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Mit seinen Nachdichtungen macht Erich Weinert einen der bedeutendsten ukrainischen Dichter erstmals für deutsche Leser zugänglich: Iwan Franko (1856–1916). Franko, Sozialist, Freiheitskämpfer und leidenschaftlicher Literat, besang in seinen Gedichten das Leid der Arbeiterschaft, den Drang nach Freiheit und die Hoffnung auf eine gerechte Gesellschaft. Weinert überträgt diese Dichtungen mit kraftvoller Sprache ins Deutsche und erhält so die Bildgewalt und den revolutionären Geist des Originals. Dieses Buch lädt dazu ein, eine nahezu vergessene Stimme wiederzuentdecken – eine Stimme, die in Zeiten von Krieg, Unterdrückung und dem Ringen um Freiheit aktueller ist denn je.
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Seitenzahl: 105
Veröffentlichungsjahr: 2025
Erich Weinert
Hymnen der Freiheit – Nachdichtungen von Iwan Franko
ISBN 978-3-68912-562-2 (E–Book)
Auszug aus dem Sammelband „Nachdichtungen“, erschienen 1959 im Verlag Volk und Welt, Berlin.
Das Titelbild wurde mit der KI erstellt.
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Unsere Kenntnis – ich spreche hier von uns Deutschen allgemein – der slawischen Literaturen ist leider noch beschämend gering. Am besten kommt noch die große russische Romanliteratur weg, die seit hundert Jahren in Deutschland nicht nur bekannt ist, sondern auch einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung der deutschen Literatur und des deutschen Geisteslebens gehabt hat. Schlechter schon verhält es sich mit der russischen lyrischen Literatur, die in Deutschland niemals große Beachtung fand, da die meisten Übersetzungen trocken oder liederlich oder undichterisch waren und von der Schönheit und Kraft des Originals nichts ahnen ließen.
Leider werden wir auch heute noch allzu oft mit unzulänglichen Übersetzungen der Lyrik Puschkins, Lermontows, Nekrassows und anderer beliefert, in denen nichts mehr von der Bildkraft und Melodie des Urtextes zu spüren ist.
Von der Literatur der übrigen slawischen Völker, der Ukrainer, Polen, Tschechen, Slowaken, Serben, Bulgaren und anderer wussten und wissen bei uns – man kann es getrost behaupten – nur diejenigen etwas, die sich mit der Kultur der slawischen Völker beschäftigen. Selbst ein so bedeutender Dichter wie Taras Schewtschenko, der ukrainische Klassiker, ist bis heute in Deutschland kaum dem Namen nach bekannt. Ich hoffe, dass meine Übertragung Iwan Frankos wie meine vor kurzem erschienene Übertragung eines großen Teils der Poeme und Gedichte von Schewtschenko die deutschen Dichter und Nachdichter anrege, uns Deutschen mehr aus dem großem Schatze slawischer Dichtung durch gute Nachdichtungen zugänglich zu machen.
Im vorliegenden Bande will ich den deutschen Leser mit einem anderen ukrainischen Dichter bekannt machen, dessen Name bei uns völlig unbekannt ist, obwohl es sich um einen bedeutenden Dichter handelt, der auch zu dem Geistesleben und den revolutionären Bewegungen der westeuropäischen Länder in näherer Beziehung stand als Schewtschenko.
Iwan Franko war einer der leidenschaftlichsten Vorkämpfer für den Zusammenschluss des ukrainischen Volkes, dessen Land seit Jahrhunderten in Stücke gerissen war, über die zaristische, polnische und habsburgische Despoten herrschten.
Der Teil der Ukraine, in dem Franko lebte und starb, stand unter österreichischer Herrschaft; Franko aber sah in allen Ukrainern, ob sie in Österreich oder Russland lebten, seine Landsleute und Brüder. Erst lange nach seinem Tod, im Jahre 1939, konnte endlich die Westukraine, die bis dahin sowohl die polnische als auch die österreichische Knechtschaft erdulden musste, zur großen Mutter Ukraine zurückkehren. Sowjetische Dichter und Literaturhistoriker begaben sich nach der Befreiung der Ukraine nach Lwow (Lemberg), um den Nachlass Frankos zu sammeln und zu sichten. Die westliche Welt hatte Iwan Franko in Vergessenheit geraten lassen. Umso lebendiger wurde nun sein Werk unter den Sowjetvölkern.
Iwan Franko wurde geboren am 15. August 1856 in dem Dorfe Nagujewitschi im Bezirk Drogobytsch in Galizien. Sein Vater war ein Dorfschmied, bei dem Arbeiter und Handwerker in ihren sozialen Nöten sich Rat holten. Der kleine Iwan hörte viel bittere Worte des Kummers und des Zorns. Die Armen und Bettler gingen im Hause aus und ein und sangen ihre traurigen Lieder, aber er hörte auch ihre Flüche. Er sah das Bauernelend und die schamlose Ausbeutung der Arbeiter. Überall begegnete ihm das schreiende Unrecht, das dem schaffenden Menschen angetan wurde.
So wurde früh in dem jungen Herzen das Feuer der Empörung entzündet, das nie mehr erlosch. Obwohl er selbst später den Beruf eines geistig Schaffenden erwählte, schlug sein Herz sein Leben lang für die Sache der Arbeiterschaft. Die Arbeit selbst erschien ihm als hohes Ideal; er verherrlichte sie in vielen seiner Lieder. Besonders lebendig in seiner Dichtung sind die Gefühle für Freiheit und Heimat.
Deshalb hing sein Herz schon in Kinderjahren an den Liedern Schewtschenkos, der den Freiheitskampf seines leidenden Vaterlandes in erregenden Dichtungen besungen hatte. Das lyrische Werk Schewtschenkos, den „Kobsar“, kannte der junge Franko fast vollständig auswendig. Daneben beschäftigte er sich bereits in seinen Schuljahren mit den Werken von Leo Tolstoi, Turgenjew und anderen großen russischen Dichtern.
Nachdem Franko 1875 das Gymnasium von Drogobytsch absolviert hatte, bezog er die Universität von Lemberg. In seinen Studienjahren beschäftigte er sich vornehmlich mit den Werken der bedeutenden russischen Gesellschaftskritiker Belinski, Tschernyschewski und Herzen. Er übersetzte den Roman Tschernyschewskis „Was tun?“ ins Ukrainische. In diesen Jahren lernte er auch das „Kapital“ von Marx kennen. Er las es im Original, denn er beherrschte die deutsche Sprache. Der ukrainische Gelehrte und politische Publizist Dragomanow hatte damals der Jugend seines Landes ans Herz gelegt, die russische und die wichtigsten westeuropäischen Sprachen zu lernen und vor allem sich mit ganzem Herzen der ukrainischen Muttersprache zu bedienen, sie zu pflegen und zu schreiben, die ja immer noch von Seiten der nationalen Unterdrücker als „Dialekt“ geschmäht wurde. In dem Gedicht „An J. P. Antoschka“ gibt Iwan Franko einem solchen Spötter die rechte Antwort.
Die Freiheitsgedanken, die der junge Franko aussprach, begannen die polnische Schlachta, die im damaligen Galizien für Österreich gegen die Ukrainer Bütteldienst leistete, zu beunruhigen. 1877 wurde von Wien aus zum ersten Male seine Verhaftung angeordnet. Er wurde wegen sozialistischer Umtriebe verurteilt. Kurz nach der Verbüßung seiner Strafe erfolgte die zweite Verhaftung und Verurteilung.
Seit dieser Zeit blieb Franko bis zu seinem Tod unter Polizeiaufsicht. Trotz aller Repressalien blieb er seiner Aufgabe als Sozialist treu. 1898, als sein fünfundzwanzigjähriges Literaturjubiläum gefeiert wurde, fasste er sie in einem Brief zu einem bündigen Bekenntnis zusammen: „Als Dorfkind, ernährt mit trockenem Bauernbrot, halte ich es für meine Pflicht, mein ganzes Leben diesen einfachen Menschen zu widmen. In einer harten Schule erzogen, habe ich mir von Kind auf zwei Gebote zu eigen gemacht: das erste – das Gefühl für die heilige Pflicht dem Volke gegenüber, das zweite – die Notwendigkeit unermüdlichen Schaffens.“
Nach seinen ersten Kerkerjahren widmete sich Franko dem Studium des „Kapitals“ von Marx. Dadurch schärfte sich sein Blick für die sozialen Zustände Galiziens und die grausame Ausbeutung vor allem in den Erdölgebieten von Borislawl. Er war der erste ukrainische Schriftsteller, der in diese Welt des Elends und der kapitalistischen Willkür hineinleuchtete.
1879 wurde Franko Redakteur der polnischen Arbeiterzeitung „Praca“ („Die Arbeit“). Unter den polnischen, ukrainischen und jüdischen Arbeitern wurde sein Name schnell populär. Gemeinsam mit Freunden und Genossen verfasste er das Programm der Sozialisten Ostgaliziens und gab 1881 eine Broschüre heraus: „Was wollen die galizischen Arbeiter?“ Das trug ihm weitere Verfolgungen durch die herrschende Klasse ein.
In den Neunzigerjahren erschienen von ihm Gedichtsammlungen und zahlreiche Erzählungen. 1905, unter dem Eindruck der Revolution, schrieb Franko sein großartiges Versepos „Mose“, eine Dichtung von monumentaler Kraft, in der er die biblische Legende zum Sinnbild des Schicksals seines eigenen Volkes macht.
In seinen letzten Lebensjahren verfasste Franko noch weit über tausend Artikel in polnischer und ukrainischer Sprache, schuf eine große Anzahl Übersetzungen von Klassikern der russischen, englischen, französischen und tschechischen Literatur und bedeutende Arbeiten auf dem Gebiet der Philosophie und Ökonomie.
Iwan Franko starb am 28. Mai 1916 in Lemberg.
Wenn man sein Lebenswerk überschaut, von dem in diesem Band nur ein bescheidener Teil seines lyrischen Schaffens gegeben werden kann, so erweist er sich nicht nur als großer Gelehrter und Dichter, sondern auch als echter Sozialist. Ein bedeutender Kritiker schrieb über ihn, dass in seinem Werk „die Menschen in zwei Lager geschieden werden, in die Unterdrücker, auf die sein Wort wie ein Schwert niedersaust, und die Unterdrückten, denen er sein ganzes Herz hingibt.“
Ich hoffe und wünsche, dass der Dichter Iwan Franko durch meine Übertragungen ins Deutsche, in welchen ich Inhalt und Form des Originals so getreu wie möglich wiederzugeben mich bemüht habe, auch in Deutschland bekannt und gelesen werde.
E.W.
1880
Ewiger Revolutionär,
Geist, zur Tat gereift auf Erden,
Dass wir frei und glücklich werden,
Nein, ihr tötet ihn nicht mehr!
Nicht der Pfaffen Bluthandwerker,
Nicht der Zaren finstre Kerker,
Noch dressierte Bataillone,
Noch das Fangnetz der Spione,
Noch geladne Batterien
Schreckten noch zerbrachen ihn.
Nein, er ist nicht tot, er lebt!
Der wohl tausend Jahr in Banden
Lag, ist gestern aufgestanden,
Schreitet, dass die Erde bebt,
Schreitet stark und unbekümmert
Dorthin, wo der Morgen schimmert;
Und sein Wort, wie Glockenhämmer,
Ruft Millionen aus dem Dämmer;
Und Millionen hören ihn,
Die nun freudig mit ihm ziehn.
Und das Wort des Geistes dringt
Durch den Rauch, in Hütten schwelend
Und in Schmieden, wo das Elend
Nur von Qual und Tränen singt.
Aber wo es auch ertöne,
Da versiegt des Kummers Träne;
Kraft und Mut erstehn, die Waffen,
Sich ihr Schicksal selbst zu schaffen;
Fällt auch ein Geschlecht dabei,
Werden doch die Kinder frei.
Ewiger Revolutionär –
Willen, Wissen und Gedanken
Halten sie nicht mehr in Schranken
Und verwirren sie nicht mehr.
Das Vergangne ward Ruine,
Schon im Lauf ist die Lawine.
Keine Kraft, und wären’s Felsen,
Kann sich ihr entgegenwälzen,
Keine, auch die stärkste nicht,
Löscht des jungen Morgens Licht.
Ihr Richter, richtet mich! Doch straft
Auch ohne falsche Gnade mich!
Doch hofft nicht, dass ihr weggedrängt
Vom „gottlos“ falschen Pfade mich,
Und hofft nicht, dass ich meinen Kopf
Vor euch versöhnlich beugen wollt,
Dass ich nur einen Augenblick
Für eure Gutheit zeugen wollt!
Ja, richtet mich, und ohne Furcht;
Denn ihr seid stark, das wisst ihr auch!
Auch richtet ohne Scham! Denn die
Ist ohnehin bei euch nicht Brauch.
Urteilt, wie euch das Recht befiehlt,
So hart ihr wollt, ja, richtet nur!
Denn beide, ihr und das Gesetz,
Sind Rädchen nur derselben Uhr.
Und nur um eines bitt ich euch.
Sagt unumwunden, was ihr meint:
Worin besteht denn meine Schuld
Und derer, die mit mir vereint?
Sagt ohne Scheu: Verräter sind’s!
Sie wollen sich am Staat vergehn,
Zerstören alter Ordnung Bau,
Das Unterste nach oben drehn!
Doch sagt, warum denn drängen sie
Auf Umgestaltung dieser Welt?
Weil hier der Reiche Herr ist, der
Das arme Volk als Diener hält;
Weil ehrenhafter Arbeit ihr
Den Namen der Verachtung gebt.
Wo eure ganze Ordnung doch
Von ihr erhalten und belebt!
Weil das Schmarotzertum sich nährt
Vom Blut und Schweiß des Arbeitsmanns;
Weil um Katheder und Altar
Statt klaren Lichts nur Obskuranz;
Weil der Millionen Blut verspritzt
Fürs Launenspiel der Monarchie;
Weil hier der Mensch dem Menschen gilt
Als Henker, Gott und Sklavenvieh.
Doch sagt uns auch: Wie stürzen wir
Der überlebten Welt Bestand?
Nicht mit bewaffneter Gewalt,
Auch nicht mit Eisen, Blut und Brand;
Nein, Wahrheit, Arbeit, Wissenschaft
Sind unsre Waffen nur. Allein,
Kommt es dabei zum blutigen Krieg –
So wird es unsre Schuld nicht sein!
Dann sagt noch, was ihr selbst ja nicht
Geleugnet, dass die Wahrheit wir
Gesprochen haben, ehrenhaft,
Dass wir mit offenem Visier
Um Wahrheit kämpfen! All das sagt;
Ihr, meine Richter, stellt mich bloß!
Und dann, nach eurer Welt Gesetz,
Verurteilt mich erbarmungslos!
1880
1880
Aus ihrem Landtag jagen sie euch fort,
Der alten Ordnung stolze Wappenführer,
Verfluchen eurer Lehre reines Wort
Und schrein: „Verrat! Verderbliche Verführer!“
Sie spein Verleumdungen an jedem Ort
Und machen ehrlos euch, die Lügenschmierer,
Die mit Betrug das arme Volk umstellen
Und seine lichten Hoffnungen vergällen.
Sie richten euch, sie sperren euch wie Hunde
In ihre Kerker und verrufen euch
Vor Gott und allen Menschen. Keine Wunde
Bleibt euch erspart an euren Herzen weich;
Sie schlagen sie mit Dornen jede Stunde.
Welch Leben! – Ach wie oft, von Schrecken bleich,
Hast du’s gedacht, und Kummer schlug dich nieder
…
So leben miteinander Menschenbrüder?
Das darf nicht sein! Des ärmsten Bruders Leid
Soll ihres sein, als wenn sie’s selber trügen.
Und wissen sollen sie von eurem Streit,
Dass hier die Wahrheit aufsteht gegen Lügen.
Kämpft, Brüder! In die Welt der Dunkelheit
Tragt eurer Wahrheit Licht! Auf euren Zügen
War Dornicht viel; doch dort, wo ihr gegangen,
Wird grüne Saat auf euren Spuren prangen.
1877
Ach, früh schon lieb ich aufzustehn,
Muss in den klaren Himmel sehn.
Blau ist er wie Kristallgefunkel.
Doch ist mein Herz vor Kummer dunkel.
Der Himmel lächelt immer gleich,
Schaut auch auf unser Kerkerreich;
Vergilbt und grau sind seine Wände,
Durchtränkt von Tränen ohne Ende.
O Himmel, weshalb segnest du
Mit deines Lächelns holder Ruh,
Weshalb in der verfluchten Zelle
Begrüßt du mich mit lieber Helle?
Du, Freude, machst mich schluchzen schwer,
Du bringst den Duft der Freiheit her,
Hier, wo ich nichts als Schatten habe
In meinem engen, stummen Grabe.
Ja, wie aus tiefem Grab herauf
Schau ich zum lichten Leben auf
In jene Welt voll Glück und Frieden –
Und all mein Blut beginnt zu sieden.
Warum schlugt ihr in Ketten mich?
Warum bin ohne Freiheit ich?
Was war die Tat, die ich verübte?
Dass ich mein Volk von Herzen liebte?
Ich suchte nach dem Wege bloß,
Wo Freiheit ich und bessres Los
Und gleiches Recht für alle finde –
Und das ist meine ganze Sünde!
1880
Ein Knecht ist das Sonett. In Ketten leidet
Dort der Gedanke. Man verkrümmt und schneidet
Und macht ihn fügsam, bis er sich bescheidet,
Wie ein Rekrut in Uniform gekleidet.
Ein Herr ist das Sonett. Denn sein Gedanke
Lebt von Geburt in zugemessner Schranke;
Er sprießt nur modisch, fern dem Lebenstranke,
Doch keine Frucht bringt seine Blütenranke.
Knechte und Herrn! Hier stehn die Gegensätze,
Noch schüchtern und befangen Wort und Blicke,
Noch kennt der Knecht nicht seiner Kräfte Schätze.