Italienisches Feuer - Olaf Hauke - E-Book

Italienisches Feuer E-Book

Olaf Hauke

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Beschreibung

Jasmin hat die Nase voll: Ihr Ex-Mann verfolgt sie, bei der Arbeit setzt man ihr den total unterbelichteten Schwiegersohn des Chefs vor die Nase und ihre beste Freundin versucht alles, um sie auszunutzen. Es ist eine spontane Lüge, die sie nach Italien bringt, in ein Land, von dem sie vorher höchstens wusste, dass es überhaupt existiert. Doch hier entdeckt sie das Leben auf eine neue Weise. Und sie findet die Liebe – allerdings auf eine ganz andere Art, als sie es sich jemals hätte träumen lassen. Doch dann taucht ihr Ex-Mann auf und zwingt sie zu einer hinterhältigen Intrige, die ihr Leben zerstören wird ...

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Ende

Italienisches Feuer

Olaf Hauke

28.08. – 21.09.2021

Copyright 2021

Olaf Hauke

Greifswalder Weg 14

37083 Göttingen

T. 01575-8897019

Cover: Prettysleepy

[email protected]

Prolog

„Ich will nur mit dir reden!”

Hohl klang das kalte Echo der Stimme von den Betonwänden des Treppenhauses wieder. Jasmin zwang sich, nicht stehenzubleiben, die schwere, dunkelgraue Tür mit der großen aufgemalten Zwei war nur noch vier Treppenstufen entfernt. Über ihr rauschte der Wind in den Engen des Luftschachtes, der sich nach oben zum Dach des Parkhauses hin verlor.

Sie hörte die hastigen Schritte über sich und konnte nur abschätzen, wie weit Michael noch von ihr entfernt war. Wenn sie sich umdrehte, konnte sie vermutlich seinen Schatten sehen, doch das würde sie wertvolle Zeit kosten.

Kurzentschlossen setzte sie zu einem Sprung an und brachte die letzten Stufen mit einem mächtigen Satz hinter sich. Beim Aufprall hätte sie beinahe ihre Tasche fallenlassen, doch es gelang ihr, mit einer rudernden Bewegung ihr Gleichgewicht zu behalten. Der Schwung der Landung beförderte sie direkt vor die Tür, die zu der Etage führte, auf der ihr Wagen parkte.

Sie griff an den Knauf und zog die Tür auf, die sich nur widerwillig öffnete. Für eine Sekunde hatte sie das Gefühl, als würde Michael auf der anderen Seite der Tür stehen und sie festhalten, aber seine Stimme war von oben gekommen, er konnte also kaum vor ihr sein.

Hatte er sie die ganze Zeit über verfolgt? Sie hatte verschiedene Geschäfte besucht, sich immer wieder umgesehen, ihn aber nicht entdecken können.

Endlich gab die Tür nach, sie flog mit einem Schwung auf, nachdem sie sich zunächst störrisch gezeigt hatte. Jasmin hörte die Schritte, Michael musste den oberen Teil der Treppe bereits erreicht haben, sie hörte die Sohlen auf den nackten Beton klatschen.

Sie zwang sich, keinen Blick zurück zu werfen, sondern lief über das Parkdeck an der langen Reihe von Fahrzeugen vorbei. Die Zeit, bis sie endlich die Frontpartie ihres weißen Autos sah, kam ihr unendlich vor. Hastig riss sie den Schlüssel aus der Tasche. Er verfing sich im Stoff ihrer Hose, mit einem Ruck zog sie daran. Der kleine Talisman löste sich aus der Verankerung und fiel mit einem leisen Klirren zu Boden. Sie bemerkte es zwar, hätte sich jedoch niemals die Zeit genommen, ihren Lauf zu unterbrechen und sich zu bücken.

„Jasmin, ich will doch nur reden!”

Die Schritte hallten laut über das Parkdeck, in wenigen Augenblicken würde er sie erreicht haben. Sie drückte den automatischen Türöffner, sah, wie die Lichter ihres Wagens kurz aufblinkten und hörte die automatische Entriegelung.

Sie schlug die Einkaufstüten, die sie bei ihrer Flucht wild hin und her geschleudert hatte, auf die Motorhaube des Wagens, der direkt neben ihr parkte. Hektisch zwängte sie sich in die Lücke zwischen den beiden Fahrzeugen und riss die Tür auf. Da der Wagen dicht neben ihr gehalten hatte, schlug sie gegen die Zierleiste, doch es war ihr in diesem Moment egal, sie nahm es kaum wahr. Sie wollte nur in den Wagen, drückte die Tüten ins Innere und fiel förmlich auf den Sitz.

Erst als sie die Tür zuziehen wollte, merkte sie, dass ihr linker Fuß noch draußen war. Wuchtig traf das Gummi der Tür auf ihren Knöchel, ein scharfer Schmerz zog durch ihren Unterschenkel. Mit einem Fluch zog sie das Bein ins Innere des Wagens und wollte einen zweiten Versuch starten. Doch die Tür stockte erneut.

Sie sah auf, Michael hatte seine kräftige Hand auf den oberen Rand der Tür gelehnt. Sie sah sein blasses Gesicht, das im Licht der Neonröhren feucht und hell schimmerte. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er sie an.

„Ich will doch nur mit dir reden!”

Seine Zunge konnte die Worte nur schwer formen, kein Zweifel, dass er wieder betrunken war. Seine Lippen bildeten einen schmalen dunklen Strich, er versuchte, sich an der Tür und dem neben ihr parkenden Wagen vorbei zu zwängen.

„Hör mir nur einen Moment zu!”

Er brachte die Worte nur abgehackt und ruckartig hervor. Wie oft hatte sie diese Sätze gehört, hatte ihnen vertraut. Und sie wusste, wie es geendet hatte.

„Nein”, schrie sie, spürte, wie sich ihre Stimme fast überschlug. Hart rammte sie den Schlüssel in das Zündschloss. Sie handelte rein mechanisch, drehte ihn und hörte den Motor aufheulen. Sie drückte den Gang rein, trat einfach aufs Gas, ohne die Handbremse zu lösen. Der Wagen machte einen Ruck nach vorne. Die pendelnde Tür traf Michael in Höhe der Hüfte. Mit einem Sprung nach hinten brachte er sich vor dem Wagen in Sicherheit.

Jasmin spürte, dass der Wagen nicht richtig reagierte. Sie begriff, dass etwas nicht stimmte. Erst nach einer Sekunde sah sie die rote Lampe leuchten und verstand, dass sie etwas falsch gemacht hatte. Ihre Hand löste sich vom Lenkrad, fand die Handbremse. Doch Michael war wieder heran, riss die Tür erneut auf.

„Du wirst mir jetzt endlich zuhören!”

Die Wut ließ seine Stimme in die Höhe wandern, auch das kannte sie nur zu gut. Wenn er jetzt nach ihr griff, würde er sie einfach aus dem Fahrzeug reißen, dann war sie verloren. Sie fühlte seine Hand, die hart an ihren Oberarm griff. Der Schmerz ließ sie aus ihrer Erstarrung erwachen.

„Nein!”

Ihr Fuß fand das Gaspedal, sie trat es einfach herunter. Der Wagen, befreit von der Last der blockierenden Bremse, machte einen Satz nach vorne. Hektisch kurbelte sie am Lenker, um nicht in das Auto zu rasen, das ihr gegenüber parkte. Ihre Schulter rutschte aus Michaels Griff, doch er fasste augenblicklich nach, erwischte allerdings nur den Gurt. Jasmin bekam den Wagen unter ihre Kontrolle, stieß die Luft hart aus und beschleunigte. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass Michael neben ihr herlief, aber gleich darauf ins Straucheln geriet, den Gurt jedoch nach wie vor umklammerte.

Im letzten Moment sah sie die Kurve, die hinunter auf das nächste Parkdeck führte. Sie kurbelte wieder wie wild und planlos am Lenkrad und sah den Schatten, der noch immer stolpernd neben der offenen Tür lief. Durch den Schwenk klappte sie allerdings nach innen und traf den Körper von Michael wuchtig in die Seite. Sie hörte seinen Aufschrei, seine Hand ließ den Gurt los.

Um ein Haar wäre sie gegen die Begrenzung am äußeren Ende der Kurve gerauscht. Sie trat auf die Bremse, die Tür fiel ins Schloss. Vorne links hörte sie ein deutliches Schaben an der Stoßstange, in der nächsten Sekunde hatte sie die rot-weiß gestreifte Begrenzung passiert und befand sich auf der nächsten Ebene. Sie warf einen Blick in den Rückspiegel, konnte jedoch nichts von Michael sehen.

Ihr Herz schlug buchstäblich bis zum Hals. Wie hatte sie so idiotisch sein können und geglaubt, sie hätte alleine und entspannt eine Shopping-Tour machen können? Sie hätte wissen müssen, dass er sie verfolgte. Sie konzentrierte sich auf ihren Atem und darauf, die nächste Kurve zu nehmen. Sie musste auf jeden Fall die Karte heraussuchen, mit der sie die Schranke öffnen konnte. Zum Glück hatte sie wenigstens bereits bezahlt.

Wie schnell konnte Michael die beiden Stockwerke überwinden und ihr an der Schranke auflauern? Sie presste die Hände fest um das Lenkrad und konzentrierte sich darauf, die nächste Kurve zu nehmen und wenigstens das Licht einzuschalten.

Endlich erreichte Jasmin die nächste Etage. Jede Sekunde kam ihr wie eine Ewigkeit vor. Hier unten standen kaum Fahrzeuge, die Stellplätze waren für Dauerparker reserviert. Ihre Blicke flogen hin und her, doch von Michael war nichts zu sehen. Sie sah die Schranke, dahinter lag die Straße. Mühevoll zog sie die Karte auf der Tasche ihrer Jeans hervor, dann bremste sie.

Mit klopfendem Herzen ließ sie die Scheibe herunterfahren, von Michael war nichts zu sehen. Der Slot verschluckte die Karte, Jasmin beeilte sich, die Scheibe wieder nach oben zu fahren. Sie verriegelte die Tür von innen, daran hätte sie schon viel eher denken sollen. Jetzt schnallte sie sich auch an.

„Du musst ruhig werden, du musst ruhig werden”, flüsterte sie zu sich selbst und beobachtete, wie sich die Schranke langsam öffnete. Endlich war der Weg frei, sie rollte langsam hinaus aus dem Halbdunkel auf den Fußweg, der an dem Parkhaus vorbeiführte.

Im gleichen Moment sprang Michael direkt vor den Wagen. Er hatte die Arme ausgebreitet, sein hellblaues Hemd sah aus wie ein Segel, mit dem er im nächsten Moment in den Himmel fliegen würde.

Er schrie etwas, aber sie konnte die Worte nicht verstehen. Über seinem linken Auge sah sie eine Platzwunde, Blut war die Wange heruntergelaufen. Er starrte Jasmin voller Wut an, seine Hände schossen nach vorne, schlugen mit einem dumpfen Knall auf die Motorhaube. Er sah aus, als würde er den Wagen mit bloßen Händen stoppen wollen.

Jasmins Hand schlug auf die Hupe, doch das schien ihn nicht zu beeindrucken. Die Straße war leer, Jasmin zögerte keine Sekunde. Sie fuhr einfach weiter. Michael schlug noch einmal zu, wieder knallte es dumpf im Inneren des Wagens. Im nächsten Moment schob die Stoßstange den Mann zur Seite, ihm blieb nichts anderes übrig, als zur Seite zu springen, um zu verhindern, dass die Vorderräder ihn erfassten.

Jasmin nahm schwungvoll die Kurve und beschleunigte. Sie sah Michael, der auf dem Fußweg saß, die Beine weit von sich gestreckt. Mit einer wütenden Geste schlug er auf den Asphalt und schrie etwas.

Obwohl Jasmin nicht hörte, was er von sich gab, verstand sie jedes Wort, das über seine hasserfüllten Lippen kam.

Kapitel 1

„So kann das unmöglich weitergehen, Jasmin. Was willst du tun? Dich für den Rest deines Lebens in deiner Wohnung verkriechen und beten, dass er dich nicht auf dem Weg zur Arbeit erwischt?”

Fabiola war ihre beste Freundin, sie hatte die letzten Jahre zu ihr gehalten, auch wenn es nicht immer einfach gewesen war. Viel zu lange hatte sie die Launen und Gewalttätigkeiten ihres Ex-Mannes ertragen. Seit acht Wochen waren sie nun rechtskräftig geschieden, doch es schien, als wäre mit dem Urteil ein neues, unheimliches Leben in ihn gekommen. In den Monaten zuvor hatte er sie, abgesehen von einigen nächtlichen Anrufen, weitgehend in Ruhe gelassen.

„Er braucht einfach etwas Zeit, um die Sache zu verarbeiten”, sagte Jasmin tonlos in ihr Weinglas. Draußen rauschte der Regen und verkündete das vorzeitige Aus des Sommers für Ende August.

„Er braucht ... ?” Fabiola sprang auf und begann, im Zimmer auf und ab zu wandern. Sie schwenkte ihr Weinglas hin und her, bis sie ein wenig verschüttete. Hastig stellte sie das Glas ab und leckte sich über den Handrücken.

„Ich fasse es nicht, was du da von dir gibst! Du bist eine gestandene Frau, beruflich erfolgreich, aber du hast dich von diesem Idioten unterbuttern lassen und nimmst ihn bis heute in Schutz. Du hast wohl vergessen, was vor zwei Wochen passiert ist?” Sie starrte ihre Freundin wütend an.

Instinktiv griff sich Jasmin an den Oberschenkel. Nein, natürlich hatte sie nichts vergessen, jede Sekunde der schrecklichen Erlebnisse hatte sich in ihr Gedächtnis gebrannt und eine schwere, schmerzende Erinnerung zurückgelassen. Spätestens seit diesem Tag traute sie Michael alles zu, wirklich alles.

„Was denkst du soll ich tun?” fragte Jasmin leise. Fabiola war ihr immer überlegen gewesen, wusste besser Bescheid. Aber sie würde ja auch heiraten und danach glücklich sein.

Fabiola griff nach ihrem Glas, das sie in der Zwischenzeit abgestellt hatte. Sie nahm einen kräftigen Schluck. „Du musst ihn anzeigen, du musst ihm zeigen, dass du dir nicht alles gefallen lässt. Er soll zwei Dinge verstehen: Erstens, er muss dich in Ruhe lassen und zweitens, dass es aus ist – unwiederbringlich!” Sie sah Jasmin drohend an, die zunächst zögernd, dann energischer nickte.

„Aber anzeigen? Ich habe nicht die geringsten Beweise für die Vorfälle, außer ein paar blauen Flecken.” Sie griff sich instinktiv an den Arm, an dem sie von Michael auf ihrer Flucht hatte festhalten wollen.

Fabiola, die ihrem Blick gefolgt war, trat näher und nahm behutsam ihren Arm. Sie schob den Ärmel ihrer Bluse nach oben. „Ach du Scheiße”, rutschte es ihr heraus.

„Nun ja, er ist nicht ganz alleine schuld, immerhin bin ich mit dem Wagen um eine Kurve gefahren und er hat versucht, sich festzuhalten, weil ... “

„Gott, hörst du dir selbst zu?” schnauzte Fabiola los und betrachtete sich die Verletzung am Arm genauer. „Damit musst du zum Arzt. Außerdem hast du die Flucht vor ihm ergriffen. Hast du dir mal überlegt, was geschehen wäre, wenn er dich erwischt hätte, wenn du nicht rechtzeitig dein Auto erreicht hättest?”

Natürlich hatte sich das Jasmin überlegt. Schließlich hatte sie sich sofort nach ihrer Ankunft daheim verbarrikadiert und nach einer Weile ihre beste Freundin angerufen.

„Du musst etwas unternehmen, denn es wird immer schlimmer, je länger du wartest. Und damit meine ich sowohl den Arm als auch die Sache mit Michael.”

„So einfach ist das nicht. Er war mein Mann, ich kann ihn doch nicht anzeigen. Und möglicherweise wollte er tatsächlich reden ... “ Jasmin hörte ihre Worte und spürte, dass sie über sich selbst erschüttert war. Warum machte sie sich vor ihm nur so klein, was war mit ihr los? Welcher Schalter legte sich in ihrem Inneren um? Hatte sie in diesem Parkhaus nicht eine Todes-Angst verspürt?

Hatte sie den Mann nicht mal geliebt? Die Bilder waren so weit entfernt, und doch schien es ihr, als könne sie sie mit ihren Händen greifen, als könne sie den Sand unter ihren Füßen spüren – damals, als ihr Leben ein Anderes gewesen war.

Kapitel 2

„Es hat endlich aufgehört zu regnen”, sagte Michael lachend und drehte sich auf dem kühlen Laken herum. Er sah aus dem Fenster. Von den dichten, fleischigen, grünen Blättern fielen noch große Tropfen mit einem Funkeln Richtung Erde. Die Klimaanlage hatte dafür gesorgt, dass die schwüle Wärme draußen vor dem Bungalow geblieben war.

Sie hatten die letzte Stunde, seit der Regen von einer Sekunde auf die andere eingesetzt und sie vom Strand vertrieben hatte, im Zimmer verbracht und sich geliebt.

Jasmin streckte sich, das Laken rutschte von ihrem Körper, aber sie empfand die Nacktheit nicht als beängstigend oder bedrückend, sondern als befreiend. Michael hatte ihr ein neues Leben gezeigt, ein Leben jenseits der Arbeit und des erdrückenden, bleiernen Alltags, in dem sie die letzten Jahre verbracht hatte. Sie war zu einer neuen Frau geworden, kaufte sich modische Kleidung, ließ sich die Haare nicht nur schneiden, sondern färben, nahm Make-up und exklusive Parfüms.

Sie hätte sich das schon immer leisten können, aber sie hatte es nie getan. Seit der Schule war sie das Mauerblümchen gewesen, die Streberin, die mit den guten Noten, die man nur zum Geburtstag einlud, wenn sie einem dafür die Hausaufgaben machte.

Doch diese Zeiten waren vorbei. Sie war zu einer neuen Frau, einem freieren Menschen geworden. Noch vor einem Jahr wäre es für sie unvorstellbar gewesen, den Vormittag am Strand zu verbringen, dann lachend vor dem warmen Regen zu flüchten und mit einem attraktiven, intelligenten Mann ausgiebig Sex zu haben. Mit Michael hatte sie zum ersten Mal einen Orgasmus erlebt und sich tagelang eingebildet, dass jeder Mensch es ihr hatte ansehen können.

„Ich finde Kuba wunderschön”, sagte sie und rekelte sich ausgiebig. Ihre Muskeln fühlten sich angenehm müde und ausgelaugt an. Michael trat nackt vor das Bett und kratzte sich das unrasierte Kinn. „Wir könnten hinüber zum Restaurant gehen, eine Kleinigkeit essen und anschließend den Rest des Tages am Strand verbringen, der Regen ist fort, die dunklen Wolken sind verzogen. Und im Gegensatz zu daheim kühlt es sich nicht ab.”

Jasmin war überwältigt gewesen, als sie zum ersten Mal die Düne hinter sich gelassen und einen Blick über den weiten, grün schimmernden Ozean geworfen hatte. Es sah tatsächlich aus wie auf einer kitschigen Postkarte, die sie unten im Ort verkauften Nie hätte sie auch nur geahnt, dass es irgendwo auf dieser Erde so einen Ort gab, der einen Menschen derart verzaubern konnte.

„Gibt es heute Abend im Hotel eine Show?” fragte sie und unterdrückte ein Gähnen. Seit einer Woche taten sich nichts außer in der Sonne zu liegen, zu essen und Sex zu haben. Vorher war sie einige Male an der Ostsee mit einer Freundin gewesen, war tagsüber Rad gefahren und hatte am Abend selbst gekocht, danach in die Glotze geschaut. Wie anders war das Leben in diesem Urlaub. Jasmin verdrängte jeden Gedanken an die Zeit nach diesen Wochen. Noch war es nicht so weit.

Michael grinste sie breit an und zeigte dabei seine weißen, ebenmäßigen Zähne. „Wir könnten auch noch ein wenig hier auf dem Zimmer bleiben”, stellte er fest und schickte sich an, auf das Bett zu klettern.

Jasmin kicherte. „Nach dem Essen vielleicht, aber lass uns erst mal ins Restaurant gehen, ich bin tatsächlich etwas hungrig.”

Michael lachte leise und hielt inne. „Und das nach dem Frühstück, das du verputzt hast”, sagte er mit einem spöttischen Unterton.

„Du hast auch eine Menge verdrückt”, gab sie zurück, schob sich an ihm vorbei und erhob sich. Sie griff nach einem leichten Sommerkleid, das sie in der Boutique des Hotels erstanden hatte. Es war tief ausgeschnitten, betonte ihre schlanke Figur und war so bunt und schreiend, dass sie es vermutlich zu Hause nie wieder tragen würde. Aber nichts war unmöglich, schließlich lebte sie seit einigen Monaten ein neues Leben.

Michael ging ins Bad, das machte er stets, wenn er sich anzog. Warum er das tat, war bisher sein Geheimnis geblieben, sie hatte es aber auch nie hinterfragt. Es konnte kaum daran liegen, dass er sich vor ihr schämte. Sie schmunzelte, jeder Mensch, selbst ein so perfekter Mann wie Michael, hatte seine Macken. Und sie würde mit dieser Art gut umgehen können.

Jasmin schob sich die dunkelblonden Haare nach hinten, trat vor den Spiegel in der Schranktür und legte sich Ohrringe an, die sie ebenfalls hier erstanden hatte bei einem kleinen, freundlichen Händler in Varadero, der eine dicke Zigarre geraucht hatte und mindestens hundert Jahre alt gewesen sein musste.

Sie nahm einen kleinen Flacon aus ihrem Koffer und sprühte sich ein wenig davon auf die Handrücken und auf die Schulter. Im gleichen Moment trat Michael aus dem Bad. Er lächelte, doch als er sah, wie sie das Parfüm benutzte, verzog sich das Gesicht ärgerlich.

„Bitte nicht hier im Zimmer!” stieß er wütend hervor, Jasmin zuckte zusammen und starrte schuldbewusst auf die kleine, goldene Sprühflasche. Sie konnte sehen, wie Michaels Kiefer wütend zuckten, doch im nächsten Moment hatte er sich wieder im Griff.

„Tut mir leid, aber ich mag es nicht, wenn es hier neben dem Bett so intensiv riecht.”

Jasmin nickte und räumte den Flacon schuldbewusst zurück in den Koffer. „Ja”, sagte sie sofort, „das kann ich total gut verstehen.” Sie zwang sich zu einem Lächeln, merkte aber, wie dieser kurze Auftritt von Michael sie verunsichert hatte. Sein Gesicht konnte sich von einer Sekunde auf die andere verfinstern. Sie wollte sich in Zukunft mehr Mühe geben, ihn nicht zu verärgern.

Auf dem Weg durch die Anlage plauderte Michael betont unbefangen, doch irgendwie hatte sie das Gefühl, dass ihn diese kleine Szene mehr berührt hatte, als er zugab. Vielleicht war es ihm peinlich, ging es ihr durch den Kopf. Sie schlenderten den gewundenen Weg an den großen, ausladenden Blumenbeeten vorbei. Die Blüten schimmerten in hundert verschiedenen Rot-Tönen und reckten sich feucht schimmernd der Sonne entgegen. Langsam kehrten die Insekten zurück. Obwohl es gerade geregnet hatte, lief die Bewässerungsanlage auf vollen Touren.

In der Luft lag ein feiner Duft nach Jasmin, die Sonne hatte die letzten schweren, schwarzen Wolken aufgelöst. Jasmin zog ihre Sonnenbrille über die Augen. Erst jetzt fiel ihr auf, dass Michael schon einige Male mehr oder weniger verstohlen auf seine Uhr geblickt hatte. Dabei konnte er unmöglich noch etwas vorhaben.

Als sie das Restaurant, das im unteren Teil des Haupthauses lag, fast erreicht hatten, stockte er noch einmal. „Zu blöd, ich habe mein Handy vergessen”, sagte er. Noch ehe sie ihm erklären konnte, dass er es in der nächsten Stunde wohl nicht brauchen würde, hatte er auf dem Absatz kehrt gemacht und war zurückgelaufen. „Warte hier kurz auf mich, ja?”

Unentschlossen blieb Jasmin vor der Eingangstür stehen. Andere Gäste kamen vorbei und grüßten sie freundlich. Die Entspanntheit des Urlaubs ließ allerdings keine größeren Zweifel in ihr hochkommen, warum sie nicht schon hineingehen sollte und hier sinnlos wartete.

Zwei Tänzerinnen, die sie von den abendlichen Shows kannte, liefen mit einem freundlichen Kichern an ihr vorbei und verschwanden im Inneren des Haupthauses.

Zu dämlich, ich sollte hineingehen, ging es Jasmin durch den Kopf. Draußen war es deutlich wärmer geworden, die Räume im Hotel waren allesamt klimatisiert. Warum hatte Michael gesagt, dass sie hier auf ihn warten sollte? Das ergab keinen Sinn. Vermutlich hatte er es ohne einen Hintergedanken gesagt und würde sie auslachen, sobald er zurückkehrte, da sie hier in der Sonne stand, ohne den Blocker benutzt zu haben.

„Senorita Bennett?”

Unbemerkt von ihr war der Manager des Hotels von hinten an sie herangetreten. Er war klein, untersetzt und trug einen hellen Anzug mit streng gebundener Krawatte. Sie hatte ihn noch nie so formell gesehen. Er sprach ausgezeichnet Deutsch wie einige Angestellte hier. Vermutlich hatte man die Mitarbeiter danach ausgewählt, immerhin war die überwiegende Anzahl der Gäste aus Deutschland neben vielen Kanadiern.

„Na, heute noch wichtige Geschäfte?” fragte sie lächelnd und deutete auf seine Krawatte. Sie hatte erwartet, dass er sie nur kurz begrüßen und dann seiner Wege gehen würde, doch er blieb vor ihr stehen, als sei sie das Ziel seines Auftretens, was natürlich völliger Unsinn war.

„Ja, außerordentlich wichtige Geschäfte”, sagte er und grinste breit unter seinem dichten Schnurrbart. „Kommen Sie, Senorita!”

„Nein, warten Sie, ich muss auf meinen ... oh, na gut!” Sie lachte, weil er sie beharrlich an die Hand nahm und mit ihr in das Hotel trat. Sie warf noch einen Blick zurück, Michael musste jeden Augenblick kommen und ihnen folgen. Was konnte der Mann von ihr wollen?

Sie betrat das Hotel. Links ging es zum Empfang, rechts in das Hauptrestaurant. Neben diesem Restaurant gab es noch zwei weitere, kleinere A-la-Carte-Restaurants, die sie allerdings noch nicht besucht hatten. Der Manager schob sie in Richtung des Restaurants. Zu ihrem Erstaunen stellte Jasmin fest, dass vor der Tür einige Gäste standen, obwohl im Inneren die Tische frei waren. Und als sie auftauchte, verzogen sich die Gesichter zu erwartungsvollem Grinsen.

Ehe Jasmin auch nur einen Ton sagen, eine Frage stellen konnte, setzte hinter ihr Musik ein, typisch kubanisch. Drei Männer spielten Gitarre, die beiden jungen Frauen, die sie wenige Augenblicke zuvor gesehen hatte, trugen einen weißen, mit Blumen geschmückten Bogen. Und unter diesem Bogen ging Michael.

Völlig irritiert bekam Jasmin kein Wort heraus. Der Manager trat einen Schritt zurück, Jasmin glotzte Michael völlig verwundert an. Der ging auf die Knie und hielt mit einem Mal ein kleines, rotes Kästchen in der Hand, das im nächsten Moment aufsprang und den Blick auf einen mächtigen Diamanten freigab, der in einer rotgoldenen Fassung im Licht der Deckenbeleuchtung schimmerte.

Michael kniete vor ihr. Jasmin hatte die Situation noch immer nicht völlig erfasst, als die Musik verstummte.

„Jasmin Bennett”, hallte seine kräftige, dunkle Stimme durch den Raum, „willst du meine Frau werden?”

Kapitel 3

„Hallo, hast du mich nicht gehört?”

Jasmin fuhr zusammen, mit einem Schlag war sie zurück in der Realität der Gegenwart. Sie glotzte ihre Freundin an, rieb sich danach die Augen.

„Entschuldige, ich war mit meinen Gedanken gerade völlig woanders”, brachte sie mühevoll hervor.

Fabiola hatte wieder ihr gegenüber Platz genommen. Sie lächelte erstaunlich entspannt, schien sich ein wenig beruhigt zu haben. „Gib zu, du hast gerade an eine schönere Zeit gedacht, die du mit ihm hattest, nicht wahr?”

„Ich dachte an Kuba und den Heiratsantrag”, gab Jasmin zu. „Es ist schon eine Ewigkeit her und kommt mir vor wie aus einem anderen Leben.”

Auch Fabiola musste lächeln. „Ich weiß noch, wie du gestrahlt hast, als du zurückgekommen bist. Habt ihr nicht dort unten schon geheiratet?” Für einen Moment glaubte Jasmin, einen Schatten über das Gesicht ihrer Freundin huschen zu sehen. Sie konnte sich noch gut daran erinnern, wie eifersüchtig sie damals gewesen war.

„Na ja, das war am Strand, aber es hatte in Deutschland keine rechtliche Gültigkeit. Wir haben das hier auf dem Standesamt nachgeholt.”

Fabiola schien einen Augenblick zu überlegen, was sie sagen sollte. Draußen war es dunkel geworden, Fabiola hatte, ohne dass Jasmin es bemerkt hatte, die Lichter in der Wohnung eingeschaltet. Vielleicht stand Michael jetzt dort draußen auf der Straße und starrte zu ihrer Wohnung hinauf? Wenigstens stand ihr Wagen in der Tiefgarage, unerreichbar für ihn und seine Zerstörungswut.

Mein Gott, was für ein Unterschied. Damals hatte er ihr einen Ring an den Finger geschoben, der einen vierstelligen Betrag gekostet hatte, heute hatte sie Angst um ihren Wagen und seine eigenartige, für sie nicht zu erklärende Wut.

Jasmin erhob sich, ihre Beine schmerzten genauso wie ihre Arme. Durch die Anspannung hatten sich die Muskeln verkrampft. Sie drehte ihren Kopf, um den Nacken ein wenig zu lockern. Dabei trat sie seitlich an das Fenster und sah nach unten auf die regennasse Straße.

„Nein, er ist anscheinend nicht da”, sagte Fabiola nachdenklich. Sie schien einen Augenblick nachzudenken und leerte dann ihr halbvolles Glas in einem Zug, so, als müsse sie sich Mut für die nächste Frage antrinken.

„Wie viel Urlaub hast du noch?” fragte sie.

Jasmin drehte sich um und ging einen Schritt nach hinten. Sie stellte fest, wie unangenehm ihr der bloße Gedanke war, dass er sie hier oben am Fenster war. Konnte ihn das schon provozieren? Es war ihre Wohnung, sie konnte sich bewegen, wie und wo sie wollte. Diese verdammte, nagende Unsicherheit. Warum musste sie ausgerechnet jetzt an ihre Schulzeit denken, an diese grelle Blondine, die sie ständig beleidigt hatte, die irgendwelche Geschichten über sie erfunden und herumerzählt hatte? Wie hatte sie doch gleich geheißen?

„Was? Urlaub?” Jasmin begriff erst langsam, was Fabiola sie gefragt hatte. „Keine Ahnung, vermutlich habe ich noch eine ganze Menge. Den letzten Urlaub habe ich damals für die Scheidung genommen.” Sie überlegte, konnte man diese Tage überhaupt als Urlaub bezeichnen? Zumindest nicht im klassischen Sinne.

Fabiola stand auf und räumte ihr Glas überflüssigerweise in die Küche. Kein Zweifel, sie wollte ein paar Sekunden Zeit gewinnen, weil sie irgendeinen Gedanken in den Sinn bekommen hatte, den sie zunächst für sich selbst formulieren musste. Jasmin war mit ihren Gedanken ohnehin schon wieder bei der schrillen Blondine. Anna, war ihr Name nicht Anna gewesen? Alle Mädchen hießen Anna, na ja, fast alle.

„Ich kenne ein Hotel in Süditalien”, setzte Fabiola an, als sie aus der Küche kam.

„Ein Hotel?” Jasmin löste sich von Anna, wenn das ihr Name gewesen war. Das Resort auf Kuba kam ihr in den Sinn. „Ach nein, ich weiß nicht, ob das das Richtige ist – ist die Saison nicht sowie vorbei?”

„In Kalabrien sind es um diese Zeit fast dreißig Grad. Das Hotel hat einen eigenen Strand. Und nur, weil du mit Michael in einem Hotel warst bedeutet das nicht, dass du für den Rest deines Lebens Hotels meiden musst.”

Sie schien Jasmins Gedanken erraten zu haben. „Ja, das ist mir auch klar”, stieß Jasmin ärgerlicher hervor, als sie es eigentlich gemeint hatte. „Aber ist das nicht eine Art Flucht?”

„Ich denke eher an zwei Wochen, das kann man nun wirklich nicht als Flucht bezeichnen. Aber eine Auszeit würde dir guttun, dafür genügt ein Blick in den Spiegel.”

Warum hatte Fabiola immer dieses leichte Funkeln in den Augen, wenn sie Jasmins miesen Zustand erwähnte?

Jasmin rieb sich über das Gesicht. Sie sah sich in einem einsamen Hotelzimmer sitzen, während ihre durchaus lebenslustige Freundin die Bars der Gegend unsicher machte. „Nein, nein, vielen Dank, es ist lieb gemeint, aber – nein.”

Aber Fabiola schien der Gedanke, der sie überfallen hatte, nicht mehr loszulassen. Sie ließ sich in ihren Sessel fallen und schlug die Beine übereinander. „Du brauchst dringend ein wenig dolce far niente”, sagte sie.

„Was brauche ich?” Fabiola klang in ihren Ansätzen der italienischen Sprache alles andere als sicher, aber sie ließ sich nicht beirren.

„Süßes Nichtstun. Wie viele Stunden warst du in den letzten Tagen in der Kanzlei?” Ihr Blick wurde durchdringend.

„Ich bin nicht wie du Beamtin, meine Tage sind meist etwas länger”, stellte Jasmin ungehalten fest. Im gleichen Moment zuckte sie zusammen wegen ihrer Unbeherrschtheit. So etwas durfte sie unmöglich sagen, höchstens an einem schlechten Tag denken. Fabiola allerdings zuckte nur mit den Achseln.

„Du weißt schon, dass du von den Senior-Partnern lediglich ausgebeutet wirst, oder? Wie lange versprechen sie dir schon, die Buchhaltung als gleichberechtigten Partner anzusehen? Und seien wir mal ehrlich: Ihre Arbeit ist doch im Grunde auch nur eine bessere Buchhaltung. Also machst du für sie die Arbeit, sie lehnen sich zurück in ihren bequemen Sesseln und kassieren.”

Jasmin biss sich auf die Lippen. Nein, dachte sie, ganz so einfach war es nicht. Immerhin war sie keine Steuerberaterin. Aber im Grunde ihres Herzens wusste sie, dass die Argumente, die Steinhoff und Kohlstedt vorbrachten, sobald es auf eine Besserstellung der Buchhaltung zu sprechen kam, nur dazu dienten, sie klein zu halten.

---ENDE DER LESEPROBE---