meilen entfernt liegt, muss es sein. Eine Stadt, der der Ruf besonderer Rauheit vorauseilt.

Nachdem Mike die Posthalterei passiert hat, sieht er sich plötzlich von mehreren Reitern umgeben. Einer davon hat eine Kuh an einem Lasso und bemüht sich, sie die hölzernen Stufen des Gehsteigs hinauf in einen Saloon zu treiben. Brüllend vor Lachen sitzen die übrigen auf ihren Gäulen und sehen zu. Nun sind derartige Späße zu dieser Zeit durchaus nicht außergewöhnlich. Mike hätte nicht den geringsten Grund, sein Pferd anzuhalten, wenn nicht seine Blicke auf ein Gesicht gefallen wären, das sich für immer in seinem Hirn eingeprägt hat.

Der Kinnbart! Direkt neben Mike sitzt er auf dem Gaul und biegt sich lachend nach vorn über das Sattelhorn.

Obgleich Mike sich die übrigen Gesichter nicht eingeprägt hat, ist er überzeugt, dass es sich um das gleiche Rudel um Willard Lambert handelt, mit dem er unlängst eine unerfreuliche Begegnung hatte.

Ein ruhiger und eiskalter Zorn erwacht in ihm. Er bewegt die Zehen in den Stiefeln, um noch einmal den Schmerz der Schrammen zu spüren, die er diesem Burschen zu verdanken hat.

In diesem Augenblick nimmt die Kuh das Pferd ihres Peinigers an. Der Gaul scheut, springt zur Seite, und dabei wird dem Reiter das Ende des Lassos entrissen. Die Kuh jagt mit steil aufgerichtetem Schwanz davon.

Das Rudel erholt sich allmählich von dem Lachen und will weiterreiten.

Mike weiß später selbst nicht mehr zu sagen, woher ihm der Mut gekommen ist, in dieses Wespennest zu stechen.

»Moment noch, Mr. Spitzbart«, sagt er. »Ich möchte von Ihnen meine Stiefel ersetzt haben, die im Fork River schwimmen.«

Bevor Willard Lambert merkt, dass er selbst der Angeredete ist, wiehert einer seiner Begleiter: »Der Bursche aus der Furt. Er ist tatsächlich nicht ersoffen.«

Sein Lachen verstummt, als er Mike anblickt und den Revolver an seiner Hüfte bemerkt.

»Sieh mal einer an! Er sitzt schon wieder im Sattel! Dabei hätte ich geschworen, dass er eine Woche lang nicht aufstehen würde«, bleckt grinsend Will Lambert, der sich ganz als Herr der Lage fühlt.

»Wie ist es nun mit den Stiefeln?«, fragt Mike unbeirrt. »Wollen Sie sie ersetzen oder nicht?«

Verblüffung über die vermeintliche Unverschämtheit dieser Frage zeigt sich in Lamberts Gesicht.

»Sag mal, Kleiner, was wirst du machen, wenn ich dir die Stiefel nicht ersetze?«