H. C. Hollister 89 - H.C. Hollister - E-Book

H. C. Hollister 89 E-Book

H. C. Hollister

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Beschreibung

Lee Nichols hat sich zum Ziel gesetzt, seine große Herde nach Virginia City zu bringen, aber es ist ein gefährliches Unterfangen; denn alle Indianerstämme unter Leitung des großen Häuptlings und Medizinmanns Sitting Bull sind in Aufruhr. Yank Sherman, der Scout, rät ihm dringend ab. Der gerissene Lee Nichols glaubt, den Scout für seine Sache gewinnen zu können. Doch dessen Ziel ist ein anderes. Er sucht den Mörder seiner Schwester.
In Camp Frenchman, einem Militärstützpunkt, findet er eine erste sichere Spur. Drohend liegt der Schatten des Indianeraufstands über dem kleinen Fort und seiner Besatzung, und bald kommt es zu den ersten blutigen Kämpfen. Doch was wären die Blauröcke mit ihrem tapferen Kommandanten, dem "Eisenfresser" Major Birch, ohne den Scout Yank Sherman? Im Blaueisblizzard kommt es zur großen Auseinandersetzung mit den Indsmen ...


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Inhalt

Cover

BLIZZARD ÜBER MONTANA

Vorschau

Impressum

BLIZZARD ÜBER MONTANA

Lee Nichols hat sich zum Ziel gesetzt, seine große Herde nach Virginia City zu bringen, aber es ist ein gefährliches Unterfangen; denn alle Indianerstämme unter Leitung des großen Häuptlings und Medizinmanns Sitting Bull sind in Aufruhr. Yank Sherman, der Scout, rät ihm dringend ab. Der gerissene Lee Nichols glaubt, den Scout für seine Sache gewinnen zu können. Doch dessen Ziel ist ein anderes. Er sucht den Mörder seiner Schwester.

In Camp Frenchman, einem Militärstützpunkt, findet er eine erste sichere Spur. Drohend liegt der Schatten des Indianeraufstands über dem kleinen Fort und seiner Besatzung, und bald kommt es zu den ersten blutigen Kämpfen. Doch was wären die Blauröcke mit ihrem tapferen Kommandanten, dem »Eisenfresser« Major Birch, ohne den Scout Yank Sherman? Im Blaueisblizzard kommt es zur großen Auseinandersetzung mit den Indsmen ...

Sie haben ihr Camp am Fuß des Bighorn aufgeschlagen, wo das dunkle Grün der Koniferen fast bis ins Becken hinabreicht. Drei Pferde und ein Maultier sind so angepflockt, dass sie im Umkreis genügend Büffelgras erreichen können. Felipe Aguilar hockt auf den Absätzen vor dem Kreis aus Feldsteinen, in dem das kleine Campfeuer flackert. An Ästen, die schräg im Boden stecken, sind saftige Stücke vom Bisonhöcker aufgespießt. Sie beginnen bereits zu brutzeln.

Lee Nichols und Jesse McCabe haben sich ein Stück entfernt auf ihren Decken ausgestreckt.

»Ich frage mich, ob dieses Reiten überhaupt einen Sinn gehabt hat«, knurrt Jesse McCabe. »Außer dieser eingeschüchterten Shoshonen-Sippe haben wir nicht eine einzige Rothaut zu Gesicht bekommen, und was das Gras betrifft, nun, texanische Longhorns müssen sich vorkommen, als ob sie die letzten dreihundert Meilen auf einem einzigen Futterteppich zurücklegten. Dabei, wenn wir den Blaubäuchen in Laramie geglaubt hätten, dann müssten uns unsere roten Vettern schon seit zwei Wochen in Stücke gehackt haben.«

Das Gesicht von Lee Nichols bleibt unbewegt.

Als er antworten will, kommt von irgendwoher aus der Dunkelheit eine sonore Stimme:

»Natürlich haben die Blaubäuche in Fort Laramie übertrieben. Es gibt keinen Sioux, der seinen Gegner in Stücke hacken würde. Aber wenn die Gentlemen Wert auf vorzeitige Kahlheit legen, dann befinden sie sich genau auf dem richtigen Weg.«

Jesse McCabe ist herumgefahren, und in seiner Rechten taucht der schwere langläufige Peacemaker-Colt auf. Aber was ist mit einer Waffe anzufangen, wenn man nicht weiß, wohin man sie richten soll? Aus der Dunkelheit ertönt ein leises, melodisches Lachen, ohne dass man dessen genaue Richtung bestimmen könnte. Der Mann, der dort gesprochen hat und jetzt lacht, muss seinen Kopf zur Seite gewandt haben, sodass das Unterholz am Rande der kleinen Senke den Schall seiner Stimme ablenkt. Die Ungewissheit lässt Jesse McCabe vollends aus der Haut fahren.

»Kommen Sie heraus, Mister!«, faucht er gepresst. »Zeigen Sie sich hinter Ihrem Busch, wenn Sie nicht wollen, dass Sie mit Blei ...«

»Das würde ich Ihnen aber nicht empfehlen, Sir«, fällt ihm dieselbe Stimme, diesmal mit unverkennbarem Ernst, ins Wort. »Erstens habe ich hier ein hübsches kleines Gewehr, das viele Male hintereinander sprechen kann. Und zweitens – selbst, wenn ich mit Ihrem Blei Bekanntschaft machte, würden Sie spätestens zehn Minuten darauf mit jenen roten Vettern Bekanntschaft machen, über die Sie noch soeben gelästert haben. – Sie sehen, wir haben allen Grund, uns in Frieden zu einigen.«

Ungewollt entfährt Jesse McCabe ein überraschter Grunzlaut, und auch Lee Nichols hebt erstaunt die Brauen, als eine Gestalt in den Lichtkreis des Feuers tritt, und zwar aus einer ganz anderen Richtung, als sie es erwartet haben. Niemand wäre auf den Gedanken gekommen, dort, nur wenige Schritte entfernt, einen Menschen zu vermuten, und der Himmel mag wissen, wie er dorthin gelangt ist.

Der Eindringling ist weit davon entfernt, sich an der Verdutztheit der Beschlichenen zu weiden. Er steht einfach da und lächelt. Und den drei Rinderleuten kommt er fast vor wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt – unwirklich, abenteuerlich und fremdartig, als ob er geradewegs aus dem Boden gewachsen wäre.

»Mein Name ist Sherman«, sagt der Mann höflich und mit einer wohlklingenden Stimme. »Yank Sherman.«

Jesse McCabe hält noch immer den Revolver in der Hand und ist damit beschäftigt, seine Überraschung zu verdauen. Lee Nichols' fahle Brauen sind scheinbar zu einem durchgehenden Strich zusammengewachsen. Nur Felipe Aguilar hockt weiterhin auf den Absätzen am Feuer, mit jenem seltsamen Gleichmut, welcher der Mischung mexikanischen und indianischen Blutes entspringt.

»Yank Sherman?« Es ist Lee Nichols, der mit gepresster Stimme das Schweigen bricht, und selbst darin schwingt noch etwas von dem Unglauben mit, den die Erscheinung des Mannes in ihm aufflackern lässt. »Der Wolfsjäger?«

»Gewiss, Sir!« Die Sprechweise des Scouts ist von höflicher Kühle. »Und wie darf ich Sie anreden?«

»Sie sind wirklich Yank Sherman, der die Fetterman-Expedition als Scout begleitet hat?«, wiederholt Lee Nichols, ohne den tadelnden Einwand des anderen zu beachten. »Derselbe Mann, der ganz allein hier im Sioux-Land während des letzten Winters für fünftausend Dollar Wolfsfelle gejagt hat? – Dieser Yank Sherman wollen Sie sein?«

»Von Wollen kann keine Rede sein, Sir«, erwidert Yank Sherman unbewegt.

Eine Weile bleibt es still, lange genug, um Lee Nichols begreifen zu lassen. »Ha!«, macht er dann. Nach einer kurzen Pause: »Hahaha!« Und dann bricht das grollende Gelächter voll aus seiner Kehle und tost in wiehernden Kaskaden dahin, wobei er sich schallend auf die Schenkel klatscht. Für Jesse McCabe und Felipe Aguilar ist dieses Lachen das Signal, dass sie ebenfalls grinsen und die Anspannung abschütteln dürfen. Nur Yank Sherman bleibt todernst und wirft einen vorwurfsvollen Blick zu den angepflockten Pferden hinüber, die bei diesen ungewohnten Lauten unruhig die Köpfe heben.

»Yeah«, schnaubt Lee Nichols endlich atemlos, als sein Lachen ebenso schnell erlischt, wie es begonnen hatte, »ich glaube wahrhaftig, er ist es.« Entschuldigend setzt er hinzu: »Sie müssen wissen, Sherman, nach all dem Jägerlatein, das hier an der Grenze in Umlauf ist, habe ich Sie mir als einen Burschen vorgestellt, der zehn Fuß hoch ist, behaart wie ein Grizzly, der für sein Campfeuer einfach ein paar Bäume ausreißt und jeden Morgen zum Frühstück einen gebratenen Bison verschlingt.«

Der Scout hat für diesen Vergleich nur ein mattes, gerade noch der Höflichkeit genügendes Lächeln übrig.

»Ich bedauere, dass ich Ihren Vorstellungen nicht ganz entsprechen kann, Mister ...« sagt Yank Sherman.

»Yeah, richtig«, lässt sich Lee Nichols endlich zu einer formellen Bekanntmachung herbei. Ohne die Hände zu Hilfe zu nehmen, stemmt er sich aus dem Schneidersitz empor, und dabei erweist es sich, dass er bei weitem nicht so massig und ungefüge ist, wie es bei kauernder Haltung den Anschein hat. Selbst den nicht gerade kleinen Jesse McCabe überragt er noch um einen halben Kopf. Zweihundert Pfund, schätzt Yank Sherman, und er kann nicht umhin, Bewunderung für den athletischen Körperbau dieses Mannes zu empfinden, während Lee Nichols seinen eigenen Namen und die seiner beiden Begleiter nennt. Der Scout registriert diese Vorstellung mit einem knappen Neigen des Kopfes. Gertenschlank, hager, federnd wie eine Stahlrute, bildet er den denkbar größten Gegensatz zu Lee Nichols. Vom ersten Augenblick an ist zwischen ihnen eine gewisse Spannung festzustellen.

»Die Geschichte mit der vorzeitigen Kahlheit – wie meinen Sie das, Sherman?«, fragt Jesse McCabe und lässt seinen Revolver im Halfter verschwinden.

»Ich meine damit Ihr Feuer, Gentlemen«, gibt er mit einem leisen Tadel zurück.

»Wieso?«, begehrt der Revolvermann auf. »Wir sind keine Greenhorns, Mister. Wir haben uns vorher überzeugt, dass außerhalb dieser Senke nichts davon zu sehen ist.«

»Und wie, glauben Sie, habe ich diesen Platz dann gefunden?«

Lee Nichols' Mundwinkel zucken in widerwilligem Humor.

»Vielleicht haben Sie den Rauch geschnuppert«, sagt er sarkastisch.

Der Scout bleibt völlig ernst.

»Auch das«, gibt er ruhig zu, als ob es sich um die selbstverständlichste Sache der Welt handelte. »Aber erst auf dreihundert Yards. Längst vorher hingegen habe ich ihr Feuer gesehen.«

»Das ist unmöglich«, schnaubt Jesse McCabe. »Versuchen Sie nur nicht, uns eine von diesen verrückten Grenzgeschichten aufzubinden. Wir sind keine ...«

»... Greenhorns, ich weiß«, fällt ihm Yank Sherman ins Wort. »Natürlich, Ihr Feuer ist außerhalb dieser kleinen Senke nicht zu entdecken. Aber sehen Sie einmal dort hinauf.«

Auch Lee Nichols wendet den Kopf und blickt in die Richtung des Winks. Ihre Augen sind noch vom Flammenspiel des Campfeuers geblendet, doch als sie sich an die Dunkelheit der ragenden Zedernwipfel gewöhnt haben, entdecken sie den schwachen Widerschein, den die Flammen in der Schwärze des Waldrands hinterlassen und der somit für scharfe Späheraugen bis weit ins Becken hinein sichtbar sein muss.

»Davon habe ich gesprochen«, ergänzt der Scout ironisch. »Und was ich sehe, das sehen unsere roten Vettern erst recht. Sie können Wakan Tanka danken, dass die Sioux es nicht vor mir entdeckt haben.«

Jesse McCabe zerbeißt einen Fluch zwischen den Zähnen. Und Lee Nichols fragt:

»Wakan Tanka? Was ist das nun wieder?«

»Das ›Große Geheimnis‹ – die Sioux-Bezeichnung für Manitu.«

»Und was soll das Gerede von den Sioux? In den zwei Wochen seit Fort Laramie haben wir außer einer verlausten Shoshonen-Sippe keine Rothaut zu Gesicht bekommen.«

»Womit aber keineswegs bewiesen ist, dass Sie unbemerkt geblieben sind«, lautet die Erwiderung. »Wenn an meiner Stelle ein paar Hunkpapa-Krieger gewesen wären, könnten Sie mit ziemlicher Sicherheit Ihren Skalp jetzt schon am Schaft einer Büffellanze bewundern. Auf gelbe Haare sind sie besonders erpicht; erst recht natürlich, wenn sie so hübsch lang sind wie Ihr Schopf, Mister Nichols.«

Die Grimasse des Mannes deutet darauf hin, dass er ein unangenehmes Kribbeln der Kopfhaut verspürt, und diese wenig schöne Empfindung bleibt offenbar nicht nur auf ihn beschränkt. Aber ganz so leicht ist Lee Nichols dennoch nicht bereit, einen Fehler zuzugeben.

»Und woher wollen Sie wissen, dass überhaupt Sioux in der Nähe sind?«, fragt er schroff.

»Weil ich ihre Spuren gefunden und sie sogar selbst gesehen habe«, erwidert Yank Sherman schlicht. »Die ganze Sippe von Ite O'Magazu und Büffelkopf hat ihre Tipis abgebrochen und auf Travois verladen.«

Der bedeutungsvolle Tonfall dieser Worte lässt die drei Rinderleute aufhorchen.

»Ist das etwas Besonderes?«, erkundigt sich Lee Nichols.

»Um diese Jahreszeit schon. Normalerweise haben die Hunkpapa-Sioux im September längst ihren Vorrat an Pemmikan beisammen und sitzen im Wintercamp, ehe Wasiya von Norden her die Täler überfällt.«

»Wasiya? Ist das der Winter?«

»Wanitu ist der Geist des Winters. Wasiya hingegen ist der Blizzard-Gott.«

»Und woher wissen die Rothäute, wer von diesen beiden Gentlemen ihr Land überfallen wird?«, spöttelt Jesse McCabe.

Auch jetzt bewahrt Yank Sherman seinen Ernst.

»Sie sehen es an der Stärke der Rinden, die die jungen Weiden ansetzen, und an der Höhe der Asthaufen, welche die Biber über ihre Schlupfburgen türmen. In diesem Herbst kann man sogar weiße Eulen auf der Prärie antreffen, die sich sonst nur im Land der Großmutter aufhalten.«

»Land der Großmutter?«, schnaubt der Revolvermann.

Yank Sherman entscheidet, dass er es hier mit Männern zu tun hat, denen die einfachsten Begriffe der indianischen Vorstellungswelt fremd sind, und so übt er sich in Langmut und Geduld.

»So nennen sie Kanada«, erklärt er freundlich. »Wegen der alten englischen Queen Viktoria.«

Das Feuer ist inzwischen etwas zusammengesunken. Felipe Aguilar schaut zu dem Reisig, das er bereitgelegt hat, aber ehe er danach greift, blickt er zu dem Scout und lässt es dann in schweigendem Einverständnis bei der langsam dunkler werdenden Glut bewenden.

»Das Essen ist fertig«, sagt er mit hartem mexikanischem Akzent. »Und es reicht auch für einen vierten Mann. Kommen Sie, Señor!«

Für Yank Sherman genügt diese Aufforderung. Er nickt dem verwitterten Vaquero zu, hockt sich mit untergeschlagenen Beinen neben ihn ins Gras und zieht sein Messer. Wenig später finden sich auch Lee Nichols und Jesse McCabe ein und langen zu.

»Sagen Sie, Mister Lederstrumpf«, fragt der Revolvermann ironisch. »Sie haben uns zwar eine Lektion erteilt, aber wieso sind Sie mit einem Mal so sicher, dass Ihre roten Vettern uns nicht bei der Mahlzeit überraschen werden?«

Gelassen kaut der Scout seinen Bissen zu Ende, ehe er erwidert:

»Kein Sioux würde sich mit dem Wind an ein Camp anschleichen.«

»Und wie wäre es gegen den Wind?«

»Da habe ich zwei zuverlässige Wächter zurückgelassen«, beruhigt ihn Yank Sherman mit einer Handbewegung. »Außerdem wirft die Flut jetzt keinen Schein mehr in die Baumwipfel hinauf. Wir werden vorläufig ungestört bleiben.«

»Merkwürdig«, murmelt Lee Nichols und lauscht dem Klang der Stimme nach. »Sie heißen Yank und sprechen den weichen Dialekt des Südens.«

»Nicht wahr?«, lächelt der Scout freundlich. »Wie der Zufall manchmal so spielt. Ich stamme aus Georgia, aus Atlanta, genauer gesagt.«

Ein Schatten fliegt über das Gesicht von Lee Nichols, das von der allmählich verlöschenden Glut nur noch schwach rötlich angestrahlt wird.

»Also ein vierundzwanzigkarätiger Rebell?«, fragt er mit etwas verkrampfter Lustigkeit.

»Ich war damals noch sehr jung, als ich die graue Felduniform der Konföderierten trug.«

»Yeah«, erwidert Lee Nichols mit starrem Gesicht. »Sie müssen damals noch sehr jung gewesen sein. Und Sie müssen viel verloren haben, wenn Sie in Atlanta zu Hause waren.«

»Nicht viel«, sagt der Scout, ohne dass seiner Stimme eine Veränderung anzumerken wäre, »sondern alles. Viele Menschen in Atlanta standen nach dem großen Brand vor den Trümmern ihrer Habe.«

»Dann sind Sie also heute ein Yankee-Hasser?«

»Warum?« Schnell und überraschend kommt diese Frage, sodass Nichols nicht einmal mehr die Zeit findet, die Augen zu senken, ehe sie von dem scharfen Blick des Scouts gebannt werden. »Sind Sie der Meinung, dass die Blaubäuche Atlanta angezündet haben?«

Lee Nichols gewinnt dadurch Zeit, dass er seine starken Zähne in ein Stück Fleisch gräbt.

»Warum über diese alten Geschichten streiten«, sagt er dann kauend und macht eine wegwerfende Handbewegung. »Sie werden bemerkt haben, dass ich trotz meines Rebellen-Vornamens aus dem Norden stamme. Ich bin Pennsylvanier. Bei uns wird behauptet, dass General Lee die Hauptstadt von Georgia hat anzünden lassen, damit sie nicht den vorrückenden Unionstruppen in die Hände fiel. Aber ich weiß, dass man im Süden den Brand Atlantas unserem General Sherman, Ihrem Namensvetter, in die Schuhe schiebt. Niemand hat es bisher beweisen können. Vielleicht ist der Brand aber auch durch den Beschuss der Artillerie entstanden.«

Yank Sherman hat sein Messer sinken lassen und fährt sich mit dem Handrücken über den Mund.

»Artilleriebeschuss?«, fragt er mit einem seltsamen Glimmen in den Augen. »Wieso wissen Sie davon? Sind Sie etwa dabei gewesen? – Richtig, ich erinnere mich, dass die Fünfte Pennsylvania-Infanterie an der Einnahme Atlantas beteiligt war. Haben Sie vielleicht beim 5. Infanterie-Regiment gestanden?«

»Das war mein Regiment«, gibt Nichols widerwillig zu. »Wollen wir uns deshalb heute noch die Köpfe einschlagen?«

Eine lange, bedrückende Pause tritt ein, und dabei tritt die Anspannung des Scouts zum ersten Mal offen zutage. Die Haut über seinen schmalen Kiefern spannt sich, und seine Lippen wirken so dünn und blutleer wie eine Messernarbe.

»Nein«, sagt er schwerfällig, »ich kann nicht ein ganzes Regiment erschlagen. Nur einen einzigen Mann von all diesen Blaubäuchen wünsche ich mir. Sie kannten nicht zufällig einen hochgewachsenen, hageren Burschen mit eingefallenen Wangen, der an der Oberlippe verwundet war und über dem Handgelenk eine Tätowierung trug?«

Lange genug hat Lee Nichols Zeit gehabt, seine Fassung wiederherzustellen und für irgendwelche Fragen gewappnet zu sein.

»Einen Soldaten?«

»Einen Sergeanten von der Fünften Infanterie.«

»Den Namen kennen Sie nicht zufällig?«

»Er hat eine Visitenkarte besonderer Art hinterlassen, auf der sein Name nicht verzeichnet stand.«

»Haben Sie jemals alle Gesichter Ihres Regimentes gekannt?«, erwidert der Pennsylvanier achselzuckend. »Ich könnte mich nicht einmal an die aus meiner Kompanie erinnern. Immerhin sind inzwischen runde zehn Jahre vergangen.«

»Und welches war Ihre Kompanie?«

Nichols fährt sich mit der Zunge über die Lippen, von einem Mundwinkel zum anderen.

»Die C-Kompanie«, gibt er verkniffen zurück. »Haben Sie eigentlich schon viele Leute auf diese Weise verhört, Sherman?«

»Mit Ihnen genau zwei Dutzend«, gibt der Scout unbewegt zu. »Die Fünfte Infanterie ist nämlich heute in Fort Laramie stationiert und untersteht Drei-Sterne-Crook oder Rotbart-Crook, wie die Indianer ihn nennen.«

»Und?«, fragt der Pennsylvanier gepresst. »Haben Sie etwas über Ihren Mann in Erfahrung bringen können?«

Yank Sherman wendet sich wieder seiner Mahlzeit zu und nimmt mit dankbarem Nicken von Felipe Aguilar einen Becher schwarzen Kaffees entgegen. »Es ist nur noch dem Namen nach das alte Regiment«, sagt er einsilbig. »Fast alle Leute von damals sind längst aus der Armee entlassen. Unter den wenigen, die geblieben sind, war kein einziger der F-Kompanie.«

Ein Verdacht steigt in Lee Nichols auf, je länger er das versteinerte Gesicht seines Gegenübers betrachtet.

»Dann war es vielleicht die Suche nach diesem Burschen, der Sie in dieses Indianerland verschlagen hat?«

»Vielleicht«, gibt der Scout wortkarg zurück. »Wakan Tanka führt seine Kinder oft auf seltsam verschlungenen Pfaden.«

Zum ersten Mal bricht nach dieser philosophierenden Bemerkung auch Felipe Aguilar wieder sein Schweigen.

»Señor Sherman«, sagt er teilnahmsvoll, »die Visitenkarte, die jener Sergeant hinterließ – was war das?«

Geraume Zeit scheint der Scout in sich hineinzulauschen, als ob Stimmen aus einer längst vergangenen Zeit zu ihm drängten. Man spürt förmlich, wie die Kruste zerbröckelt, die sich in Jahren der Einsamkeit um einen Kern bitterer Erinnerungen gelegt hat.

»Es war der Brand von Atlanta«, sagt Yank Sherman leise. »Und ich bin der einzige Mensch, der noch davon weiß.«

✰✰✰

Es ist die Stimme einer fernen Vergangenheit, die dann leidenschaftslos und verhalten aus Yank Sherman spricht.

»Mein Vater war Büchsenmacher«, eröffnet er leise. »Unser Haus lag zwischen anderen an der Mason Street. Ein prächtiges Haus. Er verließ es, als er mit Stonewall Jackson nach Norden zog. Am Shenandoah ist er noch im ersten Kriegsjahr gefallen. Ich war damals sechzehn und verließ die Schule, um Werkstatt und Geschäft weiterzuführen. Wir reparierten Waffen für die Konföderierte Armee. Ein Jahr lang – dann zog auch ich den Rock mit den blanken Knöpfen an und kam hinunter nach Vicksburg. Am Tag der Übergabe, am 4. Juli 1863, geriet ich in Gefangenschaft. Von diesem Tag an haben meine Mutter und meine Schwester nichts mehr von mir gehört. Erst einige Monate nach Lees Kapitulation bei Appomattox kehrte ich zurück – abgemagert und mit Verzweiflung im Herzen, weil wir auch im Gefangenen-Camp vom Brand der Stadt gehört hatten. Aber das war nichts gegen den Schmerz und die Bitterkeit, die mir noch bevorstanden.

Nur wenige Häuser in der Mason Street waren wieder aufgebaut. Unseres war nicht darunter. Aber ich erfuhr, dass meine Mutter auf einer Farm außerhalb der Stadt Zuflucht gefunden hatte. Dort fand ich sie – eine Greisin mit wirrem Haar und flackernden Augen, das Gesicht von vernarbten Brandwunden entstellt. Sie war zerbrochen, und nur die Hoffnung auf meine Heimkehr hatte sie noch am Leben erhalten. Sie war nicht einmal fünfzig Jahre alt ...«

Yank Sherman bricht ab und starrt aus leeren Augen in die verlöschende Glut, als ob er für den letzten Teil seines Berichtes neue Kraft schöpfen müsse. Voller Unbehagen blickt Lee Nichols ihn an und schluckt voller Betretenheit, obgleich eine solche Regung bei ihm so selten ist wie ein weißer Bison in einer zehntausendköpfigen Büffelherde. Jesse McCabe wiederum schaut auf seinen Boss, und er glaubt zu ahnen, was jetzt in Lee Nichols vor sich geht. Denn was immer der Scout auch noch vorbringen mag, es wird eine Beschuldigung gegen die Blauröcke aus dem Norden sein, die unter General Sherman Atlanta eingenommen hatten. Und einen Bruchteil dieser Beschuldigung muss Lee Nichols auch auf sich persönlich beziehen.