Kabale und Liebe - Kein Drama von Friedrich Schiller - Anno Stock - E-Book

Kabale und Liebe - Kein Drama von Friedrich Schiller E-Book

Anno Stock

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Beschreibung

Lustspiele, Komödien, Tragödien, Dramen – viele klassische Werke sind für die meisten Menschen heute Bücher mit sieben Siegeln. Insbesondere die altertümliche Sprache und der sprachliche Aufbau als Bühnenstück lassen nicht nur Schülerinnen und Schüler verzweifeln. Die Reihe "Kein Drama" bringt alte Klassiker in Prosa neu heraus. So werden sie endlich für jede und jeden verständlich. Inhaltlich bleiben die Neufassungen stets dicht am Original. Daher sind teilweise Begriffe enthalten, die heute gemeinhin als diskriminierend wahrgenommen werden. Auch die Struktur ist jeweils abhängig von der genutzten Vorlage – daher sind missverständliche Passagen unvermeidlich.

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Seitenzahl: 154

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Vorwort.

Lustspiele, Komödien, Tragödien, Dramen – viele klassische Werke sind für die meisten Menschen heute Bücher mit sieben Siegeln. Insbesondere die altertümliche Sprache und der sprachliche Aufbau als Bühnenstück lassen nicht nur Schülerinnen und Schüler verzweifeln. Die Reihe „Kein Drama“ bringt alte Klassiker in Prosa neu heraus. So werden sie endlich für jede und jeden verständlich.

Inhaltlich bleiben die Neufassungen stets dicht am Original. Daher sind teilweise Begriffe enthalten, die heute gemeinhin als diskriminierend wahrgenommen werden. Auch die Struktur ist jeweils abhängig von der genutzten Vorlage – daher sind missverständliche Passagen unvermeidlich.

Erster Akt - Erste Szene

Im Wohnzimmer des Musikers Miller

Miller stand gerade vom Sessel auf und stellte sein Cello zur Seite. Am Tisch saß seine Frau noch im Morgenmantel und trank ihren Kaffee.

Miller lief aufgeregt im Zimmer auf und ab. "Ein für alle Mal! Die Sache wird ernst. Meine Tochter gerät wegen diesem Baron ins Gerede. Unser Ruf geht vor die Hunde. Der Präsident kriegt Wind davon, und dann war's das - ich schmeiße den Schnösel raus!"

"Du hast ihn doch nicht zu uns eingeladen", meinte seine Frau. "Du hast ihm Luise auch nicht hinterhergeworfen."

"Hab ich nicht, hab ich nicht - aber wen interessiert das?" Miller wurde lauter. "Ich bin der Hausherr! Ich hätte meine Tochter strenger erziehen sollen. Ich hätte diesem Major klare Kante zeigen sollen. Oder gleich alles seinem Vater, dem Herrn Präsidenten, petzen sollen. Der junge Baron macht sich mit einer Unterschrift aus der Affäre, das weiß ich genau, und wer kriegt den ganzen Ärger ab? Der Geiger!"

Seine Frau schlürfte gelassen ihre Tasse leer. "Quatsch! Geschwätz! Was soll dir schon passieren? Wer kann dir was anhaben? Du gehst deinem Job nach und sammelst Schüler ein, wo du sie kriegen kannst."

"Aber sag mir doch mal - was soll bei der ganzen Sache überhaupt rauskommen?" Miller wurde immer aufgebrachter. "Heiraten kann er sie nicht - davon ist überhaupt keine Rede! Und zu seiner... Gott bewahre! Der Typ hat doch schon überall rumgemacht, wer weiß mit wie vielen! Und dann findet er's natürlich geil, mal bei einem unschuldigen Mädchen anzuklopfen. Pass auf! Pass bloß auf! Selbst wenn du aus jedem Loch guckst und jeden ihrer Schritte bewachst - er wird sie dir vor der Nase rumkriegen, sie schwängern und dann abhauen. Und Luise? Die bleibt sitzen, ihr Ruf ist ruiniert, keiner will sie mehr haben oder sie wird zur..." Er hielt sich die Hand vor die Stirn. "Jesus Christus!"

"Gott behüte uns!", seufzte seine Frau.

"Gott soll mal schön aufpassen! Worauf kann so ein Windhund es denn sonst abgesehen haben?" Miller wurde immer wütender. "Das Mädchen ist hübsch - schlank - hat was zu bieten. Was im Kopf drin ist, interessiert euch Frauen ja sowieso nicht, solange der liebe Gott euch untenrum gut ausgestattet hat. Wenn mein Springinsfeld das erst mal richtig checkt - bam! - geht ihm ein Licht auf wie einem Jagdhund, der Beute wittert. Dann gibt er Vollgas und... ich kann's ihm nicht mal verdenken. Menschen sind halt Menschen. Das weiß ich."

"Du solltest mal die wunderschönen Briefe lesen, die der gnädige Herr an deine Tochter schreibt", schwärmte seine Frau. "Mein Gott! Da sieht man doch sonnenklar, dass es ihm nur um ihre schöne Seele geht."

"Ja klar!" Miller schnaubte. "Man schlägt den Sack und meint den Esel. Wer was vom Körper will, schickt erstmal das Herz vor. Wie hab ich's denn gemacht? Wenn die Gefühle erstmal stimmen, ziehen die Körper automatisch nach. Die Diener machen's wie die Herrschaft, und am Ende war der Mond nur der Kuppler."

"Schau dir doch nur die prächtigen Bücher an, die der Herr Major mitgebracht hat. Deine Tochter liest auch immer darin."

Miller pfiff verächtlich. "Na toll! Liest! Du hast's erfasst. Die normale Kost ist Seiner Gnaden zartem Magen wohl zu derb. Er muss ihr erst in der Giftküche dieser Schriftsteller künstlich aufkochen lassen. Ab ins Feuer mit dem Scheiß! Da saugt sich das Mädchen - weiß Gott was für - abgehobene Fantasien rein. Das geht ihr ins Blut wie eine Droge und macht ihr den bisschen Glauben kaputt, den ihr Vater mit Mühe und Not zusammengehalten hat. Ins Feuer damit, sage ich! Sie kriegt lauter verrückte Ideen in den Kopf, findet sich in ihrer Traumwelt nicht mehr zurecht, vergisst und schämt sich, dass ihr Vater Miller der Geiger ist. Und am Ende lehnt sie einen anständigen Schwiegersohn ab, der perfekt in meine Kundschaft gepasst hätte..." Er sprang wütend auf. "Nein! Verdammt! Jetzt reicht's! Dem Major zeig ich's! Dem zeig ich, wo's langgeht!" Er wollte losstürmen.

"Sei höflich, Miller", bremste ihn seine Frau. "Denk doch nur daran, wie viel Geld uns seine Geschenke eingebracht haben..."

Miller drehte sich zu ihr um und blieb drohend vor ihr stehen. "Das Blutgeld meiner Tochter? Verpiss dich, du miese Kupplerin! Lieber gehe ich mit meiner Geige betteln und spiele auf der Straße für warmes Essen - lieber zerschlage ich mein Cello und fülle Mist in den Klangkörper, als dass ich mir von dem Geld auch nur eine Mahlzeit kaufe, das mein einziges Kind mit ihrer Seele und ihrem Körper verdient! Hör auf mit deinem verdammten Kaffee und dem Tabakschnupfen, dann musst du das Gesicht deiner Tochter nicht auf dem Markt feilbieten. Ich hatte immer genug zu essen und ein sauberes Hemd, bevor so ein verwöhnter Schnösel hier aufgetaucht ist!"

"Jetzt mal langsam!" beschwichtigte seine Frau. "Warum gehst du gleich so an die Decke? Ich meine ja nur, man sollte den Herrn Major nicht verärgern, weil er der Sohn des Präsidenten ist."

"Da liegt der Hund begraben! Genau deswegen muss die Sache heute noch ein Ende haben. Der Präsident wird mir dankbar sein, wenn er ein vernünftiger Vater ist." Miller wurde entschlossen. "Du bürstest mir meinen roten Samtrock aus, und ich werde mich bei Seiner Exzellenz anmelden lassen. Ich werde zu seiner Exzellenz sagen: 'Ihr Herr Sohn hat ein Auge auf meine Tochter geworfen. Meine Tochter ist zu niedrig geboren, um die Frau Ihres Sohnes zu werden, aber als Geliebte ist sie mir zu schade. Und damit basta!' - Ich heiße Miller."

Zweite Szene

Sekretär Wurm kommt dazu

"Ah, guten Morgen, Herr Sekretär!", begrüßte Frau Miller den Besucher überschwänglich. "Schön, dass Sie mal wieder vorbeischauen!"

Wurm verbeugte sich steif. "Das Vergnügen ist ganz meinerseits, Frau Base! Aber wo eine adlige Gnade die Türschwelle überschreitet, zählt mein bürgerliches Vergnügen natürlich überhaupt nicht."

"Ach was!", winkte Frau Miller ab. "Der Herr Major von Walter beehrt uns zwar ab und zu mit seinem Besuch, aber deswegen schauen wir doch auf niemanden herab."

Miller warf seiner Frau einen genervten Blick zu. "Setz dich, Mann. Willst du deinen Mantel ablegen?"

Wurm legte Hut und Stock beiseite und setzte sich. "Na, wie geht's denn meiner zukünftigen... oder sollte ich sagen ehemaligen Braut? Ich hoffe doch nicht! Bekommt man Fräulein Luise denn zu sehen?"

"Wir danken für die Nachfrage, Herr Sekretär", antwortete Frau Miller. "Aber meine Tochter ist wirklich nicht hochnäsig."

Miller stieß sie warnend mit dem Ellbogen an. "Frau!"

Sie lächelte geziert. "Es tut uns leid, dass sie Ihnen nicht die Ehre ihrer Gesellschaft erweisen kann, Herr Sekretär. Sie ist in der Kirche."

"Das freut mich", nickte Wurm. "Sehr gut! Dann werde ich wenigstens eine fromme, christliche Ehefrau bekommen."

Frau Miller kicherte nervös. "Ja... aber, Herr Sekretär..."

Miller kniff sie ins Ohr. "Frau!"

"Wenn Ihnen unser Haus sonst irgendwie dienlich sein kann - sehr gerne, Herr Sekretär..."

Wurm verdrehte die Augen. "Sonst irgendwie! Schönen Dank! Hem, hem!"

"Aber... wie Sie selbst einsehen werden..."

Miller schubste seine Frau wütend. "Frau!"

Sie wurde jetzt richtig überheblich. "Gut ist gut, und besser ist besser. Und seinem einzigen Kind will man doch auch nicht im Weg stehen, wenn es um sein Glück geht." Sie sah ihn herausfordernd an. "Sie verstehen mich schon, Herr Sekretär?"

Wurm rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum und zupfte nervös an seinen Manschetten. "Verstehen? Nicht wirklich... Ach so... Wie meinen Sie das denn?"

Frau Miller hüstelte affektiert. "Na ja, ich dachte nur... ich meine... weil der liebe Gott meine Tochter partout zur gnädigen Dame machen will..."

Wurm sprang entsetzt auf. "Was sagen Sie da? WAS?"

Miller versuchte die Situation zu retten. "Sitzen bleiben! Bleiben Sie sitzen, Herr Sekretär! Das dumme Weib labert Unsinn. Wo soll denn bitte eine gnädige Dame herkommen? Was für ein Schwachsinn ist das denn?"

"Red du nur", schnaubte seine Frau. "Was ich weiß, weiß ich - und was der Herr Major gesagt hat, hat er gesagt."

Miller sprang wütend auf und griff nach seiner Geige. "Halt dein Maul! Willst du das Cello auf den Schädel? Was kannst du schon wissen? Was kann er gesagt haben?" Er wandte sich an Wurm. "Hören Sie nicht auf das Geschwätz, Kollege! Ab mit dir in die Küche!" Er wurde lauter. "Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass ich so größenwahnsinnig bin und mit meiner Tochter hoch hinaus will? Das denken Sie doch nicht von mir, Herr Sekretär?"

"Dafür haben Sie's auch nicht verdient, Herr Musikmeister", sagte Wurm kühl. "Sie haben mich immer als Mann von Wort behandelt, und meine Ansprüche auf Ihre Tochter waren praktisch schon unterschrieben. Ich habe einen Job, der seinen Mann ernährt. Der Präsident ist mir wohlgesonnen. An Empfehlungen wird's nicht fehlen, wenn ich Karriere machen will. Sie sehen, dass ich es ernst meine mit Fräulein Luise. Falls Sie sich von irgendeinem adeligen Windbeutel haben einwickeln lassen..."

"Herr Sekretär Wurm!", unterbrach Frau Miller empört. "Etwas mehr Respekt, wenn ich bitten darf!"

"Halt dein Maul, verdammt!", schrie Miller. "Lassen Sie gut sein, Kollege! Es bleibt alles beim Alten. Was ich Ihnen letzten Herbst gesagt habe, gilt immer noch. Ich zwinge meine Tochter zu nichts. Wenn sie Sie mag - schön, dann soll sie zusehen, wie sie mit Ihnen glücklich wird. Wenn nicht - noch besser, in Gottes Namen! Dann müssen Sie die Abfuhr einstecken und trinken eine Flasche Wein mit mir. Das Mädchen muss mit Ihnen leben, nicht ich. Warum soll ich ihr einen Mann aufzwingen, den sie nicht ausstehen kann? Dass mich der Teufel noch in meinem Alter herumhetzt! Dass ich's in jedem Glas Wein schmecken muss: Du bist der Arsch, der seine Tochter ins Unglück gestürzt hat!"

"Und ich sage klipp und klar", mischte sich seine Frau ein, "ich gebe meine Zustimmung absolut nicht! Meine Tochter ist für Höheres bestimmt, und ich gehe vor Gericht, wenn mein Mann sich breitschlagen lässt!"

"Willst du dir Arme und Beine brechen lassen, du Schreckschraube?"

Wurm wandte sich an Miller. "Ein väterlicher Rat hat bei der Tochter viel Gewicht, und Sie kennen mich hoffentlich, Herr Miller?"

"Zum Teufel! Das Mädchen muss Sie kennen. Was ich alter Knacker an Ihnen sehe, ist kein Leckerbissen für ein junges, verwöhntes Mädchen. Ich kann Ihnen genau sagen, ob Sie ein guter Musiker sind - aber eine Frauenseele ist selbst für einen Kapellmeister zu kompliziert. Und dann mal Klartext, Kollege - ich bin ein direkter deutscher Typ - für meinen Rat würden Sie sich am Ende nicht bedanken. Ich rate meiner Tochter zu niemandem - aber Sie, Herr Sekretär, rate ich meiner Tochter ab! Lassen Sie mich ausreden. Einem Liebhaber, der den Vater zu Hilfe ruft, traue ich nicht mal über eine leere Haselnuss. Wenn er was drauf hat, wird er sich schämen, seine Qualitäten über diesen altmodischen Kanal an seine Liebste zu bringen. Hat er keinen Mumm, ist er ein Feigling, und für den wachsen keine Luisen. Hinterm Rücken des Vaters muss er sein Geschäft mit der Tochter machen! Er muss es schaffen, dass das Mädchen lieber Vater und Mutter zum Teufel wünscht, als ihn aufzugeben. Oder sie kommt selbst, wirft sich dem Vater zu Füßen und fleht um Gottes willen um die Pest oder ihren Liebsten. Das nenne ich einen Kerl! Das heißt lieben! Und wer das bei Frauen nicht schafft, der soll auf seinem Federkiel reiten!"

Wurm griff nach Hut und Stock und stürmte hinaus. "Verbindlichsten Dank, Herr Miller!"

Miller rief ihm langsam hinterher. "Wofür denn? Wofür? Sie haben doch gar nichts bekommen, Herr Sekretär!"

Er kam zurück. "Hört nichts und haut ab. Es ist mir wie Gift, wenn ich diesen Federfuchser sehe. So ein widerlicher Typ, als hätte ihn jemand illegal in Gottes Welt reingeschmuggelt. Die kleinen, hinterhältigen Mäuseaugen - die feuerroten Haare - das vorgeschobene Kinn, als hätte die Natur aus Wut über diese Fehlproduktion den Kerl gepackt und in irgendeine Ecke geschmissen. Nein! Bevor ich meine Tochter an so einen Widerling verschleudere, soll sie mir lieber... Gott verzeih mir's!"

Seine Frau spuckte angewidert aus. "Dieser Hund! Aber man wird dir schon das Maul stopfen!"

"Und du mit deinem beschissenen Junker!", fuhr Miller sie an. "Hast mich vorhin auch so auf die Palme gebracht! Du bist immer am dümmsten, wenn du um Gottes willen mal gescheit sein sollst. Was sollte das Gelaber von gnädiger Dame und deiner Tochter? Sowas muss man doch diesem Alten auf die Nase binden, damit's morgen am Marktbrunnen die Runde macht! Das ist genau so ein Typ, der in fremden Häusern rumschnüffelt, über Personal und Küche lästert. Und wenn dir mal ein freches Wort rausrutscht - zack! wissen's Fürst, Mätresse und Präsident, und du hast die Hölle am Hals!"

Dritte Szene

Luise kommt aus der Kirche

Luise legte das Buch auf den Tisch und ging zu ihrem Vater. Sie drückte ihm sanft die Hand. "Guten Morgen, lieber Vater."

Miller strich ihr warm über den Kopf. "Das ist schön, meine Luise. Es freut mich, dass du so fleißig an deinen Schöpfer denkst. Bleib immer so, dann wird sein Arm dich halten."

"Oh, ich bin eine große Sünderin, Vater..." Luise drehte sich zu ihrer Mutter. "War er da, Mutter?"

"Wer denn, mein Kind?"

"Ach, ich vergaß, dass es außer ihm noch andere Menschen gibt..." Luise fasste sich an den Kopf. "Mein Kopf ist so durcheinander. Er war nicht da? Walter?"

Miller sah sie traurig und ernst an. "Ich dachte, meine Luise hätte diesen Namen in der Kirche gelassen?"

Luise starrte ihn lange schweigend an, dann sagte sie leise: "Ich verstehe dich, Vater. Ich spüre das Messer, das du mir ins Gewissen stößt. Aber es kommt zu spät. Ich habe keine Andacht mehr, Vater. Der Himmel und Ferdinand zerren an meiner blutenden Seele, und ich fürchte... ich fürchte..." Sie hielt inne. "Aber nein, guter Vater. Wenn wir den Künstler über seinem Gemälde vernachlässigen, ist das nicht das schönste Lob für ihn? Wenn meine Freude über sein Meisterwerk mich ihn selbst übersehen lässt, Vater - muss das Gott nicht erfreuen?"

Miller warf sich genervt in seinen Stuhl. "Da haben wir's! Das ist die Frucht von diesem gottlosen Lesen!"

Luise trat unruhig ans Fenster. "Wo er wohl jetzt ist? Die vornehmen Fräulein, die ihn sehen, ihn hören... Ich bin nur ein schlechtes, vergessenes Mädchen." Sie erschrak über ihre eigenen Worte und stürzte zu ihrem Vater. "Nein, nein! Verzeih mir. Ich beweine mein Schicksal nicht. Ich will ja nur wenig - nur an ihn denken. Das kostet doch nichts. Dieses bisschen Leben - könnte ich es aushauchen als sanften Wind, der sein Gesicht kühlt! Diese Blüte meiner Jugend - wäre sie ein Veilchen und er träte darauf, sie dürfte bescheiden unter ihm sterben. Damit wäre ich zufrieden, Vater! Wenn die Mücke sich in den Sonnenstrahlen wärmt - kann die stolze, majestätische Sonne ihr das verbieten?"

Miller beugte sich gerührt über die Stuhllehne und verbarg sein Gesicht. "Hör zu, Luise. Den kleinen Rest meiner Jahre würde ich dafür geben, wenn du den Major nie gesehen hättest."

Luise fuhr erschrocken auf. "Was sagst du da? Was? Nein, du meinst es anders, guter Vater. Du weißt nicht, dass Ferdinand mir gehört, für mich geschaffen wurde, mir zur Freude vom Vater aller Liebenden."

Sie stand nachdenkend da. "Als ich ihn zum ersten Mal sah..." Sie sprach schneller. "Und mir das Blut in die Wangen schoss, mein Puls schneller schlug, jede Regung sprach, jeder Atemzug flüsterte: Er ist's! Und mein Herz erkannte endlich den, der immer gefehlt hatte und bestätigte: Er ist's! Und wie das durch die ganze Welt hallte, die sich mit mir freute! Damals... oh, damals ging in meiner Seele die erste Sonne auf. Tausend junge Gefühle schossen aus meinem Herzen wie Blumen aus der Erde, wenn der Frühling kommt. Ich sah keine Welt mehr, und doch erinnere ich mich, dass sie nie schöner war. Ich wusste nichts mehr von Gott, und doch hatte ich ihn nie so sehr geliebt."

Miller trat auf sie zu und drückte sie an seine Brust. "Luise, mein teures, wunderbares Kind! Nimm meinen alten, müden Kopf, nimm alles! Alles! Aber den Major... Gott ist mein Zeuge... den kann ich dir nicht geben." Er ging hinaus.

"Ich will ihn ja jetzt auch nicht, Vater!" rief Luise ihm nach. "Dieser kleine Tropfen Zeit - schon ein Traum von Ferdinand saugt ihn völlig auf. Ich verzichte auf ihn für dieses Leben. Aber dann, Mutter - wenn die Schranken des Standes fallen, wenn alle verhassten Hüllen der Unterschiede von uns abfallen und nur noch Menschen übrig bleiben! Ich bringe nichts mit als meine Unschuld. Aber Vater hat so oft gesagt, dass Schmuck und prächtige Titel wertlos werden, wenn Gott kommt, und die Herzen im Wert steigen. Dann werde ich reich sein! Dort zählen Tränen als Triumphe und schöne Gedanken als Ahnenreihe. Dann werde ich vornehm sein, Mutter! Was hätte er dann noch vor mir voraus?"

Frau Miller sprang auf. "Luise! Der Major! Er springt über den Zaun! Wo verstecke ich mich?"

Luise begann zu zittern. "Bleib doch, Mutter!"

"Mein Gott, wie sehe ich aus! Ich muss mich ja schämen. So kann ich mich doch nicht vor seiner Gnaden sehen lassen!" Sie eilte hinaus.

Vierte Szene

Ferdinand und Luise allein

Ferdinand stürmte auf sie zu. Luise sank blass und schwach auf einen Stuhl. Er blieb vor ihr stehen und sie sahen sich lange schweigend an.

"Du bist blass, Luise?"

Luise stand auf und fiel ihm um den Hals. "Es ist nichts! Nichts! Du bist ja da. Jetzt ist es vorbei."

Ferdinand nahm ihre Hand und führte sie an seine Lippen. "Und liebt mich meine Luise noch? Mein Herz ist das von gestern - ist deins es auch noch? Ich bin nur schnell hergeflogen, um zu sehen, ob du fröhlich bist, dann gehe ich wieder und bin es auch. Aber du bist es nicht."

"Doch, doch, mein Liebster."

"Sag mir die Wahrheit. Du bist es nicht." Er betrachtete sie eindringlich. "Ich schaue durch deine Seele wie durch das klare Wasser dieses Brillanten." Er zeigte auf seinen Ring. "Hier kann sich kein Bläschen bilden, das ich nicht bemerke. Kein Gedanke zeigt sich in deinem Gesicht, der mir entgehen würde. Was bedrückt dich? Schnell! Wenn ich nur diesen Spiegel klar halte, zieht keine Wolke über die Welt. Was macht dir Sorgen?"